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Schlagwortarchiv für: Schutz

Yannick Peisker

Versammlungsfreiheit: Auch die Infrastruktur unterfällt dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht, Versammlungsrecht

Das BVerwG (Az. 6 C 9.20) befasste sich erneut mit dem Umfang der prüfungsrelevanten Versammlungsfreiheit. Es hatte zu prüfen, ob auch die infrastrukturellen Einrichtungen eines Protestcamps dem Schutzgehalt des Art. 8 Abs. 1 GG unterfallen. Erstmals stand nun eine höchstrichterliche Entscheidung an, nachdem die Vorinstanz Art. 8 Abs. 1 GG für einschlägig erachtete. Eine Entscheidung des BVerfG steht in diesen Fällen noch aus, es ließ in sämtlichen Eilentscheidungen eine abschließende Bewertung offen und bezeichnete dies ausdrücklich als weitgehend ungeklärt. Die Examensrelevanz dürfte daher nicht zu unterschätzen sein, bietet sich die Versammlungsfreiheit aufgrund der besonderen grundrechtlichen Verschränkungen mit dem Polizei- und Ordnungsrecht in zahlreichen Fallgestaltungen an.

I. Die zu entscheidende Sachlage

Die Klägerin meldete im August 2017 ein Klimacamp als öffentliche Versammlung unter freiem Himmel bei dem Polizeipräsidium Aachen an. Es ordnete auf Grundlage des § 15 VersG eine Ortsauflage an und wies einen benachbarten Sportplatz als Versammlungsfläche zu, dort durften Übernachtungszelte errichtet werden. Nachdem der Sportplatz belegt war, mietete die Klägerin privat ein Feld als weitere Fläche an und informierte die zuständige Behörde. Mit einer nach Beginn der Versammlung erlassenen weiteren Verfügung wurde dieses Feld als Versammlungsfläche abgelehnt, es bestehe kein Grund, diese Fläche dem vorsorglich als Versammlung bewerteten Klimacamp zugehörig zu erklären.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage auf Feststellung, dass die Verfügung des Polizeipräsidiums Aachen rechtswidrig gewesen sei, soweit das Feld als Versammlungsfläche abgelehnt worden sei. Das VG Aachen hatte die Klage zunächst abgewiesen, das OVG Münster hat auf die Berufung hin die Entscheidung in Form eines Beschlusses nach § 130a VwGO geändert und dem Feststellungsantrag entsprochen. Nunmehr stand die Entscheidung des BVerwG über die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils an.

Die zulässige Revision wurde durch das BVerwG jedoch als unbegründet verworfen. Ausführungen zur Zulässigkeit können Sie hier nachlesen (Az. beim BVerwG 6 C 9.20). Vielmehr soll sich auf den wesentlichen materiellen Inhalt der Entscheidung beschränkt werden. Dies ist zum einen die Frage, ob das Klimacamp selbst eine Versammlung iSd. Art. 8 Abs. 1 GG war und darüber hinaus, ob auch die für das Klimacamp vorgesehenen Schlafplätze auf dem angemieteten Feld als infrastrukturelle Einrichtung vom Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG erfasst werden.

II. Protestcamps als Versammlung iSd. Art. 8 Abs. 1 GG

Bei einem Klimacamp handelt es sich um eine erst seit jüngerer Zeit auftretende Form des kollektiven Protests. Diese Protestcamps werden insbesondere durch ihre zeitliche Dauer geprägt, sie dauern von einigen Tagen bis hin zu mehreren Monaten oder sogar Jahren an. Aufgrund dieser besonderen zeitlichen Lage erwächst, anders als bei zeitlich eng begrenzten Versammlungen, ein spezifisches Bedürfnis nach Infrastruktureinrichtungen, wie etwa Sanitäreinrichtungen, Übernachtungsplätzen und Verpflegungseinrichtungen. Das Bundesverfassungsgericht, welches bisher nur im Eilrechtsschutz mit diesen Camps befasst war, hatte diese als versammlungsrechtlich weitgehend ungeklärt bezeichnet (BVerfG, Beschl. v. 28.6.2017 – 1 BvR 1387/17; Beschl. v. 21.9.2020 – 1 BvR 2152/20; Beschl. v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20).

Zu der Eigenschaft des Klimacamps als Versammlung schreibt des BVerwG das Folgende:

bb. Vor dem Hintergrund des in Art. 8 GG wurzelnden Rechts des Veranstalters einer Versammlung, selbst unter anderem über deren Zeitpunkt und damit auch über deren Dauer zu bestimmen, sowie dem hieraus weithin abgeleiteten Grundsatz, dass es keine zeitlichen Höchstgrenzen für Versammlungen gibt […], steht allein der Charakter eines Protestcamps als einer auf längere Dauer angelegten Veranstaltung seiner rechtlichen Einordnung als Versammlung grundsätzlich nicht entgegen.

