Der Beitrag gibt einen Überblick über examensrelevante Entscheidungen des BGH in Zivilsachen der letzten Wochen. Einige Entscheidungen, die „an sich“ hierher gehören, liegen bislang nur als Pressemitteilungen vor (z.B. die Entscheidung zum Austeilen rechtsradikaler Postwurfsendungen). Das gilt auch für den Top-Tipp, den ich Euch aber trotzdem nicht vorenthalten wollte. Das Prozessrecht ist heute etwas kniffelig und sicher eher etwas für Referendare. Trotzdem viel Spaß damit!
I. Materielles Recht
Urt. v. 17.10.2012 – VIII ZR 226/11 (Pressemitteilung Nr. 175/2012) – TOP-TIPP:
„Richtlinienkonforme Auslegung des § 439 Abs. 1 BGB (betr. Aus- und Einbaukosten bei Ersatzlieferung) gilt nicht für Kaufverträge zwischen Unternehmern“ (siehe dazu unseren Beitrag hier).
Urt. v. 11.9.2012 – VI ZR 296/11 (§ 5 Abs. 1 RDG):
Ist die Haftung des Unfallverursachers bzw. seines Haftpflichtversicherers dem Grunde nach unstreitig, ist der Einzug der Forderung des Geschädigten auf Erstattung der Mietwagenkosten durch das Mietwagenunternehmen als Nebenleistung gemäß § 5 Abs. 1 RDG erlaubt (Bestätigung des Senatsurteils vom 31. Januar 2012 – VI ZR 143/11, VersR 2012, 458).
Urt. v. 26.9.2012 – VIII ZR 315/11 (§ 556 Abs. 3 Satz 2 BGB):
Dem Mieter kann bei Beendigung des Mietverhältnisses im Wege ergänzender Vertragsauslegung ein Anspruch auf Rückzahlung von Betriebskostenvorauszahlungen nur insoweit zugebilligt werden, als er während der Dauer des Mietverhältnisses nicht die Möglichkeit hatte, den Abrechnungsanspruch durch Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts an den laufenden Vorauszahlungen durchzusetzen (im Anschluss an Senatsurteil vom 29. März 2006 – VIII ZR 191/05, NJW 2006, 2552 Rn. 12 ff).
Urt. v. 20. 9. 2012 – III ZR 264/11 (Art. 14 Abs. 3 GG; § 19 Abs. 5 FStrG, § 74 Abs. 2 VwVfG; Artt. 8, 11 BayEG):
Ein Anspruch auf eine „echte“ Enteignungsentschädigung unterliegt hinsichtlich seines Umfangs keiner Beschränkung oder Ausschlusswirkung des straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses (Anschluss an Senatsurteile vom 15. Februar 1996 – III ZR 143/94, BGHZ 132, 63 und vom 21. Januar 1999 – III ZR 168/97, BGHZ 140, 285).
Der fachplanungsrechtliche Ausgleichsanspruch aufgrund der Planfeststellung und die Enteignungsentschädigung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG stehen nebeneinander. Verlangt der Eigentümer die Erfüllung beider Ansprüche, ist das Verbot einer Doppelentschädigung zu beachten.
Urt. v. 18.9.2012 – VI ZR 291/10 (§§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB):
Zur Zulässigkeit einer Berichterstattung über die in der Öffentlichkeit bekannte wahre Tatsache, eine (namentlich genannte) Entertainerin sei durch Krankheit aus ihrer Karriere herausgerissen worden.
Urt. v. 19.9.2012 – XII ZR 136/10 (§§ 313 Abs. 1, 705 BGB):
Zum Ausgleich unbenannter Zuwendungen, die im Hinblick auf die künftige Ehe und während der bestehenden Ehe mit Gütertrennung dem anderen Ehegatten geleistet wurden.
