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Schlagwortarchiv für: Tarifeinheit

Redaktion

10 Thesen zum Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) – BR-Drucks. 635/14

Arbeitsrecht, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht, Verschiedenes

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag des renommierten Arbeitsrechtlers Prof. Dr. Gregor Thüsing (Universität Bonn) veröffentlichen zu dürfen. Als Sachverständiger ist er vom Bundestag zum geplanten Tarifeinheitsgesetz gehört worden und hat durch zahlreiche Publikationen (s. etwa hier und hier) und Stellungnahmen die Diskussion um die Tarifeinheit vorangetrieben.
10 Thesen zum Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) – BR-Drucks. 635/14
1. Die in § 4a TVG-E genannten Ziele sind in Rechtsprechung und Literatur bislang zwar nur ungenau konturiert, als rechtspolitische Eckpfeiler des Handelns aber sicherlich richtig. Es geht im Kern um eine Stärkung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie.
2. Diese ist durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 7.7.2010 (4 AZR 549/08), in dem der Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben wurde, möglicherweise gefährdet. Ob sich diese Gefährdungen tatsächlich realisieren werden, ist schwer zu prognostizieren. Der Gesetzgeber braucht jedoch nicht zu warten, bis eine Regelung u.U. zu spät ist. Er kann sich auf Regeln vernünftigen Vermutens verlassen. Es ist gut, dass der Gesetzgeber handelt.
3. Um diese Gefährdung zu beseitigen, will der Entwurf jedoch nicht den erprobten Status quo ante wiederherstellen, sondern er ist einen neuen Weg der Auflösung von Tarifkonkurrenzen gegangen: das betriebsbezogene Mehrheitssystem. Zuvor wurden Tarifpluralitäten regelmäßig nach dem Spezialitätsprinzip aufgelöst, d.h. der Tarifvertrag, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wird (z.B. BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, BAGE 67, 330, zu B II 3 der Gründe; 20.3.1991 – 4 AZR 457/90 -, zu B II 3 der Gründe, jeweils m.w.N.). Nun soll sich die Gewerkschaft durchsetzen, die mehr Mitglieder im Betrieb hat.
4. Der Wert des Gesetzes liegt dabei in der Verhinderung der Herausbildung von Kleinstgewerkschaften und der Zersplitterung der Tariflandschaft. Sollte sich zukünftig die Betriebsfeuerwehr eines chemischen Unternehmens entscheiden, eine eigene Gewerkschaft zu gründen (ggf. mit andere Betriebsfeuerwehren), und wäre diese Gruppe dann tatsächlich eine Gewerkschaft, dann könnte sie eigennützig streikend nur für ihre wenigen Mitglieder das ganze Unternehmen lahmlegen, das ohne funktionierende Feuerwehr nicht produzieren darf. Dies gilt es zu verhindern, sollte dies eine reale Gefahr sein. Das Wirken der GDF deutet freilich in der Tat in diese Richtung (s. den Streik der Vorfeldlotsen in Frankfurt im Februar 2012).
5. Dieser Weg kann freilich im Einzelfall zu sinnwidrigen Ergebnissen führen. So könnte eine Berufsgruppe damit von einer Gewerkschaft vertreten werden, in der sie kein einziges Mitglied hat, obwohl die konkurrierende Gewerkschaft, deren Tarifvertrag verdrängt wird, einen sehr hohen Organisationsgrad hat. Eine plastisches Beispiel: Sollte sich UFO auf Grundlage des vorliegenden Gesetzesentwurfs entscheiden, künftig auch die Piloten zu behandeln, so würde deren Cockpit-Tarifvertrag verdrängt werden, obwohl kein einziger Pilot bei UFO ist und sie ggf. alle zu 100 % bei Cockpit organisiert sind –einzig und allein