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Schlagwortarchiv für: Schutzpflicht

Gastautor

BVerfG: Ausnutzung von IT-Sicherheitslücken für die Quellen- Tele­kommunikations­über­wachung

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Startseite, Verfassungsrecht

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Christoph Klaus Klang, LL.M. (Speyer) veröffentlichen zu können. Der Autor studierte Rechtswissenschaften in Hannover und Speyer und ist zurzeit als Dezernent und Datenschutzbeauftragter des Regionalen Landesamts für Schule und Bildung in Braunschweig tätig.

Mit Beschluss vom 8.6.2021 (1 BvR 2771/18) hat der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde abgewiesen, die sich gegen die Befugnis zur Quellen-TKÜ und der daraus resultierenden Pflichten des Staates richtet. Die Entscheidung befasst sich schwerpunktmäßig mit dem sich hierbei ergebenden staatlichen Zielkonflikt zwischen einerseits dem Schutz informationstechnischer Systeme vor Angriffen Dritter mittels unbekannter Sicherheitslücken und andererseits der bewussten Offenhaltung solcher Lücken zur Ermöglichung einer der Gefahrenabwehr dienenden Quellen-TKÜ.
 
I. Worum geht es?
Nicht nur im Rahmen der Strafverfolgung sondern auch im Wege der Gefahrenabwehr besteht ein staatliches Interesse an der Möglichkeit die Telekommunikation bestimmter Personen zu überwachen und ggf. aufzuzeichnen. Mit der Quellen-TKÜ werden Daten schon im IT-System des Kommunikators abgegriffen, bevor die Verschlüsselung für einen etwaigen Transport erfolgt. Der Zugriff auf das IT-System des Betroffenen kann dabei auf verschiedenen Wegen erfolgen. So ist neben einem physischen Eingriff auch die Nutzung einer IT-Sicherheitslücke denkbar. Im Sinne von § 2 BSIG sind IT-Sicherheitslücken Eigenschaften von Programmen oder sonstigen informationstechnischen Systemen, durch deren Ausnutzung es möglich ist, dass sich Dritte gegen den Willen des Berechtigten Zugang zu fremden informationstechnischen Systemen verschaffen oder die Funktion der informationstechnischen Systeme beeinflussen können. Sind einer Behörde entsprechende IT-Sicherheitslücken bekannt, können diese für eine Quellen-TKÜ genutzt werden. Damit lässt sich ein objektives Interesse des Staates feststellen, dass entsprechende IT-Sicherheitslücken offengehalten werden. Hieraus resultiert dann die Gefahr, dass der Staat ihm bekanntwerdende IT-Sicherheitslücken bewusst nicht an den Hersteller meldet. Solche, dem Hersteller nicht bekannten IT-Sicherheitslücken, werden als „Zero-Day-Schwachstellen“ bezeichnet, da Sie dem Hersteller seit null Tagen bekannt sind.
 
II. Sachverhalt (verkürzt)
Zum 17.1.2021 wurde das Polizeigesetz des Landes Baden-Württemberg <PolG BW> neu gefasst. Die Regelungen zur Quellen-TKÜ wurde aus der alten Fassung nunmehr unverändert in den neuen § 54 PolG BW übernommen
 
Gemäß § 54 Abs. 2 PolG BW darf die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation ohne Wissen der betroffenen Person in der Weise erfolgen, dass mit technischen Mitteln in von ihr genutzte informationstechnische Systeme eingegriffen wird, wenn

  1. Durch technische Maßnahmen sichergestellt ist, dass ausschließlich laufende Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet wird, und
  2. der Eingriff notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation insbesondere auch in unverschlüsselter Form zu ermöglichen.

 
Gemäß § 54 Abs.  3 PolG BW ist bei Maßnahmen nach Absatz 2 sicherzustellen, dass

  1. an dem informationstechnischen System nur Veränderungen vorgenommen werden, die für die Datenerhebung unerlässlich sind, und
  2. die vorgenommenen Veränderungen bei Beendigung der Maßnahme, soweit technisch möglich, automatisiert rückgängig gemacht werden

Das eingesetzte Mittel ist gegen unbefugte Nutzung zu schützen. Kopierte Daten sind gegen Veränderung, unbefugte Löschung und unbefugte Kenntnisnahme zu schützen.
 
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. und der Chaos Computer Club Stuttgart e.V. (im Folgenden: Beschwerdeführer) wenden sich mit Ihrer Verfassungsbeschwerde, binnen der Jahresfrist nach § 93 Abs.  3 BVerfGG, gegen die in § 54 PolG BW geregelte Befugnis zur Quellen-TKÜ. Diese habe zur Folge, dass zur Durchführung der Überwachung IT-Sicherheitslücken von informationstechnischen Systemen, die der Behörde, nicht aber dem jeweiligen Hersteller bekannt seien, offengehalten würden und so Angriffe von dritter Seite ermöglichen. Die Beschwerdeführer befürchten, dass die Polizeibehörden ihnen bekannte IT-Sicherheitslücken nicht melden werden, da sie deren Schließung durch den Hersteller vermeiden wollen, um die Lücken für die Durchführung einer polizeilichen Überwachungsmaßnahme verwenden zu können. Grundsätzlich habe das Land Baden-Württemberg es versäumt, mit einer zwingend gebotenen Begleitreglung ein „Schwachstellen-Management“ zu schaffen, das insbesondere die Verwendung von Sicherheitslücken verbieten müsse, die dem Hersteller des betreffenden Systems nicht bekannt seien. Die Regelung des § 54 PolG BW gefährde daher sowohl das Fernmeldegeheimnis als auch die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.
 
III. Die Entscheidung des Gerichts
Im Ergebnis verwirft das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde als unzulässig. Die Beschwerdeführer sind als juristische Personen Grundrechtsträger und damit beschwerdefähig. Sie haben die Möglichkeit einer Verletzung der sich aus den Grundrechten ergebenden Schutzpflichten allerdings nicht hinreichend dargelegt und im Übrigen die Anforderungen der Subsidiarität im weiteren Sinne nicht gewahrt.
 
Die Begründung erfolgt allerdings in bemerkenswerter Ausführlichkeit. Das Bundeverfassungsgericht erkennt, dass sowohl das Fernmeldegeheimnis als auch die grundrechtliche Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme betroffen sind.
 
