Mit Beschluss vom 03.07.2013 (5 L 193/13) entschied das Verwaltungsgericht Aachen über den Eilrechtsschutzantrag eines Grundstückseigentümers gegen eine an ihn gerichtete bauordnungsrechtliche Beseitigungsverfügung. Gegenstand der angegriffenen Verfügung des Kreises Düren war die Beseitigug eines auf dem Grundstück des Antragstellers erichteten Protestcamps gegen die Erweiterung des Tagesbaus Hambach.
A. Sachverhalt
Im Rahmen der Proteste gegen die (weitere) Ausdehnung des Tagebaus Hambach errichteten Aktivisten auf dem Grundstück, das im Bereich des geplanten Tagebaus liegt, ein aus Zelten, Wohn- und Bauwagen, Pkws mit Vorzelt bzw. Windschutz, Holzhütten sowie einer „Kriechbude“ mit blauer Folienabdeckung bestehendes Protestcamp. Der Eigentümer des im Außenbereich liegenden Grundstücks hatte den Aktivisten die Errichtung des Camps Ende 2012 gestattet. Wie von dem Antragsteller im Verfahren ausgeführt, sollte das Camp primär den „Protestorganismus“ am Leben erhalten und verhindern, dass die Beteiligten „in alle Himmelsrichtungen“ vertrieben werden. Dabei diene es auch als Obdach seiner Bewohner und als Ausgangsbasis für die Planung des Widerstands und insbesondere von Protestveranstaltungen. Mit Bescheid vom 22.03.2013 verfügte der Kreis Düren gegenüber dem Eigentümer der Wiese, unter (formell ordnungsgemäßer) Anordnung der sofortigen Vollziehung, das Camp zu beseitigen. Gegen diesen Bescheid hat der Grundstückseigentümer Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht erhoben. Zugleich begehrt er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.
B. Rechtliche Würdigung
Der Antrag des Grundstückseigentümers hat Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist.
I. Zulässigkeit
Angesichts der zahlreichen materiell-rechtlichen Probleme, die der Fall im Rahmen der Begründetheit aufwirft, sollte die Zulässigkeitsprüfung in einer Klausur möglichst kurz ausfallen. Gleichwohl sind im Eilrechtsschutz stets (also auch hier) folgende Punkte zumindest kurz anzusprechen (siehe ausführlich zur Zulässigkeitsprüfung unseren Grundlagenbeitrag zu § 80 Abs. 5 VwGO):
1. Statthaftigkeit
Statthaft ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGo, da sich der Antragsteller gegen den Vollzug eines ihn belastenden Verwaltungsakts (in Form der Beseitigungsverfügung) wendet, gegen den in der Hauptsache die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft ist. In diesen Fällen ist Eilrechtsschutz vorrangig nach den §§ 80, 80a VwGO und nicht nach § 123 Abs. 1 VwGO zu gewähren (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO).
2. Rechtsschutzbedürfnis
Das für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGo erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, da der Anfechtungsklage des Antragstellers wegen der Vollziehungsanordnung der Behörde keine aufschiebende Wirkung zukommt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) und die Klage fristgerecht erhoben worden, also nicht offensichtlich unzulässig ist.
II. Begründetheit
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtmäßig ist und das private Aussetzungsinteresse (Suspensivinteresse) des Antragsstellers das öffentliche Vollzugsinteresse der Behörde überwiegt. Dies richtet sich in erster Linie nach den (summarisch zu prüfenden) Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Ist der Verwaltungsakt danach (offensichtlich) rechtswidrig, hat der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO regelmäßig Erfolg, da an dem Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse bestehen kann. Ist der Verwaltungsakt (offensichtlich) rechtmäßig, überwiegt das Vollzugsinteresse der Behörde (im Fall des § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO) aber nur, wenn ein besonderes Vollzugsinteresse vorliegt.
