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Schlagwortarchiv für: Streik

Dr. Maximilian Schmidt

LAG Hessen: Pilotenstreik wegen unzulässigem Streikziel rechtswidrig

Arbeitsrecht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite

Das LAG Hessen hat in einem Eilverfahren mit Urteil vom 09.09.2015 – 9 SaGa 1082/15 entschieden, dass der Streik der in der Vereinigung Cockpit zusammengeschlossenen Piloten der Lufthansa AG und der Lufthansa Cargo AG rechtswidrig ist und daher zu unterbleiben hat.
Es ist eine der wenigen Entscheidungen, in denen ein Streik untersagt wurde, weil das Streikziel nicht rechtmäßig ist.  Es gilt: Arbeitskämpfe sind nur zur Durchsetzung von Tarifforderungen (oder deren Abwehr) zulässig (ErfK/Linsenmaier, 15. Aufl. 2015, Art. 9 Rn. 114). Ein Arbeitskampfrecht zur Erreichung anderer Ziele besteht nicht (BAG v. 21.4.1971, NJW 1971, 1668). Die Rechtsprechung ermittelt das Streikziel bisher aus der dem Arbeitgeber übermittelte Tarifforderung, dem Streikbeschluss der Gewerkschaft und den sonstigen Verlautbarungen der Gewerkschaft wie Streikaufruf oder Stimmzettel für die Urabstimmung (vgl. LAG Hessen, Urteil vom 17.09.2008 – 9 SaGa 1442/08). Daher genügte es regelmäßig zu Zulässigkeit des Streiks, wenn es sich bei formaler Betrachtung um ein rechtmäßiges Streikziel handelte. Die Vereinigung Cockpit behauptet bis zuletzt, dass ihr Streikziel die Übergangsversorgung der Piloten sei – ein rechtmäßiges Streikziel läge damit vor.
Das LAG Hessen sieht dies anders:

Es sei in diesem Einzelfall aufgrund einer Vielzahl von Umständen davon auszugehen, dass über das formelle Streikziel hinaus auch um Mitbestimmung bei dem Wings-Konzept gestreikt werde. Dies sei kein tariflich regelbares Ziel der Gewerkschaft.

Das Gericht nimmt somit (auch) eine materielle Prüfung vor, fragt also danach, was die Gewerkschaft wirklich will. Hier strebe die Vereinigung Cockpit tatsächlich an, in Unternehmensentscheidungen – Etablierung des neuen Wings-Konzept – durch Streiks hineinzuregieren.
Unabhängig vom Einzelfall ist die Entscheidung überzeugend. Ein Verstecken hinter formal rechtmäßigen Streikzielen kann nicht geduldet werden, es ist danach zu fragen, welche Ziele die Gewerkschaft tatsächlich verfolgt. Hierzu sind aber konkrete Anhaltspunkte notwendig, Mutmaßungen – und seien sie noch so naheliegend – dürfen nicht ausreichen. Es bleibt abzuwarten, ob andere Gerichte den vom LAG Hessen angelegten Maßstab übernehmen und ebenfalls genauer als bisher hinschauen.
 

10.09.2015/1 Kommentar/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2015-09-10 08:58:582015-09-10 08:58:58LAG Hessen: Pilotenstreik wegen unzulässigem Streikziel rechtswidrig
Dr. David Saive

Der Poststreik oder Zugang von Willenserklärungen

Aktuelles, BGB AT, Für die ersten Semester

Seit einiger Zeit streiken die Zusteller der Deutschen Post. Grund genug für uns, sich einmal mit absolutem Basiswissen zu befassen: dem Zugang von Willenserklärungen.
 
1. Die Willenserklärung
Zunächst einmal gilt es, den Begriff der Willenserklärung näher zu definieren:
Eine Willenserklärung ist die Äußerung eines privaten Willens, der unmittelbar auf die Herbeiführung einer Rechtswirkung (einer Rechtsfolge) gerichtet ist. Bestandteile: Handlungswille, Erklärungsbewusstsein (str.), Geschäftswille (- vgl. 119 BGB). Zur Bestimmung des Inhalts bedarf es der Auslegung. (Diese und weitere Definitionen des BGB findet ihr hier in unserem Grundlagenbeitrag.)
 
2. Ohne Willenserklärungen kein Vertragsschluss
Sodann stellt sich die Frage der Funktion von Willenserklärungen. Im Grunde gilt, dass die allermeisten Verträge zwischen zwei oder mehreren Parteien zwei übereinstimmender Willenserklärungen bedürfen, dem Angebot und der Annahme.
Beispiele:
A bietet B einen PKW im Wert von 5.000 € an. – B stimmt zu. Ein Kaufvertrag über den PKW wurde erfolgreich geschlossen.
A bietet B einen PKW im Wert von 5.000 € an. – B möchte lediglich 3.000 € zahlen. Es fehlt an der inhaltlichen Übereinstimmung der beiden Erklärungen, sodass kein Kaufvertrag zu Stande gekommen ist.
Es gibt auch Fälle, in denen auch eine Willenserklärung genügt. Es handelt sich dabei um sog. einseitige Rechtsgeschäfte. Hierbei wird zwischen den empfangsbedürftigen, also Kündigung, Rücktritt, Anfechtung und den nicht empfangsbedürftigen Rechtsgeschäften, nämlich Auslobung, Erbschaftsannahme- und Ausschlagung, Eigentumsaufgabe unterschieden. Im Übrigen gibt es auch solche Rechtsgeschäfte, die einem Amt gegenüber abzugeben sind, sog. amtsempfangsbedürftige Rechtsgeschäfte (z.B. Eigentümergrundschuld gem. § 1196 II BGB).
Beispiele:
A hat von B eine Wohnung gemietet. A möchte ausziehen und kündigt daher form- und fristgerecht per Post. Geht B der Brief mit der Kündigung zu, wird sie wirksam und das Mietverhältnis nach entsprechender Zeit gekündigt.
A lobt in Hamburg eine Belohnung von 500 € für den Finder seiner Katze aus. Mit der Bekanntmachung der Belohnung wird dieses Rechtsgeschäft wirksam. Der Finder der Katze kann nun von A die Belohnung verlangen.
 
3. Zugang von Willenserklärungen
Fraglich ist jetzt nur noch, wann die entsprechenden Willenserklärung ihre Wirksamkeit entfaltet, wenn der Empfänger sie nicht direkt in Empfang nimmt, also abwesend ist.
Gemäß § 130 I 1 BGB wird eine Willenserklärung unter Abwesenden dann wirksam, wenn sie dem Empfänger zugegangen ist. Zugegangen ist sie dann, wenn die Willenserklärung in verkehrsüblicher Weise derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass die Kenntnisnahme durch den Empfänger möglich ist, und zwar zu dem Zeitpunkt, zu dem nach den Gepflogenheiten des Verkehrs die Kenntnisnahme zu erwarten ist (siehe ebenfalls hier).
Sprich, die Kündigung des oben angesprochen A wäre dann zugegangen und somit wirksam, wenn sie in den Briefkasten des B geworfen würde. Allerdings erst in dem Zeitpunkt, in dem nach den Gepflogenheiten des Verkehrs damit gerechnet werden kann, das B die Post entnimmt. Sonntags oder Nachts kann hiermit z.B. nicht gerechnet werden
 
5. Streikbedingte Verzögerung
Was passiert aber, wenn der Brief des A deswegen nicht rechtzeitig zugestellt werden kann, weil die Zusteller der Post streiken und der Postverkehr daher zum Stillstand gekommen ist.
Die Beweislast trifft im Falle des Zugangs von Willenserklärungen, denjenigen der sich darauf beruft (statt aller OLG Saarbrücken NJW 2004, 2908, 2909). Es genügt allerdings nicht, sich darauf zu berufen, man habe den Brief bei der Post abgegeben, um den rechtzeitigen Zugang zu begründen.
Wird also eines der Postzustellungsunternehmen bestreikt, ist daher Vorsicht geboten. Das Streikrisiko fällt in die Sphäre des Absenders. Somit sollte im Zweifel die Willenserklärung eigenhändig zugestellt werden oder auf ein anderes Unternehmen ausgewichen werden.
 
5. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand?
Denkbar wäre jedoch, sich über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233 ZPO zu retten. Hiernach kann ein unverschuldetes Versäumen einer Notfrist oder der Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 I ZPO einzuhalten.
Diese Aufzählung ist jedoch grundsätzlich abschließend (BGH NJW 1991, 229, 230) sodass sich A bei seiner Kündigung nicht hierauf berufen kann.
Handelt es sich allerdings um eine der genannten Fristen, stellt sich sodann die Frage des Verschuldens. Abzustellen ist dabei auf das objektive Kriterium der allgemein zu erwartenden Sorgfalt einer Prozesspartei (Wendtland in: BeckOK ZPO, § 233, Rn.10, Stand: 10.01.2015).
Wenn die Prozesspartei schon bei Absendung darüber informiert ist, dass das betreffende Unternehmen bestreikt wird, sollte ihr dies auch entgegengehalten werden, da sie die Verzögerung durchaus hätte vermeiden können.
Weniger eindeutig ist jedoch der Fall, wenn die Partei bei Absendung nicht über den Streik Bescheid wusste bzw. nicht darüber Bescheid wissen konnte. Im Grundsatz gilt, dass die Partei auf die Zuverlässigkeit der Postdienste vertrauen darf (BVerfG NJW 1992, 38). Mithin wäre der Weg zur Wiedereinsetzung eröffnet. Dies gilt allerdings dann nicht mehr, wenn die Prozesspartei die Frist bis zum letzten Moment ausschöpfen will. Dann treffen sie besondere Sorgfaltspflichten (Wendtland in: BeckOK ZPO, § 233, Rn.11, Stand: 10.01.2015), die ein Verschulden und somit den Ausschlus des § 233 ZPO begründen können.
           