Im Rahmen der außerhalb des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters liegenden, den zuständigen Behörden und ggf. angerufenen Gerichten zustehenden rechtlichen Beurteilung, ob eine Veranstaltung den Versammlungsbegriff erfüllt […], kann eine andere Annahme in dem Fall eines Camps mit einer absehbar sehr langen, etwa auf viele Monate oder gar Jahre angelegten Dauer gerechtfertigt sein. Eine solche extrem lange Dauer kann ein Indiz dafür sein, dass mit dem Camp tatsächlich kein versammlungsspezifischer Zweck verfolgt wird. In diesem Zusammenhang kommt es auf die Erklärungen an, die der Veranstalter bei der Anmeldung oder im Rahmen von anschließenden Kooperationsgesprächen gegenüber der Versammlungsbehörde abgegeben hat. Der Veranstalter eines Protestcamps muss zwar nicht – gleichsam einem Schema gehorchend – mit der Anmeldung ein lückenloses Konzept mit konkreten Programmpunkten vorlegen […]. Seinen Angaben muss sich jedoch nach objektivem Verständnis ein auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteter kommunikativer Zweck entnehmen lassen. Da es sich bei einem Protestcamp um eine Dauerveranstaltung handelt, ist der Veranstalter gehalten, den versammlungsspezifischen Zweck im Sinne einer auf die voraussichtliche Dauer bezogenen Gesamtkonzeption zu substantiieren.

Zur Verhinderung von durch die Dauer eines Protestcamps hervorgerufenen, nicht hinnehmbaren Beeinträchtigungen von Rechten Dritter oder öffentlichen Belangen bedarf es keines Ansetzens an dem Versammlungsbegriff. Denn die Versammlungsbehörde kann das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über die Dauer einer als Versammlung zu qualifizierenden Veranstaltung nach § 15 Abs. 1 VersammlG bei einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in angemessener Weise einschränken. Der Erlass einer die Dauer eines Protestcamps beschränkenden Verfügung stellt ein probates Mittel dar, um unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls eine praktische Konkordanz zwischen dem durch eine solche Veranstaltung ausgeübten Grundrecht der Versammlungsfreiheit und den Rechten Dritter sowie den betroffenen öffentlichen Belangen herzustellen. Dabei erlangen die letztgenannten Rechte und Belange im Rahmen der Abwägung ein umso höheres Gewicht, je länger ein Protestcamp absehbar dauern wird.“

BVerwG Urt. v. 24.5.2022 – 6 C 9.20, BeckRS 2022, 16178 Rn. 22-24

Das durchgeführte Klimacamp ist daher zurecht durch das OVG Münster als Versammlung eingeordnet worden. Unerheblich ist die zeitliche Dauer, diese lässt sich auf Ebene der Interessenabwägung in der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen.

III. Schutz der Infrastruktur des Protestcamps

Auch die infrastrukturelle Einrichtung kann dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG unterfallen. Maßgeblich für die Zuordnung von infrastrukturellen Einrichtungen ist nach Auffassung des BVerwG, ob ein funktionaler bzw. symbolischer Bezug zur Versammlung selbst besteht. Wann ein solcher Bezug vorliegt, ist hingegen umstritten:

Nach einer Ansicht ist ein derartiger Bezug zu bejahen, wenn eine inhaltliche Verknüpfung der Infrastruktureinrichtung mit der konkreten Meinungskundgabe besteht. Nach anderer Auffassung soll hingegen ausreichend sein, wenn eine solche Einrichtung für die Versammlung logistisch erforderlich ist, ein inhaltlicher Bezug sei damit erst Recht möglich, nicht aber zwingend von Nöten.

Das BVerwG schließt sich mit seiner Entscheidung, wie bereits das OVG Münster, der letztgenannten Ansicht an, dies überzeugt. Denn wenn der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG in Bezug auf die Versammlung nicht leerlaufen soll, dann müssen auch die infrastrukturellen Einrichtungen geschützt sein, die zur Durchführung der Versammlung logistisch erforderlich sind. Anderenfalls könnte die Versammlung bereits nicht durchgeführt werden. Man stelle sich etwa vor, dass eine mehrstündige Versammlung ohne Toilettenwagen oder Imbissstände durchgeführt wird. Diese sind für die Durchführung der Versammlung letztlich nicht weniger wichtig als das Rednerpult selbst (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 16.12.1993 – 1 S 1957/93). Durch einen solchen logistischen Bezug zwischen der Einrichtung und der Durchführung der Versammlung selbst wird auch ausgeschlossen, dass Personen, die anderweitige Zwecke verfolgen und die Infrastruktur zu Versammlungszwecken nutzen, in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG einbezogen werden. Sofern ein solcher Konnex zwischen der Einrichtung und der Durchführbarkeit der Versammlung besteht, ist auch die infrastrukturelle Einrichtung selbst einschließlich ihrer Nutzung vom Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG erfasst.