Der erkennende Senat hält an der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fest. Danach erschöpft sich der Gewährleistungsgehalt von Grundrechten nicht bloß in ihrer Abwehrfunktion, sondern sie enthalten zugleich eine objektive Wertentscheidung der Verfassung, die auch staatliche Schutzpflichten begründen kann (vgl.  BVerfG 39, 1 (79); st. Rspr.).
 
Aus diesen Schutzpflichten einerseits und aus der Ermächtigung zur Quellen-TKÜ über IT-Sicherheitslücken andererseits entsteht ein Zielkonflikt, dessen gebotene Lösung dem Staat obliegt.
 
1. Betroffenheit von Art. 10 Abs. 1 GG
Art. 10 Abs.  1 GG erklärt das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis für unverletzlich. Nach Abs. 2 dürfen Beschränkungen nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Bestandes oder Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.
 
Das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass sofern Zugriffe Dritter Inhalte und Umstände der laufenden Telekommunikation erfassen, das durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützte Fernmeldegeheimnis betroffen ist (vgl. BVerfGE 120, 274 (307)). Art. 10 Abs. 1 GG begründet daher neben einem Abwehrrecht auch einen konkreten staatlichen Auftrag, die dem Fernmeldegeheimnis unterfallende Kommunikation vor dem Zugriff privater Dritter zu schützen (vgl. BVerfGE 106, 28 (37)).
 
2. Betroffenheit von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet auch die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (vgl. BVerfGE 120, 274 (306 ff.) und ist daher ebenfalls bei dessen Infiltration betroffen. Aus der Bedeutung der Nutzung informationstechnischer Systeme für die Persönlichkeitsentfaltung und aus den Persönlichkeitsgefährdungen, die mit dieser Nutzung verbunden sind, folgt ein grundrechtlich erhebliches Schutzbedürfnis (1 BvR 370/07 – 1 BvR 595/07).
 
Der angegriffene § 54 Abs. 2 PolG BW ermächtigt die zuständigen Behörden zwar lediglich bzgl. laufender TK-Vorgänge zur Quellen-TKÜ, sodass ein hierauf gestützter staatlicher Eingriff vordergründig an Art. 10 Abs. 1 GG zu messen wäre. Dringen aber Dritte über eine unbekannte Schutzlücke in das System ein, könnten sie möglicherweise auf das gesamte informationstechnische System und seinen Datenbestand zugreifen. Sie können dieses insbesondere ausspähen, manipulieren und erpresserisch mit der Manipulation oder Vernichtung von Daten, drohen.
Daher sind hier die Grundrechte in ihrer Schutzdimension so sehr betroffen, dass sich hieraus eine konkrete grundrechtliche Schutzpflicht des Staates ergibt.
 
3. Zur grundrechtlichen Schutzpflicht
Die zunehmende vom Fernmeldegeheimnis erfasste elektronische Kommunikation und die verstärkte Umstellung ehemals analoger Vorgänge auf digitale Prozesse sowie die immer breitere mobile Nutzung informationstechnischer Systeme erhöhen zwangsläufig die Abhängigkeit von Informationstechnologie ständig weiter.
 
Das Bundesverfassungsgericht erkennt, dass sich die Verflechtung von Entfaltungsfreiheit und Informationstechnik zunehmend intensiviert wird. Die Grundrechtsträger können von ihren grundrechtlichen Freiheiten ohne die Nutzung entsprechender informationstechnischer Systeme immer weniger Gebrauch machen. Sie können sich immer weniger den Gefahren der Nutzung informationstechnischer Systeme dadurch entziehen, dass sie auf deren Nutzung verzichten.
 
Vor diesem Hintergrund gebieten die Grundrechte, dass auch der Staat selbst die berechtigten Erwartungen der Grundrechtsträger an die Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme achtet (vgl. BVerfGE 120, 274 (306)). Darüber hinaus besteht eine staatliche Pflicht, zum Schutz der Integrität und Vertraulichkeit integrationstechnischer Systeme gegen Angriffe durch Dritte beizutragen. Erlangen Behörden von einer, dem Hersteller unbekannten, IT-Sicherheitslücke Kenntnis, trifft sie eine konkrete grundrechtliche Schutzpflicht. Er ist dann verpflichtet, die Nutzerinnen und Nutzer informationstechnischer Systeme vor Angriffen Dritter auf diese Systeme zu schützen.
 
4. Der Zielkonflikt
Bestünde keine Ermächtigung zur Quellen-TKÜ unter Ausnutzung von IT-Sicherheitslücken hätten die Behörden kein eigenes Interesse daran, diese zu nutzen, um darüber informationstechnische Systeme infiltrieren zu können. Es ist davon auszugehen, dass im Lichte der Erfüllung der grundgesetzlichen Schutzpflichten der Staat dann die ihm bekanntwerdenden Lücken dem Hersteller melden würde, damit dieser die Lücke schließen kann.
 
Ist eine Behörde hingegen ermächtigt, zum Zweck der Gefahrenabwehr eine Quellen-TKÜ, unter Ausnutzung von IT-Sicherheitslücken, durchzuführen, löst dies für sie einen Zielkonflikt aus. Dieser besteht zwischen einerseits dem öffentlichen Interesse an einer möglichst großen Sicherheit informationstechnischer Systeme und andererseits der Ermöglichung einer dem Schutz von anderen hochrangigen Rechtsgütern dienenden Quellen-TKÜ. Daraus folgt die Gefahr, dass die ermächtigte Behörde es unterlässt, die Schließung der Lücke anzuregen oder sogar gegebenenfalls aktiv darauf hinwirkt, dass die Lücke unerkannt bleibt.
 
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass die bloße Existenz staatlicher Überwachungsbefugnisse für Dritte einen Anreiz schafft, ihnen bekannte IT-Sicherheitslücken nicht den Herstellern selbst zu melden, sondern ihre Kenntnis staatlichen Behörden gegen eine Bezahlung anzubieten. Dies erhöht die Gefahr, dass IT-Sicherheitslücken dem Hersteller nicht gemeldet werden.
 
Das Bundesverfassungsgericht hält daran fest, dass die Quellen-TKÜ nicht von vorneherein verfassungsrechtlich unzulässig ist (vgl. bereits BVerfGE 120, 274 (326) zur Online-Durchsuchung). Aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme ergibt sich daher kein Anspruch darauf, die Quellen-TKÜ durch Nutzung unerkannter IT-Sicherheitslücken zu untersagen. Aufgrund der oben genannten Gefahren für die Sicherheit entsprechender Systeme unterliegt die Nutzung durch unerkannte IT-Sicherheitslücken jedoch erhöhter Rechtfertigungsanforderungen. Das Bundesverfassungsgericht sieht in der Folge daher die grundrechtlichen Schutzpflichten dahingehend konkretisiert, dass eine staatliche Verpflichtung besteht, den Umgang der Polizeibehörden mit entsprechenden IT-Sicherheitslücken zu regeln.
 
