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Schlagwortarchiv für: Revisionsgrund

Maria Dimartino

Rechtswegeröffnung zur Arbeitsgerichtsbarkeit – Geschäftsführer?

Arbeitsrecht, Fallbearbeitung und Methodik, Mündliche Prüfung, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Verschiedenes, Zivilrecht

In der Entscheidung BAG v. 08.09.2015 – 9 AZB 21/15 – hatte das Bundesarbeitsgericht über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu entscheiden. Diese Entscheidung gibt einige interessante prozessuale Konstellationen der Arbeitsgerichtsbarkeit, kombiniert mit dem Klassiker einer Statusfrage, wieder. Das Bundesarbeitsgericht hatte über die Rechtswegzuständigkeit im Wege eines Beschlusses nach § 17a GVG und die Nichtbeachtung eines absoluten Revisiongrundes gem. § 547 Nr. 1 ZPO wegen unterlassener Rüge – sowie die Zuständigkeit wegen behaupteter Arbeitnehmereigenschaft zu entscheiden.
 

A. Sachverhalt (nach BAG v. 8. September 2015 – 9 AZB 21/15)

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen. Es geht um Zahlungsansprüche (Vergütung, Überstunden, Weihnachtsgeld) des Klägers nebst Zinsen. Der Kläger war angestellter Geschäftsführer bei der Beklagten wurde jedoch nach Klageerhebung von seiner Organstellung abberufen.
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Dresden verwiesen. Der sofortigen Beschwerde des Klägers hat es durch Beschluss des Vorsitzenden nicht abgeholfen. Das Landesarbeitsgericht
hat die sofortige Beschwerde des Klägers zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
 
B. Gründe
Zunächst eine kurze Wiederholung zur Zuständigkeit der Arbeitsgerichte (vgl. auch den hier erschienen Aufsatz hierzu)
I. Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten
Um eine Streitigkeit vor dem Arbeitsgericht zu Verhandeln muss zunächst die Rechtswegzuständigkeit geklärt werden. Das bedeutet i.d.R. es muss sich um eine Streitigkeit handeln, welche ein Arbeitsverhältnis aus abhängiger Beschäftigung betrifft.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat zudem drei Fallgruppen gebildet:
 
1. Aut-aut
Diese Formulierung steht für Fälle, die ihre anspruchsbegründenden Normen entweder auf eine arbeitsrechtliche oder eine nichtarbeitsrechtliche Grundlage stützen können. Beide Ansprüche schließen sich gegenseitig aus. In diesem Fall genügt es, dass der Kläger sich schlüssig auf eine Rechtsbehauptung stützt, die dem Arbeitsrecht zugeordnet werden kann um eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auszulösen (im Falle des Bestreitens muss er dies auch beweisen).
Beispiel: Die Parteien streiten um die Zahlung einer Vergütung. Der Kläger behauptet er sei Arbeitnehmer gewesen der Beklagte bestreitet dies und behauptet der Kläger sei einer selbstständigen Tätigkeit als freier Mitarbeiter nachgegangen.
 
2. Et-et
Et-et steht für Fälle, bei denen ein Anspruch sowohl auf eine arbeitsrechtliche oder eine nichtarbeitsrechtliche Anspruchsgrundlage gesetzt werden kann. Beide Anspruchsgrundlagen schließen sich jedoch hier nicht gegenseitig aus. Hier genügt die reine Rechtbehauptung des Klägers nicht um eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichtbarkeit zu begründet. In diesem Fall muss der Kläger in einem schlüssigen Vortrag Tatsachen darlegen und diesen im Falle des Bestreitens auch beweisen.
Beispiel: Im Falle einer außerordentlichen Kündigung ist die materiell mutmaßlich streitentscheidende Norm, § 626 BGB, beispielsweise sowohl auf Arbeitnehmer (Arbeitsvertrag) als auch auf freie Dienstverpflichtete anwendbar.
 
3. Sic-non
Es gibt nur eine Anspruchsgrundlage, die aus einem der Fälle von § 2 ArbGG hergeleitet wird. Hier ist die Arbeitnehmereigenschaft sowohl für die Rechtswegzuständigkeit ausschlaggebend als auch für das Entstehen des Anspruchs (sog. doppelt relevante Tatsache). Bei sic-non Fällen reicht die bloße Rechtsbehauptung des Klägers aus um die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit auszulösen (BAG v. 24.04.1996 – 5 AZB 25/959).
Beispiel: Der Kläger behauptet Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen Krankheit zu haben gem. § 3 Abs. 1 EFZG oder Ansprüche nach dem BUrlG oder Kündigungsschutz bei Statusfragen. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist für Arbeitnehmer eröffnet für Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung/ gesetzlichen „Mindesturlaub“ betrifft nur Arbeitnehmer.
 
