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Schlagwortarchiv für: Störung der Geschäftsgrundlage

Dr. Melanie Jänsch

BGH: Unmöglichkeit bei pandemiebedingter Schließung des Fitnessstudios

Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schuldrecht, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Mit aktuellem Urteil vom 4. Mai 2022 (Az.: XII ZR 64/21) hat der BGH festgestellt, dass ein Betreiber eines Fitnessstudios bei einer pandemiebedingten Schließung des Studios gegen seinen Vertragspartner keinen Anspruch auf eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB hat. Im Gegenteil hat der Kunde gemäß §§ 326 Abs. 4, 346 ff. BGB einen Anspruch auf Rückzahlung desjenigen Entgelts, das er während des Schließungszeitraums gezahlt hat, sofern der Fitnessstudiobetreiber von der in Art. 250 § 5 EGBGB eingeräumten „Gutscheinlösung“ keinen Gebrauch macht. Aufgrund ihrer enormen praktischen Auswirkungen hat die Entscheidung nicht nur im juristischen Bereich Aufsehen erregt. Da sich der BGH in seinem Urteil ferner mit grundlegenden Fragen des allgemeinen Schuldrechts auseinandersetzt, die problemlos in jede Zivilrechtsklausur vom zweiten Semester bis zum zweiten Staatsexamen eingebaut werden können, und unter Berücksichtigung der abweichenden Rechtsprechung zum Gewerberaummietrecht (s. BGH, Urteil v. 16.02.2022 – XII ZR 17/21, NJW 2022, 1378; BGH, Urteil v. 12.01.2022 – XII ZR 8/21, NJW 2022, 1370) ist von gigantischer Klausur- und Examensrelevanz auszugehen.

I. Sachverhalt (leicht abgewandelt und vereinfacht)

Worum es geht, ist schnell erzählt: Die Parteien schlossen einen Vertrag über die Nutzung eines Fitnessstudios ab. Aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie musste der Betreiber das Fitnessstudio in der Zeit vom 16. März 2020 bis 4. Juni 2020 schließen. Die Monatsbeiträge für diesen Zeitraum wurden dabei weiterhin vom Konto des Vertragspartners eingezogen. Im Anschluss verlangte dieser die Rückzahlung der per Lastschrift eingezogenen Mitgliedsbeiträge für den Schließungszeitraum.

Das Gericht erster Instanz verurteilte den Fitnessstudiobetreiber zur Rückzahlung der Monatsbeiträge; eine hiergegen gerichtete Berufung des Betreibers vor dem Landgericht wurde zurückgewiesen.

II. Die Entscheidung des BGH

In der Revision sprach sich auch der BGH zu Gunsten des Kunden aus und stellte fest, dass diesem ein Anspruch auf Rückzahlung gemäß §§ 326 Abs. 4, 346 ff. BGB zustand.

1. Schließung des Studios als rechtliche Unmöglichkeit i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB

Dreh- und Angelpunkt der Prüfung war die Frage, ob die behördliche Schließungsanordnung zur rechtlichen Unmöglichkeit der Leistung des Fitnessstudiobetreibers gemäß § 275 Abs. 1 BGB führt mit der Konsequenz, dass während des Schließungszeitraums gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB auch der Gegenanspruch auf Zahlung des Entgelts entfällt. Gemäß § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Sog. rechtliche Unmöglichkeit ist dabei gegeben, wenn ein geschuldeter Erfolg aus Rechtsgründen nicht herbeigeführt werden kann oder nicht herbeigeführt werden darf (vgl. BGH, Urteil v. 25.10.2012 – VII ZR 146/11, NJW 2013, 152 Rn. 33; MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, § 275 BGB Rn. 48). Auf der Grundlage dieser Definition hat der BGH die Unmöglichkeit bejaht:

In diesem Zusammenhang bedurfte es der Auseinandersetzung mit der Frage, ob hierin ein Fall lediglich vorübergehender Unmöglichkeit liegt, die nach herrschender Meinung dem Anwendungsbereich des § 275 Abs. 1 BGB nicht unterfällt, sondern nur verzugsbegründend wirkt (s. Jauernig/Stadler, 18. Aufl. 2021, § 275 BGB Rn. 10 m.w.N.). Diskussionsbedürftig war dies unter dem Gesichtspunkt, dass die behördliche Maßnahme befristet war und auf dieser Basis lediglich ein ­– bereits dem allgemeinen Sprachverständnis entsprechendes – „vorübergehendes“ Hindernis darstellte. Jedoch sind vorübergehende Hindernisse dauerhaften jedenfalls dann gleichzustellen, wenn sie den Vertragszweck in Frage stellen und damit eine Nachholung ausgeschlossen ist. Dies hat der BGH in der vorliegenden Entscheidung unter Verweis auf den Zweck eines Fitnessstudiovertrags, eine regelmäßige sportliche Betätigung zu ermöglichen zur Erreichung bestimmter Fitnessziele oder der Erhaltung von Fitness und körperlicher Gesundheit, angenommen:

Ein anderes Ergebnis könne auch nicht im Wege der (ergänzenden) Vertragsauslegung erreicht werden. Insbesondere sei keine stillschweigende Vereinbarung dahingehend getroffen worden, dass der Fitnessstudiobetreiber berechtigt sein solle, entsprechend § 315 Abs. 1 BGB sein Studio nach Billigkeit für einen begrenzten Zeitraum zu schließen, und dem Kunden im Gegenzug ein Recht auf Nachholung der verpassten Trainingszeit einzuräumen.

2. Keine Anpassung nach § 313 Abs. 1 BGB

Nach der Auffassung des BGH kann der Fitnessstudiobetreiber dem Kunden auch nicht entgegenhalten, dass der Vertrag wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB dahingehend anzupassen gewesen sei, dass die vereinbarte Vertragslaufzeit um den Schließungszeitraum zu verlängern sei. Dies beruhe auf dem Anwendungsbereich des § 313 BGB und damit letztlich auf dem Konkurrenzverhältnis der Vorschriften zur Unmöglichkeit und § 313 BGB. Ein Rückgriff auf die Störung der Geschäftsgrundlage sei nur dort möglich, wo spezielle Regelungen zur Behebung einer Leistungsstörung fehlen würde. E contrario könne dort keine Korrektur mehr über § 313 BGB erfolgen, wo die Rechtsfolgen eines Leistungshindernisses – wie im vorliegenden Fall – bereits abschließend geregelt würden:

Dieses dogmatisch zwingende Ergebnis verstärkt der BGH durch einen Pendelblick auf Art. 240 § 5 EGBGB, der – rechtlich im Wege der Ersetzungsbefugnis – für den Fall der Zahlung für Freizeitveranstaltungen und -einrichtungen die Berechtigung schafft, dem Inhaber einer vor dem 8.3.2020 erworbenen Nutzungsberechtigung für eine Freizeiteinrichtung anstelle der vertraglich geschuldeten Leistung einen Gutschein zu übergeben, wenn die Freizeiteinrichtung aufgrund der COVID-19-Pandemie zu schließen gewesen ist. In einfacheren Worten: Macht der Kunde seinen aufgrund der Unmöglichkeit der Leistung bestehenden Anspruch auf Rückzahlung nach §§ 326 Abs. 4, 346 ff. BGB geltend, kann der Fitnessstudiobetreiber diesen durch Übergabe eines Gutscheins in entsprechender Höhe erfüllen. Durch die Schaffung dieser Spezialnorm habe der Gesetzgeber eine abschließende Regelung getroffen, um die Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungs- und Freizeitbereich abzufedern:

Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber für Miet- und Pachtverträge über Grundstücke und Räume, die keine Wohnräume sind, in Art. 240 § 7 EGBG eine Vermutung aufgestellt habe, dass bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale ein Fall des § 313 Abs. 1 BGB gegeben sei. Der Umstand, dass für diesen Bereich eine entsprechende Regelung geschaffen worden sei, lasse darauf schließen, dass in anderen Bereichen ein Rückgriff auf § 313 BGB nicht möglich sein solle:

Ein Anspruch des Betreibers auf eine Anpassung nach § 313 BGB sei damit in hiesiger Konstellation ausgeschlossen.

III. Fazit

Die Entscheidung des BGH ist nicht nur unter Verbraucherschutzgesichtspunkten begrüßenswert, sondern auch rechtlich vollumfänglich überzeugend. Streng subsumiert führt die behördliche Schließungsanordnung nach allgemeinen Grundsätzen dazu, dass der Fitnessstudiobetreiber seiner Leistungspflicht nicht mehr nachkommen kann, § 275 Abs. 1 BGB. Dementsprechend entfällt die Gegenleistungspflicht nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB, sodass der Kunde bereits entrichtete Beiträge gemäß §§ 326 Abs. 4, 346 ff. BGB zurückverlangen kann, sofern der Betreiber nicht von der „Gutscheinlösung“ gemäß Art. 240 § 5 EGBGB Gebrauch macht. Eine Anpassung nach den Grundsätzen zur Störung der Geschäftsgrundlage kommt aufgrund der Subsidiarität des § 313 BGB nicht in Betracht. In einer Klausur wird es im Wesentlichen auf eine saubere Subsumtion und eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Konkurrenzverhältnis von § 275 BGB und § 313 BGB ankommen; das Ergebnis dürfte vom BGH zwingend vorgegeben sein.

07.06.2022/0 Kommentare/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2022-06-07 08:30:002022-08-03 08:30:22BGH: Unmöglichkeit bei pandemiebedingter Schließung des Fitnessstudios
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Mieterhöhung trotz Irrtums über die Größe der Wohnung wirksam

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Mit am Dienstag veröffentlichtem Urteil vom 11.12.2019 (Az. VIII ZR 234/18) hat der BGH festgestellt, dass Mieterhöhungen selbst dann wirksam sein können, wenn der Berechnung jahrelang eine falsche Quadratmeterzahl zugrunde gelegt wurde – soweit die höhere Miete unter der ortsüblichen Vergleichsmiete bleibt. Ein Anspruch des Mieters auf Rückzahlung aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB bzw. eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB komme nicht in Betracht. Der Fall ist dabei nicht nur praktisch interessant, sondern erfordert auch eine Auseinandersetzung mit verschiedenen rechtlichen Problemen wie der Behandlung des beiderseitigen Kalkulationsirrtums sowie den Voraussetzungen einer Vertragsanpassung nach § 313 BGB – die erhöhte Klausur- und Examensrelevanz liegt damit auf der Hand. Im Rahmen dieses Beitrags sollen daher die Grundzüge der Entscheidung dargestellt und erläutert werden.
 
Anmerkung: Einen ausführlichen Grundlagenbeitrag zur Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB  findet ihr hier.
 
A) Sachverhalt (leicht abgewandelt und vereinfacht)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: M war im Zeitraum vom 1.7.2006 bis zum 31.12.2014 Mieter einer Wohnung des V in D. Die ursprüngliche Kaltmiete belief sich auf 495 €, wobei der schriftliche Mietvertrag keine Angaben zur Größe der Wohnung enthielt. V übersandte dem M mit Schreiben vom 26.7.2007, 21.1.2009, 21.3.2011 und 28.6.2013 insgesamt vier Mieterhöhungsverlangen, in denen V ausgehend von einer Wohnfläche von 114 qm jeweils erhöhte Grundmieten errechnete, die allerdings immer noch deutlich unter der ortsüblichen Vergleichsmiete nach dem Mietspiegel der Stadt D. lagen, der den genannten Schreiben jeweils beigefügt war. M stimmte jedem Erhöhungsverlangen schriftlich zu und zahlte fortan die erhöhten Mieten. Im Jahre 2013 kamen dem M erstmals Zweifel über die Größe der Wohnung; er beauftragte einen Sachverständigen, welcher eine Größe von etwa 100 qm feststellte. Nunmehr begehrt der M Rückzahlung der vermeintlich zu viel gezahlten Miete.
 
B) Rechtsausführungen
Die Vorinstanz, das LG Dresden, hat unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils den V zur Zahlung verurteilt. Der BGH hat das Urteil nunmehr aufgehoben – der M habe keinen Anspruch auf Rückzahlung der auf falscher Berechnungsgrundlage beruhenden Miete. Doch der Reihe nach:
 
I. Anspruch auf Rückzahlung aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB
Ein Anspruch auf Rückzahlung aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB sei nicht gegeben. Zwar habe der V durch Leistung des M etwas erlangt; indes bestehe nach Ansicht des BGH unabhängig von der Einhaltung der mietrechtlichen Vorschriften nach §§ 558, 558a BGB ein Rechtsgrund in den wirksamen Vereinbarungen der Parteien über die Erhöhung der Miete. Denn die Vereinbarungen seien dahingehend auszulegen, dass sie sich in dem explizit genannten Betrag, auf den die Nettokaltmiete erhöht wurde, erschöpfen; nicht dagegen sei die Wohnfläche, die der Berechnung zugrunde gelegt wurde, Vertragsinhalt – hierbei handele es sich lediglich um den (insofern unerheblichen) Grund zur vom M akzeptierten Vertragsänderung. Ausdrücklich formuliert der BGH:

„Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es im Falle einer Zustimmung des Mieters zu einem Mieterhöhungsbegehren des Vermieters nicht darauf an, ob das Begehren des Vermieters den formellen Anforderungen des § 558a BGB entsprochen und dem Vermieter ein materieller Anspruch auf Zustimmung zu der begehrten Mieterhöhung (§ 558 Abs. 1 BGB) zugestanden hat. Denn durch die Zustimmung des Mieters zu einem Mieterhöhungsverlangen des Vermieters kommt – nach allgemeiner Meinung – eine vertragliche Vereinbarung zwischen Mieter und Vermieter über die Erhöhung der Miete zustande [..]. Dass eine solche vertragliche Vereinbarung neben den gesetzlich vorgesehenen einseitigen Mieterhöhungen und dem (gerichtlichen) Mieterhöhungsverfahren nach § 558, § 558b BGB möglich ist, ergibt sich aus § 557 Abs. 1 BGB. […]. Die hier in Rede stehenden Mieterhöhungsvereinbarungen sind dahin auszulegen, dass die Miete auf den darin jeweils explizit genannten neuen Betrag erhöht wird und nicht lediglich auf den geringeren Betrag, der sich durch Multiplikation des jeweils erhöhten Quadratmeterbetrages mit der tatsächlichen Wohnfläche ergibt. […] Gegenstand der vereinbarten Mieterhöhungen ist hier der jeweils genannte Betrag, auf den die Nettomiete für die Wohnung erhöht wurde. Bei der Wohnfläche, die zur Ermittlung dieser neuen (erhöhten) Miete genannt war, handelt es sich hingegen – ebenso wie bei der gleichfalls explizit angegebenen ortsüblichen Vergleichsmiete (je qm) – lediglich um den (nicht zum Vertragsinhalt gewordenen) Grund für die von den Beklagten angestrebte und vom Kläger akzeptierte Vertragsänderung.“ (Rn. 15 ff.)

Mit anderen Worten: Unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen nach §§ 558, 558a BGB können die Vertragsparteien privatautonom eine Mieterhöhung vereinbaren. Dies ist durch die Schreiben des V und die schriftlichen Zustimmungen des M sowie die darauffolgende Zahlung der erhöhten Mieten im vorliegenden Fall geschehen. Die Vereinbarung der Parteien ist dahingehend auszulegen, dass sich die Miete auf den in den Schreiben benannten Betrag erhöht. Die Wohnfläche, die als Berechnungsgrundlage angegeben wurde, ist hingegen nach Auslegung vom objektiven Empfängerhorizont nach §§ 157, 133 BGB kein Vertragsinhalt geworden, sodass der diesbezügliche gemeinsame Irrtum die Wirksamkeit der Abrede nicht hindert. Da ein Rechtsgrund besteht, scheidet ein Anspruch auf Rückzahlung aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB also aus.
 
Anmerkung: Ein Kalkulationsirrtum berechtigt grundsätzlich nicht zur Anfechtung nach § 119 BGB. Denn derjenige, der aufgrund einer für korrekt gehaltenen, tatsächlich aber unzutreffenden Berechnungsgrundlage einen bestimmten Preis oder eine Vergütungsforderung ermittelt und diese seiner Willenserklärung zugrunde legt, trägt das Risiko dafür, dass seine Kalkulation zutrifft. Insofern handelt es sich um einen unerheblichen Motivirrtum (BeckOK BGB/Wendlandt, 52. Edition, Stand: 01.11.2019, § 119 Rn. 33 m.w.N.). Liegt – wie hier – ein gemeinsamer Irrtum der Parteien vor, sind die Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage heranzuziehen (BeckOK BGB/Wendlandt, 52. Edition, Stand: 01.11.2019, § 119 Rn. 34).
 
II. Anspruch auf Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1, 2 BGB
Ein Anspruch auf Vertragsanpassung auf die jeweils geringere Miete nach den Grundsätzen zur Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1, 2 BGB erscheint denkbar. Als eine vom Grundsatz pacta sunt servanda abweichende Regelung betrifft die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB den Fall, dass Umstände von vornherein fehlen oder nachträglich wegfallen, die für eine Vertragspartei so wesentlich sind, dass der Vertrag geändert oder aufgehoben werden muss, weil ein Festhalten am unveränderten Vertrag sich als unzumutbar darstellen würde.
 
1. Wegfall oder Fehlen der Geschäftsgrundlage

Erforderlich ist hierfür zunächst, dass es sich die Geschäftsgrundlage, also ein Umstand, dessen (Fort-)Bestand von jedenfalls einer Vertragspartei vorausgesetzt wurde – der zwar nicht Vertragsinhalt geworden ist, aber der nach der Intention zumindest einer Partei erforderlich ist, um den Vertrag als sinnvolle Regelung aufrechtzuerhalten, nachträglich weggefallen ist bzw. sich schwerwiegend verändert hat (§ 313 Abs. 1 BGB) oder von vornherein fehlt (§ 313 Abs. 2 BGB). Dies betrifft im vorliegenden Fall die Wohnfläche, die die Parteien aufgrund des beiderseitigen Kalkulationsirrtums den jeweiligen Mieterhöhungsvereinbarungen zugrunde gelegt haben.
 
2. Hypothetisches Element
Dieser Umstand, der von der Vertragspartei vorausgesetzt wurde, also im konkreten Fall die für größer gehaltene Wohnfläche, muss überdies so wesentlich sein, dass die Vertragspartei ohne ihn den Vertrag nicht bzw. zu anderen Konditionen abgeschlossen hätte. Hier muss also die Frage gestellt werden, ob die Partei den Vertrag ggf. mit anderem Inhalt abgeschlossen hätte, wenn sie die wesentliche Veränderung des Umstands vorhergesehen hätte. Im betreffenden Fall ist bereits fraglich, ob die Parteien bei Kenntnis der tatsächlichen Wohnfläche die Mieterhöhungsvereinbarungen nicht oder nicht mit demselben Inhalt geschlossen hätten. Dagegen könnte sprechen, dass sich die vereinbarte erhöhte Miete noch deutlich unter der ortsüblichen Vergleichsmiete befand sowie dass die Voraussetzungen des § 558 BGB, unter denen der V ohnehin ein berechtigtes Verlangen nach einer Mieterhöhung gehabt hätte, vorlagen; dies kann als Indiz gewertet werden. Gleichwohl hat der M „in den Tatsacheninstanzen vorgetragen, dass es ihm auf die Wohnfläche entscheidend angekommen sei und er bei Kenntnis der wahren Wohnfläche einer Mieterhöhung nicht zugestimmt, sondern dass Mietverhältnis gekündigt hätte.“ (Rn. 22) Vor diesem Hintergrund kann auch davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Wohnfläche als derart wesentliche Geschäftsgrundlage einzuordnen ist, dass der M in deren Kenntnis den Vertrag so nicht abgeschlossen hätte. Der BGH hat dies letztlich offen gelassen, da es ohnehin an der Unzumutbarkeit mangelte.
 