deswegen, weil UFO unter Flugbegleitern einen sehr hohen Organisationsgrad hat, und es sehr viel mehr Flugbegleiter als Piloten gibt. Zudem: Statt Tarifpluralitäten im Betrieb gibt es nun solche im Unternehmen. Das ist auch nicht praktikabler oder solidarischer. Wenn künftig etwa die GDL in einem Betrieb die Mehrheit der Arbeitnehmer organisiert, in einem anderen Betrieb aber die EVG, so gilt im einen Betrieb für die Lokführer der GDL-Tarifvertrag, im anderen der EVG-Tarifvertrag. Der Arbeitgeber könnte dieses Ergebnis zudem durch Versetzungen von Arbeitnehmern beeinflussen, leichter noch als durch den Zuschnitt der Betriebe, der ebenfalls in seiner Hand liegt.
6. Auch löst der Entwurf das Problem der Häufung von Arbeitskämpfen bei konkurrierenden Gewerkschaften nicht. Um es deutlich zu sagen: Hierdurch wird es keinen Streik weniger geben. Denn der Gesetzesentwurf sagt es in seiner Begründung deutlich: „Die Regelungen zur Tarifeinheit ändern nicht das Arbeitskampfrecht“. Bislang durfte jeder Arbeitnehmer eines Unternehmens für einen Tarifvertrag streiken, auch wenn er nicht von ihm erfasst wurde. Dies ist unbestritten, und eben dies ist der Grund, warum auch unbestritten ist, dass Nichtorganisierte streiken dürften (s. so schon vor vielen Jahren Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, 1994). Daher könnte jeder Arbeitnehmer eines Unternehmens streiken für einen Tarifvertrag, von dem nicht ausgeschlossen ist, dass er sich später in zumindest einem Betrieb durchsetzen würde. Dies aber kann ex ante nie sicher ausgeschlossen werden. Sollte daher das Gesetz hier Streiks eindämmen wollen, müsste das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung ändern. Dies wäre wohl nicht zu erwarten, auch weil dann viele Folgefragen auf einmal nicht mehr stimmig beantwortet werden könnten. Wer also tatsächlich eine Begrenzung des Streikrechts will, der müsste dies ausdrücklich normieren.
7. Nicht alles, was – wie dargelegt – zu zuweilen sinnwidrigen Ergebnissen führt oder wichtige Probleme ungelöst lässt, ist verfassungswidrig. Hier liegt jedoch eine strukturelle Benachteiligung von Spartengewerkschaften, die rechtfertigungsbedürftig ist, unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit handelt oder um einen Eingriff in diese. Beides dürfte kaum abgrenzbar sein. Denn jede Ausgestaltung ist auch eine Begrenzung, dass andere Varianten der Ausgestaltung nicht gewählt wurden („to define is to limit“). Denn auch bei der Ausgestaltung sind die grundrechtlich geschützten Interessen der Betroffenen in einen verhältnismäßigen verfassungsrechtlichen Ausgleich zu setzen. Eine Ausgestaltung, die den Spartengewerkschaften die Luft zum Atmen nimmt, wäre ohne hinreichende Rechtfertigung auch als Ausgestaltung verfassungswidrig. Viele sehen diese Rechtfertigung als nicht gegeben an. Zählt man die Stimmen, ohne sie zu wiegen, so sind diese klar in der Überzahl (s. nur die Nachweise im Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vom Februar 2015, im Übrigen zuletzt insb. Schliemann/Konzen, RdA 2015, 1-16). Ich selber bin mir da nicht sicher. Die Sicherungsmittel des Entwurfs, die Verfassungskonformität zu sichern, sind jedenfalls absurd: Ein einklagbares Recht der Minderheitsgewerkschaft, ihre Forderungen mündlich vortragen zu dürfen (§ 4 Abs. 5 TVG-E), ist genauso funktionslos wie das Recht einer Gewerkschaft, den von ihr nicht mit beeinflussten Tarifvertrag, zu dem sie ja in Konkurrenz agiert hat, eins zu eins nachzuzeichnen (§ 4 Abs. 4 TVG-E). Welche Gewerkschaft, die etwas auf sich hält, würde sich auf solche Rechte berufen?
8. Die verfassungsrechtlichen Probleme lassen sich deutlich entschärfen, wenn man einen Weg findet, die Konkurrenzen anders aufzulösen, ohne die Spartengewerkschaften strukturell zu benachteiligen. Ein möglicher Weg wäre es, das Mehrheitssystem nicht am Betrieb ansetzen zu lassen, sondern am sich überschneidenden Bereich: Es würde sich im Bereich der Überschneidung der Tarifvertrag der Gewerkschaft durchsetzen, die in der Personengruppe, für die beide Gewerkschaften tätig geworden sind, die meisten Mitglieder hat. Weil hierin aber eine strukturelle Bevorzugung von Spartengewerkschaften liegen würde (die in Sparten tendenziell besser organisieren können), sollte im Gegenzug diese Konkurrenzregelung davon abhängig gemacht werden, dass dieser Überschneidungsbereich eine Mindestgröße der Belegschaft ausmacht, z.B. 15 %. Damit würden die bisherigen Spartengewerkschaften in ihrem Wirken regelmäßig nicht beeinträchtigt, neue Kleinstgewerkschaften könnten sich jedoch nicht etablieren, weil sie es nicht schaffen, in einem solchen Teil der Belegschaft die Mehrheit zu organisieren. Die Werksfeuerwehr und die Vorfeldlotsten wären ein zu kleiner Teil der Belegschaft, um sich hier gegen eine Gewerkschaft durchzusetzen, die die gesamte Belegschaft repräsentiert. Dieser Ansatz wäre verfassungsrechtlich weitaus unproblematischer als der vorliegende Entwurf und würde das bisherige Gleichgewicht der Gewerkschaften deutlich weniger beeinträchtigen.
9. Auch dieser Ansatz lässt aber die Probleme des Arbeitskampfs in der Daseinsvorsorge ungelöst. Diese aber bedürfen dringend einer Lösung. Nicht die Geltung mehrerer Tarifverträge im Betrieb ist das zurzeit wohl drängendste Problem, sondern die Vielzahl und die Heftigkeit der Arbeitsniederlegungen in Unternehmen, auf deren Leistungen die Öffentlichkeit in besonderem Maße angewiesen ist. Eben hier müsste eine Regelung ansetzen. Es braucht angemessene Regeln für die Arbeitsniederlegung, die die Drittinteressen in Betrieben der Daseinsvorsorge schützen. Hierzu gibt es an erprobten Modellen des Auslands orientierte Vorschläge. Andere Länder haben sehr wohl die Notwendigkeit des Handelns erkannt: Wer sich umschaut, der findet Rechtsordnungen mit Ankündigungspflichten, mit Wartezeiten, mit obligatorischen Schlichtungsverfahren, mit detaillierten Regelungen des Notdienstes – all das kann Modell sein. Das wesentliche Problem, dass die Streiks vor allem unbeteiligte Dritte – z.B. die Reisenden –treffen, die nichts zur Lösung des Tarifkonfliktes beitragen können, wird so gelöst oder zumindest erheblich reduziert, ohne dass kleinen Gewerkschaften ihre Verhandlungsfreiheit genommen wird. Ein solcher Ansatz ist verfassungskonform und er adressiert das eigentliche Problem.
10. Der Ansatz des Gesetzes ist daher zu ergänzen um Regelungen, wie sie der CSU-Vorstand in seinem Beschluss vom Januar 2015 und die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU fordern. Verfassungsrechtliche Hürden bestehen hier nicht (ausführlich die in der BR-Drucks. 6355/14 erwähnte Initiative der Carls Friedrich von Weizsäcker Stiftung, dargestellt Franzen/Thüsing/Waldhoff, Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge, 2012, abrufbar in einer gekürzten Fassung unter, https://www.cfvw.org/stiftung/images/stories/downloads/Mono_17.10._final_Web-Version.pdf).