Auch Schlafplätze und Sanitäreinrichtungen sind für die Durchführung des Protestcamps von zentraler Bedeutung. Sie sind zur Durchführung eines mehrwöchigen Protestcamps logistisch zwingend erforderlich, anderenfalls könnte dieses nicht in der Form stattfinden. Sie unterfallen daher auch unmittelbar dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG.

IV. Ausblick: Geplantes Klimacamp in Hamburg

Die Entscheidung des BVerwG stammt zwar bereits aus dem Monat Mai, nichtsdestotrotz hat jüngst die Hamburger Versammlungsbehörde mit Bescheid vom 29. Juli 2022 ein Klimacamp im Stadtpark Hamburg nur mit vielen Auflagen bestätigt. Unter anderem soll – so der Veranstalter laut einem Bericht des Spiegels – das Übernachten sowie die Versorgung mit Essen und Trinken verboten sein, darüber hinaus soll das Camp in einem anderen Stadtpark stattfinden. Derzeit läuft ein Eilverfahren vor dem VG Hamburg, dieses hat die Erwägungen des BVerwG in jedem Falle zu berücksichtigen. Zwar ist Versammlungsrecht Landesrecht, sodass die Landesversammlungsgesetze einschlägig sind, die Ausführungen des BVerwG beziehen sich jedoch explizit auf Art. 8 Abs. 1 GG, welcher ohnehin umfassend durch die zuständigen Landesbehörden zu berücksichtigen ist. Die Ausführungen des BVerwG sind damit aktueller denn je – und werden es auch für die Zukunft sein. Dass das BVerfG den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG hier reduziert und hinter dem BVerwG zurückbleibt, ist wohl kaum zu erwarten.

05.08.2022/von Yannick Peisker
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Yannick Peisker https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Yannick Peisker2022-08-05 06:26:052022-08-05 08:15:59Versammlungsfreiheit: Auch die Infrastruktur unterfällt dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG
Dr. Yannik Beden, M.A.

BGH Follow-Up: Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bei anwaltlicher Beratung

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Mit seinem Urteil vom 7. Dezember 2017 – IX ZR 45/16 hat der 9. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs erneut Stellung zur äußerst prüfungsrelevanten Thematik der Anwendbarkeit und Reichweite der Grundsätze zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD) bezogen. Am selben Tag judizierte der 7. Senat des Gerichts zur Frage des Verhältnisses zwischen dem VSD und § 278 BGB – diese Entscheidung wurde bereits in einem vorherigen Beitrag behandelt. Auch der vom 9. Zivilsenat zu entscheidende Fall beleuchtet im Kern die Primärhaftung von Erfüllungsgehilfen in den klassischen Dreipersonenverhältnissen des VSD. Dieses Mal stand die Haftung eines zur Beratung hinzugezogenen Anwalts zur Debatte:
 
