Die Überschrift verheißt schon einiges an Spannung und Kontroversen. Allerdings soll es hier nicht um ein Plädoyer gehen, ob die Einführung der Scharia für einige Bevölkerungsgruppen in Deutschland zweckmäßig und zulässig ist (dies bleibt anderen überlassen, vgl. nur Prof. Otto Deppenheuer oder den – missverständlich geäußerten – Vorschlag des rheinland-pfälzischen Justizministers Hartloff.
Vielmehr soll es hier um die Frage gehen, ob nicht in einigen Bereichen der deutschen Gerichtsbarkeit islamisches Recht der Scharia schon längst angewendet wird und anzuwenden ist. Dass dies offensichtlich der Fall ist, zeigt ein aktuelles Urteil des Landgerichts Limburg. Tauchen solche Urteile auf, ist das „Rauschen im Blätterwald“ natürlich meist weithin vernehmbar. Hier soll aus juristischer Sicht kurz dargestellt werden unter welchen juristischen Rahmenbedingungen und in welchen Fällen die Scharia, bzw. Teile davon von deutschen Gerichten berücksichtigt werden.
Was ist überhaupt die Scharia?
Hört man den Begriff Scharia tauchen im ersten Moment wohl etliche Vorurteile über diese Rechtsform auf. Betrachtet man diese rechtlichen Regelungen aber genauer, so stellt man fest, dass die Scharia nichts anderes als die Rechtsordnung im Islam ist, die auch in einigen islamischen Staaten Anwendung findet. Es ist also eine religiöse Rechtsordnung, die von einigen Staaten aber auch als staatliche Rechtsordnung angesehen wird. Es handelt sich aber nicht etwa um eigenständige Gesetze wie BGB, StGB, VwGO etc.) sondern stellt eine Methode zur Rechtsfindung und Rechtsschöpfung dar (ausführlich: Peter Heine: Ein System großer Flexibilität- Der Begriff „Scharia“ provoziert ständige Missverständnisse. Herder Korrespondenz 65, 12/2011. S. 613-617). Die Scharia ist damit in alle Richtungen einer Auslegung offen (von liberal bis traditionell-konservativ) und ist damit nicht automatisch gleichzusetzen mit dem archaischen Bild von Steinigungen, dem Abschneiden von Händen, der Unterdrückung von Frauen etc.
In mehreren islamisch geprägten Ländern gilt die Scharia als staatliches Recht bspw. im Iran, Saudi-Arabien, Afghanistan, Sudan, Senegal, Katar, Kuwait und Bahrain. In anderen Ländern wie Algerien, Indonesien, Ägypten gelten zumindest Teile der Scharia für das Zivilrecht und dabei insbesondere das Ehe- und Familienrecht.
Geltung in Deutschland
Klar ist, dass deutsche Gesetze als solches natürlich (religions)neutral ausgestaltet sind und damit keinen Bezug auf die Scharia aufweisen. Wie kann es dann aber sein, dass doch in einigen Fällen ein deutscher Richter an einem deutschen Gericht die Vorgaben der Scharia zu beachten hat. Die Antwort hierauf liegt in den Grundsätzen des internationalen Privatrechts (IPR) die auch im Staatsexamen sehr relevant sind und auf jeden Fall beherrscht werden sollten. Hierunter zu verstehen sind diejenigen Rechtsnormen, die bestimmen, welches einzelstaatliche Recht bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden ist. Auf das IPR ist dann zurückzugreifen, wenn es sich um einen Sachverhalt mit Auslandsberührung handelt, d.h. eine Verbindung zum Recht eines ausländischen Staates besteht (vgl. Art. 3 EGBGB). Dieses Internationale Privatrecht greift allerdings nur dann, wenn keine Regelungen der Europäischen Gemeinschaft anwendbar sind- namentlich sind dies die Rom I und Rom II Verordnung für vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse. Geplant sind für die Zukunft weitere Verordnungen: eine Rom-III-Verordnung (Scheidung von Ehen), eine Rom-IV-Verordnung (Ehegüterrecht), eine Rom-V-Verordnung (Erbrecht) sowie eine Rom-VI-Verordnung (Unterhaltsverordnung).
Hinweis: Die vorige Version des Textes enthielt die Aussage, dass das Rom-Verordnungen nur gelten, wenn die Auslandsberührung zu einem Mitgliedsstaat der Union vorliege. Dies ist dahingehend zu berichtigen, dass es sich bei diesem Kollisionsrecht um autonomes Kollisionsrecht der Union in Form einer Verordnung handelt, dass damit in den Mitgliedsstaaten unmittelbar gilt und alle Sachverhalte des Kollisionsrecht regeln möchte – unabhängig mit welchen Drittstaat die Berührung erfolgt. Wir bitten um Entschuldigung.
Sind aber die Rom-Verordnungen aus inhaltlichen Gründen nicht anwendbar, so ist zu fragen, aus welchen Normen sonst die Anwendbarkeit des ausländischen Rechts resultieren kann. Maßgeblich ist auch hier dann das autonome deutsche IPR, also die Regelungen des EGBGB. Hier ist vorgesehen, welche nationale Rechtsordnung für welchen sachverhalt anzuwenden ist: Für das Familienrecht sind dies die Art. 13 ff EGBGB, für das Erbrecht Art. 25 EGBGB etc. Aus diesen sog. Kollisionsnormen ergibt sich dann unter Umständen die Anwendung des ausländischen Rechts.