5. Staatliche Regelungen zur Lösung des Zielkonflikts
Die grundrechtliche Schutzpflicht verlangt eine Regelung darüber, wie die Behörde bei der Entscheidung über ein Offenhalten unerkannter Sicherheitslücken den Zielkonflikt zwischen dem notwendigen Schutz vor Infiltration durch Dritte einerseits und der Ermöglichung von Quellen-TKÜ andererseits auflöst.
 
Der ermächtigten Behörde muss eine Abwägung der gegenläufigen Belange für den Fall aufgegeben werden, dass ihr eine, dem Hersteller unbekannte, Schutzlücke bekannt wird. Es ist sicherzustellen, dass die ermächtigte Behörde bei jeder Entscheidung über das Offenhalten einer dem Hersteller unbekannten IT-Sicherheitslücke einerseits die Gefahr einer weiteren Verbreitung der Kenntnis von dieser IT-Sicherheitslücke ermittelt und andererseits den Nutzen möglicher behördlicher Infiltration mittels dieser Lücke quantitativ und qualitativ bestimmt. Beide Aspekte müssen zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Die IT-Sicherheitslücke ist dann an den Hersteller zu melden, wenn nicht das Interesse an der Offenhaltung derselbigen überwiegt.
 
Das Bundesverfassungsgericht stellt dann fest, dass bereits unterschiedliche Regelungen zum Schutz informationeller Systeme bestehen, ohne dieser aber einer abschließenden verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen.
 
Es wäre die Aufgabe der Beschwerdeführer gewesen hinreichend dazulegen, dass die bestehenden Regelungen der grundrechtlichen Schutzpflicht nicht genügen. Auf die entsprechenden Fragen sind die Beschwerdeführer allerdings nicht eingegangen. Mit den Anforderungen an die Feststellung einer gesetzgeberischen Schutzpflichtverletzung sind spezifische Darlegungslasten verbunden. Eine mögliche Grundrechtsverletzung geht aus einem Vortrag in der Regel nur dann hervor, wenn sich dieser nicht in pauschalen Behauptungen und punktuell herausgegriffenen, angeblichen Unzulänglichkeiten der Rechtslage erschöpft. Vielmehr ist es erforderlich, dass der gesamte gesetzlichen Regelungszusammenhang erfasst wird. Je nach Fallkonstellation gehört hierzu auch, dass zumindest die einschlägigen Regelungen des als unzureichend beanstandeten Normkomplexes jedenfalls in Grundzügen dargestellt werden und begründet wird, warum vom Versagen der gesetzgeberischen Konzeption auszugehen ist.
 
a) § 54 Abs. 3 S. 2 PolG BW
Zunächst enthält die Ermächtigungsgrundlage selbst Schutzvorkehrungen. § 54 Abs. 3 S 2 PolG BW verpflichtet die Behörden dafür Sorge zu tragen, dass das eingesetzte Mittel gegen die unbefugte Nutzung durch Dritte geschützt ist Es ist zwar denkbar, dass das in § 54 Abs. 3 S. 2 PolG BW genannte „Mittel“ die Infiltrationssoftware meint und nicht die zu ihrer Einbringung genutzte IT-Sicherheitslücke bezeichnet. Dafür spricht, dass die IT-Sicherheitslücke im Zielsystem unabhängig von Handeln der Behörde besteht. § 54 Abs. 3 S. 2 POlG BW könnte allerdings auch fachrechtlich dahingehend auszulegen sein, dass unter das Tatbestandsmerkmal „eingesetztes Mittel“ auch die ausgenutzte Schwachstelle subsumiert wird. Dies hätte zur Folge, dass diese – etwa durch eine Meldung an den Hersteller – gegen eine unbefugte Nutzung zu schützen wäre.
 
b) Datenschutz-Folgeabschätzung
Eine Lösung des Zielkonflikts zwischen den öffentlichen Interessen an einem behördlichen Zugriff auf Telekommunikation einerseits und an einer möglichst großen Sicherheit informationstechnischer Systeme andererseits könnte auch im Rahmen der Datenschutz-Folgeabschätzung Rechnung getragen werden. § 80 PolG BW sieht eine entsprechende Regelung vor. Hat gemäß § 80 Abs. 1 PolG BW  eine bestimmte Form der Verarbeitung, insbesondere bei Verwendung neuer Technologien, aufgrund der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung voraussichtlich ein hohes Risiko für die Rechtsgüter betroffener Personen zu Folge, so hat die Polizei vorab eine Abschätzung der Folgen der vorgesehenen Verarbeitungsvorgänge für die betroffenen Personen durchzuführen.
 
Zu klären ist hierfür, inwieweit das Offenhalten einer IT-Sicherheitslücke ein „Verarbeitungsvorgang“ im Sinne von § 80 Abs. 1 PolG BW darstellt. Gemäß § 12 Abs. 2 PolG BW stellt eine „Verarbeitung“ jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten, wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung dar.
 
Dem Bundesverfassungsgericht erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der Verarbeitungsvorgang als ein einheitlicher Lebenssachverhalt zu begreifen ist. Dieser muss nicht erst mit der Datenausleitung bei der eigentlichen Telekommunikationsüberwachung beginnen, sondern kann bereits davor liegende, vorbereitende Schritte erfassen. Das bewusste Offenhalten einer der Behörde bekannten IT-Sicherheitslücke könnte so als vorbereitender Schritt einer Quellen-TKÜ angesehen werden. Damit würde auch das Offenhalten entsprechender IT-Sicherheitslücken von § 80 PolG BW erfasst werden. Ob darüber hinaus gehend die hier maßgebliche Gefahr, dass Dritte die IT-Sicherheitslücke zur Infiltration des informationstechnischen Systems nutzen, auch im Sinne von § 80 Abs.  1 PolG BW als „Folge“ dieses Verarbeitungsvorgangs zu verstehen ist, bedürfte allerdings weiterer Klärung.
 