1. Formell rechtmäßige Anordnung der sofortigen Vollziehung
Im Hinblick auf die formellen Anforderungen an die behördliche Vollziehungsanordnung nach § 80 Abs. 3 VwGO bestehen laut Sachverhalt keine Bedenken
2. Interessenabwägung – Erfolgsaussichten in der Hauptsache
Als Ermächigungsgrundlage für die bauordnungsrechtliche Verfügung kommt § 61 Abs. 1 BauO NRW in Betracht. Danach haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, der Änderung, dem Abbruch, der Nutzung, der Nutzungsänderung sowie der Instandhaltung baulicher Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden (Satz 1). Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen (Satz 2).
a) formelle Rechtmäßigkeit
Die formellen Voraussetzungen (Zuständigkeit/Verfahren/Form) waren vorliegend gewahrt. Etwaige Anhörungsmängel wurden jedenfalls im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens nach § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG NRW geheilt (im Interesse der Leserlichkeit des Beitrags wird die Thematik hier nicht näher dargestellt – siehe vertiefend etwa hier).
b) materielle Rechtmäßigkeit
Auf Tatbestandsebene setzt eine auf § 61 Abs. 1 BauO NRW gestützte Beseitigungsanordnung das Vorliegen einer baulichen Anlage sowie deren formelle und materielle Illegalität voraus.
aa) Protestcamp als bauliche Anlage im Sinne der §§ 2, 61, 63 BauO NRW
Bei den das Protestcamp bildenden einzelnen Bestandteilen müsste es sich um bauliche Anlagen im Sinne des § 2 BauO NRW handeln.
Bauliche Anlagen sind mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW). Eine Verbindung mit dem Erdboden besteht nach § 2 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW auch dann, wenn die Anlage durch eigene Schwere auf dem Erdboden ruht oder auf ortsfesten Bahnen begrenzt beweglich ist oder wenn die Anlage nach ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt ist, überwiegend ortsfest benutzt zu werden.
Zu diesen Anlagen gehören neben Zelten, die mit Heringen und/oder ähnlichen Befestigungen mit dem Erdboden verankert sind, vgl. Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Aufl., § 2 Rdnr. 45, auch zu Wohnzwecken genutzte Wohn-, Bau- und Verkaufswagen, bei denen die Funktion als Transportmittel bei wertender Betrachtung in den Hintergrund tritt, vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 13. März 1998 – 2 S 2.98 -, BRS 60 Nr. 206; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 22. Oktober 1985 – 4 TH 1864/85 -, BRS 44 Nr. 136 = juris, sowie Pkws mit Vorzelt bzw. Windschutz, wenn diese überwiegend ortsfest benutzt werden.
Folglich handelt es sich bei den verschiedenen Bestandteilen des Camps um bauliche Anlagen.
bb) formelle Illegalität
Die formelle Illegalität folgt grds. aus dem Umstand, dass der Grundstückeigentümer die für die einzelnen baulichen Anlagen gemäß § 63 BauO NRW erforderliche Baugenehmigung nicht besitzt.
Man kann an dieser Stelle (wie auch das Verwaltungsgericht) noch eine Abgrenzung zu fliegenden Bauten im Sinne des § 79 BauO NRW vornehmen (die keiner Baugenehmigung nach § 63 BauO NRW bedürfen). Dies lässt sich leicht mit Hilfe der Legaldefinition des § 79 Abs. 1 BauO NRW vornehmen. Die insoweit erforderliche Eignung und Bestimmung zum wiederholten Aufstellen und Zerlegen an verschiedenen Orten ist vorliegend angesichts des zum Enscheidungszeitpunkt bereits monatelang unveränderten Standorts des Camps zu verneinen.
cc) materielle Illegalität
Materiell ist das im Außenbereich befindliche Vorhaben (das die Errichtung von baulichen Anlagen zum Inhalt hat, vgl. § 29 Abs. 1 BauGB) an § 35 BauGB zu messen. Im Rahmen des § 35 BauGB ist zuerst zu prüfen, ob ein privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB vorliegt (und öffentliche Belange nicht entgegenstehen). Ist dies nicht der Fall, kann sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit als sonstiges Vorhaben aus § 35 Abs. 2 BauGB ergeben, wenn die Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.
