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Du bist hier: Startseite1 > Rücktritt

Schlagwortarchiv für: Rücktritt

Alexandra Ritter

Versuch (§§ 22, 23 I StGB)

Karteikarten, Strafrecht, Uncategorized

I. Vorprüfung

1. Fehlende Deliktsvollendung
2. Versuchsstrafbarkeit (§ 23 I StGB i.V.m. § 12 I, II StGB)

II. Tatbestandsmäßigkeit

1. Tatentschluss
a) Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale
b) Sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale

2. Unmittelbares Ansetzen zur Tat
Subjektive Überschreitung der Schwelle zum „Jetzt geht’s los“ und objektive Vornahme einer Handlung, die keine zusätzlichen wesentlichen Zwischenschritte mehr zur Vollziehung der Tatbestandshandlung erfordert

VI. Rechtswidrigkeit

V. Schuld

VI. Rücktritt
Insb. Rücktritt gem. § 24 StGB

17.10.2022/0 Kommentare/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-10-17 14:15:582022-10-17 14:15:59Versuch (§§ 22, 23 I StGB)
Philip Musiol

Ticketverkaufsstellen wie Eventim müssen bei coronabedingtem Veranstaltungsausfall nicht die Ticketkosten zurückerstatten

Kaufrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schuldrecht, Startseite, Uncategorized, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Entscheidungen rund um das Coronavirus beherrschen nach wie vor die Rechtsprechung. Besonders die letztinstanzlichen Entscheidungen sind dabei von besonderer Prüfungsrelevanz, so auch das Urteil des BGH vom 13.07.2022, Az. VII ZR 329/21.

I.             Sachverhalt

Die Klägerin K hatte bei einer Vorverkaufsstelle, dem Ticketdienstleister T, im Dezember 2019 fünf Konzertkarten gekauft, das Konzert sollte am 21.03.2020 stattfinden. T ist dabei nicht selbst Veranstalter der Veranstaltungen, sondern vertreibt die Tickets nur im Auftrag des jeweiligen Veranstalters in eigenem Namen als Kommissionärin (§ 383 HGB). Das Konzert wurde schließlich aus Infektionsschutzgründen abgesagt. Anders als bei anderen Veranstaltungen der Fall, handelte es sich hierbei augenscheinlich um eine „endgültige“ Absage, ohne dass in dem Urteil Versuche, das Konzert zu verschieben thematisiert werden. Infolge der Absage wurde der Klägerin von der Veranstalterin – wohlgemerkt: nicht von der Vorverkaufsstelle – ein Wertgutschein angeboten. K lehnte diesen Wertgutschein ab und forderte stattdessen den Ticketdienstleister T auf die Erstattung des Ticketpreises in Anspruch. In erster Instanz war K hiermit erfolgreich, das Berufungsgericht wies die Klage ab. Mit ihrer Revision begehrte K nun die Wiederherstellung des erstinstanzlichen, der Klage stattgebenden Urteils.

II.            Entscheidung

Die Revision brachte nicht das von der Klägerin erhoffte Ergebnis. Der BGH wies die Revision zurück und schloss sich der Entscheidung des Berufungsgerichts an.

Zunächst ordnete der BGH den Vertrag, der zwischen K und T zustande gekommen war, als Rechtskauf im Sinne des § 453 BGB ein, um dann in einem zweiten Schritt einen Anspruch auf Rückerstattung des Ticketpreises infolge eines Rücktritts nach §§ 453 Abs. 1 aF, 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 Abs. 1, 346 Abs. 1 BGB abzulehnen. Denn es fehle an einem Rücktrittsgrund: Hauptleistungspflicht der T war nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag die Verschaffung des Rechts auf Teilnahme an Konzert durch Übertragung des Eigentums und des Besitzes an der dieses Recht verbriefenden Eintrittskarte. Keine Leistungspflicht der T aus dem Rechtskaufvertrag sei demgegenüber die Durchführung des Konzerts selbst. Durch die Übereignung der Eintrittskarte habe T ihre Verpflichtung damit vollständig erfüllt, für eine nachträgliche Absage des Konzerts hafte sie nicht. Insbesondere habe T ihre Verpflichtung zur Verschaffung eines Teilnahmerechts nicht mangelhaft erfüllt: Zum Zeitpunkt der Übertragung des Rechts an K war die Durchführung des Konzerts noch planmäßig vorgesehen und K stand das künftige Recht zur Teilnahme daran zu. Eine spätere, coronabedingte Absage der Veranstaltung könne schon deshalb keine Mängelgewährleistungsrechte der K begründen, weil es sich bei der Absage um einen Umstand handelt, der nach der bereits erfolgten mangelfreien Übertragung des Rechts eintrat. Maßgeblich für die Mangelfreiheit sei der Zeitpunkt der Übertragung des verkauften Rechts. Die Eintrittskarten verschafften der K dagegen als kleine Inhaberpapiere gemäß §§ 807, 793 Abs. 1 S. 1 BGB einen unmittelbaren Anspruch auf Durchführung und Teilnahme an der Veranstaltung gegen die Veranstalterin selbst. Hierbei handele es sich auch nicht um ein erst künftiges Recht. Das in der Eintrittskarte verkörperte Recht auf Teilnahme an der Veranstaltung entstehe mit der Errichtung des kleinen Inhaberpapiers durch den Veranstalter und mit dem Abschluss des Begebungsvertrags, mit dem die verbriefte Forderung schuldrechtlich begründet werde. Dass das Konzert erst in der Zukunft stattfindet, ändere hieran nichts, weil das Recht zur Teilnahme bereits entstanden sei und es nicht mehr im Belieben des Veranstalters stehe, dem Inhaber einer Eintrittskarte das Teilnahmerecht zu verweigern.

Neben der Frage, ob T aus Mängelgewährleistungsrechten zur Rückerstattung verpflichtet sei, befasste sich der BGH damit, ob T eine Garantie für das Stattfinden der Veranstaltung übernommen hatte. Auch dies lehnte der BGH ab: Einem durchschnittlichen Erwerber von Eintrittskarten über eine Vorverkaufsstelle sei bekannt, dass die Vorverkaufsstelle in der Regel keinerlei Einfluss auf die Durchführung der Veranstaltung habe. Der Erwerb einer Eintrittskarte über eine Vorverkaufsstelle begründe die Erwartung, dass der Inhaber der Karte durch deren Vorzeigen von dem Veranstalter Zutritt zu der jeweiligen Veranstaltung verlangen kann. Demgegenüber könne man nicht erwarten, dass die Vorverkaufsstelle selbst dem Karteninhaber Zutritt zu der Veranstaltung verschaffen kann. Vor diesem Hintergrund könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Vorverkaufsstelle verschuldensunabhängig und über die Pflichten eines Verkäufers hinaus für die Durchführung der Veranstaltung einstehen wolle. Auch der Umstand, dass sich der Käufer bei der Absage der Veranstaltung direkt an den Veranstalter richten müsse, mit dem er bis dahin keinen unmittelbaren Kontakt hatte, führte nach Ansicht des BGH zu keinem anderen Ergebnis. Stattdessen handele es sich hierbei um eine notwendige und für den Käufer vorhersehbare Folge des Auseinanderfallens von Verkäufer und Veranstalter.

Weiterhin ergebe sich auch wegen eines Widerrufs nach §§ 312g Abs. 1, 355 Abs. 1, 3 S. 1, 357 Abs. 1 BGB kein Rückzahlungsanspruch. Zwar bejahte der BGH das Vorliegen eines Fernabsatzvertrags, hielt jedoch gleichzeitig den Ausschlusstatbestand nach § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung für einschlägig. Denn der Rechtskaufvertrag habe das Zugangsrecht zu einer „auf einen bestimmten Zeitpunkt terminierten Freizeitbetätigung – einer Konzertveranstaltung – zum Gegenstand und [sei] somit als Dienstleistungsvertrag im Sinne von Art. 16 Buchst. l der Verbraucherrechterichtlinie und dementsprechend als von § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB erfasst anzusehen“ (Rn. 45). Die Veranstalterin sei vorliegend Kommittentin und schulde der Vorverkaufsstelle im Falle eines Widerrufs die Rückerstattung des Kaufpreises an den Verkäufer. Damit würde die Veranstalterin das wirtschaftliche Risiko des Widerrufs des Vertrags und das Risiko bezüglich der frei gewordenen Kapazitäten tragen.

Schließlich lehnte der BGH noch einen Anspruch der K auf Rückzahlung des Kaufpreises wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage des Rechtskaufvertrags gemäß § 313 Abs. 1, 3 BGB ab. Dabei lässt er offen, ob es zu einer Störung der Geschäftsgrundlage kam. Zwar führt er aus, dass dem Vertrag die beidseitige und nachträglich schwerwiegend gestörte Erwartung zu Grunde gelegen haben dürfte, dass sich bis zu dem geplanten Veranstaltungstermin die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, unter denen Großveranstaltungen grundsätzlich zulässig waren, nicht etwa auf Grund einer Pandemie ändern würden mit der Folge von hoheitlichen Verboten solcher Veranstaltungen. Es genüge, dass die Parteien diese Umstände als selbstverständlich ansahen, ohne sich diese bewusst gemacht zu haben. Darauf komme es aber deshalb nicht an, weil neben der Annahme einer Geschäftsgrundlage (bzw. des Wegfalls derselben) für die eine Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1, 2 BGB erforderlich ist, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Daran fehle es in dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall. Zunächst nutzt der BGH die Gelegenheit, um zum Verwendungsrisiko von Eintrittskarten auszuführen: Grundsätzlich trage der Käufer das Risiko, den Kaufgegenstand nicht wie von ihm beabsichtigt nutzen zu können. Dies sei auf die Konstellation des Rechtskaufs übertragbar, sodass es grundsätzlich in der Risikosphäre des Käufers liege, das in der Eintrittskarte verbriefte Recht auf Teilnahme an der Veranstaltung auch tatsächlich ausüben und durchsetzen zu können, mithin die Veranstaltung tatsächlich durchgeführt wird. Etwas anderes gelte jedoch, wenn die Absage der Veranstaltung auf eine hoheitliche Maßnahme zur Pandemiebekämpfung zurückgehe. Dieses Risiko gehe über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Verkäufers hinaus. Die fehlende Nutzbarkeit des Teilnahmerechts sei Folge umfangreicher staatlicher Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die weder der Veranstalter noch einer der Kaufvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann. Jedoch sei das Festhalten an dem unveränderten Rechtskaufvertrag der K deshalb zumutbar, weil die Veranstalterin des ausgefallenen Konzerts bereit war, für die Absage der Veranstaltung einzustehen und ihr Wertgutscheine als Ersatz hierfür auszustellen. Deren Annahme sei der K zumutbar gewesen, zumal sie die Auszahlung des Betrags jedenfalls nach dem 31. Dezember 2021 hätte verlangen können, wenn ihr nicht der Verweis auf einen Gutschein angesichts ihrer persönlichen Lebensumstände unzumutbar gewesen wäre (Art. 240 § 5 Abs. 5 Nr. 1 EGBGB). Der BGH führt zur Anwendbarkeit der Regelung zwar aus, dass die genannte Gutscheinlösung für einen Rechtskaufvertrag zwischen Vorverkaufsstelle und einem Käufer nicht gelte, da sie in ihrem Anwendungsbereich auf Veranstalter beschränkt sei. Jedoch sei der Gesetzgeber ersichtlich davon ausgegangen, dass die Berechtigung zur Ausgabe eines Gutscheins durch den Veranstalter die pandemiebedingte Problematik auch bei Beteiligung einer Vorverkaufsstelle löst. So muss der Wert des Gutscheins nach Art. 240 § 5 Abs. 2 S. 1 EGBGB auch etwaige Vorverkaufsgebühren umfassen, die üblicherweise bei einem Verkauf über Vorverkaufsstellen anfallen. Der Gesetzgeber ging zudem davon aus, dass der Veranstalter seine Pflicht zur Übergabe des Gutscheins unter anderem durch dessen Aushändigung seitens der Vorverkaufsstelle erfüllen kann. Die hierdurch zum Ausdruck kommende Intention des Gesetzgebers würde umgangen, wenn ein Käufer von einer als Kommissionärin handelnden Vorverkaufsstelle die Rückzahlung des Ticketpreises verlangen könnte. In diesem Falle könnte sich die Vorverkaufsstelle bei dem Veranstalter schadlos halten, wodurch die Entlastung durch die „Gutscheinlösung“ leerliefe. Dafür, dass der K als Partei eines Rechtskaufvertrags das Festhalten hieran zumutbar ist, spreche schließlich die Gleichbehandlung mit Personen, die ihre Eintrittskarten unmittelbar beim Veranstalter erworben haben: Wieso sollte K besser stehen als ein Dritter, der sein Veranstaltungsticket unmittelbar von dem Veranstalter erhält und entsprechend der gesetzgeberischen Wertung auf die Gutscheinlösung verwiesen werden kann. Damit war es der K zumutbar, am unveränderten Vertrag festzuhalten, weshalb eine Vertragsanpassung nach § 313 BGB ausscheide.

III.          Einordnung der Entscheidung

Der auf den ersten Blick ungewohnte Einstieg ins Kaufrecht über den Umweg eines Rechtskaufs macht die Entscheidung besonders examensrelevant. Auf den zweiten Blick lässt sich der Fall durch saubere Arbeit am Gesetz und einer klaren Abgrenzung der unterschiedlichen schuldrechtlichen Verpflichtungen lösen.

Dabei ist die richtige Einordnung des Vertragstyps eine unerlässliche Weichenstellung für die restliche Falllösung: So sollte in der Fallbearbeitung klargestellt werden, dass T selbst nicht Veranstalterin ist und die Tickets in eigenem Namen „verkauft“. Hier könnte – in gebotener Kürze – eine Stellvertretung der Veranstalterin zumindest angeprüft werden. Dabei ist freilich auf die Besonderheiten des Falls zu achten, um sich nicht in unnötigen Ausführungen zu verlieren. Zur Einordnung des Vertragstyps führt der BGH aus: „Zwar ist im allgemeinen Sprachgebrauch regelmäßig von einem „Erwerb“ oder „Kauf“ von Eintrittskarten die Rede. Rechtlich handelt es sich hierbei jedoch grundsätzlich nicht um einen Sachkauf der Karten. Kaufgegenstand ist vielmehr das Recht auf Teilnahme an der vom Veranstalter durchzuführenden Veranstaltung, das durch die – nicht personalisierte – Eintrittskarte als sogenanntes kleines Inhaberpapier im Sinne von § 807 BGB verkörpert ist.“ (Rn. 20)

Soweit es um Ansprüche aus Mängelrechten geht, kommt es entscheidend auf das Pflichtenprogramm des Verkäufers an: Es ist ein Unterschied, ob die Verschaffung eines Zugangsrechts oder die Durchführung einer Veranstaltung Vertragsgegenstand ist – dies muss erkannt werden. Nachdem das Pflichtenprogramm herausgearbeitet wurde, ist auf die mangelfreie Erfüllung der Pflichten abzustellen, sowie auf den hierfür maßgeblichen Zeitpunkt. So wie die Mängelrechte beim Sachkauf vom Zeitpunkt des Gefahrübergangs nach §§ 446, 447 BGB abhängen, kommt es beim Rechtskauf auf den Zeitpunkt der Übertragung des verkauften Rechts an. Hier ist allerdings nicht auf die §§ 446, 447 BGB abzustellen – diese sind allein auf die Verschaffung von Sachen anwendbar. Gedanklich lassen sich gleichwohl Parallelen ziehen.

Die Frage, ob eine Vorverkaufsstelle eine Garantie für die Durchführung einer Veranstaltung übernommen hat, lässt sich durch eine Auslegung der Vereinbarung nach §§ 133, 157 BGB beantworten, wobei die einschlägigen Normen zu zitieren sind. Hier sollte klargestellt werden, dass mit Blick auf ihre weitreichenden Folgen hohe Anforderungen an die Annahme einer Garantie zu stellen sind.

Der Fall bietet darüber hinaus Gelegenheit, Kenntnisse aus dem Verbraucherschutzrecht abzuprüfen. Eine richtlinienkonforme Auslegung wie der BGH sie unter Verweis auf eine Entscheidung des EuGH vorgenommen hat, wird von Prüflingen wohl kaum ohne zur Verfügungstellung weiteren Materials erwartet werden können. Dennoch lohnt es sich, sich die ratio des § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB vor Augen zu führen: Es geht darum, dem Veranstalter nicht das wirtschaftliche Risiko von kurzfristig freiwerdenden Kapazitäten aufzuerlegen. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der BGH annahm, dass es sich bei der Veranstalterin um die Kommittentin handelte, sei der Anwendungsbereich eröffnet, da Folgen des Widerrufs die Veranstalterin sonst mittelbar treffen würden. In einem letzten Schritt muss auf das im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung allgegenwärtige Thema des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eingegangen werden. Im Gutachten ist es ratsam, die Voraussetzungen für einen Rückzahlungsanspruch nach § 313 Abs. 1, 3 BGB schematisch zu prüfen und nicht die Frage offenzulassen, ob die Geschäftsgrundlage überhaupt betroffen ist bzw. sich geändert hat. Aus klausurtaktischen Gründen sollte dies bejaht werden, um sich sodann dem letzten Schwerpunkt des Falls zuzuwenden: Der Frage, ob das Festhalten am Vertrag unter Berücksichtigung der durch die Veranstalterin angebotenen Gutscheine zumutbar war. Die Frage, ob einer Partei das Festhalten am Vertrag zumutbar ist, ist eine Wertungsfrage. Dadurch sind gesetzgeberische Wertungen, auch wenn sie den Fall nicht unmittelbar betreffen, stets beachtlich, ebenso wie Vergleiche mit ähnlich gelagerten Konstellationen. Namentlich ist damit die Konstellation des Ticketkäufers, der sein Ticket unmittelbar beim Veranstalter erworben hat, als Vergleich heranzuziehen. Diese Erwägung sowie die wirtschaftlichen Folgen (möglicher Regress der Vorverkaufsstelle beim Veranstalter und eine drohende Umgehung des gesetzgeberischen Willens) rechtfertigen es, in Fällen wie dem Vorliegenden davon auszugehen, dass es dem Ticketkäufer zumutbar ist, an dem Rechtskaufvertrag mit der Vorverkaufsstelle festzuhalten.

15.08.2022/1 Kommentar/von Philip Musiol
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Philip Musiol https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Philip Musiol2022-08-15 08:03:462022-10-24 14:47:34Ticketverkaufsstellen wie Eventim müssen bei coronabedingtem Veranstaltungsausfall nicht die Ticketkosten zurückerstatten
Dr. Yannick Peisker

Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 2: Der Nacherfüllungsanspruch

Examensvorbereitung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Tagesgeschehen, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Jurastudenten und auch Praktiker werden die Nachricht mit gemischten Gefühlen entgegengenommen haben – mit dem Beginn des Jahres 2022 stehen größere Änderung im allseits prüfungs- und praxisrelevanten Kaufrecht an. Juraexamen.info gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen, die aufgrund der Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 im Kaufrecht der §§ 433 ff. BGB erfolgen. Hierzu veröffentlichen wir eine Reihe von Beiträgen – in diesem zweiten Teil der Reihe steht der Nacherfüllungsanspruch des Käufers im Fokus.
I. Anforderungen der Richtlinie (EU) 2019/771 an die Nacherfüllung
Genuin unionsrechtliche Vorgaben und Anforderungen an die Nacherfüllung in Gestalt der Nachbesserung oder Nachlieferung trifft die Richtlinie (EU) 2019/771 in Art. 14.
Art. 14 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2019/771 beschreibt die Art und Weise der Erfüllung von Nachbesserung und Nachlieferung. Dies habe unentgeltlich (lit. a); innerhalb einer angemessenen Frist ab dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher den Verkäufer über die Vertragswidrigkeit unterrichtet hat (lit. b) und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zu erfolgen, wobei die Art der Waren sowie der Zweck, für den der Verbraucher die Waren benötigt, zu berücksichtigen sind (lit. c).
Abs. 2 regelt nunmehr die Frage, wie mit der mangelbehafteten Ware zu verfahren ist. Sofern die Vertragswidrigkeit durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung beseitigt wird, stellt der Verbraucher die Ware dem Verkäufer zur Verfügung. Der Verkäufer muss diese ersetzten Waren auf seine Kosten zurücknehmen.
Abs. 3 betrifft die Problematik der Nacherfüllung bei eingebauten Waren. Erfordert die Nachbesserung deren Entfernung, umfasst die Nacherfüllungspflicht nunmehr ausdrücklich die Entfernung der mangelbehafteten Ware sowie Montage oder Installierung nach Nachbesserung oder Nachlieferung, oder aber auch eine entsprechende Kostenübernahme.
Zuletzt regelt Abs. 4, dass der Verbraucher für eine normale Verwendung der ersetzten Waren für die Zeit vor der Ersetzung nicht zu zahlen braucht.
Um diese in der Richtlinie (EU) 2019/771 getroffenen Anforderungen in nationales Recht umzusetzen, hat der Gesetzgeber einige Anpassungen des § 439 BGB vorgenommen.
II. Die Umsetzung in deutschen Recht
Textliche Änderungen hat der Gesetzgeber durch Gesetz v. 25.6.2021 (BGBl. I S. 2133) durch Anpassung des Abs. 3 S. 1, durch Streichung des Abs. 3 S. 2, durch Einfügen eines neuen Abs. 5 und die Verschiebung des bisherigen Abs. 5 in Abs. 6 verbunden mit der Einführung eines neuen Abs. 6 S. 2 vorgenommen. Nachfolgend sollen die einzelnen Änderungen untersucht und ihre Auswirkung auf die bisher geltende Rechtslage beurteilt werden.
1. Aufwendungen für den Aus- und Einbau, § 439 Abs. 3 BGB nF.
439 Abs. 3 BGB betrifft die klassischen Einbaufälle, in denen der Käufer die gekaufte Sache in eine andere Sache eingebaut, oder an eine andere Sache angebracht hat. Abs. 3 S. 1 verpflichtet in diesem Fällen, sofern der Einbau oder die Anbringung der Art der gekauften Sache und ihrem Verwendungszweck entspricht, den Verkäufer dazu, die erforderlichen Aufwendungen für das Entfernen der mangelhaften Sache und den Einbau oder das Anbringen der mangelhaften Sache zu tragen.
Wichtig ist: Diese Pflicht wird durch die Neuregelung des Abs. 3 im Grundsatz nicht angerührt.
Lediglich der Ausnahmetatbestand ist betroffen. So verwies § 439 Abs. 3 S. 2 BGB aF. auf § 442 Abs. 1, wobei es für die Kenntnis des Käufers auf den Zeitpunkt des Einbaus/Anbringens ankam. Dies hatte nach früherer Rechtslage zur Folge, dass der Anspruch des Käufers auf Aufwendungsersatz nach Abs. 3 S. 1 in den Fällen ausgeschlossen war, in denen er bereits bei Einbau oder Anbringen der gekauften Sache Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von ihrer Mangelhaftigkeit besaß. Mit dieser Vorschrift setzte der nationale Gesetzgeber seinerseits (überschießend, also nicht nur für Verbraucher, sondern für alle Käufe geltend) die Rechtsprechung des EuGH um, nach der ein Ersatz von Aus- und Einbaukosten nur bei Gutgläubigkeit des Verbrauchers bestehen könne (BT-Drs. 19/27424, 26).
Dieser Ausnahmetatbestand des S. 2 fällt nunmehr weg.
Stattdessen wurde Abs. 3 S. 1 dergestalt angepasst, dass ein Aufwendungsersatzanspruch nur besteht, wenn die Sache eingebaut oder angebracht wurde „bevor der Mangel offenbar wurde“. Was genau unter dieser Begrifflichkeit zu verstehen ist, bleibt ungeklärt. Die Richtlinie (EU) 2019/771 selbst verhält sich hierzu nicht, ebenso wenig die nationalen Regelungen.
Vertreten lässt sich sowohl eine objektive Sichtweise, sodass es auf die Erkenntnismöglichkeit eines Durchschnittskäufers ankomme (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2067), jedoch scheint auch eine Betrachtungsweise aus Sicht des Käufers nicht ausgeschlossen.
Darüber hinaus ist fraglich, ob die positive Kenntnis entscheidend und erforderlich ist, oder ob bereits grob oder einfach fahrlässige Unkenntnis ausreichend ist. Mit Blick auf die EuGH Entscheidung zur Richtlinie (EG) 1999/44, der die Gutgläubigkeit des Käufers forderte (EuGH, Urt. v. 16.6.2011 – C-65/09, C-87/09, NJW 2011, 2269) und die frühere Umsetzung in nationales Recht durch Verweis auf § 442 BGB, ist davon auszugehen, dass auch vorliegend bereits grob fahrlässige Unkenntnis schädlich ist. Sofern der nationale Gesetzgeber eine anderweitige Regelung hätte treffen wollen, hätte er dies in der Gesetzesbegründung wohl deutlicher hervorgehoben.
Rechtlich bringt die Änderung des § 439 Abs. 3 BGB nach hier vertretener Auffassung daher keine Änderungen, das letzte Wort ist hier jedoch juristisch noch nicht gesprochen.
In dem Zusammenhang soll kursorisch erwähnt werden, dass die bisherige Regelung des § 475 Abs. 4 BGB aF. ersatzlos gestrichen wurde. Der dortige S. 2 sah die Möglichkeit des Verkäufers vor, den Aufwendungsersatz nach Abs. 3 S. 1 auf einen angemessenen Betrag zu beschränken, sofern die andere Art der Nacherfüllung wegen der Höhe der Aufwendungen nach § 439 Abs. 2 oder Abs. 3 S. 1 BGB unverhältnismäßig ist. Diese Vorschrift galt aufgrund ihrer Verortung in § 475 BGB ausschließlich für den Kauf einer Ware eines Verbrauchers von einem Unternehmer. Diese Schlechterstellung des Verbrauchers im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufes gegenüber anderen Käufern wird nunmehr aufgehoben. Eine Beschränkung auf einen angemessenen Betrag ist daher nicht mehr möglich.
2.Verweigerung der Nacherfüllung, § 439 Abs. 4 BGB nF.
§ 439 Abs. 4 BGB selbst bleibt unverändert. An dieser Stelle soll jedoch erneut auf den ersatzlosen Wegfall des § 475 Abs. 4 BGB aF. hingewiesen werden. Nach alter Rechtslage stand dem Unternehmer als Verkäufer, wenn die eine Art der Nacherfüllung nach § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen war oder der Unternehmer sie nach § 275 Abs. 2 oder 3 BGB oder § 439 Abs. 4 S. 1 BGB verweigern konnte, in Bezug auf die andere Art der Nacherfüllung nicht der Einwand des § 439 Abs. 4 S. 1 BGB zu. Es bestand daher nur ein relatives Verweigerungsrecht des Verkäufers (BeckOK BGB/Faust, 60. Ed. Stand 1.11.2021, § 475 Rn. 33 ff.).
Mit der Abschaffung dieser Regelung kann sich der Verkäufer daher auch im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufs auf eine Totalverweigerung berufen (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2069).
3. Pflicht des Käufers, dem Verkäufer die Sache zur Verfügung zu stellen, § 439 Abs. 5 BGB nF.
§ 439 Abs. 5 BGB regelt nunmehr ausdrücklich die Pflicht des Käufers, dem Verkäufer die Sache zum Zwecke der Nacherfüllung zur Verfügung zu stellen.
Dies stellt im Grundsatz eine Kodifikation bisher geltender Rechtsprechungsgrundsätze dar. Denn nach bisheriger Judikatur des BGH liegt kein taugliches Nacherfüllungsverlangen vor, solange der Käufer dem Verkäufer keine Gelegenheit biete, die Ware zu begutachten und sie ihm hierfür nicht am Erfüllungsort der Nacherfüllung zur Verfügung stelle (BGH, Urt. v. 19.7.2017 – VIII ZR 278/16, NJW 2017, 2758 Rn. 21). Nach bisher geltender Rechtslage handelt es sich bei der Überlassung der mangelbehafteten Kaufsache an den Verkäufer um eine Obliegenheit des Käufers. Ohne ein taugliches Nacherfüllungsverlangen liegt keine ordnungsgemäße Fristsetzung innerhalb der §§ 281, 323 BGB vor, sodass die Geltendmachung von Ansprüchen wegen Rücktritts, Schadensersatz und Minderung regelmäßig ausgeschlossen ist (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2067).
Wohingegen einige Autoren die nunmehr ausdrückliche Kodifikation weiterhin als Obliegenheit einordnen wollen (so wohl Lorenz, NJW 2021, 2065, 2067), spricht vieles dafür, nunmehr von einer erzwingbaren rechtlichen Pflicht auszugehen.
So wird in der Begründung zum Gesetzentwurf wie folgt formuliert:

„Mit § 439 Absatz 5 BGBE wird dies nunmehr gesetzlich geregelt. Systematik und Wortlaut der unionsrechtlichen Vorgabe deuten indes darauf hin, dass es sich nicht bloß um eine Obliegenheit des Käufers handelt, sondern um eine erzwingbare Pflicht.“

Eine rechtliche Pflicht genießt gegenüber einer Obliegenheit den Vorteil, dass sie vom Verkäufer (Schuldner) dem Käufer (Gläubiger) des Nacherfüllungsanspruches als Einrede gemäß § 273 BGB entgegengehalten werden kann – bereits dieser ist somit nicht durchsetzbar (Wilke, VuR 2021, 283, 289). Darüber hinaus ist ein Nacherfüllungsverlangen zur Geltendmachung der Rechte aus § 437 BGB insbesondere im Verbrauchsgüterkauf nicht immer notwendig (siehe § 475d BGB). Diese Rechte aus § 437 BGB, insbesondere § 323 und § 281 BGB, setzen jedoch einen fälligen und einredefreien Anspruch voraus, welcher im Falle der Einordnung als Pflicht – und damit nicht als Obliegenheit – aufgrund von § 273 BGB gerade nicht besteht. Dies zeigt die rechtliche Schwäche einer Einordnung als Obliegenheit auf.
4. Erfüllungsort der Nacherfüllung
Zum Erfüllungsort selbst verhält sich die Richtlinie (EU) 2019/771 oder auch das BGB nicht. Es ist daher davon auszugehen, dass auch in Zukunft die bisherige Rechtsprechung des BGH Geltung entfacht (nachzulesen in BGH, Urt. v. 19.7.2017 – VIII ZR 278/16, NJW 2017, 2758 Rn. 21 ff.). Danach gilt auch im Kaufrecht grundsätzlich die allgemeine Vorschrift des § 269 BGB. Bei einem Verbrauchsgüterkauf kommt es somit entscheidend darauf an, ob die Nacherfüllung mit solchen Unannehmlichkeiten verbunden ist, dass der Erfüllungsort ausnahmsweise am Wohnsitz des Verbrauchers liegt. Das Abstellen auf die mit der Nacherfüllung verbundenen Unannehmlichkeiten in diesem Rahmen findet in Art. 14 Abs. 1 lit. d Richtlinie (EU) 2019/771 erneut eine brauchbare Stütze im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des § 269 BGB.
5. Rücknahmepflicht des Verkäufers, § 439 Abs. 6 S. 2 BGB nF.
Korrespondierend zur Überlassungspflicht des Käufers regelt § 439 Abs. 6 S. 2 BGB nF. die Pflicht des Verkäufers, die ersetzte Sache zurückzunehmen. Dieser S. 2 steht in Zusammenhang mit Abs. 6 S. 1. Es handelt sich hierbei um den § 439 Abs. 5 BGB aF. Nach dieser Norm kann der Verkäufer Rückgewähr der mangelhaften Sache nach Maßgabe der §§ 346 bis 348 BGB verlangen, sofern er zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache liefert.
Abs. 6 S. 2 betrifft damit die Konstellation, dass der Verkäufer eine neue Sache im Wege der Nachlieferung bereitstellt, er aber die alte Sache nicht zurücknimmt. Aus der Praxis dürfte dies insbesondere bei großen Versandhändlern der Fall sein, die den mit der Rücknahme einer defekten Sache verbundenen Aufwand nicht tragen wollen.
Bereits ohne ausdrückliche Normierung der Pflicht des Verkäufers, die ersetzte Sache zurückzunehmen, war jedoch nach alter Rechtslage anerkannt, dass die Rücknahmepflicht einer mangelhaften Sache Kehrseite der aus § 433 Abs. 2 BGB folgenden Abnahmeverpflichtung des Käufers darstellt (OLG Köln, Urt. v. 21.12.2005 – 11 U 46/05, NJW-RR 2006, 677; BeckOK BGB/Faust, 60 Ed. Stand 1.11.2021, § 439 Rn. 28). Nichtsdestotrotz tendierte der BGH bisher dazu, eine entsprechende Rücknahmeverpflichtung des Verkäufers nur bei einem berechtigten oder besonderen Interesse des Käufers anzunehmen (BGH, Urt. v. 9.3.1983 – VIII ZR 11/82, NJW 1983, 1479, 1480). Diese Position hat sich jedenfalls mit der ausdrücklichen Kodifizierung der Rücknahmeverpflichtung des Verkäufers erledigt.
6. Summa: Kaum rechtliche Änderungen
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die rechtliche Beurteilung des Nacherfüllungsanspruches sich auch nach dem 1.1.2022 größtenteils nicht ändern wird. Für das Examen bedarf es hier daher nur kaum einer inhaltlichen Auffrischung.
Neu sein dürfte die Einordnung der Überlassung der Kaufsache an den Verkäufer bei ihrer Mangelhaftigkeit als rechtliche Pflicht des Käufers sein, mit den oben dargestellten Folgen in Bezug auf die bisherige Rechtsprechung des BGH zur Frage des tauglichen Nacherfüllungsverlangens. Hier lohnt es sich, auch in der Klausur präzise zu arbeiten und den Unterschied zwischen Obliegenheit und rechtlicher Pflicht herauszuarbeiten.
Zur Rechtssicherheit trägt die Kodifikation der Verkäuferpflicht zur Rücknahme der mangelhaften Kaufsache bei Neulieferung bei, hier kommt es nun nicht mehr auf das Vorliegen eines berechtigten Käuferinteresses an.
Rechtsunsicherheit wird durch die Richtlinie (EU) 2019/771 und die mit ihr verbundenen Änderungen im nationalen Recht lediglich im Rahmen der klassischen Einbaufälle geschaffen. So bedarf es in Zukunft der gerichtlichen Klärung, wann der Mangel „offenbar“ wird. Einer Problematisierung bedarf es hier daher in jedem Falle auch in der Prüfungssituation.

03.01.2022/0 Kommentare/von Dr. Yannick Peisker
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannick Peisker https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannick Peisker2022-01-03 09:00:112022-01-03 09:00:11Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 2: Der Nacherfüllungsanspruch
Gastautor

Neues zum Dieselskandal: Rücktritt vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung?

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Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Alexandra Ritter veröffentlichen zu können. Die Autorin studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist am Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit am Lehrstuhl von Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) tätig.
Mit Urteil vom 29.9.2021 (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris) hat der BGH entschieden, dass Käufer eines vom Dieselskandal betroffenen Pkw nicht ohne Fristsetzung vom Kaufvertrag zurücktreten können. Dem Verkäufer müsse grundsätzlich Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben werden. Der vom BGH entschiedene Fall ist wie gemacht für eine Klausur in Studium und Examen. Er bietet damit Anlass, sich anhand der aktuellen Problematik mit dem prüfungsrelevanten Thema des Rücktritts auseinanderzusetzen.
I. Der Sachverhalt
Vereinfacht dargestellt ging es in dem dem Urteil zugrunde liegenden Fall um Folgendes: Der Kläger (K) kaufte vom beklagten Autohändler (V) im Februar 2015 einen Škoda, dessen Motor von der Volkswagen AG hergestellt war. Der Motor ist mit einer Software versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug im Normalbetrieb oder auf einem Prüfstand zur Messung der maßgeblichen Werte für eine Typgenehmigung befindet. In dem Fahrmodus, der für den Fall des Durchlaufens des Prüfstands programmiert ist, kommt es im Vergleich zum regulären Fahrbetrieb zu einer erhöhten Abgasrückführung und damit zu einer Verringerung des Stickoxidausstoßes. Dieser Umstand wurde im Herbst 2015 öffentlich bekannt gemacht.
Für die fehlerhafte Software wurde ein Update entwickelt, das die Fehler beseitigt. Dieses Update wurde von der zuständigen britischen Vehicle Certification Agency freigeben mit der Bestätigung, dass es zur Fehlerbehebung geeignet sei.
Der Kläger ließ das Software-Update nicht aufspielen, weil er befürchtete, dass dieses mit negativen Folgen für das Fahrzeug verbunden sei. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2017 erklärte K gegenüber V den Rücktritt vom Kaufvertrag. V verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies K auf das zur Verfügung stehende Software-Update.
Hat K einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises?
II. Gutachterliche Lösung
K könnte gegen V einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 346 I BGB haben.
1. Kaufvertrag
K und V haben im Februar 2015 einen Kaufvertrag i.S.v. § 433 BGB über den Škoda geschlossen.
2. Mangel bei Gefahrübergang
Damit K die Mängelgewährleistungsrechte der §§ 437 ff. BGB geltend machen kann, müsste die Kaufsache bei Gefahrübergang mangelhaft gewesen sein.
a) Mangel
Mangels Beschaffenheitsvereinbarung gem. § 434 I 1 BGB und vorausgesetzter besonderer Verwendung gem. § 434 I 2 Nr. 1 BGB, kommt ein Sachmangel gem. § 434 I 2 Nr. 2 BGB in Betracht.
Danach hat die Sache einen Mangel, wenn sie sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und nicht eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Die unzulässige Abschalteinrichtung birgt die Gefahr einer Betriebsuntersagung gem. § 5 I FZV und führt so zu einer herabgesetzten Eignung des Fahrzeugs zur gewöhnlichen Verwendung (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 20). Zudem ist eine solche Abschalteinrichtung bei Sachen der gleichen Art nicht üblich und der Käufer kann erwarten, dass der Wagen keine Abschalteinrichtung einprogrammiert hat. Somit liegt ein Sachmangel i.S.v. § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor.
b) Gefahrübergang
Der Mangel müsste schon bei Gefahrübergang vorgelegen haben. Gem. § 446 S. 1 BGB geht die Gefahr mit Übergabe der Kaufsache auf den Käufer über. Die Abschalteinrichtung wurde schon vom Motorhersteller eingerichtet, sodass der Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlag.
c) Zwischenergebnis
Der Anwendungsbereich für die Mängelgewährleistungsrechte gem. §§ 437 ff. BGB ist eröffnet
3. Weitere Rücktrittsvoraussetzungen
Gem. § 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB kann K nach den §§ 440, 323, 326 V BGB vom Kaufvertrag zurückgetreten. Dazu müsste K den Rücktritt gem. § 349 BGB erklärt und gem. § 323 I BGB eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben.
a) Erklärung
Die Rücktrittserklärung gem. § 349 BGB ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Mit Schreiben vom 4.10.2017 hat K gegenüber V seinen Willen vom Vertrag zurückzutreten zum Ausdruck gebracht. Diese Erklärung ist V auch zugegangen (§ 130 I BGB). Eine Rücktrittserklärung des K liegt vor.
b) Frist
Gem. § 323 I BGB müsste K dem V zunächst eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben. Hier hat K dem V jedoch den Rücktritt erklärt, ohne ihm zuvor die Gelegenheit zur Nacherfüllung zu gewähren. Eine Fristsetzung liegt damit nicht vor.
Die Fristsetzung könnte jedoch entbehrlich sein.
aa) § 323 II Nr. 3 BGB
(1) Zunächst kommt eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 323 II Nr. 3 BGB wegen etwaigen arglistigen Verhaltens in Betracht. Gem. § 323 II Nr. 3 BGB ist die Fristsetzung entbehrlich, wenn im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen.
„Ein die sofortige Rückabwicklung des Kaufvertrags rechtfertigendes überwiegendes Käuferinteresse ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn der Verkäufer dem Käufer einen ihm bekannten Mangel bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen hat […]. In diesen Fällen ist in aller Regel ein den Verkäuferbelangen vorgehendes Interesse des Käufers anzuerkennen, von einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Verkäufer Abstand zu nehmen, um sich vor möglichen weiteren Täuschungsversuchen zu schützen […]. Denn durch das arglistige Verschweigen eines Mangels entfällt auf Seiten des Käufers regelmäßig die zur Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage, während der Verkäufer die Möglichkeit zur nachträglichen Mangelbeseitigung in der Regel nicht verdient, wenn er den ihm bekannten Mangel vor Vertragsschluss hätte beseitigen können und damit im Vorfeld der vertraglichen Beziehungen bereits die Chance hatte, eine Rückabwicklung des später geschlossenen Vertrags zu vermeiden […].“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021– VIII ZR 111/20, juris Rn. 24)
V hatte als Händler im Zeitpunkt der Einigung zwischen V und K keine Kenntnis von der Mangelhaftigkeit des Wagens und diesen somit auch nicht arglistig verschwiegen.
Allerdings hatte der Hersteller des Wagens, die Volkswagen AG, Kenntnis von der Mangelhaftigkeit.
„Zwar kann die Vertrauensgrundlage zwischen einem Käufer und einem Verkäufer unter Umständen auch dann gestört sein, wenn der Verkäufer sich bei Vertragsabschluss ordnungsgemäß verhalten hat, jedoch der Hersteller des Fahrzeugs dieses mit einer ihm bekannten und verschwiegenen unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht hat und der Verkäufer nun allein eine Nachbesserung in Form eines von diesem Hersteller entwickelten Software-Updates anbietet. Dabei kommt es darauf an, ob spätestens bei Erklärung des Rücktritts […] die Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien so gestört war, dass eine Nacherfüllung (vgl. § 323 Abs. 1 BGB), also eine Nachbesserung oder eine Ersatzlieferung, für den Käufer unter Einbeziehung des Herstellers nicht zumutbar war. Ob dies der Fall ist, hängt jedoch von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die der Tatrichter nicht schematisch, sondern in sorgfältiger Abwägung zu würdigen hat.“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 27)
Solche Anhaltspunkte dafür, dass K die Nacherfüllung unter Einbeziehung des V nicht zumutbar war, lassen sich dem Sachverhalt nicht entnehmen.
V könnte sich allenfalls die Kenntnis von der Mangelhaftigkeit und ein arglistiges Vorgehen des Herstellers nach § 278 BGB, 166 BGB analog zurechnen lassen müssen.
Dazu müsste die Volkswagen AG als Herstellerin Erfüllungsgehilfin des V i.S.v. § 278 BGB gewesen sein. Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird (BeckOK BGB/Lorenz, 59. Ed. Stand: 1.8.2021, § 278 Rn. 11). Die Volkswagen AG könnte bei der dem V gem. § 433 I BGB obliegenden Verbindlichkeit, dem K ein mangelfreies Fahrzeug zu übereignen, tätig geworden sein. Dagegen spricht aber, dass ein Hersteller bei der Herstellung künftiger Kaufsachen eigene Aufgaben erfüllt und nicht solche des späteren Händlerverkäufers. Eine Stellung der Volkswagen AG als Erfüllungsgehilfin des V ist somit abzulehnen.
Damit muss sich V etwaiges arglistiges Verhalten der Herstellerin nicht zurechnen lassen. Eine Entbehrlichkeit der Frist lässt sich aus der Kenntnis der Mangelhaftigkeit der Herstellerin somit nicht begründen.
(2) Eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 323 II Nr. 3 BGB könnte aus dem Umstand herrühren, dass die Installation des Software-Updates zu anderen Mängeln am Wagen führen könnte. Ob das Software-Update solche Konsequenzen hat, lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen. Es genügt nach Auffassung des BGH hier auch nicht, dass solche sich anschließenden Mängel nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ausgeschlossen sind (BGH, Urteil v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 33 ff.).

– die Ausführungen des BGH beziehen sich hier auch auf Fehler der Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Für die Ausführungen im Gutachten kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass der Entbehrlichkeitsgrund nach § 323 II Nr. 2 BGB eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall fordert. Ein nicht hinreichend belegter Verdacht einer Vertragspartei, wie in diesem Fall, genügt nicht, um die Entbehrlichkeit zu begründen (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 38).

Hilfsweise sei an dieser Stelle die Interessenabwägung bei angenommener Unzumutbarkeit der Nacherfüllung durch Nachbesserung für K aufgezeigt.
„Selbst wenn die Nacherfüllung für den Kläger unzumutbar wäre, träte damit das Interesse der Beklagten an einer vom Gesetzgeber durch das Instrument der Nacherfüllung grundsätzlich eingeräumten „zweiten Andienung“ nicht automatisch zurück. Denn der Beklagten war das Vorhandensein der unzulässigen Abschalteinrichtung vor oder bei Vertragsschluss nicht bekannt. Sie hatte daher nicht die Möglichkeit, diesen Mangel frühzeitig zu beseitigen. Gerade diesem Umstand kommt aber nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung entscheidendes Gewicht für ein Zurücktreten der Belange des täuschenden Verkäufers im Rahmen der Interessenabwägung nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu […]-. Der Beklagten ist eine Berufung auf eine „zweite Andienung“ auch nicht per se deswegen zu versagen, weil ihr eine mögliche Arglist des Herstellers zuzurechnen wäre. Denn eine Zurechnung eines solchen Herstellerverhaltens gemäß § 278 BGB, § 166 BGB analog scheidet aus […].“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 37)

Die Fristsetzung war auch unter Berücksichtigung der Behauptung des K entbehrlich gem. § 323 II Nr. 3 BGB.
bb) § 440 BGB
Die Fristsetzung könnte entbehrlich sein gem. § 440 BGB. Hiernach bedarf es einer Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht, wenn dem Käufer die ihm zustehende Art der Nacherfüllung unzumutbar ist. Eine solche Unzumutbarkeit lässt sich aus den geschilderten Umständen – wie dargestellt – aber gerade nicht begründen. Die Frist ist somit auch nicht gem. § 440 BGB entbehrlich.
cc) § 326 V BGB
Zuletzt könnte die Fristsetzung entbehrlich sein gem. § 326 V BGB. Dazu müssten beide Arten der Nacherfüllung unmöglich i.S.v. § 275 I – III BGB sein.
„Vorliegend steht nicht fest, ob eine mangelfreie Nachlieferung des ursprünglichen Modells zum Zeitpunkt des Rücktritts noch möglich war oder nicht. Auch hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, ob eine Nachbesserung durch das Software-Update oder gegebenenfalls durch andere Methoden (etwa „Hardware-Lösung“) unmöglich war […].“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 42)

– Auch hier sind unzureichende Erhebungen des Berufungsgerichts Grundlage der Bewertung durch den BGH. In der Klausur kann es dieser Stelle zu einer Inzidentprüfung der Unmöglichkeit der Nacherfüllung kommen. Dann ist deutlich darzustellen, dass der Bezugspunkt für die Unmöglichkeit i.S.v. § 275 BGB nicht der ursprüngliche Erfüllungsanspruch, sondern der Nacherfüllungsanspruch gem. § 439 I BGB ist.

dd) Zwischenergebnis
Die Setzung einer Frist zur Nacherfüllung war nicht entbehrlich. K ist somit nicht wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten.
– Hilfsgutachten –
5. Kein Ausschluss
Bei der Annahme einer Entbehrlichkeit der Fristsetzung wäre schließlich noch zu prüfen, ob der Rücktritt durch K ausgeschlossen ist. In Betracht kommt ein Ausschluss des Rücktritts gem. § 323 V 2 BGB. Demnach kann der Gläubiger bei nicht vertragsgemäßer Leistungserbringung durch den Schuldner nicht vom Vertrag zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Dies
„erfordert eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls […]. Bei behebbaren Mängeln ist von einer Geringfügigkeit und damit von einer Unerheblichkeit in der Regel auszugehen, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind, was jedenfalls regelmäßig nicht mehr anzunehmen ist, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt […]. Bei unbehebbaren Mängeln ist regelmäßig auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung abzustellen […].“ (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 44).
Für die Annahme einer Geringfügigkeit könnte sprechen, dass das Software-Update ohne größere Schwierigkeiten und mit geringen Zeitaufwand durchführbar ist.
„Jedoch steht derzeit nicht fest, dass das Software-Update zu einer ordnungsgemäßen Nachbesserung führt, also nicht mit dem Auftreten von (nicht zu vernachlässigenden) Folgemängeln verbunden wäre. Eine Nachbesserung im Sinne von § 439 Abs. 1 BGB setzt eine vollständige, nachhaltige und fachgerechte Behebung des vorhandenen Mangels voraus […] und liegt nicht vor, wenn zwar der ursprüngliche Mangel beseitigt, hierdurch aber Folgemängel hervorgerufen werden. Ob dies der Fall ist, ist mangels rechtsfehlerfreier Feststellungen des Berufungsgerichts offen. Damit kann nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht davon ausgegangen werden, dass sich die unzulässige Abschalteinrichtung mit geringem Kostenaufwand folgenlos in dem vorbeschriebenen Sinne beseitigen ließe.“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 47)
Im Ergebnis kann die Unerheblichkeit der Pflichtverletzung nicht angenommen werden. Der Ausschluss gem. § 323 V 2 BGB ist somit nicht einschlägig.
– Ende des Hilfsgutachtens –
6. Ergebnis
K hat gegen V keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 2 At. 1, 346 I BGB.
III. Fazit
Auch wenn viele Bewertungen des BGH bezüglich der Entbehrlichkeit der Frist auf den Umstand zurückzuführen sind, dass bestimmte Umstände auf Tatsachenebene von den Vorinstanzen nicht hinreichend erforscht wurden, lassen sich einige Ausführungen finden, die im Gutachten hilfreich sein können.
Zum einen macht der Fall deutlich, dass zwischen den am Sachverhalt beteiligten genau zu unterscheiden ist. Das Verhalten und die Kenntnis des Herstellers/Lieferanten von der Mangelhaftigkeit der Kaufsache, kann dem Händlerverkäufer nach Auffassung des BGH nicht zugerechnet werden.
Zum anderen ist festzuhalten, dass für die Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 323 II Nr. 3 BGB eine umfassende Abwägung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist. Für die Klausur bedeutet dies insbesondere die Informationen des Sachverhalts hierzu fruchtbar zu machen und einen eher strengen Maßstab anzulegen. Dabei darf die Bedeutung des Rechts des Schuldners zur zweiten Andienung nicht übersehen werden. Da es hier auf eine Wertung im Einzelfall ankommt, ist das Ergebnis bei sorgfältiger Verwertung der Informationen des Sachverhalts und Gewichtung der Argumente eher nebensächlich. Hier gilt es, das Ergebnis klausurtaktisch zu wählen und ggf. weitere Probleme des Sachverhalts im Hilfsgutachten zu besprechen.