c) Cybersicherheitsgesetz BW
Entsprechende Schutzvorschriften könnten sich zudem aus dem Cybersicherheitsgesetz BW <CSG> ergeben. Das Gesetz sieht die Errichtung der Cybersicherheitsagentur Baden-Württemberg vor, welches gemäß § 4 Abs. 1 CSG als zentrale Koordinierungs- und Meldestelle für die Zusammenarbeit der öffentlichen Stellen in Angelegenheiten der Cybersicherheit in Baden-Württemberg fungiert. Dabei sammelt und wertet es insbesondere alle für die Abwehr von Gefahren für die Cybersicherheit erforderlichen Informationen, unter anderem zu Sicherheitslücken aus. § 4 Abs. 3 CSG statuiert die Pflicht der Landesbehörden bekanntwerdende Sicherheitslücken an die Cybersicherheitsagentur zu melden. Darüber hinaus sollen gemäß § 5 CSG der Cybersicherheitsagentur Befugnisse zur Abwehr von Gefahren für die Cybersicherheit eingeräumt werden. Die Cybersicherheitsagentur soll ferner nach § 8 Abs. 1 CSG Empfehlungen, Hinweise sowie Warnungen zu IT-Sicherheitslücken an die Öffentlichkeit oder die betroffenen Kreise – in der Regel nach vorheriger Anhörung des Herstellers – aussprechen dürfen.
 
d) Untergesetzlich geregelte Mindeststandards
Jedenfalls aus dem Vertrag über die Errichtung des IT-Planungsrats und über die Grundlagen der Zusammenarbeit beim Einsatz der Informationstechnologie in den Verwaltungen von Bund und Ländern – Vertrag zur Ausführung von Art.  91c GG <IT-Staatsvertrag> ergibt sich ein untergesetzlich geregelter Mindeststandard. Das Land Baden-Württemberg hat zusammen mit den anderen Bundesländern und der Bundesrepublik Deutschland den Vertrag ratifiziert. Unter dieser Grundlage hat der IT-Planungsrat ein verbindliches Meldeverfahren zum Informationsaustausch für Bund und Länder als IT-Sicherheitsstandard im Sinne von § 2 Abs. 1 des IT-Staatsvertrags vereinbart (Vgl. Beschluss Nr. 2017/35) Danach sind IT-Sicherheitsvorfälle, bei denen Auswirkungen auf die Länder oder den Bund nicht ausgeschlossen werden können oder die auch für andere als relevant eingeschätzt werden, zu melden sind.
 
Die Meldungen sollen unter anderem an das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erfolgen. Erfasst werden auch neuartige Sicherheitslücken in IT-Produkten (vgl.  § 2 Abs.  2 in Verbindung mit Anlage 1 des Beschlusses). Gemäß § 3 des Beschlusses sind sowohl der Bund als auch die Länder meldepflichtig. Insofern stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass das BSI seine Ermessensspielräume bei der Entscheidung über den weiteren Umgang mit derartigen Kenntnissen ausfüllen könnte und müsste. Dies insbesondere dann, wenn es um die Erteilung von Warnungen bezüglich IT-Sicherheitslücken in informationstechnischen Systemen an die Öffentlichkeit oder die betroffenen Kreise nach § 7 Abs.  1 S.  1 Nr.  1 lit. a BSIG, und Information der Hersteller, unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Schutzpflichten, geht.
 
Das Bundesverfassungsgericht stellt allerdings klar, dass die Frage, ob der grundrechtlichen Schutzpflicht durch eine untergesetzlich normierten Mitteilungspflicht genüge getan werden kann, einer näheren Prüfung bedürfe. Der von dem IT-Planungsrat vereinbarte Meldestandard ein weiteres Element der Gesamtregelung des Schutzes vor der unzulässigen Nutzung von IT-Sicherheitslücken durch Dritte sein könnte, hätten die Beschwerdeführer auch hier ihrer Darlegungspflicht nachkommen müssen.
 
6. Verstoß gegen Subsidiaritätsprinzip
Im Übrigen stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Verfassungsbeschwerde zudem nicht den Anforderungen der Subsidiarität im weiteren Sinne genügt. Denn zunächst sind erst einmal sämtliche prozessualen Möglichkeiten zu nutzen, welche der Grundrechtsverletzung abhelfen können.
Maßgeblich geht es um umfangreiche Fragen zur Auslegung verschiedener Bestimmungen des Polizei-, des Datenschutz-, des Cybersicherheits- und des IT-Sicherheitsrechts und damit um vorwiegend einfaches Recht. Die erforderliche Beschreitung des fachgerichtlichen Rechtswegs durch die Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Feststellungs- oder vorbeugenden Unterlassungsklage sei den Beschwerdeführenden zumutbar gewesen.
 
IV. Anmerkung
Die Entscheidung stellt einen weiteren wichtigen Wegweiser im staatlichen Umgang mit informationstechnischen Systemen dar, die zunehmende Bedeutung für das Ausleben der grundrechtlichen Freiheiten erlangen (vgl. etwa BVerfGE 120, 274 zur Online-Durchsuchung; 1 BvR 16/13 – Recht auf Vergessen I; 1 BvR 276/17 – Recht auf Vergessen II). Der Staat bewegt sich, insbesondere im Hinblick auf die Quellen-TKÜ, in einem permanenten Spannungsverhältnis als Garant und Adressat des Schutzbereiches des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und dem davon umfassten Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. In seiner Entscheidung erkennt das Bundesverfassungsgericht nunmehr erstmals an, dass den Staat eine konkrete grundrechtliche Schutzpflicht trifft, wenn er von einer Sicherheitslücke im System weiß, die dem Hersteller nicht bekannt ist.
 
Gemäß § 93d Abs. 1 S. 3 BVerfGG ist für die Ablehnung der Annahme einer Verfassungsbeschwerde keine Begründung erforderlich. Die gleichwohl sehr ausführlich erfolgte Begründung ist ein Anzeichen dafür, dass die Verfassungsbeschwerde durchaus Grundsatzfragen der grundrechtlichen Ausgestaltung von Maßnahmen der Quellen-TKÜ betrifft. Trotz der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht es als erforderlich erachtet den Gesetzgebern von Bund und Länder Hinweise zu den Schutzdimensionen des Fernmeldegeheimnisses und der grundrechtlichen Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme zu geben.
 
