Ein Urteil aus Iowa sorgt für Furore: Eine Zahnarzthelferin wurde von ihrem Arbeitgeber gekündigt, mit der Begründung, sie sei „unwiderstehlich“. „Das Geschäft, die Ehe und das Wohl der Familie“ des Arbeitgebers seien bei einer Weiterbeschäftigung bedroht. Dies wird wie folgt begründet:
Nach neun Jahren hatte Knight offenbar das erste Mal gemerkt, dass ihn die angeblich hautenge Kleidung seiner Assistentin von der Arbeit ablenke. Er schrieb ihr anzügliche SMS-Botschaften: „Wenn sich meine Hose wölbt, wissen Sie, dass Ihre Klamotten zu knapp sind.“ Knight glaubte ernsthaft, dass er Melissa nicht mehr länger widerstehen könne und eine Affäre begonnen hätte.
Das Gericht hielt die gegen die Kündigung gerichtete Klage für unbegründet.
Im ersten Moment wird man meinen, in Deutschland würde es eine solche Entscheidung nicht geben. Die Kündigung müsse in jedem Fall unwirksam sein. Das eine solch pauschale Antwort nicht richtig ist, soll im Nachfolgenden dargestellt werden.
I. Zulässigkeit der Kündigung nach deutschem Recht
1. Kündigungsart
Die Anwendbarkeit des KSchG vorausgesetzt (vgl. § 23 KSchG, zu einem speziellen Problem hier) bedarf die Kündigung nach § 1 Abs. 1 KSchG eines sachlichen Grundes. Als ein solcher Grund kommen personenbezogene, verhaltensbezogene oder betriebsbedingte Gründe in Betracht. Im konkreten Fall relevant kann nur eine personenbedingte oder verhaltensbedingte Kündigung einschlägig sein.
Eine personenbedingte Kündigung (§ 1 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 KSchG) liegt dann vor, wenn eine vom „Arbeitnehmer unverschuldete Störung der Vertragsbeziehung dadurch ausgelöst worden ist, dass er auf Grund persönlicher Fähigkeiten, Eigenschaften oder nicht vorwerfbarer Einstellungen nicht mehr in der Lage ist, künftig eine vertragsgerechte Leistung zu erbringen“ (BAG AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr ; AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr ). Eine verhaltensbedingte Kündigung (§ 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 KSchG) dagegen ist dann einschlägig, wenn eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten vorgelegen hat. Eine solche Pflichtverletzung setzt notwendigerweise ein vorwerfbares Verhalten des Arbeitnehmers im konkreten Fall voraus.
2. Subsumtion
Beide Kündigungsgründe könnten im konkreten Fall einschlägig sein. Kleidet sich die Arbeitnehmerin bewusst aufreizend, um beispielsweise den Arbeitgeber zu verführen und ist eine solche Bekleidung in der konkreten Beschäftigung unpassend, so liegt eine Verletzung arbeitsvertraglicher (Neben)pflichten vor, die eine Kündigung im Einzelfall rechtfertigen können. In diesem Fall bedarf es aber zumindest einer vorherigen Abmahnung, um den Arbeitnehmer auf sein unzulässiges Verhalten hinzuweisen. Gekündigt werden darf gerade nicht zur Bestrafung, sondern weil weitere Verstöße zu erwarten sind.