04.11.2021/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2021-11-04 08:22:272021-11-04 08:22:27Neues zum Dieselskandal: Rücktritt vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung?
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Neues zum Rücktritt wegen Sachmangels – Keine zweite Chance zur Nachbesserung erforderlich

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Mit Urteil vom 26.08.2020 hat sich der BGH (Az.: VIII ZR 351/19) abermals mit dem extrem klausur- und examensrelevanten Gebiet des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts auseinandergesetzt. Konkret wurden die Anforderungen an einen Rücktritt vom Kaufvertrag und Schadensersatzansprüche nach einem erfolglosen Nachbesserungsversuch präzisiert: Wurde eine angemessene Frist zur Nacherfüllung bestimmt, innerhalb derer der Verkäufer voraussichtlich nicht nur die Leistungshandlung vornehmen, sondern auch den Leistungserfolg herbeiführen kann, und ist diese Frist erfolglos verstrichen, so muss der Käufer dem Verkäufer grundsätzlich keine zweite Gelegenheit zur Nachbesserung einzuräumen, bevor er sekundäre Gewährleistungsrechte geltend machen kann. Der Fall eignet sich hervorragend, um systematische Feinheiten des Mängelrechts abzuprüfen, und kann problemlos Einzug in Klausuren ab dem Grundstudium finden – eine Auseinandersetzung mit den Grundzügen der Entscheidung ist angesichts dessen nicht nur für Examenskandidaten dringend zu empfehlen.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: K kaufte am 12.09.2017 bei V einen Neuwagen zum Preis von 18.750 Euro. Mit Schreiben vom 14.05.2018 rügte K Mängel an der Lackierung des Fahrzeugs im Bereich der Motorhaube, der A-Säule und am Heckdeckel. Hierbei setzte er V eine Frist zur Nachbesserung bis zum 30.05.2018. Mit Anwaltsschreiben vom 28.05.2018 bot V dem K an, einen Vertragshändler seiner Wahl zum Zwecke der Besichtigung des Fahrzeugs und der Nachbesserung aufzusuchen. Hiervon machte K Gebrauch und überstellte das Fahrzeug am 03.07.2018 einer Vertragswerkstatt zur Untersuchung. Im Anschluss hieran fand die Nachbesserung im Zeitraum vom 14. bis zum 21.08.2018 statt. Indes wurden die beanstandeten Mängel im Zuge dieser ersten Nachbesserung nicht vollständig beseitigt und die Neulackierung nicht fachgerecht ausgeführt, weshalb der K das Fahrzeug einige Tage später erneut bei der Werkstatt vorstellte und einen zweiten Nachbesserungstermin vereinbarte. Diesen Termin nahm er jedoch nicht wahr, sondern erklärte mit Anwaltsschreiben vom 24.09.2018 den Rücktritt vom Kaufvertrag gegenüber V. Er verlangt nun unter anderem – unter Anrechnung gezogener Nutzungen – Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 17.437,50 Euro nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs.
 
B) Rechtsausführungen
Nach Abweisung der Klage vor dem Landgericht Hanau ist auch die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers vor dem OLG Frankfurt erfolglos geblieben. In der Revision hat der BGH nunmehr festgestellt, dass ein Anspruch des Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises nach §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 i.V.m. 346 ff. BGB sowie auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 437 Nr. 3, 434 Abs. 1, 325, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 S. 1 BGB nicht verneint werden kann, und die Sache an das OLG Frankfurt zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
 
I. Anwendungsbereich des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts
Der Anwendungsbereich des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts ist zweifellos eröffnet: Angesichts der genannten Mängel ist der Verkäufer seiner Pflicht aus dem Kaufvertrag zur mangelfreien Verschaffung der Sache gemäß § 433 Abs. 1 S. 2 BGB nicht nachgekommen. Es liegen also Sachmängel i.S.d. § 434 Abs. 1 BGB vor, die nach den gerichtlichen Feststellungen auch bereits im Zeitpunkt der Übergabe i.S.v. § 446 S. 1 BGB, also bei Gefahrübergang, bestanden.
 
II. Rücktrittsvoraussetzungen
Die Voraussetzungen des Rücktritts wegen – wie hier vorliegender – behebbarer Mängel richten sich nach §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 BGB.
Der zunächst erforderliche gegenseitige Vertrag besteht in dem von den Parteien abgeschlossenen Kaufvertrag; die zuvor festgestellten Sachmängel bei Gefahrübergang bedeuten eine nicht vertragsgemäße Leistung i.S.v. §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 Abs. 1 Alt. 2 BGB.
Damit liegt der Schwerpunkt der Prüfung – parallel zum Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB – auf der Frage, ob eine angemessene Frist zur Nacherfüllung erfolglos abgelaufen ist. Denn § 323 Abs. 1 BGB zufolge kann der Gläubiger dem Grundsatz nach nur dann zurücktreten, wenn er dem Schuldner gegenüber zuvor ergebnislos eine angemessene Frist zur Erbringung der ausstehenden Leistung bzw. Nacherfüllung bestimmt hat. Mit anderen Worten: Sobald die angemessene Frist fruchtlos verstrichen ist, der Schuldner also vor ihrem Ablauf nicht, nicht vollständig oder nicht ordnungsgemäß geleistet hat, steht dem Gläubiger ein Rücktrittsrecht zu. Welche konkrete Zeitspanne objektiv angemessen ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls (MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl. 2019, § 323 Rn. 72).
 
Anmerkung: Erweist sich die konkret gesetzte Frist als unangemessen kurz, ist die Rechtsfolge jedoch nicht ihre Unwirksamkeit, sondern es wird eine längere (angemessene) Frist in Gang gesetzt (s. hierzu exemplarisch BGH, Urt. v. 13.07.2016 – VIII ZR 49/15, NJW 2016, 3654, 3655 Rn. 31).
 
1. Berufen auf Verstreichen der ursprünglich gesetzten Frist als Verstoß gegen Treu und Glauben
Nach diesen Maßstäben hat der BGH zunächst – im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht – festgestellt, dass ein Rücktrittsrecht nicht schon deswegen besteht, weil die Nachbesserungsarbeiten nicht innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist (bis zum 30.05.2018), sondern erst im Zeitraum vom 14. bis zum 21.08.2018 durchgeführt worden sind. Anders als das Berufungsgericht ausgeführt hat, ergebe sich dies allerdings noch nicht daraus, dass ein vor Ablauf der Nachbesserungsfrist eingegangenes Angebot des Verkäufers auf Untersuchung des Fahrzeugs für eine fristwahrende Nachbesserung ausreiche. Unabhängig davon, dass das vor Fristablauf erfolgte Angebot auf Vorstellung des Fahrzeugs beim Vertragshändler als bloß vorgeschalteter Schritt zur Nacherfüllung, mithin nicht als Leistungshandlung selbst zu werten sei, komme es nämlich bei der Nacherfüllung auf das Ausbleiben des Leistungserfolgs innerhalb der Frist an. Allein die fristgerechte Erbringung der Leistungshandlung könne weitergehende Rechte des Käufers nicht ausschließen; dies folge bereits aus dem Sinn und Zweck der Nacherfüllung, die Durchsetzung und Ermöglichung der Erfüllung der Verkäuferpflichten sicherzustellen, und stehe auch nur nach diesem Verständnis im Einklang mit europarechtlichen Vorgaben:

„Das erfolglose Verstreichen der vom Käufer gesetzten (angemessenen) Frist führt dazu, dass der Käufer, der eine mangelhafte Sache erhalten hat, nun sekundäre Gewährleistungsrechte (Rücktritt, Minderung, Schadens- oder Aufwendungsersatz) geltend machen kann. Es ist weder ein Bedürfnis des Verkäufers erkennbar, dem Käufer bereits bei einer fristgerecht vorgenommenen Leistungshandlung den Übergang zu den sekundären Gewährleistungsrechten zu verwehren, noch würde dies den Interessen des Käufers gerecht. Denn die vom Käufer zu setzende Frist ist so zu bemessen, dass der Verkäufer bei ordnungsgemäßem Vorgehen vor Fristablauf voraussichtlich nicht nur die Leistungshandlung vornehmen, sondern auch den Leistungserfolg herbeiführen kann.“ (Rn. 28)

Ob die konkret gesetzte Frist bis zum 30.05.2018 als angemessen einzustufen sei, könne gleichwohl dahinstehen. Denn angesichts der Tatsache, dass sich der Käufer freiwillig auf eine Nachbesserung im August eingelassen habe, wurde damit entweder die gesetzte Frist verlängert oder jedenfalls kein Widerspruch dagegen erhoben, dass die Mängelbeseitigung erst später vorgenommen wurde – sodass ein Berufen auf die nicht erfolgte Nachbesserung bis zum 30.05.2018 nach dem Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB als rechtsmissbräuchlich zu werten sei.
 
2. Keine zweite Chance zur Nachbesserung erforderlich
Dennoch: Die Geltendmachung sekundärer Gewährleistungsrechte sei nicht an die Einräumung einer zweiten Chance zur Nachbesserung gekoppelt. Das Berufungsgericht habe verkannt, dass eine Fristsetzung zur Nachbesserung nicht erst dann erfolglos im Sinne des § 323 Abs. 1 BGB verstrichen sei, wenn – wie in § 440 S. 2 BGB für den Fall einer ausnahmsweise entbehrlichen Fristsetzung infolge einer fehlgeschlagenen Nacherfüllung vorgesehen – zwei Nachbesserungsversuche des Verkäufers nicht zur Beseitigung des Mangels geführt hätten. Im Gegenteil sei § 440 S. 1 Alt. 2, S. 2 BGB, wonach die Nachbesserung nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen gilt und die Fristsetzung in der Konsequenz für den Übergang zu sekundären Gewährleistungsrechten ausnahmsweise entbehrlich ist, angesichts seines Ausnahmecharakters gerade keine allgemeine Wertung zu entnehmen:

„Das Gesetz unterscheidet konsequent zwischen dem Fristsetzungserfordernis nach den Regeltatbeständen (§ 323 Abs. 1 BGB [Rücktritt und Minderung [iVm § 441 Abs. 1 Satz 1 BGB]], § 281 Abs. 1 BGB [Schadensersatz statt der Leistung]) und den Fallgestaltungen, in denen eine Fristsetzung ausnahmsweise entbehrlich ist (§ 323 Abs. 2, 3, § 281 Abs. 2 BGB, § 440 Satz 1 BGB). Der grundsätzlich gebotenen Fristsetzung ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers bereits dann genügt, wenn der Käufer einmalig fruchtlos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Die gesetzlichen Vorschriften, die einen Rücktritt, eine Minderung oder ein Verlangen auf Schadensersatz statt der Leistung in Ausnahmefällen auch ohne Fristsetzung erlauben, zeichnen sich jeweils dadurch aus, dass sie den Verzicht auf dieses einmalige Erfordernis durch andere (gleichwertige) Anforderungen ersetzen. Weiter verkennt das Berufungsgericht den Sinn und Zweck des § 440 Satz 2 BGB, der dem Käufer die Geltendmachung eines Fehlschlagens der Nachbesserung in praktischer Hinsicht erleichtern (BT-Drucks. 14/6040, S. 234), nicht aber den Übergang zu den sekundären Gewährleistungsrechten erschweren soll.“ (Rn. 38 f.)

Anders gesagt: Einem Schuldner, der eine fällige Leistung nicht erbracht hat, wird durch das einmalige Setzen einer angemessenen Frist hinreichend deutlich gemacht, dass ein weiteres Ausbleiben der Leistung Rechtsfolgen nach sich zieht – so die Grundkonzeption der Mängelrechte. In bestimmten Fällen muss der Käufer aber ausnahmsweise keine Frist setzen, weil dies keinen Erfolg versprechen würde oder ihm aus anderen Gründen nicht zugemutet werden kann (§§ 323 Abs. 2, 440, 281 Abs. 2 BGB). Aus diesen Ausnahmetatbeständen und den ihnen zugrunde liegenden Wertungen lassen sich aber keine Rückschlüsse auf die Auslegung der Regeltatbestände ziehen:

„Denn dies würde das vom Gesetzgeber als Regelfall ausgestaltete Fristerfordernis obsolet machen. Wenn der Käufer dem Verkäufer trotz Fristsetzung regelmäßig zweimal eine Nachbesserungsmöglichkeit einräumen müsste, ist nicht zu erkennen, warum der Käufer überhaupt noch eine Frist setzen und nicht stattdessen ein Fehlschlagen der Nachbesserung im Sinne von § 440 BGB geltend machen sollte. Zugleich wären dem Käufer die Vorteile einer Fristsetzung abgeschnitten. Er könnte sich – entgegen dem Willen des Gesetzgebers – nicht mehr darauf verlassen, dass bei Ablauf einer von ihm gesetzten angemessenen Frist zur Nachbesserung ein Übergang zu den sekundären Gewährleistungsrechten möglich ist.“ (Rn. 50)

Der Käufer muss dem Verkäufer also grundsätzlich keine zweite Gelegenheit zur Nachbesserung einräumen, bevor er zurücktreten oder Schadensersatzansprüche geltend machen kann. Das Recht zur Nachbesserung ist mit dem erfolglosen Versuch, den Wagen zu lackieren, abgegolten gewesen; die Frist ist mithin erfolglos abgelaufen.
 
Ferner dürfte der Mangel nicht unerheblich gemäß §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 Abs. 5 S. 2 BGB bzw. § 281 Abs. 1 S. 3 BGB sein. Hierzu bedarf es gleichwohl weiterer Feststellungen seitens des Berufungsgerichts. Gleiches gilt hinsichtlich der Frage, ob dem Käufer eine Berufung auf den erklärten Rücktritt wegen widersprüchlichen Verhaltens gemäß § 242 BGB verwehrt ist. Daher hat der BGH die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 
III. Letztlich kann ein Anspruch des Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises nach §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 i.V.m. 346 ff. BGB sowie auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 437 Nr. 3, 434 Abs. 1, 325, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 S. 1 BGB daher nicht mit der Begründung verneint werden, dass ein zweiter Nachbesserungsversuch nicht stattgefunden hat.  
 
C) Zusammenfassung
Kurz zusammengefasst gilt:

  • Damit sekundäre Gewährleistungsrechte (Rücktritt, Minderung, Schadensersatz statt der Leistung) geltend gemacht werden können, bedarf es dem Grundsatz nach der Setzung einer angemessenen Frist durch den Käufer, die erfolglos ablaufen muss.
  • Innerhalb dieser Frist muss es dem Verkäufer voraussichtlich möglich sein, nicht nur die Leistungshandlung vorzunehmen, sondern auch den Leistungserfolg herbeizuführen.
  • Ist diese Frist verstrichen, ohne dass der Leistungserfolg herbeigeführt wurde, muss der Käufer dem Verkäufer grundsätzlich keine zweite Gelegenheit zur Nachbesserung einräumen. Dem Ausnahmetatbestand nach § 440 S. 1 Alt. 2, S. 2 BGB, dem zufolge die Nachbesserung erst nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen gilt, ist keine allgemeine Wertung zu entnehmen, die Rückschlüsse auf die Auslegung der Regeltatbestände zulassen könnte.

 

22.10.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-10-22 08:50:242020-10-22 08:50:24BGH: Neues zum Rücktritt wegen Sachmangels – Keine zweite Chance zur Nachbesserung erforderlich
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Neues zum Rechtsmangel beim Autokauf

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In einer aktuellen Entscheidung vom 26.02.2020 (Az.: VIII ZR 267/17) hat sich der BGH abermals mit dem extrem klausur- und examensrelevanten Gebiet des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts auseinandergesetzt. Konkret ging es um die Haftung eines Gebrauchtwagenverkäufers bei der Eintragung des Fahrzeugs in die Fahndungsliste des Schengener Informationssystems (SIS) nach Gefahrübergang. Der Fall, der sich hervorragend eignet, um die Feinheiten des Mängelrechts aufzuzeigen und daher problemlos Einzug in Klausuren finden kann, hat zwei Schwerpunkte: Zum einen geht es um die Abgrenzung des Sach- vom Rechtsmangel im Falle öffentlich-rechtlicher Beschränkungen; vor allem aber – und das ist das Neue an der vorliegenden Entscheidung – stellt sich die Frage, ob ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang dann angenommen werden kann, wenn zwar nicht der Rechtsmangel an sich, aber die Umstände, die kausal zum Rechtsmangel geführt haben, im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlagen.
 
A) Sachverhalt (leicht abgewandelt und vereinfacht)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: K kaufte am 12.07.2011 von V einen gebrauchten Pkw. Noch am selben Tag wurde der Kaufpreis entrichtet und das Fahrzeug, zusammen mit einer rechtmäßig ausgestellten Zulassungsbescheinigung II, die den V als Eigentümer auswies, an den K übergeben. Am 06.03.2013 wurde der K mit dem Fahrzeug bei der Rückkehr aus der Türkei an der serbischen Grenze angehalten. Das Fahrzeug wurde dort auf der Grundlage einer Interpol-Meldung mit der Begründung beschlagnahmt, es werde in Rumänien als Gegenstand einer Straftat gesucht. Über das Polizeipräsidium Dortmund erhielt der Kläger in der Folgezeit zudem die Mitteilung, dass das Fahrzeug seit dem 22.05.2014 im Schengener Informationssystem (SIS) zwecks Sicherstellung ausgeschrieben sei. Als Fahrzeughalter sei in Rumänien seit dem 22.12.2008 das Unternehmen U und die B als Besitzerin gemeldet. An dieses Unternehmen wurde das beschlagnahmte Fahrzeug in der Folge herausgegeben. Der K ist empört und wendet sich an V: Er begehre die Verschaffung von Eigentum und Besitz an dem Fahrzeug, hilfsweise sofortige Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises, abzüglich einer Nutzungsentschädigung, nebst Zinsen.
In erster Instanz wurde die Klage vollständig abgewiesen. Das LG Köln hat es für erwiesen erachtet, dass das Fahrzeug nicht abhandengekommen war; deshalb habe der K gutgläubig das Eigentum erwerben können, sodass weder ein Sach- noch ein Rechtsmangel anzunehmen sei (LG Köln, Urt. v. 26.10.2016 – 12 O 254/14, n.v.). Das OLG Köln hat in der Berufung das erstinstanzliche Urteil abgeändert und den V auf den Hilfsantrag zur Rückzahlung des Kaufpreises (abzüglich einer Nutzungsentschädigung) nebst Zinsen verurteilt (OLG Köln, Urt. v. 09.11.2017 – 18 U 183/16, n.v.). In der Revisionsinstanz verfolgte der V nunmehr die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
 
B) Rechtsausführungen
Damit stellte sich für den BGH die Frage, ob dem V ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags aus § 346 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 BGB zustand.
 
I. Kaufvertrag
Ein Kaufvertrag zwischen den Parteien besteht ohne Zweifel. Da aus dem Sachverhalt nicht hervorgeht, ob dem V eine Strafbarkeit, etwa wegen Hehlerei (§ 259 StGB), anzulasten ist, ist insbesondere nicht von der Nichtigkeit des Kaufvertrags nach § 134 BGB oder § 138 BGB auszugehen (zur Unwirksamkeit eines Kaufvertrags bei Verstoß gegen § 259 StGB s. MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl. 2018, § 138 Rn. 42).
 
II. Rechtsmangel bei Gefahrübergang
Weiterhin dürfte der Verkäufer seiner Pflicht aus dem Kaufvertrag gemäß § 433 Abs. 1 S. 2 BGB zur Verschaffung der Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln nicht nachgekommen sein. Es müsste also – wie der K vorträgt – ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang vorliegen.
 
1. Rechtsmangel
Bei der Eintragung des Fahrzeugs in das SIS müsste es sich also zunächst um einen Rechtsmangel handeln. Gemäß § 435 S. 1 BGB ist eine Sache frei von Rechtsmängeln, wenn Dritte in Bezug auf die Sache keine oder nur die im Kaufvertrag übernommenen Rechte gegen den Käufer geltend machen können. Zur vollständigen Erfüllung seiner vertraglichen Pflicht obliegt es dem Verkäufer also nicht nur, das Eigentum als solches zu übertragen. Er muss vielmehr auch sicherstellen, dass dem Käufer die Sache frei von Rechten Dritter verschafft wird, damit dieser als Eigentümer – wie es § 903 S. 1 BGB vorsieht – mit der Sache nach Belieben verfahren kann (BT-Drucks. 14/6040, S. 218). Hiervon ausgehend ist ein Rechtsmangel dann gegeben, wenn Rechte eines Dritten eine individuelle Belastung des Käufers darstellen, indem sie geeignet sind, ihn an der ungestörten Ausübung der ihm nach § 903 S. 1 BGB zustehenden Rechtsposition zu hindern (MüKoBGB/Westermann, 8. Aufl. 2019, § 435 Rn. 4; BeckOK BGB/Faust, 53. Edt., Stand: 01.02.2020, § 435 Rn. 6). In Betracht kommen dabei grundsätzlich alle dinglichen Rechte (beispielsweise (Grund-)Pfandrechte, Dienstbarkeiten wie Nießbrauch), aber auch obligatorische Rechte eines Dritten, soweit ihre Ausübung den Käufer in seiner aus § 903 BGB folgenden Eigentümerstellung beeinträchtigt (MüKoBGB/Westermann, 8. Aufl. 2019, § 435 Rn. 7). Erfasst werden hiervon auch solche Eingriffsbefugnisse, Einschränkungen und Bindungen, welche auf öffentlichem Recht beruhen (hierzu MüKoBGB/Westermann, 8. Aufl. 2019, § 435 Rn. 10). Öffentlich-rechtliche Einschränkungen können indes auch einen Sachmangel bedeuten. Denn für die Qualifikation eines Umstandes als Sachmangel ist nicht allein seine physische Beschaffenheit maßgeblich. Vielmehr können auch Umstände, die sich letztlich als Nutzungs- oder Verwendungsbeeinträchtigungen auswirken, als Sachmangel einzuordnen sein. Daher ist an dieser Stelle eine Abgrenzung des Rechtsmangels vom Sachmangel erforderlich.
 
Anmerkung: Die Abgrenzung des Rechts- vom Sachmangel ist nicht nur theoretischer Natur. Die Einordnung als Rechtsmangel hätte unter anderem zur Folge, dass der auf Sachmängel zugeschnittene § 477 BGB (Beweislastumkehr bei Verbraucherverträgen) keine Anwendung findet.  
 
Als Faustformel lässt sich festhalten, dass solche Mängel, die an die Beschaffenheit der Sache anknüpfen, Sachmängel darstellen, auch wenn sie dazu führen, dass Dritte Rechte gegen den Käufer geltend machen können, die ihn in der ungestörten Ausübung der Eigentümerbefugnisse beeinträchtigen (BeckOK BGB/Faust, 53. Edt., Stand: 01.02.2020, § 435 Rn. 10 m.w.N.). Das heißt: Solche öffentlich-rechtlichen Beschränkungen (beispielsweise Enteignungen, Beschlagnahmen), die ihre Grundlage in der Beschaffenheit der Sache (also ihrer Zusammensetzung, ihrem physischen Zustand) haben, sind als Sachmangel einzuordnen (BGH, Urt. v. 26.2.2020 – VIII ZR 267/17, BeckRS 2020, 4703, Rn. 13; Urt. v. 18.01.2017 – VIII ZR 234/15, NJW 2017, 1666 Rn. 18 ff.). In der Vergangenheit wurde dies beispielsweise für Beschränkungen der Bebaubarkeit, die an die Beschaffenheit (insbesondere die Lage) eines Grundstücks anknüpfen, angenommen (hierzu BGH, Urt. v. 11.12.1992 – V ZR 204/91, NJW-RR 1993, 396; Urt. v. 17.03.1989 – V ZR 245/87, NJW 1989, 2388). Auch gilt dies konsequenterweise für Beschlagnahmen, wenn sich das Recht zur Beschlagnahme aus der Zusammensetzung bzw. dem Zustand der Kaufsache ergibt, so etwa bei Lebensmitteln, bei denen der Verdacht des Salmonellenbefalls besteht (BGH, Urt. v. 14.06.1972 – VIII ZR 75/71, NJW 1972, 1462). Anders ist dagegen zu urteilen – also ein Rechtsmangel anzunehmen – wenn das Recht zum öffentlich-rechtlichen Eingriff aus „äußeren“ Umständen, die zwar eine Beziehung zur Sache aufweisen, ihr aber nicht unmittelbar anhaften, herrührt, wie beispielsweise aus der Nichtzahlung von Abgaben für die Sache. Wie aber ist in Bezug auf die SIS-Ausschreibung eines Fahrzeugs zu urteilen? Die SIS-Ausschreibung bedeutet, dass das betreffende Fahrzeug zwecks Sicherstellung oder Beweissicherung in einem Strafverfahren gesucht wird. Damit gründet der dem Fahrzeug anhaftende Mangel (Gefahr der Beschlagnahme) nicht auf der physischen Beschaffenheit (beispielsweise technischen Aspekten), sondern auf dem äußeren Umstand, dass das Fahrzeug im Kontext einer Straftat verwendet wurde. Wendet man konsequent die Faustformel an, kommt man auf dieser Basis unzweifelhaft zur Annahme eines Rechtsmangels. Denn – so der BGH:

„[M]it der SIS-Ausschreibung eines Kraftfahrzeugs zur Fahndung ist die konkrete, im gesamten Schengen-Raum bestehende Gefahr verbunden, dass das Fahrzeug bei einer Halteränderung oder bei einer polizeilichen Kontrolle von staatlichen Behörden rechtmäßig sichergestellt oder beschlagnahmt wird (Senatsurteil vom 18. Januar 2017 – VIII ZR 234/15, aaO Rn. 24) mit der Folge, dass es der Käufer – unabhängig von einem etwaig bestehenden, für die Beurteilung eines Rechtsmangels nicht maßgebenden Eigentumsherausgabeanspruch eines (Vor-)Eigentümers – nicht mehr ungestört im In- und Ausland nutzen kann.“ (Rn. 13).

Ein Rechtsmangel liegt damit vor.
 
Anmerkung: Lesenswert – und zur Vertiefung des Verständnisses empfehlenswert – ist auch das Urteil vom 18.01.2017, in dem der BGH ausführlich erörtert hat, dass die bei Gefahrübergang vorhandene und im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung fortbestehende Eintragung eines Kraftfahrzeugs in dem SIS zum Zwecke der Sicherstellung und Identitätsfeststellung einen erheblichen Rechtsmangel bedeutet, der den Käufer zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt. Im Zuge dessen hat der BGH eine ausführliche Abgrenzung des Rechts- vom Sachmangel bei öffentlich-rechtlichen Beschränkungen in Bezug auf die Kaufsache vorgenommen (BGH, Urt. v. 18.01.2017 – VIII ZR 234/15, NJW 2017, 1666).
 
2. Bei Gefahrübergang
Der Rechtsmangel muss aber auch im Zeitpunkt des Gefahrübergangs – und hierin liegt die Krux des Falls – vorgelegen haben. Zeitpunkt des Gefahrübergangs ist hier gemäß § 446 Abs. 1 BGB nach den Ausführungen des BGH der Zeitpunkt der Übergabe, also im konkreten Fall der 12.07.2011. Die SIS-Ausschreibung erfolgte aber erst am 22.05.2014, weshalb man vor diesem Hintergrund – ganz simpel – das Vorliegen eines Rechtsmangels im Zeitpunkt des Gefahrübergangs verneinen müsste.
 
Anmerkung: Die – soweit erkennbar – allgemeine Meinung in der Literatur sieht das bei Rechtsmängeln gleichwohl anders. Hiernach soll der maßgebliche Zeitpunkt anders als beim Sachmangel nicht die Übergabe, sondern der Zeitpunkt sein, in dem sich der Erwerb vollziehen soll, also regelmäßig der Zeitpunkt des Eigentumserwerb (der zugegebenermaßen oftmals mit der Übergabe zusammenfallen wird), s. hierzu MüKoBGB/Westermann, 8. Aufl. 2019, § 435 Rn. 6 m.w.N. Hierauf soll jedoch nicht näher eingegangen werden, dient der Beitrag der Besprechung der BGH-Entscheidung, in der bei der Beurteilung konsequent auf den Zeitpunkt der Übergabe abgestellt wurde.
 
Das Berufungsgericht hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass zwar der unmittelbare Rechtsmangel erst am 22.05.2014 begründet wurde, der Sachverhalt, der zu der Eintragung in das SIS geführt habe, aber schon am 12.07.2011 vorgelegen habe. Dass dies zur Annahme eines Mangels bei Gefahrübergang aber nicht genüge, hat der BGH in seiner Entscheidung ausführlich dargelegt:

„Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts liegt ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang nicht schon dann vor, wenn die letztlich zur späteren Eintragung in das SIS führende Ausgangslage […] bereits bei der nach § 446 Satz 1 BGB den Gefahrübergang herbeiführenden Übergabe des Fahrzeugs bestanden hat. Der Senat hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Frage, ob in der Eintragung eines Kraftfahrzeugs in die SIS-Fahndungsliste ein Rechtsmangel liegt, darauf abgestellt, dass diese Eintragung bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs bestand (Senatsurteile vom 18. Januar 2017 – VIII ZR 234/15, aaO Rn. 14; vom 26. April 2015 – VIII ZR 233/15, aaO). Grund hierfür ist der Umstand, dass der Käufer mit der Aufnahme des Fahrzeugs in die SISFahndungsliste in der ungestörten Nutzung der Kaufsache und damit in der Ausübung der ihm – nach Übergabe – gebührenden Rechtsposition eines Eigentümers (§ 903 BGB) konkret beeinträchtigt ist. Erst mit der Eintragung in das SIS verdichtet sich das Risiko der Ausübung von Rechten Dritter – hier in Gestalt strafprozessrechtlicher Zugriffsbefugnisse auf das verkaufte Fahrzeug – so stark, dass mit dessen Verwirklichung unmittelbar und jederzeit gerechnet werden muss. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest mit der Folge, dass allein das Vorliegen eines tatsächlichen Geschehens, das wegen seiner erst nach Gefahrübergang erkannten strafrechtlichen Bedeutung für eine spätere SISFahndung – und in deren Folge für eine etwaige Beschlagnahme – in irgendeiner Weise kausal geworden ist […] für die Annahme eines Rechtsmangels nicht genügt.“ (Rn. 14 ff.)

Eine andere Sichtweise würde die Haftung des Gebrauchtwagenverkäufers in unzumutbarer Weise überdehnen:

„Denn dieser müsste selbst bei dem Verkauf von Fahrzeugen, die eine lückenlos dokumentierte Historie aufweisen, auf lange Zeit für ein bei Gefahrübergang für ihn weder erkennbares noch beherrschbares tatsächliches Geschehen einstehen, das irgendwann einen staatlichen Zugriff auf das Fahrzeug ermöglicht.“ (Rn. 17).

Dies hatte der BGH indes schon einmal anders gesehen: In einer Entscheidung aus dem Jahre 2004 hatte es der BGH bei einer nach § 111b StPO rechtmäßig durchgeführten Beschlagnahme eines im Ausland als gestohlen gemeldeten Fahrzeugs für die Annahme eines Rechtsmangels bei Gefahrübergang als ausreichend erachtet, dass der Sachverhalt, aufgrund dessen die spätere Beschlagnahme erfolgte, bereits bei Gefahrübergang vorlag (BGH, Urt. v. 18.02.2004 – VIII ZR 78/03, NJW 2004, 1802 unter II 1). Die diesem Sachverhalt zugrunde liegende Konstellation unterscheide sich jedoch derart vom vorliegenden Fall, dass nicht die gleichen Maßstäbe angelegt werden könnten. Konkret:

„Der in dem Senatsurteil vom 18. Februar 2004 (VIII ZR 78/03, aaO) zu beurteilende Sachverhalt zeichnete sich dadurch aus, dass bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs eine Diebstahlsanzeige vorlag und strafrechtliche Ermittlungen – auch gegen den Käufer des Fahrzeugs – wegen des Verdachts der Hehlerei geführt wurden, in deren Folge es 16 Tage nach der Übergabe zu einer (rechtmäßigen und danach richterlich bestätigten) Beschlagnahme durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden kam (Senatsurteil vom 18. Februar 2004 – VIII ZR 78/03, aaO). Somit drohte in jenem Fall bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs eine alsbaldige behördliche Beschlagnahme, die die Annahme eines bereits zu diesem Zeitpunkt bestehenden Rechtsmangels begründen konnte. Eine derartig „verdichtete“ Situation einer unmittelbar drohenden behördlichen Beschlagnahme bestand angesichts der vom Berufungsgericht zum zeitlichen Ablauf hier getroffenen Feststellungen bei Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger jedoch nicht. Somit kann […] auch insoweit ein bei Gefahrübergang vorhandener Rechtsmangel nicht bejaht werden.“ (Rn. 19).

Im vorliegenden Fall kann die Tatsache, dass der Sachverhalt, der zu der Eintragung in das SIS geführt habe, also nur deswegen nicht zur Annahme eines Sachmangels „bei Gefahrübergang“ führen, weil sich die Situation zum Zeitpunkt der Übergabe noch nicht hinreichend verdichtet hatte im Sinne eines unmittelbar drohenden behördlichen Einschreitens.
 
III. Ergebnis
Letztlich scheitert nach Auffassung des BGH ein Anspruch auf Rückabwicklung aus § 346 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 BGB, dass im Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch kein Rechtsmangel vorlag.
 
C) Fazit
Die wichtigsten Aussagen des BGH können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Ein Sachmangel liegt in Abgrenzung zum Rechtsmangel immer dann vor, wenn der betreffende Umstand an die Beschaffenheit der Sache anknüpft, auch wenn er dazu führt, dass Dritte Rechte gegen den Käufer geltend machen können. Hiervon ausgehend liegt in der SIS-Ausschreibung eines Fahrzeugs zur Fahndung ein Rechtsmangel.
  • Ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang liegt nicht bereits dann vor, wenn die Umstände, die zur späteren Ausschreibung führen, bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen haben. Denn eine konkrete Beeinträchtigung der Eigentümerposition ist erst mit der Eintragung in das SIS zu befürchten, denn erst dann verdichtet sich das Risiko der Ausübung von Rechten Dritter so stark, dass mit dessen Verwirklichung unmittelbar und jederzeit gerechnet werden muss. Anders geurteilt werden kann allenfalls dann, wenn im Zeitpunkt des Gefahrübergangs eine „alsbaldige“ behördliche Maßnahme droht, wenn sich die Situation also bereits so verdichtet hat, dass die der Maßnahme zugrunde liegenden Umstände in engem zeitlichem Abstand zur Durchführung (hier: Eintragung in das SIS) führen.

Die Entscheidung des BGH ist in Bezug auf die Äußerungen zum Gefahrübergang mehr als zweifelhaft, aber für die Praxis hinzunehmen. Aus streng dogmatischer Sicht hat der BGH freilich recht – der Rechtsmangel und nicht die für ihn irgendwie kausalen Umstände müssen im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorliegen. Gleichwohl erscheint das Urteil gerade vor dem Hintergrund der Entscheidung aus dem Jahre 2004, in der der BGH ausdrücklich anerkannt hat, dass bereits dem Rechtsmangel zugrunde liegende Umstände genügen können, nahezu willkürlich. Denn wann ist der zeitliche Zusammenhang noch gewahrt, dass von einem unmittelbar bevorstehenden behördlichen Eingriff ausgegangen werden kann? Als Eckpunkte kann man sich allenfalls – wenn auch wenig hilfreich – merken, dass eine Beschlagnahme, die 16 Tage nach Gefahrübergang folgt, wohl bereits hinreichend „drohte“; sind dagegen nach Übergabe drei Jahre vergangen, bevor es zur Eintragung ins SIS kommt, kann dies zur Annahme des erforderlichen zeitlichen Zusammenhangs nicht genügen – auch wenn die Umstände, die zur Maßnahme geführt haben, bereits in diesem Zeitpunkt abschließend vorlagen. In einer Klausur kommt es daher auf die Argumentation an: Wichtig ist, dass sich ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt wird, ob die öffentlich-rechtliche Beschränkung bereits hinreichend drohte. Nur dann kann ein Rechtsmangel bei Gefahrübergang angenommen werden.

20.04.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-04-20 09:00:362020-04-20 09:00:36BGH: Neues zum Rechtsmangel beim Autokauf
Dr. Yannik Beden, M.A.

Karteikarte Rücktritt vom Versuch; § 24 I StGB

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05.02.2019/0 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
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Dr. Yannik Beden, M.A.

Examensrelevante Rechtsprechung im Überblick: Strafrecht (Quartal 3/2018)

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Sowohl während des Studiums, als auch in der Vorbereitung auf Examensklausuren oder die mündliche Prüfung: Nur wer die aktuelle Rechtsprechung im Blick hat, ist auf neue Sachverhaltskonstellationen gut vorbereitet. Für das dritte Quartal 2018 haben wir euch im Zivilrecht und Öffentlichen Recht bereits die prüfungsrelevantesten Gerichtsentscheidungen präsentiert. Zur Vervollständigung unseres Quartalsberichts werden im nachstehenden Beitrag die wichtigsten Urteile und Beschlüsse zum materiellen Strafrecht und Strafprozessrecht besprochen:
I. Materielles Strafrecht
1. BGH Beschl. v. 5.7.2018 – 1 StR 201/18 zu den Rücktrittsanforderungen bei beendetem Versuch gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB
Die Entscheidung des Ersten Senats betraf den Rücktritt vom versuchten Mord, §§ 211, 22, 23 StGB sowie der versuchten Brandstiftung mit Todesfolge, §§ 306c, 22, 23 StGB. Im zu entscheidenden Fall setzte der Angeklagte – ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr – ein mehrstöckiges Wohnhaus in Brand, um dadurch einen Feuerwehreinsatz auszulösen und im Anschluss an der Bekämpfung des Feuers mitzuwirken. Damit wollte der Täter die auszulobende Einsatzvergütung erlangen, um seine schlechte finanzielle Situation aufzubessern. Der Täter wirkte dabei nicht vor Ort, sondern verrichtete seine Dienste in der Funkzentrale. Der BGH sah hierdurch die Voraussetzungen des Rücktritts vom beendeten Versuch nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB nicht erfüllt. Eine – für einen wirksamen Rücktritt notwendige – eigene Kausalkette, die für die Nichtvollendung der Tat zumindest mitursächlich ist, habe der Täter durch sein Verhalten nicht in Gang gesetzt:

„Nach der Rechtsprechung des BGH kommt ein Rücktritt vom Versuch gem. § 24 Absatz I 1 Var. 2 StGB schon dann in Betracht, wenn der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder „optimale“ gewählt hat, sofern sich das auf Erfolgsabwendung gerichtete Verhalten des Versuchstäters als erfolgreich und für die Verhinderung der Tatvollendung als ursächlich erweist. Es kommt nicht darauf an, ob dem Täter schnellere oder sicherere Möglichkeiten der Erfolgsabwendung zur Verfügung gestanden hätten; das Erfordernis eines „ernsthaften Bemühens“ gem. § 24 Absatz I 2 StGB gilt für diesen Fall nicht. Erforderlich ist aber stets, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich oder jedenfalls mitursächlich geworden ist. Ohne Belang ist dabei, ob der Täter noch mehr hätte tun können, sofern er nur die ihm bekannten und zur Verfügung stehenden Mittel benutzt hat, die aus seiner Sicht den Erfolg verhindern konnten.“

2. BGH Beschl. v. 7.8.2018 – 3 StR 47/18 zum Totschlag in besonders schwerem Fall
Die bisherige Rechtsprechung zur Frage, wann von einem besonders schweren Fall eines Totschlags i.S.v. § 212 Abs. 2 StGB ausgegangen werden kann, wurde vom BGH nochmals bestätigt. Es handelt sich um ein Problem der Strafzumessung, welches grundsätzlich eine Würdigung und Abwägung aller Einzelfallumstände bedarf. Im Ausgangspunkt nimmt die Rechtsprechung erst dann einen besonders schweren Fall an, wenn das Verschulden des Täters ebenso schwer wiegt wie das eines Mörders nach § 211 StGB. Dieses Verständnis liegt bereits aufgrund des gleichen Strafmaßes (lebenslange Freiheitsstrafe!) nahe. Im Einzelnen führte das Gericht aus:

„Ein besonders schwerer Fall des Totschlags setzt voraus, dass das in der Tat zum Ausdruck kommende Verschulden des Täters außergewöhnlich groß ist. Es muss ebenso schwer wiegen wie das eines Mörders. Dafür genügt nicht schon die bloße Nähe der die Tat oder den Täter kennzeichnenden Umstände zu gesetzlichen Mordmerkmalen. Es müssen vielmehr schulderhöhende Gesichtspunkte hinzukommen, die besonders gewichtig sind“

Sowohl in subjektiver als auch objektiver Hinsicht bedarf es jedoch mehr als einer bloßen Möglichkeit, dass der Täter gleichermaßen wie ein Mörder hätte handeln können. Für den vom Dritten Senat zu entscheidenden Fall bedeutete das:

„Daraus, dass „zahlreiche, nicht fernliegende Handlungsalternativen und Motivationslagen in Betracht“ kommen, die Mordmerkmale ausfüllen könnten, ergibt sich indes noch keine Nähe zu diesen. Das gilt insbesondere in Bezug auf die subjektive Tatseite. So vermochte die Strafkammer keine Feststellungen zu den „Vorstellungen und Motiven“ des Angeklagten zu treffen. Damit fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die Annahme, dass eine Nähe zu den Mordmerkmalen der niedrigen Beweggründe oder der Verdeckungsabsicht bestehe. Entsprechendes gilt im Hinblick auf das Mordmerkmal der Heimtücke. Da die Strafkammer nicht ausschließen konnte, dass das Kind zum Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mehr arglos war, kann nicht ohne Weiteres von einer Nähe zu heimtückischem Handeln ausgegangen werden.“

Deutlich wird, dass der BGH für das Merkmal der „Nähe zum Mord“ äußerst hohe Anforderungen stellt. In der Klausur bedeutet das, dass in Ermangelung eines Mordmerkmals tendenziell von einem „normalen“ Totschlag gem. § 212 Abs. 1 StGB und nicht von einem besonders schweren Fall ausgegangen werden sollte.
3. BGH Beschl. v. 8.8.2018 – 2 ARs 121/18 zur Strafvereitelung durch einen Strafverteidiger – § 258 StGB
Im streitgegenständlichen Verfahren teilte der Strafverteidiger der Ermittlungsbehörde wahrheitswidrig mit, dass die gesuchten Unterlagen sich in der Garage seines Mandanten befänden, obwohl sich tatsächlich noch wesentliche Teile der Dokumente in den Räumlichkeiten des Strafverteidigers befanden. Zudem erklärte der Strafverteidiger nach einer Sichtung seiner Büroräume, im Rahmen derer beweiserhebliche Materialien gefunden wurden, dass er über keine weiteren Beweismittel dieser Art verfüge, obwohl er jedenfalls über einen weiteren Ordner mit wichtigen Beweisurkunden verfügte. Der BGH entschied hier:

„Eine Strafvereitelung in diesem Sinn kann auch durch Vereitelung des staatlichen Beschlagnahmezugriffs auf Beweisgegenstände durch einen Strafverteidiger begangen werden. So gehen etwa wahrheitswidriges Bestreiten des Besitzes gesuchter Beweisurkunden und ein falscher Hinweis auf einen anderweitigen Belegenheitsort zur Vereitelung eines bevorstehenden Beschlagnahmezugriffs über die Grenzen zulässiger Strafverteidigung hinaus. Ein solches Verhalten erfüllt den Tatbestand der Strafvereitelung, wenn dadurch der Abschluss des staatlichen Strafverfahrens für geraume Zeit verzögert wird und der Strafverteidiger absichtlich oder wissentlich handelt.
[…]
Anders liegt es, wenn durch die Ermittlungsbehörde oder das Strafgericht die Herausgabe solcher Beweismittel, die nicht originär durch die Verteidigung hervorgebracht wurden, verlangt (§ 95 Abs. 1 StPO) oder deren Beschlagnahme (§ 94 Abs. 2 StPO) angestrebt wird. In diesem Fall darf der Verteidiger solche Beweismittel, die nicht spezifisches Verteidigungsmaterial darstellen, nicht dem staatlichen Zugriff entziehen, indem er sie verborgen hält oder falsche Angaben zum Belegenheitsort macht. In Bezug auf solche Beweismittel, namentlich „verfängliche Geschäftsunterlagen“, besteht kein Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO.
[…]
Der Verteidiger darf „Überführungsstücke“, auf die ein staatlicher Beschlagnahmezugriff zielt, nicht in seinen Räumen verstecken. Sein Mandat soll nicht dazu genutzt werden können, gesuchten Beweisgegenständen „Asyl“ zu gewähren. Erst recht gestattet keine der Regelungen zum Schutz des Vertrauensverhältnisses gemäß §§ 53, 97, 160a, 148 StPO es dem Strafverteidiger, falsche Angaben über seinen Besitz an Beweisgegenständen zu machen.“

4. BGH Urt. v. 15.5.2018 – 2 StR 152/18 zur Sittenwidrigkeit einer Körperverletzung nach § 228 StGB
Wird in eine Körperverletzung eingewilligt, ist die Tat nur rechtswidrig, wenn sie trotz Einwilligung gegen die „guten Sitten“ verstößt. Dieses äußert weit gefasste Merkmal konkretisierte der BGH erneut. Für die ex-ante zu bestimmende Sittenwidrigkeit sei vordergründig auf die Art und Schwere des Rechtsgutsangriffs abzustellen. Die Tat müsse in Anbetracht des Umfangs der Verletzung sowie des damit verbundenen Gefahrengrads für Leib und Leben trotz Einwilligung des Rechtsgutsträgers „nicht mehr als von der Rechtsordnung hinnehmbar erscheinen“. Viel ist damit freilich noch nicht gesagt, da auch der Begriff der Hinnehmbarkeit vieles bedeuten kann. Der BGH grenzt allerdings ein: Ebenso wie die Zwecksetzung der Tat sei unbeachtlich, welche gesellschaftliche Vorstellung über die Tat vorliegen mögen.

„Die Weite und Konturenlosigkeit des Merkmals der guten Sitten in § 228 StGB erfordert, dieses strikt auf das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte zu beziehen und auf seinen Kerngehalt zu reduzieren. Gesellschaftliche Vorstellungen oder der durch die Tat verfolgte Zweck können lediglich dazu führen, dass ihretwegen eine Einwilligung trotz massiver Rechtsgutsverletzungen Wirksamkeit entfalten kann. Zur Feststellung eines Sittenverstoßes und damit – über die Unbeachtlichkeit der Einwilligung – zur Begründung der Strafbarkeit von einvernehmlich vorgenommenen Körperverletzungen können sie nicht herangezogen werden.“ 

5. BGH Beschl. v. 12.6.2018 – 3 StR 171/17 zum subjektiven Schadenseinschlag beim Betrug (Nachtrag zu Quartal 2/2018)
Besondere Prüfungsrelevanz dürfte die Entscheidung des BGH zu den Grundsätzen des subjektiven Schadenseinschlags bei § 263 StGB haben. Das Gericht konkretisierte die Anforderungen an den persönlichen Schadenseinschlag: Ausgehend vom Grundsatz, dass ein Vermögensschaden trotz objektiver Gleichwertigkeit der Gegenleistung auch vorliegen kann, wenn diese für das Opfer unter Berücksichtigung der individuellen und wirtschaftlichen Bedürfnisse und Verhältnisse subjektiv wertlos ist, stellte der Dritte Senat nun fest:

„Insofern kann als Schaden die gesamte Leistung des Gesch. anzusehen sein, wenn die Gegenleistung nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck brauchbar ist und er sie auch nicht in anderer zumutbarer Weise verwenden, namentlich ohne besondere Schwierigkeiten wieder veräußern kann“  

Da im streitgegenständlichen Verfahren die verkauften Geräte nur mit „erheblichen Verlusten“ hätten weiterveräußert werden können, nahm der BGH einen persönlichen Schadenseinschlag und mithin einen Vermögensschaden an. Eine ausführliche Besprechung dieses besonders prüfungsrelevanten Urteils findet sich im hierzu erstellen Beitrag von Sebastian Rombey.
II. Strafprozessrecht
1. BGH Urt. v. 4.7.2018 – 5 StR 46/18 zur Verhandlungsunfähigkeit eines Angeklagten
Die Entscheidung behandelt die Grenze zur Verhandlungsunfähigkeit bei einem Angeklagten, dessen geistige, psychische oder körperliche Fähigkeit zur Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte eingeschränkt ist. Der 5. Strafsenat geht von einer Verhandlungsunfähigkeit erst aus, wenn dem Angeklagten auch bei Inanspruchnahme verfahrensrechtlicher Hilfe – also insbesondere einem Verteidiger – eine eigenständige, selbstverantwortliche Entscheidungen über die wesentlichen Belange seiner Verteidigung sowie eine sachgerechte Wahrnehmung der ihm zustehenden Verfahrensrechte nicht mehr möglich ist. Dabei geht es vor allem um solche Verfahrensrechte, die der Angeklagte selbst, d.h. persönlich wahrnehmen muss. Danach soll es speziell für das Revisionsverfahren ausreichen, wenn der Beschwerdeführer zumindest zeitweilig zur Konsensfindung mit seinem Verteidiger darüber, ob das Rechtsmittel aufrechterhalten oder zurückgenommen werden soll, in der Lage ist.

„Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinne bedeutet, dass der Angekl. in der Lage sein muss, seine Interessen in und außerhalb der Verhandlung vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen. Dies bedeutet aber nicht, dass der Angekl. auch tatsächlich fähig sein muss, die ihm gesetzlich eingeräumten Verfahrensrechte in jeder Hinsicht selbständig und ohne fremden Beistand wahrzunehmen. Auch bei solchen Angekl., deren geistige, psychische oder körperliche Fähigkeit zur Wahrnehmung der Verteidigungsrechte eingeschränkt ist, muss die Schuld- und Straffrage in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren geklärt und entschieden werden können. Danach liegt Verhandlungsunfähigkeit bei solchen Einschränkungen der geistigen, psychischen oder körperlichen Fähigkeiten nicht vor, wenn die Auswirkungen dieser Einschränkungen auf die tatsächliche Wahrnehmung der Verfahrensrechte durch Hilfen für den Besch. hinreichend ausgeglichen werden können. Die Grenze zur Verhandlungsunfähigkeit ist erst dann überschritten, wenn dem Angekl. Auch bei Inanspruchnahme solcher verfahrensrechtlichen Hilfen eine selbstverantwortliche Entscheidung über grundlegende Fragen seiner Verteidigung und eine sachgerechte Wahrnehmung der von ihm persönlich auszuübenden Verfahrensrechte nicht mehr möglich ist“

2. BGH Beschl. v. 5.7.2018 – 1 StR 42/18 zur Selbstbelastungsfreiheit, § 136 Abs. 1 S. 2 StPO
Äußert sich der Angeklagte nicht zu den Gründen seines Aufenthalts am Ort seiner polizeilichen Festnahme und stellt das erkennende Gericht sowohl in seiner Beweiswürdigung, als auch seiner rechtlichen Würdigung ausdrücklich hierauf ab, wird das Schweigen zum Nachteil des Angeklagten gewertet, sein Schweigerecht mithin konterkariert. Dies verstößt gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens und gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit gem. §§ 136 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 5 S. 1 StPO:

„Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. Es steht dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Absatz 5 Satz 1 StPO). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden. So liegt der Fall aber hier.
Es ist zwar rechtlich zutreffend, dass der Zweifelssatz es nicht gebietet, zugunsten eines Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte bestehen. Das Landgericht stellt jedoch in seiner Beweiswürdigung, aber auch in der rechtlichen Würdigung, an mehreren Passagen ausdrücklich darauf ab, dass sich die Angeklagten nicht zu den Gründen ihres Aufenthalts im Bereich des Festnahmeortes geäußert oder erklärt haben. Damit wird im Ergebnis zum Nachteil gewertet, dass die Angeklagten von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht haben.“


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23.10.2018/1 Kommentar/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2018-10-23 09:30:292018-10-23 09:30:29Examensrelevante Rechtsprechung im Überblick: Strafrecht (Quartal 3/2018)
Gastautor

Einheitliche Tat bei mehraktigem Geschehen?

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Wir freuen uns sehr, nachfolgend einen Beitrag von Christian Küchler veröffentlichen zu können. Der Autor ist Rechtsreferendar im OLG-Bezirk Koblenz. 
Sowohl in Studium und Referendariat als auch in der Praxis bereiten Fälle des sog. mehraktigen Geschehens erhebliche Probleme. Umstritten ist dabei zwischen Lehre und Rechtsprechung naturgemäß schon die Verortung der daraus resultierenden Abgrenzungsfragen im Prüfungsaufbau. Daher stellt die Bewertung der entsprechenden Konstellationen im Einzelfall den Juristen vor Herausforderungen. Dieser Beitrag soll anhand von drei Beispielsfällen aus der Praxis das Problem aufzeigen und den Meinungsstand dazu knapp darstellen, woran anschließend eine eigene Stellungnahme folgt.
I. Der Jauchegrubenfall
Vielen Studenten und Referendaren dürfte der sog. Jauchegrubenfall (BGHSt 14, 193; NJW 1960, 1261) ein Begriff sein. Diesem liegt (verkürzt) folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Angeklagte stopfte mit bedingtem Tötungsvorsatz dem Opfer zwei Hände voll Sand in den Mund, um es am Schreien zu hindern. Das Opfer verlor daraufhin das Bewusstsein. Der Angeklagte war vom Tod des Opfers fest überzeugt und warf das vermeintlich tote Opfer in eine Jauchegrube, wo es ertrank.
Fraglich war in diesem Fall, ob hier ein einheitliches vollendetes Tötungsdelikt vorlag oder ob vielmehr eine Bestrafung wegen eines versuchten Tötungsdelikts in Tatmehrheit mit einer fahrlässigen Tötung (§ 189 StGB ist daneben je nach konkreter Fallkonstellation vorstellbar; § 168 StGB ist hingegen schon mangels Wegnahme bzw. Verübung beschimpfenden Unfugs nicht einschlägig) gegeben war. Die Beantwortung dieser Frage hängt – grob gesagt – davon ab, ob man ein einheitliches vom Vorsatz getragenes bzw. zurechenbares Geschehen annimmt oder aber zwei isoliert zu bewertende Teilakte (Tatmehrheit).
Der Bundesgerichtshof (BGH) verurteilte den Angeklagten hier wegen eines vollendeten Tötungsdelikts. Ansatzpunkt für den Problemaufriss ist für den BGH der subjektive Tatbestand, genauer gesagt die Frage, ob eine unwesentliche oder wesentliche Abweichung des tatsächlichen von dem vom Täter vorgestellten Kausalverlauf vorliegt.
Der BGH erteilt zunächst den landgerichtlichen Ausführungen zum Generalvorsatz (dolus generalis) eine Absage, wonach der einheitliche Vorsatz des Angeklagten bis zur Beseitigungshandlung fortgewirkt habe. Dies ist freilich vollkommen korrekt, da der Angeklagte das Opfer ja bereits für tot hielt.
Allerdings knüpft der BGH an den ersten Teilakt und den dort vorliegenden Vorsatz an und argumentiert, dass diese Tathandlung bis zum tatsächlichen Tode fortgewirkt habe und damit ursächlich gewesen sei. Danach sei allein maßgeblich, ob eine wesentliche Abweichung vom zu diesem Zeitpunkt vorgestellten Kausalverlauf vorliege, was er sodann verneint. Warum nun aber die Abweichung nur gering und bedeutungslos sei, erörtert der BGH nicht.
Die Lehre würde diesen Fall hingegen über die (im objektiven Tatbestand – wie schon der Wortsinn sagt – zu verortende) objektive Zurechnung lösen. Eine objektive Zurechnung setzt voraus, dass eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen wurde, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert (Valerius, JA 2006, 261 m.w.N.). Eine objektive Zurechnung wird man in diesem Fall noch bejahen können, da der Tod das Werk des Täters und kein Produkt des Zufalls ist (Valerius aaO). Jedoch soll auch der Irrtum über den Kausalverlauf im Rahmen der Zurechnung von Bedeutung sein, sodass sich auch hier dieses Problem stellt.
Das Meinungsspektrum zur Lösung des Falles ist in der Literatur vielgestaltig:
Die sog. Vollendungslösung kommt zu dem Ergebnis, dass die Abweichung unwesentlich ist, da sich der Täter unbewusst zum Werkzeug seiner eigenen Tat gemacht habe.
Andere Literaten fordern, dass der Täter den zweiten Handlungsakt in seinem Vorsatz aufgenommen haben müsste. Anderenfalls liege eine wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf vor. Im vorliegenden Fall dürfte daher – jedenfalls in dubio pro reo – nach dieser Ansicht eine wesentliche Abweichung und damit nur eine Versuchsstrafbarkeit vorliegen.
Eine dritte Ansicht fordert, dass die erste Teilhandlung konkret tauglich für den Tod des Opfers gewesen sein muss, d.h. wenn durch diese Handlung bereits tödliche Verletzungen eingetreten seien, und die zweite Teilhandlung nur eine Beschleunigung des Todes herbeigeführt habe. Danach hinge eine Vollendungsstrafbarkeit davon ab, ob der Sand im Mund schon zum Tod geführt hätte.
Eine letzte Ansicht differenziert danach, ob der Täter von Anfang an mit Tötungsabsicht und nicht nur bedingtem Vorsatz gehandelt hat (zu den verschiedenen Auffassungen knapp Valerius, aaO m.w.N.). Da hier nur bedingter Vorsatz festgestellt werden konnte, läge auch nach dieser Auffassung nur eine Versuchsstrafbarkeit vor.
II. Der Scheunenmordfall
Im Jahre 2016 hatte der vierte Strafsenat des BGH einen ähnlich gelagerten Fall (sog. Scheunenmordfall, BGH 4 StR 223/15), der jedoch in einem Umstand vom Jauchegrubenfall abwich, zu entscheiden. Dem Urteil lag folgender (verkürzter) Sachverhalt zugrunde:
Der Angeklagte und das Opfer fuhren gemeinsam in einem Auto und hielten an einer Scheune an, stiegen dort aus und gelangten an ein verschlossenes Tor. Dort kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen den beiden, wobei es nicht zu Tätlichkeiten kam. Sodann wandte sich das Opfer dem Scheunentor zu und machte sich an diesem zu schaffen, während es kniete und dem Angeklagten den Rücken zudrehte. Der Angeklagte, der wusste, dass das Opfer mit keinem Angriff rechnete und diesen von hinten nicht rechtzeitig bemerken würde, fasste nun einen Tötungsentschluss. Mit Tötungsabsicht schlug er Angeklagte dann dem Opfer mit einer schweren Eisenstange auf den Hinterkopf. Das Opfer kippte bewusstlos zu Seite und begann im Kopfbereich und an den Ohren stark zu bluten. Der Angeklagte schlug mindestens zwei weitere Male mit der Stange auf den Kopf des Opfers. Die Verletzungen des Opfers während mit Sicherheit tödlich gewesen. Zu diesem Zeitpunkt war es jedoch noch nicht verstorben.
In der Annahme, das Opfer sei bereits tot oder werde in Kürze versterben, fuhr das Angeklagte mit der Eisenstange mit dem Auto weg. Im weiteren Verlauf kam dem Angeklagten dann die Idee, zurück zur Scheune zu fahren, die Polizei zu informieren und zu behaupten, er habe das Opfer auf dessen Bitte allein an der Scheune absetzen sollen und ihn dann tot dort aufgefunden, als er ihn abholen wollte.
Als der Angeklagte zurück an der Scheune angelangt war, bemerkt er, dass das Opfer noch nicht verstorben war und beschloss nun, es endgültig zu töten. Er schnitt dem Opfer mit einem Messer den Hals bis zur Wirbelsäule durch. Das Opfer konnte in seinem Zustand keine Abwehr mehr leisten. Das Opfer verstarb schließlich infolge der Schnitte.
 
Hier stellte sich nicht die Frage, ob Versuch und Fahrlässigkeit oder Vollendung. Vielmehr war fraglich, ob neben dem unstreitig an sich vorliegenden vollendeten Totschlag auch noch ein Heimtückemord zu bejahen war. Hintergrund dieser Frage ist der Umstand, dass A, als er mit der Eisenstange auf O losging, heimtückisch handelte. Später – bei den Stichen mit dem Messer – war O hingegen nicht mehr arglos, weswegen hier keine Heimtücke mehr vorlag (Jäger, JA 2016, 548, sieht dies indes anders und geht – m.E. widersprüchlich – von einem Zuendeführen der ursprünglichen Tat und gleichzeitig von einer zweiten Tat aus, vgl. hierzu unten). Auch Verdeckungsabsicht konnte nicht festgestellt werden (hierzu Jäger, aaO).
Wiederum nahm der BGH (wie schon im vergleichbaren sog. Pflegemutterfall, BGH NStZ 2001, 29), anders als das Landgericht, ein einheitliches Geschehen an und verurteilte den A wegen Mordes aus Heimtücke. Die Abweichung vom Kausalverlauf sei nicht wesentlich. Denn der tatsächliche Verlauf bewege sich nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit und rechtfertige keine andere Bewertung der Tat. Er stellt maßgeblich auf die „gleiche Angriffsrichtung“ der Verschleierungshandlungen ab. Eine detaillierte Begründung für diese Behauptung lässt er indes vermissen.
Diese Entscheidung ist auf Kritik gestoßen. Eisele (JuS 2016, 368), der den Jauchegrubenfall zwar dogmatisch anders, im Ergebnis aber wie der BGH lösen möchte, sieht hier eine erhebliche Abweichung zum Jauchegrubenfall darin, dass der A erkannt habe, dass der O noch nicht tot gewesen sei und entsprechend einen neuen Tötungsvorsatz gefasst habe. Im Jauchegrubenfall habe nur Fahrlässigkeit vorgelegen, weswegen eine Zäsurwirkung durch den neuen Vorsatzentschluss ausscheide.
 
III. BGH 3 StR 402/16
Der dritte Strafsenat des BGH hatte kurz darauf ebenfalls über eine vergleichbare Konstellation (BGH 3 StR 402/16) zu befinden.
Sachverhalt war hier folgender (leicht verkürzt):
Die Ehefrau des Angeklagten, welche sich von diesem getrennt hatte, kam mit einer Bekannten zurück in die Ehewohnung, um dort die gemeinsamen Kinder zu besuchen. Zwischenzeitlich befanden sich die beiden Frauen auf dem Balkon. Durch ein dortiges Gespräch über ihn, das er vernommen hatte, wütend, lief der Angeklagte mit einem Küchenmesser in der Hand auf den Balkon. Unterwegs steckte er das Messer in den Ärmel oder Hosenbund, so dass es nicht sichtbar war. Auf dem Balkon angekommen beschimpfte und beleidigte die Ehefrau den Angeklagten weiter. Völlig unvermittelt und plötzlich stach der Angeklagte mit dem Messer, das er unbemerkt hervorgeholt hatte, gezielt und mit Wucht auf das Gesicht der Ehefrau ein, wobei ihm bewusst war, dass die Ehefrau nicht mit einem Angriff rechnete. Sodann versetzte er hier mehrere Stiche in den Oberkörper und stach auf weiter auf sie ein, als sie zu Boden ging.
Als der Angeklagte erkannte, dass das gemeinsame Kind mit entsetztem Blick das Geschehen verfolgt hatte, hielt er inne, ließ das Messer fallen und wollte die Wohnung verlassen. Nunmehr ergriff die Ehefrau das Messer und versuchte nach dem Angeklagten zu stechen. Der Angeklagte konnte das Messer jedoch verbiegen und aus der Hand der Ehefrau befördern. Wiederum stürzte die Ehefrau mit dem Messer auf den Angeklagten zu, welcher ein anderes Küchenmesser ergriff und nach der Ehefrau stach. Als diese zu Boden gegangen und ihr Messer verloren hatte, stach er weiter auf sie ein und tötete sie letztlich mit insgesamt mindestens 67 aktiven Stichen.
(Zunächst ist hier festzuhalten, dass der Angeklagte nicht aus Notwehr handelte, da kein Angriff der Ehefrau mehr vorlag.)
Interessanterweise war hier das Landgericht von einer Vollendung ausgegangen. Der dritte Strafsenat hatte dem auf die Revision des Angeklagten hin jedoch widersprochen. Er meint, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Angeklagte lediglich einen Tötungsversuch begangen habe, von dem er dann strafbefreiend zurückgetreten sei, weil er eventuell durch den Anblick seines Sohnes von der Tat zunächst abgelassen habe und nach seiner Vorstellung möglicherweise ein unbeendeter Versuch vorgelegen habe, und die Zufügung der tödlichen Stiche nach dem Gegenangriff der Ehefrau lediglich als Totschlag zu werten sei. Er geht auch ausdrücklich davon aus, dass der Angeklagte erneut einen Tötungsentschluss fasste. An dieser Beurteilung ändere sich auch nichts, wenn man von Handlungseinheit ausgehe, da dies nur konkurrenzrechtlich von Bedeutung sei.
IV. Eigene Bewertung der drei Konstellationen
Die Differenzierung Eiseles zwischen Jauchegruben- und Scheunenmordfall vermag m.E. nicht zu überzeugen. Auch im Jauchegrubenfall fasst der Täter einen neuen Vorsatz – nämlich die (vermeintliche) Leiche zu „entsorgen“. Dass dieser Entschluss als solcher (da es kein Vorsatzdelikt gibt, das dieses Verhalten unter Strafe stellt) nicht strafbar ist, darf keinen Unterschied machen. Denn dann würde man den Täter privilegieren, dessen Verhalten im zweiten Akt eine Vorsatzstrafbarkeit begründete, der also dort stärkeres Unrecht verwirklichte. Dass darüber hinaus eine strafbare Fahrlässigkeitstat vorliegt, kann freilich nichts hieran ändern, da diese den Vorsatz unberührt lässt.
Im Ergebnis zum zweiten Fall ist Eiseleaber zuzustimmen. Im zweiten Fall (ebenso im letztgenannten Fall) wie auch im Jauchegrubenfall fasst der Täter einen neuen Entschluss, welcher eine Zäsur zum vorangegangenen Geschehen begründet. Gerade dieser neue Entschluss spricht dafür, dass er diesen Geschehensablauf gerade nicht vorhergesehen hat (so für den Scheunenmordfall Jäger, aaO: Einen Zweitakt als „vorhersehbar“ zu betrachten, für dessen Verwirklichung der Täter später selbst noch einen Entschluss fassen muss, erscheint fragwürdig“ – wegen des neuen Tatentschlusses ist aber entgegen Jägergerade keine Heimtücke mehr gegeben. Will man Heimtücke annehmen, so muss man denklogisch auch von einer von vorn herein einheitlicher Tat ausgehen) und die Abweichung vom Kausalverlauf damit wesentlich ist. Alles andere wäre auch lebensfremd. Denn wieso sollte der Täter, der das Opfer tot glaubt, die Möglichkeit, dass es doch noch nicht tot sei, er es dann aber eben nun auf andere Weise töte, in seinen Vorsatz aufnehmen? Dies ist letztlich nichts anderes als die Annahme eines sog. dolus generalis, der aber mit § 16 StGB und dem Koinzidenzprinzip nicht vereinbar ist (und welchen der BGH schon in der Jauchegruben-Entscheidung als überkommen bezeichnete, BGHSt 14, 193). Zwar mag es durchaus sein, dass – hätte der Täter erkannt, dass das Opfer noch lebte – dieses gleichwohl getötet hätte bzw. hätte töten wollen. Ein vorsätzliches Begehungsdelikt ist jedoch solchen hypothetischen Betrachtungen nicht zugänglich. Zum Zeitpunkt der eigentlich kausalen Handlung lag eben gerade – aufgrund eines Irrtums – kein Vorsatz vor. Den Täter muss dies nicht privilegieren, da der Versuch nur eine fakultative Strafmilderung vorsieht, §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB, welche man hier sicherlich nicht anwenden sollte und auch nicht würde.
So geht der dritte Strafsenat richtigerweise in dem von ihm zu entscheidenden Fall davon aus, dass ein neuer selbstständig zu bewertender Tatentschluss vorliege, und setzt sich damit in gewissem Maße in Widerspruch zum vierten Strafsenat. Nicht verloren gehen soll allerdings der Umstand, dass hier eine echte Aufgabe des Tatentschlusses durch Rücktritt (wenn auch nur kurzfristig) in Betracht kam, was in den beiden anderen Fällen gerade nicht so war, weswegen die Beurteilung in diesem Fall doch eindeutiger erscheint. Denn es erscheint schwerlich begründbar, wie die ursprüngliche Tat – von der ja gerade ein Rücktritt in Betracht kam – hier fortwirken sollte.
Die Lösung dieses Problems ist aber letztlich eine Wertungsfrage (Wann ist die Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf noch unwesentlich und wann nicht mehr? – Nach der Literatur: Wann ist ein Erfolg noch zurechenbar?) und damit eine solche des Einzelfalls. Im ersten Staatsexamen sollten daher beide Ansichten vertretbar sein. Für das zweite Staatsexamen ist hingegen – wie immer – anzuraten, dem BGH zu folgenund sich mit dessen dürftiger Begründung zu begnügen. Andernfalls verlöre der Bearbeiter in der Klausursituation Zeit und liefe Gefahr, dass seine Lösung entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung vom Korrektor mindestens mit Verwunderung beäugt wird.

24.09.2018/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2018-09-24 09:00:212018-09-24 09:00:21Einheitliche Tat bei mehraktigem Geschehen?
Dr. Yannik Beden, M.A.

BGH: Neues zum Sachmangel beim Pferdekauf

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Neben dem Gebrauchtwagenkauf ist der Kauf von (Dressur-)Pferden einer der absoluten Examensklassiker. Üblicherweise finden sich in der Klausur Problemstellungen zum Mangelbegriff, zur Vertragsauslegung sowie zur Beweislastverteilung. Zu diesen Punkten hat sich der BGH nunmehr mit Urteil vom 18.10.2017 – VIII ZR 32/16 erneut geäußert und seine bisherige Rechtsprechung zur Frage des Sachmangels bei Abweichen eines Tieres von der „physiologischen Idealnorm“ bestätigt. Die Entscheidung bietet Gelegenheit zur Wiederholung und Vertiefung des in Klausuren regelmäßig behandelten Systems der Sachmängelgewährleistung im Kaufrecht. Sie verdient deshalb eine genauere Betrachtung.
I. Der Sachverhalt
Die Parteien schlossen im Jahr 2010 einen mündlichen Kaufvertrag über einen damals 10 Jahre alten Hannoveraner Wallach zum Preis von 500.000 €. Der Käufer beabsichtigte, den Wallach als Dressurpferd bei Grand-Prix-Prüfungen einzusetzen. Der Verkäufer, ein selbständiger Reitlehrer und Pferdetrainer, hatte das Pferd zuvor für eigene Zwecke erworben und zum Dressurpferd ausgebildet. Nach zwei Proberitten und einer „großen Ankaufsuntersuchung“, in der sich keine erheblichen Befunde ergeben hatten, wurde das Pferd dem Käufer am 30.11.2010 übergeben. Am 15. Juni 2011 wurde dann jedoch im Rahmen einer tierärztlichen Untersuchung ein Röntgenbefund an einem Halswirbel des Pferdes festgestellt – der Gelenkfortsatz des vierten Halswirbels des Tieres war deutlich verändert. Das Pferd lahmt und hat Schmerzen, sodass es sich einer reiterlichen Einwirkung widersetzt. Ob die schwerwiegenden Rittigkeitsprobleme auf die durch den Röntgenbefund festgestellte Veränderung des Halswirbels zurückzuführen sind, ließ sich nicht feststellen. Der Käufer erklärt – nach vergeblicher Fristsetzung zur Nacherfüllung – den Rücktritt vom Kaufvertrag und begehrt dessen Rückabwicklung.
II. Rechtliche Würdigung des Bundesgerichtshofs
Der Käufer könnte einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises i.H.v. 500.000 € aus §§ 437 Nr. 2, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 Alt. 2, 346 Abs. 1 BGB haben. Die zentrale Fragestellung ist insofern, ob bei Gefahrübergang ein Sachmangel vorgelegen hat:
Der BGH stellt zunächst Überlegungen zu einer etwaigen Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB an. Das Berufungsgericht entschied zuvor, dass es sich bei dem Röntgenbefund um einen Sachmangel i.S. der genannten Norm handele, und zwar unabhängig davon, ob die klinischen Erscheinungen des Pferdes auf den Befund kausal zurückgeführt werden können. Dafür wäre allerdings das Vorhandensein einer – ausdrücklichen oder konkludenten – Beschaffenheitsvereinbarung notwendig, der zufolge das Pferd einen Röntgenbefund im Bereich des Facettengelenks nicht haben dürfte. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH setzt eine Beschaffenheitsvereinbarung voraus, dass der Verkäufer in vertragsbindender Weise die Gewähr für das Vorhandensein einer Eigenschaft der Kaufsache übernimmt und damit seine Bereitschaft zu erkennen gibt, für alle Folgen des Fehlens dieser Eigenschaft einzustehen (hierzu bereits BGH Urteil v. 4.6.1997 – VIII ZR 243/96). Eine solche Vereinbarung kann auch stillschweigend getroffen werden – der BGH stellt hier jedoch strenge Anforderungen, sodass eine Beschaffenheitsvereinbarung nicht im Zweifel, sondern nur bei eindeutigen Fällen in Betracht kommt (so bereits BGH Urteil v. 15.6.2016 – VIII ZR 134/15 und 29.6.2016 – VIII ZR 191/15). Da auch hinsichtlich einer stillschweigenden Vereinbarung keine Anhaltspunkte für einen darauf gerichteten Willen in irgendeiner Form vorlagen, verneinte das Gericht im Ergebnis den Abschluss einer Beschaffenheitsvereinbarung über den streitgegenständlichen Röntgenbefund am Halswirbel des Tieres.
Fraglich ist jedoch, ob ein Mangel i.S.v. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 BGB vorliegt. Zentraler Problempunkt ist insofern, dass der Hannoveraner Wallach ein hochklassiges Dressurpferd ist, das aufgrund der Veränderung des Halswirbels nicht mehr der „Idealform“ entspricht. Der BGH setzt diesbezüglich seine bisherige Rechtsprechung zu Mängeln bei Pferden fort: Die Eignung für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung als Reitpferd ist nicht bereits dadurch beeinträchtigt, dass aufgrund von Abweichungen in der physiologischen Norm eine (lediglich) geringere Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung künftiger klinischer Symptome besteht. Dem BGH zufolge gehört es nicht zur üblichen Beschaffenheit eines Tieres, „dass es in jeder Hinsicht einer biologischen oder physiologischen „Idealnorm“ entspricht“.
Dieser Wertung ist umfassend beizupflichten: Tiere unterliegen als Lebewesen einer ständigen biologischen Entwicklung, sodass es bereits äußerst schwer sein dürfte, einen Maßstab für eine derartige „Idealphysiologie“ zu bilden. Darüber hinaus handelt es sich beim Kauf eines Tieres nicht um ein industrielle hergestelltes Produkt, bei dem weitaus höhere Anforderungen an die physische und maschinelle Beschaffenheit gestellt werden können. Die individuellen Anlagen eines Tieres sind also im Rahmen der Bestimmung des Mangelbegriffs umfassend zu berücksichtigen.  Das Gericht entschied in diesem Zusammenhang auch noch, dass es auf die Häufigkeit bzw. Üblichkeit der morphologischen Veränderung nicht ankomme. Dies gelte sogar für erstmalig auftretende physiologische Abweichungen von der „Idealform“.
Da weder eine Beschaffenheitsvereinbarung über das Ausbleiben eines Röntgenbefunds am Halswirbel vorliegt, noch die Abweichung von der physiologischen Idealnorm einen eigenständigen Mangel zu begründen vermag, verbleibt die Frage, ob die „Rittigkeitsprobleme“ bereits bei Gefahrübergang vorhanden waren. Fest steht zwar, dass die Änderung des Halswirbels zu diesem Zeitpunkt schon bestand, jedoch ist nicht feststellbar, ob Lahmheit, Schmerzen und Widersetzlichkeit des Pferdes hierauf zurückzuführen sind. Fraglich ist demzufolge, ob dem Käufer die Vermutungswirkung des § 476 BGB zu Gute kommt. Problematisch und in der Klausur zu diskutieren wäre hier die Reichweite der Vermutungswirkung – Stichwort „Grundmangel“. Dafür müsste allerdings zunächst ein Verbrauchsgüterkauf nach § 474 Abs. 1 BGB vorliegen, der Verkäufer mithin als Unternehmer i.S.v. § 14 Abs. 1 BGB gehandelt haben. Mit Blick auf die objektiv zu bestimmende Zweckrichtung des Kaufs kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Verkäufer nicht in Ausübung einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit gehandelt hat. Zwar kann auch der erstmalige Abschluss eines Vertrags auf zukünftiges unternehmerisches Handeln gerichtet sein (vgl. zur Unternehmereigenschaft bei Startup-Unternehmen BGH Beschluss v. 24.2.2005 – III ZB 36/04). Hierfür bedarf es jedoch entsprechender Anhaltspunkte, die im zu entscheidenden Fall nicht ersichtlich waren. Darüber hinaus wurde das Pferd zuvor vom Verkäufer zu eigenen Zwecken ausgebildet und trainiert, sodass eine private Nutzung bestand. Da es auch keine Vermutung dafür, dass von Unternehmern getätigte Rechtsgeschäfte im Zweifel dem geschäftlichen bzw. beruflichen Bereich zuzuordnen sind, besteht, handelte der Verkäufer im Ergebnis nicht als Unternehmer i.S.v. § 14 Abs. 1 BGB. Mangels Verbrauchsgüterkaufs kommt dem Käufer also die Vermutungsregelung aus § 476 BGB nicht zu Gute, sodass auch die diversen „Rittigkeitsprobleme“ keinen bei Gefahrübergang nachweisbar bestandenen Mangel begründen. Summa summarum fehlt es also an einem Sachmangel i.S.v. § 434 BGB. Einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises i.H.v. 500.000 € aus §§ 437 Nr. 2, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 Alt. 2, 346 Abs. 1 BGB hat der Käufer nicht.
III. Fazit
Die Entscheidung des BGH setzt die bisherige Rechtsprechung zum Mangelbegriff bei Tieren konsequent fort. Auch bei hochpreisigen Dressurpferden kann der Käufer grundsätzlich keine Beschaffenheit erwarten, die der – wie auch immer zu bestimmenden – Idealphysiologie entspricht. In der Klausur muss vor allem zwischen den verschiedenen Bezugspunkten für die Bestimmung eines etwaigen Mangels unterschieden werden. Hier ist eine präzise Differenzierung notwendig. Im Ergebnis handelt es sich um einen Fall, der sich für die juristische Staatsprüfung sehr gut eignet – der Pferdekauf bleibt ein echter „Dauerbrenner“.

04.12.2017/0 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2017-12-04 10:00:482017-12-04 10:00:48BGH: Neues zum Sachmangel beim Pferdekauf
Redaktion

Schema: Versuch, §§ 22, 23 StGB

Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Verschiedenes

Schema: Versuchsdelikt §§ 22, 23 StGB

I. Vorprüfung

1. Nichtvollendung des Delikts

2. Strafbarkeit des Versuchs
– Ergibt sich bei Verbrechen aus §§ 12 I, 23 I StGB.
– Bei Vergehen nur strafbar, wenn ausdrücklich gesetzlich vorgesehen.
II. Tatbestandsmäßigkeit

1. Tatentschluss
– Der Täter muss unbedingten Handlungswillen haben, d.h. sich vorbehaltlos zur Tat entschlossen haben.
– Bedingungen des Tatentschlusses sind nur schädlich, wenn sie sich auf die Entscheidung zur Tat als solche beziehen. Dass der Täter die Begehung der Tat von äußeren Umständen abhängig macht, ist hingegen unproblematisch möglich.

2. Unmittelbares Ansetzen gem. § 22 StGB
Nach hM (+), wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat eine Handlung vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang des Geschehens ohne wesentliche Zwischenakte zur Tatbestandsverwirklichung führt und bereits eine konkrete Rechtsgutsgefährdung auf Seiten des Opfers bedeutet.
III. Rechtswidrigkeit
IV. Schuld
V. Persönlicher Strafaufhebungsgrund: Rücktritt gem. § 24 StGB

1. Kein Fehlschlag des Versuchs

(P) Wann liegt ein Fehlschlag vor?
– Einzelaktstheorie: Fehlschlag (+), wenn eine Handlung, die nach Vorstellung des Täters dazu geeignet war, den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen, fehl geht.
– Gesamtbetrachtungslehre: Fehlschlag (+), wenn aus Sicht des Täters keine Möglichkeit mehr besteht, den tatbestandlichen Erfolg im unmittelbaren Fortgang des Geschehens mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln herbeizuführen.

2. Rücktrittsvoraussetzungen

a) Unbeendeter Versuch, § 24 I Alt. 1 StGB

= Der Täter glaubt noch nicht alles seinerseits zur Erfolgsherbeiführung Erforderliche getan zu haben.

aa) Aufgabe der weiteren Ausführung der Tat
bb) Freiwilligkeit

b) Beendeter Versuch, § 24 I Alt. 2 StGB
= Der Täter glaubt bereits alles seinerseits zur Erfolgsherbeiführung Erforderliche getan zu haben.



aa) Verhinderung der Vollendung der Tat
bb) Freiwilligkeit

c) Vermeintlich vollendbarer Versuch, § 24 I 2 StGB

aa) Ernsthaftes Sichbemühen um die Erfolgsverhinderung
bb) Freiwilligkeit

d) Bei Beteiligung mehrerer, § 24 II StGB

aa) Grundsätzlich Verhinderung der Tatvollendung, § 24 II 1 StGB
Ausnahmsweise ernsthaftes Bemühen um die Erfolgsverhinderung, wenn die Tat ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird, § 24 II 2 StGB
bb) Freiwilligkeit

 

Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

13.10.2017/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2017-10-13 10:00:022017-10-13 10:00:02Schema: Versuch, §§ 22, 23 StGB
Redaktion

Der Dieselskandal in der Klausur: Möglichkeiten des Rücktritts vom Kaufvertrag

Schon gelesen?, Schuldrecht, Verschiedenes, Zivilrecht

Wir freuen uns sehr, heute einen Gastbeitrag von Julian Götz, derzeit Rechtsreferendar am Landgericht Köln, veröffentlichen zu können. 
Der sogenannte Dieselskandal schlägt derzeit hohe Wellen und hat sich nahezu auf die gesamte Automobilbranche ausgeweitet.
Im Kern geht es darum, dass die betroffenen Fahrzeuge mit einer Software zur Optimierung / Manipulation der Abgaswerte ausgestattet sind. Die Software erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand oder im normalen Straßenverkehr befindet. Stellt die Software fest, dass sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet, manipuliert bzw. optimiert die Software die Stickoxid-Emissionswerte, sodass die Grenzwerte der Euro-5-Abgasnorm eingehalten werden. Im normalen Straßenverkehr greift die Software nicht ein. Das bedeutet, dass die Grenzwerte im Alltag auf der Straße nicht eingehalten werden und der Stickoxid Grenzwert teilweise bis zum 30-fachen überschritten wird.
Viele der betroffenen Kfz Eigentümer fühlen sich von den Automobilherstellern hintergangen und möchten ihre Fahrzeuge zurückgeben. Dies hat zu unzähligen Verfahren vor deutschen Gerichten geführt. In diesem Zusammenhang sollen nachfolgend insbesondere die Probleme bei einem erklärten Rücktritt näher beleuchtet werden (zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung siehe LG München I, Urteil vom 14. April 2016, Az. 23 O 23033/15).
I. Gegenseitiger Vertrag
Für einen etwaigen Rücktritt muss natürlich zunächst ein wirksamer Kaufvertrag über das Auto zustande gekommen sein.
II. (Nicht-) oder Schlechtleistung
Der Schuldner, in diesem Fall der Verkäufer, müsste seine Leistung nicht vertragsgemäß erbracht haben (§§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 Var. 2 BGB). Das ist der Fall, wenn das Fahrzeug mangelhaft ist, also die Ist- von der Sollbeschaffenheit negativ abweicht.
Dass Käufer und Verkäufer die Erfüllung einer bestimmten Abgasnorm vereinbart haben, dürfte in den wenigsten Fällen vorkommen (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Die Fahrzeuge mit der sogenannten „Schummelsoftware“ eignen sich zudem für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB). Sie lassen sich ganz normal, ohne Einschränkungen im Straßenverkehr bewegen.
Die Gerichte gehen aber weit überwiegend davon aus, dass ein Mangel gemäß § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB vorliegt (hierzu ausführlich LG Hagen, Urteil vom 18. Oktober 2016, Az. 3 O 66/16). Danach ist eine Sache frei von Mängeln, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Der Ausstoß von Emissionen und die damit verbundene Einstufung in eine Abgasnorm zählen zur Beschaffenheit eines Fahrzeugs (LG Krefeld, Urteil vom 14. September 2016, Az. 2 O 83/16). Die Mangelhaftigkeit liegt darin, dass die betroffenen Fahrzeuge die Abgasnorm nur auf dem Prüfstand und nur mit Hilfe der Schummelsoftware einhalten. Das LG Münster stellte hierzu in einem Urteil vom 14. März 2016 (Az. 11 O 341/15) fest:

Ein Durchschnittskäufer eines Neufahrzeuges kann davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nicht nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandlauf erkannt und über entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der Stickoxidausstoß reduziert wird.

Die Tatsache, dass die Emissionswerte im Straßenverkehr regelmäßig über denen auf dem Prüfstand liegen, steht dem nicht entgegen, denn „die Abweichungen beruhen im Falle der Umschaltlogik der Software gerade nicht auf den dem Kunden bekannten Unterschieden zwischen synthetischem Prüfstandsbetrieb und realem Alltagsbetrieb“ (LG Hagen, Urteil vom 18. Oktober 2016, Az. 3 O 66/16). Sollten tatsächlich punktuelle Fahrverbote für entsprechende Dieselfahrzeuge, etwa wie diskutiert in einigen Innenstädten, erlassen werden, könnte allein dieser Umstand zur Mangelhaftigkeit des PKW führen – dann wohl schon als Mangel mit Blick auf die vertraglich vorausgesetzte Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB).
III. Erfolgloser Fristablauf
Grundsätzlich muss der Käufer dem Verkäufer eine angemessene Frist zur Leistung bzw. Nacherfüllung setzen (§ 323 Abs. 1 BGB). In Betracht kommt jedoch eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB, wegen Vorliegens besonderer Umstände, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Verschweigt der Verkäufer einen Mangel der gekauften Sache arglistig, so ist er nicht schutzwürdig und eine Fristsetzung für den Käufer entbehrlich. Dass die Hersteller die Software vorsätzlich und nicht nur aus Versehen eingebaut haben, dürfte außer Frage stehen. Unklar ist jedoch, wer etwas davon wusste, insbesondere bei den Automobilhändlern. Denn diese sind meist die Vertragspartner der Käufer und diesen müsste das Wissen der Hersteller zugerechnet werden. Die Frage der Wissenszurechnung wird von den Gerichten bislang unterschiedlich beurteilt (Zurechnung ja: LG München I, Urteil vom 14. April 2016, Az. 23 O 23033/15; LG Hildesheim, Urteil vom 17. Januar 2017, Az. 3 O 139/16; Zurechnung nein: LG Krefeld, Urteil vom 14. September 2016, Az. 2 O 83/16; LG Frankenthal, Urteil vom 12. Mai 2016, Az. 8 O 208/15; LG Dortmund, Urteil vom 12. Mai 2016, Az. 25 O 6/16; LG Ellwangen, Urteil vom 19. Oktober 2016, Az. 3 O 55/16).
Manche Gerichte gehen auch von einer Unzumutbarkeit der Nacherfüllung gemäß § 440 Satz 1 Var. 3 BGB aus, welche eine Fristsetzung ebenso entbehrlich macht (hierzu ausführlich LG Krefeld, Urteil vom 14. September 2016, Az. 2 O 83/16). Hier spielen Dinge eine Rolle, wie beispielsweise der Vertrauensbruch zwischen Käufer und Automobilhersteller und die Frage, wie sich eine etwaige Nachbesserung auf Spritverbrauch, Abgasemission, Fahrverhalten, Haltbarkeit und Wert des Fahrzeugs auswirkt. All diese Fragen sind weder gerichtlich noch wissenschaftlich endgültig geklärt, sodass hier mit entsprechender Begründung wohl noch alles vertreten werden kann. Es kommt in der Klausur auf den Einzelfall an.
IV. Kein Ausschluss
Der Rücktritt dürfte nicht ausgeschlossen sein. Im Kontext der Schummelsoftware kommt hier § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB besondere Bedeutung zu. Demnach kann der Käufer bei einer Schlechtleistung des Verkäufers nicht vom Vertrag zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Dies ist anhand einer umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall zu entscheiden. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erheblichkeit ist der Zeitpunkt der Rücktrittserklärung. Bei Vorliegen einer arglistigen Täuschung ist auch jeder noch so kleine Mangel erheblich. Der Bundesgerichtshof unterscheidet regelmäßig zwischen behebbaren und unbehebbaren Mängeln (BGH, Urteil vom 29. Juni 2011, Az. VIII ZR 202/10).
Bei behebbaren Mängeln kommt es für die Erheblichkeit auf das Verhältnis zwischen den Kosten der Mängelbeseitigung und dem Kaufpreis an. Liegen die Kosten der Mängelbeseitigung unter fünf Prozent des Kaufpreises, so ist der Mangel geringfügig und damit unerheblich.
Ist der Mangel nicht behebbar, kommt es für die Frage der Erheblichkeit im Wesentlichen auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung an.
Die Gerichte gehen größtenteils davon aus, dass der Mangel behebbar ist. Zu lesen ist von einem Aufwand von ca. einer Stunde und Kosten in Höhe von ca. 100 Euro. Dies dürfte in allen Fällen unter fünf Prozent des Kaufpreises eines Neuwagens liegen, sodass gemessen an der „fünf Prozent Hürde“ des Bundesgerichtshofs der Mangel unerheblich und der Rücktritt ausgeschlossen ist (so im Ergebnis LG Münster, Urteil vom 14. März 2016, Az. 11 O 341/15; LG Bochum, Urteil vom 16. März 2016, Az. I-2 O 425/15; LG Dortmund, Urteil vom 12. Mai 2016, Az. 25 O 6/16). Die fünf Prozent Marke stellt jedoch keine starre Grenze dar, sondern dient lediglich als eine „in eine Interessenabwägung und eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls eingebettete Erheblichkeitsschwelle“, durch welche „die Interessen der Kaufvertragsparteien zu einem sachgerechten Ausgleich gebracht“ werden sollen (BGH, Urteil vom 28. Mai 2014, Az. VIII ZR 94/13). Das heißt, dass auch bei Geringfügigkeit des Mangels im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung zu erörtern ist, ob die Pflichtverletzung unerheblich ist.
Im Rahmen dieser Interessenabwägung lassen sich unter anderem wieder die o.g. Argumente zur Unzumutbarkeit der Nacherfüllung aufführen. Hier sind insbesondere die momentan noch unklaren Folgen einer Mangelbeseitigung zu berücksichtigen. Niemand weiß oder kann voraus sagen, welche Auswirkungen eine Mangelbeseitigung auf die betroffenen Fahrzeuge hat. Steigender Spritverbrauch, verändertes Fahrverhalten, sinkende Haltbarkeit und ein merkantiler Minderwert könnten die Folge sein. Auch der Vertrauensverlust bezüglich der Automobilhersteller findet immer wieder Erwähnung in der Rechtsprechung (Erheblichkeit bejahend LG Krefeld, Urteil vom 14. September 2016, Az. 2 O 83/16; LG Hagen, Urteil vom 18. Oktober 2016, Az. 3 O 66/16; LG München I, Urteil vom 14. April 2016, Az. 23 O 23033/15; LG Dortmund, Urteil vom 29. September 2016, Az. 25 O 49/16).
V. Fazit
Der Dieselskandal weitet sich aus und wird Politik, Justiz, Wirtschaft und viele Autofahrer wohl noch lange in Atem halten. Die Problematiken des Dieselskandals lassen sich mühelos in Klausuren wie auch in mündliche Prüfungen einbauen, sodass diesbezüglich eine Wiederholung und Vertiefung der ohnehin examensrelevanten Themen Rücktritt, Anfechtung und Wissenszurechnung empfohlen wird.

14.08.2017/1 Kommentar/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2017-08-14 10:25:532017-08-14 10:25:53Der Dieselskandal in der Klausur: Möglichkeiten des Rücktritts vom Kaufvertrag
Dr. David Saive

BGH: Vorführeffekt im Kaufrecht

Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Jeder von uns kennt ihn, den sog. Vorführeffekt. Den ganzen Tag wird man von einem technischen Defekt des neuen Gerätes geplagt, der natürlich genau dann nicht auftreten will, wenn man ihn beim Verkäufer reklamiert.
Wie in solchen Fällen zu verfahren ist, hat der VIII. Zivilsenat des BGH heute in seinem Urteil vom 26.10.2016 entschieden (Az. VIII ZR 240/15).
 
I. Der Sachverhalt
Der Kläger kaufte von der Beklagten einen gebrauchten PKW zum Preis von 12.300 €. Kurz nach der Übergabe bemängelte der Kläger, dass das Kupplungspedal nach Betätigung nicht mehr in seine ursprüngliche Position zurückkehrte, sondern am Fahrzeugboden hängenblieb.
Daraufhin vereinbarte er mit der Beklagten eine Probefahrt, bei der das schadhafte Pedal vorgeführt werden sollte. Allerdings zeigte sich auch nach mehrmaliger Betätigung der Defekt nicht erneut, woraufhin die Beklagte die umgehende Reparatur des Pedals verweigerte. Sie würde vielmehr erst dann tätig werden, wenn sich der Defekt ein weiteres Mal zeigen würde.
Nachdem der Kläger nach erneutem „Hängenbleiben“ des Pedals einige Tage später die Beklagte zur Reparatur aufforderte, verweigerte die Beklagte dies weiterhin. Daraufhin trat der Kläger vom Kaufvertrag zurück und verlangte Schadensersatz.
Vor Gericht bekam der Kläger auch in zweiter Instanz Recht, woraufhin die Beklagte Revision einlegte.
 
II. Das Urteil
Rufen wir uns an dieser Stelle noch einmal die Voraussetzungen eines wirksamen Rücktritts i.S.d. §§ 437 Nr. 2 1 Alt., 323 BGB in Erinnerung:
 

  1. Wirksamer Kaufvertrag
  2. Mangel i.S.d. § 434 BGB
  3. Erfolgloser Fristablauf oder Entbehrlichkeit der Fristsetzung
  4. Kein Ausschluss

 
Ein wirksamer Kaufvertrag lag zwischen den Beteiligten vor. Auch stellt der Defekt am Kupplungspedal einen Mangel i.S.d. § 434 BGB dar:

Bei dem durch Sachverständigengutachten bestätigten und bereits bei Gefahrübergang vorhandenen sporadischen Hängenbleiben des Kupplungspedals handelte es sich nicht um einen bloßen „Komfortmangel“, sondern um einen sicherheitsrelevanten Mangel. Denn eine solche Fehlfunktion kann, selbst wenn sie nur das Kupplungspedal selbst betrifft, unter anderem wegen des beim Fahrer hervorgerufenen Aufmerksamkeitsverlusts die Unfallgefahr signifikant erhöhen.

 
Fraglich war jedoch, ob der Kläger der Beklagten erfolglos eine Nacherfüllungsfrist i.S.d. § 323 I BGB setzen musste, oder ob diese gem. § 440 BGB entbehrlich war. Hierzu hat der VIII. Senat folgendes entschieden:

Der Kläger konnte ohne Fristsetzung vom Kaufvertrag zurücktreten, da es ihm nicht gem. § 440 S.1 BGB zumutbar war, ein weiteres Auftreten des Defekts abzuwarten.
Mit ihrer Erklärung anlässlich der Vorführung des Fahrzeugs, es bestünde kein Grund für die Annahme einer Mangelhaftigkeit und damit ein Tätigwerden, solange der behauptete Mangel nicht (erneut) auftrete und der Kläger damit nochmals vorstellig werde, ist die Beklagte dem Nacherfüllungsverlangen nicht gerecht geworden.
Denn eine verantwortungsvolle Benutzbarkeit des Fahrzeugs war ohne Abklärung des Mangels weitgehend aufgehoben, da der verkehrsunsichere Zustand fortbestand und es dem Kläger – der das Fahrzeug insofern auch tatsächlich noch im Juli 2013 stilllegt.

 
Im Übrigen ist das Rücktrittsrecht auch nicht ausgeschlossen:

Ein Rücktritt war im vorliegenden Fall auch nicht wegen Unerheblichkeit des Mangels (§ 323 Abs. 5 Satz 2 BGB) ausgeschlossen, auch wenn dieser letzten Endes (nachdem der Kläger den Rücktritt bereits erklärt hatte) mit geringen Kosten (433,49 €) beseitigt werden konnte. Denn solange die Ursache eines aufgetretenen Mangelsymptoms unklar ist, kann die Erheblichkeit des Mangels regelmäßig nur an der hiervon ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung gemessen werden, die vorliegend aufgrund der Gefahren für Verkehrssicherheit des Fahrzeugs jedenfalls als erheblich anzusehen war.

 
III. Ausblick
In kürzester Zeit hat sich der BGH erneut mit grundlegenden Fragen der Mängelgewährleistung im Kaufrecht befasst (siehe unser Beitrag hier). Es lohnt sich also, hier nachzuarbeiten. Schließlich steigt die Prüfungsrelevanz mit jedem Urteil weiter an.

26.10.2016/0 Kommentare/von Dr. David Saive
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. David Saive https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. David Saive2016-10-26 16:16:062016-10-26 16:16:06BGH: Vorführeffekt im Kaufrecht
Dr. Melanie Jänsch

Examensrelevante Probleme zum VW-Abgasskandal

Examensvorbereitung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Tagesgeschehen, Zivilrecht

Ein halbes Jahr ist es her – am 22.9.2015 hatte der VW-Konzern bekanntgegeben, dass sich die Software zur Manipulation der Abgaswerte in weltweit 11 Millionen Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 189 befinde. Diese ermögliche, dass iRv Testverfahren ein weitaus geringerer Abgasausstoß verzeichnet wird als unter tatsächlichen Fahrbedingungen. Für Käufer eines Pkw mit manipuliertem Abgassystem stellte sich schnell die Frage nach Gewährleistungsrechten gegenüber dem Verkäufer (dem Autohaus). Besteht ein Anspruch auf Nacherfüllung, Minderung oder Schadensersatz? Ist ggf. sogar ein Rücktritt vom Kaufvertrag möglich? Diese Fragen sind auch sehr gut für eine mündliche Prüfung oder für das Examen selbst geeignet.
Mittlerweile gibt es erste Rechtsprechung:

  • Das LG Münster hat mit Urteil v. 14.3.2016 entschieden, „dass der Käufer eines von der manipulierten Abgassoftware betroffenen VW keinen Anspruch auf die Rückabwicklung des Kaufvertrages hat, sondern von dem Autohändler lediglich die Nachbesserung des Abgassystems verlangen kann.“ (Pressemitteilung)
  • Auch das LG Bochum hat mit seinem Urteil v. 16.3.2016 (Az. I-2 O 425/15) ein Rücktrittsrecht eines betroffenen Kunden verneint. Ferner stellte es fest, dass das beklagte Autohaus, den Verkäufer, wegen des Mangels kein Verschulden treffe, da ihm das Verhalten des Herstellers nicht zugerechnet werden könne (s. auch hier).

Die Entscheidungen sollen in diesem Beitrag zum Anlass genommen werden, noch einmal die allgemeinen Grundsätze der hier in Betracht kommenden Gewährleistungsrechte – angewandt auf den konkreten Fall – darzustellen. Die aktuelle Thematik der Mangelhaftigkeit der Abgassysteme lässt sich hervorragend in Fallkonstellationen integrieren, in denen Gewährleistungsrechte, deren Prüfung für jeden Examenskandidaten sowieso zum Standardrepertoire gehören sollte, abgeprüft werden.

A. Sachverhalte
(leicht abgewandelt)

In beiden Fällen hat der Kläger, Käufer eines VW Tiguan, in dem der Motortyp EA 189 verbaut ist, gegen sein Autohaus geklagt. Nach den Feststellungen des Gerichts steht der Motor des betroffenen VW in Verbindung mit einer manipulierten Abgassoftware, welche Stickoxidwerte im Prüfstandlauf in gesetzlich unzulässiger Weise optimiere. Nur aufgrund der manipulierten Software, die erkenne, ob das Fahrzeug einem Prüfstandtest unterzogen werde oder sich auf der Straße befinde, halte der genannte Motor die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte ein. Der Kläger will nun Gewährleistungsrechte geltend machen.


B. Lösung


I. Anspruch auf Nacherfüllung, §§ 437 Nr. 1, 439 BGB

Der Käufer könnte einen Anspruch auf Nacherfüllung geltend machen, §§ 437 Nr. 1, 439 BGB. Hierbei handelt es sich um eine Modifikation des ursprünglichen Anspruchs auf Lieferung einer mangelfreien Sache, § 433 I 2 BGB. Grds. kann der Käufer gem. § 439 I BGB wählen, ob er die Lieferung einer neuen, mangelfreien Sache (Nachlieferung) oder die Beseitigung des Mangels (Nachbesserung) verlangt. Der Verkäufer kann allerdings die gewählte Art der Nacherfüllung gem. § 439 III BGB verweigern, wenn sie mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden ist. Angesichts des hohen Preises eines Neuwagens kommt vorliegend demnach nur die Nachbesserung in Betracht.

1. Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrages

Die Parteien haben einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen.

2. Vorliegen eines Sachmangels
(§ 434 BGB) bei Gefahrübergang (§ 446 BGB)
Zentrale Voraussetzung der kaufrechtlichen Gewährleistung ist das Vorliegen eines Sach- oder Rechtsmangels bei Gefahrübergang. Im vorliegenden Fall kommt ein Sachmangel in Betracht. Ein solcher liegt gem. § 434 I BGB vor, wenn der Kaufgegenstand bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) nicht die vereinbarte Beschaffenheit hat oder sich nicht für die vertraglich vorausgesetzte oder übliche Verwendung eignet. Zugrunde zu legen ist der subjektive Fehlerbegriff, nach dem ein Mangel jede für den Käufer nachteilige Abweichung der tatsächlich geschuldeten Beschaffenheit (Ist-Beschaffenheit) von der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit (Soll-Beschaffenheit) ist (BGH v. 30.7.2015 – VII ZR 70/14, MDR 2015, 1359). Nach hM beschränkt sich der Begriff der Beschaffenheit nicht nur auf Eigenschaften, die der Sache physisch anhaften; vielmehr werden auch außerhalb liegende Umstände, insb. Beziehungen der Sache zu ihrer Umwelt, erfasst (vgl. Beck-OK/Faust, § 434 BGB Rn. 22; MüKo/Westermann, § 434 BGB Rn. 9 f.). Die etwa in einem Prospekt angegebenen Emissionswerte werden im vorliegenden Fall nur durch die manipulierte Software in Testverfahren eingehalten. Im regulären Fahrbetrieb weichen sie allerdings erheblich von den Angaben des Herstellers ab. Dass das Fahrzeug also tatsächlich einen viel höheren Schadstoffausstoß hat, als dies im Kaufvertrag, in Prospekten oder Werbung angegeben ist, stellt eine Abweichung der Ist-Beschaffenheit von der Soll-Beschaffenheit dar, die darauf zurückzuführen ist, dass eine manipulierte Software eingebaut wurde. Ob die Emissionswerte als Beschaffenheit konkret zwischen den Parteien vereinbart wurden (§ 434 I 1 BGB), ist im jeweiligen Einzelfall zu klären. In den heutigen Zeiten, in denen ökologische Eigenschaften des Fahrzeugs immer weiter in den Vordergrund rücken, trägt der angegebene Emissionswert sicherlich in vielen Fällen zum Kaufentschluss bei – womit den Kunden umso wichtiger wäre, ob dieser mit dem tatsächlichen Schadstoffausstoß übereinstimmt. Vor dem Hintergrund, dass Einzelheiten des Sachverhalts noch nicht klar sind, kann davon ausgegangen werden, dass die Sache jedenfalls durch den von den angegebenen Werten abweichenden Schadstoffausstoß, der seinerseits auf dem Vorhandensein eines manipulierten Abgassystems beruht, gem. § 434 I Nr. 2 BGB nicht die Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten kann. Das LG Münster argumentiert,

„[…] der Käufer eines Neufahrzeuges dürfe davon ausgehen, dass dessen Motor die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nicht nur aufgrund der manipulierten Software im Prüfstandlauf einhalte.“ (s. Pressemitteilung).

Ein Sachmangel, welcher bei Gefahrübergang vorlag, ist also gegeben.

3. Ergebnis
: Der Käufer kann mithin gem. §§ 437 Nr. 1, 439 BGB Nachbesserung verlangen. In der Praxis soll hierfür ein Software-Update bzw. der Einbau eines Zusatzteils genügen, welches je nach genauem Motortyp zwischen einer halben und einer Stunde dauert, und etwa 100 € kostet (s. hier). Hierbei soll ein Verfahren angewendet werden, das wohl weder Motor- und Fahrleistung beeinträchtigt noch den Verbrauch erhöht, sodass der Mangel damit vollständig beseitigt werden kann.
Hinweis: Die Bearbeitung geht hier aufgrund entsprechender Medienberichte davon aus, dass durch die Nachbesserung der erhöhte Schadstoffausstoß vollständig beseitigt wird.

II. Rücktrittsrecht, §§ 437 Nr. 2, 440, 323 BGB

Fraglich ist indes, ob dem Käufer auch ein Rücktrittsrecht gem. §§ 437 Nr. 2, 323 I BGB zusteht. Ist dies der Fall, könnte er gegen Rückgabe des Wagens Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich Wertersatz für die gefahrenen Kilometer verlangen, §§ 346 I, 437 Nr. 2, 440, 323 I BGB. § 437 Nr. 2, 1. Alt. BGB verweist bei Vorliegen eines Sachmangels auf die den Rücktritt von gegenseitigen Verträgen betreffende Vorschrift des § 323 BGB.

1. Kaufvertrag als gegenseitiger Vertrag, § 323 I BGB

Der von den Parteien geschlossene Kaufvertrag über den Pkw ist ein gegenseitiger Vertrag, aus dem dem Käufer gegen Entrichtung des Kaufpreises ein Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Wagens frei von Sach- und Rechtsmängeln zusteht, § 433 BGB.

2. Nicht vertragsgemäße Leistung, § 323 I BGB = Sachmangel iSd § 434 BGB

Die Leistung einer mangelhaften Kaufsache iSd § 434 BGB stellt eine nicht vertragsgemäße Leistung (§ 323 I, 2. Alt. BGB) dar (s.o.).

3. Notwendigkeit der Fristsetzung
, § 323 I BGB
Zunächst müsste der Käufer dem Verkäufer grundsätzlich eine angemessene Frist einräumen, den Mangel zu beseitigen. Die Angemessenheit der Frist muss so bemessen sein, dass der Verkäufer die Nacherfüllung bewirken kann (MüKo/Ernst, § 323 BGB Rn. 72 f.). Da die Nachbesserung in höchstens einer Stunde durchgeführt werden kann und auch sonst nicht die Notwendigkeit komplizierter Verfahren ersichtlich ist, kann davon ausgegangen werden, dass eine Frist von wenigen Wochen wohl angemessen wäre. U.U. kann die Fristsetzung auch nach § 323 II BGB oder § 440 BGB entbehrlich sein; dies muss dann im jeweiligen Einzelfall geprüft werden.

4. Keine unerhebliche Pflichtverletzung
, § 323 V 2 BGB
Der Rücktritt könnte allerdings wegen Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gem. § 323 V 2 BGB ausgeschlossen sein. Da die Pflichtverletzung in der mangelhaften Leistung besteht, ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen ein unerheblicher Mangel vorliegt. Nach der Rechtsprechung des BGH erfordere die Beurteilung des Kriteriums der Erheblichkeit

„eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls. Bei einem behebbaren Mangel ist im Rahmen dieser Interessenabwägung von einer Geringfügigkeit des Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB jedenfalls in der Regel nicht mehr auszugehen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt.“ (BGH v. 28.5.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229)

Vorliegend ist zwar ein Mangel gegeben; die Fahrtauglichkeit des Pkw wird hierbei aber in keiner Weise beeinträchtigt. Zudem kann der Mangel wohl durch das Software-Update unter geringem finanziellem Aufwand von etwa 100 € behoben werden, was jedenfalls unter einem Prozent des Kaufpreises liegt (s.o.). Man könnte zwar argumentieren, der Skandal erschwere dem Kunden die Möglichkeit, den Wagen anderweitig zu verkaufen. Unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der Bagatellklausel des § 323 V 2 BGB, dass geringfügige Pflichtverletzungen nicht den Rücktritt als schärfsten Eingriff in das Vertragsverhältnis rechtfertigen, erschiene ein Rücktrittsrecht in dem Fall aber wohl unverhältnismäßig.
So auch die Tendenz der Rechtsprechung – das LG Bochum sowie das LG Münster führen an, eine Rückabwicklung des Kaufvertrags könne der Käufer vor diesem Hintergrund nicht verlangen.
Anders könnte sich der Fall allerdings darstellen, wenn – was vorliegend noch unklar ist – ein bestimmter Emissionswert als Beschaffenheit explizit zwischen den Parteien vereinbart wurde. Eine Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 I 1 BGB indiziert im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung die Erheblichkeit der Pflichtverletzung (vgl. MüKo/Ernst, § 323 BGB Rn. 251; BGH v. 28.5.2014 – VIII ZR 94/13, NJW 2014, 3229; v. 6.2.2013 – VIII ZR 374/11, NJW 2013, 1365). Mit einer guten Argumentation wäre hier also sicherlich auch ein anderes Ergebnis vertretbar.

III. Minderung, §§ 437 Nr. 2, 441 BGB

Möglicherweise könnte der Käufer auch den Kaufpreis gem. §§ 437 Nr. 2, 441 BGB mindern. Dafür müssen die Voraussetzungen des Rücktritts vorliegen. Jedoch ist der Ausschlussgrund des § 323 V 2 BGB gem. § 441 I BGB auf die Minderung nicht anwendbar. Da der Rücktritt hier an der Bagatellklausel gescheitert ist, kommt eine Minderung (ggf. nach erfolglosem Ablauf einer Nacherfüllungsfrist) also grds. in Betracht.
Als Rechtsfolge wird der Kaufpreis hierbei in dem Verhältnis herabgesetzt, in welchem zur Zeit des Verkaufs der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand gestanden hätte, § 441 III BGB. Vorliegend wurde der Kaufpreis bereits entrichtet, weswegen der Käufer gem. § 441 IV BGB Rückzahlung des Mehrbetrags verlangen könnte. Allerdings ist auch hier die Nacherfüllung nach §§ 437 Nr. 1, 439 I BGB vorrangig, da durch das Software-Update der Mangel behoben werden kann. Zudem ist nicht ganz klar, in welchem Maß der Wert des PKW gemindert ist.

IV. Schadensersatz, §§ 437 Nr. 3 BGB iVm 280 ff. BGB

Weiterhin ist fraglich, ob der Käufer auch Schadensersatz gem. §§ 437 Nr. 3 iVm 280 ff. BGB verlangen kann.

1. Kaufvertrag als Schuldverhältnis

Das Schuldverhältnis besteht in dem von den Parteien geschlossenen Kaufvertrag.

2. Pflichtverletzung

Wird – wie vorliegend – das Bestehen eines Sachmangels bejaht, steht fest, dass der Verkäufer seine Pflicht aus § 433 I 2 BGB verletzt hat.

3. Vertretenmüssen, § 280 I 2 BGB iVm §§ 276, 278 BGB

Einzig problematisch erscheint hierbei die Frage, ob der Verkäufer die Pflichtverletzung zu vertreten hat, § 280 I 2 BGB. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den §§ 276, 278 BGB. Nach § 276 BGB hat er grds. Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Das manipulierte Abgassystem war für den Verkäufer ebenso wenig erkennbar wie für den Käufer, mithin scheidet eigenes Vertretenmüssen aus. Möglicherweise ist dem Verkäufer allerdings das Verhalten des Herstellers, die Manipulation des Systems, hier des VW-Konzerns, zuzurechnen, § 278 BGB. Das setzt voraus, dass der Hersteller als Erfüllungsgehilfe des Autohauses iSd § 278 BGB tätig geworden ist. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Hersteller einer Kaufsache jedoch nicht Erfüllungsgehilfe des Händlers, der die Sache dem Kunden verkauft (s. z. B. BGH v. 19.6.2009 – V ZR 93/08, BGHZ 181, 317). Auch das LG Bochum entschied in seinem Urteil, dass dem beklagten Autohaus, welches das Fahrzeug lediglich verkauft habe, das Verhalten des Herstellers VW nicht zugerechnet werden könne.
Mithin hat der Verkäufer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten und ein Anspruch auf Schadensersatz scheidet aus. Darüber hinaus ist offen, welcher Schaden dem Käufer entstanden sein soll. In Betracht käme hierbei die Kompensation eines geringeren Wiederverkaufswertes.

V. Verjährung gem. § 438 BGB

Grds. verjähren Mängelansprüche 2 Jahre nach Ablieferung der Sache, §§ 438 I Nr. 3, II BGB. Da viele Kunden ihr Auto bereits vor einigen Jahren gekauft haben, könnte sich der Verkäufer u. U. auf die Verjährung berufen. Angesichts dessen erscheint eine Klage gegen den VW-Konzern direkt um einiges attraktiver, da hierbei die Verjährung 3 Jahre beträgt, §§ 438 III, 195 BGB, und frühestens mit dem Ablauf des Jahres beginnt, in dem der Käufer von den mangelbegründenden Umständen erfahren hat, § 199 I BGB, also frühestens Ende 2015.

C. Fazit und Ausblick

Nach der hier vertretenen Auffassung kann der Käufer also lediglich Nachbesserung verlangen; ein Rücktrittsrecht oder Anspruch auf Schadensersatz bestehen nicht. Sofern zutreffend ist, dass durch das Software-Update der Mangel ohne Beeinträchtigung der Motor- und Fahrleistung oder der Erhöhung des Verbrauchs behoben werden kann, ist den Urteilen des LG Bochum und des LG Münster also i. E. zuzustimmen. Angesichts der Tatsache, dass Einzelheiten der Sachverhalte noch unklar sind, ist auch ein anderes Ergebnis gut vertretbar.
Im Bochumer Fall wird wohl nach Aussage des Klägeranwalts Berufung eingelegt werden. Vor allem vor dem Hintergrund, dass das OLG Hamm erst im Jahr 2015 (Urteil v. 9.6.2015 – 28 U 60/14) ein Urteil des LG Bochum abänderte und einen Rücktritt wegen eines Mangels an der Rückfahrkamera zuließ, wäre eine Befassung des Gerichts mit dem Fall sicherlich aufschlussreich.
Derzeit sind auch noch weitere Klagen gegen Autohäuser oder den VW-Konzern selbst anhängig. Abzuwarten bleibt, ob der Fall (oder ein ähnlicher) irgendwann vor dem BGH landet. So lange ist die Entwicklung der Rechtsprechung auf jeden Fall zu beobachten.
Ferner ist auch an Ansprüche gegen den Konzern VW selbst zu denken. Diese wurden hier bewusst ausgespart. Relevant sind hierbei insbesondere deliktsrechtliche Ansprüche.

23.03.2016/8 Kommentare/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2016-03-23 09:00:562016-03-23 09:00:56Examensrelevante Probleme zum VW-Abgasskandal
Dr. Maximilian Schmidt

OLG Hamm: Rechtsmangel, Wissenszurechnung, Unwirksamkeit eines Rücktritts, Vertragsstrafe

Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Zivilrecht

Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 14.01.2016 –  I-22 U 136/11 einen Sachverhalt entschieden, der 1:1 in einer schriftlichen Examensklausur abgefragt werden könnte – von der Abgrenzung eines Rechts- vom Sachmangel, über die Unwirksamkeit eines Rücktritts wegen Verjährung der zugrunde liegenden Ansprüche bis hin zur Wissenszurechnung bei Behörden. Wer die Problemkreise dieses Falls beherrscht, darf sich als gut vorbereitet bezeichnen. Empfohlen wird daher die Lektüre des gesamten Urteils.
I. Sachverhalt (beruhend auf beck-online)

Im Januar 2009 verkaufte die beklagte Stadt ihr rund 20.000 Quadratmeter großes ehemaliges Schlachthofgelände an einen privaten Investor. Teil des verkauften Grundstücks ist eine als „Schlachthofstraße“ bezeichnete Wegfläche, eine nach circa 20 bis 30 Metern mit einem Tor versehene Sackgasse. Nach dem Kaufvertrag hatte der Käufer ab dem 01.01.2010 30 Arbeitsplätze nachzuweisen und schuldete der Stadt eine Vertragsstrafe von 5.000 Euro pro nicht geschaffenem Arbeitsplatz.
Das Kaufobjekt wurde zum 01.02.2009 übergeben. Als ein Anlieger eines benachbarten Gewerbebetriebes die Schlachthofstraße weiterhin als Zuwegung zu seinem Betrieb und als Abstellfläche nutzen wollte, wurde bekannt, dass die Schlachthofstraße als öffentliche Straße gewidmet war. Als solche war sie auch in einer im Bauamt der Beklagten geführten Widmungskartei eingetragen. Die Widmung bestätigte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in einem vom Anlieger gegen die Stadt geführten verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Jahr 2014.
Bereits im Mai 2011 hatte die Käuferin gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt, weil sie den als öffentliche Straße gewidmeten Grundstücksteil nicht nach ihren Vorstellungen nutzen und bebauen könne. In seinem ebenfalls im Mai 2011 erlassenen erstinstanzlichen Urteil sah das Landgericht Hagen die Vertragsstrafe in Höhe von 130.000 Euro für 26 nicht geschaffene Arbeitsplätze als verwirkt an. Im Mai 2013 erhielt die Beklagte von einer Bürgin 75.000 Euro als Teilzahlung auf die Vertragsstrafe.

Die Klägerin begehrte nun (vereinfacht) Rückzahlung von 75.000 Euro sowie die Feststellung das keine weitere Vertragsstrafe verwirkt werden kann.
II. Lösung: Rückzahlungsanspruch
Das OLG Hamm prüft einen Rückzahlungsanspruch aus § 346 Absatz 1 BGB i.V.m §§ 437 Nr. 2, 323 BGB wegen des erklärten Rücktritts. Dieser ist jedoch vorliegend nach § 218 BGB unwirksam, da der zugrunde liegende Gewährleistungsanspruch verjährt ist. Wichtig: Rücktritt = unwirksam; Forderung = verjährt
a) Verwirkung der Vertragsstrafe, § 339 BGB: (+) durch fehlende Schaffung der Arbeitsplätze
b) Grundsätzlich bestehendes RücktrittsR: Wegen Widmung als öffentliche Straße liegt Rechtsmangel, § 435 BGB
Für das Examen ist es wichtig, an dieser Stelle eine Abgrenzung zum Sachmangel vorzunehmen:

Der Einordnung als Rechtsmangel steht nicht entgegen, dass nach ganz überwiegender, auch vom Senat geteilter Auffassung und ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Baulasten als Sachmangel eines Grundstücks bewertet werden. Eine solche öffentlich-rechtliche Baubeschränkung (vgl. § 83 BauO NW) stelle – so die Begründung – kein Recht eines Dritten im Sinne des Rechtsmangelbegriffs dar: Nach § 435 BGB ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer den verkauften Gegenstand frei von Rechten zu verschaffen, die von Dritten gegen den Käufer geltend gemacht werden können. Hierunter fallen aber grundsätzlich nur diejenigen Baubeschränkungen, die ihre Grundlage in Privatrechten Dritter haben, nicht aber auch die, welche auf öffentlichem Recht beruhen.

Grundsätzlich sind Baulasten somit Sach- und keine Rechtsmängel! Anders aber hier:

Auch wenn es sich bei der Widmung als öffentliche Straße ebenfalls um eine auf dem öffentlichen Recht beruhende Beschränkung handelt, unterliegt sie einer anderen rechtlichen Bewertung als eine Baulast: Zu berücksichtigen ist nämlich, dass dem Eigentümer in der ersten Fallkonstellation kraft der bestehenden öffentlichrechtlichen Bindung in deren Umfang das Grundstückseigentum selbst entzogen werden kann: § 11 Abs. 1 StrWG NW sieht vor, dass der Träger der Straßenbaulast „das Eigentum an den der Straße dienenden Grundstücken erwerben soll“. Für den Fall, dass kein freihändiger Erwerb eines bereits für die Straße in Anspruch genommenen Grundstücks möglich ist, sehen §§  11 Abs.  3 S. 1 StrWG NW, 2 Abs. 1 Nr. 1 EEG NW bzw. § 42 StrWG NW die Möglichkeit der Enteignung vor. Diese „Belastung“ eines Grundstücks mit einer Enteignungsmöglichkeit stellt insofern einen Rechtmangel dar, als der Verkäufer dem Käufer nur Eigentum ohne rechtlichen Bestand verschaffen konnte.

c) Nachträgliche Unwirksamkeit des Rücktritts nach §§ 218, 438 Abs. 4 BGB
Ein Rücktrittsrecht stand der Klägerin wegen des Rechtsmangels mithin zunächst zu. Allerdings ist der erklärte Rücktritt nachträglich unwirksam geworden durch die berechtigte Erhebung der Einrede der Verjährung durch die beklagte Stadt.
Zunächst ist die Verjährungsfrist zu bestimmen. Grundsätzlich gilt im Kaufrecht eine zweijährige Verjährungsfrist. Allerdings könnte hier eine längere Verjährungsfrist gelten, § 438 BGB. Zunächst klärt das OLG Hamm, ob eine Ausnahmevorschrift gegeben ist, etwa die dreizigjährige Verjährungsfrist nach § 438 Abs. 1 Nr. 1 BGB greift. Eine unmittelbare Anwendung scheitert am Wort, eine analoge Anwendung ist wegen der notwendigen Rechtsklarheit bei Verjährungsvorschriften und der fehlenden vergleichbaren Interessenlage abzulehnen.
Spannend sind die Ausführungen des OLG Hamm zur Anwendbarkeit der dreijährigen Verjährungsfrist des § 438 Abs. 3 S. 1 BGB wegen arglistigen Verschweigens des Mangels. Hier geht es um die Frage, ob eine Wissenszurechnung nach § 166 BGB stattfindet, schließlich war die Widmung der im Streit befindlichen Straße als öffentliche Straße bereits 1976 festgestellt, auf einer Karteikarte im damaligen Fachbereich 66/55 (Planen und Bauen) geführten Widmungskartei vermerkt und als gewidmete Straße in den Stadtplan aufgenommen. Zu den Voraussetzungen einer Wissenszurechnung für das OLG Hamm aus:

Der Bürger, der mit der Gemeinde einen wirtschaftlich bedeutsamen Vertrag schließe und ihr dabei im Zweifel sogar erhöhtes Vertrauen entgegenbringe, dürfe im Prinzip nicht schlechter gestellt werden, als wenn er es nur mit einer einzigen natürlichen Person zu tun hätte. In diesem Sinne sei als „Wissensvertreter“ zunächst jeder anzusehen, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen sei, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei angefallenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten; er brauche weder zum rechtsgeschäftlichen Vertreter noch zum „Wissensvertreter“ ausdrücklich bestellt zu sein. Der Geschäftsherr müsse sich seiner aber im rechtsgeschäftlichen Verkehr wie eines Vertreters bedient haben; habe der Wissensträger den Geschäftsherrn nur intern beraten, scheidet eine sinngemäße Anwendung von § 166 Absatz 1 BGB aus.

Allerdings ist eine formale Betrachtung nicht angezeigt, sondern es muss eine wertende Gesamtschau vorgenommen werden. Die Wissenszurechnung beruht demnach weniger auf der Organstellung oder vergleichbaren Position des Wissensvermittlers, sondern auf dem Gedanken des Verkehrsschutzes und der daran geknüpften Pflicht zu ordnungsgemäßer Organisation der gesellschaftsinternen Kommunikation. Allerdings besteht keine Pflicht zum Austausch zwischen den verschiedenen Ämtern – so das OLG Hamm. Andernfalls entstünde eine Besserstellung bei Kontrahierung mit einer großen Behörde als mit einer einzelnen natürlichen Person. Daher nimmt das OLG Hamm eine Einzelfallbetrachtung vor:

So dürfe das als Wissen Zuzurechnende nicht zu einer Fiktion entarten, die juristische Personen oder andere am Rechtsverkehr teilnehmende Organisationen weit über jede menschliche Fähigkeit hinaus belasteten. Vielmehr müsse für denjenigen Menschen, für den die Zurechnung gelten soll, wenigstens eine reale Möglichkeit, aber auch ein Anlass bestanden haben, sich das Wissen aus dem eigenen Gedächtnis, aus Speichern oder von anderen Menschen zu beschaffen.

Eine Wissenszurechnung ist demnach lediglich anlassbezogen. Insoweit kann man 3 Fallgruppen entwickeln: die grundsätzliche Pflicht, wichtige Informationen zu speichern, in die Pflicht, Informationen weiterzuleiten an die Stellen, die es angeht, und in die Pflicht derjenigen Stellen, die es angeht, Informationen abzufragen.
Eine Darstellung in dieser Tiefe ist im Examen eher nicht notwendig, wird aber sicherlich honoriert. Letztlich ist eine Abwägung zwischen Verkehrsschutzgesichtspunkten und der Möglichkeit der internen Organisation vorzunehmen. Im vorliegenden Fall nimmt das OLG Hamm keine Wissenszurechnung an – was man sicherlich auch anders sehen kann.
Mangels Wissenszurechnung gilt die 2-jährige Verjährungsfrist, die bereits abgelaufen war. Der von der Klägerin erklärte Rücktritt ist mithin unwirksam geworden und der Anspruch auf Rückzahlung des geltend gemachten Betragesaus § BGB § 346 Abs. 1 BGB weggefallen.

Beruft sich der Schuldner auf die Verjährung des Hauptanspruchs, wird der zunächst wirksame Rücktritt bzw. die Minderung unwirksam und das ursprüngliche Vertragsverhältnis lebt wieder auf. Ansprüche aus dem Rücktritt gemäß §§ 346 f. fallen ersatzlos weg 

III. Der Trick: Keinen Anspruch auf weitere Vertragsstrafenzahlung
Der wirklich Trick folgt in der Prüfung des nächsten Antrags. Die Klägerin wollte feststellen lassen, dass der Gemeinde kein weitergehender Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe besteht (vereinfacht/abgeändert zu didaktischen Zwecken). Nun könnte man auf den ersten Blick annehmen, dass ein solcher Anspruch besteht, schließlich ist der Rücktritt vom Vertrag wegen der Verjährung der Hauptforderung unwirksam. Allerdings gilt insoweit § 438 Abs. 4 S. 2 BGB analog:

Der Käufer kann trotz einer Unwirksamkeit des Rücktritts nach § 218 Abs. 1 die Zahlung des Kaufpreises insoweit verweigern, als er auf Grund des Rücktritts dazu berechtigt sein würde.

Gleiches muss dann vorliegend für die Vertragsstrafe gelten, die letztlich dem Primäranspruch zuzuordnen sind. Wenn also der Kläger die Kaufpreiszahlung verweigern könnte (trotz Unwirksamkeit des Rücktritts!), dann jedenfalls auch die hiermit verknüpfte Vertragsstrafe:

Die Verpflichtung zur Schaffung von Arbeitsplätzen auf dem verkauften Grundstück wurde nämlich im Gegenzug zu einer Reduzierung des Kaufpreises für die Immobilie vereinbart, ist also letztlich Teil der vertraglich geschuldeten (Gegen-)Leistung der Klägerin. (…) Die Situation ist insoweit wertungsmäßig keine andere, als wenn die Parteien bei Vertragsschluss statt der Vertragsstrafe für den Fall der unzureichenden Schaffung von Arbeitsplätzen einen aufschiebend bedingten (§ BGB § 158 Abs. BGB § 158 Absatz 1 BGB) weiteren Kaufpreisanspruch vereinbart hätten.

IV. Fazit: Ein ganz heißer Examensfall
Der Titel sagt es schon: Ein ganz heißer Examensfall wurde vom OLG Hamm entschieden. Schwerpunkte, die nachgearbeitet werden sollten, sind:

  • Vertragsstrafe
  • Baulasten als Sach-/Rechtsmangel
  • Unwirksamkeit eines Rücktritts, § 438 Abs. 4 BGB i.V.m. § 218 BGB
  • Verjährung von Mängelgewährleistungsansprüchen
  • Wissenszurechnung § 166 BGB (analog) bei Gesellschaften/Gemeinden etc.
  • § 438 Abs. 4 S. 2 BGB als Ausnahmeregelung

 
 
 
 

08.03.2016/4 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2016-03-08 14:49:372016-03-08 14:49:37OLG Hamm: Rechtsmangel, Wissenszurechnung, Unwirksamkeit eines Rücktritts, Vertragsstrafe
Redaktion

Das System der schuldrechtlichen Anspruchsgrundlagen im Kaufrecht

Rechtsgebiete, Schuldrecht, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Der Verlag De Gruyter stellt jeden Monat einen Beitrag aus der Ausbildungszeitschrift JURA – Juristische Ausbildung zwecks freier Veröffentlichung auf Juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag

“Das System der schuldrechtlichen Anspruchsgrundlagen im Kaufrecht” von Dr. Matthias Fervers

behandelt überblicksartig und anhand zahlreicher Beispielsfälle verschiedene Anspruchskonstellationen im Kaufrecht – ideal zur Vertiefung und/oder Wiederholung dieses äußerst relevanten Komplexes.

Den Beitrag findet Ihr hier.

18.01.2016/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2016-01-18 09:00:412016-01-18 09:00:41Das System der schuldrechtlichen Anspruchsgrundlagen im Kaufrecht
Dr. Maximilian Schmidt

Notiz: Fehlender Aschenbecher als erhebliche Pflichtverletzung bei Kaufvertrag über PKW

Lerntipps, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Das OLG Oldenburg entschied mit Urteil vom 10.03.2015 – 13 U 73/14, dass eine zum Rücktritt von einem PKW-Kaufvertrag berechtigende erhebliche Pflichtverletzung i.S.d. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB auch bei bloßem Fehlen eines Aschenbechers vorliegen kann.
Sinn und Zweck der Bagatellklausel des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB ist der schon in §§ 459 Abs. 1 S. 2, 536 Abs. 1 S. 2, 634 Abs. 3 aF sowie in Art 49 Abs. 1 lit. a, 64 Abs. 1 lit. a CISG enthaltene Gedanke, dass die Rechtsfolge einer Vertragsverletzung verhältnismäßig sein muss und der Rücktritt als schärfster Eingriff in das Vertragsverhältnis bei marginalen Abweichungen vom Pflichtenprogramm des Schuldners ausgeschlossen ist (BeckOK-BGB/Schmidt, § 323 Rn. 39). Zur Feststellung der Erheblichkeit der Pflichtverletzung bedarf es einer umfassenden Abwägung der beiderseitigen Interessen. Dabei ist die Bedeutung des Mangels anhand der Verkehrsanschauung und aller Umstände des Einzelfalls zu würdigen.
Grundsätzlich möchte man daher – so auch die Vorinstanz – davon ausgehen, dass ein fehlender Aschenbecher bei einem 125.000€ teuren PKW mit Blick auf die wirtschaftlichen Umstände unerheblich ist. Anders jedoch im entschiedenen Fall, da der Käufer besonders angegeben hatte, dass er ein „Raucherauto“ kaufen möchte und daher über den Aschenbecher eine Beschaffenheitsvereinbarung i.S.d. § 434 BGB getroffen wurde. Der Verstoß gegen eine solche Beschaffenheitsvereinbarung indiziert regelmäßig die Erheblichkeit (BGH NJW 2013, 1365 Rn 16; NJW-RR 2010, 1289 Rn 23 = BB 2010, 1175 m Anm Ayad/Hesse; OLG Düsseldorf NJW-RR 2009, 400, 401; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2014, 12082 Rn 30).
Für unseren 125.000€ teuren Lexus bedeutet dies, dass das Fehlen des vereinbarten Aschenbechers einen tauglichen Rücktrittsgrund darstellt. Da der Käufer bereits 44.000km mit dem PKW gefahren war, waren aber die gezogenen Nutzungen herauszugeben.

26.03.2015/0 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2015-03-26 09:00:492015-03-26 09:00:49Notiz: Fehlender Aschenbecher als erhebliche Pflichtverletzung bei Kaufvertrag über PKW
Gastautor

Jur:Next Urteil: Über den Wolken

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Wir freuen uns, heute wieder einen Beitrag aus der gemeinsamen Kooperation mit jur:next veröffentlichen zu können. Nachfolgend wird ein Beschluss des Bundesgerichtshofs besprochen, der sich in einer neuartigen und spannenden Fallkonstellationen mit dem strafrechtlichen Rücktritt beschäftigt.
 
Besprechung von BGH, Beschluss vom 09.09.2014 – 4 StR 367/14
Der Angeklagte schlug dem Piloten des Flugzeuges unvermittelt mit einem Stein mehrmals auf die linke Kopfhälfte. Als er merkte, dass die Schläge nicht zur Besinnungslosigkeit des Opfers führten, umklammerte er mit beiden Händen dessen Kopf und fuhr mit seinen Daumen in dessen Augenhöhlen hinein, um die Augen einzudrücken.[1]
Was sich liest wie der Beginn eines Action-Thrillers, stellt einen Ausschnitt des Sachverhaltes dar, mit dem sich der 4. Strafsenat des BGH auseinander setzen musste. Dabei befasste sich dieser mit einem elementaren Aspekt des allgemeinen Teils des Strafrechts; dem Rücktritt.
I. Sachverhalt
Der Angeklagte fasste den Entschluss, sich während einer Flugstunde durch einen herbeigeführten Flugzeugabsturz zu töten und dabei den Anschein eines Flugunfalls zu erwecken. Am Tattag befand sich der Angeklagte mit seinem Ausbilder im Schulungsflugzeug auf einer Flughöhe von 1.500 Metern. Er führte, ohne Wissen des Piloten, einen etwa 1.100 Gramm schweren Stein und ein 21 cm langes Küchenmesser mit sich. Mit diesen Hilfsmitteln wollte er den Ausbilder zumindest handlungsunfähig machen, um sich durch den Absturz der Maschine selbst zu töten. Der damit einhergehende Tod des Piloten war ihm gleichgültig. Es ging dem Angeklagten lediglich darum seinen Selbstmord als aufsehenerregenden Flugunfall zu inszenieren.
Trotz der oben genannten Angriffe, schaffte es der Fluglehrer den Angeklagten von sich weg zu drücken, wobei er aber die Steuerung loslassen musste. Das Flugzeug ging daraufhin in den Sturzflug, welcher durch den Angeklagten noch beschleunigt wurde, da dieser das Steuerhorn nach vorn drückte. Dieses wurde daraufhin vom Fluglehrer übernommen und schaffte es durch sein Eingreifen einen Absturz zu verhindern. Der Angeklagte saß während dieses Vorgangs schweigend neben ihm.
 II. Problemaufriss
Dieser recht drastische Fall eröffnet die Gelegenheit sich nochmals mit dem Umgang des Versuchs und des Rücktritts zu beschäftigen. Wird ersterer als gegeben festgestellt, muss letzterer zwingend angedacht werden. Sodann ist dieser schematisch sauber darzustellen. Hierbei sollte sich an den Punkten des Fehlschlages, der Beendigung oder Nichtbeendigung des Versuches und der Freiwilligkeit des Rücktritts orientiert werden.
Vorliegend hatte das Landgericht Frankfurt (Oder) erstinstanzlich den Angelkaten des versuchten Mordes (Heimtücke/niederer Beweggrund) für schuldig befunden, da es der Ansicht war der Versuch sei fehlgeschlagen und ein Rücktritt somit nicht möglich.[2]
Dabei ist von einem Fehlschlag des Versuchs auszugehen, wenn nach der Vorstellung des Täters das konkrete Handlungsprojekt nicht mehr zu Vollendung gebracht werden kann, sei es hinsichtlich des Handlungserfolges oder des Handlungsmittels.[3] Erkennt der Täter zu diesem Zeitpunkt oder hat er eine entsprechende Vorstellung dahin, dass es zur Herbeiführung des Erfolges eines erneuten Ansetzen bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zensur und einer Unterbrechung des andauernden Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag des Versuches vor, von dem ein Rücktritt denknotwendigerweise nicht mehr möglich ist.[4]
Beachtenswert ist dabei, dass im Rahmen einer mehraktigen Handlung der Fehlschlag nicht zwingend mit dem misslingen eines oder mehrerer Ansätze eintritt. Denn auch hier entscheidet die subjektive Sicht des Täters. Hält dieser nach dem letzten Akt den gewollten Taterfolg zuerst für möglich (Taterfolg wird eintreten), erkennt sodann aber, dass er sich geirrt hat (Taterfolg wird doch nicht eintreten), so wird diese Sicht die entscheidende für die Umstände des Rücktritts. Dies stellt die sogenannte Korrektur des Rücktrittshorizontes dar. [5] Hält der Täter die Ausführung der Tat immer noch, sei es auch mit anderen Mitteln, für möglich, kann der freiwillige Verzicht der weiteren Tatausführung zum straffreien Rücktritt führen, wenn die weiteren Bedingungen gemäß § 24 StGB vorliegen.
Dies hatte das Landgericht nicht ausreichend berücksichtig, da es keine Feststellungen traf, ob der Angeklagte es noch für möglich hielt den Taterfolg herbei zu führen, nachdem der Ausbilder den Flugzeugabsturz verhinderte.[6]
III. Bedeutung für die Ausbildung
Versuch und Rücktritt stellen grundlegendes Rüstzeug für die strafrechtliche Klausur dar. Zeigen sich hier größere Mängel, wird es für den jeweiligen Bearbeiter schwer in einen positiven Notenbereich vorzustoßen. Hierzu ist es unerlässlich den Prüfungsaufbau und die dazugehörigen Definitionen sicher zu beherrschen. Auch sollten die wesentlichen Problemfelder, wie z. B. die oben aufgeführte ,,Korrektur des Rücktrittshorizontes‘‘, bekannt sein.
Zudem sollte stets darauf geachtet werden, dass dieser Prüfungsabschnitt aus der Sicht des handelnden Täters zu bearbeiten ist. Das Gegenteil ist leider immer wieder in den Klausuren der Studenten zu finden und führt zu unnötigen Punktverlusten.
[1] 4 StR 367/14, Rn. 3.
[2] 4 StR 367/14, Rn. 4.
[3] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB § 24 Rn.20.
[4] NStZ 2007, 399.
[5] NStZ-RR 2003, 40.
[6] 4 StR 367/14, Rn. 8.

10.03.2015/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-03-10 09:00:362015-03-10 09:00:36Jur:Next Urteil: Über den Wolken
Dr. Jan Winzen

Notiz: BGH äußert sich zu Prozentgrenzen bei § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB

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Der achte Zivilsenat des BGH hat sich in einem Urteil vom gestrigen Tage (VIII ZR 94/13) zu der ausgesprochen examensrelevanten Frage geäußert, wann beim Autokauf ein Mangel unerheblich im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB und damit der Rücktritt ausgeschlossen ist. Die Thematik ist nicht nur in der Theorie von Bedeutung. Schließlich führt die Bejahung der Unerheblichkeit dazu, dass der Autokäufer zwar Nachbesserung (§§ 437 Nr. 1 439 BGB) verlangen oder mindern (§§ 437 Nr. 2 Alt. 2, 440 BGB), nicht aber das Auto zurückgeben kann.
Im vorliegenden Fall hatte der Käufer zum Preis von 29.953 Euro einen Neuwagen erworben. In der Folgezeit stellte sich heraus, dass die Einparkhilfe defekt war. Zu einer Nachbesserung kam es nicht, da die beklagte Verkäuferin der Ansicht war, die Einparkhilfe entspreche dem Stand der Technik. Der Kläger erklärte daraufhin den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen (§§ 346 Abs. 1, 434, 437 Nr. 2 Alt. 1, 440, 323 BGB).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war das Fahrzeug im Hinblick auf die Einparkhilfe mangelhaft im Sinne der §§ 434 ff. BGB. Den Nachbesserungsaufwand für die defekte Einparkhilfe bezifferte der Sachverständige auf 1.958,85 Euro.
Entscheidende Frage für die rechtliche Würdigung war nun, ob der Rücktritt des Klägers (als Voraussetzung des Anspruch aus § 346 Abs. 1 BGB) wegen § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ausgeschlossen war. Danach kann der Gläubiger, wenn der Schuldner die Leistung nicht vertragsgemäß bewirkt, vom Vertrag nicht zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist.
Das Merkmal der Unerheblichkeit bedarf der Auslegung. Die Rechtsprechung und überwiegende Teile des Schrifttums nehmen zur Beurteilung der Erheblichkeit eine umfassende Interessenabwägung auf Grundlage der Umstände des Einzelfalls vor (siehe etwa BGH, NJW-RR 2010, 1289, 1291 mit zahlreichen Nachweisen). Diese Interessenabwägung fällt etwa dann zu Lasten des Verkäufers aus, wenn die Beschaffenheit des Fahrzeugs gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung zwischen den Parteien verstößt (BGH, NJW-RR 2010, 1289, 1291 f: Vereinbarung der Farbe Blue Metallic und Lieferung in Schwarz).
Vertreten wird etwa auch, dass die Erheblichkeit eines Mangels in der Regel erst dann zu bejahen ist, wenn die Beseitigungskosten mindestens 10% des Kaufpreises ausmachen (Grüneberg, in: Palandt, 70. Aufl. 2011, § 323 Rn. 32; anders aber etwa Ernst, in: MüKo, 6. Auflage 2012, § 323 Rn. 243g, der in Anlehnung an § 651e BGB eine Minderung des Gesamtwerts der Leistung von ca. 20% bis 50% vorschlägt). Dieser Ansicht folgte im vorliegenden Fall auch das Berufungsgericht (das Landgericht hatte schon die Mangelhaftigkeit verneint) und verneinte wegen § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB den Rücktritt des Klägers (die Nachbesserungskosten lagen bei ca. 6.5%).
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision hatte Erfolg: Der BGH hat den Rechtsstreit nunmehr an das Berufungsgericht zurückverwiesen. In der Pressemitteilung heißt es auszugsweise:

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass bei einem behebbaren Sachmangel die Erheblichkeitsschwelle des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB im Rahmen der auf der Grundlage der Einzelfallumstände vorzunehmenden Interessenabwägung in der Regel bereits dann erreicht ist, wenn der Mängelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises überschreitet. Von einem geringfügigen Mangel, der zwar den Rücktritt, nicht aber die übrigen Gewährleistungsrechte ausschließt, kann hingegen in der Regel noch gesprochen werden, wenn der Mängelbeseitigungsaufwand die vorgenannte flexible Schwelle von fünf Prozent des Kaufpreises nicht übersteigt. Eine generelle Erhöhung der Erheblichkeitsschwelle über diesen Prozentsatz hinaus ist mit dem durch den Gesetzeswortlaut und durch die Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers, dem Sinn und Zweck des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB sowie der Systematik der Rechte des Käufers bei Sachmängeln nicht zu vereinbaren. Die Erheblichkeitsschwelle von (nur) fünf Prozent des Kaufpreises steht im Einklang mit den Vorgaben der EU-Verbrauchsgüterkaufrichtlinie.

Die Pressemitteilung ist deshalb besonders interessant, weil eine höchstrichterliche Entscheidung zu Prozentschwellen bei der Beurteilung der Unerheblichkeit im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB bislang noch nicht vorlag. Rücktrittsklausuren gehören darüber hinaus zum Examensstandard und grade § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB lässt sich eigentlich immer leicht einbauen. Nach Veröffentlichung der Entscheidungsgründe empfiehlt sich überdies ein Blick auf die methodischen Erwägungen, die den BGH zu dieser Auslegung veranlasst haben.

29.05.2014/1 Kommentar/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2014-05-29 09:00:062014-05-29 09:00:06Notiz: BGH äußert sich zu Prozentgrenzen bei § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB
Dr. Jan Winzen

OLG Hamm: zum Maßstab der Käufererwartung beim Kauf eines Porsche Boxster

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Das OLG Hamm (28 U 162/13) hat entschieden, dass spürbares Schalten und Bremsen beim Porsche 981 Boxster S grundsätzlich keinen Mangel begründen.
Gestritten wird um die Rückabwicklung eines Neuwagenkaufs. Das streitgegenständliche Fahrzeug des Typs Porsche 981 Boxster S ist mit einem Mittelmotor – mit einer Leistung von 232 kw / 315 PS – und einem automatisch schaltenden Doppelkupplungsgetriebe (PDK) ausgestattet und zum Preis von 76.649,39 EUR erhältlich.
Schon kurze Zeit nach dem Erwerb des Fahrzeugs rügte die Klägerin gegenüber der Beklagten, dass das Fahrzeug ruckhaft beschleunige und stotternd abbremse. Nach Werkstattaufenthalt und Überprüfung des Fahrzeugs erklärte die Beklagte, keinen technischen Handlungsbedarf zu sehen, weil das Fahrzeug dem Stand der Serie entspreche und sein Fahrverhalten im unmittelbaren Vergleich mit einem modellgleichen Fahrzeug von dessen Schalt- und Bremsverhalten nicht abweiche. Daraufhin erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin u.a. Rückzahlung des Kaufpreises (abzüglich gezogener Nutzungen) Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw Porsche Boxster S.
Rechtliche Würdigung
Zentrale Frage im Rahmen des Anspruchs auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 346, 323, 437 Nr. 2, 434 BGB ist, ob der Porsche 981 Boxster S im Zeitpunkt der Übergabe einen Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB aufwies.
Mangelbegriff
Ein Mangel liegt vor, wenn die Kaufsache nicht der Sollbeschaffenheit entspricht (Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit). Für die Bestimmung der Sollbeschaffenheit sind primär die Tatbestände des § 434 Abs. 1 BGB heranzuziehen. Hier kommt es auf eine saubere Prüfung der einzelnen Varianten an.
Vereinbarten Beschaffenheit (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB)
Ist eine Beschaffenheit zwischen den Parteien vereinbart, kommt es für das Vorliegen eines Sachmangels allein auf diese an. Eine Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt aber nur vor, wenn der Inhalt des Kaufvertrags selbst von vornherein oder nachträglich die Pflicht des Verkäufers bestimmt, die verkaufte Sache in dem Zustand zu übereignen, und zu übergeben, wie ihre Beschaffenheit im Vertrag festgelegt ist (Palandt, 70. Aufl. 2011 § 434 Rn. 15). An einer solchen Vereinbarung fehlt es im vorliegenden Fall.
Die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB)
Entsprechendes gilt für § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB. Die Verwendung muss von den Parteien vorausgesetzt worden sein. Das geschieht, indem der Käufer bei Vertragsabschluss den Zweck des Kaufs der Sache dem Verkäufer zur Kenntnis bringt und der Verkäufer dem ausdrücklich oder stillschweigend zustimmt oder sich zumindest nicht dagegen verwahrt (Palandt, 70. Aufl. 2011 § 434 Rn. 22). Auch insoweit bietet der vorliegende Fall aber keine Anhaltspunkte.
Eignung zur gewöhnlichen Verwendung + Beschaffenheit, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist
und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB)

Die Eignung zur gewöhnlichen Verwendung – nämlich der Fortbewegung im Straßenverkehr – erfüllt der Porsche 981 Boxster S. Fraglich ist allein, ob das Fahrzeug die Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann:

Ein solcher Mangel ist zunächst dann begründet, wenn das betreffende Fahrzeug vom technischen Stand der Serie negativ abweicht, was durch einen Vergleich mit typ- und modellgleichen Fahrzeugen desselben Herstellers festzustellen ist (vgl. Reinking/Eggert, Autokauf, 12. Aufl. 2014, Rn 443).

Im Übrigen kann sich ein Mangel daraus ergeben, dass das betreffende Fahrzeug von dem jeweiligen Stand der Technik negativ abweicht; dies bedingt grundsätzlich einen herstellerübergreifenden Vergleich (Reinking/Eggert a.a.O. Rn 445ff. m.w.N., s. auch Senatsurt. v. 15.05.2008, 28 U 145/07, NJW -RR 2009, 485). Maßstab ist dabei das Niveau, das nach Typ, Alter und Laufleistung vergleichbarer Fahrzeuge anderer Hersteller erreicht wird und das der Markterwartung entspricht (OLG Köln OLG Köln, Urt. v. 27.04.2010, 15 U 185/09, NJW-RR 2011, 61; OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.01.2008, 17 U 2/07, NJW-RR 2008, 1230, OLG Stuttgart, Urt. v. 15.08.2006, 10 U 84/06, NJW-RR 2006, 1720).

Eine Abweichung vom technischen Stand der Serie liegt nach Ansicht des Gerichts und auf Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme im Hinblick auf den Porsche 981 Boxster S nicht vor. Das Gericht schließt sich insoweit den Ausführungen des Sachverständigen an und führt u.a. aus:

Soweit klägerseits ein ruckhaftes Abbremsen des Fahrzeugs moniert worden ist, beruht diese Erscheinung darauf, dass das automatische Getriebe des Sportwagens beim Bremsen zurückschaltet und zwischen den Gangstufen selbsttätig Zwischengas gibt. Diese Schaltvorgänge sind, so der Sachverständige, für den Fahrer spürbar, führten aber nicht – wie klägerseits geschildert – zu ungewollten Körperbewegungen und ließen sich auch nicht eindeutig als unangenehmes Fahrverhalten einordnen. Eine negative Abweichung vom technischen Stand der Serie ist deswegen nicht auszumachen. Zum einen ergab die vom Sachverständigen durchgeführte Fehlerspeicherauslese keinen Hinweis auf eine Funktionsstörung. Zum anderen zeigte das zum Vergleich zur Probe gefahrene modellgleiche Neufahrzeug ein ähnliches Bremsverhalten. (…) Der Sachverständige hat erläutert, dass das wegen der automatischen Zwischengasgabe spürbare Zurückschalten bei Bremsvorgängen kein technisches Defizit ist, sondern gewollt und dem von der Fahrzeugherstellerin Porsche propagierten dynamisch-sportlichen Anspruch an ihre Sportwagen geschuldet sei. Diese Lösung ermöglicht es, den Wagen nach dem Abbremsen sofort und unmittelbar wieder zu beschleunigen.

Auch eine Abweichung vom Stand der Technik auf Grundlage eines herstellerübergreifenden Vergleichs liegt nicht vor:

Eine Abweichung vom Stand der Technik lässt sich danach auch nicht ausmachen. Dass das zu Vergleichszwecken gefahrene Fahrzeug der Marke Mercedes beim Abbremsen nicht gleichermaßen spürbar zurückschaltete, steht dem nicht entgegen. Wie der Sachverständige plausibel dargelegt hat, war jenes Fahrzeug zwar von Art (Sportwagen), (Getriebe-)Ausstattung – mit einem Doppelkupplungsgetriebe – und Preisklasse durchaus mit dem Porsche Boxster S vergleichbar; allerdings ist zu beachten, dass die verschiedenen Sportwagenhersteller das Schaltprogramm ihrer Fahrzeuge an unterschiedlichen Konzepten ausrichten. Während für Porsche ein leistungsorientiertes Schaltprogramm charakteristisch ist, ist es bei Mercedes eher komfortorientiert. Vor diesem Hintergrund leuchtet es ein, dass die feststellbaren Unterschiede im Schaltverhalten nicht darauf zurückzuführen sind, dass eines der Fahrzeuge hinter dem Stand der Technik zurückbleibt.
Soweit im Prozess ein Vergleich des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einem Audi R 8 oder einem Ferrari zur Sprache gekommen ist, weil diese – wie der Porsche Boxster S und anders als der Mercedes SLK – auch mit einem Mittelmotor ausgestattet sind, hat der Sachverständige ausgeführt, dass diese Fahrzeuge einer anderen Preisklasse zuzuordnen sind und deshalb nicht zum Maßstab gemacht werden können. Im Übrigen habe die Lage des Motors im Fahrzeug nichts mit den in Rede stehenden Besonderheiten der Getriebesteuerung zu tun. Auch die weiteren von der Klägerin gerügten Phänomene des Schaltverhaltens des erworbenen Fahrzeugs hat der Sachverständige als technisch nicht zu beanstandende, typische Besonderheiten eines Porsche Boxster S gewertet. (…) Auch das beanstandete Zurückschalten bei moderatem Gasgeben ist nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht zu beanstanden, sondern gehört zu der gewollten, für einen Porsche dieser Art typischen Schaltcharakteristik, die eine unmittelbare Beschleunigung ermöglichen soll.

§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 BGB
Schließlich ergibt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 BGB kein Anspruch des Klägers.

Sie macht selbst nicht geltend, dass die Beklagte im Rahmen der Verkaufsverhandlungen auf die Besonderheiten des Schalt- und Bremsverhaltens des fraglichen Fahrzeugs hätte hinweisen müssen. Das käme allerdings in Betracht, wenn das Fahrzeug in den Prospekten oder auf andere Weise mit unzutreffender Darstellung des Fahrverhaltens beworben worden wäre. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr lässt sich dem von den Beklagten zur Akte gereichten Prospektmaterial entnehmen, dass dort die „straffen und unmittelbaren“ Schaltvorgänge, die Auswirkungen der Zwischengasfunktion sowie der Segelmodus beschrieben werden. Ergänzender Hinweise von Verkäuferseite bedurfte es auch deshalb nicht, weil sich das klägerseits als unangenehm empfundene Schaltverhalten nicht eindeutig als Negativeigenschaft des Fahrzeugs einordnen lässt. Wie der Sachverständige C ausgeführt hat, wird eine solche Fahrweise von Personen, die sich für den Erwerb eines Sportwagens interessieren, unterschiedlich wahrgenommen. Dass der durchschnittliche Kundenkreis hierin einen Nachteil sehe, sei nicht festzustellen. Auch das steht im Einklang mit den Ausführungen des erstinstanzlichen Sachverständigen Q2. In einer solchen Konstellation ist es Sache des einzelnen, sich vor dem Kauf zu informieren, ob das ins Auge gefasste Fahrzeugmodell den eigenen subjektiven Vorstellungen entspricht.

Fazit
Ein von den Fakten her einfach gelagerter Fall, der sich als Aufhänger für eine Examensklausur – wie eigentlich fast jeder Rücktrittsfall – anbietet, weil er schuld- und kaufrechtlichen Standardthemen (Rücktritt vom Kaufvertrag, Mangelbegriff) behandelt und leicht mit weiteren Fragen angereichert werden kann.
Der eigentliche Kern der Entscheidung sind die Ausführungen zu § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB. Was bei Sachen der gleichen Art üblich ist und der Käufer nach der Art der Sache erwarten darf, richtet sich nach der Rspr. zunächst nach dem Stand der Serie, wobei ein Vergleich mit typ- und modellgleichen Fahrzeugen desselben Herstellers zu ziehen ist. Auf einer zweiten Stufe ist der Stand der Technik zu untersuchen, wobei nach Typ, Alter und Laufleistung vergleichbare Fahrzeuge anderer Hersteller zum Vergleich heranzuziehen sind. Mehr als das darf der Käufer nicht erwarten. Eine über den Stand der Technik vergleichbarer Fahrzeuge hinausgehende tatsächliche oder durchschnittliche Käufererwartung ist deshalb unbeachtlich (BGH, Urt. v. 04.03.2009, VIII ZR 160/08, NJW 2009, 2056 „Rußpartikelfilter-Entscheidung“).

19.05.2014/0 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
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