18.06.2015/1 Kommentar/von Dr. David Saive
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. David Saive https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. David Saive2015-06-18 10:42:002015-06-18 10:42:00Der Poststreik oder Zugang von Willenserklärungen
Redaktion

10 Thesen zum Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) – BR-Drucks. 635/14

Arbeitsrecht, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht, Verschiedenes

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag des renommierten Arbeitsrechtlers Prof. Dr. Gregor Thüsing (Universität Bonn) veröffentlichen zu dürfen. Als Sachverständiger ist er vom Bundestag zum geplanten Tarifeinheitsgesetz gehört worden und hat durch zahlreiche Publikationen (s. etwa hier und hier) und Stellungnahmen die Diskussion um die Tarifeinheit vorangetrieben.
10 Thesen zum Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) – BR-Drucks. 635/14
1. Die in § 4a TVG-E genannten Ziele sind in Rechtsprechung und Literatur bislang zwar nur ungenau konturiert, als rechtspolitische Eckpfeiler des Handelns aber sicherlich richtig. Es geht im Kern um eine Stärkung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie.
2. Diese ist durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 7.7.2010 (4 AZR 549/08), in dem der Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben wurde, möglicherweise gefährdet. Ob sich diese Gefährdungen tatsächlich realisieren werden, ist schwer zu prognostizieren. Der Gesetzgeber braucht jedoch nicht zu warten, bis eine Regelung u.U. zu spät ist. Er kann sich auf Regeln vernünftigen Vermutens verlassen. Es ist gut, dass der Gesetzgeber handelt.
3. Um diese Gefährdung zu beseitigen, will der Entwurf jedoch nicht den erprobten Status quo ante wiederherstellen, sondern er ist einen neuen Weg der Auflösung von Tarifkonkurrenzen gegangen: das betriebsbezogene Mehrheitssystem. Zuvor wurden Tarifpluralitäten regelmäßig nach dem Spezialitätsprinzip aufgelöst, d.h. der Tarifvertrag, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wird (z.B. BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, BAGE 67, 330, zu B II 3 der Gründe; 20.3.1991 – 4 AZR 457/90 -, zu B II 3 der Gründe, jeweils m.w.N.). Nun soll sich die Gewerkschaft durchsetzen, die mehr Mitglieder im Betrieb hat.
4. Der Wert des Gesetzes liegt dabei in der Verhinderung der Herausbildung von Kleinstgewerkschaften und der Zersplitterung der Tariflandschaft. Sollte sich zukünftig die Betriebsfeuerwehr eines chemischen Unternehmens entscheiden, eine eigene Gewerkschaft zu gründen (ggf. mit andere Betriebsfeuerwehren), und wäre diese Gruppe dann tatsächlich eine Gewerkschaft, dann könnte sie eigennützig streikend nur für ihre wenigen Mitglieder das ganze Unternehmen lahmlegen, das ohne funktionierende Feuerwehr nicht produzieren darf. Dies gilt es zu verhindern, sollte dies eine reale Gefahr sein. Das Wirken der GDF deutet freilich in der Tat in diese Richtung (s. den Streik der Vorfeldlotsen in Frankfurt im Februar 2012).
5. Dieser Weg kann freilich im Einzelfall zu sinnwidrigen Ergebnissen führen. So könnte eine Berufsgruppe damit von einer Gewerkschaft vertreten werden, in der sie kein einziges Mitglied hat, obwohl die konkurrierende Gewerkschaft, deren Tarifvertrag verdrängt wird, einen sehr hohen Organisationsgrad hat. Eine plastisches Beispiel: Sollte sich UFO auf Grundlage des vorliegenden Gesetzesentwurfs entscheiden, künftig auch die Piloten zu behandeln, so würde deren Cockpit-Tarifvertrag verdrängt werden, obwohl kein einziger Pilot bei UFO ist und sie ggf. alle zu 100 % bei Cockpit organisiert sind –einzig und allein deswegen, weil UFO unter Flugbegleitern einen sehr hohen Organisationsgrad hat, und es sehr viel mehr Flugbegleiter als Piloten gibt. Zudem: Statt Tarifpluralitäten im Betrieb gibt es nun solche im Unternehmen. Das ist auch nicht praktikabler oder solidarischer. Wenn künftig etwa die GDL in einem Betrieb die Mehrheit der Arbeitnehmer organisiert, in einem anderen Betrieb aber die EVG, so gilt im einen Betrieb für die Lokführer der GDL-Tarifvertrag, im anderen der EVG-Tarifvertrag. Der Arbeitgeber könnte dieses Ergebnis zudem durch Versetzungen von Arbeitnehmern beeinflussen, leichter noch als durch den Zuschnitt der Betriebe, der ebenfalls in seiner Hand liegt.
6. Auch löst der Entwurf das Problem der Häufung von Arbeitskämpfen bei konkurrierenden Gewerkschaften nicht. Um es deutlich zu sagen: Hierdurch wird es keinen Streik weniger geben. Denn der Gesetzesentwurf sagt es in seiner Begründung deutlich: „Die Regelungen zur Tarifeinheit ändern nicht das Arbeitskampfrecht“. Bislang durfte jeder Arbeitnehmer eines Unternehmens für einen Tarifvertrag streiken, auch wenn er nicht von ihm erfasst wurde. Dies ist unbestritten, und eben dies ist der Grund, warum auch unbestritten ist, dass Nichtorganisierte streiken dürften (s. so schon vor vielen Jahren Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, 1994). Daher könnte jeder Arbeitnehmer eines Unternehmens streiken für einen Tarifvertrag, von dem nicht ausgeschlossen ist, dass er sich später in zumindest einem Betrieb durchsetzen würde. Dies aber kann ex ante nie sicher ausgeschlossen werden. Sollte daher das Gesetz hier Streiks eindämmen wollen, müsste das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung ändern. Dies wäre wohl nicht zu erwarten, auch weil dann viele Folgefragen auf einmal nicht mehr stimmig beantwortet werden könnten. Wer also tatsächlich eine Begrenzung des Streikrechts will, der müsste dies ausdrücklich normieren.
7. Nicht alles, was – wie dargelegt – zu zuweilen sinnwidrigen Ergebnissen führt oder wichtige Probleme ungelöst lässt, ist verfassungswidrig. Hier liegt jedoch eine strukturelle Benachteiligung von Spartengewerkschaften, die rechtfertigungsbedürftig ist, unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit handelt oder um einen Eingriff in diese. Beides dürfte kaum abgrenzbar sein. Denn jede Ausgestaltung ist auch eine Begrenzung, dass andere Varianten der Ausgestaltung nicht gewählt wurden („to define is to limit“). Denn auch bei der Ausgestaltung sind die grundrechtlich geschützten Interessen der Betroffenen in einen verhältnismäßigen verfassungsrechtlichen Ausgleich zu setzen. Eine Ausgestaltung, die den Spartengewerkschaften die Luft zum Atmen nimmt, wäre ohne hinreichende Rechtfertigung auch als Ausgestaltung verfassungswidrig. Viele sehen diese Rechtfertigung als nicht gegeben an. Zählt man die Stimmen, ohne sie zu wiegen, so sind diese klar in der Überzahl (s. nur die Nachweise im Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vom Februar 2015, im Übrigen zuletzt insb. Schliemann/Konzen, RdA 2015, 1-16). Ich selber bin mir da nicht sicher. Die Sicherungsmittel des Entwurfs, die Verfassungskonformität zu sichern, sind jedenfalls absurd: Ein einklagbares Recht der Minderheitsgewerkschaft, ihre Forderungen mündlich vortragen zu dürfen (§ 4 Abs. 5 TVG-E), ist genauso funktionslos wie das Recht einer Gewerkschaft, den von ihr nicht mit beeinflussten Tarifvertrag, zu dem sie ja in Konkurrenz agiert hat, eins zu eins nachzuzeichnen (§ 4 Abs. 4 TVG-E). Welche Gewerkschaft, die etwas auf sich hält, würde sich auf solche Rechte berufen?
8. Die verfassungsrechtlichen Probleme lassen sich deutlich entschärfen, wenn man einen Weg findet, die Konkurrenzen anders aufzulösen, ohne die Spartengewerkschaften strukturell zu benachteiligen. Ein möglicher Weg wäre es, das Mehrheitssystem nicht am Betrieb ansetzen zu lassen, sondern am sich überschneidenden Bereich: Es würde sich im Bereich der Überschneidung der Tarifvertrag der Gewerkschaft durchsetzen, die in der Personengruppe, für die beide Gewerkschaften tätig geworden sind, die meisten Mitglieder hat. Weil hierin aber eine strukturelle Bevorzugung von Spartengewerkschaften liegen würde (die in Sparten tendenziell besser organisieren können), sollte im Gegenzug diese Konkurrenzregelung davon abhängig gemacht werden, dass dieser Überschneidungsbereich eine Mindestgröße der Belegschaft ausmacht, z.B. 15 %. Damit würden die bisherigen Spartengewerkschaften in ihrem Wirken regelmäßig nicht beeinträchtigt, neue Kleinstgewerkschaften könnten sich jedoch nicht etablieren, weil sie es nicht schaffen, in einem solchen Teil der Belegschaft die Mehrheit zu organisieren. Die Werksfeuerwehr und die Vorfeldlotsten wären ein zu kleiner Teil der Belegschaft, um sich hier gegen eine Gewerkschaft durchzusetzen, die die gesamte Belegschaft repräsentiert. Dieser Ansatz wäre verfassungsrechtlich weitaus unproblematischer als der vorliegende Entwurf und würde das bisherige Gleichgewicht der Gewerkschaften deutlich weniger beeinträchtigen.
9. Auch dieser Ansatz lässt aber die Probleme des Arbeitskampfs in der Daseinsvorsorge ungelöst. Diese aber bedürfen dringend einer Lösung. Nicht die Geltung mehrerer Tarifverträge im Betrieb ist das zurzeit wohl drängendste Problem, sondern die Vielzahl und die Heftigkeit der Arbeitsniederlegungen in Unternehmen, auf deren Leistungen die Öffentlichkeit in besonderem Maße angewiesen ist. Eben hier müsste eine Regelung ansetzen. Es braucht angemessene Regeln für die Arbeitsniederlegung, die die Drittinteressen in Betrieben der Daseinsvorsorge schützen. Hierzu gibt es an erprobten Modellen des Auslands orientierte Vorschläge. Andere Länder haben sehr wohl die Notwendigkeit des Handelns erkannt: Wer sich umschaut, der findet Rechtsordnungen mit Ankündigungspflichten, mit Wartezeiten, mit obligatorischen Schlichtungsverfahren, mit detaillierten Regelungen des Notdienstes – all das kann Modell sein. Das wesentliche Problem, dass die Streiks vor allem unbeteiligte Dritte – z.B. die Reisenden –treffen, die nichts zur Lösung des Tarifkonfliktes beitragen können, wird so gelöst oder zumindest erheblich reduziert, ohne dass kleinen Gewerkschaften ihre Verhandlungsfreiheit genommen wird. Ein solcher Ansatz ist verfassungskonform und er adressiert das eigentliche Problem.
10. Der Ansatz des Gesetzes ist daher zu ergänzen um Regelungen, wie sie der CSU-Vorstand in seinem Beschluss vom Januar 2015 und die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU fordern. Verfassungsrechtliche Hürden bestehen hier nicht (ausführlich die in der BR-Drucks. 6355/14 erwähnte Initiative der Carls Friedrich von Weizsäcker Stiftung, dargestellt Franzen/Thüsing/Waldhoff, Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge, 2012, abrufbar in einer gekürzten Fassung unter, https://www.cfvw.org/stiftung/images/stories/downloads/Mono_17.10._final_Web-Version.pdf).

