Der BGH sowie der EuGH hatten sich in der letzten Zeit mit der hoch examansrelevanten Fragestellung auseinander gesetzt (siehe dazu hier und hier), ob im Rahmen einer kaufrechtlichen Nacherfüllung gemäß § 439 Abs. 1 BGB bei solchen Sachen, die nach dem Kauf beim Käufer eingebaut werden (etwa Fliesen, Teppichboden oder Dachziegel), auch die Kosten vom Ein- bzw. Ausbau mit umfasst sind (siehe dazu umfassender auch hier und hier). Die bisher vorhandene Rechtsprechung bezog sich indes auf die Rechtslage beim Verbrauchsgüterkauf. Der BGH hat nunmehr entschieden, wie sich die Auslegung des § 439 Abs. 1 BGB bei einem Kaufvertrag zwischen Unternehmern oder zwischen Verbrauchern verhält (Urteil vom 17.10.2012 – VIII ZR 226/11).
Verbrauchsgüterkäufe
Nach Auffassung des BGH sei § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB beim Verbrauchsgüterkauf richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die dort genannte Nacherfüllungsvariante „Lieferung einer mangelfreien Sache” auch den Ausbau und den Abtransport der mangelhaften Kaufsache erfasst. Die Argumentation des BGH, die im Anschluss an eine Vorlagefrage zum EuGH erfolgte, kam zu diesem Ergebnis, indem sie § 439 Abs. 1 BGB im Lichte der dem deutschen Kaufrecht zugrunde liegenden Verbrauchsgüterkaufrichtlinie betrachtete. Geboten war eine derartige Auslegung deshalb, weil der infrage stehende Kaufvertrag von einem Verbraucher mit einem Unternehmer geschlossen wurde.
Wenn also zum Beispiel mangelhafte Fliesen im Baumarkt erworben werden, diese aber mangelhaft sind, so schuldet der Verkäufer nach § 439 Abs. 1 BGB nicht bloß die Übergabe neuer mangelfreier Fliesen, sondern darüber hinaus den Ausbau und das Wegschaffen des mangelhaften Bodenbelags.
Unternehmer/Unternehmer oder Verbraucher/Verbraucher
Der BGH hat nunmehr entschieden, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs über den Umfang der Nacherfüllung beim Verbrauchsgüterkauf im Falle einer Ersatzlieferung keine Auswirkungen auf Kaufverträge zwischen Unternehmern hat. Die vorgenannte Rechtsprechung des EuGH gelte nach Auffassung des BGH nämlich nur für den zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer geschlossenen Kaufvertrag. Bei Kaufverträgen zwischen Unternehmern oder zwischen Verbrauchern werde dagegen der Ausbau der mangelhaften Sache und der Einbau der Ersatzsache von der Nacherfüllungsvariante „Lieferung einer mangelfreien Sache“ (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB) nicht erfasst.
Die Argumentation des BGH leuchtet ein, da die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nur dann auf das deutsche Kaufrecht ausstrahlen kann, sofern diese auch anwendbar ist. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob das deutsche Kaufrecht einheitlich für alle Arten des Kaufs ausgelegt werden muss oder ob eine „gespaltene Auslegung“, die zwischen Verbrauchsgüterkäufen und übrigen Käufen differenziert, höchst strittig ist. Angesichts der Tatsache, dass das deutsche Kaufrecht mit der Einführung der §§ 474 ff. BGB von sich aus bereits differenziert, erscheint es m.E. nicht fernliegend, auch Rechtstermini im Rahmen der allgemeinen Kaufrechtsvorschriften der §§ 433 ff. BGB – jeweils abhängig vom systematischen Kontext – einer divergierenden Auslegung zugängig zu machen. Das Argument, das die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie auch nur bei Verbrauchsgüterkäufen anwendbar ist, rundet die Argumentation im Sinne eines „Überdies-Schlusses“ ab. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der BGH bereits in seiner damaligen Entscheidung zu den Ausbaukosten (s. dazu die Hinweise oben) davon ausging, dass die besondere Berücksichtigung der europarechtlichen Wertung nur im Kontext des Verbrauchsgüterkaufs relevant werden.
Unterschiede auch beim Leistungsverweigerungsrecht
Zu beachten ist darüber hinaus, dass der BGH seinerzeit nicht nur § 439 Abs. 1 BGB richtlinienkonform ausgelegt hat, sondern darüber hinaus auch § 439 Abs. 3 BGB im Lichte der Richtlinie teleologisch reduzierte. Der BGH führte in der älteren Entscheidung dazu aus:
Das in § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB dem Verkäufer eingeräumte Recht, die einzig mögliche Form der Abhilfe wegen (absolut) unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, ist mit Art. 3 der Richtlinie nicht vereinbar. Die hierdurch auftretende Regelungslücke ist bis zu einer gesetzlichen Neuregelung durch eine teleologische Reduktion des § 439 Abs. 3 BGB für Fälle des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu schließen. Die Vorschrift ist beim Verbrauchsgüterkauf einschränkend dahingehend anzuwenden, dass ein Verweigerungsrecht des Verkäufers nicht besteht, wenn nur eine Art der Nacherfüllung möglich ist oder der Verkäufer die andere Art der Nacherfüllung zu Recht verweigert.
In diesen Fällen beschränkt sich das Recht des Verkäufers, die Nacherfüllung in Gestalt der Ersatzlieferung wegen unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, auf das Recht, den Käufer bezüglich des Ausbaus der mangelhaften Kaufsache und des Einbaus der als Ersatz gelieferten Kaufsache auf die Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen Betrags zu verweisen. Bei der Bemessung dieses Betrags sind der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung des Mangels zu berücksichtigen. Zugleich ist zu gewährleisten, dass durch die Beschränkung auf eine Kostenbeteiligung des Verkäufers das Recht des Käufers auf Erstattung der Aus- und Einbaukosten nicht ausgehöhlt wird.
Die vorgenannten Ausführungen, die ein Berufen auf die absolute Unverhältnismäßigkeit i.S.v. § 439 Abs. 3 BGB im Kontext des Verbrauchsgüterkaufs nicht gestatten, sind insoweit, sofern man die o.g. Wertungen des BGH übernimmt, ebenso nicht beim Kaufvertrag, der von Unternehmern oder nur von Verbrauchern geschlossen wurde, anwendbar.
Examensrelevanz
Die neue Entscheidung des BGH ist an Examensrelevanz kaum zu überbieten. Die richtlinienkonforme Auslegung des § 439 Abs. 1 BGB war bereits mehrfach Gegenstand von Examensklausuren. Die nunmehr höchstrichterlich festgeschriebene Erkenntnis, dass das europarechtlich induzierte Verständnis des BGB bei solchen Fällen, die nicht vom Anwendungsbereich einer Richtlinie erfasst sind, keine Anwendung findet, stellt dabei nur eine weitere Variante dar, in der der Ausbaufall im Examen gestellt werden könnte.
Sofern eine derartige Konstellation in Klausuren auftaucht, ist es sehr wahrscheinlich, dass zumindest auch der Text der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie mit abgedruckt sein wird. Auch wenn dies nicht der Fall sein sollte – im vom BGH entschiedenen Fall war die Richtlinie ja gar nicht einschlägig – sollte auf jeden Fall eine europarechtskonforme Auslegung des § 439 Abs. 1 BGB angesprochen werden. Wer dies nicht tut und schnurstracks die deutschen Normen definiert und subsumiert, verschenkt hier wesentliche Punkte.