Die sehr deutlichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu den durch die Beschwerdeführer nicht hinreichend nachgekommenen Darlegungslast können als Hinweis auf die strengen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Rüge einer Verletzung der gesetzgeberischen Schutzpflichten verstanden werden. Der erste Senat betont ausdrücklich, dass sich aus seiner Entscheidung zur teilweise erfolgreichen Verfassungsbeschwerde gegen den Klimaschutz (1 BvR 2656/18) nichts Anderes ergibt. Dort ist zwar festgestellt, dass die Beschwerdeführenden zur Begründung der Beschwerdebefugnis nicht alle relevanten Maßnahmen ermitteln müssen. Dies war aber deshalb verzichtbar, weil der Gesetzgeber selbst eine zusammenfassende Regelung getroffen habe, auf die sich der Angriff des Beschwerdeführenden beschränken konnte.
 
Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist der Beschluss insoweit bemerkenswert, dass er sich – zumindest in groben Zügen – mit etwaigen inhaltlichen Anforderungen der Datenschutzfolgeabschätzung befasst und diese gleichzeitig als obligatorisch vor dem Einsatz einer Quellen-TKÜ ansieht. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts deuten an, dass die Datenschutz-Folgeabschätzung geeignet ist, Schwächen der Normenbestimmtheit in Sicherheitsgesetzten prozedural auszugleichen.

27.01.2022/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-01-27 09:00:132022-05-20 10:42:05BVerfG: Ausnutzung von IT-Sicherheitslücken für die Quellen- Tele­kommunikations­über­wachung
Dr. Sebastian Rombey

BGH: Schutzpflichten eines Waschanlagenbetreibers bei Autounfall

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Mit Urteil vom heutigen Tag hat der VII. Zivilsenat zum Umfang der Schutzpflichten eines Waschanlagenbetreibers für einen Autounfall, der sich in seiner Waschanlage durch das Fehlverhalten eines Nutzers ereignet hat, Stellung genommen. Da sich die Entscheidung gut in andere Problemfelder einbetten lässt und daher neben ihrer grundsätzlichen Bedeutung auch für Prüfungen relevant sein kann, lohnt sich ein Blick auf die wesentlichen Erwägungen des BGH.
I. Sachverhalt (der PM Nr. 120/2018 v. 19.08.2018 entnommen, vereinfacht und gekürzt)
A verlangt von der B Schadensersatz in Höhe von 1.223,19 € wegen der Beschädigung seines Fahrzeugs in einer durch B betriebenen Waschstraße mit einer vollautomatisierten Anlage, durch die die Fahrzeuge während des Waschvorgangs von einem Schleppband mit einer geringen Geschwindigkeit gezogen werden.
A befand sich gerade mit seinem BMW in der besagten Waschstraße, als vor ihm der Fahrer eines Mercedes grundlos die Bremse betätigte, sodass der Mercedes aus dem Schleppband geriet und zum Stehen kam, während der BMW und der dahinter befindliche Hyundai weitergezogen wurden. Hierbei wurde der BMW auf den Mercedes und der Hyundai auf den BMW geschoben.
II. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 19.08.2018 – VII ZR 251/17)
Fraglich ist, ob A gegen B ein Anspruch auf Schadensersatz in der oben beschriebenen Höhe zusteht. Ein solcher könnte sich aus §§ 280 I, 241 II BGB ergeben.
Bei dem Reinigungsvertrag über das Auto in der Waschstraße handelt es sich um einen Werkvertrag im Sinne des § 631 BGB. Im Mittelpunkt des Rechtsstreits stand nun aber die Frage, ob der Waschanlagenbetreiber eine Pflicht gegenüber seinen Kunden verletzt hat. Insoweit stellte der BGH klar:
„Bei einem Vertrag über die Reinigung eines Fahrzeugs besteht die Schutzpflicht des Betreibers der Waschstraße, das Fahrzeug des Kunden vor Beschädigungen beim Waschvorgang zu bewahren.“
Gleichwohl betonte der BGH, dass der Waschanlagenbetreiber im Rahmen seiner Schutzpflicht nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugen könne – nur erforderliche und  zumutbare Vorkehrungen müssen demnach getroffen werden. Dabei arbeitet der Senat die folgenden Kriterien heraus, die als Maßstab zur Beurteilung der Zumutbarkeit dienen können:
„Die Zumutbarkeit von Sicherungsvorkehrungen bestimmt sich dabei unter Abwägung der Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung, der Gewichtigkeit möglicher Schadensfolgen und der Höhe des Kostenaufwands, der mit den Sicherungsvorkehrungen einhergeht.“
Nach diesen Maßstäben seien technische Sicherungsvorkehrungen nicht branchenüblich, weshalb das Auffahren bei einem Bremsvorgang eines Kunden nicht verhindert werden müsse, zumal eine hypothetisch hinzugedachte Überwachung der Mitarbeiter, die das Schleppband kontrollieren, datenschutzrechtlich hoch problematisch und wohl auch persönlichkeitsrechtlich unverhältnismäßig wäre. Gleichwohl müssen die allgemeinen Regeln der Technik beachtet werden, um Zusammenstöße möglichst zu vermeiden.
Allerdings betont der BGH, dass „zu den gebotenen Sicherungsvorkehrungen […] auch die Erfüllung von Hinweispflichten gehören [kann]. […] Den Betreiber einer Waschstraße trifft deshalb die Pflicht, die Benutzer der Anlage in geeigneter und ihm zumutbarer Weise über die zu beachtenden Verhaltensregeln zu informieren.“
Da die Vorinstanz (das LG Wuppertal,  Urt. v. 17.10. 2017 – 16 S 107/15, BeckRS 2017, 147423) hierzu allerdings keine Feststellungen getroffen hatte, wurde die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Von der Erfüllung der besagten Hinweispflichten wird es mithin abhängen, ob der vertragliche Schadensersatzanspruch gegeben ist oder nicht.
III. Summa
Es lässt sich festhalten: Schutzpflichten sind im konkreten Einzelfall zu ermitteln. Kriterien, die als Anhaltspunkte zur Ermittlung eben dieser Schutzpflichten dienen können, hat der BGH in seiner Entscheidung herausgearbeitet. Diese zu kennen, kann ein unschätzbarer Vorteil sein, da sich mit ihnen auch andere – möglicherweise schwieriger ausgestaltete – Sachverhaltskonstellationen meistern lassen. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist es bei Verletzung der hier angenommenen Hinweispflichten auch denkbar, dass ein Waschanlagenbeitreiber für das Fehlverhalten eines Kunden gegenüber einem anderen Kunden haftet, soweit daraus ein Schaden entsteht.
 

