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Charlotte Schippers

Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 4: Der Verbrauchsgüterkauf

Aktuelles, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Jurastudenten und auch Praktiker werden die Nachricht mit gemischten Gefühlen entgegengenommen haben – mit dem Beginn des Jahres 2022 stehen größere Änderungen im allseits prüfungs- und praxisrelevanten Kaufrecht an. Juraexamen.info gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen, die aufgrund der Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 im Kaufrecht der §§ 433 ff. BGB erfolgen. Hierzu veröffentlichen wir eine Reihe von Beiträgen – in diesem vierten Teil der Reihe steht das Verbrauchsgüterkaufrecht im Fokus.
I. Vorbemerkung zur Richtlinie (EU) 2019/771 (Warenkaufrichtlinie)
Die Warenkaufrichtlinie (WKRL), die die bisher geltende Verbrauchsgüterkaufrichtlinie von 1999 ablöst, trifft entsprechend ihres Zwecks, für ein hohes Verbraucherschutzniveau zu sorgen, s. Art. 1 WKRL, umfangreiche Regelungen, die den Verbrauchsgüterkauf betreffen, und das Verbrauchsgüterkaufrecht enger mit dem allgemeinen Schuldrecht verknüpfen. Auf die im deutschen Verbrauchsgüterkaufrecht umgesetzten Vorschriften der WKRL wird in der Folge an passender Stelle verwiesen. Die Regelungen zu den Verbrauchsgüterkaufverträgen über digitale Produkte (vor allem §§ 475a ff. BGB) sollen hier noch ausgeklammert werden.
II. Die Umsetzung in deutschen Recht
Die neuen Vorgaben für den Verbrauchsgüterkauf sind an vielen Stellen in das deutsche Kaufrecht eingeflossen und haben dort größere und kleinere Änderungen der Rechtslage bewirkt. Eine schrittweise, chronologische Betrachtung der neu gefassten Normen bietet sich an dieser Stelle an.
1. Verbrauchsgüterkauf, § 474 BGB
Zunächst hat § 474 BGB Änderungen erfahren: Der Anwendungsbereich der Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf wurde dabei vor allem begrifflich, auch und insbesondere an die WKRL, angepasst (BT-Drs. 19/31116, S. 14 f.). So heißt es (wie im Weiteren auch) jetzt „Ware“ in § 474 I 1 BGB n.F. statt „beweglicher Sache“, wobei auf die Legaldefinition des § 241a I BGB verwiesen wird. Die Ware ist danach eine bewegliche Sache, „die nicht auf Grund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder anderen gerichtlichen Maßnahmen verkauft“ wird – das entspricht auch den Richtlinienvorgaben, s. Art. 3 IV b) WKRL. Im Kern ändert sich hierdurch nichts.
Des Weiteren wurde der Anwendbarkeitsausschluss des § 474 II 2 BGB eingegrenzt: Keine Anwendung findet das Verbrauchsgüterkaufrecht danach auf gebrauchte Sachen, die bei öffentlich zugänglichen Versteigerungen verkauft werden – so weit so bekannt (neu ist dabei zunächst lediglich der Verweis auf § 312g II Nr. 10 BGB). Der Ausschluss der Anwendbarkeit erfordert nunmehr jedoch darüber hinaus, dass dem Verbraucher „klare und umfassende Informationen darüber, dass die Vorschriften dieses Untertitels nicht gelten, leicht verfügbar gemacht wurden.“ Zu beachten ist, dass der Begriff „umfassend“ in diesem Kontext weder im BGB noch in Art. 3 WKRL nähere Bestimmung erfahren hat – der Umfang der Informationsobliegenheit des Unternehmers ist damit unklar und wird noch zu konkretisieren sein (Wilke, VuR 2021, 283, 289). Für den Fall, dass es sich um eine Versteigerung aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Zwangsvollstreckungsmaßnahme handelt, bestehen allgemein keine kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche, § 806 ZPO, § 283 AO (BT-Drs. 19/27424, S. 28).
2. Anwendbare Vorschriften, § 475 BGB
Erhebliche Änderungen finden sich in § 475 BGB n.F., der die auf den Verbrauchsgüterkauf anwendbaren Vorschriften festlegt. Gestrichen wurden § 475 IV, V BGB a.F. hinsichtlich des relativen Verweigerungsrechts des Unternehmers bei Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung, um der geänderten europarechtlichen Rechtslage gerecht zu werden – nach Art. 13 III WKRL nämlich besteht nun ein absolutes Verweigerungsrecht (dazu BT-Drs. 19/27424, S. 29; Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 25).
Relevant ist § 475 III 2 BGB n.F., der neben §§ 445 und 447 II BGB nun auch § 442 BGB für das Verbrauchsgüterkaufrecht ausschließt. Diese Änderung hat zur Folge, dass der Verbraucher auch dann nicht seine Gewährleistungsrechte verliert, wenn er bei Vertragsschluss Kenntnis von dem Mangel hat. Vielmehr müssten für einen Ausschluss der Gewährleistungsrechte die Voraussetzungen des § 476 I 2 BGB n.F. vorliegen; das entspricht den Vorgaben des Art. 7 V WKRL (Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 24).
Auch neu ist § 475 V BGB n.F., der dem Unternehmer in Umsetzung von Art. 14 I WKRL die Rechtspflicht auferlegt, „die Nacherfüllung innerhalb einer angemessenen Frist ab dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher ihn über den Mangel unterrichtet hat, und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher durchzuführen“. Zu beachten sind dabei die Art der Ware und der Zweck, für den der Verbraucher sie benötigt. Die Gesetzesbegründung stellt klar, dass dies im Umkehrschluss nicht bedeute,

„dass die Nacherfüllung außerhalb von Verbrauchsgüterkaufverträgen nicht innerhalb angemessener Frist durchgeführt werden muss oder mit erheblichen Unannehmlichkeiten für den Gläubiger verbunden sein darf.“ (BT-Drs. 19/27424, S. 29).

Eine Nacherfüllung, welche die hier aufgeführten Pflichten des Unternehmers verletzt – also z.B. zwar erfolgreich, aber mit erheblichen Unannehmlichkeiten verknüpft ist –, hat indes nicht zur Folge, dass der Verbraucher vom Vertrag zurücktreten kann; er kann lediglich die Nacherfüllung ablehnen oder aber Schadensersatz nach § 280 I BGB verlangen, so dessen Voraussetzungen vorliegen (BT-Drs. 19/27424, S. 37).
Neu sind schließlich noch, entsprechend der Richtlinienvorgabe des Art. 16 III WKRL, die in § 475 VI BGB n.F. enthaltenen, folgenden Klarstellungen in Bezug auf Rücktritt und Schadensersatz statt der ganzen Leistung (§ 281 V BGB): Der Verbraucher ist generell bei Rücktritt oder Geltendmachung des Schadensersatzes statt der ganzen Leistung nach § 346 BGB zur Rückgabe der Ware (oder zu Wertersatz) verpflichtet. § 475 VI 1 BGB n.F. legt dem Unternehmer nun die Kostentragungspflicht hinsichtlich der Rücksendekosten auf. Auch weicht die neue Regelung des § 475 VI 2 BGB n.F. von dem Grundsatz ab, dass die sich nach dem Rücktritt ergebenden Verpflichtungen bei der Rückabwicklung des Kaufvertrags gem. §§ 346 ff. BGB nach §§ 348, 320 BGB i.d.R. Zug-um-Zug zu erfüllen sind: Ein Rückerstattung des Kaufpreises bzw. Schadensersatzleistung durch den Unternehmer muss nach der neuen Rechtslage bereits dann erfolgen, wenn der Verbraucher nachweist, dass er die Ware abgesendet hat.
3. Sonderbestimmungen für Rücktritt und Schadensersatz, § 475d BGB
Abweichend von §§ 323 II und 440 BGB legt § 475d I BGB n.F. zur Anpassung an Art. 13 IV WKRL fest, wann bei Rücktritt und Minderung, die automatisch wegen § 441 I 1 BGB miterfasst ist, die grundsätzlich nach § 323 I BGB erforderliche Fristsetzung entbehrlich ist. Die Norm erlangt darüber hinaus gem. § 475d II 1 BGB Geltung für den Schadensersatz statt der Leistung, sodass auch die Fristsetzung nach § 281 I BGB in den aufgezählten Fällen nicht notwendig ist; insoweit werden mit § 475d II 2 BGB n.F. die §§ 281 II und 440 BGB für unanwendbar erklärt. § 475d I BGB n.F. enthält fünf Fälle, in denen die Fristsetzung entbehrlich ist:
Nr. 1: Zunächst ist die Fristsetzung dann entbehrlich, wenn der Unternehmer die Nacherfüllung trotz Ablaufs einer angemessenen Frist ab dem Zeitpunkt der Unterrichtung über den Mangel durch den Verbraucher nicht vorgenommen hat. Das bedeutet, dass der Verbraucher, um die Frist auszulösen, nicht mehr ausdrücklich die Nacherfüllung verlangen muss (Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 41; krit. zum Richtlinientext Wilke, VuR 2021, 283, 290).
Nr. 2: Ein weiterer Grund für die Entbehrlichkeit der Fristsetzung ist das Auftreten eines Mangels trotz der vom Unternehmer versuchten Nacherfüllung. Es besteht damit, als Erleichterung des Rücktritts, die Möglichkeit, bereits nach dem ersten erfolglosen Nacherfüllungsversuch zurückzutreten (Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 42). Das Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung wird damit eingeschränkt; § 440 S. 2 BGB kann auf Verbrauchsgüterkäufe nicht mehr angewendet werden (BT-Drs. 19/27424, S. 37).
Zu berücksichtigen ist aber Erwägungsgrund 52 der WKRL, der deutlich macht, dass nicht in jedem Fall ein erfolgloser erster Versuch der Nacherfüllung ein sofortiges Rücktrittsrecht auslöst – Art. 13 IV b) WKRL ist im Zusammenhang mit diesem Erwägungsgrund zu lesen (Wilke, VuR 2021, 283, 290). Hiernach ist eine differenzierte Betrachtung vorzunehmen:

„In bestimmten Fällen könnte es gerechtfertigt sein, dass der Verbraucher Anspruch auf eine sofortige Preisminderung oder Beendigung des Vertrags haben sollte. Wenn der Verkäufer Schritte unternommen hat, um den vertragsgemäßen Zustand der Waren herzustellen, anschließend jedoch eine Vertragswidrigkeit offenbar wird, sollte objektiv bestimmt werden, ob der Verbraucher weitere Bemühungen des Verkäufers, den vertragsgemäßen Zustand der Waren herzustellen, akzeptieren sollte, wobei alle Umstände des Falles wie Art und Wert der Waren und Art und Bedeutung der Vertragswidrigkeit zu berücksichtigen sind. Insbesondere bei teuren oder komplexen Waren könnte es gerechtfertigt sein, dem Verkäufer einen weiteren Versuch zur Behebung der Vertragswidrigkeit zu gestatten. Außerdem sollte berücksichtigt werden, ob vom Verbraucher erwartet werden kann, dass er weiterhin darauf vertraut, dass der Verkäufer in der Lage ist, den vertragsgemäßen Zustand der Waren herzustellen, beispielsweise weil dasselbe Problem zum zweiten Mal auftritt. Gleichermaßen könnte die Vertragswidrigkeit in bestimmten Fällen so schwerwiegend sein, dass der Verbraucher nicht mehr darauf vertrauen kann, dass der Verkäufer in der Lage ist, den vertragsgemäßen Zustand der Waren herzustellen, beispielsweise wenn die Vertragswidrigkeit die Möglichkeit des Verbrauchers zur normalen Verwendung der Waren ernsthaft beeinträchtigt und von ihm nicht erwartet werden kann, darauf zu vertrauen, dass eine Nachbesserung oder Ersatzlieferung durch den Verkäufer dem Problem abhelfen würde.“ (Erwägungsgrund 52 WKRL, Hervorh. d. Verf.)