II. Prozessrecht
Beschl. v. 19.9.2012 – XII ZB 587/11 (§ 127 Abs. 3 Satz 1 und 2 ZPO):
a) Die Staatskasse ist gemäß § 127 Abs. 3 Satz 1 und 2 ZPO auch dann zur Beschwerde befugt, wenn ihrem Vortrag nach der Antragsteller, dem Verfahrenskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung bewilligt worden ist, aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Übernahme der Kosten der Verfahrensführung in der Lage ist.
b) Ziel einer solchen Beschwerde kann allerdings nur sein, eine Zahlungsanordnung nach § 120 ZPO zu erreichen, nicht aber die Versagung der Verfahrenskostenhilfe an sich (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 17. November 2009 – VIII ZB 44/09 – NJW RR 2010, 494 und BGHZ 119, 372).
Beschl. v. 4.10.2012 – VII ZB 11/10 (§§ 788 Abs. 1, Abs. 2, 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO):
Die Erstattungsfähigkeit der Kosten einer Avalbürgschaft, die der Gläubiger beibringt, um die Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil zu ermöglichen, hängt nicht davon ab, dass dem Schuldner zuvor eine vollstreckbare Ausfertigung des Titels zugestellt wurde. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, dass der Gläubiger im Zeitpunkt der kostenauslösenden Maßnahme im Besitz einer vollstreckbaren Ausfertigung des Schuldtitels ist und der Schuldner in Kenntnis seiner unbedingten Zahlungsverpflichtung einen Zeitraum von 14 Tagen zur freiwilligen Erfüllung der titulierten Forderung hat verstreichen lassen (Fortführung von BGH, Beschluss vom 18. Juli 2003 – IXa ZB 146/03, NJW-RR 2003, 1581, 1582).
Beschl. v. 19.9.2012 – V ZB 56/12 (§ 3 ZPO):
a) Der Wert eines Rechtsstreits über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs bestimmt sich grundsätzlich nicht nach dem Wert des Vergleichs, sondern nach dem Wert der ursprünglich gestellten Anträge.
b) Das (den Wert des ursprünglichen Rechtsstreits übersteigende) Interesse an der Wirksamkeit des Vergleichs oder der Wert des Vergleichs ist nur maßgeblich, wenn neben der Fortsetzung des ursprünglichen Rechtsstreits nach § 256 Abs. 2 ZPO auch die Feststellung der Wirksamkeit des Vergleichs beantragt worden ist.
Beschl. v. 22.8.2012 – XII ZB 183/11 (§ 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO):
Zur Erstattungsfähigkeit von Mehrkosten gemäß § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO, die durch einen Anwaltswechsel entstanden sind.
Urt. v. 18.9.2012 – VI ZR 225/11 (§ 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO):
Die Wirksamkeit des Zustellungsvermerks nach § 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO ist nicht daran gebunden, dass derselbe Urkundsbeamte, der dem Gerichtswachtmeister das zuzustellende Schriftstück zum Zwecke der Aufgabe zur Post zugeleitet hat, auch den Vermerk beurkundet, dass das Schriftstück vom Gerichtswachtmeister zur Post aufgegeben worden ist.
Beschl. v. 12.9.2012 – IV ZB 3/12 (§ 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO):
Die Mehrkosten für einen zweiten Rechtsanwalt sind erstattungsfähig, wenn der erste Prozessbevollmächtigte seine Zulassung zur Anwaltschaft aus achtenswerten Gründen zurückgegeben hat und dies bei Übernahme des Mandats noch nicht absehbar war. Dies ist im Kostenfestsetzungsverfahren zu prüfen.
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Im Folgenden eine Übersicht über die aktuelle Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen zum materiellen Recht und zum Prozessrecht. Die Wiedergabe folgt der Internetseite des BGH und ist nicht chronologisch.
I. Materielles Recht
BGH, Urt. v. 5.7.2012 – III ZR 240/11 zu § 839 BGB – EXAMENSTIPP!
Zur Amtshaftung des Landes Berlin wegen der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht für einen seit Jahren in einem „desolaten“ Zustand befindlichen Gehweg.
BGH, Urt. v. 12.6.2012 – II ZR 256/11 zu § 179 BGB:
Die Rechtsscheinhaftung analog § 179 BGB greift auch dann ein, wenn für eine Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) mit dem unrichtigen Rechtsformzusatz „GmbH“ gehandelt wird.
In diesem Fall haftet der Handelnde nicht nach den Grundsätzen der Unterbilanzhaftung, sondern dem auf den Rechtsschein vertrauenden Vertragspartner persönlich.