20.07.2018/5 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2018-07-20 09:00:292018-07-20 09:00:29BGH: Schutzpflichten eines Waschanlagenbetreibers bei Autounfall
Lukas Knappe

Notiz: BVerwG – Keine Klagebefugnis von Anwohnern der US Air Base Ramstein auf Überwachung von US-Drohneneinsätzen

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Anwohner der US Air Base Ramstein haben allein aufgrund ihrer räumlichen Nähe zum Militärflughafen kein Klagerecht, um von der Bundesrepublik Deutschland die Überwachung bewaffneter Drohneneinsätze der US-Streitkräfte zu verlangen, die von Ramstein aus gesteuert werden. Dies hat das BVerwG in einem Urteil Anfang April entschieden und damit die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt (BVerwG, Urt. v. 05.04.2016 – 1 C 3.15). Das Urteil – von dem bislang nur eine Pressemitteilung vorliegt, über das allerdings in der Tagespresse verschiedentlich berichtet worden war – regt dazu an, sich noch einmal intensiver mit der verwaltungsprozessualen Klagebefugnis auseinanderzusetzen und könnte in einer mündlichen Prüfung daher durchaus als Einstieg in ein Prüfungsgespräch dienen.

Sachverhalt

Ausgangspunkt des Urteils war die Klage eines Anwohners des Militärflughafen Ramstein, der 12 km von diesem entfernt in Kaiserslautern wohnt. Auf der von den US-Streitkräften genutzten Air Base befindet sich u.a. das Hauptquartier der US-Luftstreitkräfte in Europa. Der Kläger begehrte unter anderem, die Bundesrepublik Deutschland zur Überwachung der Völkerrechtskonformität bewaffneter Drohneneinsätze der US-Streitkräfte zu verpflichten, die von der Ramstein Air Base aus gesteuert würden, und den Vereinigten Staaten im Fall der Verweigerung von Überwachungsmaßnahmen insoweit die weitere Nutzung der Ramstein Air Base zu untersagen. Die Vorinstanzen hatten die Klage jedoch als unzulässig abgewiesen.

Rechtliche Würdigung

I. Zu denken wäre an eine allgemeine Leistungsklage des Anwohners auf Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Überwachung der von Ramstein aus gesteuerten US-Drohneneinsätze. Die allgemeine Leistungsklage ist zwar nicht ausdrücklich in der VwGO geregelt, wird jedoch in den §§ 43 II, 111 und 113 IV VwGO erwähnt und ist als verwaltungsprozessuale Klage allgemein anerkannt.

II. Fraglich ist jedoch, ob die nach § 42 II VwGO analog erforderliche Klagebefugnis gegeben ist.

1. Analoge Anwendung des 42 II VwGO

Zwar gilt die Regelung des § 42 II VwGO ihrem Wortlaut nach allein für die Anfechtung- und Verpflichtungsklage, die Norm ist jedoch nach vorherrschender Ansicht analog auf die allgemeine Leistungsklage anzuwenden (grundl. BVerwG 36, 192 (199); Vgl. auch: Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 62; Wahl, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 42 Rn. 33 f.; Würtenberger, VerwProzR, Rn. 390). § 42 II VwGO bildet die einfachrechtliche Ausprägung der in Art. 19 IV GG angelegte individualschützenden Funktion verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes und soll damit reine Popularklagen sowie Interessensklagen ausschließen. Die VwGO verfolgt grundsätzlich klassischerweise das Prinzip der Verletztenklage.

Eine Popularklage zur Überwachung von Handlungen, die der Kläger für völkerrechtswidrig hält, sieht die deutsche Rechtsordnung nicht vor.

Die Gegenansicht, die das Erfordernis einer Klagebefugnis nach § 42 II VwGO analog für die allgemeine Leistungsklage verneint (Vgl. dazu: Erichsen, Jura 1992, 384 (386)), ist daher abzulehnen.

2. Klagebefugnis nach § 42 II VwGO analog

Voraussetzung für die Zulässigkeit der allgemeinen Leistungsklage ist daher, dass der Kläger geltend macht, dass er durch die Unterlassung der begehrten Überwachungsmaßnahmen in seinen eigenen Rechten verletzt sein könnte.

a) Mögliche Verletzung von Grundrechten durch die von Ramstein aus gesteuerten Drohnen

Der Kläger kann sich insoweit … nicht auf den grundrechtlichen Schutz des Lebens und seines Eigentums berufen (Art. 2 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 1 GG). Denn er selbst befürchtet keine Rechtsverletzungen durch von Ramstein aus gesteuerte Drohnen, sondern von möglichen Gegenschlägen aus dem Ausland.

Darüber hinaus ist der Kläger auch nicht einer messbar gesteigerten Gefahr von Betriebsunfällen, terroristischen Anschlägen oder militärischen Vergeltungsschlägen durch die möglicherweise völkerrechtswidrige Nutzung ausgesetzt. Zudem handelt es sich gerade bei terroristischen Handlungen um mittelbare Gefährdungen, die von Entscheidungen Dritter abhängig und der Beklagten daher nicht zurechenbar sind. Derartige terroristische Gefährdungen sind zugleich auch nur begrenzt vorhersehbar und verhinderbar.

b) Mögliche Verletzung einer grundrechtlichen Schutzpflicht durch die BRD

Mangels der Darlegung eines messbar erhöhten Risikos für Leib und Leben scheidet auch eine mögliche Verletzung von staatlichen Schutzpflichten im Hinblick auf Art. 2 II GG aus. Zwar verpflichten die Grundrechte als objektive Werteordnung den Staat sich schützend und fördernd vor die grundrechtlich geschützten Gewährleistungen zu stellen, allerdings gilt im Hinblick auf Staatliche Schutzpflichten das sog. Untermaßverbot. Ein Betroffener kann nach der Rechtsprechung des BVerfG daher allein verlangen kann, dass die öffentliche Gewalt keine gänzlich ungeeigneten und völlig unzulänglichen Handlungen zum Schutz des  in Rede stehenden Grundrechts trifft. Im Übrigen steht der öffentlichen Gewalt jedoch eine sehr weite Einschätzungsprägorative zu. Richtigerweise kommt das BVerwG daher zu dem Ergebnis:

Ein bestimmtes Verhalten der Bundesrepublik Deutschland zu seinem Schutz – wie hier die Überwachung von Drohneneinsätzen fremder Streitkräfte – kann der Kläger auch deshalb nicht verlangen, weil die Bundesregierung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf dem Gebiet der Außen- und Verteidigungspolitik einen weiten Entscheidungsspielraum hat, wie sie ihrer grundrechtlichen Pflicht zum Schutz des Lebens nachkommen will.

c) Mögliche Verletzung von Art. 25 S. 2 GG

Fraglich ist, ob die Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Rechten aus Art. 25 S. 2 GG hergeleitet werden kann. Die Herleitung einer subjektive Berechtigung aus dem Völkerrecht über Art. 25 S. 2 GG ist nach vorherrschender Ansicht auch bei an sich nur staatenverpflichtenden Normen dann zulässig, wenn die völkerrechtliche Regelung einen engen Bezug zu individuellen hochrangigen Rechtsgütern aufweist und die völkerrechtliche Norm, gegen die verstoßen worden sein soll, individualschützend ist. Der Kläger ist hier allerdings kein potenzielles Opfer des von Ramstein aus gesteuerten US-Drohneneinsatzes.

