Der Bundesgerichtshof hatte in einem Urteil vom 23. November 2010 (VI ZR 35/10) wieder einmal über einen Streit bezüglich des Schadens nach einem Verkehrsunfall zu entscheiden.
Sachverhalt (umformuliert und vereinfacht)
Der Unfallgeschädigte A macht gegen den Beklagten B Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 25. Mai 2008 geltend, bei dem das Kraftfahrzeug des Klägers beschädigt wurde. Die volle Haftung des B ist dem Grunde nach unstreitig. Nach einem von A eingeholten Sachverständigengutachten belief sich der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs auf 39. 000 € brutto (32. 733, 10 € netto), der Restwert auf 18. 000 € und die geschätzten Reparaturkosten auf 23. 549, 54 € brutto (19. 789, 35 € netto). A reparierte das Fahrzeug danach in Eigenregie und veräußerte dann das Fahrzeug am 15. Oktober 2008 zu einem Preis von 32.000 Euro. A verlangt nun von B die fiktive Regulierung in Höhe der vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten. B hält dem entgegen, dass der A den Wagen noch vor Ablauf der 6-Monats-Frist veräußert habe. Deshalb könne A von ihm nicht die fiktiven Reparaturkosten verlangen. A hält dem entgegen, dass die geschätzten Reparaturkosten von 19,789,35 Euro noch unter dem Wiederbeschaffungsaufwand von 21.000 Euro liege und er deshalb sehr wohl die Reparaturkosten in dieser Höhe geltend machen könne.
B macht außerdem geltend, dass der Restwert nicht bei 18.000 Euro, sondern bei 22.890 € liege. Den Restwert habe er aufgrund des Restwertangebots aus einer Internet-Restwertbörse ermittelt, an das der A bis zum 31. Juli 2008 gebunden war. Somit liege der Wiederbeschaffungsaufwand für das Fahrzeug deutlich niedriger.
1. Kann A Reparaturkosten in Höhe von 23.549,10 € brutto (19.789,35 € netto) verlangen?
2. Kann B den Restwert von 22.890 € bei der Berechnung des Wiederbeschaffungsaufwands zugrunde legen?
Lösung
Aufgabe 1:
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats kann ein Unfallgeschädigter fiktiv die vom Sachverständigen geschätzten (über dem Wiederbeschaffungsaufwand liegenden) Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts in der Regel nur abrechnen, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiter nutzt und es zu diesem Zweck – falls erforderlich – verkehrssicher (teil-) reparieren lässt (vgl. Senatsurteile vom 29. April 2003 – VI ZR 393/ 02, BGHZ 154, 395 ff.; vom 23. Mai 2006 – VI ZR 192/ 05, BGHZ 168, 43 ff. und vom 29. April 2008 – VI ZR 220/ 07, VersR 2008, 839).
Im Streitfall sind die Voraussetzungen für eine fiktive Schadensabrechnung nicht erfüllt, da der Kläger laut Sachverhalt das unfallgeschädigte Fahrzeug bereits vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist (hier noch nicht einmal fünf ganze Monate) weiterverkauft hat.
Vorliegend sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, die ausnahmsweise eine Unterschreitung der Sechs-Monats-Frist rechtfertigen könnten.
Zwar kann der Geschädigte, der sein Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt, grundsätzlich auch vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist die Erstattung der konkret angefallenen Reparaturkosten verlangen, wenn diese den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen (Senatsurteil vom 5. Dezember 2006 – VI ZR 77/ 06, VersR 2007, 372). Vorliegend begehrt A jedoch nicht die Erstattung der konkreten Kosten der tatsächlich durchgeführten Reparatur, sondern er will seinen Schaden fiktiv auf der Basis der vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten berechnen, obwohl er das Fahrzeug nicht mindestens sechs Monate weitergenutzt hat. Diese Möglichkeit der Schadensabrechnung ist ihm jedoch – wie der BGH bereits in einem Urteil vom 29. April 2008 – VI ZR 220/ 07 entschieden hat – aus Rechtsgründen versagt.
