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Yannick Peisker

Masernimpfpflicht verfassungsmäßig – Klausurlösung

Fallbearbeitung und Methodik, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

Mit Beschluss vom 21. Juli 2022 hat das BVerfG entschieden, dass die Masernimpfpflicht nach § 20 IfSG verfassungsmäßig ist. Angesichts der noch ausstehenden Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Corona-Impfpflicht besitzt die Entscheidung nicht nur Bedeutung für Examenskandidaten, sondern eine weit darüberhinausgehende Relevanz für die Gesamtgesellschaft, womöglich auch mit nicht zu unterschätzender sozialer Sprengkraft. Ein Blick in die Entscheidungsgründe lohnt sich daher umso mehr.

Der hiesige Beitrag setzt sich mit der Entscheidung technisch auseinander und beinhaltet eine klausurmäßige Aufbereitung für Examenskandidaten, damit die Bausteine der Entscheidung im juristischen Gutachten auch an der richtigen Stelle verortet werden. Dort wo Ausführungen in der Klausurlösung nicht unbedingt erwartet werden können oder wo davon auszugehen ist, dass der Sachverhalt hierzu keine Angaben macht oder machen kann, werden einige Passagen der Entscheidungsbegründung ausgelassen. Diese lassen sich natürlich hier aber noch einmal in der gesamten Länge nachlesen. Angesichts der Ausführlichkeit der Entscheidung wird hier auf eine Darstellung der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde verzichtet. Stattdessen wird sich auf eine Prüfung der Begründetheit konzentriert.

A. Der Sachverhalt

Die Beschwerdeführer richten sich gegen mehrere Regelungen des § 20 IfSG, im Einzelnen gegen § 20 Abs. 8 S. 1-3; Abs. 9 S. 1 und 6; Abs. 12 S. 1 und 3 sowie gegen Abs. 13 S. 1 IfSG.

Abs. 8 der Vorschrift regelt, dass Personen, die in einer bestimmten Gemeinschaftseinrichtung betreut werden, einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern, oder aber eine Immunität aufweisen müssen. Diese Pflicht gilt auch dann, wenn ausschließlich sogenannte Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen, die also mehrere Impfstoffkomponenten gegen verschiedene Krankheiten beinhalten. Für Personen, die in einer solchen Einrichtung tätig werden, gilt dies nach § 20 Abs. 9 ebenso. Kann eine betreute oder beschäftigte Person einen entsprechenden Nachweis nicht vorlegen, darf sie nach § 20 Abs. 9 S. 6 und 7 weder in der Einrichtung tätig werden, noch dort betreut werden. Es handelt sich also um eine sogenannte mittelbare Impfpflicht, da kein unmittelbarer Impfzwang ausgeübt wird, sondern lediglich nachteilige Maßnahmen an die Nichtimpfung geknüpft werden. Zu einer Impfung selbst zwingt das Gesetz nicht unmittelbar. Der Nachweis ist nach Abs. 12 S. 1 dem zuständigen Gesundheitsamt vorzulegen, ist das Kind minderjährig, trifft diese Pflicht die Eltern (§ 20 Abs. 13 S. 1).

Die hiesigen Beschwerdeführer waren die Eltern mehrerer Kinder, die in einer solchen Gemeinschaftseinrichtung untergebracht werden sollten. Die minderjährigen Kinder sind nicht geimpft und verfügen auch über keine Immunität gegen Masern. Gerügt wird die Verletzung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit der Kinder (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) sowie eine Verletzung des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Die Entscheidung setzt sich damit ausschließlich mit der Impfpflicht für betreute Personen, nicht aber für Beschäftigte auseinander. Die Erwägungen des BVerfG lassen sich aber übertragen. Sollte der Klausursachverhalt auf die Beeinträchtigung der Grundrechte der dort Beschäftigten abzielen, kann daher ähnlich verfahren werden. Zu prüfen wäre dann eine Verletzung des Art. 12 GG neben einer Verletzung des Art. 2 GG.

B. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn die behauptete Grundrechtsverletzung besteht und der Beschwerdeführer in seinen Grundrechten verletzt ist.

I. Verletzung von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

Zunächst könnte das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vorliegen. Dies wäre der Fall, wenn ein nicht gerechtfertigter Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts vorliegt.

1. Schutzbereich

Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG müsste eröffnet sein:

„Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützt die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers […]. Träger dieses Rechts ist „jeder“, mithin auch ein Kleinkind […]. Kindern kommt außerdem ein eigenes Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu (Art. 2 Abs. 1 GG). Dabei bedürfen sie des Schutzes und der Hilfe, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln zu können. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verpflichtet den Gesetzgeber, die hierfür erforderlichen Lebensbedingungen des Kindes zu sichern. Diese im grundrechtlich geschützten Entfaltungsrecht der Kinder wurzelnde besondere Schutzverantwortung des Staates erstreckt sich auf alle für die Persönlichkeitsentwicklung wesentlichen Lebensbedingungen. Die vom Gesetzgeber näher auszugestaltende Schutzverantwortung für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes teilt das Grundgesetz zwischen Eltern und Staat auf. Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist sie in erster Linie den Eltern zugewiesen […].“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 78-79.

Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist mithin eröffnet.

2. Eingriff

Es müsste ein Eingriff in dieses Grundrecht vorlegen. Nach dem klassischen Eingriffsbegriff liegt ein Eingriff vor, wenn durch zielgerichtetes staatliches Handeln in Form eines Rechtsaktes, welcher mit Befehl und Zwang durchsetzbar ist, unmittelbar in grundrechtlich geschützte Positionen eingegriffen wird. Nach dem modernen Eingriffsbegriff kann ein Eingriff auch dann vorliegen, wenn ein grundrechtlich geschütztes Verhalten ganz oder teilweise unmöglich gemacht wird, unabhängig davon, ob die Wirkung final, unmittelbar, rechtlich erfolgt und mit Befehl und Zwang durchsetzbar ist, sofern die Grundrechtsbeeinträchtigung einer grundrechtsgebundenen Gewalt zugerechnet werden kann und nicht unerheblich ist. Nach diesen Maßstäben liegt hier ein Eingriff vor:

„Nach Art und Gewicht wirken die beanstandeten Vorschriften in einer Weise auf die den sorgeberechtigten Eltern anvertraute Sorge über die körperliche Unversehrtheit ihrer Kinder ein, dass sie als zielgerichteter mittelbarer Eingriff in das Recht der Kinder aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu bewerten sind. Die Masernschutzimpfung wirkt durch das Einbringen eines Stoffes und die damit verbundenen Nebenwirkungen auf die körperliche Integrität der Kinder ein. Zwar hindert das Infektionsschutzgesetz Eltern nicht daran, auf die Masernschutzimpfung bei ihren Kindern zu verzichten. Dadurch wäre eine gegenständliche Einwirkung auf die körperliche Integrität vermieden. Allerdings sind mit dieser Disposition über die körperliche Unversehrtheit der Kinder erhebliche nachteilige Folgen für diese verbunden. Wegen des in § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG angeordneten Betreuungsverbots verlieren sie ihren eingeräumten Anspruch auf frühkindliche oder vorschulische Förderung nach § 24 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 SGB VIII oder können diesen jedenfalls nicht mehr durchsetzen […]. Diesen Förderformen misst der Gesetzgeber aber selbst erhebliche Bedeutung für die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte kindliche Persönlichkeitsentwicklung zu. Wird eine solche Betreuung und Förderung ‒ wie vorliegend ‒ von den sorgeberechtigten Eltern gewünscht, geht von den bei Ausbleiben des Impfnachweises eintretenden Folgen ein starker Anreiz aus, die Impfung vornehmen zu lassen und damit auf die körperliche Unversehrtheit der Kinder durch die Verabreichung des Impfstoffs einzuwirken. Dieser vom Gesetzgeber intendierte Druck auf die Eltern, die Gesundheitssorge für ihre Kinder in bestimmter Weise auszuüben, kommt in seiner Wirkung dem unmittelbaren Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gleich. Da insbesondere der von dem Betreuungsverbot ausgehende Druck auf die entscheidungsbefugten Eltern nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die Gestattung der Impfungen befördern soll, handelt es sich ebenfalls um einen zielgerichteten mittelbaren Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Kinder.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 81

Mithin liegt ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vor.

3. Rechtfertigung

Eine Verletzung des Grundrechts liegt nicht vor, wenn der Eingriff gerechtfertigt ist, dies wäre der Fall, wenn das Gesetz formell und materiell verfassungsmäßig ist.

a) Wahrung des Gesetzesvorbehalts

In Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG darf nach S. 2 nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden, um ein solches handelt es sich bei den angegriffenen Regelungen des § 20 IfSG.

b) Formelle Verfassungsmäßigkeit

§ 20 IfSG müsste formell verfassungsmäßig sein.

aa) Zuständigkeit

Es handelt sich um ein Bundesgesetz, der Bund ist nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zuständig, es handelt sich um eine Maßnahme gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren.

bb) Verfahren

Die Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren wurden eingehalten.

cc) Wahrung des Zitiergebots

Das Zitiergebot nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG wurde für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in § 20 Abs. 4 GG gewahrt.

c) Materielle Verfassungsmäßigkeit

Das Gesetz müsste materiell verfassungsmäßig sein.

aa) Verstoß gegen Art. 20 GG

Die Regelung des IfSG wäre nur dann verfassungsmäßig, wenn sie nicht gegen die Grundsätze des Art. 20 GG verstößt. In Betracht kommt vorliegend ein Verstoß gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip in Gestalt des Vorbehaltes des Gesetzes. Diese gebieten konkret, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Fragen selbst regelt. Zum einen ist der Gesetzgeber geboten die Fragen zu regeln, die wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte sind, zum anderen die Regelungen, die für Staat und Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung sind.

„Diesen Anforderungen genügte § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG nicht, wenn er so zu verstehen wäre, dass § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG auch gilt, wenn nur Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen, die weitere Impfstoffkomponenten als die bei Verabschiedung des Gesetzes verfügbaren Impfstoffe enthielten […]. Der Wortlaut von § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG enthält keine ausdrücklichen Beschränkungen von Impfstoffkomponenten „gegen andere Krankheiten“ als Masern, die in auch zur Masernimpfung verwendeten Kombinationsimpfstoffen enthalten sind. So verstanden, wirkte § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG ähnlich wie eine dynamische Verweisung, nach der die Pflicht zum Auf- und Nachweis einer Masernimpfung auch zukünftig bei ausschließlicher Verfügbarkeit von Mehrfachimpfstoffen mit beliebig vielen weiteren Impfstoffkomponenten gegen andere Krankheiten als Masern gölte. Die tatsächlichen Bedingungen der Erfüllung der Auf- und Nachweispflicht wären dann davon abhängig, welche Impfstoffe mit welchen Komponenten nach der jeweiligen Marktlage verfügbar sind. Dann fänden die tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten, den Pflichten aus § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG nachzukommen, jedoch keine hinreichende Grundlage mehr im Gesetz […]. Das Gewicht des Eingriffs in die hier betroffenen Grundrechte der Kinder und ihrer Eltern wird aber durch die Anzahl der in einem Kombinationsimpfstoff enthaltenen Impfstoffkomponenten mitbestimmt. Die Frage, durch welche Impfstoffe die Pflicht erfüllt werden kann, eine Masernimpfung auf- und nachzuweisen, ist daher wesentlich für die Grundrechte und grundsätzlich durch den Gesetzgeber zu klären. Inwieweit er darin den Verordnungsgeber einbeziehen kann, bestimmt sich nach Art. 80 Abs. 1 GG.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 96

Ein Verstoß kommt jedoch dann nicht in Betracht, wenn § 20 Abs. 8 S. 3 IfSG verfassungskonform ausgelegt werden kann:

„§ 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG kann verfassungskonform so auslegt werden, dass die Pflicht aus § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG bei ausschließlicher Verfügbarkeit von Kombinationsimpfstoffen nur dann gilt, wenn es sich dabei um solche handelt, die keine weiteren Impfstoffkomponenten enthalten als die gegen Masern, Mumps, Röteln oder Windpocken. Allein auf Mehrfachimpfstoffe gegen diese Krankheiten beziehen sich die vom Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes getroffenen grundrechtlichen Wertungen […]. Damit werden die Grenzen verfassungskonformer Auslegung nicht überschritten. Zwar enthält der Wortlaut von § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG keine Beschränkung derjenigen Krankheiten, bezüglich derer Impfstoffkomponenten in einem Mehrfachimpfstoff enthalten sein dürfen. Durch die verfassungskonforme Beschränkung auf die vorgenannten Mehrfachimpfstoffkombinationen wird jedoch dem Gesetz weder ein entgegengesetzter Sinn verliehen, noch der normative Gehalt der Norm grundlegend neu bestimmt, oder das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt […].