08.06.2015/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2015-06-08 10:50:232015-06-08 10:50:2310 Thesen zum Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) – BR-Drucks. 635/14
Dr. Maximilian Schmidt

Tarifeinheit – Ein Debattenbeitrag

Aktuelles, Arbeitsrecht, Schon gelesen?, Schwerpunktbereich, Verfassungsrecht

Tarifeinheit – ein Begriff, den sicherlich alle Juristen und auch am Tagesgeschehen Interessierte schon einmal gehört haben. Spätestens wenn man mal wieder aufgrund eines Streikes der GDL oder Cockpit auf den Zug wartet oder am Flughafen gestrandet ist, erinnert man sich an den Slogan „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“. Doch was hat es mit der Tarifeinheit genau auf sich? Der nachfolgende Beitrag soll die juristischen Grundlagen der rechtspolitischen Diskussion veranschaulichen und aufzeigen, wo Regelungsbedürfnisse gegeben sind.
I. Was bedeutet der „Grundsatz der Tarifeinheit“?
Das Problem der Tarifeinheit tritt auf, sofern im Betrieb eine sog. Tarifpluralität oder Tarifkonkurrenz vorliegt. Dies ist der Fall, wenn ein Arbeitgeber sich mehreren Gewerkschaften und damit konkurrierenden Tarifverträgen gegenübersieht und auf der anderen Seite ein Arbeitnehmer nur an einen dieser Tarifverträge gebunden ist. Fraglich ist dann, welcher Tarifvertrag für welche Arbeitnehmer gilt: Einer für alle?
Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer an den Tarifvertrag „seiner“ Gewerkschaft gebunden, §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG. Ist der Arbeitnehmer nicht Mitglied in der Gewerkschaft, kann er nicht nach § 3 Abs. 1 TVG tarifgebunden sein. In der Praxis finden sich in den Arbeitsverträgen aber regelmäßig in allen Arbeitsverträgen sog. Bezugnahmeklauseln, so dass das gesamte Tarifwerk über die vertragliche Vereinbarung Anwendung findet (schuldrechtlich, nicht tarifrechtlich).
Treten nun in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften auf und schließt der Arbeitgeber mit diesen konkurrierende Tarifverträge, liegt ein Fall der Tarifpluralität vor. Eigentlich kein Problem – möchte man meinen, denn bei strikter Gesetzesanwendung müsste gelten: Die Arbeitnehmer sind an den jeweiligen Tarifvertrag ihrer jeweiligen Gewerkschaft gebunden, § 3 Abs. 1 TVG.
Früher ständige Rechtsprechung: Tarifeinheit
Das BAG nahm aber bis zum Jahr 2010 in st. Rspr. an, dass eine solche Situation konkurrierender Tarifverträge in einem Betrieb nicht auftreten dürfe (Grundsatz der Tarifeinheit, s. BAG v. 26.1.1994 – 10 AZR 611/92). Als Argument führte es an, dass es ansonsten zu einem Tarifchaos käme und der Betrieb durch mögliche Streiks der unterschiedlichen Gewerkschaften lahmgelegt werden könne. Hinter diesem Argument steckt das tarifrechtliche Ordnungsprinzip, wie es in § 1 TVG Ausdruck findet. Auch eine Gefährdung des Betriebsfriedens wurde befürchtet. Zudem könne es zu einem „Gewerkschaftshopping“ aus individuellen Optimierungsinteressen einzelner Arbeitnehmer kommen, das letztlich zu einem „Hochschaukeln“ der Forderungen der Gewerkschaften führe. Daher müsse der Tarifvertrag der kleineren Gewerkschaft vom Tarifwerk der Mehrheitsgewerkschaft verdrängt werden; nur dieser zeitige Rechtsfolgen. Einher ging hiermit ein faktisches Streikverbot für die Minderheitsgewerkschaft.
Das Ergebnis war, dass die Arbeitnehmer der Minderheitsgewerkschaft den erstrittenen Tarifvertrag verloren, zugleich mangels Mitgliedschaft aber auch nicht an den Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft gebunden waren. Somit standen sie letztlich ohne Tarifvertrag da.
Aufgabe der Rechtsprechung im Jahr 2010
Das BAG hat diese Rechtsprechung, die weder gesetzlich noch gewohnheitsrechtlich verankert ist, im Jahr 2010 mit Hinweis auf Art. 9 Abs. 3 GG ausdrücklich aufgegeben (BAG v. 23.6.2010 – 10 AS 3/10; BAG v. 27.1.2010 – 4 AZR 549/08, NZA 10, 645). Es liege ein Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer in der Minderheitsgewerkschaft vor, da deren Tarifvertrag immer ausgestochen werde. Zum einen sei kein Tarif- oder Streikchaos für den Fall der Geltung mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb zu erwarten, zum anderen könne dies einen solch schwerwiegenden Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG auch nicht rechtfertigen.