08.06.2015/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2015-06-08 10:50:232015-06-08 10:50:2310 Thesen zum Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) – BR-Drucks. 635/14
Tom Stiebert

KiTa-Streik und die (arbeitsrechtlichen) Folgen

Aktuelles, Arbeitsrecht, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

In ganz Deutschland nehmen derzeit zahlreiche Erzieher in Kindertagesstätten ihr aus Art. 9 Abs. 3 GG resultierendes Recht wahr und streiken. Erstrebt wird eine höhere Eingruppierung, da sich das Bild der Erzieherin in den letzten Jahren stark gewandelt habe.
Eine Vielzahl von Eltern steht nun vor dem Problem, dass zumindest teilweise eine Unterbringung der Kinder in der Kindertagesstätte nicht möglich ist, sie aber auch andererseits nicht die Möglichkeit haben, die Kinder auf Ihrer Arbeitsstelle selbst zu betreuen. Es stellt sich damit die Frage, welche Möglichkeiten die Eltern nun zur Betreuung Ihrer Kinder haben.
Diese Fragen könnten auch in einer mündlichen Prüfung angerissen und vertieft werden. Der Beitrag will aus diesem Grund einen Überblick über den Problemkreis geben und die wesentlichen Fragen beantworten.

I. Inwiefern haben also Eltern, deren wegen des anstehenden Kita-Streiks nicht betreut werden können, Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber? Dürfen sie insbesondere zu Hause bleibe, um sich um die Kleinen zu kümmern?

Beide Fragen sind letztlich gemeinsam zu bearbeiten, denn der einzige Anspruch gegen den Arbeitgeber, mit dem eine arbeitsvertragliche Beziehung besteht, kann ja letztlich die Freistellung von der Tätigkeit sein. Diese ist – gesetzlich geregelt – nur in seltenen Fällen möglich, schließlich ist der Arbeitnehmer stets zur Erbringung seiner – vertraglich vereinbarten – Arbeitsleistung verpflichtet. Unterlässt er dies, drohen Abmahnungen und natürlich im schlimmsten Fall die Kündigung.

Klar ist auch, dass man in einen solchen Fall sein Arbeitsentgelt nicht bekommt – es gilt: „Kein Lohn ohne Arbeit“ sofern das Gesetz hiervon nicht Ausnahmen vorzieht (bspw. bei Krankheit im EFZG oder bei Urlaub; eine besondere Regelung besteht zudem bei der Krankheit von Kindern – § 45 SGB V)

§ 616 BGB sieht allerdings vor, dass der Arbeitnehmer dann, wenn er für eine verhältnismäßig kurze Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert ist, seinen Anspruch auf den Lohn auch ohne Arbeit behält. Das heißt in einem solchen Fall darf der Arbeitnehmer a) der Arbeit fernbleiben und behält b) sogar seinen Entgeltanspruch.

Hierunter fällt bspw. die Betreuung kranker Kinder (für die es zudem auch spezielle Vorschriften gibt vgl. § 45 SGB V), der Umzug, die Hochzeit, Beerdigungen naher Angehöriger etc. Auch die Betreuung der eigenen Kinder ist eine Pflicht, die die Eltern im Rahmen ihrer elterlichen Sorge (§ 1626 Abs. 1 BGB) zunächst persönlich trifft und die der Pflicht zur Arbeit widerspricht. Und dennoch gilt hier nicht uneingeschränkt das Gleiche. Es müssen besondere Gegebenheiten hinzutreten um einen Fall des § 616 BGB bejahen zu können – so muss der Streik bspw. plötzlich und nicht planbar eingetreten sein – und – das ist die zentrale Voraussetzung – der Arbeitnehmer muss alles zumutbare für eine Ersatzkinderbetreuung getan haben. Nur dann wäre ein solcher Anspruch denkbar. Auf jeden Fall ist der Arbeitnehmer aber verpflichtet, den Arbeitgeber frühzeitig hierüber zu informieren. Ein nicht angekündigtes Fernbleiben ist jedenfalls unzulässig.

Die Hürden, wann ein Streik unter § 616 BGB subsummiert werden kann, dürften recht hoch sein – am ersten überraschenden Streiktag mag der Anspruch noch gegeben sein, ab dem zweiten – planbaren – Tag dann wohl schon nicht mehr. Auch sind familiäre Betreuungsmöglichkeiten (Oma und Opa etc.) vorrangig zu prüfen. Auch wenn den Arbeitgeber die Pflicht zur Betreuung seines Kindes trifft, so darf diese Pflicht nicht pauschal die Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung überwiegen, insbesondere weil nach den Grundsätzen des § 616 BGB sogar das Entgelt fortzugewähren ist.
II. Gibt es Ausfallzahlungen oder einen Sonderurlaub?
Greift also die Norm des § 616 BGB, so bedarf es keiner Ausfallszahlungen, da sogar das Arbeitsentgelt weiterzugewähren ist. Die Kriterien hierfür sind allerdings – wie dargelegt – recht strikt.
Ergänzend treffen den Arbeitgeber aber auch Rücksichtnahmepflichten aus dem Arbeitsvertrag. Aus diesem Grund ist er zumindest verpflichtet, den Arbeitnehmer unbezahlt von der Beschäftigung freizustellen, wenn dieser das verlangt und besondere Gründe (insbesondere wie hier die Betreuung seiner Kinder im Streikfall) hierfür anführt, es sei denn besondere betriebliche Gründe widersprechen dem. Auch hier gilt aber: Der Arbeitnehmer muss dies mit dem Arbeitgeber besprechen; ein Fernbleiben ohne Information und Absprache ist stets unzulässig. Allerdings überwiegt hier – im Gegensatz zu § 616 BGB das Interesse des Arbeitgebers, da diesen sogar eine gesetzliche Pflicht zur Kinderbetreuung trifft. Eine Ablehnung dieses Verlangens ist damit allenfalls im Einzelfall zulässig.