I. Der zugrundeliegende Sachverhalt (vereinfacht)
Die A-GmbH beabsichtigt, in Rumänien eine Milchviehanlage zu erwerben und zu erweitern. Dazu möchte sie Fördermittel der EU in Anspruch nehmen. Da dies mit einigen bürokratischen und juristischen Hürden verbunden ist, schließt die A-GmbH einen Vertrag mit der X-AG, wonach diese sie gegen ein Erfolgshonorar von 1,2 Mio. € beraten und unterstützen soll. In dem Vertrag vereinbaren die Parteien, dass die anwaltliche Beratung ausschließlich durch die X-AG realisiert werden soll, woraufhin diese einen Anwaltsvertrag mit dem Rechtsanwalt R abschließt.
Die A-GmbH schließt sodann einen Darlehensvertrag mit der P-Bank. Mit diesem Kredit sollen 45 % des Gesamtinvestitionsvolumens abgedeckt werden. Weitere 45 % der Investition sollen mit EU-Fördermitteln gedeckt werden. Die restlichen 10 % bringt die A-GmbH selbst bei. Voraussetzung für die Auszahlung der Darlehensvaluta ist nach den Bestimmungen des Darlehensvertrags, dass die A-GmbH Genossenschaftsanteile an der D-Bank erwirbt. Vor diesem Hintergrund eröffnet Rechtsanwalt R ein Anderkonto, auf welches die A-GmbH 80.000 € für den Erwerb der Genossenschaftsanteile überweist. Diesen Betrag leitet R sodann an die D-Bank weiter.
Entgegen der vertraglichen Vereinbarung zahlt die P-Bank allerdings das Darlehen nicht an die A-GmbH aus. Auch die beantragten EU Fördermittel werden der A-GmbH nicht bewilligt. Sie verlangt deshalb die Rückzahlung der 80.000 € von Rechtsanwalt R. Im zwischen der A-GmbH und der X-AG geschlossenen Vertrag wurde vereinbart, dass der für den Erwerb der Genossenschaftsanteile notwendige Betrag erst nach Bewilligung der EU Fördermittel an die P-Bank ausgezahlt werden soll.
Hat die A-GmbH einen Anspruch gegen Rechtsanwalt R auf Zahlung von 80.000 €?
Anmerkung: Deliktische Ansprüche der A-GmbH gegen R sind nicht zu prüfen.
II. Mögliche Anspruchsgrundlagen
Zu denken ist zunächst an einen Anspruch gegen R aus einem eigenständigen, zwischen der A-GmbH und dem R geschlossenen (Anwalts-)Vertrag. Auch Ansprüche aus einem Treuhandvertrag sind in Betracht zu ziehen. Beides ist jedoch letztlich in Ermangelung eines entsprechenden Parteiwillens abzulehnen. Auch ein Anspruch aus § 675 Abs. 2 BGB scheidet mangels Verpflichtungswillens und auch vor dem Hintergrund der zwischen der A-GmbH und der X-AG getroffenen Vereinbarung aus. Fraglich ist jedoch, ob die A-GmbH einen Anspruch gegen R nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter hat. Diese Wirkung könnte nämlich dem zwischen der X-AG und Rechtsanwalt R geschlossenen Anwaltsvertrag zukommen:
III. Reminder: Dogmatische Begründung und Voraussetzungen des VSD
In der Klausur gilt es, Ansprüche aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in einem zweigliedrigen Aufbau zu prüfen. Zunächst sollte auf die – nach wie vor umstrittene – Verortung der Rechtsfigur eingegangen werden. Im Anschluss müssen dann die weitestgehend einheitlich anerkannten und vom BGH in ständiger Rechtsprechung bestätigten Anspruchsvoraussetzungen geprüft werden1
1. Rechtliche Grundlage
Auch wenn der BGH die dogmatische Verortung des VSD in jüngeren Entscheidungen teilweise ausdrücklich offenlässt, greifen die Senate des Gerichts in den meisten Urteilen auf eine ergänzende Vertragsauslegung und den mutmaßlichen Willen der Vertragsparteien zurück – §§ 133, 157 BGB. Im Schrifttum wird mitunter auf § 328 BGB rekurriert, einige Autoren verorten den Vertragstypus bei § 242 BGB. Auch eine Anknüpfung an § 311 Abs. 3 S. 1 BGB wird diskutiert. Da der VSD als eigenständiger Vertragstypus seit langer Zeit von allen Beteiligten anerkannt wird, mag man auch durchaus von Gewohnheitsrecht sprechen. In der juristischen Prüfung sollten die in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen kurz genannt und sich für eine Auffassung mit entsprechender Begründung entschieden werden.
2. Voraussetzungen des Anspruchs aus VSD
Folgende Merkmale müssen für den Anspruch nach den Grundsätzen des VSD verwirklicht sein:
(1) Bestimmungsgemäße Leistungsnähe des Dritten
Der Dritte muss bestimmungsgemäß mit der (Haupt-)Leistung in Berührung kommen und den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt sein wie der Gläubiger
(2) Gläubigernähe des Dritten
Der Gläubiger muss ein Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrags haben
(3) Erkennbarkeit der Leistungs- und Gläubigernähe
Für den Schuldner müssen Leistungs- und Gläubigernähe des Dritten erkennbar und zumutbar sein.
(4) Schutzbedürfnis des Dritten
Für die Ausdehnung des Vertragsschutzes muss ein Bedürfnis bestehen. Dieses entfällt insbesondere, wenn dem Dritten eigene vertragliche Ansprüche zustehen, die den identischen oder zumindest gleichwertigen Inhalt haben.
(5) Ggf.: Analoge Anwendung des § 334 BGB
Da der Dritte über die Konstruktion des VSD einen vollwertigen Anspruch gegen den Schuldner erwirbt, stellt sich die Frage nach einer analogen Anwendung der haftungsbeschränkenden Norm des § 334 BGB. Die Bestimmung gilt unmittelbar nur für den Vertrag zugunsten Dritter – § 328 BGB. Eine entsprechende Anwendung wird diskutiert, um eine Besserstellung des Dritten gegenüber dem Primärgläubiger zu verhindern. Ob diese Analogie möglich und geboten ist, wird uneinheitlich beurteilt (zum Streitstand ausführlich Zenner, NJW 2009, 1030 ff.). Die Problematik sollte jedoch nur diskutiert werden, wenn dem Schuldner tatsächlich eine Haftungsbeschränkung gegenüber dem Primärgläubiger zugutekommt.
IV. Was entschied  der BGH?