Art. 25 S. 2 GG lässt sich jedoch gerade kein uneingeschränktes Bürgerrecht entnehmen, gegen jede angenommene Menschenrechtsverletzung durch deutsche Behörden vorzugehen, auch wenn der Kläger hiervon selbst nicht betroffen wäre. Ein universeller Anspruch auf völkerrechtsgemäßes Verhalten der öffentlichen Gewalt ohne eigene Betroffenheit besteht folglich nicht. Vor diesem Hintergrund scheidet auch eine Berufung des Klägers auf Art. 25 S. 2 GG aus:

Eine Verletzung eigener Rechte kann der Kläger auch nicht aus Art. 25 Satz 2 GG ableiten. Nach dieser Norm erzeugen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets. Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zählen zwar das völkerrechtliche Gewaltverbot und im Kern der Schutz von Zivilpersonen nach dem humanitären Völkerrecht. Soweit sich aus einem Völkerrechtsverstoß auch individuelle Rechte ableiten lassen, können sich darauf jedoch allenfalls unmittelbar Betroffene berufen – etwa potentielle Opfer von Drohneneinsätzen. Hierzu gehört der Kläger nicht.

27.04.2016/0 Kommentare/von Lukas Knappe
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Lukas Knappe https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Lukas Knappe2016-04-27 10:37:302016-04-27 10:37:30Notiz: BVerwG – Keine Klagebefugnis von Anwohnern der US Air Base Ramstein auf Überwachung von US-Drohneneinsätzen
Zaid Mansour

BVerfG: Verfassungsbeschwerde gegen das Waffengesetz hat keinen Erfolg

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Das Bundesverfassungsgericht hat drei gegen das geltende Waffenrecht erhobene Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, 2 BvR 1645/10 vom 23.01.2013). Die Beschwerdeführer rügten eine Verletzung ihres Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) durch gesetzgeberisches Unterlassen, da das Waffengesetz tödliche Schusswaffen für den Schießsport erlaube bzw. deren Gebrauch nicht ausreichend einschränke. Der Gesetzgeber habe nach Ansicht der Beschwerdeführer damit gegen seine grundgesetzliche Schutzpflicht vor Gefahren missbräuchlicher Verwendung von Schusswaffen verstoßen. Das geltende Waffenrecht biete – ausweislich diverser Mordserien in den vergangenen Jahren – keinen ausreichenden Schutz der Allgemeinheit.

Weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers

Das Bundesverfassungsgericht führt zunächst mit Blick auf seine ständige Rechtsprechung aus, dass sich der Gewährleistungsgehalt des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht in einem subjektiven Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe erschöpft, sondern auch eine staatliche Schutzpflicht für das geschützte Rechtsgut enthält, deren Vernachlässigung grundsätzlich mit der Verfassungsbeschwerde beanstandet werden kann. Diese Schutzpflicht gebiete es, dass der Staat „sich schützend und fördernd vor gefährdetes menschliches Leben“ stellt und es vor etwaigen rechtswidrigen Eingriffen Dritter bewahrt. Dem Gesetzgeber kommt bei der Erfüllung seiner Schutzpflicht allerdings ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, so dass betroffene Entscheidungen nur einer eingeschränkten (verfassungs)gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Eine Verletzung der Schutzpflicht kann vom Bundesverfassungsgericht also, v.a. mit Blick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung, nur dann festgestellt werden, wenn „die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen hat oder die ergriffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen“.

Waffengesetz stellt keine Schutzpflichtverletzung dar

Vor dem Hintergrund dieser Prämisse konnte das Bundesverfassungsgericht – zu Recht – keinen Verstoß gegen die grundgesetzliche Schutzpflicht feststellen. Angesicht der durchaus strengen Kriterien für die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis (siehe dazu hier) und etlicher weiterer Sicherungspflichten von Waffenbesitzern, wie das strafbewehrte Überlassungsverbot von Waffen an nicht berechtigte Personen (§ 36 WaffG) sowie Munitions- und Waffenaufbewahrungspflichten, kann eine gesetzgeberische Schutzpflichtverletzung im oben dargelegten Sinne nicht festgestellt werden.

 

18.02.2013/2 Kommentare/von Zaid Mansour
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Zaid Mansour https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Zaid Mansour2013-02-18 09:00:282013-02-18 09:00:28BVerfG: Verfassungsbeschwerde gegen das Waffengesetz hat keinen Erfolg
Dr. Stephan Pötters

Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke verfassungswidrig? Implikationen des Atomunfalls in Japan