III. Muss das alles individuell in Arbeitsverträgen festgehalten werden oder ist es allgemein gültig?
Das Gesagt ergibt sich aus dem Gesetz, wie § 616 BGB deutlich macht. Auch der unbezahlte Anspruch auf Freistellung ist als eine allgemeine Nebenpflicht des Arbeitgebers im Rahmen der Rücksichtnahmepflicht anzusehen.
Möglich ist allerdings, dass im Arbeitsvertrag bezogen auf § 616 BGB Abweichendes entweder zu Gunsten des Arbeitnehmers oder aber – viel häufiger – zu seinen Lasten vereinbart ist. Dann ist zwar in schwerwiegenden Fällen nicht der Freistellungsanspruch, zumindest aber die Entgeltfortzahlung aus § 616 BGB ausgeschlossen. Eine solche Regelung ist im Grundsatz auch in allgemeinen Geschäftsbedingungen möglich. Ein Ausschluss der Rücksichtnahmepflichten ist hingegen – jedenfalls durch AGB – nicht zulässig und verstößt zumindest gegen § 307 BGB.

13.04.2015/1 Kommentar/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2015-04-13 14:44:502015-04-13 14:44:50KiTa-Streik und die (arbeitsrechtlichen) Folgen
Maria Dimartino

Grundlagen kollektives Arbeitsrecht: Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines Streiks

Arbeitsrecht, Lerntipps, Schon gelesen?, Schwerpunktbereich, Verschiedenes

A. Grundlagen kollektives Arbeitsrecht: Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines Streiks

Dieser Beitrag gibt eine grobe Übersicht über die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen eines rechtmäßigen Arbeitskampfes.
 
I. Zunächst einige grundlegende Gedanken vorab
 
 1. Was ist Streik?
Streik ist ein sog. Arbeitskampfmittel. Unter Arbeitskampf wird eine kollektive Maßnahme zur Störung der Arbeitsbeziehungen verstanden, mit der die Arbeitnehmerseite oder die Arbeitgeberseite versuchen ein bestimmtes (tarifliches) Ziel zu erreichen[1]. Es besteht grundsätzlich die Freiheit der Wahl des Arbeitskampfmittels (kein Numerus clausus von Arbeitskampfmitteln). Streik ist die kollektive, planmäßige durchgeführte Einstellung der Arbeit durch eine größere Anzahl von Arbeitnehmern innerhalb eines Betriebes oder eines Gewerbe- oder Berufszweiges[2]. Während eines rechtmäßigen Arbeitskampfes ruhen die Hauptleistungspflichten (Entgeltzahlung/Arbeitsleistung).
 
a) Arbeitskampfmittel (klassisch) auf der Arbeitnehmerseite

  • Boykott
  • Warnstreik
  • Dienst nach Vorschrift
  • Streik

 
b) Arbeitskampfmittel (klassisch) auf der Arbeitgeberseite

  • Aussperrung
  • Ggf. Streikbruchprämien

 
 2. Sinn und Zweck? Warum gibt es Streik(recht)?
Um die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines Streiks zu verstehen ist es wichtig sich zunächst die Funktion eines Streikes vor Augen zu führen. Streik gehört zu den Arbeitskampfmitteln und ist äußerstes Mittel (Ultima Ratio) um die Tarifautonomie der Arbeitnehmerverbände (Gewerkschaften) zu gewährleisten. Arbeitskampfmittel dienen vornehmlich der Schaffung von Verhandlungsgleichgewicht (auch Kampfparität). Tarifverhandlungen bei Interessengegensatz ohne das Recht zum Streik nicht mehr als „kollektives Betteln“ (vgl.  BAG vom 10.6.1980 – Az. 1 AZR 822/79).
 
3. Wo ist das Streikrecht geregelt?
Das Streikrecht ist in Deutschland nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt sondern entwickelt aus sog. Richterrecht. Gewährt wird das Arbeitskampfrecht verfassungsrechtlich als Ausfluss der Koalitionsfreiheit bzw. Tarifautonomie in Art. 9 Abs. 3 GG (sog. Doppelgrundrecht positive/negative Koalitionsfreiheit).

„Der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG beschränkt sich nicht auf diejenigen Tätigkeiten, die für die Einhaltung und die Sicherung des Bestandes der Koalition unerlässlich sind; er umfasst alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen (BVerfGE 93, 352)“.

 
 4. Wer darf zum Streik aufrufen?
Zum Streik aufrufen dürfen nur Koalitionen, welche Träger der Tarifautonomie sind im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG, § 2 TVG. Dies sind in der Regel die Gewerkschaften.
 
 a) Unstreitige Merkmale einer Koalition

  • Freiwilliger Zusammenschluss auf privatrechtlicher Grundlage auf „Dauer“ (keine ad-hoc Koalitionen)
  • Demokratische Organisation
  • Satzungsgemäßer Zweck der Vereinigung: Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen
  • Gegnerfreiheit und Gegnerunabhängigkeit
  • Unabhängigkeit von Dritten

 
 b) Umstrittene Merkmale einer Koalition

  • Tarifwilligkeit
  • Arbeitskampfbereitschaft
  • Soziale Mächtigkeit/Durchsetzungsfähigkeit
  • Überbetrieblichkeit

Nicht zum Streik aufrufen darf der Betriebsrat, dieser vertritt zwar im Betrieb die Rechte der Arbeitnehmer, ist jedoch keine Tarifvertragspartei und somit auch nicht Adressat der Tarifautonomie, vgl. § 74 Abs. 2 BetrVG. Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit in § 2 Abs. 2 BetrVG wird durch § 74 Abs. 2 BetrVG ergänzt durch die betriebliche Friedenspflicht. Der Betriebsrat als Organ ist zur Neutralität verpflichtet. Das Amt des Betriebsrates wird durch den Arbeitskampf grundsätzlich nicht berührt es besteht mit allen seinen Rechten und Pflichten fort und ruht demnach auch nicht.
Grundsätzlich können jedoch auch Betriebsratsmitglieder in ihrer Funktion als Arbeitnehmer sich an Arbeitskampfmaßnahmen beteiligen, vgl. § 74 Abs. 3 BetrVG. Die dem Betriebsrat als Organ zur Verfügung gestellten Mittel, z.B. Räumlichkeiten, kommunikationstechnische Mittel (z.B. E-Mail, Intranet, Internet, Hauspost), wirtschaftliche und sachliche Mittel dürfen nicht für den Arbeitskampf eingesetzt werden (vgl. Fitting § 74 Rn. 16 ff). Fraglich bleibt, ob eine solche Unterscheidung zwischen Amtsinhaber Betriebsrat und Arbeitnehmer in der Praxis wirklich umsetzbar ist.
 
5. Wer darf sich an einem Streik beteiligen?
Grundsätzlich dürfen Arbeitnehmer streiken. Das Gesetz definiert den Begriff des Arbeitnehmers nicht – vielmehr wird dieser vom Begriff des Selbstständigen nach § 84 HGB abgegrenzt. Demnach ist Arbeitnehmer wer aufgrund eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages, weisungsgebunden, fremdbestimmt (Ort, Zeit, Art) in persönlicher Abhängigkeit seine Arbeit verrichtet, vgl. auch § 5 ArbGG, § 5 BetrVG.
Nach herrschender Meinungen dürfen Beamte „als Teil des Staates“ sich nicht auf ein Streikrecht berufen sondern unterliegen den sog. verankerten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, Art. 33 Abs. 5 GG[3]. (vgl. kritisch dazu Däubler-Hensche, Arbeitskampf, § 18a Rn. 15.; EGMR 12.11.2008 Demir und Baykara ./. Türkei – gegen ein generelles Streikverbot; Art. 11 EMRK)
 Anmerkungen: Ausführlich hierzu im Blog : Notiz: BVerwG Streikverbot für Beamte weiterhin gültig 27.02.2014 (2 C 1/13)  und OVG NRW
 
II. Voraussetzungen eines rechtmäßigen Streiks
Das Arbeitskampfrecht ist in Deutschland nicht gesetzlich geregelt. Gewährt wird das Arbeitskampfrecht als Ausfluss der Koalitionsfreiheit/Tarifautonomie in Art. 9 Abs. 3 GG. Die Rechtsprechung hat folgende Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Arbeitskampfmittels entwickelt (sog. Richterrecht).
 
1. Von einer Gewerkschaft getragen
Ein Arbeitskampf muss von einer Gewerkschaft getragen sein. Spontane Arbeitsniederlegung und Aussperrungen ohne Verbandsbeschluss sind als sog. wilde Streiks nicht von der Koalitionsfreiheit/Tarifautonomie umfasst.
Anmerkung: Beachte den begrifflichen Unterschied der Koalition nach Art. 9 Abs. 3 GG und § 2 TVG, letzteres setzt eine „Tariffähigkeit“ voraus.
 
 2. Der Streik muss sich gegen den sozialen Gegenspieler richten
Mit sozialer Gegenspieler ist in der Regel der Arbeitgeber gemeint, also derjenige der den Tarifforderungen auch nachkommen kann.
 
3. Tariflich regelbares Ziel/kein politischer Streik
Der Arbeitskampf (i.d.R. Streik) muss sich auf ein tariflich regelbares Ziel beziehen[4]. Nicht geschützt wird ein sog. politischer Streik als Protestaktion gegen staatliche Instanzen.
 
