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Schlagwortarchiv für: praktische Konkordanz

Zaid Mansour

AG Kassel: Freispruch für Künstler im Prozess um den Hitlergruß – (End)Sieg für die Kunstfreiheit?

Lerntipps, Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT, Verfassungsrecht


Wie kürzlich in zahlreichen Medien berichtet wurde, hat das AG Kassel den skandalumwitterten Künstler Jonathan Meese vom Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) freigesprochen. Grund für die von der Staatsanwaltschaft erhobene Anklage war der im Rahmen eines öffentlichen Gesprächs zum Thema „Größenwahn in der Kunst“ von Meese zur Untermauerung seiner Forderung nach einer „Diktatur der Kunst“ gezeigte Hitlergruß. Dem Künstler ging es dabei nach eigenem Bekunden keinesfalls um die Relativierung der Vergangenheit bzw. der damals begangenen Verbrechen, sondern vielmehr um die „Neutralisierung“ bzw. „Entdämonisierung“ eines Zeichens für die Zukunft. Als Künstler müsse es ihm gestattet sein auf der Bühne mit diesen Symbolen „zu spielen“ (für weitere Hintergrundinformationen sei an dieser Stelle auf diesen Artikel in der ZEIT hingewiesen).

§ 86a StGB und sein intendierter Schutz

Die als abstraktes Gefährdungsdelikt zu qualifizierende Strafnorm dient dem Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (legaldefiniert in § 4 Abs. 2 BVerfSchG) und der Völkerverständigung (teils zusammengefasst als Schutz des politischen Friedens) und zielt damit i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4  StGB auf die Abwehr der symbolhaft durch die Verwendung solcher Kennzeichen ausgedrückten Wiederbelebung oder des Anscheins einer solchen Wiederbelebung ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen sowie einer nach Art. 9 Abs. 2 GG verbotenen Vereinigung oder nach Art. 21 Abs. 2 GG für verfassungswidrig erklärten Partei, ebenso wie auf die Abwehr der symbolhaft dadurch zum Ausdruck gebrachten Wiederbelebung der von solchen Organisationen verfolgten Bestrebungen. Neben diesen beiden Schutzgütern wurde von der Rspr. teilweise auch die Außendarstellung der Bundesrepublik Deutschland als Schutzgut qualifiziert. Insbesondere soll in diesem Kontext bei ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens der Eindruck einer rechtsstaatswidrigen innenpolitischen Entwicklung vermieden werden (BGH, NJW 1973, 106, 107; kritisch zu diesem „problematischem Rechtsgut“ Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Auflage 2013, § 86a Rn. 2). Danach  wird wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen bestraft,

„wer im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in von ihm verbreiteten Schriften (§ 11 Abs. 3) verwendet […]“

Kennzeichen im Sinne der Vorschrift sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Das Zeigen des Hitlergrußes würde für sich genommen demnach den Deliktstatbestand erfüllen. Allerdings ist hierbei auch die gemäß § 86a Abs. 3 StGB anwendbare und zum Tatbestandsausschluss führende sog. Sozialadäquanzklausel aus § 86 Abs. 3 StGB zu beachten. Danach scheidet eine Tatbestandsmäßigkeit aus, wenn die eigentlich inkriminierte Handlung

„der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.“ (Hervorhebung durch den Autor)

Wann dient eine Handlung der Kunst?

Die Sozialadäquanzklausel kann durchaus als normativ manifestierter Ausfluss der aus verfassungsrechtlicher Sicht gebotenen praktischen Konkordanz begriffen werden. Im Ergebnis ist damit eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Verfassungswerte im Rahmen der Anwendung und Auslegung der Vorschrift unentbehrlich. Insbesondere lässt sich eine Vermutungsregel, wonach in Fällen, in denen die Kunstfreiheit berührt ist, von einer generellen Straffreistellung auszugehen ist, mit dem verfassungsrechtlich gebotenen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen der Kunstfreiheit und anderen Rechtsgütern mit Verfassungsrang, nicht in Einklang bringen (BVerfG, NJW 1988, 325, 326). Die bei der Normauslegung entscheidende Frage, wann eine Handlung der Kunst dient, hat daher nach Maßgabe einer umfassenden Abwägungsentscheidung zu erfolgen und ist nicht bereits schon dann anzunehmen, wenn die Handlung in irgendeiner Weise Berührungspunkte mit von der Kunstfreiheit geschützten Tätigkeiten aufweist. Als Leitlinien einer solchen Abwägungsentscheidung können die Ausführungen des BVerfG (Beschl. V. 23.03.2006 – 1 BvR 204/03) in einem vergleichbaren Fall herangezogen werden. Darin heißt es mit Blick auf die Rspr. des BGH zunächst, dass der Schutzzweck der Vorschrift

„nicht erreicht werden könnte, wenn die Strafbarkeit von dem Nachweis einer mit der Verwendung verbundenen verfassungsfeindlichen Absicht abhinge, namentlich dem einer bekenntnishaften Verwendung des Kennzeichens. Der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass die Norm darauf zielt, derartige Kennzeichen grundsätzlich aus dem Bild des politischen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland zu verbannen […]. Dadurch soll auch einer Normalisierung der Verwendung solcher Kennzeichen entgegengewirkt werden.“

Allerdings müsse dabei auch die Bedeutung von in Rede stehenden Grundrechten dergestalt in Rechnung gegeben werden, dass auch Ausnahmen von der Strafbarkeit in Betracht kommen können. Dies gilt insbesondere, sofern das inkriminierte Verhalten trotz äußerer Verwendung der Kennzeichen dem Schutzzweck des Gesetzes erkennbar nicht zuwiderläuft.