Nr. 3: Zusätzlich gilt: Bei einem schwerwiegenden Mangel, der den sofortigen Rücktritt rechtfertigt, ist ebenfalls keine Fristsetzung notwendig. Zur Bestimmung, ob ein solch schwerwiegender Mangel vorliegt, ist eine Abwägung der gegenüberstehenden Interessen von Verbraucher und Unternehmer im Einzelfall erforderlich – die genaue Konturierung dieser Abwägung und die Gewichtung der abwägungsrelevanten Belange ist von der Rechtsprechung vorzunehmen (BT-Drs. 19/27424, S. 37 f.).
Nr. 4: Verweigert der Unternehmer die ordnungsgemäße Nacherfüllung, wie sie von §§ 439 I und 475 V BGB n.F. vorgeschrieben wird, kann der Verbraucher ebenfalls ohne Fristsetzung zurücktreten. Ob die Verweigerung berechtigt oder unberechtigt ist, ist nicht entscheidend (BT-Drs. 19/27424, S. 38). Es ist in deutlichem Unterscheid zu §§ 323 II Nr. 1 und 281 II BGB nicht mehr erforderlich, dass der Unternehmer die Nacherfüllung „ernsthaft und endgültig“ verweigert (Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 44).
Nr. 5: Darüber hinaus braucht der Verbraucher dann keine Frist zu setzen, wenn es den Umständen nach offensichtlich ist, dass der Unternehmer nicht ordnungsgemäß nacherfüllen wird.
4. Sonderbestimmungen für Verjährung, § 475e BGB
Neu im BGB aufgenommen ist § 475e BGB: Die Norm regelt besondere Bestimmungen für die Verjährung.
Für den vorliegende Beitrag relevant ist zunächst § 475e III BGB n.F.: Verbraucher sollen die Möglichkeit haben, ihre Gewährleistungsrechte auch kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist geltend zu machen (Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 49). Das legt auch der Gesetzgeber dar:

„Unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass dem Unionsrecht eine möglichst optimale Wirkungskraft zu verleihen ist (effet utile), scheidet eine Gleichsetzung der Länge der Verjährungsfrist mit der Länge der in Artikel 10 Absatz 1 und 2 WKRL bestimmten Gewährleistungsfrist unionsrechtlich aus. Da die Einleitung verjährungshemmender Maßnahmen stets eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, würde eine solche Regelung den Verbraucher faktisch daran hindern, solche Mängel geltend zu machen, die erst zum Ende der Dauer der Gewährleistungsfrist offenbar wurden. Damit würde ein unverändertes Beibehalten der zweijährigen Verjährungsfrist den Vorgaben des Artikel 10 Absatz 5 Satz 2 WKRL nicht gerecht.“ (BT-Drs. 19/27424, S. 40, Hervorh. d. Verf.)

Aus diesem Grund sieht die Vorschrift eine Ablaufhemmung der Verjährung von zwei Monaten ab dem Zeitpunkt vor, zu dem sich der Mangel erstmals gezeigt hat.
Auch § 475e IV BGB n.F. kennt einen weiteren Tatbestand der Ablaufhemmung für den Fall, dass der Verbraucher die Ware „zur Nacherfüllung oder zur Erfüllung von Ansprüchen aus einer Garantie […] dem Unternehmer oder auf dessen Veranlassung einem Dritten übergeben“ hat: Die Verjährung tritt nicht vor Ablauf von zwei Monaten ab dem Zeitpunkt ein, in dem der Verbraucher die nachgebesserte oder ersetzte Ware übergeben wurde. Dies gibt dem Verbraucher die Möglichkeit, die Ware zu überprüfen (BT-Drs. 19/27424, S. 41).
5. Abweichende Vereinbarungen, § 476 BGB
Überarbeitet wurde auch § 476 BGB, der die Möglichkeit zu abweichenden Vereinbarungen zu Lasten des Verbrauchers einschränkt. Im Grunde gleich geblieben ist § 476 I 1 BGB n.F., der grundsätzlich abweichende Vereinbarungen zu Lasten des Verbrauchers verbietet. Das Umgehungsverbot wurde in § 476 IV BGB n.F. verschoben.
Wichtig ist hier insbesondere die Regelung des § 476 I 2 BGB n.F., die Art. 7 V WKRL umsetzt: Früher waren negative Beschaffenheitsvereinbarungen auch beim Verbrauchsgüterkauf generell möglich (Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 55). Diese Möglichkeit erfährt nun eine Einschränkung, da § 476 I 2 BGB n.F. eine Abweichung von den Anforderungen §§ 434 III oder 475b IV BGB n.F. nur dann gestattet, wenn der Verbraucher vor der Abgabe der Vertragserklärung eigens, also besonders, darüber informiert wurde, dass und inwieweit die objektiven Anforderungen an die Ware nicht erfüllt sind, und dies im Vertrag ausdrücklich und gesondert festgehalten wurde. Besonderes Augenmerk ist dabei auf den Begriff „gesondert“ zu werfen:

„Das Merkmal ,gesondert‘, erfordert, dass die Abweichung hervorgehoben wird, damit der Verbraucher sie bewusst in seine Kaufentscheidung einbezieht. Um eine Abweichung von der objektiven Beschaffenheit zu vereinbaren, reicht es daher nicht aus, diese neben zahlreichen anderen Vereinbarungen in einen Formularvertrag oder separate Allgemeinen Geschäftsbedingungen einzustellen. Die Vertragsunterlagen müssen vielmehr so gestaltet sein, dass dem Verbraucher bei Abgabe seiner Vertragserklärung bewusst wird, dass er eine Kaufsache erwirbt, die von den objektiven Anforderungen an die Vertragsgemäßheit abweicht oder abweichen kann.“ (BT-Drs. 19/27424, S. 42, Hervorh. d. Verf.)

Beim Kaufvertragsschluss online z.B. muss der Unternehmer eine entsprechende Schaltfläche vorsehen, die der Verbraucher betätigen können muss, die Option, ein bereits gesetztes Häkchen abzuwählen, reicht nicht (BT-Drs. 19/27424, S. 42).
Des Weiteren untersagt § 476 II 1 BGB n.F. vertragliche Verjährungsvereinbarungen, die kürzer als zwei Jahre, bei gebrauchten Waren kürzer als ein Jahr sind (dies gestattet Art. 10 VI WKRL ausdrücklich). Für jede Verkürzung der Verjährungsfrist setzt § 476 II 2 BGB n.F. voraus, dass der Verbraucher erneut eigens in Kenntnis gesetzt und die Verkürzung im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 476 II 2 BGB n.F. auf Vereinbarungen über die Verkürzung der Verjährung bei gebrauchten Waren erschließt sich nicht (so aber Lorenz, NJW 2021, 2065 Rn. 58) und ist im Wortlaut der Norm auch nicht angelegt. Die höheren Anforderungen an die Vereinbarungen dienen im Wege der Vereinheitlichung der Rechtsklarheit und Vereinfachung der Rechtsanwendung (BT-Drs. 19/27424, S. 43); das gilt für neue wie für gebrauchte Waren.
Kurz gesagt enthält § 476 BGB n.F. also folgende Regelungen: Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht ist beim Verbrauchsgüterkauf zwingend und Abweichungen zu Lasten des Verbrauchers sind unzulässig. Die Möglichkeit, eine negative Beschaffenheitsvereinbarung zu treffen, wird eingeschränkt und die Verjährungsverkürzung erhält neue Wirksamkeitserfordernisse. Unverändert bleibt übrigens § 476 III BGB, der die Anwendbarkeit der Absätze 1 und 2 unbeschadet der §§ 307 bis 309 BGB für Schadensersatzansprüche verneint.
6. Beweislastumkehr, § 477 BGB
Der höchst examensrelevante § 477 BGB wurde an Art. 11 I WKRL angepasst, sodass die Beweislastumkehr nach § 477 I 1 BGB n.F. nun ein Jahr ab Gefahrübergang beträgt – zeigt sich der Mangel innerhalb dieser Zeit, wird die Mangelhaftigkeit der Ware bereits bei Gefahrübergang vermutet. Der Kauf lebender Tiere erhält eine Sonderregelung, diesbezüglich gilt weiterhin die Frist von sechs Monaten, § 477 I 2 BGB n.F. Die Mitgliedstaaten hätten sich nach Art. 11 2 WKRL auch für eine generelle Frist für die Beweislastumkehr von zwei Jahren entscheiden können (Ausnahme von der Vollharmonisierung). Der deutsche Gesetzgeber hat sich jedoch bewusst dagegen entschieden, da der Informationsvorsprung über den Zustand der Ware des Verkäufers gegenüber dem Verbraucher, welcher der Grund für die Beweislastumkehr ist, sich verringert und der Käufer den größeren Einfluss auf die Ware und ihren Zustand hat (BT-Drs. 19/27424, S. 44). Dies ist sachgerecht.
7. Sonderbestimmungen für Garantien, § 479 BGB
Eine letzte Anpassung soll hier noch betrachtet werden: § 479 BGB n.F., der Sonderbestimmungen für Garantien enthält, wurde den Richtlinienvorgaben des Art. 17 WKRL entsprechend geändert. Die Transparenzanforderungen an die Garantie wurden erweitert und strenger gefasst, § 479 I Nr. 1-5 BGB n.F. Darüber hinaus ist dem Verbraucher die Garantieerklärung spätestens bei Lieferung der Ware zur Verfügung zu stellen, er muss ihre Mitteilung in Textform also nicht mehr selbstständig verlangen, vgl. § 479 II BGB n.F. und a.F. Darüber hinaus regelt die Norm jetzt einen Mindestinhalt der Herstellergarantie, § 479 III BGB n.F.
III. Summa
Auch für das neue Verbrauchsgüterkaufrecht gilt: Vieles erschließt sich bei gründlicher Lektüre der neuen BGB-Normen. Stellenweise schadet es dabei auch nicht, die WKRL und ihre Erwägungsgründe daneben zu legen – diese enthalten wertvolle Hinweise zur Arbeit mit den neuen Vorschriften und helfen dabei, sich Sinn und Zweck der Regelungen vor Augen zu führen. Vor einer Klausur, die sich im neuen Kaufrecht bewegt, braucht niemand Angst zu haben. Wichtig ist es, sich mit den neuen Normen vertraut zu machen und sie zu kennen. Ein kaufrechtlicher Fall, der sich dazu im Verbrauchsgüterkaufrecht abspielt, sollte sich dann bei sauberer Arbeit mit dem Gesetz und gründlicher Subsumtion gut bewältigen lassen.

01.02.2022/1 Kommentar/von Charlotte Schippers
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Charlotte Schippers https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Charlotte Schippers2022-02-01 10:12:292024-04-11 07:37:30Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 4: Der Verbrauchsgüterkauf
Alexandra Ritter

Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 3: Der Lieferantenregress

Aktuelles, Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Kaufrecht, Lerntipps, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Jurastudenten und auch Praktiker werden die Nachricht mit gemischten Gefühlen entgegengenommen haben – mit dem Beginn des Jahres 2022 stehen größere Änderung im allseits prüfungs- und praxisrelevanten Kaufrecht an. Juraexamen.info gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen, die aufgrund der Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 im Kaufrecht der §§ 433 ff. BGB erfolgen. Hierzu veröffentlichen wir eine Reihe von Beiträgen – in diesem dritten Teil der Reihe steht der Regressanspruch des Verkäufers gegen seinen Lieferanten im Fokus.
 
