Limited, S.A.R.L. und BV sind Euch kein Begriff? Nicht wirklich schlimm – im schriftlichen Staatsteil des Examens. Im Schwerpunkt und der Mündlichen kann es da schon anders aussehen. Limited, S.A.R.L. und BV Rechtsformen von EG-Staaten, die der GmbH ähneln. Seit den Urteilen des EuGH in den Rs. Centros, Überseering und Inspire Art tummeln sie sich auch in Deutschland und jagen der GmbH Marktanteile ab.
Der Anfang: Daily Mail
Wir schrieben das Jahr 1988, der Eiserne Vorhang steht noch – auch für Wegzugswillige Gesellschaften aus Europa. Die britische Zeitung „Daily Mail“ will dem drückenden Steuersatz der Queen entfliehen und ihren Verwaltungssitz von der Insel auf den Kontinent verlegen.
Die britischen Finanzbehörden sehen das gar nicht gern und untersagen den Wegzug. Natürlich kommt es zum Rechtsstreit – und dieser gelangt zum EuGH. Luxemburg kommt zu dem Schluss, dass „die Artikel 52 und 58 EWG-Vertrag [jetzt Artt. 43, 48 EG], beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet ist und in diesem ihren satzungsmäßigen Sitz hat, nicht das Recht [gewähren], den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.“ Mitgliedstaaten konnten also nationalen Gesellschaften den WEGZUG untersagen.
Die Trilogie: Centros, Überseering, Inspire Art
Jahre später gründet das dänische Ehepaar Bryde eine Limited mit Sitz in London als Briefkastenfirma. Der tatsächliche Verwaltungssitz der Gesellschaft soll in Dänemark liegen, wo aber nur eine Zweigniederlassung der Centros Ltd. registriert werden soll. Das Ganze dient dazu, die dänischen Vorschriften über das Stammkapital einer dänischen GmbH zu umgehen (eine Ltd. kann schon mit 1 Pfund Stammkapital gegründet werden). Es kommt, wie es kommen muss: Das dänische Registergericht verweigert die Eintragung der Zweigniederlassung, weil die Umgehung des dänischen Gesellschaftsrechts rechtsmissbräuchlich sei. 1999 kommt die Sache zum EuGH, und dieser befindet:
„Ein Mitgliedstaat, der die Eintragung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft verweigert, die in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, rechtmässig errichtet worden ist, aber keine Geschäftstätigkeit entfaltet, verstösst gegen die Artikel 52 und 58 EG-Vertrag [jetzt Artt. 43, 48 EG], wenn die Zweigniederlassung es der Gesellschaft ermöglichen soll, ihre gesamte Geschäftstätigkeit in dem Staat auszuüben, in dem diese Zweigniederlassung errichtet wird, ohne dort eine Gesellschaft zu errichten und damit das dortige Recht über die Errichtung von Gesellschaften zu umgehen, das höhere Anforderungen an die Einzahlung des Mindestgesellschaftskapitals stellt. Diese Auslegung schließt jedoch nicht aus, daß die Behörden des betreffenden Mitgliedstaats alle geeigneten Maßnahmen treffen können, um Betrügereien zu verhindern oder zu verfolgen. Das gilt sowohl – gegebenenfalls im Zusammenwirken mit dem Mitgliedstaat, in dem sie errichtet wurde – gegenüber der Gesellschaft selbst als auch gegenüber den Gesellschaftern, wenn diese sich mittels der Errichtung der Gesellschaft ihren Verpflichtungen gegenüber inländischen privaten oder öffentlichen Gläubigern entziehen möchten.“
Demnach war das Vorgehen der Eheleute Bryde grundsätzlich zulässig, den nationalen Gerichten blieb nur die Möglichkeit, betrügerisches Verhalten zu verhindern, wozu die bloße Umgehung von Kapitalaufbringungsvorschriften nicht zählen sollte. Der ZUZUG von Auslandsgesellschaften konnte also nur unter engen Voraussetzungen untersagt werden. Das Urteil war ein Paukenschlag, denn das Gesellschaftsrecht war zu diesem Zeitpunkt nicht in dem Maße harmonisiert, dass die Niederlassung einer Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat selbstverständlich gewesen wäre. Im Gegenteil: In den meisten Mitgliedstaaten und so auch in Deutschland herrschte die sog. Sitztheorie, eine Gesellschaft wurde nach dem recht des Staates beurteilt, in dem sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hatte. Zog etwa eine britische Ltd. nach Deutschland, fehlte es dieser für eine Anerkennung als GmbH an den Errichtungsvoraussetzungen der §§ 2 ff. GmbHG, sie wurde als GbR behandelt – mit der Folge einer persönlichen Haftung der Gesellschafter entsprechend § 128 HGB (dazu BGHZ 146, 341 – ARGE Weißes Roß).
Kaum hatte sich die erste Aufregung gelegt, folgte im Jahr 2002 schon der zweite Paukenschlag – diesmal war Deutschland betroffen: Die Überseering BV (eine GmbH niederländischen Rechts) verlegte ihren Verwaltungssitz nach Düsseldorf. Dort klagt sie aus einem Werkvertrag gegen einen Schuldner, doch das deutsche Gericht verweigert die BV die Parteifähigkeit (§ 50 ZPO), weil sie nach deutschem Recht nicht rechtsfähig sei. Dazu meint der EuGH:
„Es stellt eine mit den Artikeln 43 EG und 48 EG grundsätzlich nicht vereinbare Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, wenn ein Mitgliedstaat sich u. a. deshalb weigert, die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründet worden ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, anzuerkennen, weil die Gesellschaft im Anschluss an den Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile durch in seinem Hoheitsgebiet wohnende eigene Staatsangehörige, ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in sein Hoheitsgebiet verlegt haben soll, mit der Folge, dass die Gesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat nicht zu dem Zweck parteifähig ist, ihre Ansprüche aus einem Vertrag geltend zu machen, es sei denn, dass sie sich nach dem Recht dieses Aufnahmestaats neu gründet.“
Insoweit ergaben sich kaum Neuerungen zur Rechtsprechung aus dem Centros-Urteil. Deutschland hatte den ZUZUG einer mitgliedstaatlichen Gesellschaft untersagt, das war mit Centros nicht vereinbar. Neu und daher interessant waren hingegen die Aussagen zur zulässigen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit:
„In dieser Hinsicht lässt es sich zwar nicht ausschließen, dass zwingende Gründe des Gemeinwohls, wie der Schutz der Interessen der Gläubiger, der Minderheitsgesellschafter, der Arbeitnehmer oder auch des Fiskus, unter bestimmten Umständen und unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können, solche Ziele können es jedoch nicht rechtfertigen, dass einer Gesellschaft, die in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß gegründet worden ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit abgesprochen wird. Eine solche Maßnahme kommt nämlich der Negierung der den Gesellschaften in den Artikeln 43 EG und 48 EG zuerkannten Niederlassungsfreiheit gleich, so dass sie gegen diese Vorschriften verstößt.“
Der EuGH benennt hier erstmals die Kriterien, nach denen sich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen lässt. In der Sache handelt es sich um den etwa aus der Rs. Keck oder Gebhard bekannten Vier-Stufen-Test, gemünzt auf die Niederlassungsfreiheit. Infolge der Überseering-Entscheidung war der BGH gezwungen, für Gesellschaften aus der EG die Sitztheorie aufzugeben und die Gründungstheorie anzuerkennen. Für Gesellschaften z.B. aus der Schweiz gilt nach wie vor die Sitztheorie (BGH, Urt. v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 – Trabrennbahn).
Die Mitgliedstaaten reagierten. Zwar anerkannten sie, dass sie verpflichtet waren, Zweigniederlassungen von Scheinauslandsgesellschaften einzutragen. Man versuchte aber, diese den heimischen Gesellschaften gleichzustellen. Die Niederlande erließen ein Gesetz, nach dem die für eine BV geltenden Kapitalaufbringungsvorschriften auch für eine Scheinauslandsgesellschaft gelten sollten. Betroffen davon war eine Ltd. mit dem wohlklingenden Namen „Inspire Art“. Inspiriert von seinen vorherigen Urteilen, befand der EuGH im Jahr 2003, nachdem die Ltd. sich gerichtlich gegen die Gleichstellung mit einer BV gewehrt hatte:
„Die Artikel 43 EG und 48 EG stehen einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, die die Ausübung der Freiheit zur Errichtung einer Zweitniederlassung in diesem Staat durch eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft von bestimmten Voraussetzungen abhängig macht, die im innerstaatlichen Recht für die Gründung von Gesellschaften bezüglich des Mindestkapitals und der Haftung der Geschäftsführer vorgesehen sind. Die Gründe, aus denen die Gesellschaft in dem anderen Mitgliedstaat errichtet wurde, sowie der Umstand, dass sie ihre Tätigkeit ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Mitgliedstaat der Niederlassung ausübt, nehmen ihr nicht das Recht, sich auf die durch den Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit zu berufen, es sei denn, im konkreten Fall wird ein Missbrauch nachgewiesen.“
Demnach wäre es also unzulässig, wenn Deutschland das Kapitalerfordernis nach § 5 GmbHG auch auf eine Ltd. erstrecken würde, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland hat. Umstritten ist, ob das deutsche Mitbestimmungsrecht auf Scheinauslandsgesellschaften Anwendung finden kann oder nicht (dazu etwa Thüsing, ZIP 2004, 381).
Centros Reloaded: SEVIC Systems, Cartesio & Co.
Der EuGH hat seine Rechtsprechung zu den Artt. 43, 48 EG seitdem in einer Reihe von Urteilen bestätigt und konkretisiert. Genannt seien etwa die Entscheidungen SEVIC Systems, Deutsche Shell sowie jüngst Cartesio. Man darf dem EuGH bescheinigen, dass er den Wettbewerb der (gesellschafts-)Rechtsformen in Europa angefacht hat, dadurch aber auch zu einer weiteren Integration des Binnenmarktes beigetragen hat.
Der europäische Gesetzgeber hat inzwischen Schritte unternommen, die Mobilität von Gesellschaften in Europa zu erhöhen: Mit der SE und der SCE stehen inzwischen zwei Rechtsformen zur Verfügung, die ihren Sitz (auch Satzungssitz) ohne Formwechsel in jeden Mitgliedstaat verlegen können. Zudem besteht seit einigen Jahren infolge einer Richtlinie die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Gesellschaften. Mit der SPE steht ein europäischer „GmbH-Konkurrent“ schon in den Startlöchern.
Rechtsprechung: EuGH, Urt. v. 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459 – Centros; EuGH, Urt. v. 5. 11. 2002, Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919 – Überseering; EuGH, Urt. v. 30. 9. 2003, Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155 – Inspire Art.
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