So bietet die Entstehungsgeschichte der Vorschrift ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Erfüllung der Pflichten aus § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG bei ausschließlicher Verfügbarkeit von Mehrfachimpfstoffen auf die genannten Kombinationen beschränken wollte. Die Begründung des Gesetzentwurfs nennt allein Kombinationsimpfstoffe gegen Masern-Mumps-Röteln oder Masern-Mumps-Röteln-Windpocke […] und geht von der Anwendbarkeit von Satz 1 bei Verfügbarkeit nur dieser Kombinationsimpfstoffe aus. […] Die vom Paul-Ehrlich-Institut geführte Liste zugelassener Kombinationsimpfstoffe weist zudem aus, dass es sich bei den auch masernwirksamen Kombinationsimpfstoffen seit langem ausschließlich um solche mit den weiteren Komponenten gegen Mumps, Röteln und Windpocken handelt. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen wäre, dass sich die seit Jahren unveränderte Lage dahingehend verändern könnte, dass sich Wirkstoffkombinationen der in Deutschland zugelassenen Masernimpfstoffe in absehbarer Zeit ändern und zu den Mumps-, Röteln- und Windpocken-Impfstoffkomponenten weitere hinzukommen könnten.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 98-100

Berücksichtigt man diese Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung, liegt kein Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes vor. Dieses Ergebnis der verfassungskonformen Auslegung ist auch für die nachfolgenden Ausführungen zu unterstellen, die Norm besitzt ausschließlich diesen Rechtsgehalt.

bb) Verhältnismäßigkeit der Regelung

Die angegriffenen Normen müssten auch verhältnismäßig sein. Dies ist der Fall, wenn der Gesetzgeber einen legitimen Zweck verfolgt, die Regelung zur Verfolgung dieses Zwecks geeignet und erforderlich ist und die Regelung angemessen ist, das heißt die Schwere des Eingriffs nicht außer Verhältnis zu den ihn rechtfertigenden Gründen steht.

(1) Legitimer Zweck

Der Gesetzgeber müsste einen legitimen Zweck verfolgen:

 „Die angegriffenen Vorschriften des Masernschutzgesetzes bezwecken einen verbesserten Schutz vor Maserninfektionen, insbesondere bei Personen, die regelmäßig in Gemeinschafts- und Gesundheitseinrichtungen mit anderen Personen in Kontakt kommen […]. Das soll nicht nur die Einzelnen gegen die Erkrankung schützen, sondern gleichzeitig die Weiterverbreitung der Krankheit in der Bevölkerung verhindern, was eine ausreichend hohe Impfquote in der Bevölkerung erfordert. So können auch Personen geschützt werden, die aus medizinischen Gründen selbst nicht geimpft werden können, bei denen aber schwere klinische Verläufe im Fall einer Infektion drohen. […] Zudem will der Gesetzgeber das von der Weltgesundheitsorganisation verfolgte Ziel unterstützen, die Masernkrankheit in den Mitgliedstaaten sukzessiv zu eliminieren, um die Krankheit schließlich weltweit zu überwinden […]. […] Damit kommt der Gesetzgeber erkennbar seiner in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wurzelnden Schutzpflicht nach. Lebens- und Gesundheitsschutz sind bereits für sich genommen überragend wichtige Gemeinwohlbelange und daher verfassungsrechtlich legitime Gesetzeszwecke. Die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG greift nicht erst dann ein, wenn Verletzungen bereits eingetreten sind, sondern ist auch in die Zukunft gerichtet. Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Schutz Einzelner vor Beeinträchtigungen ihrer körperlichen Unversehrtheit und ihrer Gesundheit umfasst, kann daher auch eine Schutzpflicht des Staates folgen, Vorsorge gegen Gesundheitsbeeinträchtigungen zu treffen […].“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 106-107.

Die Impfpflicht verfolgt daher einen legitimen Zweck.

(2) Geeignetheit

Die gesetzliche Regelung müsste geeignet zur Erreichung dieses Zwecks sein, das heißt sie müsste in der Lage sein, diesen Zweck zu fördern:

„Sie können sowohl dazu beitragen, die Impfquote in der Gesamtbevölkerung zu erhöhen als auch dazu, diejenige in solchen Gemeinschaftseinrichtungen zu steigern, in denen vulnerable Personen betreut werden oder zumindest regelmäßig Kontakt zu den Einrichtungen und den dort betreuten und tätigen Personen haben. Werden dort künftig grundsätzlich nur noch Kinder mit Impfschutz oder Immunität betreut, trägt das ‒ ebenso wie das Betreuungsverbot des § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG ‒ zu einer Reduzierung der Ansteckungsgefahr mit dem Masernvirus bei. Angesichts einer Betreuungsquote in Kindertagesbetreuung von 34,3 % bei unter 3-Jährigen und von 93 % bei 3- bis 5-Jährigen […] erhöht sich hierdurch auch insgesamt die Impfquote in der Bevölkerung. Bei einer von § 20 Abs. 8 Satz 2 IfSG vorgegebenen zweifachen Impfung gegen Masern wird nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen von einer Impfeffektivität von 95 bis 100 % im Mittel ausgegangen. Das gilt auch bei der Verwendung eines von § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG erfassten Kombinationsimpfstoffs […] Der Impfschutz wirkt lebenslang.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 114-115

Die Impfpflicht ist zur Zielerreichung geeignet.

(3) Erforderlichkeit

Dies gesetzliche Regelung müsste erforderlich sein, das heißt es dürften keine gleich geeigneten, milderen Mittel zur Zweckerreichung zur Verfügung stehen. Dem Gesetzgeber steht dabei grundsätzlich eine Einschätzungsprärogative zu, die umso weiter reicht, je komplexer die zu regelnde Materie ist.

„Aus den ihm vorliegenden wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen konnte der Gesetzgeber daher […] den Schluss ziehen, dass diese Maßnahmen bislang nicht genügt haben, um eine Herdenimmunität gegen Masern herzustellen. […] Der Erforderlichkeit der angegriffenen Regelungen steht nicht entgegen, dass § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG den Aufweis einer durch Impfung erlangten Masernimmunität auch dann verlangt, wenn lediglich Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen und es im Inland seit einigen Jahren auch keine zugelassenen Monoimpfstoffe mehr gibt. […] Denn die Frage der gleichen Eignung muss anhand des Gesetzeszwecks beurteilt werden. Die Bekämpfung sonstiger Krankheiten ist aber nicht Zweck der allein gegen Masern gerichteten Regelung. Gegen die gleiche Eignung einer nur auf Monoimpfstoffe gerichteten Regelung spricht jedoch, dass es im Inland mittlerweile keine Masernmonoimpfstoffe mehr gibt, für früher angebotene Monoimpfstoffe inzwischen mangels Nutzung sogar die Zulassung entfallen ist. Vor diesem Hintergrund wäre der Zweck des Gesetzes mit einer auf Monoimpfstoffe beschränkten Verpflichtung weniger gut zu erreichen, weil alle Kinder ungeimpft blieben, deren Eltern der Verwendung eines Kombinationsimpfstoffs nicht freiwillig zustimmen. Auch eine gesetzliche Verpflichtung zuständiger staatlicher Stellen, solche Monoimpfstoffe herstellen zu lassen oder sonst für deren Verfügbarkeit im Inland zu sorgen, wäre keine gleich geeignete Maßnahme im Sinne der verfassungsrechtlichen Erforderlichkeit […] Ist allerdings der von § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG geforderte Impfschutz durch einen, etwa auf der Grundlage von § 73 Abs. 3 Halbsatz 1 AMG aus dem Ausland eingeführten, Monoimpfstoff erlangt worden, ist dies regelmäßig als zur Erreichung des Gesetzeszwecks ebenso geeignetes Mittel anzusehen […]. Die Impfung mit einem im Inland zur Verfügung stehenden Mehrfachimpfstoff ist dann nicht erforderlich und darf zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit nicht gefordert werden.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 125-128

Die Impfpflicht ist daher zur Zielerreichung erforderlich.

(4) Angemessenheit

Die gesetzliche Regelung müsste angemessen sein, das heißt die Schwere des Eingriffs darf nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der verfolgten Zwecke stehen:

(aa) Eingriffsintensität

Fraglich ist, als wie gewichtig die Eingriffsintensität der Impfpflicht zu beurteilen ist.

„Der Eingriff in das Grundrecht der Kinder aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erfolgt mittelbar durch die Einwirkung auf die Ausübung des die Gesundheitssorge betreffenden Elternrechts. Entscheiden sich die sorgeberechtigten Eltern zwecks Meidung des Betreuungsverbots aus § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG, ihr in einer betroffenen Einrichtung betreutes Kind impfen zu lassen, geht dies mit einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des Kindes einher. Allerdings ist dieser mittelbare Eingriff weder nach der Art der sich anschließenden körperlichen Einwirkung selbst noch aufgrund der Beeinträchtigung der Dispositionsfreiheit über die körperliche Unversehrtheit besonders schwerwiegend. Zwar kann selbst eine Impfung mit erprobten, weitgehend komplikationslosen Impfstoffen […] nicht ohne Weiteres als unbedeutender vorbeugender ärztlicher Eingriff eingeordnet werden […]. Die Wahrscheinlichkeit gravierender, mitunter tödlicher Komplikationen im Falle einer Maserninfektion ist jedoch um ein Vielfaches höher als die Wahrscheinlichkeit schwerwiegender Impfkomplikationen. Etwas häufiger vorkommende harmlose Impfreaktionen erhöhen das Gewicht des Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit nicht maßgeblich […]. […] Zwar gewährleistet das auf die körperliche Integrität bezogene Selbstbestimmungsrecht im Grundsatz auch, Entscheidungen über die eigene Gesundheit nicht am Maßstab objektiver Vernünftigkeit auszurichten […]. Zur Wahrnehmung dieser Autonomie ist ein Kind anfangs allerdings zunächst entwicklungsbedingt nicht in der Lage. […] Mit dem Grundrecht des Kindes aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbindet sich darum kein ebenso weitreichendes Recht auf medizinisch unvernünftige Entscheidung wie bei Erwachsenen, die über den Umgang mit ihrer eigenen Gesundheit nach eigenem Gutdünken entscheiden können […]. Dem stärker an medizinischen Standards auszurichtenden körperlichen Kindeswohl dienlich ist regelmäßig die Vornahme empfohlener Impfungen, nicht ihr Unterbleiben. Das gilt auch für die Verabreichung von Kombinationsimpfstoffen […]. Daher kann den angegriffenen, gerade zur Vornahme einer empfohlenen Impfung anreizenden gesetzlichen Regelungen kein besonders hohes Gewicht des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG beigemessen werden. Dabei wird das Gewicht des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch dadurch abgemildert, dass die angegriffenen Maßnahmen die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern als solche nicht aufheben und diesen damit die Ausübung der Gesundheitssorge für ihre Kinder im Grundsatz belassen. Sie ordnen keine mit Zwang durchsetzbare Impfpflicht an […]. Vielmehr verbleibt den für die Ausübung der Gesundheitssorge zuständigen Eltern im Ergebnis ein relevanter Freiheitsraum […].“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 142-145

Die Eingriffe wiegen nicht besonders schwer.

(bb) Überwiegen die verfolgten Interessen diese Intensität?

Die verfolgten Interessen müssten diese Eingriffsintensität überwiegen.

„Trotz der nicht unerheblichen Eingriffe in das Abwehrrecht der Kinder aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und das Grundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG konnte der Gesetzgeber der Schutzpflicht für die körperliche Unversehrtheit durch eine Masernerkrankung gefährdeter Personen den Vorrang einräumen. Für die Schutzpflicht streiten die hohe Übertragungsfähigkeit und Ansteckungsgefahr sowie das nicht zu vernachlässigende Risiko, als Spätfolge der Masern eine für gewöhnlich tödlich verlaufende Krankheit (die subakute sklerosierende Panenzephalitis, SSPE) zu erleiden. Bei Kindern unter fünf Jahren liegt dieses Risiko bei etwa 0,03 und bei Kindern unter einem Jahr bei etwa 0,17 % […].

Demgegenüber treten bei einer Impfung nur milde Symptome und Nebenwirkungen auf; ein echter Impfschaden ist extrem unwahrscheinlich […]. Die Gefahr für Ungeimpfte, an Masern zu erkranken, ist deutlich höher als das Risiko, einer auch nur vergleichsweise harmlosen Nebenwirkung der Impfung ausgesetzt zu sein. Hinzu kommt, dass die realistische Möglichkeit der Eradikation der Masern die staatliche Schutzpflicht stützt, weshalb selbst bei einer sinkenden Inzidenz von Krankheitsfällen – zu einem Sinken dürfte es kommen, je näher das Ziel der Herdenimmunität durch eine steigende Impfquote rückt – das Abwehrrecht der Beschwerdeführenden, in das die Auf- und Nachweispflicht zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit Impfunfähiger mittelbar eingreift, aufgrund geringerer Gefahrennähe weniger Gewicht für sich beanspruchen kann, als der vom Gesetzgeber verfolgte Schutz impfunfähiger Grundrechtsträger. Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner Prognose die Gefahren in der Weise bewertet, dass das geringe Restrisiko einer Impfung im Vergleich zu einer Wildinfektion mit Masern bei gleichzeitiger Beachtung der – auch den betroffenen Kindern zugutekommenden – Impfvorteile zurücksteht. Im Ergebnis führt die Masernimpfung daher zu einer erheblich verbesserten gesundheitlichen Sicherheit des Kindes. […]

Die Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit der Kinder und das Elternrecht ihrer sorgeberechtigten Eltern sind auch nicht insoweit unzumutbar, als § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG eine Auf- und Nachweispflicht selbst dann vorsieht, wenn zur Erlangung des Masernimpfschutzes – wie es derzeit in Deutschland der Fall ist – ausschließlich Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen […]. Zwar führt dies faktisch dazu, dass die Kinder bei entsprechender Entscheidung ihrer Eltern die Impfung mit zusätzlichen Wirkstoffen hinnehmen müssen, derer es zum Erfüllen der Auf- und Nachweispflicht aus § 20 Abs. 8 und 9 IfSG nicht bedarf und auf deren Schutzeffekte das Gesetz nicht zielt. Das führt jedoch nicht zur Unangemessenheit der angegriffenen Regelungen. Sofern Impfschutz durch einen, etwa auf der Grundlage von § 73 Abs. 3 Halbsatz 1 AMG aus dem Ausland eingeführten, Monoimpfstoff erlangt wurde, ist die Impfung mit einem im Inland zur Verfügung stehenden Kombinationsimpfstoff ohnehin nicht erforderlich und darf dessen Verwendung nicht gefordert werden.

Aber selbst wenn dies nicht der Fall ist, überwiegen im Ergebnis die für den Aufweis anhand eines Mehrfachimpfstoffs sprechenden Argumente. Denn die aktuell in den Mehrfachimpfstoffen enthaltenen weiteren Wirkstoffe betreffen ebenfalls von der Ständigen Impfkommission empfohlene, also eine positive Risiko-Nutzen-Analyse aufweisende Impfungen. Sie sind deshalb ihrerseits grundsätzlich kindeswohldienlich, wenngleich insoweit weder ein mit Masern vergleichbar hohes Infektionsrisiko besteht noch entsprechende schwere Krankheitsverläufe eintreten können. Ausweislich der Stellungnahmen des Paul-Ehrlich-Instituts und der Ständigen Impfkommission besteht zwischen dem Nebenwirkungsprofil eines Monoimpfstoffs und den in Deutschland zugelassenen Kombinationsimpfstoffen jedenfalls kein wesentlicher Unterschied. Dem steht die Dringlichkeit gegenüber, diejenigen Personen, die sich nicht selbst durch Impfung schützen können, mittels Gemeinschaftsschutz zu schützen. Für diesen bedarf es der genannten Impfquote von 95 %, die gerade auch in den Altersgruppen nicht erreicht ist, die in den hier betroffenen Gemeinschaftseinrichtungen betreut werden. Würde die Pflicht zum Auf- und Nachweis der Masernimpfung auf Situationen beschränkt, in denen ein Monoimpfstoff zur Verfügung steht, würde die erforderliche Impfquote weniger gut erreicht. In der Gesamtabwägung ist es vertretbar, dass der Gesetzgeber den Schutz für vulnerable Personen gegen Masern so hoch gewertet hat, dass dafür auch die Grundrechtsbeeinträchtigungen durch den vom Gesetzgeber mit der Anordnung in § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG in Kauf genommenen Einsatz der aktuell einzig verfügbaren Kombinationsimpfstoffe hinzunehmen sind. Auch weil damit objektiv ein Schutz gegen die weiteren durch Kombinationsimpfstoffe erfassten Krankheiten verbunden ist, ist das Interesse, dass mangels verfügbarer Monoimpfstoffe Kombinationsimpfstoffe zum Einsatz kommen, höher zu gewichten als die Interessen der betroffenen Kinder und Eltern, diese nicht verwenden zu müssen. Angesichts des die Beeinträchtigungen deutlich überwiegenden Interesses am Schutz vulnerabler Personen gegen Masern erscheint zudem derzeit auch zur Wahrung der Angemessenheit nicht geboten, dass der Staat durch Beschaffung, Herstellung oder Marktintervention die Verfügbarkeit von Monoimpfstoff sichert.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 149-152
(cc) Zwischenergebnis

Die verfolgten Zwecke überwiegen damit das Gewicht des Eingriffs, die verfassungskonform ausgelegte Regelung ist angemessen.

(5) Zwischenergebnis

Die Regelung ist verhältnismäßig.

cc) Zwischenergebnis

Die Regelung ist materiell verfassungsmäßig.

4. Ergebnis

Die Regelung ist nach verfassungskonformer Auslegung sowohl formell als auch materiell verfassungsmäßig. Der Eingriff in das Grundrecht ist mithin gerechtfertigt. Die Beschwerdeführer sind in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht verletzt.

II. Verletzung von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG

Es könnte jedoch eine Verletzung des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG vorliegen. Dies wäre der Fall, wenn ein nicht gerechtfertigter Eingriff in den Schutzbereich vorliegt.

1. Schutzbereich

Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG müsste eröffnet sein:

„Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen […]. Das Elternrecht unterscheidet sich allerdings von den anderen Freiheitsrechten des Grundrechtskatalogs wesentlich dadurch, dass es keine Freiheit im Sinne einer Selbstbestimmung der Eltern, sondern eine solche zum Schutze des Kindes und in dessen Interesse gewährt […]. Dazu gehört im Grundsatz die Sorge für das körperliche Wohl, worunter die Gesundheitssorge insgesamt und damit auch die Entscheidung über medizinische Maßnahmen fällt […]. Schon wegen der möglichen Auswirkungen von Impfungen auf die weitere Entwicklung des Kindes ([…] handelt es sich bei der elterlichen Entscheidung darüber um ein wesentliches Element des Sorgerechts.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 67-69

Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ist mithin eröffnet.

2. Eingriff

Es müsste ein Eingriff in dieses Grundrecht vorlegen:

„Wollen Eltern ihren vorhandenen Wunsch nach solcher Betreuung umsetzen, ist dies rechtlich grundsätzlich nur dann möglich, wenn sie einen Nachweis über die Masernimpfung ihrer Kinder vorlegen (§ 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG). Die Entscheidung selbst, Kinder impfen zu lassen, ist wiederum wesentlicher Teil des durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantierten elterlichen Sorgerechts, das die Entscheidungsbefugnis über die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) der Kinder umfasst. Bei Ausbleiben des Nachweises wirken die angegriffenen Vorschriften erheblich auf die Entschließungsfreiheit der Eltern bei der Ausübung des Elternrechts in beiden Komponenten ein. Die gesetzlichen Regelungen über die Pflicht zum Auf- und Nachweis einer Masernimpfung sowie das Betreuungsverbot bei Ausbleiben dieses Nachweises kommen in Zielsetzung und Wirkung als funktionales Äquivalent dem direkten Eingriff gleich, der durch eine rechtlich durchsetzbare Impfpflicht bewirkt würde.“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 74-75

Auch ein Eingriff in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG liegt mithin durch § 20 IfSG vor.

3. Rechtfertigung

Der Eingriff in das Grundrecht ist nicht verfassungswidrig, wenn er gerechtfertigt ist. Dies ist der Fall, wenn das Gesetz formell und materiell verfassungsmäßig ist.

a) formelle Verfassungsmäßigkeit

Hinsichtlich Zuständigkeit und Verfahren wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Fraglich ist jedoch, ob auch in Bezug auf Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG das Zitiergebot eingehalten wurde.

Dafür müsste es für Art. 6 Abs. 2 S. 1 jedoch überhaupt Anwendung finden.

„Das Zitiergebot dient der Sicherung derjenigen Grundrechte, die aufgrund eines spezifischen, vom Grundgesetz vorgesehenen Gesetzesvorbehalts über die im Grundrecht selbst angelegten Grenzen hinaus eingeschränkt werden können […]. Von solchen Grundrechtseinschränkungen grenzt es andersartige grundrechtsrelevante Regelungen ab, die der Gesetzgeber in Ausführung ihm obliegender, im Grundrecht vorgesehener Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen vornimmt […]. Kommt es danach für die Anwendbarkeit von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG maßgeblich auf das Vorhandensein grundrechtsspezifischer Gesetzesvorbehalte an, fällt das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht in den Anwendungsbereich. Es unterliegt gerade keinem solchen Gesetzesvorbehalt und ist deshalb lediglich sich aus der Verfassung selbst ergebenden Einschränkungen zugänglich […].“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 92

Das Zitiergebot musste daher nicht gewahrt werden, es kann der Verfassungsmäßigkeit nicht entgegenstehen.

b) materielle Verfassungsmäßigkeit

Ein Verstoß gegen Art. 20 GG liegt bei verfassungskonformer Auslegung der Regelung nicht vor. Es handelt sich um ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht, welches nur durch verfassungsimmanente Schranken im Wege der praktischen Konkordanz eingeschränkt werden kann. Eine Rechtfertigung des Eingriffs im Wege der praktischen Konkordanz setzt voraus, dass ein kollidierendes Verfassungsgut vorliegt und ein verhältnismäßiger Ausgleich der kollidierenden Güter gewählt wurde. Dies ist der Fall, wenn die Maßnahme zum Ausgleich geeignet, erforderlich und angemessen ist.

aa) Verfolgung des Schutzes eines anderen Verfassungsgutes.

In Gestalt der staatlichen Schutzpflicht verfolgt die gesetzliche Regelung den Schutz eines anderen Verfassungsgutes.

bb) Eignung

Die Maßnahme ist zur Herstellung praktischer Konkordanz geeignet, siehe oben.

cc) Erforderlichkeit

Selbiges gilt für die Erforderlichkeit

dd) Angemessenheit

Der Interessenausgleich müsste angemessen erfolgt sein, dies ist der Fall, wenn die Einschränkung des einen Verfassungsgutes nicht außer Verhältnis zum Gewicht des den Eingriff rechtfertigenden Verfassungsgutes steht.

(1) Eingriffsgewicht

Fraglich ist, wie gewichtig der Eingriff ist.

„Die angegriffenen Regelungen greifen in das vom Elternrecht umfasste Recht auf Gesundheitssorge ein, da sie gebieten, dass Eltern einer Impfung ihrer Kinder zustimmen. Zwar sind sie letztlich nicht unausweichlich verpflichtet, einer Impfung zuzustimmen. Tun sie dies aber nicht, ist dies jedoch mit spürbaren Nachteilen für sie selbst und ihre Kinder verbunden. […] Mit der angegriffenen Nachweispflicht verengt das Infektionsschutzrecht die Wahlmöglichkeit der Eltern nicht unbeträchtlich, indem der Betreuungsanspruch ohne Impfnachweis entfällt oder zumindest nicht durchgesetzt werden kann […]. Dabei dient die Nachweispflicht nicht ihrerseits der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern im Alter vor Schuleintritt, sondern bezweckt neben deren Eigenschutz gegen eine Maserninfektion vor allem den Gemeinschaftsschutz vor den Gefahren von Maserninfektionen […]. Das verstärkt die Intensität des Eingriffs in das Elternrecht, weil die betroffenen Eltern im fremdnützigen Interesse des Schutzes der Bevölkerung entgegen den eigenen Vorstellungen zu einer Disposition über die körperliche Unversehrtheit ihrer Kinder gedrängt werden. Da die Wahrnehmung des Betreuungsanspruchs aus § 24 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 IfSG an den Auf- und Nachweis der Masernimpfung geknüpft ist (vgl. § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG), wirken die beanstandeten Vorschriften auch auf das auf die Gesundheitssorge bezogene Elternrecht ein. […] (135) Bei den hier zu beurteilenden Regelungen ist das Gewicht des die Gesundheitssorge treffenden Eingriffs in das Elternrecht dadurch reduziert, dass die Impfung nach medizinischen Standards gerade auch dem Gesundheitsschutz der auf- und nachweisverpflichteten Kinder selbst dient. Nach fachgerichtlicher Einschätzung bilden die Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission den medizinischen Standard ab, und der Nutzen der jeweils empfohlenen „Routineimpfung“ überwiegt das Impfrisiko […]. Regelmäßig ist damit die Vornahme empfohlener Impfungen dem Kindeswohl dienlich. Davon geht auch die fachgerichtliche Rechtsprechung für Sorgerechtsentscheidungen bei Streitigkeiten über empfohlene Schutzimpfungen zwischen gemeinsam sorgeberechtigten Eltern aus […]. Das lässt den Eingriff in das Gesundheitssorgerecht der Eltern zwar nicht entfallen. Deren Entscheidungen in Fragen der Gesundheitssorge für ihr Kind bleiben auch bei entgegenstehenden medizinischen Einschätzungen im Ausgangspunkt verfassungsrechtlich schutzwürdig. Da das Grundgesetz ihnen aber die Gesundheitssorge wie alle anderen Bestandteile der elterlichen Sorge im Interesse des Kindes ‒ insoweit zum Schutz seiner durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Gesundheit ‒ überträgt, ist es jedoch für die Eingriffstiefe von Bedeutung, wenn die Einschränkung der Gesundheitssorge ihrerseits nach medizinischen Standards gerade den Schutz der Gesundheit des Kindes fördert. […] Das Elternrecht bleibt ein dem Kind dienendes Grundrecht. Ein nach medizinischen Standards gesundheitsförderlicher Eingriff in die elterliche Gesundheitssorge wiegt weniger schwer als ein Eingriff, der nach fachlicher Einschätzung die Gesundheit des Kindes beeinträchtigte. Dieser objektiv vorhandene Impfvorteil für die Kinder mindert daher das Gewicht des Eingriffs in die elterliche Gesundheitssorge durch das Betreuungsverbot. […]

Eingriffsintensivierend wirkt dagegen unter einem anderen Aspekt des Elternrechts das bei ausbleibendem Impfnachweis geltende Betreuungsverbot aus § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG. Denn dadurch wird die Vereinbarkeit von Familie und Elternschaft mit der Erwerbstätigkeit der Eltern […] beeinträchtigt. […] Betroffene Eltern müssen daher entweder auf Betreuung außerhalb von Einrichtungen nach § 33 Nr. 1 und 2 IfSG ausweichen oder die eigene Erwerbstätigkeit umgestalten, um die Kinderbetreuung selbst wahrnehmen zu können. Daher geht mit dem Betreuungsverbot wegen der durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Freiheit von Eltern, ihr familiäres Leben nach ihren Vorstellungen zu planen und zu verwirklichen, ein nicht unerhebliches Eingriffsgewicht einher. Das Gewicht des Eingriffs in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG unter diesem Aspekt wird durch die Beeinträchtigung damit korrespondierender Rechtspositionen der Kinder verstärkt. […] Das Betreuungsverbot aus § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG versperrt aber betroffenen Kindern, auch den jeweiligen Beschwerdeführenden zu 3), die Wahrnehmung ihres Anspruchs, wenn die Eltern eine das Verbot auslösende Entscheidung zur Gesundheitssorge getroffen haben. Dem kommt Gewicht auch deshalb zu, weil nicht allein der dargestellte fachrechtlich eingeräumte Förderanspruch von Kindern betroffen ist, sondern wegen der in § 24 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 SGB VIII erfolgten Ausgestaltung auch das in Art. 2 Abs. 1 GG wurzelnde, gegen den Staat gerichtete Recht von Kindern auf Unterstützung und Förderung bei ihrer Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Person in der sozialen Gemeinschaft […].“

BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a., Rn. 134-139

Der Eingriff ist daher nicht besonders schwerwiegend, aber auch nicht unerheblich.

(2) Ausgleich der Interessen

In Bezug auf den Interessenausgleich lässt sich weitestgehend nach oben verweisen, die dort angeführten Argumente lassen sich hier erneut platzieren.

ee) Zwischenergebnis

Die gesetzliche Regelung stellt einen angemessenen Ausgleich her, der Eingriff ist im Wege praktischer Konkordanz gerechtfertigt.

4. Ergebnis

Auch der Eingriff in das Grundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ist gerechtfertigt

III. Gesamtergebnis

Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet, die Beschwerdeführer sind nicht in ihren verfassungsrechtlich geschützten Rechten verletzt.

C. Eine kurze und abschließende Summa

Die wesentlichen Kernaussagen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Eine Impfpflicht für Masern ist zumutbar, auch wenn nur ein Kombinationsimpfstoff zur Verfügung steht. Die Vorschrift ist verfassungskonform so auszulegen, dass nur die Kombinationsimpfstoffe verwendet werden dürfen, die im Zeitpunkt des Erlasses der Norm vorliegen. Ein Impfstoff, der ausschließlich Wirkstoffe gegen Masern enthält, wäre jedoch ein milderes und gleichgeeignetes Mittel, sobald diese in Deutschland verfügbar sind, müssen diese verimpft werden. Letztlich sind sowohl Eingriffe in das Elternrecht, aber auch Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit angesichts der staatlichen Schutzpflicht für vulnerable Gruppen – also für Menschen, die nicht durch eine Impfung geschützt werden können – gerechtfertigt. Dies dürfte auch auf eine denkbare Beeinträchtigung der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG zu übertragen sein. Auch mit Blick auf die Corona-Impfpflicht der in Gesundheitseinrichtungen tätigen Personen nach § 20a IfSG dürfte das BVerfG die entscheidenden Weichen gestellt haben.

18.08.2022/3 Kommentare/von Yannick Peisker
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Yannick Peisker https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Yannick Peisker2022-08-18 11:03:272022-08-18 15:18:28Masernimpfpflicht verfassungsmäßig – Klausurlösung
Dr. Yannik Beden, M.A.

BGH zum Mietrecht: Räumung nach Störung des Hausfriedens durch Besucher

Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Unter den Dauerschuldverhältnissen ist das Mietverhältnis wohl eines der beliebtesten, wenn es um die Zivilklausur im Staatsexamen geht. Die sich immer weiter ausdifferenzierende Rechtsprechung des BGH wird dabei mit jedem Jahr unübersichtlicher und komplexer. Wer in der Prüfungssituation den Überblick behalten will, sollte die aktuellste Rechtsprechung zum Mietrecht also kennen. Mit seinem Beschluss vom 25.08.2020 – VIII ZR 59/20 hat der BGH jüngst seine Judikatur zur Beendigung von Mietverhältnissen aufgrund von Störungen des Hausfriedens gefestigt – und dabei auch erneut darauf hingewiesen, dass Mieter sich auch das Verhalten von Besuchern zurechnen lassen müssen. Im Einzelnen:
I. Kurz zum Sachverhalt
Da die Entscheidung des BGH im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erging, ist der dem Beschluss zugrunde liegende Sachverhalt knapp gehalten. Ausgangspunkt des Rechtsstreits war ein Wohnraummietverhältnis, das seit dem Jahr 2006 bestand. Die Vermieterin kündigte das Mietverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich gegenüber der Mieterin. Die Mieterin wurde sodann zur Räumung ihrer Wohnung verurteilt. Das Gericht erachtete die ordentliche Kündigung als wirksam, da die Mieterin den Hausfrieden nachhaltig gestört habe. Gegen diese Entscheidung ging die Mieterin mit ihrem Antrag vor dem BGH vor. Ihrer Auffassung nach sei der Hausfrieden entgegen der Behauptungen ihrer Vermieterin nicht nachhaltig gestört worden, jedenfalls sei diesbezüglich die Rechtsprechung des BGH bislang nicht hinreichend differenziert worden.
II. Auszüge aus den Entscheidungsgründen
Was sagt der VIII. Senat des BGH hierzu? Das Gericht betonte, dass sowohl hinsichtlich der Störung des Hausfriedens durch den Mieter selbst als auch durch ein Verhalten Dritter, welches dem Mieter zugerechnet werden kann, in der Vergangenheit hinreichend ausgeurteilt sei. Zum tatsächlichen Vorbringen der klagenden Mieterin und der vorinstanzlichen Entscheidung führte es dabei aus:

„Vorliegend hat das Berufungsgericht nach einer Gesamtbetrachtung des Verhaltens der Beklagten sowie ihres häufig in der Wohnung als Besucher anwesenden Lebensgefährten den Hausfrieden als empfindlich gestört angesehen und hat sich diesbezüglich auf einen, von der Beklagten selbst geschilderten, „alten Streit“ mit den Mitmietern sowie auf zahlreiche einzelne Vorfälle gestützt, in deren Rahmen es zu Beleidigungen und Bedrohungen von Mitmietern gekommen sei, zuletzt der Bezeichnung eines Mitmieters durch den Lebensgefährten der Beklagten als „Du Arschloch“. Zulassungsrelevante Rechtsfehler oder klärungsbedürftige Gesichtspunkte sind dabei nicht zu erkennen.“

Die Mieterin hat im Laufe des Rechtsstreits vermehrt darauf abgestellt, dass Konflikte zwischen Mietparteien – jedenfalls ihrer Auffassung zufolge – zum Lebensalltag zu zählen seien, sie mithin kein derartiges Gewicht haben könnten, dass hierauf ein Kündigungsgrund gestützt werden könne. Insbesondere seien derartige Streitigkeiten zwischen Mitmietern nicht „nachhaltig“.
Dem hält der BGH entschieden entgegen:

„Dies trifft nicht zu. Eine nachhaltige Störung des Hausfriedens setzt voraus, dass eine Mietpartei die gemäß § 241 Abs. 2 BGB aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme folgende Pflicht, sich bei der Nutzung der Mietsache so zu verhalten, dass die anderen Mieter nicht mehr als unvermeidlich gestört werden, in schwerwiegender Weise verletzt.“

Das ist auch gefestigte Rechtsprechung. Der „Klassiker“ dürfte diesbezüglich das Urteil des BGH zum Zigarettendunst im Treppenhaus sein (BGH Urteil v. 18.02.2015 – VIII ZR 186/14). Dort entschied das Gericht, dass ein Mieter, der in seiner Wohnung raucht, auf Grund des mietvertraglichen Gebots der Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB gehalten sein kann, einfache und zumutbare Maßnahmen (etwa die Lüftung über die Fenster) zur Vermeidung einer Beeinträchtigung der Mitmieter zu ergreifen. Eine durch Verletzung einer solchen Rücksichtnahmepflicht verursachte Geruchsbelästigung der Mitbewohner kann nach Auffassung des BGH auch eine Störung des Hausfriedens darstellen, insbesondere wenn die Intensität der Beeinträchtigungen ein unerträgliches und/oder gesundheitsgefährdendes Ausmaß erreicht. Ob diese Umstände die weitere Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter unzumutbar machen und ihn deshalb zur fristlosen Kündigung berechtigen, sei im Wege der umfassenden Würdigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.
So viel also zur (gegenseitigen) Rücksichtnahmepflicht von Mietern. Wie aber verhält sich der Einwand der Mieterin zur Zurechnung von störendem Verhalten, welches von Dritten, insbesondere Besuchern ausgeht? Auch hier findet der BGH eine eindeutige Antwort:

„Schließlich ist die Revision auch nicht aus Gründen der Rechtsfortbildung zuzulassen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO), weil der Auffassung des Senats, wonach auch Besucher des Mieters, die sich mit dessen Einverständnis in der Wohnung aufhielten, im Hinblick auf die Einhaltung des Hausfriedens als dessen Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) anzusehen seien, so dass sich der Mieter dessen Verhalten zurechnen lassen müsse, in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden könne. Es bedürfe einer klarstellenden Leitentscheidung und der Klärung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Zurechnung erfolge […] Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Wie auch die Beklagte nicht verkennt, sind die Grundsätze hinreichend geklärt, unter denen sich ein Mieter das Verhalten von Besuchern (hier des Lebensgefährten) nach § 278 BGB zurechnen lassen muss und dieses demnach bei der Frage einer Vertragspflichtverletzung (§ 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB) zu Lasten des Mieters berücksichtigt werden kann. Ob die entsprechenden Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, entzieht sich einer typisierenden Festlegung.“

Blickt man in die jüngere Rechtsprechung des BGH, findet man an verschiedenen Stellen Ausführungen zur Frage, wann das Verhalten von Besuchern dem Mieter zuzurechnen ist. So geht etwas aus BGH Urteil v. 09.11.2016 – VIII ZR 73/16 hervor, dass Besucher, die sich im Einverständnis mit dem Mieter in einer Wohnung aufhalten, im Hinblick auf die Einhaltung des Hausfriedens als Erfüllungsgehilfe des Mieters anzusehen sind und dieser sich mithin das Verhalten seiner Besucher nach § 278 BGB zurechnen lassen muss. Dabei erstreckt sich die Zurechnung nicht nur auf „Freunde und Bekannte“ des Mieters. Auch sonstige Personen, die auf Veranlassung des Mieters mit der Mietsache in Berührung kommen, fallen unter den Anwendungsbereich von § 278 BGB, insbesondere also Handwerker und Dienstleister (hierzu BGH Urteil v. 21.05.2010 – V ZR 244/09). Auch unter diesem Gesichtspunkt gab es also keinen Anlass für eine neue höchstrichterliche Ausdifferenzierung der bereits bestehenden Judikatur.  
III. Was für die Klausur wichtig ist
Der BGH hat mit seiner Entscheidung die bereits bestehenden Eckpfeiler zur Kündigung aufgrund nachhaltiger Störung des Hausfriedens nochmals eingeschlagen. Wird in der Klausur abgeprüft, ob die (ordentliche) Kündigung des Vermieters rechtswirksam ist, muss im Rahmen von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB geprüft werden, ob das konkret in Rede stehende, störende Verhalten des Mieters bzw. eines Dritten eine „nicht unerhebliche Verletzung vertraglicher Pflichten“ darstellt.  Dabei muss dann Folgendes erkannt werden:
 

  • Eine Verletzung vertraglicher Nebenpflichten kann sich insbesondere aus einer Verletzung von § 241 Abs. 2 BGB ergeben, wenn der Mieter den Hausfrieden nachhaltig stört.

 

  • Aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme folgt die Pflicht, sich bei der Nutzung der Mietsache so zu verhalten, dass die anderen Mieter nicht mehr als unvermeidlich gestört werden. Ob die weitere Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter durch eine Störung des Hausfriedens unzumutbar wird und ihn deshalb zur fristlosen Kündigung berechtigt, ist stets im Wege der umfassenden Würdigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.

 

  • Auch Verstöße Dritter sind zu berücksichtigen. Das Verhalten von Dritten muss sich der Mieter nach § 278 BGB zurechnen lassen, wenn sich diese mit seinem Einverständnis in der Mietwohnung aufhalten oder auf dessen Veranlassung mit der Mietsache in Berührung kommen.

 
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05.11.2020/1 Kommentar/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2020-11-05 10:00:522020-11-05 10:00:52BGH zum Mietrecht: Räumung nach Störung des Hausfriedens durch Besucher
Gastautor

BGH: Wertersatzpflicht für übermäßige Prüfung der Sache bei Fernabsatzverträgen

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

Wichtige Neuigkeiten für Examenskandidaten und Online-Shopper: Die bisherige Rechtsprechung des BGH in Sachen Wertersatzpflicht bei Widerruf von Fernabsatzverträgen war für Verbraucher äußerst günstig. Sie sollen den bestellten Gegenstand ausgiebig in Augenschein nehmen und ausprobieren dürfen, ohne dafür nach ausgeübtem Widerrufsrecht dem Unternehmer etwas zahlen zu müssen. Dass dieses Recht nicht grenzenlos ist und insbesondere nicht darüber hinausgehen kann, inwieweit der Käufer die Sache beim klassischen Kauf in einem Ladengeschäft hätte prüfen können, hat der BGH nun in seinem Urteil vom 12.10.2016 klargestellt (Az. VIII ZR 55/15).
I. Der Sachverhalt
Der Kläger hatte 2012 über die Beklagte, einen Online-Shop für Autoteile, einen Katalysator mit Montagesatz für insgesamt 386,58 Euro bestellt. Nachdem der Katalysator geliefert worden war, brachte der Kläger ihn und sein Fahrzeug in eine Fachwerkstatt, wo der Katalysator eingebaut wurde. Daraufhin unternahm er eine Probefahrt mit dem neu ausgestatteten Wagen und musste feststellen, dass dieser nicht mehr die vorherige Leistung erbrachte. Dies veranlasste den Kläger dazu seine Willenserklärung hinsichtlich des Kaufvertrags fristgerecht zu widerrufen und den Katalysator zurückzusenden. An dem Katalysator waren inzwischen jedoch aufgrund des Einbaus und des Gebrauchs beim Betrieb des Fahrzeugs deutlich sichtbare Spuren entstanden. Für die Beklagte war der Katalysator dadurch wertlos geworden, weswegen sie die Aufrechnung mit einem entsprechenden Wertersatzanspruch erklärte und sich deshalb auch weigerte den Kaufpreis zurückzuerstatten. Während das Amtsgericht den Rückzahlungsanspruch vollumfänglich bejahte, entschied das Landgericht, dass die Beklagte gegen den Rückzahlungsanspruch wirksam mit einem Wertersatzanspruch gemäß § 357 Abs. 3 BGB a.F. wegen der am Katalysator eingetretenen Verschlechterungen aufgerechnet habe. Dieses Berufungsurteil wurde vom BGH aufgehoben und an das Landgericht zurückverwiesen.
II. Vorgehen in der Klausur
1. Anspruch des Käufers auf Rückerstattung entstanden
Ist in der Klausur nach der Begründetheit der Klage des Käufers gefragt, ist natürlich zunächst zu prüfen, ob ein etwaiger Anspruch des Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises entstanden ist. Anspruchsgrundlage ist vorliegend §§ 355 Abs. 3 S. 1, Abs. 1, 357 Abs. 1, 312g Abs. 1, 312c, 356 BGB. Anschließend kann kurz festgestellt werden, dass zunächst ein wirksamer Kaufvertrag über den Katalysator zustande gekommen ist und der Käufer diesen auch bereits bezahlt hat. Anschließend sind dann das Bestehen eines Widerrufsrechts und dessen wirksame Ausübung zu prüfen. In der konkreten Konstellation lag hierin kein Problem, in einer Examensklausur wird das aber selten der Fall sein, weshalb hier noch einmal die dabei zu prüfenden Punkte im Überblick dargestellt werden:
a) Eröffnung des Anwendungsbereichs der §§ 312 ff. BGB
aa) Vorliegen eines Verbrauchervertrages, § 312 Abs. 1 i.V.m. § 310 Abs. 3 BGB
bb) Entgeltliche Leistung des Unternehmers, § 312 Abs. 1 BGB
cc) Kein Ausschlusstatbestand, § 312 Abs. 3 BGB
b) Vorliegen eines Widerrufsrecht, §§ 312b ff. BGB (Hier §§ 312c Abs. 1, 312 g Abs. 1 Var. 1 BGB, da es sich um einen Fernabsatzvertrag handelt)
c) Kein Erlöschen des Widerrufsrechts, §§ 356 Abs. 4, 5 BGB
d) Wirksame Widerrufserklärung, § 355 Abs. 1 BGB
e) Einhaltung der Widerrufsfrist, § 355 Abs. 2, 356 Abs. 2-5 BGB
Gemäß § 357 Abs. 1 BGB sind die empfangenen Leistungen nach wirksam ausgeübten Widerruf innerhalb von 14 Tagen zurück zu gewähren, sodass der Käufer hier grundsätzlich einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises geltend machen konnte.
2. Aufrechnung mit Wertersatzanspruch
Hier hat jedoch der Verkäufer die Aufrechnung gem. §§ 387, 388 BGB mit einem Anspruch auf Wertersatz für die an dem Katalysator entstandenen Einbau- und Gebrauchsspuren erklärt. Voraussetzung dafür ist das Bestehen eines fälligen, durchsetzbaren und erfüllbaren Anspruchs im Gegenseitigkeitsverhältnis. Als Anspruchsgrundlage kommt hier §§ 357 Abs. 7 Nr. 1, 355 Abs. 1, 312g Abs. 1, 312c, 356 in Betracht. Dafür kommt es darauf an, ob „der Wertverlust auf einen Umgang mit den Waren zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise der Waren nicht notwendig war“. An dieser Stelle kommt es jetzt ganz auf eine gute Argumentation an. Andere bereits entschiedene Fälle können dabei zur Abgrenzung helfen.
In einem bekannten, ebenfalls vom BGH entschiedenen Fall (BGH v. 3.11.2010 – VIII ZR 337/09) hatte der Käufer online ein Wasserbett bestellt, dieses zuhause auch entsprechend befüllt und anschließend in drei Nächten darauf geschlafen. Nach wirksam erklärtem Widerruf schickte er das Wasserbett an den Händler zurück, der dieses nun nicht mehr weiterverkaufen konnte und deshalb ebenfalls Wertersatz verlangte. Hier argumentierte der BGH mit dem Zweck der wertersatzfreien Prüfmöglichkeit durch den Käufer, eine der Begutachtung im traditionellen Handel nahekommende Prüfung der Sache zu ermöglichen. Er stellte dementsprechend fest, dass der Kunde, wenn er das Wasserbett in einem Geschäft gekauft hätte, dieses zwar auch nicht hätte auspacken und aufbauen können, dass in einem Ladengeschäft aber regelmäßig Musterstücke ausgestellt sind, die der Kunde in Augenschein nehmen und ausprobieren kann.
Im vorliegenden Fall gestaltete sich aber gerade dieser Punkt anders. In seiner Pressemitteilung vom 12.10.2016 erklärte der BGH:

„Nach Auffassung des BGH ist dem Verbraucher beim Fernabsatz vor der Ausübung seines Widerrufsrechts kein wertersatzfreier Umgang mit der Kaufsache gestattet, der nicht nur zu Verschlechterung der Ware führe, sondern auch über die Maßnahmen hinausgehe, die zum Ausgleich ihm entgangener Erkenntnismöglichkeiten im stationären Handel erforderlich seien. (…) Jedoch sei eine Ware, die – wie vorliegend der Katalysator –bestimmungsgemäß in einen anderen Gegenstand eingebaut werden solle, für den Käufer auch im Ladengeschäft regelmäßig nicht auf ihre Funktion im Rahmen der Gesamtsache überprüfbar. Den streitgegenständlichen Katalysator hätte der Kläger im stationären Handel nicht – auch nicht in Gestalt eines damit ausgestatteten Musterfahrzeugs – dergestalt ausprobieren können, dass er dessen Wirkungsweise auf sein oder ein vergleichbares Kraftfahrzeug nach Einbau hätte testen können. Vielmehr wäre der Kläger bei einem Kauf im stationären Handel darauf beschränkt gewesen, das ausgewählte Katalysatormodell oder ein entsprechendes Musterstück eingehend in Augenschein zu nehmen und den Katalysator mit Alternativmodellen oder dem bisher verwendeten Teil zu vergleichen. Darüber hinaus hätte er sich beim Verkaufspersonal gegebenenfalls über die technische Daten des ausgewählten Modells erkundigen und sich über dessen Vorzüge oder Nachteile gegenüber anderen Modellen fachkundig beraten lassen können. Die vom Kläger ergriffenen Maßnahmen gingen über die Kompensation solcher ihm entgangener Erkenntnismöglichkeiten im Ladengeschäft hinaus.“

Im Gegensatz zu der Sachlage im Wasserbett-Fall, hat der Kunde hier die Kaufsache also in einer Weise ausprobiert, die ihm auch beim klassischen Kauf im Geschäft nicht eröffnet gewesen wäre. Der Käufer beim Fernabsatzvertrag soll aber durch das besondere Widerrufsrecht nicht besser gestellt werden, sondern nur die gleichen Möglichkeiten wie ein gewöhnlicher Käufer erhalten. Deshalb bejaht der BGH hier zu Recht das Bestehen eines Wertersatzanspruchs, mit dem der Verkäufer aufrechnen kann.
IV. Fazit
Es handelt sich bei dem entschiedenen Sachverhalt um eine klassische Konstellation zum Verbraucherwiderrufsrecht. Hier liegt zwar der Schwerpunkt des Falles einzig auf der Wertersatzpflicht, dieser lässt sich aber problemlos beispielsweise durch Fristprobleme, insbesondere im Zusammenhang mit der Widerrufsbelehrung ergänzen. Im Übrigen kann die Frage nach der übermäßigen Prüfung der Kaufsache natürlich auch auf andere Gegenstände übertragen werden, sodass sie sich auch gut in andere (Examens-)Fälle einbauen lässt. Examenskandidaten können dabei mit einer Orientierung an den hier vorgestellten Konstellationen und einer an der Lebenswirklichkeit angeknüpften Argumentation überzeugen.
Autorin des Beitrags ist Sabine Vianden aus Bonn. Sabine hat nach Ihrem erfolgreichen Ersten Staatsexamen im Sommer 2016 den Schwerpunktbereich beendet und promoviert aktuell zu einem arbeitsrechtlichen Thema am Lehrstuhl von Professor Thüsing in Bonn, wo Sie auch als Mitarbeiterin tätig ist.

14.10.2016/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2016-10-14 14:45:122016-10-14 14:45:12BGH: Wertersatzpflicht für übermäßige Prüfung der Sache bei Fernabsatzverträgen
Dr. Christoph Werkmeister

Notiz: Falsche Angabe der Wortzahl als Täuschungshandlung bei Abi-Arbeiten

Rechtsprechung, Schon gelesen?, Verwaltungsrecht

Das VG Darmstadt hatte sich in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit der Frage auseinander zu setzen, inwiefern die falsche Angabe der Wortzahl in einer Abi-Klausur eine Täuschungshandlung darstellen kann (Beschluss vom 27.05.2014 – 3 L 890/14.DA). Hintergrund ist, dass Schüler am Ende von bestimmten Abi-Arbeiten ihre Wörter zählen sollen, damit der bewertende Lehrer (beispielsweise bei Englisch-Arbeiten) einen Fehlerquotienten bilden kann. Im zu entscheidenden Fall hatte ein Schüler die Anzahl der geschriebenen Wörter in einer seiner Arbeiten mit 2.149 Wörtern statt tatsächlich 1.679 Wörtern angegeben. Aufgrund dieser Falschangabe sollte der Schüler nicht für die mündliche Abiturprüfung zugelassen werden.

Rechtlicher Aufhänger

Rechtlich aufgehangen war die Angabe der falschen Wortzahl im zu entscheidenden Fall an der Norm des § 30 der Oberstufen- und Abiturverordnung des Landes Hessen (OAVO). Die Vorschrift regelt, dass beim Vorliegen einer „schwerwiegenden Täuschung“ das Nichtbestehen der Abiturprüfung gerechtfertigt sein kann. Nach Auffassung des Gerichts stellte die fehlerhafte Angabe der Anzahl der Wörter in schriftlichen Abi-Arbeiten allerdings keine Täuschungshandlung dar.  Eine Täuschungshandlung läge nur dann vor, wenn das Zählen der Wörter aufgrund von Bestimmungen der vorgenannten OAVO eine Obliegenheit der Prüflinge gewesen wäre. Das Wörterzählen war nach der hessischen Abiturverodnung oder sonstigen schulrechtlichen Vorgaben jedoch nicht vorgeschrieben. Es handelte sich beim Wörterzählen folglich nicht um eine prüfungsrelevante Leistung.

Das Gericht wies des Weiteren darauf hin, dass die Anordnung des Wörterzählens in einem behördlichen Erlass nicht als rechtliche Vorgabe ausreichen würde. Einem bloßen Erlass bzw. einer Verwaltungsvorschrift komme nämlich keine Rechtsnormqualität zu, die erforderlich wäre, um derartige Prüfungsvorgaben zu regeln.

Examensrelevanz

Der hier beschriebene Fall bietet hervorragenden Diskussionsstoff für anstehende mündliche Prüfungen. Zum Einen kann hier (unabhängig davon, in welchem Bundesland der Fall gestellt wird) die Auslegung und Subsumtion einer unbekannten Rechtsnorm veranschaulicht werden. Zum anderen können Klassiker, wie das Sonderrechtsverhältnis (dazu hier), die Rechtsnormqualität von behördlichen Erlässen und Verwaltungsvorschriften (dazu hier)  oder allgemeine Grundsätze des Schul- und Prüfungsrechts abgefragt werden. Zum Prüfungsrecht sei insofern die weiterführende Lektüre der folgenden Beiträge empfohlen:

  • Beurteilungsspielräume in der Klausur
  • Zur gerichtlichen Kontrolle von Prüfungsentscheidungen

Im Hinblick auf die examensrelevanten Problemkreise, die im Schulrecht eine Rolle spielen können, sei exemplarisch auf die folgenden Beiträge verwiesen:

  • Klagebefugnis im Schulrecht
  • Einführung eines Schulfachs „Ethik“
  • Meinungsumfrage über Lehrer im Internet
  • Religionsausübung in der Schule
  • Hausverbot für den Vater eines Schülers
30.05.2014/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2014-05-30 09:00:322014-05-30 09:00:32Notiz: Falsche Angabe der Wortzahl als Täuschungshandlung bei Abi-Arbeiten
Redaktion

Die mündliche Prüfung- Wir fragen, Prüfer antworten

Examensvorbereitung, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Startseite, Verschiedenes

Die mündliche Prüfung ist für die Examensnote genauso wichtig wie das schriftliche Examen. Für viele Kanditaten stellt sie aber häufig Neuland dar, findet sie in der universitäten Ausbildung ja kaum statt. Umso größer sind die Fragen, die so manch einen vor der Prüfung plagen. Um euch einen Einblick zu geben, was für die mündliche Prüfung wichtig sein kann und welche Vorstellungen die Prüfer/innen eigentlich haben, möchten wir verschiedene Prüfer für euch interviewen.
 
Heute gibt uns Herr Prof. Dr. Martin Avenarius als regelmäßiger Prüfer einen Einblick.
Prof. Dr. Martin Avenarius ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Römisches Recht und Neuere Privatrechtsgeschichte an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Daneben ist er u.a. Mitglied der Justizprüfungsämter bei den Oberlandesgerichten Köln und Düsseldorf und Vertrauensdozent der Hanns-Seidel-Stiftung.
 