3. Normatives Element
Denn: In einem dritten Schritt ist zu prüfen, ob der Partei das Festhalten am unveränderten Vertrag zugemutet werden kann. Hierbei handelt es sich um eine Wertungsentscheidung, die eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erfordert. Wie § 313 Abs. 1 BGB vorgibt, fließen hierbei insbesondere vertragliche oder gesetzliche Risikoverteilungen ein. Unzumutbarkeit ist folglich nicht gegeben, wenn es sich um einen Umstand handelt, der dem Risikobereich der Vertragspartei zuzuordnen ist. Dass gemeinsame Irrtümer der Vertragsbeteiligten, die zu einer fehlerhaften Berechnung auf einer als maßgeblich erachteten Berechnungsgrundlage geführt haben, eine Anpassung über § 313 BGB rechtfertigen können, entspricht der wohl herrschenden Meinung (exemplarisch MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl. 2019, § 313 Rn. 278). Dies hat der BGH unter anderem in einer Entscheidung aus dem Jahre 2004 explizit für Grundstücksflächen im Kontext eines Kaufvertrages entschieden:

„Ist bei dem Verkauf einer noch zu vermessenden Grundstücksfläche der Kaufgegenstand in der notariellen Urkunde sowohl durch eine bestimmte Grenzziehung in einem maßstabsgerechten Plan als auch durch eine als ungefähr bezeichnete Flächenmaßangabe bestimmt, kommt die Anpassung oder Auflösung des Vertrags nach den Grundsätzen vom Fehlen der Geschäftsgrundlage in Betracht, wenn die Parteien bei Vertragsschluss übereinstimmend davon ausgingen, dass die Größe der zeichnerisch dargestellten Fläche in etwa der bezifferten Flächengröße entspricht und das Ergebnis der Vermessung davon wesentlich abweicht“ (Urt. v. 30.1.2004 – V ZR 92/03, NJW-RR 2004, 735)

Eine noch höhere Relevanz erlangt in diesem Kontext ein anderes Urteil, ebenfalls aus dem Jahre 2004, in dem der BGH feststellte, dass für ein Mieterhöhungsverlangen nicht die vereinbarte, sondern die tatsächliche Größe der Wohnung entscheidend ist, denn ansonsten könnte der Vermieter eine Miete erzielen, die über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt (s. BGH, Urt. v. 07.07.2004 – VIII ZR 192/03, BeckRS 2004, 07041).
In Abgrenzung hierzu hat der BGH in der aktuellen, hier zu besprechenden Entscheidung nunmehr aber die Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag bejaht. Zwar hat der BGH herausgestellt, die (richtige) Ermittlung der Wohnfläche sei grundsätzlich der Risikosphäre des Vermieters zuzuordnen (Rn. 24; s. auch Urt. v. 7.7.2004 – VIII ZR 192/03, aaO unter II 2 a sowie v. 18.11.2015 – VIII ZR 266/14, BGHZ 205, 18 Rn. 28). Dennoch bestehe im konkreten Fall die Besonderheit, dass die unzutreffende Berechnungsgrundlage sich schon deswegen nicht zu Lasten des Mieters ausgewirkt habe, weil dem Vermieter letztlich auch bei Berücksichtigung der tatsächlichen Wohnfläche ein Anspruch auf Zustimmung zur begehrten Mieterhöhung nach § 558 Abs. 1 BGB zugestanden hätte:

„Jedenfalls spricht nichts dafür, dass sich die wirtschaftliche Situation des Klägers in irgendeiner Weise günstiger dargestellt hätte, wenn er bei Kenntnis der tatsächlichen Wohnfläche eine Mieterhöhung abgelehnt und das Mietverhältnis gekündigt hätte. Denn in diesem Fall wären dem Kläger durch die Suche einer neuen Wohnung Mühen und Kosten entstanden und ist nicht ersichtlich, dass anderweit eine vergleichbare Wohnung zu einer unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete liegenden Miete zur Verfügung gestanden hätte. Der den Beklagten bei den Mieterhöhungsbegehren bezüglich der Wohnfläche unterlaufene Fehler hatte somit für den Kläger keine negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, so dass ihm ein unverändertes Festhalten an den Vereinbarungen auch zumutbar ist. Da eine Anpassung der Mieterhöhungsvereinbarungen auf eine jeweils geringere Miete somit nicht in Betracht kommt, besteht der Rechtsgrund für die vom Kläger erbrachten (erhöhten) Mietzahlungen fort.“ (Rn. 26)

Der BGH lehnt also auch einen Anspruch aus § 313 Abs. 1, 2 BGB auf Vertragsanpassung mangels Unzumutbarkeit ab.
 
C) Fazit
Zusammenfassend gilt: Eine Mieterhöhung kann auch dann wirksam sein, wenn die Wohnung tatsächlich kleiner ist als vom Vermieter im Rahmen der Berechnung zugrunde gelegt. Ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB kommt mangels fehlenden Rechtsgrundes dann nicht in Betracht, wenn eine wirksame Parteivereinbarung vorliegt, die dahingehend auszulegen ist, dass ausschließlich der konkret genannte Betrag und nicht die der Berechnung zugrunde gelegte Wohnfläche Vertragsinhalt geworden ist. Auch eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen zur Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1, 2 BGB scheidet aus, wenn ein Festhalten am Vertrag dem Mieter mangels negativer wirtschaftlicher Auswirkungen durch die Mieterhöhungsabrede zumutbar ist. Das ist dann der Fall, wenn die Miete unter der ortsüblichen Vergleichsmiete bleibt. Anderes kann sich aber dann ergeben, wenn durch die auf falscher Berechnungsgrundlage beruhende Erhöhungsvereinbarung zu einer Miete führt, die die ortsübliche Vergleichsmiete übersteigt. In einer Klausur sollte daher genaues Augenmerk auf die im Sachverhalt konkret genannten Aspekte gelegt werden, um anhand dieser eine Zumutbarkeitsabwägung vornehmen zu können.
 
 

06.02.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-02-06 09:05:562020-02-06 09:05:56BGH: Mieterhöhung trotz Irrtums über die Größe der Wohnung wirksam
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Mängelgewährleistung beim Kauf von Anteilen an einer GmbH (share deal)

BGH-Klassiker, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite

In seinem Urteil vom 26.09.2018 (Az.: VIII ZR 187/17, NZG 2018, 1305) hat sich der BGH mit dem Mängelgewährleistungsrecht beim Kauf von Mitgliedschaftsrechten an einer GmbH auseinandergesetzt. Die Entscheidung betrifft schwerpunktmäßig den Klassiker, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen bei einem Anteilskauf (share deal), der als solcher einen Rechtskauf i.S.v. § 453 Abs. 1 Alt. 1 BGB darstellt, die für einen Sachkauf geltenden Gewährleistungsrechte der §§ 434 ff. BGB gelten können. Thematisiert wird außerdem das Verhältnis des Mängelgewährleistungsrecht zur Störung der Geschäftsgrundlage. Flankiert wird dabei die Problematik, ob die Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB herangezogen werden können, wenn bei dem Kauf der Mitgliedschaftsrechte die Vertragsparteien irrtümlich von der Solvenz der Gesellschaft ausgehen. Die hohe Examensrelevanz liegt damit auf der Hand: Kombiniert werden kann klassisches Mängelgewährleistungsrecht, das durch die Grundsätze des Unternehmenskaufs den Studierenden auf regelmäßig unvertrautem Terrain begegnet und insofern auf erhöhtem Schwierigkeitsgrad abgeprüft werden kann, mit dem Schuldrecht AT-Institut der Störung der Geschäftsgrundlage.
 

Anmerkung: Dass die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB den Rechtsanwender regelmäßig vor Probleme stellt, liegt schon in der Fassung der Norm begründet, die eine Vielzahl an unbestimmten Rechtsbegriffen und Wertungsgesichtspunkten enthält. Empfohlen wird daher unser Grundlagenbeitrag, der die Grundzüge der Störung der Geschäftsgrundlage darstellt und typische Fallkonstellationen aufzeigt.

 
A. Sachverhalt (vereinfacht und abgewandelt):
A und B sind beide zu je 50% an der C-GmbH beteiligt. Nach Meinungsverschiedenheiten vereinbaren die beiden, dass der A die vom B gehaltenen Anteile kaufen soll. Um den Wert der C-GmbH zu ermitteln, gibt der A bei einer Wirtschaftsprüfgesellschaft ein Gutachten in Auftrag, dem die Werte des Jahresabschlusses 2009 zugrunde gelegt werden und das unter Berücksichtigung von Einwänden des B ergänzt wird. Ausgehend von diesen Berechnungsgrundlagen veräußert der B seine Anteile an der C-GmbH durch notariellen Vertrag vom 5.10.2011 zu einem Kaufpreis von 4 Mio. Euro an den A. Der Kaufvertrag enthält dabei detaillierte Regelungen, zum Beispiel verschiedene Garantievereinbarungen im Hinblick auf das rechtswirksame Bestehen der Geschäftsanteile sowie die nicht vorhandene Belastung mit Rechten Dritter. Auch sollen gesetzliche Gewährleistungsansprüche ausgeschlossen sein, „soweit dies rechtlich möglich ist“. Vereinbart wird zudem, dass der Vertrag hinsichtlich dessen Gegenstandes das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend regeln soll. Nicht thematisiert wird jedoch, ob die finanzielle Lage des Unternehmens als Beschaffenheit der Anteile anzusehen ist. Nachdem A den Kaufpreis gezahlt hat, kommen ihm allerdings Zweifel, ob er ein gutes Geschäft gemacht hat. Für den Prüfbericht zum Jahresabschluss für das Jahr 2011 beauftragt er ein anderes Wirtschaftsprüfunternehmen, das feststellt, dass in den Jahren 2008-2010 massive Abgrenzungsfehler unterlaufen sind. Insbesondere der Jahresabschluss 2009, an dem sich die Parteien schwerpunktmäßig im Rahmen der Kaufpreisfindung orientiert haben, weist deutlich zu hohe Umsatzerlöse aus. Hätten die Parteien die zutreffenden Unternehmenszahlen zugrunde gelegt, hätte sich der Kaufpreis „auf allenfalls Null“ belaufen.
A ist empört und verlangt von B Rückzahlung des Kaufpreises sowie die Zahlung weiterer 4 Mio. Euro zur Sanierung der C-GmbH, gestützt auf Ansprüche auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage sowie hilfsweise auf Gewährleistungsansprüche. Zu Recht?
 
B. Lösung
Fraglich ist, ob der A einen Zahlungsanspruch hat.
 
I. Anwendbarkeit der Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage
Ein solcher könnte sich aus einem Anspruch auf Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1, 2 BGB ergeben. Damit ein Anspruch auf Vertragsanpassung bestehen kann, müssen die Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage aber überhaupt anwendbar sein. Die Norm kommt nämlich erst dann in Betracht, wenn keine spezielleren Regelungen, deren Wertungen nicht unterlaufen werden dürfen, einschlägig sind. Insbesondere ist nach nahezu einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass § 313 BGB nicht zur Anwendung gelangt, wenn die Störung der Geschäftsgrundlage auf einem Mangel der Kaufsache beruht und die Vorschriften über die Mängelhaftung gemäß §§ 434 ff. BGB einschlägig sind. Denn – und so führt es der BGH in der vorliegenden Entscheidung aus –
 
„nach § 313 Abs. 1, 2 BGB kommt die Anpassung eines Vertrags wegen wesentlicher Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind und sich als falsch herausstellen, nur in Betracht, wenn und soweit die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie dieser Fehlvorstellung nicht erlegen wären (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 16. September 2008 – VI ZR 296/07, VersR 2008, 1648 Rn. 23; MünchKomm-BGB/Finkenauer, 7. Aufl., § 313 Rn. 58), und einem Vertragsteil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. In diesem Verweis auf die gesetzliche Risikoverteilung kommt zum Ausdruck, dass eine Anwendung der Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage auszuscheiden hat, wenn und soweit es um Fehlvorstellungen geht, deren Auswirkungen auf den Vertrag der Gesetzgeber bereits durch Aufstellung bestimmter gesetzlicher Regeln zu erfassen versucht hat (vgl. Senatsurteil vom 18. November 2015 – VIII ZR 266/14, BGHZ 208, 18 Rn. 23). Dementsprechend kann § 313 BGB im Anwendungsbereich der kaufrechtlichen Sach- und Rechtsmängelhaftung grundsätzlich nicht herangezogen werden, da andernfalls die den Bestimmungen der §§ 434 ff. BGB zugrunde liegende Risikoverteilung durch die Annahme einer Störung der Geschäftsgrundlage verändert werden würde. Das gilt auch dann, wenn die Voraussetzungen einer Mängelhaftung im Einzelfall– etwa aufgrund eines wirksamen Haftungsausschlusses, wie ihn das Berufungsgericht vorliegend angenommen hat – nicht gegeben sein sollten.“ (Rn. 15 f.)
 
Mit anderen Worten: Selbst, wenn – wie hier – vertraglich vereinbart wird, dass gesetzliche Gewährleistungsansprüche ausgeschlossen sein sollen, können die Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage nicht herangezogen werden, soweit es sich bei den Fehlvorstellungen der Parteien um einen Mangel handelt.
 
II. Mangel der Kaufsache
Daher ist vorrangig zu prüfen, ob das hohe negative Eigenkapital der C-GmBH denn überhaupt einen Mangel der Kaufsache darstellt. Wichtig ist dabei, dass es sich gerade um einen Kauf von Anteilen an einer GmbH – also einen Rechtskauf – handelt, der als solcher nach § 453 BGB beurteilt wird. Ein Rechtsmangel liegt vor, „wenn das verkaufte Recht nicht in dem vertraglich festgelegten Umfang besteht oder ihm andere Rechte entgegenstehen“ (BeckOK/Faust, 48. Edt., Stand: 01.11.2018, § 453 BGB Rn. 10). Das ist etwa der Fall, wenn der Gesellschaftsanteil mit Rechten Dritter belastet ist. Problematisch ist indes, ob die Überschuldung des Unternehmens einen Rechtsmangel bedeuten kann. Hier gilt der Grundsatz, den vermutlich jeder Examenskandidat schon einmal gehört hat: Der Verkäufer haftet grundsätzlich nur für die Verität, nicht aber für die Bonität. Das bedeutet konkret, dass die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Rechts oder der Zustand der Sache, auf den sich das Recht bezieht, nicht erfasst ist; beim share deal ist also nur maßgeblich, dass der Anteil in entsprechender Höhe besteht, gehaftet wird aber nicht für den Wert des Anteils oder etwaige Mängel des von der GmbH betriebenen Unternehmens (Jauernig/Berger, 17. Aufl. 2018, § 453 BGB Rn. 4), soweit keine entsprechenden Garantien vereinbart wurden. Laut Sachverhalt haben die Parteien hinsichtlich der finanziellen Lage des Unternehmens aber keine Garantie vereinbart. Hiervon ausgehend müsste man das Vorliegen eines Mangels mithin verneinen.
 
Etwas anderes könnte sich aber aus den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Unternehmenskauf ergeben: Der BGH vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass der
 
„Kauf von Mitgliedschaftsrechten an einer GmbH zwar als Rechtskauf angesehen und die Gewährleistung gemäß den hierfür in § 433 Abs. 1 Satz 2, §§ 437 ff. BGB aF vorgesehenen Regelungen – die eine Haftung grundsätzlich nur für den Bestand des Rechtes (Verität) vorsahen – bemessen  [wird], auf Mängel des von der GmbH betriebenen Unternehmens jedoch die Vorschriften über die Sachmängelhaftung für die Fälle entsprechend herangezogen [werden], in denen sich der Erwerb dieses Rechts sowohl nach der Vorstellung der Parteien als auch objektiv als Kauf des Unternehmens selbst und damit bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise als Sachkauf darstellte […]. Ein solcher Unternehmenskauf wurde insbesondere dann bejaht, wenn der Käufer von seinem Verkäufer sämtliche oder nahezu sämtliche Geschäftsanteile (vgl. hierzu Senatsurteile vom 2. Juni 1980 – VIII ZR 64/79, NJW 1980, 2408 unter II 2 a; vom 4. April 2001 – VIII ZR 32/00, aaO [jeweils zu §§ 459 ff. BGB aF]) erwarb und damit, ohne durch die Befugnisse von Mitgesellschaftern beeinträchtigt zu sein, uneingeschränkt über das Unternehmen verfügen konnte, obgleich formell die GmbH Trägerin des Unternehmens und Eigentümerin der Sachwerte desselben blieb.“ (Rn. 19 f.)
 
Das heißt, dass, auch wenn ein Rechtskauf stattgefunden hat, das Sachmängelgewährleistungsrecht beim Unternehmenskauf Anwendung finden kann, sodass unter Umständen auch Mängel des „Substrats“ des Unternehmens geltend gemacht können. Der share deal wird insoweit dem asset deal– dem Kauf der einzelnen Unternehmensgegenstände – gleichgestellt. Die Voraussetzung ist aber, dass es sich aber bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise sowohl aus Sicht der Vertragsparteien als auch nach den objektiven Umständen um einen Kauf des ganzen Unternehmens, also faktisch um einen Sachkauf, handelt – wobei im Einzelnen umstritten ist, ab welcher Grenze der Kauf des ganzen Unternehmens angenommen werden kann. Unabhängig davon, ob denn überhaupt das hohe negative Eigenkapital der GmbH als Sachmangel des Unternehmens angesehen werden kann, muss daher zunächst die Frage beantwortet werden, ob im vorliegenden Fall bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ein Kauf des gesamten Unternehmens anzunehmen ist.
 
Das hat der BGH im Gegensatz zur Berufungsinstanz mit der Begründung verneint, dass der Käufer vorliegend nur einen Anspruch auf Übertragung der Hälfte der Anteile hatte: Es fehle damit „nach der Parteivorstellung und der Verkehrsanschauung an einem – gemäß den dargestellten Grundsätzen für die entsprechende Anwendung der Sachmängelhaftung entscheidenden – auf den Erwerb des Unternehmens insgesamt gerichteten Ziel des Vertrags“ (Rn. 26). Die Berufungsinstanz habe missverstanden, dass es nicht darum gehe, dass der A nunmehr 100% der Anteile halte; vielmehr sei lediglich der konkrete Kaufgegenstand entscheidend – und das seien eben nur 50% der Anteile. Denn die Anwendung der §§ 434 ff. BGB könne nicht von Umständen außerhalb des Vertrags abhängen, auch wenn der A dadurch, dass er zuvor schon 50% der Anteile gehalten hat, nunmehr im Ergebnis die alleinige Verfügungsgewalt über das Unternehmen hat. Damit bleibt es bei den Grundsätzen des Rechtskaufs – und dabei, dass die von A behauptete schlechtere finanzielle Lage des Unternehmens keinen Rechtsmangel i.S.v. § 453 Abs. 1 Alt. 1 BGB darstellt. Gesetzliche Gewährleistungsansprüche können damit, unabhängig davon, dass diese im vorliegenden Fall nach der vertraglichen Vereinbarung ohnehin ausgeschlossen sind, nicht bestehen.
 
III. Ansprüche aus § 313 Abs. 1, 2 BGB möglich
Mangels Eingreifens spezieller Regelungen kommt daher ein Anspruch auf Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1, 2 BGB in Betracht. Inwieweit der Anspruch gegeben ist, bedarf allerdings weiterer Feststellungen, sodass der BGH die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat, § 563 Abs. 1 S. 1 ZPO. Denn die Parteien seien zwar davon ausgegangen, dass das Unternehmen fortführungsfähig sein; ob und in welchem Umfang allerdings sich relevante Umstände nachträglich als falsch herausgestellt hätten und inwieweit dem A das Festhalten am unveränderten Vertrag zugemutet werden könne, sei offengelassen worden. Allein darauf, dass die Parteien im Kaufvertrag den Ausschluss gesetzlicher Gewährleistungsrechte vereinbart hätten, könne man die Zuweisung des Risikos an den A nicht stützen: „Der zwischen den Parteien geschlossene Anteilkaufvertrag enthält […]gerade – wie auch das Berufungsgericht mehrfach hervorgehoben hat – keine näheren Angaben zur wirtschaftlichen Lage der GmbH und trifft dementsprechend auch keine Aussagen darüber, wer insoweit das Risiko einer Störung des angestrebten Äquivalenzverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung tragen sollte.“ (Rn. 45) Insoweit mag man also die Entscheidung des Berufungsgerichts abwarten. Ob dem A ein Zahlungsanspruch zusteht, kann nicht abschließend beurteilt werden.
 
C. Fazit
Eine Entscheidung, die unter Billigkeitsgesichtspunkten etwas unbefriedigend erscheint, dogmatisch aber überzeugt. Zutreffend stellt der BGH fest, dass „der von den Parteien übereinstimmend und im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit bestimmte Kaufgegenstand eben keine Sache, sondern ein Recht ist“ (Rn. 32) und der Verkäufer daher nach allgemeinen Grundsätzen nur für die Verität, nicht aber für die Bonität und dementsprechend eben nicht für die Werthaltigkeit der Sache, auf die sich das Recht bezieht, haftet. Zur Vertiefung ist ein Blick in die ausführliche Begründung des BGH lohnenswert. Das Urteil ist auch interessant im Hinblick auf die Feststellungen zum Verhältnis des Mängelrechts zur Störung der Geschäftsgrundlage: Dass, wenn das Gewährleistungsrecht nicht einschlägig ist, die subsidiären Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage herangezogen werden können, darf in einer Klausur nicht übersehen werden – ob der Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1, 2 BGB dann bejaht oder verneint wird, ist zweitrangig; wichtig ist hier eine gute Argumentation.
 

07.01.2019/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-01-07 09:30:072019-01-07 09:30:07BGH: Mängelgewährleistung beim Kauf von Anteilen an einer GmbH (share deal)
Dr. Melanie Jänsch

Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB – Ein Grundlagenbeitrag

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Als eine vom Grundsatz pacta sunt servanda abweichende Regelung betrifft die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB den Fall, dass Umstände von vornherein fehlen oder nachträglich wegfallen, die für eine Vertragspartei so wesentlich sind, dass der Vertrag geändert oder aufgehoben werden muss, weil ein Festhalten am unveränderten Vertrag sich als unzumutbar darstellen würde. Dabei sind gerade Umstände maßgeblich, die die Vertragsgrundlage darstellen – die aber nicht Vertragsinhalt geworden sind. Aber welche konkreten Situationen sind hiermit gemeint? Dass die Norm den Rechtsanwender vor Probleme stellt, liegt schon im Wortlaut begründet, der „sowohl auf Tatbestands- wie auch Rechtsfolgenseite eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe oder wertungsbedürftiger Gesichtspunkte“ (so MüKoBGB/Finkenauer, 7. Aufl. 2016, § 313 Rn. 7) aufweist. Der vorliegende Beitrag soll die Grundzüge der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB darstellen und typische Fallkonstellationen aufzeigen, um die Norm besser handhabbar zu machen.
 
A. Anwendbarkeit
§ 313 BGB erstreckt sich auf alle schuldrechtlichen Verträge (Palandt/Grüneberg, 77. Aufl. 2018, § 313 Rn. 7). Dabei kommt die Norm erst dann in Betracht, wenn keine spezielleren Regelungen vorliegen. Solche können sich ergeben aus

  • vertraglichen Vereinbarungen (die auch im Wege der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB offenbar werden können); es ist hier insbesondere zu prüfen, ob ein Rücktritt oder eine auflösende Bedingung gemäß § 158 II BGB vereinbart wurde.
  • gesetzlichen Sonderregelungen, z. B. § 490 BGB oder §§ 530, 531 BGB, ebenso Rücktritts- und Kündigungsvorschriften sowie die Vorschriften über die Mängelhaftung (§§ 434 ff. BGB). § 313 BGB wird auch durch die Vorschriften der Unmöglichkeit verdrängt, denn Unmöglichkeit gemäß § 275 BGB führt automatisch zum Ausschluss der Leistungspflicht, sodass für eine Vertragsanpassung kein Raum mehr bleibt (zur Abgrenzung zur praktischen Unmöglichkeit i.S.v. § 275 II BGB s. u.). Auch vorrangig sind die Regeln der Anfechtung wegen Irrtums gemäß §§ 119 f. BGB.

 
Anmerkung: Sofern es sich um einen beiderseitigen Motivirrtum handelt, der ohnehin nicht zur Anfechtung nach §§ 119 f. BGB berechtigt, ist der Anwendungsbereich des § 313 BGB eröffnet. Umstritten ist, wie der Fall eines beiderseitigen Irrtums zu behandeln ist, der zur Anfechtung berechtigt. Da es dann vom Zufall abhinge, wer anficht und dem Vertragspartner die Ersatzpflicht nach § 122 BGB aufbürdet, wird teilweise dafür plädiert, auch hier auf § 313 BGB zurückzugreifen (zum Streitstand s. etwa MüKoBGB/Finkenauer, 7. Aufl. 2016, § 313 Rn. 146 ff.).
 
B. Voraussetzungen
I. Reales Element
Zunächst ist erforderlich, dass es sich um die Geschäftsgrundlage handelt, mithin um einen Umstand, dessen (Fort-)Bestand von jedenfalls einer Vertragspartei vorausgesetzt wurde – der zwar nicht Vertragsinhalt geworden ist, aber der nach der Intention zumindest einer Partei erforderlich ist, um den Vertrag als sinnvolle Regelung aufrechtzuerhalten (Palandt/Grüneberg, 77. Aufl. 2018, § 313 Rn. 4). Dies muss für den Vertragspartner auch erkennbar gewesen sein; einseitige Motive genügen nicht. Zur Bestimmung des Begriffs der Geschäftsgrundlage greift die Rechtsprechung auf subjektive Kriterien zurück (s. etwa BGH v. 5.1.1995 – IX ZR 85/94, DNotZ 1995, 399, 401); möglich ist es aber auch, eine Bestimmung anhand objektiver Faktoren vorzunehmen, wenn die Parteien keine konkreten Vorstellungen hatten (hierzu s. Palandt/Grüneberg, 77. Aufl. 2018, § 313 Rn. 4).
 
II. Wegfall oder Fehlen dieses Umstandes
Dieser Umstand muss entweder nachträglich weggefallen sein bzw. sich schwerwiegend verändert haben (§ 313 I BGB) oder von vornherein fehlen (§ 313 II BGB).
 
Anmerkung: Die Störung der Geschäftsgrundlage kann entweder aus Faktoren resultieren, die lediglich für den konkreten Vertrag Bedeutung haben (kleine Geschäftsgrundlage), oder aber auf grundlegenden Veränderungen der politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Rahmenbedingungen beruhen (große Geschäftsgrundlage) (Palandt/Grüneberg, 77. Aufl. 2018, § 313 Rn. 5).
 
III. Hypothetisches Element
Weiterhin muss der Umstand, der von der Vertragspartei vorausgesetzt wurde, so wesentlich sein, dass sie ohne ihn den Vertrag nicht bzw. zu anderen Konditionen abgeschlossen hätte. Hier muss also die Frage gestellt werden, ob die Partei den Vertrag ggf. mit anderem Inhalt abgeschlossen hätte, wenn sie die wesentliche Veränderung des Umstands vorhergesehen hätte.
 
