Das BVerwG entschied kürzlich einen äußerst examensrelevanten Sachverhalt (Urteil vom 07.11.2012 – 8 C 28.11). In der Sache ging es um die Frage, ob ein Schornsteinfeger als “zuverlässig” i.S.d. § 11 Abs. 2 Nr. 1 Schornsteinfegergesetz (SchfG) einzustufen ist, wenn er sich aktiv für die NPD engagiert und wenn er sich außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit aktiv bei antisemitischen Hetzkampagnen beteiligt.
Die Vorinstanz
Die Vorinstanz, das OVG Magdeburg (siehe dazu hier), verneinte diese Frage noch. Verhalten im privaten Bereich könne sich nur dann auf die Zuverlässigkeit i.S.d. SchfG auswirken, soweit die Aufgabenwahrnehmung als Schornsteinfeger dadurch vernachlässigt würde. Eine besondere Verfassungstreue war nach Ansicht des OVG Madgeburg keine notwendige Voraussetzung, um den Beruf des Schornsteinfegers ordnungsgemäß auszuüben. Auch wenn ein Bezirksschornsteinfeger öffentliche Aufgaben ausführe, sei er kein Beamter i.S.d. Art. 33 Abs. 5 GG, so dass er aufgrund dessen auch keiner besonderen Pflicht zur Verfassungstreue unterliege.
Die Auffassung des BVerwG
Das BVerwG folgte einer anderen Auffassung und hob das Urteil der Vorinstanz auf.
Das außerberufliche Verhalten dürfe bei der Beurteilung, ob der Kläger verlässlich die Gewähr dafür biete, dass er bei der Ausübung seines Berufes die geltende Rechtsordnung und namentlich die Grundrechte seiner Kunden beachten wird, nicht ausgeblendet werden. Zwar unterlägen Bezirksschornsteinfegermeister nicht einer Pflicht zur Verfassungstreue, wie sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Beamten vorausgesetzt werde. Anders als sonstige Gewerbetreibende seien sie aber bei der Feuerstättenschau, der Bauabnahme sowie der Überprüfung auf eine rationelle Energieverwendung mit öffentlichen Aufgaben betraut (beliehen) und als solche Glied der öffentlichen Verwaltung. Insofern unterlägen sie der allgemeinen Rechtsgebundenheit der Verwaltung und müssten insbesondere die Grundrechte ihrer Kunden beachten.
Durch seine jahrelange aktive Beteiligung an den „Totenehrungen“ für die Mörder Walther Rathenaus in Saaleck habe der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass für ihn selbst schwerste und zudem antisemitische Straftaten billigenswert und die Täter gar verehrungswürdig seien, sofern sie den von ihm für richtig gehaltenen Zielen dienten. Walther Rathenau sei in der Weimarer Republik wegen seines jüdischen Glaubens Ziel hasserfüllter antisemitischer Hetzkampagnen gewesen („Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau!“), was dem Kläger bekannt sei. Zudem habe der Kläger mit der Kranzniederlegung die nationalsozialistische Wertung des Rathenau-Mordes übernommen, was auch in dem Kranzschleifenaufdruck zum Ausdruck gekommen sei, den die NS-Machthaber 1933 als Inschrift auf dem Grabstein verwendet hätten. Die Billigung der Ermordung eines Menschen u.a. wegen seines jüdischen Glaubens und die Ehrung der Mörder offenbare eine antisemitische und rassistische Grundhaltung, die elementare Grundrechte von Mitbürgern gering achte. Das sei für die Wahrnehmung der Berufsaufgaben eines Bezirksschornsteinfegermeisters von unmittelbarer Relevanz, wenn er etwa in Privathaushalten von Mitbürgern tätig werden solle. Dem komme erhöhte Bedeutung zu, weil die Eigentümer und Besitzer von Wohnungen verpflichtet seien, dem Bezirksschornsteinfegermeister den Zutritt zu ihren Wohnungen zu gestatten und dem für ihren Bezirk zuständigen Bezirksschornsteinfegermeister nicht ausweichen könnten. Das Vertrauen der Bürger in eine unparteiische und rechtsstaatliche Aufgabenwahrnehmung des Bezirksschornsteinfegermeisters werde erschüttert, wenn dieser durch außerberufliches Verhalten zu erkennen gäbe, dass er die geltenden Gesetze und die Grundrechte von Mitbürgern – auch von ethnischen oder religiösen Minderheiten – nicht uneingeschränkt und verlässlich achte. Grundrechte des Klägers stünden dem Widerruf seiner Bestellung nicht entgegen.
Die Argumentation des BVerwG überzeugt. Gleichwohl befindet sich die Abwägung, die das BVerwG vornimmt, in einer Grauzone, so dass im Falle der Klausurbearbeitung eine genaue Analyse des Sachverhalts erfolgen muss. Bei bloß unsinnigen oder auch bei beleidigenden Äußerungen des Schornsteinfegers außerhalb seiner Tätigkeit darf nicht leichtfertig die berufliche Unzuverlässigkeit angenommen werden. Die Argumente, die der Pressemitteilung des BVerwG zu entnehmen sind, deuten darauf hin, dass es sich im hiesigen Fall um eine außerordentliche Ausnahmekonstellation handelte.
Grundsätzliches zur Zuverlässigkeit
Der Fall zeigt eine neue Variante der Prüfung der “Zuverlässigkeit”, die insbesondere auch beim examensrelevanten Gaststätten- (§ 4 GastG) und Gewerberecht (etwa § 35 GewO) aufkommen kann. Merken muss sich der Examenskandidat für diese Fälle lediglich eine allgemeingültige Definition, die für alle Rechtsgebiete gleichermaßen herangezogen werden kann:
Unzuverlässig ist jemand, der nach seinem Gesamteindruck seines bisherigen Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er seine Aufgabe (bzw. sein Gewerbe oder seine Gaststätte) künftig ordnungsgemäß ausüben wird. Die Frage der Unzuverlässigkeit ist eine Prognoseentscheidung, die auf objektive Tatsachen gestützt werden muss.
Der Rest ist dann stets eine argumentative Auseinandersetzung im Einzelfall. Wichtig ist es in jedem Fall nicht bloß darzustellen, dass Aktivitäten bzw. Vorfälle allgemein die Zuverlässigkeit betreffen könnten, sondern es muss klar herausgearbeitet werden, warum ein bestimmtes Verhalten sich negativ (und dies auch für die Zukunft) auf die Ausübung der jeweiligen Tätigkeit auswirkt. Im Übrigen ist dann eine erschöpfende Analyse des Sachverhalts entscheidend. Im vom BVerwG zu entscheidenden Fall galt es beispielsweise herauszustellen, dass der Schornsteinfeger auch mit besonderen Befugnissen, etwa dem Betreten von Wohnungen, ausgestattet ist, so dass er – auch wenn er keinen Beamten i.S.d. Art. 33 Abs. 5 GG darstellt – zumindest vor diesem Hintergrund einer erhöhten Pflicht zur Verfassungstreue unterliegen kann.