1. Wie bereiten Sie sich auf die Kandidaten vor? Nehmen Sie Einsicht in die Prüfungsakte?
Über den Inhalt der Prüfungsakte berichtet der Kommissionsvorsitzende erst am Tag der mündlichen Prüfung. Die Ergebnisse der Klausuren kennen die Prüfer aber schon etwas länger. Dies ermöglicht es, sie bei der Vorbereitung des Prüfungsgesprächs zu berücksichtigen, um auf jeden Kandidaten angemessen eingehen zu können. Wer z.B. um das Bestehen ringt, muss fairerweise anders gefragt werden als jemand, der vielleicht Aussichten auf ein gutes Gesamtergebnis hat und zeigen möchte, dass er besonders qualifiziert ist. So kann man schwächeren Kandidaten mit zunächst einfacheren Aufgaben ihre Chance geben, um sie nicht von vornherein zu überfordern, während stärkere die Möglichkeit bekommen, mit anspruchsvolleren Gedanken zu glänzen. Im übrigen ergibt sich aus den Vornoten keineswegs eine Tendenz hinsichtlich des Erfolgs in der mündlichen Prüfung. Hier besteht also Raum für erfreuliche Überraschungen.
 
2. Welchen Einfluss hat das Vorgespräch auf die spätere mündliche Prüfung? Welchem Zweck dient es aus Ihrer Sicht?
Das Vorgespräch wird mit dem Vorsitzenden geführt, der darüber in der Kommission berichtet. Es vermittelt einen Eindruck von der Persönlichkeit des Kandidaten. Dieser kann sich hier zu seinen Zukunftsplänen oder Interessenschwerpunkten äußern und allfällige Probleme (etwa sprachliche Schwierigkeiten oder besondere Prüfungsangst) benennen. Auch kann er ggf. darauf hinweisen, wenn er meint, dass seine schriftlichen Arbeiten sein wirkliches Leistungsniveau nicht widerspiegeln; man kann dem dann in der mündlichen Prüfung durch geeignete Fragen nachgehen.
 
3. Welche Rolle spielen die erzielten Vornoten aus dem schriftlichen Examensteil?
Ihre Kenntnis ist wichtig, damit man das Prüfungsgespräch in angemessener Weise planen und durchführen kann (s.o. 1.). Auch können Klausuren, die dem Kandidaten ausnahmsweise misslungen sind, bewirken, dass das rechnerische Gesamtergebnis der Prüfung hinter einem günstigeren Eindruck zurückbleibt, den die Kommission vom Leistungsstand des Kandidaten gewinnt. In solchen Sonderfällen ist eine Korrektur der Gesamtnote möglich.
 
4. Viele Prüflinge sind unsicher, was Sie anziehen sollen. Wie sollte man sich am besten kleiden?
Förmlich und zurückhaltend. Kandidaten sollten dadurch zum Ausdruck bringen, dass sie die Prüfung ernst nehmen. Die Prüfer tun es ebenso.
 
5. Wie bereiten Sie sich selbst auf eine mündliche Prüfung vor?
Ich konzipiere normalerweise einen oder zwei kurze Fälle, die im Gespräch gelöst werden sollen, und notiere mir, welche Gegenstände dabei möglichst erörtert werden sollten. Gerne wähle ich Themen, die kleine Exkurse zu den Grundlagen des Rechts erlauben. Auch für den Fall, dass am Ende der Teilprüfung noch Zeit bleibt, notiere ich mir einige Grundfragen. Ich nehme mir vor der Prüfung auch Zeit für die Auseinandersetzung mit der Aufgabe, die jeweils als Gegenstand des Kurzvortrags vorgesehen ist.
 
6. Was empfehlen Sie einem Kandidaten, um sich gut vorzubereiten?
Mit der Vorbereitung sollte man keinesfalls erst unmittelbar vor der Prüfung beginnen, man sollte sie vielmehr langfristig betreiben. Sehr wichtig ist es, das Fach mit seiner ganzen Schwierigkeit von Beginn des Studiums an ernst zu nehmen. Es genügt selbstverständlich nicht, im letzten Moment – z.B. mit Rücksicht auf die Zusammensetzung der Prüfungskommission – das Kurzzeitgedächtnis mit irgendwelchen Einzelheiten anzureichern. Entscheidend ist, ob der Prüfling über die Ausbildung hinaus, also über das bloße juristische Handwerk, das schwierig genug ist, auch als juristisch gebildete Persönlichkeit gereift ist, der man zutraut, dass er später gesellschaftliche Verantwortung übernehmen kann. Die mündliche Prüfung erlaubt in dieser Hinsicht klarere Eindrücke als schriftliche Leistungen. Erst wenn also die kritische Selbstvergewisserung zu dem Eindruck führt, dass die nötige Reife erreicht ist, dann sollte man ins Examen gehen, und keinesfalls allein deswegen, weil der Freiversuchs-Termin bevorsteht.
Natürlich kann man auch ganz konkrete Maßnahmen ergreifen, um die Aussichten zu verbessern. Hierzu gehört etwa das Einüben von Kurzvorträgen, insbesondere mit Rücksicht auf das Zeitmanagement, oder die Orientierung über aktuell diskutierte Rechtsprobleme.
 
7. Wie sollte ein Prüfling reagieren, wenn er eine Frage nicht richtig verstanden hat?
Nachfragen. Soviel Zeit steht immer zur Verfügung, und Prüfer sind nach meiner Erfahrung immer geduldig und freundlich. Man versucht selbstverständlich zu vermeiden, dass das Prüfungsgespräch durch Mißverständnisse belastet wird.
 
8. Sollte man mit dem Prüfer diskutieren, wenn er der eigenen Rechtsansicht widerspricht?
Ich finde es geradezu erfreulich, wenn die Rechtskenntnis eines Kandidaten qualifiziert und sein Auftreten selbstbewußt genug ist, dass er seinen Standpunkt mit Gründen behaupten kann. Auch der fertige Jurist wird, um dem Recht verantwortlich dienen zu können, in der Lage sein müssen, im juristischen Streitgespräch kritisch zu argumentieren. Abwegige Vorstellungen oder methodisch unzulässig entwickelte Gedanken werden dadurch freilich nicht richtiger. Wenn der Prüfer also klar signalisiert, dass ein bestimmter Standpunkt falsch sei, sollte man nicht insistieren.
 
9. Was sind Ihrer Meinung nach die 3 Top-Fehler, die ein Kandidat begehen kann?
Unkritische Nutzung des Freiversuchs, Vernachlässigung der Grundlagen des Rechts, unsorgfältiger Umgang mit Gesetz, Sachverhalten und Methoden. Die Folgen sind nicht nur generell fatal, sondern können gerade in der mündlichen Prüfung unverschleiert zutage treten.
 
10. Haben Sie eine lustige oder kuriose Anekdote aus Ihrem bisherigen “Prüferleben”, die Sie uns preisgeben möchten?
Lieber nicht. Was auf der einen Seite des Tisches u.U. kurios wirken kann, mag für die andere Seite fatale Folgen haben. Man sollte nicht vergessen, dass das Staatsexamen eine ernste Angelegenheit ist. Nur scheinbar kurios, in Wahrheit aber besonders unangenehm kann es sein, wenn beide Seiten völlig unterschiedliche Vorstellungen vom wünschenswerten Niveau des juristischen Fachgesprächs haben.
 
Wir bedanken uns herzlich für die Antworten.

04.11.2013/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2013-11-04 09:00:042013-11-04 09:00:04Die mündliche Prüfung- Wir fragen, Prüfer antworten
Tom Stiebert

Juraexamen in Deutschland – Wo ist es einfach/ wo ist es schwer: Ein Ländervergleich

Examensvorbereitung, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Anlässlich der kontrovers geführten Diskussion zum Thema „Abschichten“ anhand eines Beitrags auf unserer Seite sollen einmal die unterschiedlichen Prüfungsvoraussetzungen zur staatlichen Pflichtfachprüfung im Ersten Examen (also zum nicht-universitären Teil des Staatsexamens, ohne den schwer vergleichbaren Schwerpunktbereich) aufgezeigt werden. Eine Wertung wird dabei bewusst nicht vorgenommen. Vielmehr soll sich jeder seine eigene Meinung zu diesem Thema bilden (und diese auch gerne hier kundtun). Zudem kann diese Übersicht auch Anlass dafür bieten die Studienortwahl (zumindest für das Examen) nochmals zu überdenken.
Zur besseren Vergleichbarkeit werden auch die Durchfallquoten und Prädikatsquoten (Stand 2011) dargestellt. Weitere interessante Statistiken findet ihr hier.
 
I. Baden-Württemberg (20% Prädikat/ 35% durchgefallen)

Zwei Prüfungstermine pro Jahr; 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S);
Schriftl. Prüfung 70%; Mdl. Prüfung 30 %, Gespräche in allen drei Rechtsgebieten
Freischuss (bis 8. Semester); Notenverbesserungsversuch auch ohne Freischuss (wenn Stex bis 10. Sem.; binnen zwei Semestern); sonst nur Wiederholung, wenn durchgefallen
Unterstreichungen, Verweise im Gesetz zulässig
 
II. Bayern (12,8%/ 27,5%)

Zwei Prüfungstermine pro Jahr; 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S);
Schriftl. Prüfung 75%, Mdl. Prüfung 25%; Gespräche in allen drei Rechtsgebieten
Freischuss (bis 8. Semester); Notenverbesserungsversuch auch ohne Freischuss (binnen zwei Semestern); sonst nur Wiederholung, wenn durchgefallen
Unterstreichungen, Verweise im Gesetz zulässig
 
III. Berlin (19,2%/24%)

Zwei Prüfungstermine pro Jahr; 7 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 2 S)
Schriftl. Prüfung 63%, Mdl. Prüfung 37% (13% 3 x 8%); Vortrag (10 Minuten ggf. Kurzgespräch; freie Wahl Rechtsgebiet) Gespräche in allen drei Rechtsgebieten
Freischuss (bis 8. Semester); sonst nur Wiederholung, wenn durchgefallen
Keine Unterstreichungen, Verweise im Gesetz zulässig
 
IV. Brandenburg (17%/28%)

siehe Berlin (Gemeinsames Prüfungsamt seit 2005)
 
V. Bremen (10,3%/32%)

Zwei Prüfungstermine pro Jahr, 6 Klausuren (3 Z [davon 1 Nebengebiet], 2 Ö, 1 S)
Schriftl. Prüfung 70%, Mdl. Prüfung 30 %; Gespräche in allen drei Rechtsgebieten
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserungsversuch auch ohne Freischuss; sonst nur Wiederholung, wenn durchgefallen
Unterstreichungen, Verweise im Gesetz zulässig
 
VI. Hamburg (24,5%/16,7%)

Sechs Klausurtermine pro Jahr; 6 Klasuren (3 Z, 2 Ö, 1 S)
75% Schriftl. Prüfung, 25% Mdl. Prüfung (Vortrag Gespräche in allen Rechtsgebieten)
Freischuss bis 9. Semester (Neuregelung von 2012); Notenverbesserung ohne Freischuss nicht möglich, Wiederholung nur, wenn durchgefallen
Unterstreichungen, Verweise im Gesetz zulässig
 
VII. Hessen (16,5%/27,5%)

Drei Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (2 Z, 1 Nebengebiet, 2 Ö, 1 S)
2/3 Schriftl. Prüfung, 1/3 Mdl. Prüfung (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserung auch ohne Freischuss, wenn Examensmeldung bis. 10. Semester (Kosten 400 Euro); sonst nur Wiederholung, wenn durchgefallen
Unterstreichungen, Markierungen unzulässig
 
VIII. Mecklenburg-Vorpommern (8%/40,5%)

2 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S)
70 % Schriftl. Prüfung, 30 % Mdl. Prüfung (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserung sonst nicht möglich; Wiederholung nur, wenn durchgefallen
Unterstreichungen, Markierungen unzulässig
 