4. Kein Verstoß gegen die Friedenspflicht
Arbeitskampfmaßnahmen dürfen nicht gegen die sog. Friedenspflicht verstoßen. Es wird unterschieden zwischen der absoluten und der relativen Friedenspflicht. Absolute Friedenspflicht bedeutet, dass währen der Laufzeit eines Tarifvertrages generell keine Arbeitskampfmittel ergriffen werden dürfen. Die absolute Friedenspflicht wird kaum vereinbart werden. Relative Friedenspflicht bedeutet, dass keine Arbeitskampfmaßnahmen gegen im laufenden Tarifvertrag (abschließend) geregelte Sachverhalte geführt werden dürfen. Ob etwas abschließend durch Tarifvertrag geregelt werden sollte lässt sich im Streitfall durch Auslegung ermitteln. Oft findet man in Tarifverträgen auch sog. Öffnungsklauseln, die explizit darauf verweisen, dass dieser Sachverhalt nicht abschließend geregelt werden sollte und z.B. durch eine Betriebsvereinbarung noch der genaueren Ausformung bedarf (vgl. auch Regelungssperre § 77 Abs. 3 BetrVG).
 
5. Verhältnismäßig/ Ultima Ratio
Maßnahmen des Arbeitskampfes müssen stets verhältnismäßig sein[5]. Arbeitskampfmaßnahmen sollen erst als letztes Mittel (Ultima Ratio) nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten ergriffen werden. Die Rechtsprechung hat als Grenze der Arbeitskampffreiheit sich für ein sog. faire Arbeitskampfführung ausgesprochen, die hier nur exemplarisch aufgezählt werden.

  • Ausfluss des Rechtsgedanken aus § 826 BGB
  • Keine Anwendung von Gewalt
  • Keine Betriebsblockade
  • Erhaltungsarbeiten (z.B. Maschinen die durchlaufen müssen)

„Erhaltungsarbeiten, die auch während eines Arbeitskampfes zu leisten sind, sind diejenigen Arbeiten, die erforderlich sind, um die Anlagen und Betriebsmittel während des Arbeitskampfes so zu erhalten, dass nach Beendigung des Kampfes die Arbeit fortgesetzt werden kann“ (vgl. BAG v. 30.3.1982 – 1 AZR 265/80)

  • Notdienstgewährleistung (z.B. Krankenhaus)

 
Exkurs Warnstreik
Der Warnstreik ist eine Sonderform des Streiks und beinhaltet – im Gegensatz zum richtigen Streik – eine relativ kurze Arbeitsniederlegung. Die Rechtmäßigkeit solcher Streiks während laufender Verhandlungen war lange umstritten. Solche kurzen Warnstreiks während Tarifverhandlungen nach Ablauf der Friedenspflicht sind jedoch zulässig, wenn diese von einer Gewerkschaft getragen sind und die Verhandlungen (vorerst) gescheitert sind. Warnstreiks sind ebenfalls umfasst vom Schutzbereich der Koalitionsfreiheit (BAG v. 17.12.1976 – 1 AZR 605/75). Das Verhältnismäßigkeit- und Ultima-Ratio-Prinzip gilt auch für Warnstreiks, ihnen muss so wie bei jedem anderen Streik der Versuch von druckfreien Verhandlungen vorangegangen sein.
 
III. Folgen eines rechtswidrigen Arbeitskampfes
 
 1. Folgen eines rechtswidrigen Arbeitskampfes des Arbeitgebers
War eine Aussperrung rechtswidrig, so haben die Arbeitsnehmer Anspruch auf Zahlung des Lohnes wegen Annahmeverzug des Arbeitgebers nach § 615 BGB sowie einen einklagbaren Beschäftigungsanspruch.
Daneben steht den Gewerkschaften ein deliktischer Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB und Art. 9 Abs. 3 GG wegen unzulässigen Eingriffs in das Recht zur koalitionsmäßigen Betätigung zu. Zusätzlich kommen Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB sowie vertragliche Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB wegen der Verletzung des Tarifvertrages in Betracht.
 
2. Folgen eines rechtswidrigen Arbeitskampfes der Arbeitnehmer
War ein Arbeitskampfmittel/Streik rechtswidrig, so besteht wegen Verletzung der arbeitsvertraglichen Arbeitspflicht eine daraus resultierende Schadensersatzpflicht soweit auch ein Verschulden vorliegt. Ein Verschulden liegt beispielsweise nicht vor, wenn die Arbeitnehmer einem Streikaufruf der Gewerkschaft gefolgt sind, denn diese dürfen dann auf die Rechtmäßigkeit des Streikaufrufs vertrauen (vgl. BAG v. 21.3.1978 -1 AZR 11/76).
Die Verletzung der aus dem Arbeitsvertrag resultierenden Arbeitspflicht aufgrund einer Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik stellt dies grundsätzlich auch einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB dar (vgl. BAG v. 29.11.1983 – 1 AZR 469/81). Zumindest ist eine Abmahnung möglich, da das Arbeitsverhältnis nicht ruhte. Weiter in Betracht kommt eine Verletzung der Treuepflicht gem. § 241 BGB und letztlich § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. mit einem rechtswidrigen und schuldhaften Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbetriebs des Arbeitgebers.
 
3. Haftung der Gewerkschaft
Aus Vertragsverletzung haftet die Gewerkschaft nur bei einem schuldhaften Verstoß gegen die aus dem Tarifvertrag resultierende Friedenspflicht. Ansonsten kommt § 823 Abs. 1 BGB wegen eines schuldhaften und rechtswidrigen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Betracht.
 
Aber beachte: Der Arbeitgeberverband hat mittels Unterlassungsklage vorbeugend beabsichtigten rechtswidrigen Streikaktionen entgegenzuwirken (vgl. BAG v. 26.4.1988 – 1 AZR 399/86). Er darf also nicht sehenden Auges die Haftung ins Uferlose laufen lassen.
 
Anmerkung: Prozessual werden kollektivrechtliche Streitigkeiten vor dem zuständigen Arbeitsgericht geltend gemacht und im Beschlussverfahren durchgeführt, vgl. §§ 80 ArbGG i.V.m. § 2a ArbGG, § 82 ArbGG. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren herrscht ein sog. Untersuchungsgrundsatz, § 83 Abs. 1 ArbGG.
 
B. Fazit
Das Arbeitskampfrecht in Deutschland ist nicht gesetzlich geregelt sondern wurde durch sog. Richterrecht entwickelt. Es gibt durch die Rechtsprechung entwickelte Voraussetzungen, die vorliegen müssen damit ein Arbeitskampf rechtmäßig ist. Während eines rechtmäßigen Arbeitskampfes ruhen die Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsvertrag. Bei der Ergreifung von Arbeitskampfmittel sind immer Verhältnismäßigkeit (Ultima Ratio) und ein faire Kampfführung (Erhaltung von Notdiensten, Erhaltungsarbeiten) zu beachten.
[1] Kittner/Zwanziger/Deinert, Arbeitsrecht, § 136 Rn. 1.
[2] Creifelds, Rechtswörterbuch, S.1321.
[3] BVerwG v. 27.02.2014 (2 C 1/13).
[4] BAG v. 19.6.1973.
[5] BAG v. 21.4.1971.

08.10.2014/0 Kommentare/von Maria Dimartino
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Dimartino https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Dimartino2014-10-08 21:06:252014-10-08 21:06:25Grundlagen kollektives Arbeitsrecht: Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines Streiks
Gastautor

BAG: Aufruf von Gewerkschaften zum Streik in kirchlichen Einrichtungen rechtmäßig

Arbeitsrecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Marvin Granger veröffentlichen zu können. Der Autor hat seit 2007 an der Universität Münster studiert und in diesem Jahr sein Studium dort erfolgreich abgeschlossen.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 20. November 2012 in einem Urteil (Az: 1 AZR 179/11) entschieden, dass der gewerkschaftliche Aufruf zum Streik die Kirche als Arbeitgeberin nicht in ihrem verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrecht aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV verletzt. Bislang liegt nur die Presseerklärung zu der Entscheidung vor.
I. Sachverhalt
Geklagt hatte u.a. die Evangelische Kirche von Westfalen, die von der Gewerkschaft ver.di verlangt hatte, Warnstreikaufrufe in kirchlichen diakonischen Werken zu unterlassen. Die Kirche meinte, diese Aufrufe würden sie in ihrem Selbstverwaltungsrecht aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV verletzen. Dagegen hatte ver.di vorgebracht, wegen der vorbehaltlos gewährleisteten Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG, auch gegen die Kirche als Arbeitgeberin zum Warnstreik aufrufen zu dürfen. Trotz der zwischen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite ausgehandelten Arbeitsbedingungen konnte die Kirche einseitig zwischen verschiedenen Arbeitsregelungen wählen.
Die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Hamm, hatte die Klage der Kirche abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hatte die Kirche Revision eingelegt.
II. Entscheidungsgründe
Das BAG hat nun das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm bestätigt. Zwar habe die Kirche gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV das Recht, ihre Angelegenheiten eigenständig zu ordnen und zu verwalten, doch dieses Recht sei nicht vollumfänglich gewährleistet, sondern

„funktional auf die Verwirklichung der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG“ beschränkt, heißt es in der Presseerklärung. „Sein Schutzbereich umfasst auch die Entscheidung, die Arbeitsbedingungen der in der Diakonie beschäftigten Arbeitnehmer nicht mit Gewerkschaften durch Tarifverträge zu regeln, sondern entsprechend ihrem religiösen Bekenntnis einem eigenständigen, am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichteten Arbeitsrechtsregelungsverfahren zu überantworten.“