I.       Vorbemerkungen
Auch im Lieferantenregress des BGB hat die Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/711 Änderungen bewirkt: Die Meisten sind redaktioneller Natur, um bspw. die Änderungen von § 439 BGB aufzunehmen. Dennoch werfen sie klärungsbedürftige Rechtsfragen auf. Der Prüfungsaufbau jedoch bleibt unverändert.
Die Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/711 enthält in ihrem Art. 18 die Vorgaben für die Umsetzung des Regresses des Verkäufers auf den Lieferanten. Dort steht:

„Haftet der Verkäufer dem Verbraucher aufgrund einer Vertragswidrigkeit infolge eines Handelns oder Unterlassens einer Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette, einschließlich des Unterlassens, Aktualisierungen für Waren mit digitalen Elementen gemäß Artikel 7 Absatz 3 zur Verfügung zu stellen, ist der Verkäufer berechtigt, bei den oder dem innerhalb der Vertragskette Haftenden Rückgriff zu nehmen. Bei welcher Person der Verkäufer Rückgriff nehmen kann, sowie die diesbezüglichen Maßnahmen und Bedingungen für die Geltendmachung der Rückgriffsansprüche bestimmt das nationale Recht.“

Die unionsrechtlichen Vorgaben haben erkennbar einen geringen Umfang und gem. Art. 18 S. 2 RL (EU) 2019/711 werden einige Regelungsaspekte den Mitgliedstaaten überlassen.
Der Lieferantenregress im Kaufrecht wird weiterhin in den §§ 445a, 445b und 478 BGB geregelt.
 
II.    § 445a Abs. 1 BGB
In § 445a BGB beschränken sich die Änderungen auf den ersten Absatz; Die Absätze 2 und 3  bleiben unverändert.
 
1.      Erweiterung der Bezugnahme auf § 439 BGB
Zunächst wird die Bezugnahme von § 445a Abs. 1 BGB auf § 439 BGB erweitert, sodass auch die Rücknahmekosten des Verkäufers gem. § 439 Abs. 6 S. 2 BGB (zu dieser Änderung s. den zweiten Beitrag dieser Reihe) in den Anwendungsbereich des Regressanspruchs fallen.
 
2.      Regressmöglichkeit für Aufwendungen des Verkäufers wegen § 475b Abs. 4 BGB
§ 445a aE BGB gibt dem Verkäufer nunmehr die Möglichkeit Regress beim Lieferanten zu nehmen für Aufwendungen, die ihm im Verhältnis zum Käufer wegen eines Mangels, der auf der Verletzung einer objektiven Aktualisierungspflicht gem. § 475b Abs. 4 BGB beruht, entstehen.
Diese Ergänzung am Ende von § 445a Abs. 1 BGB kann problematisch gesehen werden: Der Regressanspruch des Verkäufers gegen den Lieferanten beruht auf dem Gedanken, dass der Grund für die Inanspruchnahme des Verkäufers durch den Käufer ein Mangel ist, der aus der Sphäre des Lieferanten stammt (Looschelders, Schuldrecht BT, 15. Aufl. 2020, § 9 Rn. 1). Dies geht auch daraus hervor, dass gem. § 445a Abs. 1 BGB der Mangel bereits beim Übergang der Gefahr vom Lieferanten auf den Letztverkäufer vorgelegen haben muss. Der Lieferant haftet also über den Regressanspruch, weil er eine Pflicht, die er bereits gegenüber dem Verkäufer hatte, verletzt hat.
Eine Aktualisierungspflicht gem. § 475b Abs. 4 BGB hat der Lieferant gegenüber dem Verkäufer jedoch nicht (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2067). In den Gesetzesmaterialien heißt es hierzu:

„Da in der Regel nicht der Verkäufer, sondern der Hersteller technisch und rechtlich in der Lage ist, die erforderlichen Aktualisierungen anzubieten, ist eine Aktualisierungsverpflichtung nur dann tatsächlich effektiv, wenn die Pflicht, Aktualisierungen bereitzustellen, durch die Lieferkette bis zum Hersteller weitergereicht wird.“ (BT-Drucks. 19/27424, S. 27)

Man geht also davon aus, dass der Verkäufer die Aktualisierung nicht anbieten kann. Dann allerdings stellt sich ein Folgeproblem: § 445a Abs. 1 BGB i.V.m. § 475b Abs. 4 BGB verpflichtet den Lieferanten nicht unmittelbar zur Vornahme der Aktualisierung, sondern zum Ersatz der Aufwendungen, die der Verkäufer im Rahmen der Nacherfüllung zu tragen hat. Solche Aufwendungen können einem Verkäufer, der die Aktualisierung nicht anbieten kann, jedoch gar nicht erst entstehen. Das vom umsetzenden Gesetzgeber angestrebte Ergebnis, eine Aktualisierungsverpflichtung herbeizuführen, kann mit § 445a Abs. 1 aE BGB nicht erreicht werden (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2068). Insbesondere bei einer längeren Lieferantenkette, müsste eine solche Pflicht über § 445a Abs. 3 BGB, also vermittelt über die gesamte Lieferkette bis zum Hersteller, hergestellt werden.
Der Lösungsvorschlag von Lorenz (NJW 2021, 2065, 2068) begegnet dem Problem mit einer teleologische Reduktion des § 445a Abs. 1 aE BGB, Der Regress des Verkäufers gegen den Lieferanten ist dann zu untersagen, „wenn das unterlassene Zurverfügungstellen von Aktualisierungen beim Verbraucher allein aus der Sphäre des Verkäufers selbst herrührt und nicht auf den Lieferanten oder einen Dritten zurückzuführen ist.“ (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2068). Diese Lösung steht in Einklang mit dem Wortlaut von Art. 18 S. 1 RL (EU) 2019/771. Denn nach Art. 18 S. 1 RL (EU) 2019/771 soll ein Regressanspruch bestehen, wenn ein voriges Glied der Vertragskette es unterlassen hat, „Aktualisierungen für Waren mit digitalen Elementen gemäß Artikel 7 Absatz 3 zur Verfügung zu stellen“, das heißt, es darf nicht allein der Verkäufer selbst für die unterlassene Aktualisierung verantwortlich sein.
 
III. § 445b BGB
§ 445b BGB regelt weiterhin Besonderheiten der Verjährung von Ansprüchen des Verkäufers gegen den Lieferanten nach § 445a BGB. § 445b Abs. 1 BGB wurde nicht geändert. In § 445b Abs. 2 BGB dagegen wurde Satz 2 aF gestrichen. Das bedeutet die Ablaufhemmung für die Ansprüche des Verkäufers gegen den Lieferanten aus gem. § 445a Abs. 1 BGB und gem. § 437 BGB ist nicht mehr auf fünf Jahre begrenzt.
Diese Änderung ist durch die Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 nicht vorgegeben. Hintergrund ist die soeben erläuterte Vorstellung des Gesetzgebers, dass über § 445a Abs. 1 aE BGB eine Verpflichtung des (Hersteller-)Lieferanten zur Aktualisierung bestehe und solche Aktualisierung über eine Dauer von mehr als fünf Jahren notwendig sein können (vgl. BT-Drucks. 19/27424, S. 28).
 
IV. § 478 BGB
Zuletzt sind die Änderungen von § 478 BGB zu betrachten. § 478 BGB modifiziert die Regelungen der §§ 445a und 445b BGB für den Fall, dass der letzte Verkauf in der Kette ein Verbrauchsgüterkauf i.S.v. § 474 Abs. 1 S. 1 BGB ist. Während § 478 Abs. 1 und Abs. 3 BGB unverändert sind, wurde in Absatz 2 ein Verweis auf die §§ 475b und 475c BGB eingefügt.
478 Abs. 2 BGB regelt die Haftungsbeschränkung des Lieferanten, bzw. deren Unwirksamkeit. Der Lieferant kann sich nicht auf eine Vereinbarung berufen, die vor Mitteilung des Mangels getroffen wurde und zum Nachteil des Unternehmers (Verkäufers) von §§ 478 Abs. 1, 433 bis 435, 437, 439 bis 443, 445a Absatz 1 und 2 sowie den §§ 445b, 475b und 475c BGB abweicht, wenn dem Rückgriffsgläubiger kein gleichwertiger Ausgleich eingeräumt wird. Neu ist die Aufnahme der §§ 475b und 475c BGB. Jedoch kommen diese Normen bei dem Regress des Unternehmers gegen den Lieferanten nicht zur Anwendung (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2068). Fraglich ist insoweit, wie zum Nachteil des Unternehmerverkäufers von den §§ 475b und 475c BGB abgewichen werden soll, wenn dem Unternehmerverkäufer die entsprechenden Rechte gar nicht zustehen. In den Gesetzesmaterialien beschränkt man sich auf den Hinweis, dass es sich um „Folgeänderungen“ handele, mit denen „der Einfügung der §§ 475b und 475c BGB-E Rechnung getragen“ werde (BT-Drucks. 2019/27424, S. 44). Die Ergänzung um §§ 475b und 475c BGB ist auch nicht für einen effektiven Verbraucherschutz notwendig, da seine Rechte aus §§ 475b und 475c BGB schon durch § 476 Abs. 1 S. 2 BGB geschützt sind.
 
V.    Zusammenfassung und Ausblick
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass es wie auch bezüglich der Nacherfüllung gem. § 439 BGB keine grundlegenden Änderungen im Lieferantenregress durch die Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (RL) 2019/771 gibt.
Problematisch ist aber die Ergänzung von § 445a Abs. 1 aE BGB um den pauschalen Verweis auf § 475b Abs. 4 BGB. Hier gilt es zu beobachten, wie Rechtsprechung und weitere Stimmen der Literatur dazu Stellung beziehen werden und welche Auswirkungen der Verweis in der Praxis haben wird.
Zudem ist der Verweis in § 478 Abs. 2 BGB auf die §§ 475b und 475c BGB kritisch zu hinterfragen. Für Studierende in der Klausursituation gilt es hier – wie immer in Konstellationen mit mehreren Beteiligten –, die einzelnen Vertrags- und Leistungsbeziehungen klar zu ordnen. Auch wenn es banal erscheinen mag, sollte eine Fallskizze mit den einzelnen Beziehungen der Beteiligten angefertigt und bei der Anfertigung der Lösung im Auge behalten werden.

