Der Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz, Heiko Maas, hat vor einiger Zeit eine Kommission von 15 Experten einberufen, um ein Konzept für die Neuregelung der Tötungsdelikte erarbeiten zu lassen, genauer gesagt einen Vorschlag für die Überarbeitung des Totschlags- und des Mordparagrafen. Der über 900 Seiten lange Abschlussbericht der Expertenkommission wurde nun vor kurzem veröffentlicht und zeigt vor allem, dass trotz verbreiteten Reformwillens eine Neuregelung alles andere als einfach ist. Folgender Kommentar fasst die Problematik prägnant zusammen:
„Der Versuch, die unbestimmten Unterscheidungsmerkmale zwischen Mord und Totschlag durch klarere und rationalere zu ersetzen, war dem Abschlagen der Köpfe einer Hydra vergleichbar, der jeweils zwei neue (hier: ebenso unbestimmte Merkmale) nachwachsen.“ (Hamm, NJW-Editorial, Heft 30, 2015).
I. Die Ausgangslage
Nationalsozialistisches Gedankengut ist glücklicherweise nur noch äußerst selten in der Bundesrepublik anzutreffen. Umso mehr erstaunt es, dass Wortlaut und Regelungstechnik des deutschen Mordparagrafen nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht geändert wurden, ist doch gerade § 211 StGB zu einer Zeit formuliert worden, in welcher sich das Deutsche Reich unter Adolf Hitler selbst des Mordes schuldig machte. Der über lange Zeit hinweg fehlenden Reformbereitschaft der Politik nach 1945 ist es geschuldet, dass die den Tatbeständen der §§ 211, 212, 213 StGB anhaftenden unbestimmten Rechtsbegriffe durch die Rechtsprechung konkretisiert werden mussten. Und auch die in den genannten Delikten deutlich werdende Tätertypenlehre und der Exklusivitäts-Absolutheits-Mechanismus der lebenslangen Freiheitsstrafe mussten mittels ständiger Korrekturen durch BVerfG, BGH und Schrifttum an die Werteordnung sowie das Rechtsverständnis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des parlamentarischen und repräsentativ-demokratischen Nachkriegsdeutschland angepasst werden. Trotzdem, vielleicht aber auch gerade deswegen, wird weiterhin Kritik an den unbestimmten Mordmerkmalen, der lebenslangen Freiheitsstrafe und den der Nazi-Zeit entstammenden Formulierungen geübt.
So lautet die Formulierung des § 211 Abs. 1 StGB beispielsweise „Mörder ist, wer…“, dem Sprachgebrauch des berüchtigten braunen Strafrichters Roland Freisler folgend, der damit im Jahre 1941 Verbrecherpersönlichkeiten beschreiben wollte. Zudem wenden die Gerichte seit BGHSt 30, 105 die sog. Rechtsfolgenlösung (Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB) an, also eine richterrechtlich entwickelte Strafzumessungslösung für Morde, bei denen es aufgrund des verringerten Unrechts unverhältnismäßig wäre, die lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen (so bei tiefem Mitleid, gerechtem Zorn oder starker Provokation; vgl. auch die Fälle des sog. Haustyrannenmordes). Es bleibt fraglich, warum der Tatbestand des Mordes nicht bereits früher vom Gesetzgeber novelliert wurde. Denn spätestens mit einer derartigen (und teilweise fraglichen) Entfernung der Rechtsprechung von dem klaren Gesetzeswortlaut des § 211 Abs. 1 StGB („Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.“) wurde der Rubikon eindeutig überschritten.
II. Die angestrebten Reformen
Auf folgende Eckpunkte, die für die erste Staatsprüfung relevant werden könnten, sollten sie denn später Teil des StGB werden, konnte sich die Expertenkommission einigen:
- Es wird weiterhin zwischen Mord und Totschlag differenziert.
- In der Neufassung der §§ 211, 212, 213 StGB werden jedoch die aus der Tätertypenlehre stammenden Begriffe des „Mörders“ bzw. des „Totschlägers“ gestrichen. Stattdessen sollen nun richtigerweise – wie auch im restlichen System des StGB – an tatbezogene Formulierungen angeknüpft werden.
- Trotzdem sollen die Mordmerkmale und damit die besonders in der Kritik stehenden Merkmale der „Heimtücke“ sowie der „niederen Beweggründe“ beibehalten werden. Dies konterkariert z. T. die Aufhebung der nationalsozialistischen Begriffe des Mörders und Totschlägers, soll doch auch der neue Mordparagraf weiterhin die ideologisch und emotional behafteten Mordmerkmale aus der Zeit des Nationalsozialismus enthalten. Zudem bleibt mit den „niederen Beweggründe“ die Generalklausel des Mordes bestehen, auf der mehr als 50 % aller Urteile im Bereich des Mordes beruhen. Hier wäre eine Überarbeitung wünschenswert gewesen.
- Die in § 211 StGB genannten Mordmerkmale sollen jedoch zumindest zur Konkretisierung der „niederen Beweggründe“ durch weitere Tötungsbeweggründe ergänzt werden. Dazu zählen die neuen Mordmerkmale der Tötung eines Menschen wegen
- des Geschlechts,
- der Abstammung,
- der Rasse,
- der Sprache,
- der Herkunft,
- des Glaubens.
- Zudem soll das neue Mordmerkmal der Mutwilligkeit eingeführt werden.
- Die lebenslange Freiheitsstrafe (Exklusivitäts-Absolutheits-Mechanismus) soll grundsätzlich beibehalten werden. Keiner der 15 Experten sprach sich dafür aus, dass es eine dem Alter des Täters entsprechende zeitige Freiheitsstrafe eingeführt werden solle. Die zuvor in konservativen Kreisen geäußerte Befürchtung, man wolle durch die Reform des Mordparagrafen das lebenslängliche Strafmaß nur noch weiter aufweichen (die Kritik bezieht sich auf die bereits vorhandenen §§ 57a, 57b StGB, welche die Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe bereits regeln) hat sich folglich vorerst nicht bestätigt. Gleichwohl soll insgesamt die lebenslange Freiheitsstrafe kein absolut zwingendes Strafmaß mehr sein; im Einzelfall die Schuld und den Unrechtsgehalt der Tat mildernde Umstände sollen von den Gerichten berücksichtigt werden können. In dem Bericht existieren dazu verschiedene Lösungs- und Reformvorschläge.
- 213 StGB (minder schwerer Fall des Totschlags) soll beibehalten werden; allerdings soll die Mindeststrafe auf zwei Jahre Freiheitsstrafe angehoben werden.
Der ausführliche Abschlussbericht der Kommission kann im Detail hier eingesehen werden.
III. Fazit und Ausblick
Zu begrüßen ist, dass sich das Bundesjustizministerium nun endlich dazu entschlossen hat, notwendige und längst überfällige Reformen im Bereich der Tötungsdelikte durchzuführen. Dass die Kommission aus verschiedenen Experten und Meinungsvertretern aus Wissenschaft und Praxis aufgrund vorprogrammierter, divergierender Ansichten keine grundlegend neue Gesetzessystematik einschließlich eines gänzlich neuen Wortlauts vorlegen würde, war zu erwarten. Trotzdem sind die vorgeschlagenen Reformen ein Schritt in Richtung eines von nationalsozialistischen, ideologischen und moralisierenden Wertungen befreiten deutschen Strafrechts im Bereich der Tötungsdelikte.
Die Vorschläge der Kommission werden nun im Bundesjustizministerium geprüft, bevor es zu einem ersten Gesetzentwurf kommt. Gleichwohl hat Heiko Maas bereits durchblicken lassen, dass der Vorschlag der Kommission, ein „modernes“ Recht schaffen und die nationalsozialistische Terminologie des Tätertypen streichen zu wollen, dankbar angenommen werde.Auch zu anderen Vorschlägen der Experten hat er bereits vor Veröffentlichung des Berichtes in der Öffentlichkeit Stellung bezogen; so sagte er beispielsweise, dass es die herausgehobene lebenslange Freiheitsstrafe aufgrund des besonderen Unrechts und unter Beachtung des hohen Wertes des menschlichen Lebens des Opfers weiterhin geben werde (vgl. z. B. den Bericht von Müller-Neuhof, „Mord soll nicht mehr bleiben, was er war“, in „Der Tagesspiegel“ vom 29.06.2015). Es ist demnach anzunehmen, dass sich viele der Beratungsergebnisse in dem späteren Gesetzesentwurf größtenteils unverändert wiederfinden werden. Dort könnte zusätzlich ein „minder schwerer Fall des Mordes“ in den Gesetzestext aufgenommen werden.
Der Bundestag soll noch 2015 über das noch vorzulegende Gesetz abstimmen. Dort kann sich Maas aber bereits auf Gegenwind aus den Reihen des Koalitionspartners CDU/CSU gefasst machen, der insbesondere gegen eine Flexibilisierung des Strafrahmens des Mordes Stellung bezieht. Und auch aus Reihen der Bundestagsfraktion der Linken wird Kritik an den Reformvorschlägen geäußert, dort wird die Beibehaltung der Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag für falsch gehalten.
In der Samstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 8.2.2014 („Mord und Totschlag, Maas will Strafrecht reformieren.“) antwortete Maas im Interview mit Heribert Prantl auf die Frage, ob er Mord und Totschlag neu beschreiben wolle, wie folgt:
„Zumindest will ich dafür sorgen, dass die Gerichte nicht mehr gezwungen werden, Konstruktionen an der Grenze der erlaubten richterlichen Rechtsfortbildung erfinden zu müssen, um Urteile sprechen zu können, die nicht nur dem Gesetz, sondern auch dem Gerechtigkeitsbedürfnis entsprechen.“
Heiko Maas wird sich an dieser Aussage messen lassen müssen.
Juraexamen.info wird weiterhin über den Verlauf der Reformen informieren, denn sollte eine Gesetzesänderung wirklich erfolgen, wird diese Anlass neuer Rechtsprobleme sein, die sicherlich in Klausuren und Examensarbeiten nicht ungeprüft bleiben werden.