Liegt aber kein vorwerfbares Verhalten der Arbeitnehmerin vor, ist diese also schlichtweg „zu schön“ und verdreht damit ihrem Arbeitgeber – ohne ihr Zutun – den Kopf, so könnte eine personenbedingte Kündigung in Betracht kommen. Dabei darf es dem Arbeitnehmer nicht möglich sein, durch ein willensgesteuertes Verhalten die Störung zu beseitigen, sonst wäre die verhaltensbedingte Kündigung einschlägig. Eine solche Steuerbarkeit ist hier zu verneinen. Allerdings muss aus der Eigenschaft – hier der Optik der Arbeitnehmerin – zudem eine Einschränkung der Erfüllbarkeit der Arbeitsleistung resultieren. Dies wäre bspw. dann der Fall, wenn Kunden schlichtweg abgelenkt würden und damit eine Erbringung der Tätigkeit nicht mehr möglich ist. Dies liegt hier aber nicht vor. Vielmehr hat die Optik der Arbeitnehmerin allein Einfluss auf das Privatleben des Arbeitgebers. Fraglich ist, ob auch hierauf im Grundsatz eine Kündigung gestützt werden kann. Dies ist abzulehnen. Das Kündigungsschutzrecht lässt nur in besonderen Fällen eine Kündigung zu. Diese müssen in der betrieblichen oder wirtschaftlichen Sphäre des Arbeitgebers liegen; ein rein privater Bezug genügt bei einer personenbedingten Kündigung nicht.
Selbst bei einer verhaltensbedingten Kündigung muss eine Auswirkung der Pflichtverletzung auf das Arbeitsverhältnis in Betracht kommen; bspw. genügen rein außerdienstliche Straftaten dann nicht, wenn diese keine Rückschlüsse auf das Arbeitsverhältnis zulassen. Zumindest kann aber eine betriebsbezogene Nebenpflicht insofern konstruiert werden, dass das „Verführen“ oder „Anbaggern“ von Vorgesetzen durch aufreizende Kleidung etc. zumindest im Einzelfall eine Störung des Betriebsfriedens bewirken kann. Dennoch ist – insbesondere im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht – stets eine Abwägung geboten; ein Verbot von Beziehungen am Arbeitsplatz (entsprechend der Wal-Mart-policy in den USA) dürfte in Deutschland unzulässig sein.
Damit zeigt sich, dass die Kündigung zumindest im konkreten Fall weder auf personen- noch auf verhaltensbezogene Gründe gestützt werden kann. Dennoch empfiehlt sich zumindest im Hinblick auf eine mögliche verhaltensbedingte Kündigung eine sorgfältige Prüfung.
II. Überdies: Probleme im AGG
Des Weiteren könnte die Zulässigkeit der Kündigung auch am AGG scheitern. Hierbei müsste zunächst festgestellt werden, dass der Ausschluss der Kündigung in § 2 Abs. 4 AGG nicht wörtlich zu nehmen, da er wohl nicht mit den Richtlinien vereinbar ist (vertiefend MüKo BGB/Thüsing, § 2 AGG, Rn. 14 ff.). Zumindest muss die Wertung des AGG also auch bei der Prüfung der Kündigung beachtet werden.
Auch wenn gutes Aussehen nicht vom AGG erfasst ist, sollte zumindest kurz geprüft werden, ob nicht eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters („Jüngere sind üblicherweise schöner als Ältere“) oder wegen des Geschlechts („Frauen sind üblicherweise schöner als Männer“) in Betracht kommt. Gerade in einer mündlichen Prüfung – der Fall eignet sich hierfür perfekt – sollte dabei auf die Zusammensetzung der Kommission geachtet und damit die Antwort entsprechend angepasst werden.
III. Fazit
Obgleich im ersten Moment sofort von der Unzulässigkeit der Kündigung ausgegangen werden wird, so zeigt sich, dass hier eine differenzierte Betrachtung geboten ist. Der Fall eignet sich dabei perfekt, um die Grundsätze von verhaltens- und personenbedingter Kündigung zu wiederholen. Notwendig ist dabei nicht eine pauschale Betrachtung sondern eine sorgfältige Subsumtion des konkreten Falles. Sieht man die zusätzliche AGG-Problemaik, so wird der mündliche Prüfer vollständig überzeugt sein.
Als Fazit bleibt: Sowohl die Leser, als auch die Mitarbeiter von juraexamen.info brauchen keine Angst zu haben, aufgrund ihres guten Aussehens gekündigt zu werden… 😉