Diese Entwicklung verdient Beifall. Erstens führt der Grundsatz der Tarifeinheit zu einer Verzerrung der Entlohnung bestimmter Gruppen. So konnten Zugführer oder Piloten jahrzentelang nicht den marktangemessenen Lohn durch Streiks erzwingen, sondern mussten mit der Mehrheitsgewerkschaft Kompromisse eingehen. Damit lag ihr Lohn unter ihrem Marktwert, so dass letztlich die Arbeitgeber durch geringere Entgeltzahlungen Nutznießer dieser Rechtsprechung waren. Ein weiterer Nutznießer waren zweitens die „großen“ Gewerkschaften, deren Position quasi unanfechtbar war. Die Tarifeinheit zementierte ihre Monopolstellung, da mangels Tarifgeltung und Streikrecht kleinere Gewerkschaften de facto keine Möglichkeit hatten zu wachsen. Wer wird schon Mitglied einer Gewerkschaft, die ohnehin nichts durchsetzen kann? Drittens ist ein Tarifchaos oder eine Zersplitterung der Tariflandschaft nicht eingetreten. Lokführer- oder Pilotenstreiks führen immer zu einem volkswirtschaftlichen Schaden, unabhängig davon, ob sie von einer Mehrheits- oder Minderheitsgewerkschaft ausgeführt werden. Und viertens – ein häufig übersehenes Argument: Arbeitsrechtler beklagen den schwindenden Organisationsgrad in den Gewerkschaften. Arbeitnehmer sind immer seltener bereit, sich in Gewerkschaften zu organisieren und ihre Rechte durchzusetzen. Die Tarifeinheit verstärkte diesen Trend noch, da es für die meisten Minderheitsberufsgruppen in einem Betrieb sinnlos war, sich zu organisieren, da ihr Einfluss ohnehin verschwindend gering war und sie sich nicht selten durch die goßen Gewerkschaften nicht hinreichend vertreten fühlten.
Man mag die „überzogenen“ Forderungen von GDL, Cockpit und Co. kritisieren – für die Dynamik der Tariflandschaft und die Effektivität der grundrechtlich geschützten Tarifautonomie sind die erzielten Abschlüsse aber ein eindrucksvolles Zeugnis. Zugleich kann den Tarifabschlüssen der Lokführer, Vorfeldlotsen oder Piloten eine Vorbildwirkung zukommen. Auch andere Arbeitnehmer können sich hierdurch angespornt sehen, mehr für ihre Rechte zu kämpfen – und der mündige Arbeitnehmer ist doch das Ziel jeder Arbeitsmarktpolitik.
II. Welche Vorschläge zur Normierung gibt es?
In der Zwischenzeit gab es einige Vorschläge zur gesetzlichen Normierung der Tarifeinheit. Diese werden – wenig überraschend – nicht nur von den großen Gewerkschaften, sondern auch von Arbeitgeberseite unterstützt.
Arbeitsministerin Nahles drohte zuletzt als Reaktion auf die Streiks der GDL eine Gesetzesinitiative an (kurios hierbei ihr Hinweis, dass die Ausgestaltung „am besten natürlich verfassungskonform“ erfolgen solle). Zuvor gab es schon einen gemeinsamen Vorschlag des Arbeitgeberverbandes und der Gewerkschaften sowie einen sog. Professorenentwurf (NZA Aktuell, Heft 7/2012). Alle wurden ganz überwiegend als verfassungswidrig eingeordnet, jedenfalls im Ergebnis aber abgelehnt (Bayreuther, NZA 2013, 1395).
III. Was kann verfassungskonform geregelt werden?
Aktuell wurde das Thema zudem durch den jüngsten 71. Juristentag in Hannover. Die Abteilung Arbeitsrecht konnte sich auf keinen Beschluss einigen – was die Brisanz des Themas noch einmal verdeutlicht. Anscheinend will es sich niemand mit der Politik verscherzen und dieser ins Stammbuch schreiben, dass der Grundsatz der Tarifeinheit in Form der alten Rechtsprechung des BAG tot ist – ohne Chance auf verfassungskonforme Reanimation.
Verfassungskonform könnten hingegen Abspracheerfordernisse zwischen den Gewerkschaften sein. So wird man dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgend eine Streikabsprache zwischen den einzelnen Gewerkschaften fordern können, soweit eine Vielzahl von aufeinander folgenden Streiks drohte und hiermit das bestreikte Unternehmen in eine wirtschaftliche Schieflage geriete. Auch könnte ein einheitlicher Endzeitpunkt für die abgeschlossenen Tarifverträge verlangt werden (so Franzen, RdA 2008, 193, 203f.). Solche Minusmaßnahmen könnten auch gesetzlich festgeschrieben werden. Erforderlich ist dies aber nicht, hat sich doch bisher die Rechtsprechung in der Ausgestaltung des Streikrechts verdient gemacht.
IV. Warum sollte ich das alles wissen?
Die Diskussionen zur Tarifeinheit flachen nicht ab. Und wie so häufig ist es sinnvoll, die rechtlichen Grundlagen durchdacht zu haben, um zu einer fundierten Meinung zu kommen. Die Tatsache, dass sog. Funktionseliten wie Vorfeldlotsen und Piloten extreme Gehaltssteigerungen erkämpfen konnten, spricht insoweit eine eindeutige Sprache: Der Grundsatz der Tarifeinheit hat jahrzehntelang den Markt zuungunsten dieser Berufsgruppen verzerrt. Der Ärger über verspätete Bahnen oder Flugzeuge ist sicherlich kein valides Argument, in Zukunft diesen ihren gerechten – auf der Angemessenheitsvermutung des Tarifvertrages beruhenden – Lohn vorzuenthalten.
 

24.09.2014/4 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2014-09-24 13:00:212014-09-24 13:00:21Tarifeinheit – Ein Debattenbeitrag

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