Der BGH hat am 28.10.2010 in einem neuen Urteil (Xa ZR 46/10) entschieden, dass ein Reiseanbieter einem Reisenden die entstandenen Zusatzkosten erstatten muss, wenn ein Reisender mit einem kombinierten Rail & Fly Ticket infolge einer Zugverspätung seinen Flug verpasst. Der beklagte Reiseveranstalter habe aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Reisenden mit seinem Gesamtverhalten den Eindruck vermittelt, dass er den Bahntransfer als eigene Leistung anbiete und für den Erfolg einstehen wolle.
Sachverhalt
Die Klägerin hatte bei der Beklagten eine All-Inclusive-Flugpauschalreise von Düsseldorf nach Samaná in der Dominikanischen Republik gebucht. Der Hinflug sollte am 19.06.2007 um 11.15 Uhr starten. Für die Anreise zum Flughafen nahm die Klägerin das «Meier’s Weltreisen Rail & Fly Ticket» in Anspruch. Zu diesem Ticket wurde in der Katalogbeschreibung und in einem der Klägerin ausgehändigten Informationsblatt der Beklagten ausgeführt:
„Kein Stress und kein Stau mit dem „MEIER’S WELTREISEN Rail & Fly Ticket“. Bei jeder Flugbuchung aus diesem Katalog ist das „MEIER’S WELTREISEN Rail & Fly Ticket“ 2. Klasse der Deutschen Bahn AG zum Flughafen bereits im Preis enthalten! … Bitte wählen Sie Ihre Verbindung möglichst so, dass Sie den Abflughafen spätestens zwei Stunden vor Abflug erreichen…“.
Die Klägerin wählte einen Zug aus, der planmäßig um 9.08 Uhr am Flughafen Düsseldorf ankommen sollte. Tatsächlich erreichte sie den Flughafen infolge einer Zugverspätung erst um 11.45 Uhr und verpasste den Hinflug der gebuchten Reise. Nach Rücksprache mit der Beklagten reiste sie mit der Bahn nach München und flog von dort aus am nächsten Tag in die Dominikanische Republik. Die Vorinstanzen haben der Klage auf Rückerstattung der Zusatzkosten für die geänderte Anreise sowie Ersatz der hierdurch entstandenen Aufwendungen für Unterkunft, Verpflegung und Taxi stattgegeben.
Entscheidung
Der BGH hat die Revision der Beklagten gegen das Urteil der Vorinstanz jetzt zurückgewiesen.
Indizien sprechen für Eigenleistung als Reiseveranstalter
Das Berufungsgericht habe die Bezeichnung des Tickets, die Bewerbung als «bequemen Anreiseservice von Meier’s Weltreisen» und den Umstand, dass der Transfer im Gesamtreisepreis enthalten sei, zutreffend als Indizien für eine Eigenleistung gewertet. Dass die Auswahl der Bahnverbindung zum Flughafen dem Reisenden überlassen sei, führe jedenfalls dann nicht zu einer anderen Beurteilung, wenn der Reiseveranstalter den Transfer ausdrücklich als eigene Leistung bewerbe, die Vorzüge gegenüber anderen Anreisemöglichkeiten hervorhebe und detaillierte Hinweise zur Auswahl der Bahnverbindung gebe. Da die Klägerin ihre Anreise mit dem Zug gemäß den Vorgaben der Beklagten hinreichend sorgfältig geplant habe, müsse die Beklagte für die Mehrkosten im Wege der Abhilfe nach § 651c BGB der wegen des verspäteten Bahntransfers geänderten Anreise zum Reiseziel aufkommen. Über Schadensersatz- und Minderungsansprüche war im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden.
Erläuterungen / Anmerkungen zum Urteil
Zunächst einmal sollte man im Rahmen einer Klausurlösung ganz am Anfang auf die Abgrenzung zwischen Reisevermittler und Reiseveranstalter kommen. Ein Reisevermittler wie z.B. ein Reisebüro vermittelt lediglich Verträge zwischen Reisenden und Reiseveranstalter. Der Vertrag kommt hier nach § 675 BGB zustande. Ein Reiseveranstalter dagegen verpflichtet sich, die Reiseleistungen selbst zu erbringen. Hier kommt der Reisevertrag gem. § 651a BGB zustande. Zu fragen ist also danach, ob der Reiseveranstalter eine eigene Leistung anbietet oder nicht. Hierbei kommt es auf Sicht des Kunden an, wie sich aus § 651a Abs. 2 BGB ergibt:
„Die Erklärung, nur Verträge mit den Personen zu vermitteln, welche die einzelnen Reiseleistungen ausführen sollen (Leistungsträger), bleibt unberücksichtigt, wenn nach den sonstigen Umständen der Anschein begründet wird, dass der Erklärende vertraglich vorgesehene Reiseleistungen in eigener Verantwortung erbringt.“
Zur Abgrenzung zwischen Reiseveranstalter und Reisevermittler hat der Bundesgerichtshof erst kürzlich in einem am 30. September 2010 ergangenen Urteil (Xa ZR 130/08) ausgeführt:
„Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs gibt es weder einen Erfahrungssatz noch eine gesetzliche Auslegungsregel, wonach ein Reisebüro, das einzelne Reiseleistungen verschiedener Leistungserbringer zu einer individuellen, auf die Wünsche des Kunden zugeschnittenen Reise zusammenstellt, zwangsläufig als Reiseveranstalter anzusehen ist. Ein Reisebüro übernimmt in der Regel typischerweise lediglich die Tätigkeit eines Vermittlers von Reiseleistungen. Allein aus dem Angebot mehrerer zeitlich und örtlich aufeinander abgestimmter Reiseleistungen auf Wunsch des Kunden kann nicht geschlossen werden, dass das Reisebüro dem Kunden gegenüber wie ein Reiseveranstalter die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung der einzelnen Reiseleistungen übernimmt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen. Diese Richtlinie definiert in Art. 2*** sowohl den Begriff des Veranstalters als auch des Vermittlers von Pauschalreisen. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in der Rechtssache C-400/00 (Club-Tour ./. Garrido) entschieden, dass der Begriff der Pauschalreise im Sinne der Richtlinie auch solche Reisen einschließt, die von einem Reisebüro auf Wunsch und nach den Vorgaben des Verbrauchers organisiert werden. Auch daraus ergibt sich nur, dass ein Reisebüro in diesen Konstellationen Reiseveranstalter sein kann, nicht aber, dass es unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls stets als solcher anzusehen ist. In dem vom EuGH entschiedenen Fall war das vorlegende nationale Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Reisebüro dort als Reiseveranstalter aufgetreten war. Dem EuGH war lediglich die Frage vorgelegt worden, ob es sich um eine Pauschalreise im Sinne der Richtlinie handelte. Auch für den Bundesgerichtshof besteht angesichts des eindeutigen Wortlauts der Pauschalreiserichtlinie keine Veranlassung, dem EuGH die Frage vorzulegen, ob ein Reisebüro im Einzelfall als bloßer Reisevermittler einzustufen sein kann.“
Da in diesem Urteil jedoch Meyers Weltreisen mit ihrem Kombipaket aus Rail & Fly warb («Meier’s Weltreisen Rail & Fly Ticket» und Slogan «Kein Stress und kein Stau mit dem Meier’s Weltreisen Rail & Fly Ticket»), sind sie hier als Reiseveranstalter zu qualifizieren und haften somit nach § 651c BGB für den entstandenen Schaden.
Pressemitteilung vom BGH vom 28.10.2010