Anders als noch die Vorinstanz urteilte der BGH, dass der zwischen der X-AG und Rechtsanwalt R bestehende Anwaltsvertrag keine drittschützende Wirkung gegenüber der A-GmbH entfalte. Das Landgericht entschied, dass die Beratungsleistungen des R aufgrund der erkennbaren Pflicht der X-AG, die Interessen der A-GmbH umfassend zu schützen, auch gegenüber letzterer Wirkung entfalten. Die Pflichtverletzung des R bestünde darin, die A-GmbH nicht vor den Risiken einer ungesicherten Vorleistung gewarnt zu haben. Im Falle eines entsprechenden Hinweises hätte die A-GmbH – so das Landgericht – eine Treuhandabrede mit R geschlossen und auf schützende Treuhandbedingungen bestanden.
Dieser Wertung widersprach der 9. Zivilsenat. Entscheidend ist nach Auffassung des BGH, dass der Rechtsanwalt R nicht aufgrund eines mit der A-GmbH geschlossenen Vertrags tätig wurde, sondern erst durch die Beauftragung der X-AG. Allein diese ist für die anwaltliche Beratung und Durchführung des Projekts der A-GmbH verantwortlich. R sei deshalb lediglich als Erfüllungsgehilfe der X-AG tätig geworden – § 278 BGB. Für einen eigenständigen Anspruch der A-GmbH gegen R nach den Grundsätzen des VSD fehle eine entsprechende Schutzbedürftigkeit der A-GmbH.
„Auch Verträge über anwaltliche Leistungen können Schutzwirkungen für Dritte entfalten. Voraussetzung der Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Vertrages ist, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der vom Anwalt geschuldeten Leistung in Berührung kommt, dass der Vertragspartner des Anwalts ein eigenes Interesse an der Einbeziehung des Dritten hat, dass der Anwalt die Leistungsnähe des Dritten und das Einbeziehungsinteresse seines Vertragspartners erkennen kann und dass der Dritte wegen des Fehlens eigener Ansprüche schutzbedürftig ist. Ausgeschlossen ist ein zusätzlicher Rechtsschutz regelmäßig dann, wenn der Dritte wegen des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts bereits über einen inhaltsgleichen vertraglichen Anspruch verfügt. Ob der Anspruch finanziell durchsetzbar ist, ist unerheblich. Durch die Einbeziehung des Dritten ändern sich die Pflichten nicht, welche der Anwalt dem Mandanten gegenüber übernommen hat.
[…]
Die Klägerin  [A-GmbH] ist nicht schutzbedürftig. Ihr steht wegen der von ihr beanstandeten Beratungsfehler gegebenenfalls ein Schadensersatzanspruch gegen die Gesellschaft [X-AG] zu, als deren Erfüllungsgehilfe der Beklagte [R] tätig war.
[…]
Die Gesellschaft hatte die Beratung und Unterstützung der Klägerin im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Erwerb der Milchviehanlage in Rumänien einschließlich der Finanzierung und der Beantragung der Fördermittel übernommen. Der Beklagte war nicht Partei dieses Vertrages. Dem Vertrag zwischen der Klägerin und der Gesellschaft zufolge sollte der Beklagte „die anwaltliche Beratung bezüglich der Vertragsgestaltung des Projekts“ übernehmen, jedoch nicht aufgrund eines mit der Klägerin geschlossenen Anwaltsvertrages, sondern aufgrund eines Auftrags der Gesellschaft. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung war die rechtliche Beratung also nicht ausschließlich vom Beklagten geschuldet. Der Beklagte hatte zwar alle auftretenden rechtlichen Fragen zu klären und die Verträge zu gestalten. Im Verhältnis zur Klägerin schuldete jedoch ausschließlich die Gesellschaft die genannten Leistungen. Dem eigenen Vortrag der Klägerin nach bezahlte die Gesellschaft die Beratungsleistungen, die der Beklagte zu erbringen hatte; sie gab diese Kosten im Rahmen des ihr zustehenden Honorars an die Klägerin weiter.
Gemäß § 278 S. 1 BGB hat der Geschäftsherr ein Verschulden der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie ein eigenes Verschulden. Berücksichtigten die Verträge, welche die von der Gesellschaft unterstützte und beratene Klägerin im Zusammenhang mit der Finanzierung schloss, nicht hinreichend die Interessen der Klägerin, sahen sie etwa ungesicherte Vorleistungen vor, war der Rückzahlungsanspruch der Klägerin im Falle eines Scheiterns des Antrags auf Fördermittel oder des Darlehensvertrages nicht hinreichend gesichert oder war der Vertragspartner erkennbar unseriös, hat die Gesellschaft für daraus entstandene Schäden einzustehen. Gleiches gilt, wenn die Beratungsleistungen der Gesellschaft unzulänglich waren, etwa weil sie die Klägerin nicht über die mit den ungesicherten Vorleistungen oder der fehlenden Absicherung des Rückzahlungsanspruchs verbundenen Risiken aufgeklärt hat. Eines zusätzlichen Anspruchs gegen den Beklagten als den Erfüllungsgehilfen der Gesellschaft bedarf es nicht. Nach allgemeinen Grundsätzen haftet der Erfüllungsgehilfe dem Vertragspartner seines Geschäftsherrn nicht unmittelbar. Das gilt auch dann, wenn der Vertragspartner den Erfüllungsgehilfen mit ausgewählt hat oder sich – wie hier – ausdrücklich mit dem Einsatz eines bestimmten Erfüllungsgehilfen einverstanden erklärt hat.“
V. Was bleibt also?
Fest steht, dass der BGH seine Judikatur zur Haftungserweiterung bei Erfüllungsgehilfen konsequent fortsetzt. Zwar können auch Verträge über anwaltliche Leistungen Schutzwirkung für Dritte entfalten – es bedarf jedoch auch hier einer Schutzbedürftigkeit nach den allgemeinen Grundsätzen des VSD. Da Erfüllungsgehilfen im Ausgangspunkt nicht unmittelbar gegenüber dem Vertragspartner des Geschäftsherrn haften, bedarf es einer genauen Kontrolle, ob dem Dritten nicht bereits eigene vertragliche Ansprüche mit (jedenfalls) gleichwertigem Inhalt zustehen. In der Klausur müssen deshalb die jeweiligen Vertragsinhalte genau geprüft und ggf. ausgelegt werden.

29.01.2018/2 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2018-01-29 10:00:012018-01-29 10:00:01BGH Follow-Up: Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bei anwaltlicher Beratung
Tom Stiebert

Pornos: Geistige Schöpfung oder primitiver Sex?

Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen

Ein Urteil, das Gesprächsstoff für jede Party (auch mit Nicht-Juristen) liefern kann, hat das LG München vor wenigen Tagen veröffentlicht (Beschluss v. 29.5.2013 – 7 O 22293/12).
Es hatte sich – im Rahmen eines Auskunftsanspruchs gegen Filesharingbetreiber – mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die beiden Pornofilme „Flexible Beauty“ und „Young Passion“ dem Urheberrecht unterliegen. Hierfür bedarf es nach § 2 UrhG einer sog. „persönlichen geistigen Schöpfung„. Diese liegt nur dann vor, wenn das Werk einem Denkprozess entstammt, es also als Resultat einer künstlerischen oder ähnlichen Betätigung anzusehen ist. Natürlich dürfen die Hürden hier – auch im Hinblick auf die weit auszulegende Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG – nicht sehr hoch gelegt werden. Es ist also lediglich ein Mindestmaß an geistiger Schöpfung und Individualität notwendig.
Im konkreten Fall wird aber selbst dies abgelehnt. Das Gericht begründet dies wie folgt.

Die Antragstellerin hat die Schutzfähigkeit des Films „Flexible Beauty“ lediglich pauschal behauptet. Auch auf den substantiierten Sachvortrag des Beteiligten … hat sie nicht erwidert. Die Kammer unterstellt daher, dass dessen Sachvortrag zutrifft und der 7 Minuten und 43 Sekunden lange Film lediglich sexuelle Vorgänge in primitiver Weise zeigt (vgl. Schriftsatz vom 28.12.2012 S. 14 = Bl. 38; Fotostrecke gem. Anlage BF6; DVD gem. Anlage BF5). Hierfür kann kein Schutz als Filmwerk (§ 94 UrhG) beansprucht werden: Es fehlt offensichtlich an einer persönlichen geistigen Schöpfung (§ 2 Abs. 2 UrhG).

Dem Gericht fehlte also offensichtlich die Handlung des Films, die bekanntermaßen bei Pornofilmen gerade das tragende Element ist (man denke nur an den legendären Satz: „Warum liegt hier überhaupt Stroh?“). 😉
Letztlich läuft der Fall also – so kurios dies im konkreten Fall klingen mag – auf eine Einzelfallabwägung hinaus. Es muss also geprüft werden, ob der Film lediglich Geschlechtsverkehr in primitiver Weise darstellt, oder ob nicht zumindest ergänzend eine Handlung hinzutritt, die den Film gerade „einzigartig“ macht.
Fazit:
Richter haben also demnächst eine gute Ausrede, wenn sie beim Pornoschauen erwischt werden…
…und Pornoproduzenten kann nur geraten werden: Mehr Handlung und Text in Pornos, dann klappt’s auch mit dem Urheberrecht…
 
 

03.07.2013/6 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2013-07-03 13:00:192013-07-03 13:00:19Pornos: Geistige Schöpfung oder primitiver Sex?
Dr. Christoph Werkmeister

Examensrelevante Probleme im Rahmen von Art. 20a GG

Öffentliches Recht, Verfassungsrecht

Art. 20a GG ist relativ neuer Artikel in unserem Grundgesetz. Anlässlich einer Reihe von Urteilen des BVerfG (etwa kürzlich Urt. v. 12.10.2010 – 2 BvF 1/07), die sich mit dem Thema beschäftigten, halte ich diese Norm durchaus für potentiell examensrelevant.
Normtext Art. 20a [Umweltschutz; Tierschutz]

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.