- Protestcamp kein privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB
In Betracht kommt vorliegend allein der Tatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB. Danach sind Vorhaben privilegiert, die wegen ihrer besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen ihrer nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden sollen.
Die Bestimmung stellt einen Auffangtatbestand für diejenigen nicht in § 35 Abs. 1 BauGB benannten Vorhaben dar, die auf einen Standort im Außenbereich angewiesen sind. Zur Bejahung der Tatbestandsvoraussetzungen bedarf es einer rechtlichen Wertung, ob das Vorhaben nach Lage der Dinge des jeweiligen Einzelfalls aus einem der in der Vorschrift genannten Gründe hier und so sachgerecht nur im Außenbereich untergebracht werden kann. Diese Wertung beinhaltet vor allem die Entscheidung, ob das Vorhaben überhaupt im Außenbereich ausgeführt werden soll. Das ist nicht der Fall, wenn es zur Erfüllung der zulässigen und an sich außenbereichsadäquaten Funktion nicht erforderlich ist (siehe dazu zuletzt etwa die lesenswerte Entscheidung des OVG Münster, Urteil vom 15.02.2013 – 10 A 237/11 Rz. 27 ff. – juris, zu einem Hundeauslaufplatz im Außenbereich).
Gemessen an diesen Kriterien verneint das Gericht die Einordnung des Protestcamps als privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB:
In Anwendung dieser Grundsätze fehlt es vorliegend an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Vorhaben auf Verhältnisse angewiesen sind, die typischerweise im Außenbereich anzutreffen sind. Die Eigentümer der streitgegenständlichen Anlagen nutzen das „Protestcamp“ nach den eigenen Angaben des Antragstellers in dem Schriftsatz vom 6. Mai 2013 primär um den „Protestorganismus“ am Leben zu erhalten und zu verhindern, dass die Beteiligten „in alle Himmelsrichtungen“ vertrieben werden. Es dient als Obdach seiner Bewohner und als Ausgangsbasis für die Planung des Widerstands und insbesondere von Protestveranstaltungen, z.B. der vom Antragsteller selbst organisierten Demonstration vom 18. November 2012 an der Autobahnabfahrt Kerpen-Buir. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass ein derartiges „Basislager“ nicht auch im Innenbereich realisiert werden könnte.
- Beeinträchtigung öffentlicher Belange im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB
Zur Bestimmung möglicher öffentlicher Belange, die ein sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigen könnte, sollte man sich immer zunächst an den Regelbeispielen des § 35 Abs. 3 BauGB orientieren. Diese sind freilich nicht abschließend. Im vorliegenden Fall könnte das Vorhaben sowohl den Darstellungen des Flächennutzungsplans widersprechen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB) (dieser stellt das Baugrundstück als „Fläche für die Landwirtschaft“ dar), oder das Entstehen einer Splittersiedlung befürchten lassen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB).
Das Verwaltungsgericht lässt die Frage jedoch offen und stellt maßgeblich auf das vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte – in § 35 Abs. 3 BauGB nicht ausdrücklich geregelte – öffentlichen Belang „Erfordernis einer förmlichen Planung“ ab. Dabei geht es vereinfacht gesagt um die Frage, ob das in Rede stehende Gebiet bauplanungsrechtlich zum Gegenstand eines Bebauungsplans gemacht werden müsste. In einem solchen Fall sind die Kriterien des § 35 BauGB nicht geeignet, um die Zulässigkeit eines Vorhabens zu beurteilen:
Die öffentlichen Belange, die der Gesetzgeber in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB aufzählt, haben nur beispielhaften Charakter. Zu den nicht benannten öffentlichen Belangen gehört auch das Erfordernis einer förmlichen Planung. Dieser öffentliche Belang hat allerdings eine andere Qualität als die in § 35 Abs. 3 BauGB genannten. Er bringt zum Ausdruck, dass die in § 35 BauGB selbst enthaltenen Vorgaben nicht ausreichen, um im Sinne des erwähnten Konditionalprogramms eine Entscheidung über die Zulässigkeit des beabsichtigten Vorhabens treffen zu können. Das im Außenbereich zu verwirklichende Vorhaben kann eine Konfliktlage mit so hoher Intensität für die berührten öffentlichen und privaten Belange auslösen, dass dies die in § 35 BauGB vorausgesetzte Entscheidungsfähigkeit des Zulassungsverfahrens übersteigt. Ein derartiges Koordinierungsbedürfnis wird vielfach dann zu bejahen sein, wenn die durch das Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einen in erster Linie planerischen Ausgleich erfordern, der seinerseits Gegenstand einer abwägenden Entscheidung zu sein hat. Eine in diesem Sinne „abwägende“ Entscheidung ist nach der Gesetzeslage weder der Genehmigungsbehörde noch der Gemeinde im Rahmen des § 36 Abs. 1 BauGB zugestanden. Sie ist nach Maßgabe der §§ 1 ff. BauGB allein in einem Bauleitplanverfahren zu treffen.