IX. Niedersachsen (17,6%/23,3%)

4 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S)
64 % Schriftl. Prüfung; 36 % Mdl. Prüfung (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; einmalige Notenverbesserung auch ohne Freischuss möglich; sonst Wiederholung nur, wenn durchgefallen
Abschichten bis zum 8. Semester möglich (Aufsplitten in zwei Abschnitte, bis max. 8. Semester)
Verweisungen (5 pro Seite) und Markierungen zulässig
 
X. Nordrhein-Westfalen (14,8%/32%)

10 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S)
60 % Schriftl. Prüfung; 40 % Mdl. Prüfung (Vortrag und Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserung nicht möglich; Wiederholung nur, wenn durchgefallen
Besonderheit: Abschichten: Meldung vor Abschluss 7. Semester; Aufsplitten der Rechtsgebieten bis zum Abschluss 8. Semester
Verweisungen, Markierungen, Unterstreichungen unzulässig
 
XI. Rheinland-Pfalz (15%/28,5%)

2 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S)
2/3 Schriftl. Prüfung; 1/3 Mdl. Prüfung (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserung möglich; Wiederholung, wenn durchgefallen
Unterstreichungen zulässig; Verweisungen unzulässig
 
XII. Saarland (18,1%/29,1%)

4 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S)
ca. 70 % schriftl. Prüfung (900/1275); ca. 30 % Mdl. Prüfung (375/1275) (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserung möglich; Wiederholung, wenn durchgefallen
Unterstreichungen zulässig; Verweisungen unzulässig
 
XIII. Sachsen (12,2//39,2%)

2 Klausurtermine pro Jahr; 5 Klausuren (2 Z, 2 Ö, 1 S)
2/3 schriftl. Prüfung, 1/3 Mdl. Prüfung (Vortrag Schlüsselqualifikationen und Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserung möglich; Wiederholung, wenn durchgefallen
Unterstreichungen und Verweisungen unzulässig
 
XIV. Sachsen-Anhalt (19,5%/16,7%)

2 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (2 Z, 2 Ö, 2 S)
60% schriftl. Prüfung, 40% Mdl. Prüfung (Vortrag und Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserung möglich (Kosten 300 Euro); Wiederholung, wenn durchgefallen
Verweisungen und Unterstreichungen zulässig
 
XV. Schleswig-Holstein (10,2%/32,5%)

2 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (2 Z, 1 Nebengebiete, 2 Ö, 1 S)
2/3 schriftl. Prüfung, 1/3 Mdl. Prüfung (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 7. Semester bzw. bis 8. Semester (wenn Schwerpunkt beendet); Notenverbesserung nur bei Freischuss; Wiederholung, wenn durchgefallen
 
XVI. Thüringen (12,4%/28,5%)

2 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (2 Z, 2 Ö, 1 S, 1 S oder Z nach Wahl des JPA)
65% schriftl. Prüfung, 35% Mdl. Prüfung (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten und Grundlagenfach oder Prozessrecht)
Feischuss bis 8. Semester;
Unterstreichungen und Verweisungen nicht zulässig; Notenverbesserung nur bei Freischuss; Wiederholung sonst nur, wenn durchgefallen
 
Man sieht also, dass punktuell doch starke Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern bestehen. Es bleibt damit jedem selbst überlassen, diese als so gravierend einzuschätzen, dass sich ein Wechsel der Universität (bzw. des Bundeslandes) lohnt.
Alle Angaben ohne Gewähr

21.05.2013/25 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2013-05-21 15:00:022013-05-21 15:00:02Juraexamen in Deutschland – Wo ist es einfach/ wo ist es schwer: Ein Ländervergleich
Dr. Stephan Pötters

Mündliche Prüfung: Fragen zur Rechtsgeschichte

Lerntipps, Mündliche Prüfung, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Prüfungsrelevanz
Rechtsgeschichtliche Fragen sind ein beliebter Stoff im Rahmen der mündlichen Prüfung. In den schriftlichen Klausuren tauchen sie im Prinzip nie auf, für das Prüfungsgespräch eignen sie sich hingegen hervorragend um die Allgemeinbildung des Kandidaten zu testen. Außerdem können Fragen zur Rechtsgeschichte von den Prüfern auch gut als „Lückenfüller“ genutzt werden, wenn gegen Ende des Prüfungsgesprächs noch ein paar Minuten überbrückt werden müssen.
Besser kein Risiko eingehen
Natürlich gibt es auch Prüfungstage, an denen überhaupt keine rechtsgeschichtlichen Fragen gestellt werden. Gleichwohl wäre es fahrlässig sich überhaupt nicht auf diese Eventualität vorzubereiten. Besonders hoch ist natürlich die Wahrscheinlichkeit, wenn sich aktuell wichtige Ereignisse der Rechtsgeschichte jähren. Wer etwa im Mai zur Prüfung geladen ist, sollte den „Geburtstag“ des Grundgesetzes im Auge behalten und seine Kenntnisse zur Entstehungsgeschichte unserer Verfassung auffrischen.
Klassische Themenfelder
Wer also gut auf die mündliche Prüfung vorbereitet sein will, sollte zumindest zu den wichtigsten Meilensteinen der (Rechts-) Geschichte und den entsprechenden Eckdaten, Hauptakteuren und Hintergründen über grundlegende Kenntnisse verfügen. Folgende Themenfelder sind meines Erachtens besonders relevant (jeweils mit einigen Stichworten):

  • Entstehungsgeschichte des BGB: Vorgängerregelungen, Kodifikationsstreit, Lex Miquel-Lasker, erste und zweite Kommission, Liberalismus
  • Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes: Sechs-Mächte-Konferenz, Frankfurter Dokumente, Rittersturz-Konferenz, Parlamentarischer Rat, Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, Genehmigung durch die Länder
  • Wesentliche Ereignisse und Änderungen des GG nach seinem Inkrafttreten
  • Wichtige Unterschiede zwischen GG und WRV
  • Strafrechtsgeschichte: Germanisches Stammesrecht, Sachsenspiegel, Constitutio Criminalis Carolina, Abschaffung der Folter, Preußisches Allgemeines Landrecht
  • Geschichte der Staatsanwaltschaft
  • Geschichte der EU: Verträge und Vertragsreformen, Erweiterungsrunden
  • Weitere wichtige Gesetze und deren Inkrafttreten
  • Berühmte Juristen und Personen der Zeitgeschichte

Diese kurze Liste erhebt selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit! Sie ist vielmehr als Denkanstoß zu verstehen welche Themenfelder relevant werden könnten. Durch die Prüfungsprotokolle kann erschlossen werden, ob ein Prüfer gerne rechtsgeschichtliche Fragen stellt und zu welchem Bereich.
Literaturtipps
Angesichts der recht knapp bemessenen Vorbereitungszeit auf die mündliche Prüfung ist es wohl in der Regel zeitlich kaum möglich komplette Lehrbücher zur Rechtsgeschichte durchzuarbeiten. Allenfalls dann, wenn sich ein bestimmter Themenbereich aufdrängt (z.B. bei einem Grundgesetzjubiläum o.ä.), könnte sich hier eine längere Recherche lohnen. Alternativ kann für einen knapperen Überblick auf folgende Literatur zurückgegriffen werden:

  • Im Buch Pötters/Werkmeister, Basiswissen Jura für die mündlichen Prüfungen, § 3, bieten wir einen Überblick zu den genannten Themenfeldern sowie eine Reihe von klassischen Fragen, die sich zur Simulation des Prüfungsgesprächs in der Lerngruppe eignen.
  • Zur Entstehungsgeschichte des BGB empfiehlt sich der sehr gelungene Überblick im MüKo-BGB, Säcker, Band 1/1, Einleitung Rn. 8 ff.; ferner Ennuschat/Kresse/Prange, JA 1995, 47 ff.;
  • Zur Entstehungsgeschichte des GG vgl. Kröger, NJW 1989, 1318; vgl. auch Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 3; Sachs, NJW 2009, 1441;
  • Zu den Unterschieden zwischen WRV und GG vgl. von Lewinski, JuS 2009, 505;
  • Zur Strafrechtsgeschichte im MüKo-StGB, Duttke, Band 1, 1. Aufl. 2003, § 15 Rn. 42 ff.;
  • Zur Staatsanwaltschaft vgl. Becker, JuS 1985, 338 ff.;
  • Zum europäischen Integrationsprozess Herdegen, Europarecht, 13. Aufl. 2011, § 4, S. 42 ff.; Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 4.

09.06.2012/2 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2012-06-09 10:00:382012-06-09 10:00:38Mündliche Prüfung: Fragen zur Rechtsgeschichte
Dr. Christoph Werkmeister

Examensklausur darf nicht allein wegen Kontaktaufnahme mit Prüfer mit «ungenügend» bewertet werden

Öffentliches Recht, Verschiedenes

Beck-aktuell berichtet über ein interessantes Urteil des BVerwG (Urteil v. 21.03.2012, Az. 6 C 19.11), wonach eine Examensklausur nicht allein wegen der Kontaktaufnahme mit einem der Prüfer mit „ungenügend“ bewertet werden darf.

Im entschiedenen Fall verfehlte die Klägerin aufgrund der Ergebnisse ihrer schriftlichen Prüfungsleistungen die Zulassung zur mündlichen Prüfung und legte hiergegen Widerspruch ein. Sie rief den Prüfer einer ihrer Klausuren an, der vom Landesjustizprüfungsamt wegen ihres Widerspruchs mit einer Überprüfung seiner Benotung beauftragt worden war. Hierbei erbat sie nähere Erläuterungen zu den Gründen der Notenvergabe. Das sächsische Justizprüfungsamt sah hierin einen nach der sächsischen Justizausbildungs- und Prüfungsordnung unzulässigen Beeinflussungsversuch und setzte die Note der Klausur unter Abbruch des Prüfungsverfahrens nachträglich auf «ungenügend (0 Punkte)» herab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen an, die notwendige Unbefangenheit des Prüfers im Rahmen der Überprüfung der vergebenen Benotung sei mit dem Anruf beeinträchtigt worden, da die Kandidatin ihn davon in Kenntnis gesetzt habe, dass sie bereits zum zweiten Mal an der Prüfung teilnehme und unter anderem wegen seiner Benotung nicht die hinreichende Punktezahl erreicht habe, um zur mündlichen Prüfung zugelassen zu werden. Das Verwaltungsgericht hat diese Entscheidung aufgehoben und das Landesjustizprüfungsamt zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens verpflichtet. Auf die hiergegen eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht die Klage der Kandidatin abgewiesen (mehr dazu hier).

Wir berichteten bereits über einen ähnlichen Fall, bei dem insbesondere fraglich war, inwiefern ein privates Verhältnis zu einem Prüfer eine Herabstufung der Note rechtfertigt (siehe dazu hier).

27.03.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-03-27 19:24:102012-03-27 19:24:10Examensklausur darf nicht allein wegen Kontaktaufnahme mit Prüfer mit «ungenügend» bewertet werden
Dr. Christoph Werkmeister

Rechtsstreit ums Juraexamen – Kampf um jede Kommastelle

Schon gelesen?, Verschiedenes

Einen netten Beitrag zu dem heiklen Thema der Prüfungsanfechtung bei juristischen Staatsexamina findet Ihr hier bei FAZ.net. Das Fazit des Artikels könnte man wie folgt zusammenfassen: Nicht jede erfolgreiche Klage führt zum Erfolg…

17.02.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-02-17 08:08:362012-02-17 08:08:36Rechtsstreit ums Juraexamen – Kampf um jede Kommastelle

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