IV. Normatives Element
Schließlich ist zu prüfen, ob der Partei das Festhalten am unveränderten Vertrag zugemutet werden kann. Hierbei handelt es sich um eine normative Wertungsentscheidung, die eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erfordert. Wie § 313 I BGB vorgibt, fließen hierbei insbesondere vertragliche oder gesetzliche Risikoverteilungen ein. Unzumutbarkeit ist folglich nicht gegeben, wenn es sich um einen Umstand handelt, der dem Risikobereich der Vertragspartei zuzuordnen ist.
 
Beispiel:  Ein Bürge kann sich nicht vom Bürgschaftsvertrag über § 313 I BGB lösen, wenn er nachträglich erfährt, dass der Hauptschuldner zahlungsunfähig ist – das gehört ja gerade zum Risiko des Bürgschaftsvertrags.
 
C. Typische Fallkonstellationen
Da, wie eingangs erwähnt, die Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe die Handhabung des Instituts erschwert, haben sich verschiedene – nicht abschließende – Fallgruppen herausgebildet, in denen § 313 BGB als einschlägig erachtet wird:

  • Äquivalenzstörung: Hierbei führt die nachträgliche Veränderung dazu, dass das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung erheblich und unvorhersehbar gestört wird, was dem allgemeinen Gedanken der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung widerspricht, z.B. im Falle einer Inflation.
  • Wirtschaftliche Unmöglichkeit: Hierunter fallen nachträgliche Erschwerungen des Schuldners aufgrund unerwartet hoher Kosten, die zu einem unzumutbar hohen Aufwand für ihn führen, zur Abgrenzung zu § 275 II BGB s.u.
  • Zweckstörung: Eine solche ist gegeben, wenn die Herbeiführung des Leistungserfolgs zwar noch möglich ist, der Gläubiger aber aufgrund erheblich veränderter Bedingungen kein Interesse mehr an der Leistung hat. Zu beachten ist, dass grundsätzlich den Gläubiger das Risiko der Verwendung der Leistung trifft; demnach kann eine relevante Zweckstörung nur vorliegen, wenn der Vertragspartner sich den Verwendungszweck ebenfalls so zu Eigen gemacht hat, dass das Verlangen nach Vertragserfüllung Treu und Glauben widerspräche (s. etwa Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 533).
  • Beiderseitiger Motivirrtum, der nicht zur Anfechtung berechtigt; nach e.A. ebenso beiderseitige Irrtümer, die zur Anfechtung berechtigen (str.), s.o.
  • Unbenannte Zuwendungen: Hierbei geht es um die Erbringung nicht äquivalenter Leistungen im Rahmen eines Kooperationsvertrags sui generis zur Verwirklichung oder Aufrechterhaltung von Lebensgemeinschaften, z.B. Schenkungen zwischen Ehegatten, weil von der dauerhaften Stabilität der Beziehung ausgegangen wird (str.). Auch hier ist der Anwendungsbereich sehr begrenzt: Die Zuwendungen müssen „die Grenze überschreiten, jenseits derer sie nicht mehr als Ausgleich für geleistete Mitarbeit oder als angemessene Beteiligung an den Früchten des ehelichen oder gemeinschaftlichen Zusammenwirkens und Wirtschaftens angesehen werden können“ (MüKoBGB/Finkenauer, 7. Aufl. 2016, § 313 Rn. 287).

 
D. Abgrenzungsprobleme
I. Praktische (auch: faktische) Unmöglichkeit gemäß § 275 II BGB
Insbesondere problematisch erscheint die Abgrenzung der praktischen Unmöglichkeit gemäß § 275 II BGB zur wirtschaftlichen Unmöglichkeit, die über § 313 BGB gelöst wird. Bei der praktischen Unmöglichkeit i.S.v. § 275 II BGB handelt es sich um „Leistungshindernisse, die nur mit völlig unverhältnismäßigem Aufwand überwunden werden können“ (Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 474) – oftmals erläutert anhand des verkauften Ringes, der bei der Übergabe ins Meer fällt. Theoretisch ist es zwar möglich, diesen wieder vom Meeresgrund zu holen; gleichwohl steht hier der für die Leistung erforderliche Aufwand in einem groben Missverhältnis zum Gläubigerinteresse. Der Unterschied zur wirtschaftlichen Unmöglichkeit besteht darin, dass i.R.v. § 275 II BGB ausschließlich das Interesse des Gläubigers am Erhalt der Leistung maßgeblich ist, während i.R.v. § 313 BGB auf den Aufwand des Schuldners, der in einem Missverhältnis zur Gegenleistung steht, abgestellt wird (BT-Drucks. 14/6040, S. 130). Das heißt: Praktische Unmöglichkeit liegt vor, wenn „die Behebung des Leistungshindernisses zwar theoretisch möglich wäre, aber von keinem vernünftigen Gläubiger ernsthaft erwartet“ werden kann. Wirtschaftliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn der Aufwand des Schuldners die Opfergrenze überschreitet, sodass er nach Treu und Glauben nicht mehr zur Erbringung der Leistung verpflichtet ist (Canaris, JZ 2001, 499, 501).
 
II. Zweckverfehlungskondiktion gemäß § 812 I 2 Alt. 2 BGB
Auch die Abgrenzung zur condictio ob rem erscheint auf den ersten Blick schwierig. Im Rahmen des § 313 BGB wird aber ein Umstand vorausgesetzt, wohingegen der verfehlte Zweck im Rahmen von § 812 I 2 Alt. 2 BGB ein vereinbarter ist. Bei der Zweckverfehlungskondiktion ist also eine Zweckabrede erforderlich, die allerdings auch konkludent zustande kommen kann (MüKoBGB/Finkenauer, 7. Aufl. 2016, § 313 Rn. 179).
 
E. Rechtsfolge
Wenn die Voraussetzungen des § 313 BGB vorliegen, kann primär die Anpassung des Vertrags verlangt werden. Ist dies nicht möglich oder der anderen Partei nicht zumutbar, kann die benachteiligte Vertragspartei gemäß § 313 III BGB zurücktreten oder – bei Dauerschuldverhältnissen – kündigen.
 
F. Fazit
Mag die Norm aufgrund der Vielzahl unbestimmter Begriffe den Rechtsanwender vor Probleme stellen, so sollte insbesondere im Hinterkopf behalten werden, dass sie nur in evidenten Sonderkonstellationen einschlägig ist; da ein von einer Vertragspartei vorausgesetzter Umstand oftmals dem Risikobereich ebendieser Partei zuzuordnen ist, wird ein Festhalten am unveränderten Vertrag regelmäßig zumutbar erscheinen – der Grundsatz ist eben pacta sunt servanda.
 
 

08.10.2018/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2018-10-08 09:30:232018-10-08 09:30:23Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB – Ein Grundlagenbeitrag

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