Zur Erläuterung: Dieses genannte Arbeitsrechtsregelungsverfahren am Leitbild der Dienstgemeinschaft wird von einem Gremium vorgenommen, das jeweils zum Teil aus Vertretern der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite zusammengesetzt ist. Kommt es zwischen den Parteien zu Unstimmigkeiten, so werden diese durch eine Schlichtungskommission mit einem neutralen Vorsitzenden geklärt. Dieses Arbeitsrechtsregelungsverfahren bezeichnet man als sog. „Dritten Weg“. Daneben gibt es noch die Möglichkeiten, die Arbeitsbedingungen entweder einseitig durch Kirchengesetze (sog. „Erster Weg“) oder durch Tarifvertrag festzulegen (sog. „Zweiter Weg“) (Ehlers, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl., München 2011, Art. 140, Art. 137 WRV Rn. 10 m.w.N. ).
Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht hat im Rahmen der o.g. Grenzen einen weiten Schutzbereich und umfasst stets die Ausgestaltung kirchlicher Arbeitsverhältnisse (Ehlers, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl., München 2011, Art. 140, Art. 137 WRV Rn. 10. ) . Konsequenterweise ist deren Ausgestaltung durch staatliche Gerichte auch grundsätzlich nicht überprüfbar, denn in innerkirchliche – religiöse – Angelegenheiten hat der Staat sich wegen des aus Art. 4 Abs. 1 GG folgenden religiösen und weltanschaulichen Neutralitätsgebots nicht einzumischen.
Auch die Gewerkschaften dürfen sich in der Regel nicht in die innerkirchlichen privatrechtlichen Arbeitsregelungen einmischen, so das BAG, doch dies gelte nur,

„sofern diese (Anm.: also die Gewerkschaft) sich innerhalb des Dritten Weges noch koalitionsmäßig betätigen kann, die Arbeitsrechtssetzung auf dem Dritten Weg für die Dienstgeber verbindlich ist und als Mindestarbeitsbedingung den Arbeitsverträgen auch zugrunde gelegt wird.“

Auf die Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG können die Gewerkschaften sich dann also nicht berufen, denn dies würde im vorliegenden Fall die diakonische Tätigkeit der Kirche stark behindern und ihrer Glaubwürdigkeit schädigen, so das BAG. Zwar waren zwischen der Kirche und den Arbeitnehmern im Rahmen des „Dritten Weges“ Arbeitsrechtsregelungen ausgehandelt worden, doch diese waren für die Kirche nicht verbindlich, vielmehr konnte sie einseitig zwischen unterschiedlichen Regelungen wählen. Daher sei die Koalitionsfreiheit in diesem Fall nicht ausgeschlossen, so das BAG.
Die Kirche muss also die Warnstreikaufrufe dulden. Folglich war die Klage vom Landesarbeitsgericht Hamm zu Recht abgewiesen worden und dementsprechend die Revision unbegründet.
Anmerkungen/Prüfungsrelevanz
Der Fall kann auch für Prüfungen in der Ausbildung bzw. im Examen aus mehreren Gründen relevant sein:
• Man kann an der Entscheidung des BAG sehr schön sehen, dass die Gerichte in Fällen mit Grundrechtsbezug die widerstreitenden Grundrechte gegeneinander abwägen und zu einem möglichst schonenden Ausgleich bringen müssen (sog. praktische Konkordanz). Dabei darf nicht das eine Verfassungsgut ohne Rücksicht auf das andere über dieses gestellt werden, sondern beide Güter müssen berücksichtigt und gegeneinander abgewogen werden. Die Verfassungsgüter begrenzen sich gegenseitig, sodass beide zu möglichst optimaler Wirkung gelangen können (Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1995, Rn. 72. ). Wo diese „optimale“ Wirkung beider Güter liegt, muss im Einzelfall durch Abwägung im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung festgestellt werden (Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1995, Rn. 72. ).
Im vorliegenden Fall des BAG standen sich das kirchliche Selbstverwaltungsrecht auf der einen und die Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaft auf der anderen Seite gegenüber. Das Gericht hat festgestellt, dass die Koalitionsfreiheit nicht per se hinter das kirchliche Selbstverwaltungsrecht zurücktritt (obgleich dieses sehr weit geht, s.o.), sondern nur, sofern die Gewerkschaften bei der Aushandlung der Arbeitsrechtsregelungen hinreichend beteiligt worden sind und die erzielten Ergebnisse für die Arbeitgeberin (Kirche) als Mindestarbeitsbedingungen verbindlich sind. Streiks und Aufrufe hierzu sind dann rechtswidrig, weil die Arbeitnehmer sich nicht auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen können. Dies war hier nicht der Fall (s.o.).
Es sollte, was die Rechtmäßigkeit von Streiks betrifft, unbedingt die Parallele zu Tarif-verträgen gesehen werden: Solange ein Tarifvertrag Geltung hat, sind Streiks rechtswidrig (sog. Friedensfunktion von Tarifverträgen). Hier wurde zwar kein Tarifvertrag geschlossen (Zweiter Weg), aber im Rahmen des Dritten Weges eine besondere vertragliche Vereinbarung. Auch diese entfaltet eine Friedensfunktion, wenn die Arbeitnehmer hinreichend beteiligt worden sind.
• Der Fall könnte im Examen, jedenfalls in der mündlichen Prüfung, einerseits als arbeitsrechtliche Aufgabe wie oben kommen. Denkbar ist jedoch wegen seiner Grundrechtsrelevanz andererseits auch, dass die Thematik in einer öffentlich-rechtlichen Prüfungsaufgabe gestellt wird, etwa im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde. Bei der Begründetheitsprüfung einer solchen „Urteilsverfassungsbeschwerde“ ist zu beachten, dass das BVerfG nur prüft, ob das Fachgericht (hier das BAG) spezifisches Verfas-sungsrecht verletzt hat. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Fachgericht die Grund-rechtsrelevanz des Falles entweder komplett verkannt hat oder wenn es sie zwar gesehen, aber die widerstreitenden Grundrechte bei der Abwägung nicht hinreichend gewichtet hat (beides kann man dem BAG nicht vorwerfen). Die Sachentscheidung über-prüft das BVerfG dagegen nicht, denn das ist nach seiner ständigen Rechtsprechung al-lein die Aufgabe der Fachgerichte. Das BVerfG ist keine Superrevisionsinstanz.
Für eine solche Grundrechtsprüfung sei an dieser Stelle auf die etwas versteckten, aber nicht zu unterschätzenden „Weimarer Kirchenartikel“ (Art. 136-139, 141 WRV) hin-zuweisen. Es ist allgemein anerkannt, dass diese Vorschriften, die gem. Art. 140 GG sog. inkorporiertes und damit voll gültiges Verfassungsrecht darstellen, die Religions-freiheit der Glaubensgemeinschaften ergänzen und überlagern. Sie sind besondere Ausprägungen der Religionsfreiheit. Daher sind auch diese Artikel verfassungsbeschwerdefähig. Wenn im Prüfungsfall eine Religionsgesellschaft (z.B. die Evangelische Kirche von Westfalen) also eine Verfassungsbeschwerde erhebt, ist nicht nur auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, sondern auch auf Art. 140 GG i.V.m. den Weimarer Kirchenartikeln einzugehen.
• Gerade die Kombination zweier klassischer Rechtsgebiete – Arbeitsrecht und Verfassungsrecht – macht den Fall des BAG für das Examen interessant. Es geht im Kern mal wieder darum, wo die Religionsfreiheit (hier der Kirche, in spezieller Ausprägung des Selbstverwaltungsrechts) ihre Grenzen findet. Mit dem gleichen Problem hatten sich in jüngster Zeit schon andere Gerichte zu beschäftigen (z.B. BVerwG: Berliner Schulgebet; LG Köln: Beschneidung Minderjähriger).

27.11.2012/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2012-11-27 09:30:002012-11-27 09:30:00BAG: Aufruf von Gewerkschaften zum Streik in kirchlichen Einrichtungen rechtmäßig
Dr. Christoph Werkmeister

Aktuelle verwaltungsrechtliche Themen

Aktuelles, Öffentliches Recht, Verwaltungsrecht

In den letzten Tagen sind eine Reihe von öffentlich-rechtlichen Problemkreisen durch Presse und Judikatur gegangen. Kandidaten, für die bald die mündliche Prüfung ansteht, sollten sich deshalb mit den im Folgenden genannten Problemkreisen einmal kurz auseinandergesetzt haben. Daneben ist bei den folgenden Sachverhalten zumindest denkbar, dass diese – wenigstens als Aufhänger – auch in Klausuren Eingang finden.
Di Fabio: Beamtenstreik ist und bleibt rechtswidrig

Das Streikverbot für Beamte duldet nach Ansicht des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio keine Ausnahmen. Warnstreik-Aktionen von verbeamteten Lehrern im Jahr 2010 seien mit den Grundsätzen des Berufsbeamtentums nicht vereinbar und Sanktionen des Dienstherren gegen die Betroffenen deshalb rechtens, sagte di Fabio am 31.10.2012 in Berlin bei der Präsentation eines vom dbb Beamtenbund und Tarifunion in Auftrag gegebenen Gutachtens (Quelle: Beck aktuell). Wir berichteten bereits ausführlich über die höchst examensträchtige Problematik des Streikrechts von Beamten (siehe dazu unbedingt hier).

VerfGH Bayern: Volksbegehren gegen Studiengebühren in Bayern zulässig

Der bayerische Verfassungsgerichtshof in München hat ein Volksbegehren der Freien Wähler gegen die Studiengebühren in Bayern zugelassen und folgt dabei der Argumentation der Antragsteller, dass «Haushaltsfragen» nicht das Thema seien (Quelle: Beck aktuell). Fragestellungen rund um Volksentscheide und plebleszitäre Elemente der Demokratie waren bereits mehrfach Aufhänger für Examensklausuren (siehe zu diesen Themen deshalb umfassender hier).

VG Gießen: Verbot einer Tanzveranstaltung am Karfreitag rechtmäßig

Das VG Gießen hat entschieden, dass die Verbotsverfügung des Regierungspräsidiums Gießen vom 03.04.2012, mit dem eine vom Kläger angemeldete „Tanzdemo“ unter dem Motto „Tanzen gegen das Tanzverbot an den Osterfeiertagen“ verboten worden war, rechtens war (siehe zu dieser Entscheidung die umfassende Pressemitteilung des Gerichts). Eine ähnliche Fragestellung, die auch bereits Gegenstand von Examensklausuren war, wurde im Jahr 2009 vom BVerfG entschieden (siehe dazu unseren Beitrag hier).

04.11.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-11-04 11:26:542012-11-04 11:26:54Aktuelle verwaltungsrechtliche Themen
Tom Stiebert

BAG: Neues zum Annahmerverzug des Arbeitgebers bei unwirksamer Kündigung

Arbeitsrecht, BGB AT, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Das Bundesarbeitsgericht hat am 17. Juli 2012 eine Pressemitteilung zu einem spannenden Urteil vom gleichen Tag (1 AZR 563/11) veröffentlicht, das sehr gut in einer Klausur oder mündlichen Prüfung abgefragt werden könnte.
Es geht hierbei um die Frage, ob und insbesondere mit welcher dogmatischen Herleitung ein Arbeitnehmer bei einer unwirksamen Kündigung Anspruch auf Vergütung hat, obwohl er aufgrund der Kündigung nicht gearbeitet hat. Insofern verbindet dieses Problem arbeitsrechtliche Fragestellungen (insbesondere Wirksamkeit einer Kündigung) mit allgemeinen zivilrechtlichen Fragen.
I. Der Grundsatz
Grundsätzlich gilt im Arbeitsrecht der Grundsatz „Kein Geld ohne Arbeit“. Dies ergibt sich bereits aus § 611 BGB.  Allerdings existieren hierzu zahlreiche Ausnahmen – im konkreten Fall relevant ist die Ausnahme des § 615 S. 1 BGB. Ist der Arbeitgeber also im Annahmeverzug, bekommt der Arbeitnehmer sein Entgelt ohne die Tätigkeit erfüllt zu haben.
Maßgeblich zur Ermittlung, ob ein solcher Annahmeverzug vorliegt, sind die §§ 293 ff. BGB. Nach § 293 BGB bedarf es hierzu eines Angebots des Gläubigers (also des Arbeitnehmers). Jedenfalls liegt das vor, wenn der Arbeitnehmer zumindest einmalig am Arbeitsplatz erschienen ist und sich arbeitswillig gezeigt hat (vgl. § 294 BGB).
Im Regelfall wird dies allerdings nicht vorliegen, sodass zu prüfen ist, ob nicht eine Ausnahme nach §§ 295 ff. BGB vorgelegen hat. Ohnehin ist ein solches Angebot nach Ansicht des BAG deshalb entbehrlich, da der Arbeitgeber durch den Ausspruch der Kündigung zu erkennen gegeben habe, er wolle eine Leistung des Arbeitnehmers nicht annehmen. Gleiches gelte auch für ein wörtliches Angebot nach § 295 BGB.
Begründet wird dies damit, dass der Arbeitgeber seinerseits verpflichtet ist, eine Handlung vorzunehmen, da es ihm obliegt den Betrieb zu organisieren und für den Arbeitnehmer zu öffnen (BAG v. 19.1.1999 – 9 AZR 979/97). Er muss also den Arbeitsplatz zur Verfügung stellen. Ein solches Erfordernis wird aus § 296 BGB hergeleitet. Der Arbeitnehmer muss damit von sich aus nichts unternehmen, um den Arbeitgeber in Annahmeverzug zu versetzen. Handelt der Arbeitgeber nicht, so tritt damit automatisch Annahmeverzug ein, mit der Folge, dass das Entgelt nach § 615 S. 1 BGB zu gewähren ist.
Auch die Literatur teilt dieses Ergebnis, wendet aber § 242 BGB an – eine Handlung des Arbeitnehmers sei überflüssige Förmelei, wenn der Arbeitgeber nicht deutlich mach, dass er trotz Kündigung den Arbeitnehmer weiterbeschäftigen möchte.
II. Ausnahme § 297 BGB
Allerdings tritt der Annahmeverzug dann nicht ein, wenn der Arbeitnehmer nicht arbeitsfähig oder nicht arbeitswillig ist. Dies ergibt sich aus § 297 BGB.
Nach Ansicht des BAG ist diese Voraussetzung aber streng auszulegen. So lässt eine Krankheit des Arbeitnehmers die Voraussetzungen des § 297 BGB nicht vorliegen; vielmehr ist ein objektiver Maßstab anzusetzen. Es wird vermutet, dass der Arbeitnehmer nach der Genesung automatisch wieder arbeitsfähig oder arbeitswillig ist (Palandt, § 296 BGB Rn. 2).
III. BAG: Streikteilnahme während Annahmeverzug
Einen speziellen Fall hatte das BAG jetzt zu entscheiden: Der gekündigte Arbeitnehmer beteiligte sich an einem Streik. Fraglich ist, ob er trotzdem einen Anspruch aus § 615 BGB wegen des Annahmeverzugs hat.
Entscheidend muss auch hier die Auslegung von § 297 BGB sein. Grundsätzlich suspendiert eine rechtmäßige Streikteilnahme die Arbeitspflichten des Arbeitnehmers. Aus diesem Grund ist eine Entgeltzahlung auch ausgeschlossen. Allerdings tritt hier die Besonderheit auf, dass der Arbeitnehmer aus seiner damaligen Sicht bereits gekündigt war und mithin nicht mehr am Streik teilnehmen konnte. Allerdings zeigt sich durch die erfolgreiche Kündigungsschutzklage, dass ein Arbeitsverhältnis nachträglich betrachtet, doch vorlag. Der Arbeitnehmer kann sich nicht einerseits auf die Wirksamkeit und andererseits auf die Unwirksamkeit des Arbeitsverhältnisses berufen. Das LAG als Vorinstanz betont dazu:

„…maßgeblich für den Arbeitsausfall ist für diesen Fall der erkennbar gewordene Wille des Arbeitnehmers zur Beteiligung am Arbeitskampf, um so einen Beitrag zur Erreichung des Kampfziels erbringen.
Maßgeblich ist vielmehr, mit welcher Erklärung der Arbeitnehmer der Arbeit fernbleibt. Mit der Freizeitnahme erklärt der Arbeitnehmer, sich gerade nicht durch Vorenthaltung der Arbeitsleistung am Streik beteiligen zu wollen. Demgegenüber gibt der Arbeitnehmer, welcher sich während fortbestehender Arbeitsunfähigkeit an Arbeitskampfmaßnahmen – z. B. einer Streikkundgebung – beteiligt, zu verstehen, dass er sich auch bei Arbeitsfähigkeit am Arbeitskampf beteiligt und seine Arbeit niedergelegt hätte (BAG, 26.07.2005, a.a.O. Rn 27). Diese Grundsätze sind entsprechend auf die vorliegende Fallgestaltung anzuwenden, wenn also der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung deshalb nicht erbringen kann, weil der Arbeitgeber nach ausgesprochener Kündigung zur Entgegennahme der Arbeitsleistung nicht bereit ist.“
Ob sich der Arbeitnehmer in diesem Sinne am Arbeitskampf beteiligt, hängt von seinem nach außen erkennbaren Verhalten ab (BAG, 09.02.1982, 1 AZR 567/79, AP BUrlG § 11 Nr. 16; BAG, 26.07.2005, 1 AZR 133/04, AP Nr. 170 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA 2005, 1402 ff.).

Damit lag eine wirksame Beteiligung des Arbeitnehmers am Streik vor. Er hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er Teilnehmender des Streiks ist. Aus diesem Grund war er nicht willens seine Tätigkeit zu erfüllen. Damit ist § 297 BGB anwendbar mit der Folge, dass ein Annahmeverzug des Arbeitgebers ausscheidet. Ein Entgeltanspruch bestand damit nicht.
IV. Fazit
Der Fall ist sehr gut geeignet, die Fragen der Entgeltzahlung bei unwirksamer Kündigung abzuprüfen, insbesondere weil hier die Ausnahme des § 297 BGB relevant wird. Sowohl in einer mündlichen als auch in einer schriftlichen Prüfung kann sich dieses Problem stellen. Die Entscheidung des BAG überzeugt hier auch – jedes andere Ergebnis würde den Arbeitnehmer hier unzulässig privilegieren. Der Arbeitnehmer hat hier den Willen deutlich gezeigt, am Streik teilzunehmen. An diesem Willen muss er sich nun auch festhalten lassen, mit der Folge, dass der Entgeltanspruch entfällt.

22.07.2012/1 Kommentar/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2012-07-22 15:00:182012-07-22 15:00:18BAG: Neues zum Annahmerverzug des Arbeitgebers bei unwirksamer Kündigung
Nicolas Hohn-Hein

OVG NRW: Uneingeschränktes Streikverbot für Beamte in Deutschland

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Thematisch passend zu den derzeit laufenden Warnstreiks der Angestellten im öffentlichen Dienst (Bus- und Bahn) in verschiedenen Großstädten hat sich das OVG NRW gestern mit der Frage auseinandergesetzt, ob Beamten in Deutschland ein Streikrecht zusteht (OVG NRW, 3d A 317/11.O – Beschluss vom 7.03.2012). Die Urteilsbegründung liegt derzeit noch nicht vor, folgt im Ergebnis aber der bisherigen höchstrichterlichen Rechtssprechung (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 11.06.1958 – 1 BvR 1/52, 46/52 -, BVerfGE 8, 1, 17; BVerwG, Urteil vom 03.12.1980 – 1 D 86/79 -, BVerwGE 73, 97 ff.). Kommentare sind wie immer ausdrücklich erwünscht.
Sachverhalt (verkürzt)
Die verbeamtete Lehrerin L ist mit ihrer derzeitigen Berufssituation unzufrieden. Sie beschließt daher, am 28.01.2009, 05.02.2009 und 10.02.2009 ohne Genehmigung des Dienstherrn (Land NRW) an Warnstreiks der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) teilzunehmen, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Unterricht kann sie an diesen Tagen nicht erteilen. In der Folge wird ihr vom Land NRW durch eine Disziplinarverfügung eine Geldbuße in Höhe von 1.500 EUR auferlegt.
L ist erbost. Sie beruft sich auf die EMRK und die Rechtssprechung des EGMR zum Beamtenrecht, wonach ihr ein Streikrecht zustehe. Die Geldbuße sei „völlig rechtswidrig“.
Art. 11 EMRK, Art. 9 Abs. 3 GG als Anknüpfungspunkt
Ausgangspunkt für die Prüfung sind die jeweiligen Normen des GG und der EMRK zur Koalitionsfreiheit, Art. 11 EMRK und Art. 9 Abs. 3 GG. Hiernach ist zunächst jeder berechtigt, sich zu Gewerkschaften zusammenzuschließen und die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses bestehenden Rechte gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen. L beruft sich auf die „EMRK und die Rechtsprechung des EGMR“. Hiernach gilt die Koalitionsfreiheit auch dann, wenn auf Seiten des Arbeitgebers der Staat steht. Der Staat muss Tätigkeiten der Gewerkschaften zulassen und ermöglichen. Das Streikrecht für Angehörige des öffentlichen Dienstes darf zwar beschränkt, nicht aber völlig ausgeschlossen werden (EGMR, 6.2.1976, EGMR-E 1, 172 – Schmidt u. Dahlström/Schweden; EGMR, 27. 6. 2002, Nr. 38190/97 – Federation of Offshore workers‘ trade unions/Norwegen für Ölarbeit). Da bei der Auslegung des Grundgesetztes die Wertungen der EMRK und des EGMR zu berücksichtigen sind, soweit dem nicht wichtige Prinzipien des deutschen Verfassungsrechts entgegenstehen, müssen diese Grundsätze auch für Art. 9 Abs. 3 GG gelten.
Beschränkung durch Art. 11 Abs. 2 S.2 EGMR?
Art. 11 Abs. 2 EGMR sieht in besonderen Ausnahmefällen eine Beschränkung der in Abs. 1 genannten Rechte vor. Es besteht allerdings Einigkeit darüber, dass dies nur unter äußerst engen Voraussetzungen möglich ist (Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 11, Rz. 35). Der Begriff der „Staatsverwaltung“ wird eng ausgelegt. Hier könnte wohl – in einer Klausur – vertreten werden, dass, auch mit Blick auf Satz 1, nur solche Angehörige des öffentlichen Dienstes gemeint sind, die für die Funktionweise des Staates und seiner demokratischen Ordnung unerlässlich sind, sodass ein Streik zu erheblichen Erschütterungen im Staatsgefüge führen würde (a.A. vertretbar). Ob dies auch auf Lehrer zutrifft, ist wahrscheinlich eher zweifelhaft. Das EGMR hat diese Frage jedenfalls bisher offen gelassen (EGMR, 22.11.2001, 39799/98 NJW 2002, 3087 – Volkmer/Deutschland)
Einschränkung über Art. 33 Abs. 5 GG – Grundsätze des Berufsbeamtentums
Das OVG ist offensichtlich einen anderen – direkteren – Weg gegangen und hat die Einschränkung der EMRK mit der Anwendbarkeit der Grundsätze zum Berufsbeamtentum gemäß Art. 33 Abs. 5 GG begründet. Die EMRK stehen nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht über dem Grundgesetz, sondern mit den Bundesgesetzen auf einer Stufe. Daher müsse sich Art. 11 EMRK an Art. 33 Abs. 5 GG messen lassen. Um aus der Pressemitteilung zu zitieren:

Die in Art. 11 EMRK und in Art. 9 Abs. 3 GG geregelte Koalitionsfreiheit werde durch die in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums eingeschränkt, so dass Beamten in der Bundesrepublik Deutschland mit Blick auf deren Treuepflicht gegenüber ihrem Dienstherrn und vor dem Hintergrund der Erhaltung der Funktionsfähigkeit staatlichen Handelns ein Streikrecht nicht zustehe. Dieses Streikverbot gelte unabhängig davon, welche konkrete Funktion der einzelne Beamte ausübe, denn allein der Status als Beamter sei entscheidend.

Damit hat das OVG NRW zum Ausdruck gebracht, dass es für die Anwendung von Art. 33 Abs. 5 GG hinsichtlich Art. 11 Abs. 1 EMRK nicht darauf ankommt, welche Funktion, d.h. welches Amt der Beamte im Einzelfall innehat oder wie bedeutend sein Fernbleiben von Dienst für die Funktionsweise des Verwaltungsapparates hat. Die Vorinstanz (VG Kassel) war der Auffassung, dass Art. 33 Abs. 5 GG selbst im Lichte der EMRK einschränkend dahingehend ausgelegt werden müsse, dass auch Beamten ein Streikrecht haben. Dem tritt das OVG NRW entgegen. Ein Hergebrachter Grundsatz i.S.v. Art. 33 V GG ist nicht jede überkommene beamtenrechtliche Detailregelung; vielmehr „kann es sich nur um jenen Kernbereich von Strukturprinzipien handeln, die allgemein oder doch ganz überwiegend und während eines längeren, Tradition bildenden Zeitraumes, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind“ (Battis, BBG, § 4, Rz. 4). Zu den hergebrachten Grundsätzen zählt nach Ansicht des OVG und in Fortführung der höchstrichterlichen Rechtsprechung damit auch das besondere Verhältnis des Beamten zum seinem Dienstherrn (Stichwort: Sonderrechtsverhältnis), dem Staat, und die besondere Verantwortung für die Allgemeinheit bzw. für die Funktionsfähigkeit des Staatsapparates. Ein Streik und streikähnliche Handlungsweisen („Dienst nach Vorschrift“ o. ä.) zur Verfolgung von Beschäftigungsbelangen oder -interessen ist den Beamten daher verwehrt; denn ein derartiger „Arbeitskampf“ würde sich letztlich gegen den Gesetzgeber oder die gesetzlich festgelegte Rechtsstellung des Beamten richten (Badura in: Maunz/Dürig, GG, Art. 33, Rz. 58. Auch hier lässt sich mit Sicherheit ohne weiteres das Gegenteil vertreten, zumal die L lediglich an drei Unterrichtstagen fehlte und „schwere Beeinträchtigungen“ für den ordnungsgemäßen Ablauf des Schulbetriebs allem Anschein nicht gegeben waren.
Fazit
Schöne Entscheidung, die gewiss bald Eingang in Klausuren und mündliche Prüfungen finden wird. Es lässt sich nicht nur abprüfen, in welchem Verhältnis die EMRK und der EGMR zu den Normen des GG stehen, sondern es ist auch eine gute Argumentation hinsichtlich Art. 33 Abs. 5 GG gefragt. Auf das Ergebnis, ob ein Streikrecht in Frage kommt, wird es dabei wohl weniger ankommen, das zeigt schon die Uneinigkeit der Rechtsprechung der letzten Jahre. Vielmehr sollte man sich mit den wesentlichen Grundsätzen im Beamtenrecht und Art. 33 GG wenigstens einmal beschäftigt haben. Zudem ist der Prüfling gezwungen, einen Blick in Art. 11 EMRK zu riskieren.
In rechtlicher Hinsicht wird abzuwarten sein, ob möglicherweise das BVerfG das letzte Wort haben wird. Ein uneingeschränktes Streikverbot für Beamte ist jedenfalls ein klarer Bruch mit der sich aus der Rechtssprechung des EGMR abzeichnenden Tendenz, nach der Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst „normalen“ Angestelltenverhältnisse zunehmend angeglichen werden.

08.03.2012/3 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
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