Keine subjektiven Schutzansprüche – allein objektives Verfassungsrecht
Art. 20a GG weist den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als Staatsziel aus. Dies ergibt sich bereits anhand einer grammatikalischen Auslegung und aus der systematischen Stellung. Der Gesetzgeber hat die Norm bewusst nicht unter die Grundrechte im ersten Abschnitt des GG eingereiht hat, sondern die verfassungsrechtliche Verankerung erst im zweiten Grundgesetzabschnitt und hier in räumlich-inhaltlicher Nähe zu den Staatsstrukturprinzipien aus Art. 20 GG vorgenommen
Die historische Auslegung ergibt, dass der Umweltschutz nicht in Form von subjektiven Rechten, sondern allein und nur in der Form einer Staatszielbestimmung gewollt war. Ein Umweltgrundrecht, wie es insbesondere in der politischen und rechtswissenschaftlichen Diskussion der siebziger Jahre angemahnt und eingefordert wurde, war aus politischen Erwägungen herrührend nicht gewollt.
Als Individuum lassen sich aus Art. 20a GG also keine subjektiven Rechte herleiten. Insbesondere erhalten Vorschriften, die keinen drittschützenden Charakter besitzen, einen solchen (und dadurch eine Klagebefugnis) nicht etwa dadurch, dass sie den verfassungsrechtlichen Schutzauftrag des Art. 20a GG auf unterverfassungsrechtlicher Ebene näher ausformen. Weiterhin gewinnt der einzelne aus dem ökologischen Staatsziel folgerichtig kein subjektives einklagbares Recht auf eine bestimmte legislative Tätigkeit.
Aber zumindest objektives Verfassungsrecht
Art. 20a GG enthält allerdings nicht bloß einen verfassungspolitischen Programmsatz, sondern beinhaltet eine unmittelbar geltende, an alle Formen der Staatsgewalt gerichtete, Leitlinie. Nichtsdestotrotz ist auf der anderen Seite festzustellen, dass Art. 20a GG aufgrund der situativen Offenheit und der entwicklungsbedingten Dynamik ökologischer Bedarfslagen – wie etwa auch bei dem Sozialstaatsprinzip – weitgehend offen bzw. konkretisierungsbedürftig ist.
Für die Klausur bedeutet das, dass dieser Begriff insbesondere im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung relevant werden kann. Das verfassungsrechtliche Rechtsgut „Umweltschutz i.S.d. Art 20a GG“ kann dann innerhalb der Abwägung eine Rolle spielen. In diesem Sinne hat das BVerwG ausgeführt, dass durch die ausdrückliche Einordnung der Staatszielbestimmung in die verfassungsmäßige Ordnung klargestellt werde, dass der Umweltschutz keinen absoluten Vorrang genieße, sondern in Ausgleich mit anderen Verfassungsprinzipien und ‑rechtsgütern zu bringen sei. Denkbar ist es ebenso, dass bei der Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen ein Verstoß gegen Art 20a GG geprüft werden muss.
Damit der Einbau von Art. 20a GG in der Klausur gelingt, muss in den Fällen, wo es nicht gerade um den Schutz von Tieren geht, der Begriff „natürliche Lebensgrundlagen“ definiert und subsumiert werden.
Definition des Begriffs „natürliche Lebensgrundlagen“
Eine allgemein verbindliche Definition des Begriffs „natürliche Lebensgrundlagen“ besteht nicht. Es handelt sich um einen weithin gestaltungsoffenen Begriff, der sich je nach Bedarfssituation auf dem Planeten Erde auch ändern kann. Vorsichtige und vorläufige Annäherungen bietet etwa das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (u.a. Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft).
Im Rahmen einer Klausur wäre es bei der Definition dieses Begriffes somit wichtig, darauf einzugehen, dass er die Grundlagen des Menschen erfasst, also z.B. die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, die Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, die Pflanzen- und Tierwelt sowie die Vielfalt, Eigenart und vielleicht sogar Schönheit von Natur und Landschaft. Insgesamt und grundsätzlich geht es um die Gesamtheit der Ökosysteme.
Nicht zu den „natürlichen Lebensgrundlagen“ im Sinne von Art. 20a GG gehören „schutzwürdige Sachgüter“ wie Bauweise und Kulturdenkmäler oder gar das „kulturelle Erbe“, die gelegentlich auf europäischer Rechtsebene in den Umweltschutz einbezogen werden.
Ebenso dürfen nicht die europarechtlichen Maßstäbe für Tiergerechtheit und Naturschutz zur Auslegung des Verfassungsbegriffs herangezogen werden. Das Gemeinschaftsrecht kann systematisch nicht als Mittel zur Definition von Verfassungsgütern dienen. Das EU-Recht stellt vielmehr auf einer eigenen Ebene Mindeststandards auf, deren Verletzung gesondert nach anderen Maßstäben gerügt werden kann.