II. Entscheidung über den Rechtsweg
1. Durch Beschluss
Die Rechtswegfrage wird im Vorabentscheidungsverfahren nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, § 17a GVG (Beschluss) geklärt. Ist das angerufene Arbeitsgericht nicht zuständig, so wird die Klage nicht als unzulässig abgewiesen sondern das Arbeitsgericht erlässt dann einen Verweisungsbeschluss von Amts wegen. Der Verweisungsbeschluss ist für das Gericht hinsichtlich des Rechtsweges bindend. Nur bei krassen Rechtsverletzungen kommt eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung ausnahmsweise in Betracht. In diesen Fällen wird das zuständige Gericht in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bestimmt, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist (vgl. BAG 12. Juli 2006 – 5 AS 7/06 ).
 
2. Besetzung des Gerichtes
In dieser Entscheidung wurde auch nochmals die Besetzung des Gerichtes für den Fall einer Entscheidung über die sachliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes geklärt. Denn es gab hier einen nicht gerügten Verfahrensfehler. Das Arbeitsgericht hatte durch sog. Alleinentscheidung des Vorsitzenden (vgl. § 53 Abs. 1 ArbGG) den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Dresden verwiesen.

„Nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ergeht der Beschluss nach § 17a Abs. 4 GVG auch außerhalb der mündlichen Verhandlung stets durch die Kammer, sofern er nicht lediglich die örtliche Zuständigkeit zum Gegenstand hat. Da es sich bei der Entscheidung über die Abhilfe oder Nichtabhilfe um eine erneute Entscheidung in der Sache handelt, ist sie nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ebenfalls durch die Kammer unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zu treffen (BAG 17. September 2014 – 10 AZB 43/14 – Rn. 12 f. mwN).“

Eine Aufhebung von Amts wegen nach § 577 Abs. 2 ZPO der angefochtenen Entscheidung des Landesarbeitsgericht, kam mangels Rüge nicht in Betracht.

„Die angefochtene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist schon deshalb nicht wegen dieses Verfahrensfehlers des Arbeitsgerichts aufzuheben, weil die Rechtsbeschwerde die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Arbeitsgerichts bei der Entscheidung über die Nichtabhilfe nicht gerügt hat. Der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (§ 547 Nr. 1 ZPO) ist ein grundsätzlich nicht von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel, der gemäß § 576 Abs. 3, § 577 Abs. 2 Satz 3 ZPO auch im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf Rüge hin beachtet werden darf (BAG 17. September 2014 – 10 AZB 43/14 – Rn. 14). Ein objektiv willkürlicher Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters ist nicht erkennbar.“

III. Begriff des Arbeitnehmers

 „Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Wer Arbeitnehmer im
Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes ist, bestimmt § 5 ArbGG.“

1. Weisungsgebundenheit

„Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Arbeitnehmer Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. § 5 Abs. 1 ArbGG
liegt der allgemeine nationale Arbeitnehmerbegriff zugrunde (ErfK/Koch
15. Aufl. § 5 ArbGG Rn. 1, 2; Lunk NJW 2015, 528; vgl. auch GMP/Müller- Glöge 8. Aufl. § 5 Rn. 45a). Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (BAG 14. März 2007 – 5 AZR 499/06 – Rn. 13 mwN).“

2. Gesamtwürdigung der Umstände
Es kommt für die Arbeitnehmereigenschaft nicht darauf an, was die Parteien vereinbart haben, sondern auf das Vorliegen tatsächlicher Umstände.

„Ob ein Arbeitsverhältnis oder ein anderes Rechtsverhältnis vorliegt, ist grundsätzlich anhand einer Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls zu ermitteln, wobei der objektive Geschäftsinhalt den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen ist. Durch Parteivereinbarung kann die Bewertung einer Rechtsbeziehung als Arbeitsverhältnis nicht abbedungen und der Geltungsbereich des Arbeitnehmerschutzes nicht eingeschränkt werden (BAG 18. März 2014 – 9 AZR 694/12 – Rn. 17; 12. September 1996 – 5 AZR 1066/94 – zu II 2 der Gründe, BAGE 84, 108).“

3. Fiktionswirkung, § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG
Ein Geschäftsführer ist grundsätzlich wegen seiner Organstellung kein Arbeitnehmer, da er dem Arbeitgeberlager angehört und keinen Arbeitsrechtsstreit daher führen soll.
 