Ob ein Erfordernis förmlicher Planung besteht, richtet sich im Einzelfall vor allem nach dem Umfang des Vorhabens und der Möglichkeit seiner Einordnung in die nähere Umgebung, wobei der Katalog der § 35 Abs. 3 BauGB insoweit wichtige Anhaltspunkte liefert.
Lässt sich die Koordination der Belange sachgerecht letztlich nur im Wege einer Abwägung sicherstellen, so ist dies auch ein hinreichendes Anzeichen für seine bodenrechtlich relevanten Auswirkungen, die geeignet sind, ein Planungsbedürfnis auszulösen.
Eine solche Situation ist hier gegeben. Dabei kommt der Tatsache, dass nur die einzelnen baulichen Anlagen, nicht aber die Gesamtanlage als solche, bei der es sich nicht um einen Campingplatz im Sinne von § 2 Abs. 1 der Verordnung über Camping- und Wochenendplätze handelt, genehmigungspflichtig ist, keine Bedeutung zu. Die 19 baulichen Anlagen treten nämlich schon wegen ihrer Verwirklichung in einem engen räumlichen Zusammenhang auf einem Flurstück und wegen ihres Charakters als (wildes) Camp als einheitliche Anlage in Erscheinung. Ein solches inmitten landwirtschaftlich genutzter Felder gelegenes Camp setzt eine förmliche Planung voraus, weil die ortsfeste Aufstellung der Anlagen eine Nutzung des Grundstücks durch die Mitglieder der Protestbewegung ermöglicht, die gesteigerte Anforderungen an die Gestaltung der in der näheren Umgebung befindlichen Wege und Straßen, die in erster Linie für den landwirtschaftlichen Verkehr ausgebaut sind, und an die Erschließungsanlagen (Wasser und Abwasser) stellt. Dies sind Belange, die grundsätzlich einer planerischen Steuerung bedürfen.
Die Zulässigkeit des Vorhabens kann damit im Ergebnis nicht auf § 35 BauGB gestützt werden, da es einer formelle Planung bedurft hätte.
- dd) Zwischenergebnis: Protestcamp formell und materiell illegal
c) Rechtsfolgenseite
Auf Rechtsfolgenseite sind nun verschiedene Gesichtspunkte zu erörtern. Die Erwägungen müssen in einer Klausur in eine sinnvolle (vertretbare) Reihenfolge gebracht werden. Da § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW der Behörde Ermessen einräumt („Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen“) und sich die Begründetheit des Antrags nach den Erfolgsaussichten der Hauptsache richtet (s.o.), empfiehlt es sich, zunächst – wie gewohnt – die ordnungsgemäße Ermessensbetätigung im Hinblick auf Maßnahme und Störer überprüfen (vgl. dazu § 114 VwGO) und dann auf eine mögliche Beeinträchtigung von Grundrechten einzugehen.
aa) Auswahlermessen: hohe Anforderungen an Beseitigungsanordnung im Eilrechtsschutz
Eine bauaufsichtsrechtliche (auf die Generalklausel des § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW gestützte) Verfügung, mit der die Beseitigung baulicher Anlagen (im Gegensatz zur Untersagung ihrer Nutzung oder einer Baueinstellung) angeordnet wird, setzt wegen der besonders hohen Eingriffsintensität jedenfalls die formelle und materielle Ilegalität der Anlagen voraus. Selbst wenn das Vorhaben formell und materiell illegal ist, bedarf es stets der Prüfung, ob nicht auf andere Weise (durch weniger einschneidende Maßnahmen) rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Hier ist nun zu erkennen, dass die Rechtmäßigkeit einer Beseitigungsanordnung im Eilrechtsschutz höheren Anforderungen unterliegt und regelmäßig zu verneinen ist.
Der Antragsgegner konnte die angefochtene Verfügung auch in rechtlich zulässiger Weise auf die formelle und materielle Illegalität der Vorhaben stützen, soweit hierdurch das Entfernen der baulichen Anlagen vom Grundstück des Antragstellers gefordert wird. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einer bauaufsichtlichen Beseitigungsverfügung ist, worauf der Antragsteller zu Recht hinweist, zwar regelmäßig zu verneinen, weil der – nur durch ein Eilverfahren bestätigte – Abbruch von baulichen Anlagen die Hauptsache in unangemessener Weise vorwegnehmen kann.
Formell und materiell illegalen Baumaßnahmen ist daher regelmäßig durch Stilllegung der Baumaßnahmen oder Untersagung der Nutzungsaufnahme zu begegnen. Mit der Anordnung dieser Maßnahmen wird dem Zweck der Genehmigungspflicht – das Bauvorhaben soll (vor seiner Ausführung) auf seine Zulässigkeit geprüft werden – in aller Regel hinreichend Rechnung getragen. Auch kann der Vorteil, den der ohne die erforderliche Baugenehmigung Bauende gegenüber dem gesetzestreuen Bürger dadurch erlangt, dass er eine nicht zugelassene Baumaßnahme bzw. Nutzung schon vor der Erteilung der Baugenehmigung verwirklicht, durch die Stilllegung oder Nutzungsuntersagung weitgehend aufgehoben werden.
Gemessen an diesen Kriterien unterliegt die Rechtmäßigkeit der Beseitigungsanordnung zunächst erheblichen Bedenken. Etwas anderes kann aber gelten
in Ausnahmefällen, wenn beispielsweise die Beseitigung den ohne die erforderliche Baugenehmigung Bauenden nicht wesentlich härter trifft als ein Nutzungsverbot oder – wie bei Werbeanlagen – das Nutzungsverbot einer Beseitigung gleichkommt, darf die Behörde die sofortige Entfernung des Baukörpers allein wegen formeller und materielle Illegalität verlangen. In jedem Fall muss die Beseitigung der baulichen Anlage ohne erheblichen Substanzverlust und andere – absolut und im Wert zur baulichen Anlage gesehen – hohe Kosten für Entfernung und Lagerung möglich sein.
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts liegt hier ein solcher Ausnahmefall vor, denn
Die Beseitigung der streitgegenständlichen baulichen Anlagen ist ganz offensichtlich ohne (größeren) Substanzverlust und wesentliche wirtschaftliche Aufwendungen möglich. Die Zelte und Vorbauten können abgebaut, zusammengelegt, in den verschiedenen Fahrzeugen verstaut und gemeinsam mit den Fahrzeugen vom Grundstück entfernt werden. Die Hütte, die aus Holzresten behelfsmäßig gezimmert wurde, und die Kriechbude, die aus in den Boden eingegrabenen Holzplatten und hierauf befestigten Folienabdeckungen besteht, können auseinandergenommen und die Bauteile später einer erneuten Verwendung zugeführt werden. Ein nennenswerter Substanzverlust tritt daher nicht ein.
Die Beseitigung der baulichen Anlagen trifft den Antragsteller bei objektiver Betrachtung auch nicht härter als ein Nutzungsverbot. Denn ein solches hätte ebenfalls zur Folge, dass aus Sicherheitsgründen zumindest die Zelte, zeltartigen Konstruktionen und Vorbauten abgebaut und ebenso wie die Fahrzeuge entfernt werden müssten, da diese ansonsten der Gefahr einer Beschädigung durch Witterungseinflüsse ausgesetzt und/oder dem Zugriff Dritter schutzlos preisgegeben wären.
Darüber hinaus könnte eine Nutzungsuntersagung wegen der Lage der Bauvorhaben im Außenbereich aber auch nicht wirksam überwacht werden, so dass allein die Beseitigung der streitgegenständlichen baulichen Anlagen für eine Wiederherstellung baurechtmäßiger Zustände in Betracht kommt.
bb) Störerauswahlermessen: Grundstückseigentümer als Störer
Im Hinblick auf die Störerauswahl gilt es zu erkennen, dass grundsätzlich auch eine Inanspruchnahme der einzelnen Camp-Insassen (als Verhaltensstörer) in Betracht gekommen wäre. Allerdings lag es unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Gefahrenabwehr nahe, den Eigentümer des Grundstücks in Anspruch zu nehmen:
Zwar wäre auch in Betracht gekommen, den jeweiligen Inhaber der baurechtlich illegal aufgestellten und genutzten Anlagen in den Grenzen seiner jeweiligen Verhaltensverantwortlichkeit (§ 17 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden) einzeln heranzuziehen. Eine Verpflichtung, das Auswahlermessen in der letztgenannten Weise auszuüben, bestand für den Antragsgegner jedoch nicht. Denn es gibt kein generelles Rangverhältnis zwischen der Inanspruchnahme des Verhaltens- und des Zustandsstörers; die Entschließung, wer als Pflichtiger heranzuziehen ist, ist vielmehr an den Umständen des Einzelfalles, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und auch dem Gebot effektiver und schneller Gefahrenabwehr auszurichten.
Ausgehend hiervon erweist sich die Entscheidung des Antragsgegners, den Antragsteller als Störer heranzuziehen, als ermessensgerecht. Sie beruht im Kern auf der Erwägung, dass die Bewohner der baulichen Anlagen häufig wechseln und daher nur schwer zu ermitteln sind, und berücksichtigt ergänzend, dass der Antragsteller über das bloße Zurverfügungstellen des Grundstücks hinaus durch eigenes Handeln – nämlich die aktive Unterstützung der Bewohner des Camps – die baurechtlich illegalen Anlagen in ihrem (Fort-)Bestand erhält. Diese Überlegungen sind nicht zu beanstanden. Die Inanspruchnahme des Antragstellers entspricht vielmehr dem Ziel effektiven Verwaltungshandelns, weil derzeit weder die einzelnen Nutzer noch deren Namen und Anschriften bekannt sind und ein Vorgehen gegen diese Personen mit erheblichen Aufwand verbunden wäre, den zu treiben der Antragsgegner nicht verpflichtet ist.
cc) Ermessensüberschreitung – Beeinträchtigung von Grundrechten
Ein Ermessensfehler (in Form der Ermessensüberschreitung) kann auch in einer Verletzung von Grundrechten liegen. Das Verwaltungsgericht prüft im vorliegenden Fall, ob die Beseitigungsanordnung in den Schutzbereich des Art. 8 GG eingreift. Dann müsste da Protestcamp eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG sein. Dies verneint das Verwaltungsgericht wegen des fehlenden funktionalen Zusamenhangs zwischen der Camp-Infrastruktur und dem Versammlungszweck:
Geschützt ist zwar der gesamte Vorgang des Sichversammelns, wozu auch der Zugang und die Abreise zu einer bevorstehenden oder sich bildenden Versammlung gehört. Ebenso wenig wie es für die Eröffnung des Schutzbereich des Art. 8 GG ausreicht, dass die Teilnehmer einer Veranstaltung durch einen beliebigen Zweck miteinander verbunden sind, kann auch nicht jede Begleiterscheinung einer Versammlung oder eine für deren Durchführung begehrte Infrastruktur (Zelte, Sitzgelegenheiten, Ver- und Entsorgungseinrichtungen etc.) dem Schutzbereich des Art. 8 GG unterfallen. Dies ist vielmehr nur dann anzunehmen, wenn die jeweils in Rede stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional und symbolisch für die kollektive Meinungskundgebung wesensnotwendig sind, denn der Versammlungsbegriff bzw. dessen Schutzbereich ist nicht weiter auszudehnen, als dies zur Schutzgewährung nach Art. 8 GG erforderlich ist. (…) Solange das Camp primär als Basislager zur Organisation des Widerstands dient, der u.a. die Mobilisierung der örtlichen Bevölkerung zum Ziel hat, ist der gemeinsame Zweck nicht auf die unmittelbare Teilnahme an einer der Meinungsäußerung und Meinungsbildung dienenden Veranstaltung gerichtet. Seine Errichtung hat vielmehr die Schaffung derjenigen „Infrastruktur“ zum Ziel, die für die Erhaltung der Protestorganisation erforderlich ist. Eine feste „Infrastruktur“ fällt aber gerade nicht unter den Schutz des Grundrechts
Die Beseitigungsanordnung ist damit auch unter Ermessensgesichtpunkten nicht zu beanstanden und stellt sich damit im Ergebnis als offensichtlich rechtmäßig dar.
3. Besonderes Vollzugsinteresse
Hat der Rechtsbehelf in der Hauptsache keine Aussicht auf Erfolg, weil der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist, bedarf es zur Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung wegen des in § 80 Abs. 1 VwGO (Regelfall: aufschiebende Wirkung) zum Ausdruck kommenden Regel-/Ausnahme Verhältnis eines besonderen öffentlichen Vollzugsinteresses. Hier ist stets eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls angezeigt:
Für die hier gewählte Beseitigungsanordnung spricht zudem, dass aufgrund des bisherigen Verhaltens des Antragstellers, der eine Ausweitung des Camps in der Vergangenheit nicht nur hingenommen, sondern bewusst gefördert hat, Anhaltspunkte dafür bestehen, dass weitere ungenehmigte Baumaßnahmen zu befürchten sind. Auch insoweit ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung gerechtfertigt, da nur so einer weiteren Verfestigung und Entstehung baurechtswidriger Zustände auf dem Grundstück des Antragstellers wirksam entgegengewirkt werden kann.
Letztlich geht von dem Protestcamp auch eine Vorbildwirkung aus, obwohl dieses im Außenbereich gelegen und nach den Angaben des Antragstellers nicht ohne Weiteres einsehbar ist. Denn es ist nicht auszuschließen, dass sich andere Gegner des Tagebaus Hambach durch das pressewirksame Camp ermutigt sehen, in der näheren Umgebung in gleicher Weise illegale bauliche Anlagen zu errichten.
III. Ergebnis
Der Antrag des Grundstückseigentümers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen die Beseitigungsanordnung des Kreises Düren hat keine Aussicht auf Erfolg.
IV. Fazit
Die Entscheidung ließe sich unverändert als Examensklausur stellen. Sie enthälten eine ganze Reihe verwaltungsrechtlicher Problemstellungen, sowohl aus dem allgemeinen (Heilung einer unterlassenen Anhörung im gerichtlichen Verfahren, Störerauswahl, Ermessensprüfung), als auch aus dem besonderen (Begriff der baulichen Anlage, Voraussetzungen einer Beseitigungsanordnung, bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 35 BauGB) Verwaltungsrecht. In einer Klausur würden vermutlich einzelnen Erwägungen des Gerichts auch bereits im Sachverhalt angedeutet werden. Die zugrundeliegende Thematik (Tagebau Hambach) ist zudem äußerst öffentlichkeitswirksam und eignen sich deshalb ausgezeichnet für ein mündliches Prüfungsgespräch.
Abschließend sei noch einmal auf unseren Grundlagenbeitrag zu § 80 Abs. 5 VwGO verwiesen.