Fehl geht vorliegend auch die Auffassung des A, die fiktive Abrechnung der Reparaturkosten sei hier bereits deshalb möglich, weil die vom ihm begehrten Reparaturkosten von 19. 789, 35 € unter dem Wiederbeschaffungsaufwand von 21. 000 € (39. 000 € abzüglich 18. 000 €) liegen würden. Denn bei den Reparaturkosten von 19. 789, 35 € handelt es sich um die geschätzten Nettoreparaturkosten. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteil vom 3. März 2009 – VI ZR 100/ 08, VersR 2009, 654) ist aber für die Vergleichsbetrachtung im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots grundsätzlich auf die Bruttoreparaturkosten abzustellen, die im Streitfall mit 23.549, 33 € über dem Wiederbeschaffungsaufwand von 21.000 Euro liegen.
Ergebnis:
Mithin kann A nicht die fiktiven Reparaturkosten in der vom Sachverständigen ermittelten Höhe von dem B verlangen. A kann lediglich die tatsächlich bei der Eigenreparatur angefallenen Reparaturkosten verlangen, muss diese jedoch konkret geltend machen. Die Obergrenze liegt jedoch beim ermittelten Wiederbeschaffungsaufwand, da der A den Wagen noch vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist weiterveräußert hat.
Aufgabe 2: Welcher Restwert ist bei der Berechnung des Wiederbeschaffungsaufwands zugrunde zu legen?
Fraglich ist, welcher Restwert der Schadensabrechnung zugrundezulegen ist: der vom Sachverständigen auf dem regionalen Markt ermittelte Restwert von 18. 000 € oder die 22. 890 €, die B über eine Internet-Restwertbörse ermittelt hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann der Geschädigte, der ein Sachverständigengutachten einholt, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, und im Vertrauen auf den darin genannten, auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelten Restwert und die sich daraus ergebende Schadensersatzleistung des Unfallgegners wirtschaftliche Dispositionen trifft, seiner Schadensabrechnung grundsätzlich diesen Restwertbetrag zugrunde legen (vgl. Senatsurteile vom 6. März 2007 – VI ZR 120/ 06, BGHZ 171, 287, 290 f.; vom 10. Juli 2007 – VI ZR 217/ 06, VersR 2007, 1243, 1244 und vom 13. Oktober 2009 – VI ZR 318/ 08, VersR 2010, 130).
Dem Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, dass der vom Sachverständigen eingeholte Restwert nicht dem auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelten Restwert entspricht.
Zudem ist hier anzuführen, dass das von B angeführte Restwertangebot sich auf das unreparierte Fahrzeug bezog und zu dem Zeitpunkt, als der Kläger das Fahrzeug in Eigenregie repariert und weiterverkauft hat (nämlich am 15. Oktober 2008), längst abgelaufen war. (31.Juli 2008). In einer solchen Situation muss der Geschädigte grundsätzlich nicht den Haftpflichtversicherer über den nunmehr beabsichtigten Verkauf seines Fahrzeugs informieren und ihm zur Einholung neuer Angebote Gelegenheit geben, weil andernfalls die dem Geschädigten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde, die ihm die Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener Regie eröffnet und deshalb auf seine individuelle Situation und die konkreten Gegebenheiten des Schadensfalles abstellt (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2005 – VI ZR 132/ 04, VersR 2005, 1448 m. w. N.). Dies entspricht dem gesetzlichen Bild des Schadensersatzes, nach dem der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens ist und grundsätzlich selbst bestimmen darf, wie er mit der beschädigten Sache verfährt (vgl. Senatsurteile vom 23. März 1976 – VI ZR 41/ 74, BGHZ 66, 239, 246 und vom 30. November 1999 – VI ZR 219/ 98, BGHZ 143, 189, 194 f.).
Ergebnis:
Im vorliegenden Fall ist also – entgegen der Auffassung des B – der Restwert in Höhe von 18.000 Euro zugrundezulegen.
Zum Abschluss noch die Leitsätze des Urteils:
1. Ein Unfallgeschädigter kann (fiktiv) die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts in der Regel nur abrechnen, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiternutzt und es zu diesem Zweck – falls erforderlich – verkehrssicher (teil-)reparieren lässt.
2. Vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist kann der Geschädigte, der sein Fahrzeug tatsächlich repariert oder reparieren lässt, Reparaturkosten, die den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, regelmäßig nur ersetzt verlangen, wenn er den konkret angefallenen Reparaturaufwand geltend macht.
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