BGH, Urt. v. 29.6.2012 – V ZR 27/11 zu § 885 Abs. 1 BGB:
Die Bewilligung einer Vormerkung zugunsten eines von dritter Seite noch zu benennenden Berechtigten ist wirksam, sofern der Berechtigte im Zeitpunkt der Eintragung der Vormerkung bestimmungsgemäß benannt worden ist.
BGH, Urt. v. 18.7.2012 – VIII ZR 1/11 zu §§ 543, 560, 569 BGB:
Kommt der Mieter mit der Zahlung von durch den Vermieter nach § 560 Abs. 4 BGB einseitig erhöhten Betriebskostenvorauszahlungen in Verzug, scheitert eine (auch) darauf gestützte fristlose Kündigung des Vermieters nicht daran, dass der Vermieter den Mieter nicht vor Ausspruch der Kündigung auf Zahlung der erhöhten Betriebskosten verklagt hat.
BGH, Urt. v. 22.5.2012 – II ZR 205/10 zu § 723 Abs. 3 BGB:
Die Regelung im Gesellschaftsvertrag einer Kapitalanlagegesellschaft in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die dem nur in geringem Umfang kapitalmäßig beteiligten Anleger eine ordentliche Kündigung seiner Beteiligung erstmals nach 31 Jahren gestattet, stellt wegen des damit für den Anleger verbundenen unüberschaubaren Haftungsrisikos eine unzulässige Kündigungsbeschränkung nach § 723 Abs. 3 BGB dar.
BGH, Urt. v. 10.7.2012 – VI ZR 127/11 zu § 823 BGB:
Für die Verneinung des Zurechnungszusammenhangs zwischen unfallbedingten Verletzungen und Folgeschäden wegen einer Begehrensneurose ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Beschwerden entscheidend durch eine neurotische Be-gehrenshaltung geprägt sind.
BGH, Urt. v. 10.6.2012 – VI ZR 341/10 zu § 823 Abs. 2 BGB:
Allein aus der Stellung als Geschäftsführer einer GmbH bzw. Mitglied des Vorstands einer Aktiengesellschaft ergibt sich keine Garantenpflicht gegenüber außenstehenden Dritten, eine Schädigung ihres Vermögens zu verhindern. Die Pflichten aus der Organstellung zur ordnungsgemäßen Führung der Geschäfte der Gesellschaft aus § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, zu denen auch die Pflicht gehört, für die Rechtmäßigkeit des Handelns der Gesellschaft Sorge zu tragen, bestehen grundsätzlich nur dieser gegenüber und lassen bei ihrer Verletzung Schadensersatzansprüche grundsätzlich nur der Gesellschaft gegenüber entstehen.
BGH, Urt. v. 11.7.2012 – VIII ZR 36/12 zu § 551 BGB:
Mangels anderweitiger ausdrücklicher Vereinbarung ist dem Treuhandcharakter der Mietkaution ein stillschweigendes Aufrechnungsverbot im Hinblick auf Forderungen zu entnehmen, die nicht aus dem Mietverhältnis stammen. Mit derartigen Forderungen kann der Vermieter gegenüber dem Anspruch des Mieters auf Kautionsrückzahlung auch dann nicht aufrechnen, wenn die Kaution am Ende des Mietverhältnisses nicht für Forderungen des Vermieters aus dem Mietverhältnis benötigt wird.
II. Prozessrecht
BGH, Beschl. v. 12.6.2012 – VII ZB 9/12 zu §§ 70, 78,486 Abs. 4 ZPO:
Die Beitrittserklärung eines Nebenintervenienten in einem beim Landgericht anhängigen selbständigen Beweisverfahren unterliegt nicht dem Anwaltszwang.
BGH, Beschl. v. 10.6.2012 – VIII ZB 106/11 zu § 91 Abs. 1 ZPO (im Leitsatz versehentlich als BGB bezeichnet):
Die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Unterbevollmächtigten, der für den auswärtigen Prozessbevollmächtigten beim Prozessgericht die Vertretung in der mündlichen Verhandlung wahrnimmt, richtet sich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte.