Sofern eine deutsche Behörde auf Basis einer EU-Rechtsverordnung Verwaltungsakte erlässt, gilt es einige Besonderheiten im Hinblick auf die Rechtsschutzmöglichkeiten zu beachten:
Grundsatz – Anordnung des sofortigen Vollzugs
Zunächst einmal gilt für die o.g. Verwaltungsakte nicht der Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO. Rechtsbehelfe haben insoweit keine aufschiebende Wirkung. Dies ergibt sich durch eine europarechtskonforme Auslegung des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Damit der effet util (Art. 4 Abs. 3 EU) des EU-Sekundärrechtsakts gewahrt bleibt, ist durch die deutsche Behörde zwingend der sofortige Vollzug anzuordnen. Im Ergebnis wird das deutsche Verfahrensrecht damit auf den Gleichstand mit dem EU-Recht (vgl. Art. 278 AEU) und dem Recht der übrigen EG-Mitgliedstaaten gebracht, in deren Rechtsordnungen das Institut der aufschiebenden Wirkung nämlich nicht vorgesehen ist.
Rechtsbehelf nach § 80 Abs. 5 VwGO in diesem Kontext
Bei besonderer Dringlichkeit muss eine Anfechtungsklage gegen einen auf dieser Grundlage erlassenen Verwaltungsakt somit durch den Rechtsbehelf des § 80 Abs. 5 VwGO flankiert werden. Sofern eine falsche Rechtsanwendung durch die Behörde gerügt wird. Bestehen beim Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO keine Besonderheiten. Im Rahmen der Begründetheit ist wie gewohnt das Aussetzungsinteresse mit dem Vollzugsinteresse abzuwägen, wobei inzident die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu prüfen sind.
Besonderheit Rüge der Nichtigkeit des europäischen Sekundärrechtsakts
Rügt der Betroffene allerdings die Nichtigkeit des europäischen Sekundärrechtsakts, gelten andere Maßstäbe. Wenn der Betroffene vorbringt, dass die zugrundeliegende Verordnung nichtig ist, da sie gegen europäisches Primärrecht (also EU und AEU) verstößt, ist sein Rechtsbehelf nach § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich unzulässig bzw. unbegründet. Das nationale Gericht kann die Rechtmäßigkeit des europäischen Sekundärrechts nicht überprüfen, da für solche Fälle grundsätzlich ein Auslegungsmonopol des EuGH besteht. Das Gericht wäre in diesem Fall nach Art. 267 Abs. 3 AEU vorlagepflichtig und müsste die Entscheidung des EuGH abwarten. Da dieses Abwarten für den Betroffenen aber weitreichende Folgen haben kann, hat der EuGH eine Reihe von Voraussetzungen aufgestellt, bei deren kumulativen Vorliegen ausnahmsweise doch eine Entscheidung des nationalen Gerichts im einstweiligen Rechtsschutz ergehen darf.
Das Verwaltungsgericht darf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO daher erlasen,
• wenn es erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der Handlungen der Gemeinschaft hat und diese Gültigkeitsfrage, sofern der EuGH mit ihr noch nicht befasst ist, diesem vorlegt,
• wenn die Entscheidung dringlich in dem Sinne ist, dass die einstweiligen Anordnungen erforderlich sind, um zu vermeiden, dass der Antragsteller einen schweren und nicht wieder gutzumachenden Schaden erleidet,
• wenn das Gericht das Interesse der Gemeinschaft angemessen berücksichtigt und
• wenn es bei der Prüfung all dieser Voraussetzungen die Entscheidungen des EuGH oder des EuG über die Rechtmäßigkeit der Verordnung beachtet.
Prüfungsaufbau
Ein einheitlicher Prüfungsaufbau hat sich für diese Vorüberlegung noch nicht herauskristalisiert. In der Klausur bietet es sich an, den Problempunkt als Frage des Rechtsschutzbedürfnisses bei der Zulässigkeit zu prüfen. Im Rahmen der Begründetheit muss sodann bei der inzidenten Prüfung der Hauptsacheklage im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit die Nichtigkeit der Verordnung bzw. Richtlinie diskutiert werden. Hier können insbesondere die europäischen Grundrechte nach der nunmehr verbindlichen europäischen Grundrechtscharta eine Rolle spielen (vgl. Art. 6 Abs. 1 EU) und zur Nichtigkeit einer Verordnung führen. Bei dieser Prüfung wird kein besonderes Spezialwissen erwartet. Durch entsprechende Lektüre der jeweils einschlägigen europäischen Grundrechte, den Grundrechts-Prüfungsaufbau und den Grundstock der deutschen Grundrechtsdefinitionen sollte jeder Fall in diesem Kontext vertetbar zu lösen sein.
Entsprechendes gilt für einstweilige Anordnungen
Die obigen Erwägungen lassen sich im Übrigen entsprechend beim Rechtsbehelf nach § 123 VwGO in Zulässigkeit und Begründetheit einbauen, sofern ein Bürger etwa einen Folgenbeseitungungs- oder Rückforderungsanspruch aufgrund der europarechtlichen Nichtigkeit einer EU-Rechtsverordnung geltend macht.