18.01.2022/1 Kommentar/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-01-18 09:00:522022-01-18 09:00:52Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 3: Der Lieferantenregress
Dr. Lena Bleckmann

Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 1: Der Sachmangelbegriff des § 434 BGB

Aktuelles, Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Kaufrecht, Lerntipps, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Jurastudenten und auch Praktiker werden die Nachricht mit gemischten Gefühlen entgegengenommen haben – mit dem Beginn des Jahres 2022 stehen größere Änderung im allseits prüfungs- und praxisrelevanten Kaufrecht an. Juraexamen.info gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen, die aufgrund der Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 im Kaufrecht der §§ 433 ff. BGB erfolgen. Hierzu veröffentlichen wir eine Reihe von Beiträgen – in diesem ersten Teil der Reihe steht neben allgemeinen Informationen zur Richtlinie der neue Sachmangelbegriff im Fokus.
I. Warum eine Kaufrechtsreform?
Doch zunächst einige Hintergrundinformationen zum Grund für die doch recht umfangreichen Änderungen im BGB. Man mag sich fragen, was den deutschen Gesetzgeber dazu veranlasst hat, grundlegende Fragen das Kaufrechts neu zu regeln. Wie so oft steckt hierhinter eine Umsetzungsverpflichtung aus dem Europarecht (Art. 288 Abs. 3 AEUV).
Die Richtlinie (EU) 2019/771 hat es sich ausweislich ihres Art. 1 zum Ziel gesetzt, „zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen und gleichzeitig für ein hohes Verbraucherschutzniveau zu sorgen, indem gemeinsame Vorschriften über bestimmte Anforderungen an Kaufverträge zwischen Verkäufern und Verbrauchern festgelegt werden, insbesondere Vorschriften über die Vertragsmäßigkeit der Waren, die Abhilfen im Falle einer Vertragswidrigkeit, die Modalitäten für die Inanspruchnahme dieser Abhilfen sowie über gewerbliche Garantien.“
Die Mitgliedsstaaten wurden zur Umsetzung der Richtlinie bis zum 1. Juli 2021 verpflichtet, ab dem 1. Januar 2022 sollen die neuen Regelungen gelten (Art. 26 Richtlinie (EU) 2019/771). Der deutsche Gesetzgeber hat die Umsetzungsfrist mit dem Erlass des Gesetzes zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags v. 25. Juni 2021 (BGBl. 2021, I, S. 2133) haarscharf eingehalten. Viel Spielraum bei der Umsetzung der Richtlinie blieb ihm nicht – anders als noch die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, die im Zuge der Schuldrechtsreform 2002 umgesetzt wurde, ist die aktuelle Warenkaufrichtlinie vollharmonisierend. Dies geht aus Art. 4 der Richtlinie hervor: „Sofern in dieser Richtlinie nichts anderes bestimmt ist, dürfen die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht keine von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichenden Vorschriften aufrechterhalten oder einführen; dies gilt auch für strengere oder weniger strenge Vorschriften zur Gewährleistung eines anderen Verbraucherschutzniveaus.“ Die Mitgliedsstaaten dürfen das von der Richtlinie vorgegebene Schutzniveau mithin nicht nur nicht unter- sondern ebenso nicht überschreiten – die Vorgaben sollen im gesamten europäischen Binnenmarkt gleichermaßen gelten.
Die zentralen Begrifflichkeiten werden in Art. 2 der Richtlinie (EU) 2019/771 definiert, ihr Anwendungsbereich ist mit Kaufverträgen zwischen einem Verbraucher und einem Verkäufer (Art. 3 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2019/771) grundsätzlich weit gefasst, wobei die Einschränkungen der Abs. 3-7 zu berücksichtigen sind.
II. Anforderungen der Richtlinie (EU) 2019/771 an die Vertragsmäßigkeit von Waren
Nun zum Sachmangel. Ein Sachmangel liegt nach allgemeinem Verständnis vor, wenn die Ist-Beschaffenheit der Kaufsache von der Soll-Beschaffenheit abweicht. Ganz maßgeblich ist daher, welche Anforderungen an die Soll-Beschaffenheit der Kaufsache zu stellen sind bzw. wie diese zu bestimmen ist. Hierzu machen die Art. 5 ff. der Richtlinie (EU) 2019/771 nähere Vorgaben. Nach Art. 5 Richtlinie (EU) 2019/771 liefert der Verkäufer dem Verbraucher Waren, die – soweit anwendbar – die Voraussetzungen der Art. 6, 7 und 8 der Richtlinie erfüllen. Ausweislich der Überschrift des Artikels ist dies als Definition dessen zu verstehen, was die Vertragsgemäßheit von Waren voraussetzt. Art. 6 Richtlinie (EU) 2019/771 bezieht sich auf subjektive Anforderungen an die Vertragsgemäßheit von Waren, Art. 7 Richtlinie (EU) 2019/771 demgegenüber auf objektive Anforderungen, sowie schließlich Art. 8 Richtlinie (EU) 2019/771 auf die Vertragswidrigkeit der Waren aufgrund unsachgemäßer Montage oder Installation. Da Art. 5 Richtlinie (EU) 2019/771 die Voraussetzungen der Art. 6, 7 und 8 kumulativ als Anforderungen nennt, ist eine Ware nur dann als vertragsgemäß anzusehen, wenn die Vorgaben aller drei Artikel erfüllt sind, soweit nicht Ausnahmen greifen.
III. Die Umsetzung im deutschen Recht
So hat auch der deutsche Gesetzgeber die Anforderungen der Richtlinie verstanden. Aus diesem Grund nennt § 434 Abs. 1 BGB in der ab dem 1. Januar 2022 geltenden Fassung drei kumulative Voraussetzungen für die Freiheit der Kaufsache von Sachmängeln: „Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen dieser Vorschrift entspricht.“
Zu betonen ist auch hier wieder das Wörtchen „und“ – dass die genannten Anforderungen alternativ erfüllt sind, genügt für die Sachmangelfreiheit nicht, sie müssen vielmehr kumulativ vorliegen. Wohlgemerkt gilt dieser neue Mangelbegriff nicht nur für Verträge zwischen Verbrauchern und Unternehmern, sondern für das Kaufrecht im Allgemeinen. In den Absätzen 2, 3 und 4 des § 434 BGB n.F. präzisiert das Gesetz, wann eine Sache den subjektiven, objektiven sowie Montageanforderungen entspricht. Hierauf wird näher einzugehen sein.
Zunächst jedoch ein Vergleich mit dem (noch) geltenden Recht. Bislang geht der strukturiert arbeitende Klausurkandidat auf der Suche nach einem Sachmangel in mehreren Schritten vor: Ausgehend vom subjektiven Fehlerbegriff prüft er, ob eine Beschaffenheitsvereinbarung vorliegt. Ist das der Fall, ist allein diese ausschlaggebend. Die Anforderungen an das Vorliegen einer Beschaffenheitsvereinbarung sind jedoch nicht zu niedrig anzusetzen: Erforderlich ist mindestens eine konkludente Einigung, wobei nicht bereits die übliche Beschaffenheit als konkludent vereinbart gilt (BeckOK BGB/Faust, § 434 Rn. 41). Die übliche Beschaffenheit als objektives Kriterium ist vielmehr erst später in der Prüfung unter § 434 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB zu berücksichtigen. Vorher noch ist bei Fehlen einer Beschaffenheitsvereinbarung zu fragen, ob sich die Kaufsache gem. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Man arbeitete sich mithin vom subjektiven Fehlerbegriff, von der spezifischen Parteivereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB, über die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung erst hin zu objektiven Anhaltspunkten nach § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB. Weiterhin konnte sich die Mangelhaftigkeit aus abweichenden Werbeangaben (§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB), aus Montagefehlern (§ 434 Abs. 2 BGB) oder aber aus Aliud- oder Mankolieferungen (§ 434 Abs. 3 BGB) ergeben.
Ist all das bislang Gelernte nun hinfällig, wenn subjektive und objektive sowie Montageanforderungen kumulativ erfüllt sein müssen? Ganz so ist es wohl nicht.
1. Zu den subjektiven Anforderungen
Zum einen findet sich auch im neuen § 434 BGB viel Bekanntes wieder. So entspricht eine Sache nach § 434 Abs. 2 S. 1 BGB n.F. den subjektiven Anforderungen, wenn sie (1) die vereinbarte Beschaffenheit hat, (2) sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet und (3) mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage- und Installationsanleitungen, übergeben wird – vieles ist insoweit bereits aus dem bisherigen § 434 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 sowie Abs. 2 S. 2 BGB geläufig.
Über die vorausgesetzte Verwendung müssen sich die Parteien einigen – Art. 6 lit. b Richtlinie (EU) 2019/771 setzt insoweit die Zustimmung des Verkäufers voraus, die Vollharmonisierung verbietet hier jedenfalls im Anwendungsbereich der Richtlinie eine zugunsten des Verbrauchers günstigere Interpretation, die eine übereinstimmend unterstellte Verwendung genügen lässt (vgl. Wilke, VuR 2021, 283).
Ob die fehlende Montageanleitung bislang unter § 434 Abs. 2 S. 2 BGB fiel, war umstritten (hierfür BeckOK BGB/Faust, § 434 Rn. 102 m.W.N.; für die Anwendung des § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Palandt/Weidenkaff, § 434 Rn. 48), in der neuen Fassung der Norm ist die Zuordnung nunmehr eindeutig. Damit das Fehlen von Zubehör und Montageanleitung einen Sachmangel im subjektiven Sinne darstellen kann, ist erforderlich, dass ihr Vorhandensein vereinbart wurde – insoweit ergibt sich keine Änderung in der Rechtslage, auch nach dem bisherigen § 434 BGB hätte ein solches Fehlen vereinbarter Lieferbestandteile einen Sachmangel begründet (Lorenz, NJW 2021, 2065 (2066)).
§ 434 Abs. 2 S. 2 n.F. präzisiert weiter, dass zu der Beschaffenheit nach S. 1 Nr. 1 auch die Art, Menge, Qualität, Funktionalität, Kompatibilität, Interoperabilität und sonstige Merkmale der Sache, für die die Parteien Anforderungen vereinbart haben, gehört. Die Begriffe der Funktionalität, Kompatibilität und Interoperabilität sind in Art. 2 Nr. 8, 9 und 10 Richtlinie (EU) 2019/771 definiert.
Dass die Art der Sache Merkmal der Beschaffenheit ist, könnte ein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachmangels bei Aliud-Lieferungen sein. Andererseits regelt § 434 Abs. 5 BGB n.F. ausdrücklich, dass die Lieferung einer anderen Sache als die vertraglich geschuldete einem Sachmangel gleichsteht. Anwendungsfälle, in denen die Art der Sache nicht der Vereinbarung entspricht, zugleich aber nicht bereits ein Aliud geliefert wird, sind jedenfalls auf den ersten Blick nicht ersichtlich (ähnlich Wilke, VuR 2021, 283 (285)). Die Rechtsprechung wird hier zeigen müssen, ob sich die Regelungsbereiche des § 434 Abs. 5 n.F. und § 434 Abs. 2 S. 2 Var. 1 BGB n.F. tatsächlich vollständig decken. Sollte dem so sein, wäre § 434 Abs. 5 n.F. überflüssig – dass das Aliud als Sachmangel gilt, ist dann unerheblich, wenn die Abweichung in der Art der Sache bereits ein Sachmangel ist.
Die Aufnahme des Merkmals der Menge in § 434 Abs. 2 S. 2 Var. 2 BGB n.F. könnte bislang bestehende Fragen hinsichtlich der Zuviel-Lieferung klären – oder aber weitere aufwerfen. Während § 434 Abs. 3 BGB in der aktuellen Fassung dem Wortlaut nach nur die zu geringe Menge umfasst, ist § 434 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BGB n.F. insoweit offener formuliert. Da das Äquivalenzinteresse durch eine Zuviellieferung allerdings nicht beeinträchtigt wird, kann durchaus bezweifelt werden, ob eine solche trotz der nun möglichen Subsumtion unter den Wortlaut erfasst sein soll (Wilke, VuR 2021, 283 (285)). Gegen eine Einbeziehung auch der Zuviellieferung spricht auch die Gesetzesbegründung zu § 434 Abs. 5 BGB n.F.: Der deutsche Gesetzgeber bezieht sich hier ausdrücklich nur auf zu geringe Liefermengen (BT-Drucks. 19/27424, S. 25). Ob dies dem Verständnis des europäischen Richtliniengebers entspricht, ist damit natürlich nicht gesagt.
Die Aufzählung der Beschaffenheitsmerkmale ist nicht abschließend, wie der Zusatz „oder sonstige Merkmale“ zeigt. Die Parteien können also weitere Merkmale als Bestandteile der Beschaffenheit vereinbaren.
2. Zu den objektiven Anforderungen
Die objektiven Anforderungen an die Kaufsache stellt § 434 Abs. 3 n.F. auf. Hierzu gehört, dass die Kaufsache (1) sich für die gewöhnliche Verwendung eignet, (2) eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann unter Berücksichtigung a) der Art der Sache und b) der öffentlichen Äußerungen, die von dem
Verkäufer oder einem anderen Glied der Vertragskette oder in deren Auftrag, insbesondere in der Werbung oder auf dem Etikett, abgegeben wurden, sowie (3) der Beschaffenheit einer Probe oder eines Musters entspricht, die oder das der Verkäufer dem Käufer vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt hat, und (4) mit dem Zubehör einschließlich der Verpackung, der Montage- oder Installationsanleitung sowie anderen Anleitungen übergeben wird, deren Erhalt der Käufer erwarten kann.
Die erstgenannten Punkte sind weitgehend aus § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB a.F. bekannt. Dass die Sache einer zur Verfügung gestellten Probe oder einem Muster entsprechen muss, ist als ausdrückliche Regelung neu, inhaltlich dürfte dies indes kaum eine Erweiterung des Mangelbegriffs bedeuten. Bislang ging man insoweit von einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung aus (Wilke, VuR 2021, 283 (284)). Ebenfalls nicht neu ist, dass das Fehlen zu erwartenden Zubehörs oder zu erwartender Verpackung oder Montage- oder Installationsanleitungen oder anderen Anleitungen zu einem Mangel führt (bislang über § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB, vgl. Wilke, VuR 2021, 283 (284), zu vereinbarten Bestandteilen der Lieferung siehe bereits oben 1.).
In S. 2 werden wiederum, wie schon für die subjektiven Anforderungen, Merkmale aufgeführt, die zur Beschaffenheit – diesmal der üblichen Beschaffenheit – gehören. Überwiegend kann hier auf die Ausführungen unter 1. verwiesen werden. Zu den objektiven Merkmalen der Beschaffenheit zählt allerdings insbesondere auch die Haltbarkeit der Sache. „Haltbarkeit“ ist dabei die Fähigkeit der Sache, ihre erforderlichen Funktionen und ihre Leistung bei normaler Verwendung zu behalten, Art. 2 Nr. 13 Richtlinie (EU) 2019/771. In Erwgr. 32 der Richtlinie (EU) 2019/771 heißt es hierzu:

„Damit Waren vertragsgemäß sind, sollten sie eine Haltbarkeit haben, die für Waren derselben Art üblich ist und die der Verbraucher in Anbetracht der Art der spezifischen Waren, einschließlich der möglichen Notwendigkeit einer vernünftigen Wartung der Waren, wie etwa der regelmäßigen Inspektion oder des Austausches von Filtern in einem Auto, und unter Berücksichtigung öffentlicher Erklärungen, die von dem Verkäufer oder im Auftrag des Verkäufers oder einer anderen Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette abgegeben wurden, vernünftigerweise erwarten kann. Bei der Beurteilung sollten auch alle anderen maßgeblichen Umstände berücksichtigt werden, wie beispielsweise der Preis der Ware und die Intensität oder Häufigkeit der Verwendung seitens des Verbrauchers“

Mithin geht es insbesondere darum, welche berechtigten Erwartungen der Käufer an die Haltbarkeit einer Sache haben darf, wobei Preis sowie übliche Nutzung der Sache zu berücksichtigen sind. Hingegen begründet § 434 Abs. 3 S. 2 BGB n.F. keine Haltbarkeitsgarantie, wie die Gesetzesbegründung ausdrücklich klarstellt:

„Daraus folgt, dass der Verkäufer dafür einzustehen hat, dass die Sache zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs die Fähigkeit hat, ihre erforderlichen Funktionen und ihre Leistung bei normaler Verwendung zu behalten. § 434 Absatz 3 BGB-E begründet hingegen keine gesetzliche Haltbarkeitsgarantie. Der Verkäufer haftet nach § 434 Absatz 3 BGB-E nicht dafür, dass die Sache tatsächlich ihre erforderlichen Funktionen und ihre Leistung bei normaler Verwendung behält.“ (BT-Drucks. 19/27424, S. 24)

Insgesamt sind die nun geregelten, objektiven Anforderungen für sich genommen nicht neu. Die genannten Merkmale waren auch nach bisheriger Rechtslage bereits zu berücksichtigen, soweit es auf die objektive Beschaffenheit der Kaufsache ankam. Neu ist allerdings das Rangverhältnis der objektiven Beschaffenheitsmerkmale zu den subjektiven Anforderungen an die Kaufsache – hierzu sogleich unter 3.
3. Zu den Montageanforderungen
Schnell abgehandelt werden können die Montageanforderungen, die in § 434 Abs. 4 BGB n.F. geregelt sind. Die dortige Umsetzung des Art. 8 Richtlinie (EU) 2019/771 entspricht dem Regelungsgehalt nach dem bisherigen § 434 Abs. 2 BGB (vgl. BT-Drucks. 19/27424, S. 25; Lorenz, NJW 2021, 2065 (2066)).
4. Zur Gleichrangigkeit der objektiven und subjektiven Anforderungen
So steht nun fest, was unter den in § 434 Abs. 1 BGB n.F. genannten Anforderungskategorien zu verstehen ist. Zeit, sich mit der dort angeordneten und für das deutsche Recht neuen Gleichrangigkeit dieser Anforderungen auseinanderzusetzen.
Wenn Mangelfreiheit nur dann vorliegt, wenn die Kaufsache den subjektiven und objektiven Anforderungen entspricht, kann sie dann wegen objektiver Mängel vertragswidrig sein, obwohl die Parteien sich zuvor über diese verständigt hatten? Das ginge zu weit. In einem solchen Fall könnte etwa ein gebrauchtes Auto, das stärkere Abnutzungen aufweist, als es bei Fahrzeugen desselben Alters üblicherweise zu erwarten ist, kaum noch verkauft werden. Das entspricht nicht dem Sinn und Zweck der Neuregelungen. Einem solchen Ergebnis beugt § 434 Abs. 3 S. 1 BGB n.F. vor: Dort heißt es „Soweit nicht wirksam etwas anderes vereinbart wurde, entspricht die Sache den objektiven Anforderungen, wenn sie (…)“. Die Parteien können die Bedeutung der objektiven Anforderungen mithin durch eine negative Beschaffenheitsvereinbarung zurücktreten lassen. Soweit es sich nicht um einen Verbrauchsgüterkauf handelt, kann eine solche auch konkludent abgeschlossen werden, was bei Kenntnis und Billigung der Abweichungen von der objektiven Beschaffenheit durch den Käufer regelmäßig der Fall sein dürfte.
Nicht so allerdings im Verbrauchsgüterkaufrecht. Der negativen Beschaffenheitsvereinbarung sind insoweit durch § 476 Abs. 1 S. 2 BGB n.F. Grenzen gesetzt. Dort heißt es:

„Von den Anforderungen nach § BGB § 434 Absatz BGB § 434 Absatz 3 oder § BGB § 475b Absatz BGB § 475B Absatz 4 kann vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer durch Vertrag abgewichen werden, wenn 1.) der Verbraucher vor der Abgabe seiner Vertragserklärung eigens davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal der Ware von den objektiven Anforderungen abweicht, und 2.) die Abweichung im Sinne der Nummer 1 im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.“

Soweit die objektiven Anforderungen (siehe oben 2.) nicht eingehalten sind, muss der kaufende Verbraucher eigens, dürfte heißen mittels individueller Information (Lorenz, NJW 2021, 2065 (2073)), und vor Abgabe seiner Vertragserklärung, sei es nun Angebot oder Annahme, hierüber informiert werden. Selbst die Zustimmung zum Abschluss eines Vertrages nach entsprechender Information genügt jedoch nicht für die Annahme einer negativen Beschaffenheitsvereinbarung, vielmehr muss zusätzlich (siehe Wortlaut „und“ in § 476 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB n.F.) ausdrücklich und gesondert vereinbart werden, dass die Abweichung von der objektiven Beschaffenheit keine Mangelhaftigkeit der Kaufsache bedeutet.
Sind diese Anforderungen beim Verbrauchsgüterkauf nicht eingehalten, ist die Abweichung von den objektiven Anforderungen nicht i.S.d. § 434 Abs. 3 S. 1 BGB n.F. wirksam vereinbart worden und kann daher einen Sachmangel begründen. Nun mag man denken, die praktischen Auswirkungen könnten nicht allzu groß sein – kennt der Käufer den Mangel oder kennt er ihn grob fahrlässig nicht und hat der Verkäufer ihn weder arglistig verschwiegen noch eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen, sind doch seine Rechte wegen des Mangels nach Maßgabe des durch die Reform unberührten § 442 BGB ausgeschlossen. Auf diesem Wege sollen die Grenzen des § 476 Abs. 1 S. 2 BGB n.F. jedoch nicht ausgehebelt werden können (vgl. Lorenz, NJW 2021, 2065 (2068)). Die Anwendung des § 442 BGB ist im Verbrauchsgüterkaufrecht nach § 475 Abs. 3 S. 2 BGB n.F. ausgeschlossen. Soll mithin eine nicht den objektiven Anforderungen nach § 434 Abs. 3 BGB n.F. entsprechende Sache im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs verkauft werden, kann der Ausschluss der Mängelgewährleistung wegen dieser Abweichung von den objektiven Anforderungen nur erreicht werden, indem der Verbraucher eigens und vor Abgabe seiner Vertragserklärung unterrichtet wird und die Abweichung ausdrücklich und gesondert vereinbart wird.
III. Summa
Damit kommt diese erste Betrachtung des „neuen Kaufrechts“ zu einem Ende. Die Änderungen hinsichtlich des Sachmangelbegriffs sind im Wortlaut durchaus umfangreich, wie schon die im Vergleich zur bisherigen Fassung des § 434 BGB erheblich gewachsene Länge der Norm zeigt. Die inhaltlichen Auswirkungen sind letztlich jedoch nicht so gravierend, wie es die erste Lektüre insbesondere des § 434 Abs. 1 S. 1 BGB n.F. befürchten lassen mag. Mit einer sauberen und gewissenhaften Arbeit anhand des Gesetzestextes dürften sich hier schon viele Probleme lösen lassen. Aufmerksamkeit ist indes insbesondere im Verbrauchsgüterkaufrecht geboten. Hier dürfte die Gleichrangigkeit von subjektiven und objektiven Anforderungen für die Mangelfreiheit aufgrund der erschwerten Möglichkeit negativer Beschaffenheitsvereinbarungen größere Bedeutung erlangen.

21.12.2021/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2021-12-21 08:00:252021-12-21 08:00:25Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 1: Der Sachmangelbegriff des § 434 BGB
Dr. Maximilian Schmidt

Prüfungsgespräch Öffentliches Recht – Europarecht

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Europarecht, Schon gelesen?, Verfassungsrecht, Verschiedenes

Weiter geht es mit einem Prüfungsgespräch zur Entscheidung des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung. Diese dient allerdings nur als Aufhänger. Wünschenswert wäre, die Fragen kurz im Kopf zu beantworten, s. zu Sinn und Zweck dieser Kategorie den Einführungsbeitrag.
Sehr geehrte Damen und Herren,
der EuGH hat, wie Sie sicher in den Tageszeitungen gelesen haben, entschieden, dass die europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung europarechtswidrig und damit nichtig ist.
Zunächst: Was ist der Unterschied zwischen einer Richtlinie und einer Verordnung?*
Sowohl Verordnung als auch Richtlinie gehören zum europäischen Sekundärrecht, wovon das Primärrecht, das seit Lissabon insbesondere aus EUV und AEUV besteht, abzugrenzen ist. Verordnungen haben allgemeine Geltung, d.h. sie wirken wie nationale Gesetze, weswegen sich der Bürger unmittelbar auf sie berufen kann, Art. 288 Abs. 2 AEUV. Sie sind in allen Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Richtlinien werden an Mitgliedstaaten gerichtet und sind für diese hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, Art. 288 Abs.3 AEUV. Die innerstaatlichen Stellen wählen Form und Mittel der Umsetzung in nationale Gesetze, mit denen die Ziele innerhalb einer bestimmten Frist zu erreichen sind. (Art. 288 AEUV) Die Richtlinie ist daher ein Kompromiss zwischen der Notwendigkeit, in der EU einheitliches Recht zu setzen und der Rücksicht auf nationale Eigenheiten.
Das kann man – grosso modo – so sagen. Nun, wer kann denn Richtlinien und Verordnungen für nichtig erklären? *
Insoweit ist zunächst festzustellen, dass es die Nichtigkeitsklage vor dem EuGH gibt, Art. 263 AEUV. Hiermit können Verstöße gegen das europäische Primärrecht bei Erlass von Richtlinien und Verordnungen durch den europäischen Gesetzgeber gerügt und gegebenenfalls für nichtig erklärt werden.
Ich hake hier kurz ein. Angenommen der EuGH verwirft eine Nichtigkeitsklage gegen eine Richtlinie. Welche weiteren Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen dann?*
In Betracht käme dann grundsätzlich noch eine Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG. Bei Prüfung dieser stellen sich aber einige Probleme. Zum einen müsste ein tauglicher Beschwerdegegenstand nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a vorliegen. Dies sind aber grundsätzlich nur innerstaatliche Gesetze im materiellen Sinne.
Ich hake wiederum kurz ein und frage Ihren Nachbarn: Was meint Ihr Vorredner mit Gesetz im materiellen Sinne?*
Man unterscheidet herkömmlich Gesetze im formellen und materiellen Sinne. Gesetze im materiellen Sinne sind all solche, die abstrakt-generelle Rechtsfolgen für die Bürger treffen. Demgegenüber sind Gesetze im formellen Sinne allein Parlamentsgesetze. Häufig fallen beide Begriffe zusammen, dem muss aber nicht so sein. Bspw. ist ein Gesetz nur im formellen Sinne ein Haushaltsgesetz des Bundestages, da diese keine Rechtsfolgen für die Bürger zeitigen. Demgegenüber sind gemeindliche Satzungen allein Gesetze im materiellen Sinne.
Vielen Dank für diesen kurzen Exkurs. Zurück zum eigentlichen Thema. Welches Problem gibt es nun beim Beschwerdegegenstand? *
Wie bereits gesagt müsste ein Gesetz im materiellen Sinne vorliegen. Eine Richtlinie bindet aber nur den nationalen Gesetzgeber zur Transformation in einem dann materiellen Gesetz, sie ist also nur eine Vorstufe.
Das träfe aber auf die Verordnung nicht zu, diese gilt ja schließlich unmittelbar!’
Das stimmt, doch muss nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG ein Akt der deutschen öffentlichen Gewalt vorliegen, die allein an die Grundrechte gebunden ist, Art. 1 Abs. 3 GG. Bei der Verordnungsgebung durch die EU liegt aber solche gerade nicht vor, es handelt sich um zwei unterschiedliche Rechtsordnungen. Die EU ist nämlich nicht an die deutschen Grundrechte gebunden. Daher scheidet eine Verfassungsbeschwerde aus.
Bedeutet das also, dass eine Verfassungsbeschwerde gegen Maßnahmen, sprich Richtlinien und Verordnungen, der EU niemals zulässig?
Nein, in dieser Konsequenz lässt sich das nicht sagen. Das BVerfG hat mit seiner Solange II – Entscheidung das Verhältnis zum EuGH auf eine neue Basis gestellt. In seinem Solange I Urteil hatte das BVerfG noch festgestellt, dass es solange Rechtsakte der EU an deutschen Grundrechten prüfen werde, wie noch kein ausreichendes, dem deutschen Grundrechtsschutz entsprechendes Niveau durch den EuGH gewährleistet werde. Dies hat das BVerfG mit seiner Solange II Entscheidung revidiert und den Satz nahezu umgekehrt: Solange der EuGH einen ausreichenden Grundrechtsschutz anhand des Primärrechts der Union gewährleiste, werde das BVerfG Rechtsakte der EU nicht mehr an der deutschen Verfassung messen.
Daher lautet die Antwort: Nur wenn das grundrechtliche Schutzniveau auf Unionsebene drastisch absinken würde, käme über die Solange II Rechtsprechung eine Kontrolle von Rechtsakten der Union durch das BVerfG in Betracht.
Sehr schön. Nun wie nennt man nun das Verhältnis zwischen EuGH und BVerfG?**
Seit der Maastricht-Entscheidung wird dieses Verhältnis auch „Kooperationsverhältnis“ genannt.
Welche weitere Entscheidung des BVerfG hat die Solange II Rspr. konturiert?**
Es handelt sich um die sog. „Bananenmarkt-Entscheidung“ des BVerfG. In diesem stellte es fest, dass eine Verfassungsbeschwerde gegen Rechtsakte der Union erst dann zulässig sein können, wenn dargelegt ist, dass in der Zwischenzeit das Schutzniveau innerhalb der EU unter den erforderlichen Grundrechtsschutz abgesunken sei. Hiermit verlagerte es also die Darlegungslast auf den Beschwerdeführer, weswegen das BVerfG nicht mehr bei jeder Verfassungsbeschwerde gegen Sekundärrecht der Union prüfen muss, ob ein Absinken des Grundrechtsschutzes erkennbar ist.
Angenommen das Schutzniveau würde absinken, die Voraussetzungen von Solange II wären also erfüllt, und das BVerfG würde zugleich einen Verstoß der europäischen Verordnung gegen deutsche Grundrechte erkennen. Was wäre die Rechtsfolge?**
Das BVerfG könnte zunächst nicht die Nichtigkeit des Unionsrechtsakts feststellen, da dies allein dem EuGH vorbehalten ist, Art. 263 AEUV. Dies ist konsequent, da die Verordnung auch in anderen Mitgliedsstaaten gilt und das BVerfG für diese keine Nichtigkeitsfolge anordnen kann. Allerdings wäre der Verstoß nicht rechtsfolgenlos. Das BVerfG könnte die Unanwendbarkeit der Verordnung in Deutschland feststellen, müsste aber zugleich dem EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Entscheidung vorlegen.
Nachdem Sie nun Ihre Kenntnisse im Recht der Union nachgewiesen haben, noch eine letzte Frage: Wie Sie sicher wissen, war der historische Anfang der heutigen Union die sog. Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, oder auch Montanunion genannt. Welcher berühmte Politiker hatte hierfür die Idee und schlug diese vor?***
Es handelt sich um den damaligen französischen Außenminister Robert Schuman, weswegen auch vom „Schuman-Plan“ gesprochen wird. Zudem muss der damalige deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer genannt werden, der diesem Plan unverzüglich zustimmte. Daher nennt man Schuman und Adenauer auch die Gründungsväter der Europäischen Union.
Vielen Dank für diese ausgesprochen erfreuliche Prüfung!

08.04.2014/1 Kommentar/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2014-04-08 13:00:172014-04-08 13:00:17Prüfungsgespräch Öffentliches Recht – Europarecht
Dr. Christoph Werkmeister

Kritik: Reichweite der Verkäuferhaftung bei Mängeln außerhalb des Verbrauchsgüterkaufs

Aktuelles, Schuldrecht, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Wir berichteten seinerzeit im Oktober 2012 über ein äußerst examensrelevantes Urteil des BGH, wonach das Urteil des Europäischen Gerichtshofs über den Umfang der Nacherfüllung beim Verbrauchsgüterkauf im Falle einer Ersatzlieferung keine Auswirkungen auf Kaufverträge zwischen Unternehmern hat (siehe dazu unseren Beitrag hier). Konkret ging es darum, ob im Rahmen der kaufrechtlichen Nacherfüllung gemäß § 439 Abs. 1 BGB bei solchen Sachen, die nach dem Kauf beim Käufer eingebaut werden (etwa Fliesen, Teppichboden oder Dachziegel), auch die Kosten vom Ein- bzw. Ausbau mit umfasst sind (siehe dazu umfassender auch hier und hier).
Kritik an der Rechtsprechung
Kürzlich äußerte sich Schwenker auf juris.de zu den Praxisfolgen dieses Urteils. Er führt aus, dass die Entscheidung des BGH, den Ersatz der Ein- und Ausbaukosten nur im Verbrauchsgüterkaufvertrag zuzuerkennen, für den Werkunternehmer, der sich später als mangelbehaftet herausstellendes Material erworben und eingebaut hat, eine gravierende Haftungslücke bedeute.

Denn er schuldet dem Besteller ein funktionsfähiges Werk, so dass ihn der Einbau mangelhaften Materials nicht zu entlasten vermag. Dies gilt auch dann, wenn die Mangelhaftigkeit des Materials für den Bauunternehmer nicht erkennbar war. Die Inanspruchnahme des Verkäufers durch den Werkunternehmer wird im Regelfall ausscheiden, weil diese Verschulden voraussetzt, das im Regelfall nicht vorliegt. Der Hersteller ist nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers, weil sich die Pflichten des Verkäufers nicht auf die Herstellung der Sache erstrecken (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.06.2012 – 15 U 147/11). Haftungserweiterungen des Verkäufers durch vertragliche Vereinbarungen, wie sie in der Literatur vorgeschlagen worden sind (Messerschmidt/Hürter, BauR 2009, 1796) dürften für den Bauunternehmer kaum durchsetzbar sein.

Die hier vorgetragene Haftungslücke mag für einen Werkunternehmer, der mangelhafte Ware erwirbt und später einbaut, in der Praxis tatsächlich ein erhebliches Problem darstellen. Gleichwohl führte Looschelders in JA 2013, 149 aus, dass die Überlegungen des BGH auch durch einen Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums (siehe dazu hier) zur Regelung der Problematik bestätigt werden. Der Entwurf sieht nämlich die Einfügung eines neuen § 474a Abs.1 BGB vor, der den Anspruch des Käufers auf Ausbau der mangelhaften Sache und Einbau der Ersatzsache explizit auf den Verbrauchsgüterkauf beschränkt. Die hier besprochene Rechtsprechung des BGH und damit auch die Haftungsrisiken der Werkunternehmer würden damit vom Gesetzgeber bestätigt. Die Neuregelung soll jedoch, sofern sie vom Gesetzgeber verabschiedet wird, erst am 13.06.2014 in Kraft treten.
Examensrelevanz
Angesichts der Tatsache, dass das hier besprochene Urteil bereits Gegenstand von Examensklausuren war, dürfte es sich von selbst verstehen, dass die Problematik von Kandidaten im ersten sowie zweiten Staatsexamen beherrscht werden muss. Es gilt – sofern das Problem im Rahmen einer Klausur auftritt – zu beachten, dass die hier diskutierte Divergenz des allgemeinen Kaufrechts zum Verbrauchsgüterkaufrecht mittlerweile als „Klassiker“, also ein Standardproblem, betrachtet werden kann. Das heißt, dass es für eine überzeugende Bearbeitung nicht mehr genügt, das Problem überhaupt zu erkennen. Dies dürfte eher als Grundvoraussetzung erwartet werden, da die Rechtsprechung bereits länger zurück liegt und mittlerweile auch in neuerer Lehrbuchliteratur verarbeitet ist. Da das besprochene Urteil des BGH Wertungswidersprüche aufwirft, gilt es diese im Rahmen einer Bearbeitung herauszustellen. Weizen vom Spreu trennt sich für den Korrektor dann bei der Betrachtung der jeweiligen argumentativen Auseinandersetzung und der Anwendung der europarechtlichen Leitlinien (siehe dazu hier und hier).

09.09.2013/5 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2013-09-09 07:01:312013-09-09 07:01:31Kritik: Reichweite der Verkäuferhaftung bei Mängeln außerhalb des Verbrauchsgüterkaufs
Dr. Christoph Werkmeister

BGH: Richtlinienkonforme Auslegung des § 439 Abs. 1 BGB (zu Ausbaukosten bei Ersatzlieferung) gilt nicht bei Unternehmern

Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schuldrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

Der BGH sowie der EuGH hatten sich in der letzten Zeit mit der hoch examansrelevanten Fragestellung auseinander gesetzt (siehe dazu hier und hier), ob im Rahmen einer kaufrechtlichen Nacherfüllung gemäß § 439 Abs. 1 BGB bei solchen Sachen, die nach dem Kauf beim Käufer eingebaut werden (etwa Fliesen, Teppichboden oder Dachziegel), auch die Kosten vom Ein- bzw. Ausbau mit umfasst sind (siehe dazu umfassender auch hier und hier). Die bisher vorhandene Rechtsprechung bezog sich indes auf die Rechtslage beim Verbrauchsgüterkauf. Der BGH hat nunmehr entschieden, wie sich die Auslegung des § 439 Abs. 1 BGB bei einem Kaufvertrag zwischen Unternehmern oder zwischen Verbrauchern verhält  (Urteil vom 17.10.2012 – VIII ZR 226/11).

Verbrauchsgüterkäufe

Nach Auffassung des BGH sei § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB beim Verbrauchsgüterkauf richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die dort genannte Nacherfüllungsvariante „Lieferung einer mangelfreien Sache” auch den Ausbau und den Abtransport der mangelhaften Kaufsache erfasst. Die Argumentation des BGH, die im Anschluss an eine Vorlagefrage zum EuGH erfolgte, kam zu diesem Ergebnis, indem sie § 439 Abs. 1 BGB im Lichte der dem deutschen Kaufrecht zugrunde liegenden Verbrauchsgüterkaufrichtlinie betrachtete. Geboten war eine derartige Auslegung deshalb, weil der infrage stehende Kaufvertrag von einem Verbraucher mit einem Unternehmer geschlossen wurde.

Wenn also zum Beispiel mangelhafte Fliesen im Baumarkt erworben werden, diese aber mangelhaft sind, so schuldet der Verkäufer nach § 439 Abs. 1 BGB nicht bloß die Übergabe neuer mangelfreier Fliesen, sondern darüber hinaus den Ausbau und das Wegschaffen des mangelhaften Bodenbelags.

Unternehmer/Unternehmer oder Verbraucher/Verbraucher

Der BGH hat nunmehr entschieden, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs über den Umfang der Nacherfüllung beim Verbrauchsgüterkauf im Falle einer Ersatzlieferung keine Auswirkungen auf Kaufverträge zwischen Unternehmern hat. Die vorgenannte Rechtsprechung des EuGH gelte nach Auffassung des BGH nämlich nur für den zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer geschlossenen Kaufvertrag. Bei Kaufverträgen zwischen Unternehmern oder zwischen Verbrauchern werde dagegen der Ausbau der mangelhaften Sache und der Einbau der Ersatzsache von der Nacherfüllungsvariante „Lieferung einer mangelfreien Sache“ (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB) nicht erfasst.

Die Argumentation des BGH leuchtet ein, da die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nur dann auf das deutsche Kaufrecht ausstrahlen kann, sofern diese auch anwendbar ist. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob das deutsche Kaufrecht einheitlich für alle Arten des Kaufs ausgelegt werden muss oder ob eine „gespaltene Auslegung“, die zwischen Verbrauchsgüterkäufen und übrigen Käufen differenziert, höchst strittig ist. Angesichts der Tatsache, dass das deutsche Kaufrecht mit der Einführung der §§ 474 ff. BGB von sich aus bereits differenziert, erscheint es m.E. nicht fernliegend, auch Rechtstermini im Rahmen der allgemeinen Kaufrechtsvorschriften der §§ 433 ff. BGB – jeweils abhängig vom systematischen Kontext – einer divergierenden Auslegung zugängig zu machen. Das Argument, das die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie auch nur bei Verbrauchsgüterkäufen anwendbar ist, rundet die Argumentation im Sinne eines „Überdies-Schlusses“ ab. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der BGH bereits in seiner damaligen Entscheidung zu den Ausbaukosten (s. dazu die Hinweise oben) davon ausging, dass die besondere Berücksichtigung der europarechtlichen Wertung nur im Kontext des Verbrauchsgüterkaufs relevant werden.

Unterschiede auch beim Leistungsverweigerungsrecht

Zu beachten ist darüber hinaus, dass der BGH seinerzeit nicht nur § 439 Abs. 1 BGB richtlinienkonform ausgelegt hat, sondern darüber hinaus auch § 439 Abs. 3 BGB im Lichte der Richtlinie teleologisch reduzierte. Der BGH führte in der älteren Entscheidung dazu aus:

Das in § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB dem Verkäufer eingeräumte Recht, die einzig mögliche Form der Abhilfe wegen (absolut) unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, ist mit Art. 3 der Richtlinie nicht vereinbar. Die hierdurch auftretende Regelungslücke ist bis zu einer gesetzlichen Neuregelung durch eine teleologische Reduktion des § 439 Abs. 3 BGB für Fälle des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu schließen. Die Vorschrift ist beim Verbrauchsgüterkauf einschränkend dahingehend anzuwenden, dass ein Verweigerungsrecht des Verkäufers nicht besteht, wenn nur eine Art der Nacherfüllung möglich ist oder der Verkäufer die andere Art der Nacherfüllung zu Recht verweigert.
In diesen Fällen beschränkt sich das Recht des Verkäufers, die Nacherfüllung in Gestalt der Ersatzlieferung wegen unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, auf das Recht, den Käufer bezüglich des Ausbaus der mangelhaften Kaufsache und des Einbaus der als Ersatz gelieferten Kaufsache auf die Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen Betrags zu verweisen. Bei der Bemessung dieses Betrags sind der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung des Mangels zu berücksichtigen. Zugleich ist zu gewährleisten, dass durch die Beschränkung auf eine Kostenbeteiligung des Verkäufers das Recht des Käufers auf Erstattung der Aus- und Einbaukosten nicht ausgehöhlt wird.

Die vorgenannten Ausführungen, die ein Berufen auf die absolute Unverhältnismäßigkeit i.S.v. § 439 Abs. 3 BGB im Kontext des Verbrauchsgüterkaufs nicht gestatten, sind insoweit, sofern man die o.g. Wertungen des BGH übernimmt, ebenso nicht beim Kaufvertrag, der von Unternehmern oder nur von Verbrauchern geschlossen wurde, anwendbar.

Examensrelevanz

 Die neue Entscheidung des BGH ist an Examensrelevanz kaum zu überbieten. Die richtlinienkonforme Auslegung des § 439 Abs. 1 BGB war bereits mehrfach Gegenstand von Examensklausuren. Die nunmehr höchstrichterlich  festgeschriebene Erkenntnis, dass das europarechtlich induzierte Verständnis des BGB bei solchen Fällen, die nicht vom Anwendungsbereich einer Richtlinie erfasst sind, keine Anwendung findet, stellt dabei nur eine weitere Variante dar, in der der Ausbaufall im Examen gestellt werden könnte.

Sofern eine derartige Konstellation in Klausuren auftaucht, ist es sehr wahrscheinlich, dass zumindest auch der Text der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie mit abgedruckt sein wird. Auch wenn dies nicht der Fall sein sollte – im vom BGH entschiedenen Fall war die Richtlinie ja gar nicht einschlägig – sollte auf jeden Fall eine europarechtskonforme Auslegung des § 439 Abs. 1 BGB angesprochen werden. Wer dies nicht tut und schnurstracks die deutschen Normen definiert und subsumiert, verschenkt hier wesentliche Punkte.

18.10.2012/4 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-10-18 07:53:392012-10-18 07:53:39BGH: Richtlinienkonforme Auslegung des § 439 Abs. 1 BGB (zu Ausbaukosten bei Ersatzlieferung) gilt nicht bei Unternehmern
Nicolas Hohn-Hein

EU-Kommission: Deutschland muss Verbraucherschutz anpassen

Aktuelles

Wie aktuell in der Pressemitteilung der europäischen Kommission vom 21.06.2012 zu lesen ist, wird die Bundesrepublik dazu aufgefordert, innerhalb von drei Monaten das geltende Verbraucherrecht bei Haustürgeschäften den aktuellen Richtlinien anzupassen. Ausschlaggebend ist der Umstand, dass das deutsche Recht nach Ansicht der Kommission eine zusätzliche Hürde für die Geltendmachung von Verbraucherrechten aufstellt, die von der sog. Haustürgeschäfte-Richtlinie 85/577/EWG und dem Nachfolge-Regelwerk RL 2011/83/EU (wirksam ab dem 13.06.2014) nicht vorgesehen ist:

Die deutsche Umsetzung der Richtlinie ist nun im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankert. Deutschland wollte in mehreren Punkten über den Mindestschutz der Richtlinie hinausgehen. Allerdings werden die Rechte des Verbrauchers durch das zusätzliche Kriterium des „Bestimmtwerdens“ auf eine Weise eingeschränkt, die mit der Richtlinie nicht zu vereinbaren ist. Dies geht aus deutschen Gerichtsverfahren hervor, in denen Verbraucher aufgrund vorangegangener Besuche durch den Gewerbetreibenden nicht beweisen konnten, dass die Haustürsituation ausschlaggebend für die Unterzeichnung des Vertrags gewesen war. (Pressemitteilung)

Das Verbraucherrecht und insbesondere die sog. Haustürgeschäfte sind regelmäßig Gegenstand des 1. und 2. Staatsexamens. Das Widerrufs- und Rückgaberecht bei Verbraucherverträgen ist in den § 355 ff. BGB geregelt.

27.06.2012/0 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2012-06-27 15:50:362012-06-27 15:50:36EU-Kommission: Deutschland muss Verbraucherschutz anpassen
Nicolas Hohn-Hein

BVerwG: Führerscheintourismus deutlich erschwert

Europarecht, Rechtsprechung, Verwaltungsrecht

In drei Verfahren (BVerwG 3 C 25.10, 28.10 und 9.11 – Urteile vom 25. August 2011) hat sich das BVerwG jüngst mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Anwendbarkeit der FeV (genauer § 28 FeV) bezüglich der Gültigkeit eines EU-ausländischen Führerscheins im Inland einen feststellenden Verwaltungsakt der zuständigen deutschen Behörde erfordert. Eine gute Gelegenheit, sich auch mit der allgemeinen Problematik des Führerscheintourismus im Überblick zu beschäftigen. Da das Urteil z.Z. noch nicht im Volltext vorliegt, wird auf die genaue Urteilsbegründung erst in einem weiteren Beitrag eingegangen werden.
Sachverhalt (vereinfacht)
Den drei Klägern war wegen diverser Straßenverkehrsdelikte die Fahrerlaubnis von den deutschen Führerscheinbehörden entzogen worden. Um dennoch ein Kfz steuern zu dürfen, erwerben sie bei einer Fahrschule in Tschechien eine tschechische Fahrerlaubnis. Da die deutschen Führerscheinbehörden meinen, die Kläger seien wegen § 28 FeV ohnehin nicht berechtigt, von dieser Gebrauch zu machen, wurden bei den Klägern Sperrvermerke (Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis für eine bestimmte Zeit; bei einem ausländischen Führerschein bewirkt die Eintragung  eine Aberkennung des Rechts, den Führerschein in D zu nutzen) eingetragen.
Die Betroffenen sind überrascht. Die Behörden hätten – gestützt auf die FeV -zumindest  einen entsprechenden Verwaltungsakt erlassen müssen. § 28 FeV könne nicht „einfach so“ zur Ungültigkeit der Führerscheine führen.

§ 28 Abs. 1 und 4 FeV  (Auszug):
Abs. 1: Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz … in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen.
(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR- Fahrerlaubnis, […]
Nr. 2) die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben,[…]
Nr. 4) denen auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf,
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 kann die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen.

Die Anerkennung von Führerscheinen innerhalb der EU
Mit Einführung der RL 91 439/EGW (fortgesetzt in RL 2006/126/EG) und deren Umsetzung in der FeV (letzte Fassung v. 17. Dezember, 2010 BGBl. I S. 1980) ist der allgemeine Grundsatz aufgestellt worden, dass ein Mitgliedsstaat eine Fahrerlaubnis, die in einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellt wurde, anerkennen muss. Dies soll insbesondere solchen Personen die Freizügigkeit erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedsstaat als demjenigen niederlassen, in dem sie die Fahrprüfung abgelegt haben (vgl. auch EuGH, Urteil vom 19. 2. 2009 – C-321/ 07 „Schwarz“, Rn. 74). Dieser Mechanismus greift in seiner Funktion das Herkunftslandprinzip wieder auf und bildet – mit nur wenigen Einschränkungen – den Kern der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen innerhalb der EU. Voraussetzung soll sein, dass derjenige zum Zeitpunkt der Ausstellung seinen ordentlichen Wohnsitz im ausstellenden Mitgliedsstaat führt (sog. Wohnsitzprinzip), um Missbrauch zu vermeiden. Erst dann ist ein grenzüberschreitender Bezug gegeben, der die Anerkennung nach EU-Vorgaben in Gang setzt.
Bekämpfung des Führerscheintourismus
Der Begriff des Führerscheintourismus meint insbesondere solche Fälle, in denen Personen aus unterschiedlichen Gründen (Alkohol am Steuer, Drogen o.ä.) die deutsche Fahrerlaubnis entzogen wird. Zur Vermeidung einer MPU (= Medizinisch-psychologische Untersuchung) oder horrender Kosten für den Neuerwerb des Führerscheins weichen sie sodann ins Ausland (besonders beliebt: Polen oder Tschechien) aus, um dort eine Fahrerlaubnis zu erwerben, die von den deutschen Behörden nach den oben dargestellten Grundsätzen anzuerkennen ist. Ohne auf die verschiedenen, teilweise äußerst komplexen Einzelfallkonstellationen einzugehen, besteht das Grundproblem in der Regel darin, dass die deutschen Vorschriften, die – mit Blick auf die Verkehrssicherheit – einen Mindeststandard bei der (Neu-) Erteilung des Führerscheins fordern, schlichtweg auf diese Weise umgangen werden können.
Die Problematik liegt vor allem in der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Anerkennung versagt werden kann. Der Fall „Kremer“ (EuGH-Urteil v. 28.09.2006 – C-340/05) veranschaulicht diesen Punkt gut. Herr Kremer hatte 1999 nach Entziehung seiner deutschen Fahrerlaubnis in Belgien die Führerscheinprüfung absolviert und bestanden. Hierzu ließ er einen fiktiven Zweit-Wohnsitz in Belgien anmelden und auf dem Führerschein vermerken. Ein Sperrvermerk in Deutschland bestand zum Zeitpunkt der Ausstellung nicht. In Deutschland wurde er in der Folge mehrfach wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis rechtskräftig verurteilt, er hingegen berief sich auf Gemeinschaftsrecht und bekam vor dem EuGH recht. Deutschland musste den belgischen Führerschein anerkennen, obwohl es ersichtlich war, dass Herr Kremer keinen dauerhaften Wohnsitz in Belgien gehabt hatte. Belgien hatte den Führerschein jedoch ordnungsgemäß nach geltendem belgischen Recht ausgestellt. Das anerkennende Mitgliedsland war insofern machtlos, als dass der ausstellende Staat über das Vorliegen der Voraussetzungen der Richtlinie (und damit auch des umgesetzten nationalen Rechts in der FeV) zu bestimmen hatte (vgl. Brenner EuR 2010 292 ff). Dazu heißt es in der Urteilsbegründung im Fall Kremer:

Nach gefestigter Rechtsprechung sieht Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 91/439 die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor und erlegt den Mitgliedstaaten damit eine klare und unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen einräumt, die zu erlassen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen. Daraus ergibt sich insbesondere, dass, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein gemäß Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 91/439 ausgestellt haben, die anderen Mitgliedstaaten nicht befugt sind, die Beachtung der Ausstellungsbedingungen erneut zu prüfen (Beschluss Halbritter, Randnr. 34).

RL 2006/126/EG novellierte kurz darauf u.a. § 28 FeV dahingehend, dass der anerkennende Mitgliedsstaat zumindest im Wege der Amtshilfe die ausländischen Behörden fortan darum bitten kann, Auskünfte über die Wohnsitzsituation des Betroffenen zu erteilen (§ 28 Abs. 4 S.1 Nr .2 FeV – „…vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen…„). Ein weitergehendes Prüfungsrecht besteht nicht, da die Entscheidung, ob die Voraussetzungen der nationalen Bestimmungen erfüllt sind, bei der ausländischen Behörde liegen. Hingegen hat man sich  in Art. 11 Abs. 4 der RL 2006/126/EG der Problematik des Sperrvermerks angenommen und entsprechend in der FeV umgesetzt. Besteht nämlich ein Sperrvermerk in dem ausstellenden Land (z.B. wegen einer Entziehung des Führerscheins), müssen auch die deutschen Behörden eine Anerkennung ablehnen. Damit wurde der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung eingeschränkt (vgl. Begründung in BBat Drucksache 851/08).
Auf den vorliegenden Fall bezogen, war die Ablehnung der Anerkennung an sich unproblematisch. Kläger 1 hatte seinen deutschen Wohnsitz auf seinem tschechischen Führerschein vermerken lassen. Über Kläger 2 lagen der deutschen Behörde gesicherte Informationen im Sinne von § 28 Abs.4 S.1 Nr. 2 FeV vor, dass er seinen ordentlichen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Ausstellung nicht in Tschechien hatte. Bei Kläger 3 war bereits vor der Ausstellung ein Sperrvermerk in Deutschland eingetragen gewesen (§ 28 Abs.4 S.1 Nr.4 FeV).
Entscheidung des BverwG: Keine weitere Behördenentscheidung notwendig
In der Pressemitteilung des BverwG heißt es

Bereits aufgrund dieser Regelungen (§ 28 Abs.4 S.1 Nr.2 und 4 FeV, Anm. D. Verf.) kam den Fahrerlaubnissen vom Zeitpunkt ihrer Erteilung an keine Wirksamkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu. Das Erfordernis einer behördlichen Einzelfallentscheidung ergibt sich weder aus § 28 FeV selbst noch aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen. Auch die hier anzuwendende 2. EU-Führerscheinrichtlinie hinderte den deutschen Verordnungsgeber nicht, seine Befugnis zur Ausgestaltung des Fahrerlaubnisrechts in der Weise auszuüben, dass er – im Rahmen der vom Europäischen Gerichtshof gebilligten Ausnahmen vom unionsrechtlichen Grundsatz der Anerkennung einer ausländischen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis – die Nichtgeltung einer ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland durch eine abstrakt-generelle Regelung anordnet.

Die Führerscheine waren damit schon bei Betreten des deutschen Hoheitsgebietes und damit kraft Gesetztes ungültig, § 21 StVG (Fahren ohne Fahrerlaubnis) wäre in strafrechtlicher Hinsicht unmittelbar erfüllt. Eine weitere Behördenentscheidung ist damit nicht notwendig. Das Erfordernis einer solchen könnte sich mit Verweis auf § 28 Abs. 4 S. 2 FeV verneinen lassen: Die Norm ordnet an, dass es im Ermessen („kann“) der Behörde steht, ob sie die fehlende Berechtigung mittels Verwaltungsakt formell feststellt, insbesondere wenn zu Beginn des Inkrafttretens Unklarheit über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen besteht (vgl. auch BRat Drucksache 851/08).
Ferner ist § 28 Abs.1 FeV allgemein so angelegt, dass es keinen formalen Rechtsakts bedarf, um dem ausländischen Führerschein zur Gültigkeit in Deutschland zu verhelfen. Dies spricht dafür, dass in einem Fall des Absatz 4 der Betroffene im umgekehrten Fall konsequenterweise damit rechnen muss, dass seine Fahrerlaubnis von Anfang an keinen Bestand hat. Das Prinzip der bedingungslosen Anerkennung und damit auch der Vertrauensschutz beim Betroffenen stoßen hier wortwörtlich an ihre Grenzen.
Darüber hinaus bleibt abzuwarten, wie das BBerwG seine Entscheidung im Einzelnen begründet. Man kann insbesondere gespannt sein, welche verfassungsrechtlichen Grundsätze hier bemüht werden.
Fazit
Ein kleiner Abstecher in die Thematik des Führerscheintourismus ist ein netter Aufhänger für die Prüfung weiterer europarechtliche Fragen. Spezialwissen kann an dieser Stelle wohl nicht verlangt werden. In der Klausur oder mündlichen Prüfung bräuchte man wohl wenigstens einen Auszug aus der FeV, die in den gängigen Gesetzesmaterialien nicht abgedruckt ist. Man sollte sich merken, dass die deutschen Behörden vor allem dann nicht den EU-ausländischen Führerschein anerkennen müssen, wenn bei Ausstellung bereits eine Sperre in Deutschland bestand oder der Betroffene keinen ordentlichen  Wohnsitz im ausstellenden Mitgliedsland hatte.
Weiterführende Links:
Überblick über die teilweise uneinheitliche deutsche Rechtssprechung zumThema hier
Pressemitteilung des BverfG hier
Detaillierter Artikel auch bei LTO 
 

09.09.2011/0 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2011-09-09 09:42:452011-09-09 09:42:45BVerwG: Führerscheintourismus deutlich erschwert

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