In der Entscheidung BAG v. 08.09.2015 – 9 AZB 21/15 – hatte das Bundesarbeitsgericht über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu entscheiden. Diese Entscheidung gibt einige interessante prozessuale Konstellationen der Arbeitsgerichtsbarkeit, kombiniert mit dem Klassiker einer Statusfrage, wieder. Das Bundesarbeitsgericht hatte über die Rechtswegzuständigkeit im Wege eines Beschlusses nach § 17a GVG und die Nichtbeachtung eines absoluten Revisiongrundes gem. § 547 Nr. 1 ZPO wegen unterlassener Rüge – sowie die Zuständigkeit wegen behaupteter Arbeitnehmereigenschaft zu entscheiden.
A. Sachverhalt (nach BAG v. 8. September 2015 – 9 AZB 21/15)
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen. Es geht um Zahlungsansprüche (Vergütung, Überstunden, Weihnachtsgeld) des Klägers nebst Zinsen. Der Kläger war angestellter Geschäftsführer bei der Beklagten wurde jedoch nach Klageerhebung von seiner Organstellung abberufen.
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Dresden verwiesen. Der sofortigen Beschwerde des Klägers hat es durch Beschluss des Vorsitzenden nicht abgeholfen. Das Landesarbeitsgericht
hat die sofortige Beschwerde des Klägers zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
B. Gründe
Zunächst eine kurze Wiederholung zur Zuständigkeit der Arbeitsgerichte (vgl. auch den hier erschienen Aufsatz hierzu)
I. Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten
Um eine Streitigkeit vor dem Arbeitsgericht zu Verhandeln muss zunächst die Rechtswegzuständigkeit geklärt werden. Das bedeutet i.d.R. es muss sich um eine Streitigkeit handeln, welche ein Arbeitsverhältnis aus abhängiger Beschäftigung betrifft.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat zudem drei Fallgruppen gebildet:
1. Aut-aut
Diese Formulierung steht für Fälle, die ihre anspruchsbegründenden Normen entweder auf eine arbeitsrechtliche oder eine nichtarbeitsrechtliche Grundlage stützen können. Beide Ansprüche schließen sich gegenseitig aus. In diesem Fall genügt es, dass der Kläger sich schlüssig auf eine Rechtsbehauptung stützt, die dem Arbeitsrecht zugeordnet werden kann um eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auszulösen (im Falle des Bestreitens muss er dies auch beweisen).
Beispiel: Die Parteien streiten um die Zahlung einer Vergütung. Der Kläger behauptet er sei Arbeitnehmer gewesen der Beklagte bestreitet dies und behauptet der Kläger sei einer selbstständigen Tätigkeit als freier Mitarbeiter nachgegangen.
2. Et-et
Et-et steht für Fälle, bei denen ein Anspruch sowohl auf eine arbeitsrechtliche oder eine nichtarbeitsrechtliche Anspruchsgrundlage gesetzt werden kann. Beide Anspruchsgrundlagen schließen sich jedoch hier nicht gegenseitig aus. Hier genügt die reine Rechtbehauptung des Klägers nicht um eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichtbarkeit zu begründet. In diesem Fall muss der Kläger in einem schlüssigen Vortrag Tatsachen darlegen und diesen im Falle des Bestreitens auch beweisen.
Beispiel: Im Falle einer außerordentlichen Kündigung ist die materiell mutmaßlich streitentscheidende Norm, § 626 BGB, beispielsweise sowohl auf Arbeitnehmer (Arbeitsvertrag) als auch auf freie Dienstverpflichtete anwendbar.
3. Sic-non
Es gibt nur eine Anspruchsgrundlage, die aus einem der Fälle von § 2 ArbGG hergeleitet wird. Hier ist die Arbeitnehmereigenschaft sowohl für die Rechtswegzuständigkeit ausschlaggebend als auch für das Entstehen des Anspruchs (sog. doppelt relevante Tatsache). Bei sic-non Fällen reicht die bloße Rechtsbehauptung des Klägers aus um die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit auszulösen (BAG v. 24.04.1996 – 5 AZB 25/959).
Beispiel: Der Kläger behauptet Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen Krankheit zu haben gem. § 3 Abs. 1 EFZG oder Ansprüche nach dem BUrlG oder Kündigungsschutz bei Statusfragen. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist für Arbeitnehmer eröffnet für Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung/ gesetzlichen „Mindesturlaub“ betrifft nur Arbeitnehmer.
II. Entscheidung über den Rechtsweg
1. Durch Beschluss
Die Rechtswegfrage wird im Vorabentscheidungsverfahren nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, § 17a GVG (Beschluss) geklärt. Ist das angerufene Arbeitsgericht nicht zuständig, so wird die Klage nicht als unzulässig abgewiesen sondern das Arbeitsgericht erlässt dann einen Verweisungsbeschluss von Amts wegen. Der Verweisungsbeschluss ist für das Gericht hinsichtlich des Rechtsweges bindend. Nur bei krassen Rechtsverletzungen kommt eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung ausnahmsweise in Betracht. In diesen Fällen wird das zuständige Gericht in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bestimmt, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist (vgl. BAG 12. Juli 2006 – 5 AS 7/06 ).
2. Besetzung des Gerichtes
In dieser Entscheidung wurde auch nochmals die Besetzung des Gerichtes für den Fall einer Entscheidung über die sachliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes geklärt. Denn es gab hier einen nicht gerügten Verfahrensfehler. Das Arbeitsgericht hatte durch sog. Alleinentscheidung des Vorsitzenden (vgl. § 53 Abs. 1 ArbGG) den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Dresden verwiesen.
„Nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ergeht der Beschluss nach § 17a Abs. 4 GVG auch außerhalb der mündlichen Verhandlung stets durch die Kammer, sofern er nicht lediglich die örtliche Zuständigkeit zum Gegenstand hat. Da es sich bei der Entscheidung über die Abhilfe oder Nichtabhilfe um eine erneute Entscheidung in der Sache handelt, ist sie nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ebenfalls durch die Kammer unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zu treffen (BAG 17. September 2014 – 10 AZB 43/14 – Rn. 12 f. mwN).“
Eine Aufhebung von Amts wegen nach § 577 Abs. 2 ZPO der angefochtenen Entscheidung des Landesarbeitsgericht, kam mangels Rüge nicht in Betracht.
„Die angefochtene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist schon deshalb nicht wegen dieses Verfahrensfehlers des Arbeitsgerichts aufzuheben, weil die Rechtsbeschwerde die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Arbeitsgerichts bei der Entscheidung über die Nichtabhilfe nicht gerügt hat. Der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (§ 547 Nr. 1 ZPO) ist ein grundsätzlich nicht von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel, der gemäß § 576 Abs. 3, § 577 Abs. 2 Satz 3 ZPO auch im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf Rüge hin beachtet werden darf (BAG 17. September 2014 – 10 AZB 43/14 – Rn. 14). Ein objektiv willkürlicher Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters ist nicht erkennbar.“
III. Begriff des Arbeitnehmers
„Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Wer Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes ist, bestimmt § 5 ArbGG.“
1. Weisungsgebundenheit
„Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Arbeitnehmer Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. § 5 Abs. 1 ArbGG liegt der allgemeine nationale Arbeitnehmerbegriff zugrunde (ErfK/Koch 15. Aufl. § 5 ArbGG Rn. 1, 2; Lunk NJW 2015, 528; vgl. auch GMP/Müller- Glöge 8. Aufl. § 5 Rn. 45a). Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (BAG 14. März 2007 – 5 AZR 499/06 – Rn. 13 mwN).“
2. Gesamtwürdigung der Umstände
Es kommt für die Arbeitnehmereigenschaft nicht darauf an, was die Parteien vereinbart haben, sondern auf das Vorliegen tatsächlicher Umstände.
„Ob ein Arbeitsverhältnis oder ein anderes Rechtsverhältnis vorliegt, ist grundsätzlich anhand einer Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls zu ermitteln, wobei der objektive Geschäftsinhalt den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen ist. Durch Parteivereinbarung kann die Bewertung einer Rechtsbeziehung als Arbeitsverhältnis nicht abbedungen und der Geltungsbereich des Arbeitnehmerschutzes nicht eingeschränkt werden (BAG 18. März 2014 – 9 AZR 694/12 – Rn. 17; 12. September 1996 – 5 AZR 1066/94 – zu II 2 der Gründe, BAGE 84, 108).“
3. Fiktionswirkung, § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG
Ein Geschäftsführer ist grundsätzlich wegen seiner Organstellung kein Arbeitnehmer, da er dem Arbeitgeberlager angehört und keinen Arbeitsrechtsstreit daher führen soll.
„In Betrieben einer juristischen Person oder einer Personengesamtheit gelten jedoch nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG Personen nicht als Arbeitnehmer, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person oder der Personengesamtheit berufen sind. Für einen Rechtsstreit zwischen dem Vertretungsorgan und der juristischen Person sind nach dieser gesetzlichen Fiktion die Gerichte für Arbeitssachen nicht zuständig. Die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG greift unabhängig davon ein, ob das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis materiell-rechtlich als freies Dienstverhältnis oder als Arbeitsverhältnis ausgestaltet ist. Sie soll sicherstellen, dass die Mitglieder der Vertretungsorgane mit der juristischen Person keinen Rechtsstreit im „Arbeitgeberlager“ vor dem Arbeitsgericht führen (vgl. BAG 20. August 2003 – 5 AZB 79/02 – zu B I 3 der Gründe, BAGE 107, 165). Auch wenn ein Anstellungsverhältnis zwischen der juristischen Person und dem Mitglied des Vertretungsorgans wegen dessen starker interner Weisungsabhängigkeit als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist und deshalb materielles Arbeitsrecht zur Anwendung kommt, sind zur Entscheidung eines Rechtsstreits aus dieser Rechtsbeziehung die ordentlichen Gerichte berufen, solange die Fiktion Wirkung entfaltet (BAG 23. August 2011 – 10 AZB 51/10 – Rn. 12 mwN, BAGE 139, 63.“
Aber in diesem Fall kam es gar nicht auf die Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG an – also dass Geschäftsführer grundsätzlich keine Arbeitnehmer sind, denn – nun steckt der Teufel im Detail –
„Nach der Abberufung als Geschäftsführer greift die Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht mehr. Das gilt auch dann, wenn die Abberufung erst nach Eingang der Klage erfolgt (ausführlich BAG 22. Oktober 2014 – 10 AZB 46/14 – Rn. 28 ff.)“
weiter heißt es:
„Liegen die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht mehr vor, ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten auch für solche arbeitsrechtlichen Ansprüche eröffnet, die in einem Zeitraum begründet wurden, als die Voraussetzungen noch vorlagen.“
Und da bei einem sog. sic-non Fall die reine Behauptung ausreicht (s.o.), ist das Arbeitsgericht zuständig.
Fazit: Ob der Rechtsweg zur Arbeitsgerichtsbarkeit für einen Geschäftsführer eröffnet ist, hängt davon ab ob man diesen Statuts zum Zeitpunkt der Klage (auch nach Klageerhebung!) noch innehat. Fraglich bleibt, ob bei dieser Subsumtion nicht der Sinn- und Zweck dieser Norm – „Geschäftsführer ist dem Arbeitgeberlager zuzurechnen“ auf der Strecke bleibt bzw. unterlaufen wird.