„In Betrieben einer juristischen Person oder einer Personengesamtheit gelten jedoch nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG Personen nicht als Arbeitnehmer,
 die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person oder der Personengesamtheit berufen sind. Für einen Rechtsstreit zwischen dem Vertretungsorgan und der juristischen Person sind nach dieser gesetzlichen Fiktion die Gerichte für Arbeitssachen nicht zuständig. Die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG greift unabhängig davon ein, ob das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis materiell-rechtlich als freies Dienstverhältnis oder als Arbeitsverhältnis ausgestaltet ist. Sie soll sicherstellen, dass die Mitglieder der Vertretungsorgane mit der juristischen Person keinen Rechtsstreit im „Arbeitgeberlager“ vor dem Arbeitsgericht führen (vgl. BAG 20. August 2003 – 5 AZB 79/02 – zu B I 3 der Gründe, BAGE 107, 165). Auch wenn ein Anstellungsverhältnis zwischen der juristischen Person und dem Mitglied des Vertretungsorgans wegen dessen starker interner Weisungsabhängigkeit als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist und deshalb materielles Arbeitsrecht zur Anwendung kommt, sind zur Entscheidung eines Rechtsstreits aus dieser Rechtsbeziehung die ordentlichen Gerichte berufen, solange die Fiktion Wirkung entfaltet (BAG 23. August 2011 – 10 AZB 51/10 – Rn. 12 mwN, BAGE 139, 63.“

Aber in diesem Fall kam es gar nicht auf die Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG an – also dass Geschäftsführer grundsätzlich keine Arbeitnehmer sind, denn – nun steckt der Teufel im Detail –

„Nach der Abberufung als Geschäftsführer greift die Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht mehr. Das gilt auch dann, wenn die Abberufung erst nach Eingang der Klage erfolgt (ausführlich BAG 22. Oktober 2014 – 10 AZB 46/14 – Rn. 28 ff.)“

weiter heißt es:

„Liegen die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht mehr vor, ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten auch für solche arbeitsrechtlichen Ansprüche eröffnet, die in einem Zeitraum begründet wurden, als die Voraussetzungen noch vorlagen.“

Und da bei einem sog. sic-non Fall die reine Behauptung ausreicht (s.o.), ist das Arbeitsgericht zuständig.
 
Fazit: Ob der Rechtsweg zur Arbeitsgerichtsbarkeit für einen Geschäftsführer eröffnet ist, hängt davon ab ob man diesen Statuts zum Zeitpunkt der Klage (auch nach Klageerhebung!) noch innehat. Fraglich bleibt, ob bei dieser Subsumtion nicht der Sinn- und Zweck dieser Norm – „Geschäftsführer ist dem Arbeitgeberlager zuzurechnen“ auf der Strecke bleibt bzw. unterlaufen wird.

23.11.2015/0 Kommentare/von Maria Dimartino
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Dimartino https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Dimartino2015-11-23 11:25:092015-11-23 11:25:09Rechtswegeröffnung zur Arbeitsgerichtsbarkeit – Geschäftsführer?
Gastautor

Jur:Next Urteil des Monats: Die gelungene Revision

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, StPO, Strafrecht

Wir freuen uns, auch heute wieder einen Beitrag aus der gemeinsamen Kooperation mit jur:next veröffentlichen zu können. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit einem examensrelevanten Beschluss des Bundesgerichtshofs zur Strafprozessordnung und der Revision bzw. dem Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes.
 