Besondere Probleme treten hier insbesondere bei der Subsumtion auf, existieren doch in ausländischen Rechtsordnungen oft Begriffe die dem deutschen Recht unbekannt sind. Auch umgekehrt würde ein Problem bestehen. Maßgeblich ist hier nach h.M. die sog. lex fori, d.h. das Recht was am Ort des Gerichtes gilt. Was bspw. eine Eheschließung oder eine Ehescheidung ist, muss sich daher nach dem deutschen Recht bestimmen. liegt eine solche dann vor, dann kann die Kollisionsnorm greifen. in Grenzfällen muss versucht werden, den jeweiligen Sachverhalt möglichst so auszulegen, dass er unter eine Kollisionsnorm subsumiert werden kann.
Woher weiß aber ein deutscher Richter, wie das Scheidungsrecht in Saudi-Arabien funktioniert. Grundsätzlich muss der Grundsatz gelten, dass der Richter das Recht kennt (iura novit curia). Selbstverständlich ist es ihm in der Praxis aber nicht möglich, sämtliche Rechtsordnungen der Welt zu beherrschen. Um diesem Problem vorzubeugen wurden Auskunftsstellen geschaffen, bei denen sich der Richter über die jeweilige Rechtsordnung informieren und die Probleme lösen lassen kann.
Diese Form der Anwendung ausländischen Rechts existiert aber nur im Zivilrecht. Im Strafrecht bspw. ist ausschließlich deutsches Strafrecht anzuwenden – für welche Taten dies greift, ergibt sich aus §§ 3 ff. StGB.
Grenze der Anwendung des ausländischen Rechts
Grundsätzlich ist damit eine Anwendung des ausländischen Rechts möglich. Ein „Rechtsimperialismus“ dergestalt, dass das deutsche Recht als ultimativ richtig aufgezwungen werden soll, soll gerade verhindert werden. Es wird damit zunächst vermutet, dass das ausländische Recht angemessen und gerecht ist. Es mögen aber Fälle existieren in denen eine Anwendung der ausländischen Rechtsgrundsätze nicht mehr mit elementaren Prinzipien des deutschen Rechts vereinbar ist. Für diesen Fall enthält das Gesetz den sog. ordre-public-Vorbehalt in Art. 6 EGBGB. Die ausländische Rechtsnorm ist nicht anzuwenden, wenn sie wesentlichen Grundsätzen des dt. Rechts widerspricht. Insbesondere die Grundrechte sind damit gemeint (Satz 2). Dieses Einfallstor für die Grundrechte verhindert damit, dass ein deutscher Richter gezwungen ist, verfassungswidrige ausländische Rechtsnormen anzuwenden. Bei Beachtung dieser Grundsätze ist die Anwendung der Scharia aber auch im deutschen Recht richtig und angemessen. Die Aufregung hierüber ist hingegen eher polemisch und nicht von sachlichen Gründen getragen.
Weitere Probleme
Oben sollte nur überblicksmäßig dargestellt werden, nach welchen Grundsätzen eine Anwendung der Scharia möglich ist. In einer Klausur wird üblicherweise die Kollisionsnorm ergeben, das deutsches Sachrecht anwendbar ist. Auch eine Anwendung der Rom-I- und Rom-II-Verordnung ist möglich. Lediglich in einer Zusatzfrage kann sich die Anwendung ausländischen Sachrechts ergeben. Hier würde sich dann, in der Praxis, ein weiteres Problem stellen, legt doch § 4 EGBGB fest, dass auch das ausländische IPR ergänzend zum Sachrecht Anwendung findet (sog. Gesamtverweisung). wird der Verweis angenommen, ist also auch nach dem ausländischen IPR das ausländische Sachrecht anwendbar, tritt kein Problem auf. Wird hingegen an das dt. Sachrecht zurückverwiesen (renvoi), so gilt dies auch (Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB). Strittig ist lediglich, was bei einer Weiterverweisung an einen Drittstaat erfolgt und wie oft überhaupt weiterverwiesen werden darf.
Vorfrage: Zuständigkeit des deutschen Gerichts
Eine hier nicht behandelte Frage ist zudem, ob und wann ein deutsches Gericht überhaupt zuständig ist. Hier wurde, der Einfachheit halber, vorausgesetzt, dass das dt. Gericht zuständig ist. Ist dies in der Klausur nicht gegeben, muss zunächst geprüft werden, welches nationale Gericht zuständig ist. Auch hierfür existieren europäische Verordnungen, die die Zuständigkeit aus der örtlichen Zuständigkeit schließen (EugVVO und EuEheVO). Gerade aus letzterer resultiert die Zuständigkeit deutscher Gerichte für Scheidungen etc. Besteht keine solche europarechtliche Regelung, greift ebenso wie beim IPR auch hier autonomes deutsches internationales Zivilprozessrecht. Auch hier ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus der örtlichen Zuständigkeit (§ 12 ff ZPO).
Fazit
Für die Klausur sollte das IPR auf jeden Fall beherrscht werden – entsprechende Probleme können entweder als Vorfrage einer Klausur oder auch als Zusatzfrage unproblematisch geprüft werden. Das IPR als Aufhänger wird immer beliebter. Dennoch sollte man hiervor keine Angst haben: Die Kenntnis der Zusammenhänge und weniger – wichtiger – Normen genügt völlig.
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