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Verfassungsrecht

Formelle Verfassungswidrigkeit?
Vor einiger Zeit hatten wir ja bereits über die Debatte rund um die Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke und die entsprechenden verfassungsrechtlichen Probleme berichtet (s. hier). Hierbei haben wir uns bislang auf die Frage der Zustimmungspflichtigkeit beschränkt.
Materielle Verfassungswidrigkeit?
Aufgrund der tragischen Ereignisse in Japan ist es leider auch angebracht, über materiellrechtliche Aspekte nachzudenken. Insofern kommen mehrere Aspekte in Betracht: Aufgrund der Möglichkeit eines Reaktorunfalls mit katastrophalen Schäden und aufgrund der ungelösten Entsorgungsproblematik könnte die Beendigung der Kernenergienutzung zum Schutz von Leben und Gesundheit der Bürger (Art. 2 Abs. 1 GG) , zum Schutz der Volksgesundheit, zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) für ein Leben der heutigen und künftigen Generationen ohne atomare Risiken erforderlich sein, vgl. Koch/Roßnagel, NVwZ 2000, 1, 3.
Leitentscheidung: Schneller Brüter
Das BVerfG hat sich insofern bislang stets zurückhaltend geäußert und dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum zugebilligt, s. etwa den relativ aktuellen Beschluss vom 12. 11. 2008 – 1 BvR 2456/06, NVwZ 2009, 171. Leitentscheidung ist der Beschluss in der Rechtssache „Schneller Brüter“ (Beschluß vom 8. 8. 1978 – 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89 = NJW 1979, 359).
Zunächst einmal hat das BVerfG hier darauf hingewiesen, dass in einer derart grundrechtswesentlichen Frage wie die Atomkraft natürlich das Parlament als zentrale und unmittelbar legitimierte Institution im demokratischen Rechtsstaat entscheiden muss: „Die normative Grundsatzentscheidung für oder gegen die rechtliche Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland ist wegen ihrer weitreichenden Auswirkungen auf die Bürger, insbesondere auf ihren Freiheits- und Gleichheitsbereich, auf die allgemeinen Lebensverhältnisse und wegen der notwendigerweise damit verbundenen Art und Intensität der Regelung eine grundlegende und wesentliche Entscheidung im Sinne des Vorbehalts des Gesetzes. Sie zu treffen ist allein der Gesetzgeber berufen.“
Das BVerfG sieht sich dabei zurecht nicht befugt, eine derart hochpolitische Entscheidung im Detail zu entscheiden: „In einer notwendigerweise mit Ungewißheit belasteten Situation liegt es zuvorderst in der politischen Verantwortung des Gesetzgebers und der Regierung, im Rahmen ihrer jeweiligen Kompetenzen die von ihnen für zweckmäßig erachteten Entscheidungen zu treffen. Bei dieser Sachlage ist es nicht Aufgabe der Gerichte, mit ihrer Einschätzung an die Stelle der dazu berufenen politischen Organe zu treten. Denn insoweit ermangelt es rechtlicher Maßstäbe.“
Schutzpflichtsverletzungen (insb. Art. 2 GG)?
Was die Möglichkeit einer Schutzpflichtsverletzung angeht, äußerte sich das BVerfG damals ebenfalls sehr zurückhaltend. Vom Gesetzgeber im Hinblick auf seine Schutzpflicht eine Regelung zu fordern, die mit absoluter Sicherheit Grundrechtsgefährdungen ausschließt, hieße die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens verkennen. Die Logik dahinter ist, dass mit jeder Technik natürlich Risiken verbunden sind und immer Bedenkenträger etwas einzuwenden haben. Ein zu restriktiver Ansatz „würde weithin jede staatliche Zulassung der Nutzung von Technik verbannen.“ Die Karlsruher Richter schlussfolgerten, dass vage Ungewissheiten jenseits der Schwelle praktischer Vernunft unentrinnbar seien und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen seien.
Diese Position mag damals schlüssig gewesen sein, doch nach den Vorfällen in Japan kann man sicherlich auch anderer Meinung sein. Selbst ein Land mit höchsten Sicherheitsvorkehrungen wie Japan konnte einen Unfall nicht vermeiden. Der Sicherheitsstandard war dort unstreitig höher als in Tschernobyl und vielleicht sogar höher als in Deutschland. Auch wenn Deutschland kein Erdbebengebiet ist, lassen sich Unfälle auch hier wohl leider nicht mit absoluter Sicherheit ausschließen – ganz abgesehen von neuen Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus.
Hintertür im „Schneller Brüter“-Beschluss
Eine Hintertür hat sich das BVerfG in seiner Rechtsprechung aufgelassen: „Hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, kann er von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist.“ Die Entscheidungen können also immer nur auf Grundlage der damals bestehenden technischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse Geltung beanspruchen.
Ob nun die Laufzeitverlängerung daher wirklich materiell verfassungwidrig ist, soll hier abschließend nicht entschieden werden. Insofern sind Kommentare mit eigenen Ansichten allerdings ausdrücklich erwünscht.

14.03.2011/12 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2011-03-14 20:27:162011-03-14 20:27:16Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke verfassungswidrig? Implikationen des Atomunfalls in Japan
Dr. Stephan Pötters

Die wichtigsten Leitentscheidungen des BVerfG – Schwangerschaftsabbruch I (BVerfGE 39, 19)

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Öffentliches Recht, Schon gelesen?

Leitsätze:
1. Das sich im Mutterleib entwickelnde Leben steht als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 1 Abs. 1 GG). Die Schutzpflicht des Staates verbietet nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen.
2. Die Verpflichtung des Staates, das sich entwickelnde Leben in Schutz zu nehmen, besteht auch gegenüber der Mutter.
3. Der Lebensschutz der Leibesfrucht genießt grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren und darf nicht für eine bestimmte Frist in Frage gestellt werden.
4. Der Gesetzgeber kann die grundgesetzlich gebotene rechtliche Missbilligung des Schwangerschaftsabbruchs auch auf andere Weise zum Ausdruck bringen als mit dem Mittel der Strafdrohung. Entscheidend ist, ob die Gesamtheit der dem Schutz des ungeborenen Lebens dienenden Maßnahmen einen der Bedeutung des zu sichernden Rechtsgutes entsprechenden tatsächlichen Schutz gewährleistet. Im äußersten Falle, wenn der von der Verfassung gebotene Schutz auf keine andere Weise erreicht werden kann, ist der Gesetzgeber verpflichtet, zur Sicherung des sich entwickelnden Lebens das Mittel des Strafrechts einzusetzen.
5. Eine Fortsetzung der Schwangerschaft ist unzumutbar, wenn der Abbruch erforderlich ist, um von der Schwangeren eine Gefahr für ihr Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes abzuwenden. Darüber hinaus steht es dem Gesetzgeber frei, andere außergewöhnliche Belastungen für die Schwangere, die ähnlich schwer wiegen, als unzumutbar zu werten und in diesen Fällen den Schwangerschaftsabbruch straffrei zu lassen.
6. Das Fünfte Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 18. Juni 1974 (BGBl. I S. 1297) ist der verfassungsrechtlichen Verpflichtung, das werdende Leben zu schützen, nicht in dem gebotenen Umfang gerecht geworden.
Bedeutung:
Durch dieses Urteil wurde der Grundrechtschutz des ungeborenen Lebens / Nasciturus anerkannt. Eine teilweise Straffreiheit (z. B. nach einer qualifizierten Beratung, §§ 218a I, 219 StGB) einer Abtreibung ist aber verfassungsgemäß.

26.04.2009/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2009-04-26 15:34:412009-04-26 15:34:41Die wichtigsten Leitentscheidungen des BVerfG – Schwangerschaftsabbruch I (BVerfGE 39, 19)

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