BGH, Beschluss vom 5. November 2014, 4 StR 385/14
Die Strafprozessordnung im Allgemeinen und die Revisionsgründe im Besonderen gehen im universitären Studium viel zu oft neben dem als wichtiger geltenden materiellen Strafrecht unter.
Dabei hilft ein gutes prozessuales Wissen nicht nur Inselbildung zu vermeiden (vgl. nur die Ausprägung der Grundgesetze in der StPO und der Verfahrensmaximen in den Revisionsgründen) sondern kann gerade in der mündlichen Prüfung immens dazu beitragen sich von den anderen Prüfungsteilnehmern abzusetzen.
Der BGH in Strafsachen musste sich in einem jüngeren Beschluss mit einem der absoluten Revisionsgründe auseinandersetzen. Dieser Beschluss zeigt auf, wie schnell Ereignisse, trotz größter Vorsicht der Tatgerichte, eintreten können, die eine Revision begründen.
1. Sachverhalt
In der Hauptverhandlung beantragte die Nebenklägervertreterin, den Angeklagten für die Dauer der Vernehmung der Geschädigten auszuschließen. Staatsanwaltschaft und Verteidigung stimmten zu. Der Angeklagte verließ daraufhin den Sitzungssaal. Die Sitzung wurde kurz unterbrochen und mit der Verkündung des folgenden Beschlusses fortgesetzt:
,,Gemäß § 247 S. 2 StPO wird der Angeklagte für die Dauer der weiteren Vernehmung der Zeugin ausgeschlossen, um einer Retraumatisierung entgegenzutreten und weiteren psychischen Schaden für die Zeugin zu verhindern‘‘. Anschließend wurde die Geschädigte ergänzend vernommen.
2.Problemaufriss
Der Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO ist im vorliegenden Sachverhalt eigentlich offensichtlich. Gemäß § 247 S. 2 StPO hat das Gericht den Angeklagten lediglich für die Dauer der weiteren Vernehmung der Zeugin ausgeschlossen. Die Verkündigung des Ausschließungsbeschlusses selbst gehört nicht zu diesem Verfahrensabschnitt. Er muss vielmehr in Anwesenheit des Angeklagten verkündet werden.
Nun mag sich der geneigte Leser fragen, wie ein solch marginal erscheinender Fehler dazu führen kann, dass die gesamte Sache erneut verhandelt und entschieden werden muss.
Dabei muss allerdings bedacht werden, dass die Revisionsgründe des § 338 StPO die grundlegenden Maximen des Strafprozesses schützen.[1] Bei gravierenden Verfahrensverstößen führt dies konsequent zu Urteilsaufhebung.
Dies wird insbesondere im Vergleich zu § 337 StPO deutlich. Soll ein Revisionsgrund auf dieser Norm begründet werden, so bedarf es neben der Nennung des Verfahrensverstoßes zusätzlich der Darlegung, dass das Urteil auf diesem Verstoß beruht. Diese Feststellung braucht es bei den absoluten Revisionsgründen gerade nicht.[2] Die Rechtsprechung lässt allerdings eine nicht unumstrittene Einschränkung gelten. So soll eine Urteilsaufhebung unterbleiben können, wenn es denkgesetzlich ausgeschlossen ist, dass das angefochtene Urteil auf dem absoluten Revisionsgrund beruht.[3]
III. Bedeutung für die Ausbildung
Der vorliegende Fall des BGH zeigt lehrbuchartig auf, dass die Probleme sich durchaus im Detail verbergen können. Neben der Kenntnis der klassischen Problemen (man denke nur an den berühmten ,,schlafenden‘‘ Schöffen)[4], ist eine saubere und genaue Subsumtion des Sachverhaltes unerlässlich. Ohne diese grundlegende Arbeit werden Meinungsstreite und Problempunkte der Klausur und der mündlichen Prüfung zu schnell übersehen. Dies führt  sodann zu einem unnötigen Punkteverlust.
Dass dies offensichtlich auch gestandenen Juristen passiert, ist dann nur ein geringer Trost.
 
[1]Karlsruher Kommentar StPO, § 338, Rn.2.
[2]Dölling/Duttge/Rösner, Gesamtes Strafrecht, § 338, Rn.1.
[3] BGH, Beschluss vom 10.12.2002, 5 STR 454/02.
[4] NStZ-RR 2000, S. 295.

17.02.2015/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-02-17 09:00:082015-02-17 09:00:08Jur:Next Urteil des Monats: Die gelungene Revision
Gastautor

Die Revision im Strafrecht: Ein überschätztes Rechtsmittel! Eine Gefahr für den Rechtsstaat?

Rechtsgebiete, Referendariat, Schon gelesen?, Startseite, StPO, Strafrecht, Verschiedenes

Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Dr. Jesko Baumhöfener veröffentlichen zu können. Der Autor ist als Strafverteidiger in Hamburg tätig.

Er berichtet heute über die Gefahren für den Beschuldigten, der erstinstanzlich vor dem Landgericht angeklagt wird und dem damit lediglich das Rechtsmittel der Revision zu Verfügung steht. Seinen Fokus richtet er dabei auf die Konstellation „Aussage-gegen-Aussage“. Die strafrechtliche Revision im Allgemeinen gilt als schwierig, weil an die Fertigung insbesondere von Verfahrensrügen seitens der Revisionsgerichte hohe Anforderungen gestellt werden. Kleinste Fehler können zur Unzulässigkeit des Revisionsangriffs führen und den gesamten Revisionsvortrag zu Fall bringen.

Das Rechtsmittelsystem in Strafverfahren

Diese hohe Anforderung an die sachgerechte Fertigung einer Revision sowie das Rechtsmittelsystem in Strafverfahren bedeuten für den Angeklagten schwerer Straftaten ein hohes Risiko. Werden leichte bis mittelschwere Straftaten Delikte – wie beispielsweise Diebstahl, Hehlerei oder Betrug – in der Regel vor dem Amtsgericht verhandelt, wird die schwere Kriminalität – wie z.B. Tötungsdelikte und andere schwere Gewaltverbrechen – erstinstanzlich von einem Landgericht beurteilt. Aber auch Sexualdelikte mit zum Teil hohen Strafandrohungen werden regelmäßig vor dem Landgericht angeklagt.

Im Unterschied zu Tötungsdelikten bzw. Gewaltverbrechen, bei denen denklogisch ein verletzter oder gar getöteter Mensch entsprechende (objektive) Beweisspuren liefert, kommt es bei der Bewertung von Sexualstraftatbeständen häufig auf die Bewertung einer einzigen Aussage an. Schweigt der Angeklagte zu dem entsprechenden Vorwurf oder bestreitet er diesen, handelt es sich in Ermangelung anderer (objektiver) Beweismittel um die Konstellation „Aussage gegen Aussage“. Das Gericht glaubt also entweder dem Belastungszeugen oder dem Angeklagten.

Die Revision ist keine Tatsacheninstanz

Die oben erwähnte Gefahr für den Angeklagten besteht nun darin: Verurteilt das Landgericht den Angeklagten beispielsweise wegen einer Vergewaltigung, wobei hier mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren in der Regel eine Gefängnisstrafe ausgesprochen wird, hat der Angeklagte nur einmal die Gelegenheit, das Urteil anzugreifen und so die Rechtskraft zu hemmen. Und zwar mit dem Rechtsmittel der Revision. Das Revisionsverfahren bietet jedoch im Gegensatz zu der Berufung keine zweite Tatsacheninstanz.

Amtsgerichtliche Urteile können zusätzlich mit der Berufung überprüft werden. Gegen das Berufungsurteil kann wiederum Revision einlegt werden. Dem Angeklagten vor dem Amtsgericht wird mit der Berufungshauptverhandlung somit eine zweite Tatsacheninstanz gewährt. Er hat also zwei Chancen, ein Urteil, mit dem er nicht einverstanden ist, von einem anderen Gericht überprüfen zu lassen. Und vor allem und noch wichtiger: Zwei Tatsacheninstanzen mit einer kompletten Beweisaufnahme.
Eine Anklage vor dem Landgericht bedeutet demnach für den Angeklagten, dass er nur einmal in den „Genuss“ einer vollständigen Beweisaufnahme kommt, in der z.B. Zeugen gehört, Sachverständige um Rat gefragt oder Beweismittel in Augenschein genommen werden. Ist er mit dem Urteilspruch nicht einverstanden, bleibt ihm nur das Rechtsmittel der Revision.
Die Revision im Strafrecht ist ein rein formales Verfahren
Das Revisionsgericht prüft lediglich, ob das Urteil materiell-rechtlich richtig ist und verfahrensrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Die Revision im Strafrecht ist ein rein formales Verfahren. Insofern ist nach wie vor die Frage, „wie es gewesen ist“, nicht Sache des Revisionsrichters. Nur in äußerst seltenen Ausnahmefällen kommt es zu einer Revisionshauptverhandlung. Auch hier werden nicht Tatsachen, sondern lediglich Rechtsfragen erörtert. Eine Belastungsaussage wird hier nicht erneut aufgenommen. Überprüft wird sie vom Revisionsgericht nur darauf, ob sie vom Tatgericht fehlerfrei gewürdigt wurde.
Erfolgsaussichten der Revision von Aktivität des Instanzverteidigers abhängig
Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Verteidigungsaktivitäten in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht die Erfolgsaussichten der Revision maßgeblich mitbestimmen. Sofern der Verteidiger in der Hauptverhandlung keine (Beweis-) Anträge gestellt hat, die das Landgericht hätte fehlerhaft bescheiden können, sofern kein Widerspruch gegen Beweisverwertungen erhoben oder kein Gerichtsbeschluss herbeigeführt wurde, fällt es auch dem fähigsten Revisionsverteidiger schwer, formelle Fehler des tatgerichtlichen Urteils zu rügen. Ganz einfach deswegen, weil das Landgericht unter diesen Vorrausetzungen nicht erst in die Verlegenheit kommt, fehlerhaft zu entscheiden.
Kein Wortprotokoll am Landgericht
Wichtig ist ferner, dass vor dem Landgericht im Gegensatz zur amtsgerichtlichen Verhandlung kein Wortprotokoll geführt wird. Alles, was der womöglich einzige Belastungszeuge sagt, bleibt der Interpretation des Landgerichts vorbehalten. Die Aussage des Belastungszeugen selbst ist nicht angreifbar, auch wenn bereits von der Polizei aufgenommene Aussagen einen völlig anderen Inhalt haben. Strafverteidiger berichten insofern bei Kenntnisnahme der Urteilsbegründung immer wieder von dem Gefühl, sich im falschen Film befunden zu haben, weil sämtliche kritische Momente der Belastungsaussagen entweder ignoriert oder toleriert werden.
Wird der Angeklagte also mit dem Vorwurf konfrontiert, eine andere Person – meistens eine Frau – vergewaltigt zu haben und existieren keine weiteren Beweismittel, ist er dem Wohl und Wehe des Gerichts überlassen. Hat er keinen engagierten Strafverteidiger, der bei bestreitender Einlassung auf die Defizite der Belastungsaussage aufmerksam macht und sieht er sich nicht einer erfahrenen Strafkammer gegenüber, die entsprechende Defizite und Widersprüche zu würdigen weiß, kann er seiner Existenz beraubt werden. Dass hier keine Missverständnisse aufkommen: Vergewaltigungsverbrechen werden verübt. Auf der anderen Seite gibt es aber auch – und dies ist ebenso zu bedauern – falsche Belastungen.
Nur 3 % aller Revisionen erfolgreich
Sieht der Angeklagte sich einer solchen falschen Verdächtigung gegenüber, folgt das Gericht dem Vortrag des Belastungszeugen und hat der Verteidiger vor dem Landgericht keinerlei Aktivität entfaltet, kann dem Angeklagten das Rechtsmittel der Revision im Strafrecht  nicht mehr als einen vagen Hoffnungsschimmer bieten. Die Autoren eines bekannten Buches über die Verteidigung im Revisionsverfahren meinen, dass das Rechtsmittel der Revision nur in 3 % aller Fälle Erfolg hat und also zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils führt (Schlothauer/Wieder, Die Revision im Strafverfahren, 2. Aufl. 2013, S. 1). Dies meint die Erfolgsquote aller eingelegten Revisionen und nicht nur die von Sexualdelikten in der Konstellation „Aussage gegen Aussage“. In dieser Konstellation sind die Anforderungen an die Beweiswürdigung des Tatgerichts zwar erhöht, dennoch bleibt auch hier der Revision der Erfolg häufig versagt. Dies kann zwar auch daran liegen, dass einiger Verteidiger das Rechtsmittel der Revision entweder nicht ernst nehmen und entsprechend vortragen, oder ihnen schlicht die Kompetenz oder Zeit fehlt, (Verfahrens)-Rügen sachgerecht zu begründen. Gerade das beinhaltet aber einen Aspekt der oben angesprochenen Gefahr: dass der Angeklagte mit dem einzigen Rechtsmittel, welches ihm gegen landgerichtliche Urteile zur Verfügung steht, viel zu sehr auf die Kompetenz der professionellen Verfahrensbeteiligten angewiesen ist. Weisen diese die entsprechende Kompetenz nicht auf, kann er in einer zweiten Tatsacheninstanz nicht auf mehr Sachverstand bauen, weil ihm diese nicht gewährt wird.
Forderungen nach einem Wortprotokoll oder einer Videodokumentation
Reformüberlegungen gehen z.B. dahin, auch am Landgericht ein Wortprotokoll einzuführen oder die gesamte Verhandlung sogar per Videoaufnahmen zu dokumentieren, um so zu verhindern, dass die Überprüfung der Aussagen der Belastungszeugen durch das Revisionsgericht von vorneherein vereitelt ist.
Überlegenswerte Bestrebungen, die für den Angeklagten gerade in der Konstellation „Aussage gegen Aussage“ ein Stück mehr Sicherheit bedeuten würden. In Verfahren also, in denen das Damoklesschwert der Gefängnisstrafe und damit der (zumindest vorübergehenden) Vernichtung der gesellschaftlichen Existenz von Anfang an über ihnen schwebt.
Tatrichter können auch Fehlurteile „revisionsfest“ begründen

„Ein tatrichterliches Urteil ist nicht schon deshalb ein wahres und gerechtes Urteil, weil es sich durch eine Entscheidung des Revisionsgerichts rechtskräftig geworden ist.“

Anders ausgedrückt:

„Ein Tatrichter kann auch Fehlurteile „revisionsfest“ begründen“
(insgesamt: Hamm, Die Revision in Strafsachen, 7. Aufl. 2010, S. 3).

Diese Feststellung ist eines Rechtsstaates unwürdig.

27.05.2014/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2014-05-27 08:00:182014-05-27 08:00:18Die Revision im Strafrecht: Ein überschätztes Rechtsmittel! Eine Gefahr für den Rechtsstaat?
Dr. Johannes Traut

Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen in Abwesenheit des Angeklagten – Verstoß gegen § 230 Abs. 1 StPO

Strafrecht

BGH – Großer Strafsenat, Beschluss v. 21.4.2010, GSSt 1/09
Sachverhalt und Verfahrensgang
In dem Beschluß entschied der Große Strafsenat über die Vorlage des Fünften Strafsenats gem. § 132 Abs. 2 GVG. Der Fünfte Strafsenat hatte über eine Revision eines landgerichtlichen Urteils zu entscheiden. Diese wurde mit der Begründung erhoben, der Angeklagte sei in seinem Anwesenheitsrecht verletzt worden. Nach § 338 Nr. 5 StPO stellt dies einen absoluten Revisionsgrund dar.
In dem Ausgangsfall ging den sexuellen Mißbrauch eines Kindes. Ein Zeuge wurde nach Entfernung des Angeklagten gem. § 247 StPO in dessen Abwesenheit vernommen. Anschließend wurde – immer noch in Abwesenheit des Angeklagten – über die Entlassung des Zeugen verhandelt (§ 248 StPO).
Der Fünfte Strafsenat sah dieses Vorgehen als zulässig an. Die Abwesenheit des Angeklagten während der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen sei noch von § 247 StPO gedeckt. Er wollte entsprechend entscheiden. Damit hätte er sich gegen die frühere Rechtsprechung eines anderen Senates des BGH gewandt. Deshalb musste der Fünfte Senat, nachdem der Senat, der der gegenteiligen Auffassung war, gem. § 132 Abs. 3 S. 1 GVG erklärt hat, er halte an seiner Rechtsaufassung fest, die Frage gem. § 132 Abs. 2 GVG dem  Großen Strafsenat des BGH vorlegen.
Inhalt der Entscheidung
Der Große Strafsenat hält mit der bisherigen Rechtsprechung des Vorgehen des Landgerichts für unzulässig. Die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen ist kein Teil der Vernehmung im Sinne von § 247 StPO. Deshalb begründet die fortdauernde Abwesenheit eines nach § 247 StPO während einer Zeugenvernehmung entfernten Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen regelmäßig den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO.
Reichweite des § 247 StPO
Nach § 247 StPO kann der Angeklagte während der „Vernehmung“ des Zeugen aus dem Sitzungszimmer entfernt werden. Entscheidende Frage ist somit, ob die Verhandlung über die Entlassung des Zeugen noch unter den Begriff der „Vernehmung“ fällt.
Wortlaut / Kein Anhaltspunkt in Historie
Der Wortlaut „Vernehmung“ lässt es, insbesondere im Hinblick auf den Zweck der Vorschrift, dem Zeugenschutz,  durchaus zu, auch die Verhandlung über die Entlassung noch unter den Begriff der „Vernehmung“ zu fassen. Gesetzgebungsmaterialien oder Historie sind nicht aussagekräftig.
Charakter als Ausnahmevorschrift
Dem Anwesenheitsrecht des Angeklagten kommt im deutschen Strafprozess jedoch ein hoher Stellenwert zu (vgl.auch § 230 StPO). Es soll sein rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sichern und ist Grundvoraussetzung für ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 EMRK). Es kann nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, in denen andere gewichtige Belange entgegenstehen und eine Einschränkung seiner grundsätzlich zu gewährleistenden Anwesenheit verlangen, durchbrochen werden. Eine solche Ausnahme stellt § 247 StPO dar. Als Ausnahmevorschrift ist sie eng auszulegen.
Abwägung Interessen des Zeugen mit Rechten des Angeklagten
Ihre Reichweite darf nur soweit gehen, wie es zum Schutz der Zeugen zwingend erforderlich ist. Dabei ist die Reichweite in Abwägung mit dem Anwesenheitsrecht des Angeklagten zu finden.
Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist der mit einem Ausschluss zwangsläufig verbundene Eingriff in die Autonomie des Angeklagten auf solche Verfahrenshandlungen zu beschränken, bei denen der jeweilige Schutzzweck den Ausschluss unbedingt erfordert. Entsprechend muss der Begriff der Vernehmung ausgelegt werden. Den Belangen des Zeugen- und Opferschutzes kann auch in den Grenzen der bisherigen Auslegung des Vernehmungsbegriffs in § 247 StPO hinreichend Rechnung getragen werden. Es ist nicht notwendig, den Angeklagten auch während der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen auszu-schließen, um jede Begegnung zwischen Angeklagtem und Zeugen zu vermeiden. Stattdessen kann das Gericht dem Zeugen erlauben, sich aus dem Sitzungssaal zu entfernen, solange der Angeklagte über die Zeugenaussage unterrichtet und über die Entlassung des Zeugen verhandelt wird. Während der Mitteilung der Entlassungsverfügung an den wieder im Sitzungssaal anwesenden Zeugen bzw. während dessen weiterer Befragung kann der Angeklagte erneut aus dem Sitzungssaal fern gehalten werden. Die mit einem Prozedieren in wechselseitiger Abwesenheit zwangsläufig verbundenen Umständlichkeiten sind vor dem Hintergrund der in Ausgleich zu bringenden Schutzgüter hinzunehmen.
Bei Verstoß regelmäßig absoluter Revisionsgrund gegeben
Die fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 Satz 1 oder 2 StPO entfernten Angeklagten ist regelmäßig geeignet, den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO zu begründen. Die Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen ist grundsätzlich ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung.Hierfür spricht bereits § 248 Satz 2 StPO. Diese Hervorhebung in einer eigenen Vorschrift belegt, dass das Gesetz der Verhandlung über die Entlassung und dem Entlassungsvorgang besondere Bedeutung – auch für das weitere Verfahren – beimisst. Im Übrigen bestimmt sich die Frage, ob ein Verfahrensteil als wesentlich einzuordnen ist, nach dem Zweck der jeweils betroffenen Vorschriften sowie danach, in welchem Umfang ihre sachliche Bedeutung betroffen sein kann. Nach dem Zweck der betroffenen Vorschriften ist die Entlassungsverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten grundsätzlich als wesentlich einzuordnen. Die das Anwesenheitsrecht und die Anwesenheitspflicht des Angeklagten betreffenden Vorschriften bezwecken auch, dem Angeklagten eine allseitige und uneingeschränkte Verteidigung zu ermöglichen, insbesondere durch Vornahme von Verfahrenshandlungen auf Grund des von ihm selbst wahrgenommenen Verlaufs der Hauptverhandlung.
Mögliche Heilung
Der Verstoß gegen das Anwesenheitsrecht des Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung kann allerdings geheilt werden, insbesondere wenn der Fehler während der Verhandlung bemerkt wird. Eine Heilung ist  bereits dann anzunehmen, wenn der Angeklagte bei seiner Unterrichtung nach § 247 Satz 4 StPO mitteilt, keine Fragen mehr an den Zeugen stellen zu wollen oder eine entsprechende Erklärung abgibt, nachdem die zu frühe Entlassung des Zeugen bemerkt wurde. Hat der Angeklagte noch Fragen, ist es auch möglich, den Zeugen noch einmal beizuladen.
Examensrelevanz
Ein schöner Fall für die mündliche Prüfung. Hier kann grundlegendes Verständnis für das im Strafprozessrecht immer wieder auftauchende Vorgehen, Auslegungsergebnisse durch Abwägung der Position des Angeklagten mit einer entgegenstehenden Rechtsposition zu finden, geprüft werden. Interessant macht den Fall, dass auf Grund der gut greifbaren Materie eine selbstständige Argumentation möglich ist.

17.06.2010/0 Kommentare/von Dr. Johannes Traut
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Johannes Traut https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Johannes Traut2010-06-17 13:42:492010-06-17 13:42:49Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen in Abwesenheit des Angeklagten – Verstoß gegen § 230 Abs. 1 StPO

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