Der BGH äußert sich in einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 20.10.2011 – III ZR 251/10) zu den vertraglichen Pflichten einer Spielbank gegenüber einem spielsüchtigen Kunden aus einem Spielsperrvertrag. Die Entscheidung knüpft an BGH, Urt. v. 15.12.2005 – III ZR 65/05, BGHZ 165, 276 und an BGH, Urt. v. 22.11.2007 – III ZR 9/07, BGHZ 174, 255 an.
I. Sachverhalt
Der Kunde und späterer Drittwiderbeklagte hatte bei der Spielbank selber schriftlich eine Spielsperre für sieben Jahre beantragt, die ihm die Spielbank schriftlich bestätigte. Zwei Jahre später beantragte er per E-Mail eine Aufhebung der Spielsperre. Diese nahm die Spielbank vor, ohne zu prüfen, ob der Spieler von seiner Spielsucht geheilt war. Der Spieler verspielte daraufhin nach den Behauptungen der Klägerin und Widerbeklagten – der Ehefrau des Spielers – mehr als 240.000 Euro bei der Spielbank. Diesen Betrag verlangte die Klägerin aus abgetretenem Recht von der Spielbank als Schadensersatz aus dem Spielsperrvertrag.
Das LG und das OLG wiesen die Klage als unbegründet, die Drittwiderklage als unzulässig ab. Der Widerklage, mit der die Spielbank die Feststellung begehrte, dass gegen sie keine über die Klageforderung hinausgehenden Ansprüche bestanden, wurde stattgegeben. Zur Begründung führte das OLG aus, dass es einer ergänzenden Vertragsauslegung bedürfe, um festzustellen, ob die Aufhebung der Sperre pflichtwidrig war. Dabei könne als Entscheidungshilfe auf öffentlich-rechtliche Vorschriften zurückgegriffen werden. Nach den hier maßgeblichen landesrechtlichen Vorschriften konnte eine einseitig verhängte Spielsperre nach einem Jahr auf schriftlichen Antrag des Spielers aufgehoben werden. Das OLG orientierte sich daran und kam zu dem Schluss, dass es mit der Privatautonomie der Spielbank unvereinbar sei, eine weitergehende Prüfungsobliegenheit in den Sperrvertrag hineinzulesen.
II. Entscheidung
Der III. Senat gibt der Revision statt. Zunächst bestätigt er seine Rechtsprechung, wonach die geschlossenen Spielverträge wirksam sind (Rn. 9). Die Aufhebung der Spielsperre ohne Prüfung der Spielsucht stelle aber eine Pflichtverletzung i.S.d. § 280 Abs. 1 BGB dar. Auf öffentlich-rechtliche Vorschriften komme es insoweit nicht an, weil diese nichts über die zivilrechtlichen Folgen eines Sperrvertrages besagten. Außerdem habe der Spieler selbst eine Sperre für sieben Jahre beantragt. Schließlich forderten auch die öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht, dass der Sperre stets und ohne Prüfung der Spielsucht stattgegeben werde (Rn. 13). Vielmehr sei dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Spieler sich aufgrund seiner Sucht in einer Zwangslage befinde und deshalb eher des Schutzes der Rechtsordnung bedürfe. Dass der Spielbank damit eine Prüfungsobliegenheit auferlegt werde, sei dieser zuzumuten, weil sie sich vertraglich zu einer Sperre von sieben Jahren verpflichtet habe und es sich bei dem Glücksspiel grundsätzlich um eine unerwünschte Tätigkeit handele, die nur deshalb unter staatlicher Aufsicht erlaubt werde, weil so das illegale Glücksspiel eingedämmt werden könne (Rn. 10).
III. Bewertung
1. Prozessrecht
Prozessual ist das Urteil unter zwei Gesichtspunkten von Interesse: Zum einen wegen der Widerklage, zum anderen wegen der Drittwiderklage. Die Widerklage (§ 33 ZPO) darf nicht denselben Streitgegenstand haben wie die Klage, weil dem dann die anderweitige Rechtshängigkeit nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO entgegensteht. Derselbe Streitgegenstand ist aber auch dann gegeben, wenn der Widerkläger lediglich beantragt festzustellen, dass der Klageanspruch nicht besteht („negatorisches Gegenteil“). Indem die Beklagte beantragt festzustellen, dass keine weitergehenden Ansprüche bestehen, verschafft sie der Widerklage einen eigenständigen Streitgegenstand und macht diese zulässig.
Eine Drittwiderklage ist eine Widerklage, die gegen eine andere Partei als den Kläger erhoben wird. Das ist in Fällen wie dem vorliegenden sinnvoll, weil durch die Drittwiderklage der Dritte als Zeuge ausgeschaltet wird (um einen Zeugen zu gewinnen, erfolgte wohl auch die Abtretung der Forderung), denn eine Partei kann nicht als Zeuge vernommen werden, sondern allenfalls nach den §§ 445 ff. ZPO als Partei. Die Drittwiderklage ist nach h.M. zulässig, wenn sie nicht ausschließlich gegen den Dritten („isolierte Drittwiderklage“), sondern gegen diesen und gegen den Kläger erhoben wird („erweiternde Drittwiderklage“). Es müssen dann lediglich die Voraussetzungen der §§ 59, 60 ZPO über die Streitgenossenschaft beachtet werden. Warum LG und OLG die Drittwiderklage hier für unzulässig hielten, geht aus dem Urteil leider nicht hervor. Das Ziel, einen Zeugen auszuschalten, macht die Drittwiderklage jedenfalls nicht wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig, weil die Drittwiderklage dann lediglich das Gegenstück zu der Abtretung ist und für prozessuale Waffengleichheit sorgt (streitig).
2. Materielles Recht
Materiellrechtlich ist zunächst zu beachten, dass die von dem Drittwiderbeklagten geschlossenen Spielverträge nicht unwirksam sind. Das ist wichtig, weil dem Drittwiderbeklagten nur unter dieser Voraussetzung ein Schaden enstehen kann. Wären die Verträge unwirksam, hätte er einen Rückforderungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB gegen die Spielbank, der einem Schaden entgegenstehen würde. Vor diesem Hintergrund muss der BGH sich der schwierigen Aufgabe stellen, die Grenzen der vertraglichen Pflichten der Spielbank festzulegen, wobei es sich wohl um eine Nebenpflicht handelt (§ 241 Abs. 2 BGB). „Die“ richtige Antwort gibt es dabei offensichtlich nicht, sondern es handelt sich letztlich um die rechtspolitische Frage, ob bzw. wie weit man Spielsüchtige besonders schützen will oder nicht. Zumindest für den vorliegenden Sachverhalt hat der BGH einen angemessenen Ausgleich der Interessen hergestellt, wobei der entscheidende Gesichtspunkt ist, dass es sich um eine vertragliche Sperre und nicht um eine einseitige Sperre der Spielbank handelte. Verpflichtet sich die Spielbank vertraglich, einen Spieler nicht zum Spiel zuzulassen, übernimmt sie für diesen Verantwortung und ist folglich weitergehenden Nebenpflichten unterworfen als bei einer einseitigen Sperre.
IV. Examensrelevanz
Die Entscheidung ist zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen. Sie kann im ersten Examen wegen der materiellrechtlichen Probleme (Vertragsschluss, (ergänzende) Vertragsauslegung, Schaden) ebenso abgefragt werden wie im zweiten Examen, wobei hier den prozessualen Problemen (Widerklage, Drittwiderklage) besondere Beachtung geschenkt werden sollte.