Keine mittelbare Drittwirkung
Nach Sinn, Wortlaut und auch Entstehungsgeschichte ist die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG nur an den Staat bzw. dessen Zuständigkeitsträger, nicht dagegen an Private gerichtet. Als Staatszielbestimmung fällt Art. 20a GG schon wesensmäßig keine Drittwirkung zu. Art. 20a GG konstituiert zwar eine materiale Wertentscheidung zugunsten des Umweltschutzes, diese bedarf aber zuerst der Umsetzung bzw. konkreten Aktualisierung durch den Gesetzgeber.
In Privatrechtsstreitigkeiten spielt Art. 20a GG somit keine Rolle. § 241 Abs. 2 BGB erfasst in seinen Schutzpflichten bereits, dass die körperliche Integrität des Vertragspartners zu achten ist; insofern sind Fälle, bei denen aufgrund von Umweltverschmutzung Gesundheitsschäden bei Vertragspartnern auftreten, bereits hiervon erfasst. Das gleiche gilt ebenso beim Deliktsrecht im Rahmen von § 823 BGB etc., wo die Gesundheit ebenso geschützt ist.
Beschränkte Justiziabilität
Die konkrete Umsetzung des in Art. 20a GG angelegten bzw. vorgegebenen Handlungsauftrages an die legislative Gewalt ist der gerichtlichen Nachprüfbarkeit weitgehend entzogen. Von Verfassungswegen vorgegeben ist lediglich das ökologische Ziel, nicht aber auch der Weg dorthin. Dem Gesetzgeber steht somit bei der konkreten Ausgestaltung eine weite Einschätzungsprärogative zu.
Genauso kann es sich für die Exekutive verhalten, sofern etwa Umwelt- oder Tiertbelange angemessen im Tatbestand einer Norm zu berücksichtigen sind. Das bedeutet, dass Behörden diese Belange bei solchen Normen zwar zu beachten haben, wie diese Belange aber konkret umgesetzt werden, bleibt Ihnen überlassen. Das bedeutet, dass im Rahmen solcher Entscheidungen weitreichende Beurteilungsspielräume denkbar sind. Andererseits bedeutet das natürlich trotzdem, dass gerichtlich überprüfbar ist, ob die Behörde diese Belange überhaupt in Betracht gezogen hat, bzw. ob ein sog. Beurteilungsfehler vorliegt.
Verstöße gegen Art. 20a GG
Sofern etwa konkrete Ausgestaltungen des Umweltschutzes in Gesetzesform gegossen werden, hat sich der Gesetzgeber etwa in Fällen von Regelungen zur artgerechten Tierhaltung am aktuellen Stand der Wissenschaft zu orientieren (Urt. v. 12.10.2010 – 2 BvF 1/07). Bevor hier konkrete Regelungen erlassen werden konnten, besteht zudem eine vorherige Ermittlungspflicht, um diesen Stand der Wissenschaft zu ermitteln. In Zweifelsfällen dürfen neue Haltungsformen erst eingeführt werden, wenn ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen an eine artgerechte Tierhaltung nachgewiesen ist.
Weiterhin ist im Rahmen von Ermächtigungsgrundlagen für Rechtsverordnungen in Bereichen des Umwelt- und Tierschutzrechts durch geeignete Verfahrensnormen sicherzustellen, dass bei der Setzung tierschutzrechtlicher bzw. umweltrechtlicher Standards die o.g. Informationen zum Stand der Technik auch verfügbar sind und vom Verordnungsgeber genutzt werden.
Diese genannten Grundsätze lassen sich auf behördliche Entscheidungen im Umwelt- und Tierrecht übertragen. Die Behörden haben stets dafür zu sorgen, dass ihre Entscheidungen technisch auf dem aktuellen Stand sind und haben durch entsprechende Verfahren dafür zu sorgen, dass diese Informationen auch wirksam in die Entscheidung mit einfließen können.
Examensrelevanz
Da im Rahmen der Anwendung von Art. 20a GG noch eine Vielzahl an Fragen offen und da die Anwendung der Norm in weiten Teilen wohl gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist, bietet sich die Norm hervorragend zum Improvisieren in der Klausur oder mündlichen Prüfung an. Hier wird wie in den meisten Fällen von exotischen Randproblemen kein detailliertes Fachwissen abgefragt, sondern es genügen eine brauchbare Definition und Subsumtion. Darüber hinaus lassen sich Aspekte beschränkter Justiziabilität wie Beurteilungsspielräume bzw. die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers einbauen, so dass insoweit zunächst einmal eine Masse abstraktes Grundwissen präsentiert und im Einzelfall angewendet werden kann.

31.01.2011/4 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2011-01-31 00:13:072011-01-31 00:13:07Examensrelevante Probleme im Rahmen von Art. 20a GG

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