„So liegt es, wenn das Kennzeichen offenkundig gerade zum Zwecke einer Kritik der verbotenen Organisation eingesetzt wird oder der Kontext der Verwendung ergibt, dass eine Wirkung auf Dritte in einer dem Symbolgehalt des Kennzeichens entsprechenden Richtung ausscheidet (vgl. BGHSt 25, 133, 136). Das mag etwa der Fall sein, wenn das Kennzeichen in erkennbar verzerrter, etwa parodistischer oder karikaturhafter Weise verwendet wird (vgl. BGHSt 25, 128, 130). Die Tabuisierungsfunktion des Gesetzes (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., 2006, § 86 a, Rn. 2 a) soll nach der Normauslegung der Gerichte aber nicht dadurch unterlaufen werden, dass die Verwendung derartiger Symbolik allein deshalb grundsätzlich zulässig ist, weil sie in kritischer Absicht erfolgt. Diese Rechtsprechung ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.“ (Hervorhebung durch den Autor)

Eine Straffreiheit muss also jedenfalls dann ausscheiden, wenn eine Handlung nur unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit geschieht und in Wirklichkeit für Ziele geworben wird, die das verwendete Kennzeichen symbolisiert (Schönke/Schröder/Sternberg-Liebe, StGB, 28. Auflage 2010, § 86 Rn. 17; zum Schutzbereich der Kunstfreiheit s. hier). Bei der schon auf Tatbestandsebene zu verortenden Abwägung müssen alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere auch Bedeutung und Gewicht der tangierten Grundrechtsbetätigungen, berücksichtigt werden.

Fazit

Vor dem Hintergrund dieser Prämisse ist die Entscheidung des AG Kassel durchaus vertretbar. Nach dem Dafürhalten der Richterin sei es bei der Performance nämlich um eine Kunstdiskussion gegangen, wobei die ganze Atmosphäre aufgrund der bevorstehenden Kunstaustellung „Documenta“ ohnehin „aufgeladen mit Kunst“ gewesen sei. Hinzu kommt, dass der Angeklagte sich offensichtlich nicht mit nationalsozialistischen Symbolen oder der NS-Ideologie identifiziert, sondern diese vielmehr verspotte (Zitate sind diesem Spiegel-Artikel entnommen). Das letzte Wort dürfte in der Sache möglicherweise noch nicht gesprochen sein, da die Staatsanwaltschaft derzeit noch prüft, ob Berufung eingelegt werden soll. Zur Ruhe wird Meese in nächster Zeit aller Voraussicht nach nicht kommen, da ihm noch weiterer Ärger mit den Strafverfolgungsbehörden droht. Auch bei den Mannheimer Schillertagen im Juni 2013 hatte Meese bei einer Theateraufführung mehrmals den Hitlergruß gezeigt und eine Alien-Puppe mit einem Hakenkreuz beschmiert. Gegen ihn wird aufgrund dieser Vorgänge momentan wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) ermittelt. Im Ergebnis kann der Freispruch durch das AG Kassel daher allenfalls als Etappensieg für die Kunstfreiheit bewertet werden.

20.08.2013/3 Kommentare/von Zaid Mansour
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Zaid Mansour https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Zaid Mansour2013-08-20 10:00:542013-08-20 10:00:54AG Kassel: Freispruch für Künstler im Prozess um den Hitlergruß – (End)Sieg für die Kunstfreiheit?
Dr. Deniz Nikolaus

EGMR: Das sichtbare Tragen eines Kruzifix am Arbeitspatz ist von der Religionsfreiheit grundsätzlich geschützt

Rechtsprechung, Startseite

Der EGMR (ECHR 012 (2013)) hat am 15.01.2013 entschieden, dass das sichtbare Tragen eines Kruzifixes am Arbeitsplatz grundsätzlich von der Religionsfreiheit geschützt ist. Dies ist nur im Einzelfall, nämlich dann, wenn die Religionsfreiheit mit kollidierenden Rechten anderer nicht in Einklang zu bringen ist, anders. Während eine British-Airways-Stewardess bei der Arbeit eine Kette mit Kreuz tragen darf, ist dies einer Krankenschwester nach Ansicht des Gerichts vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit indessen nicht zwingend zu gestatten. Mit Eintritt der Rechtskraft wird diese Entscheidung für alle 46 Mitgliedsländer des Europarates, die die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ratifiziert haben, bindend. Gerügte Staaten sind angehalten, ihre Gesetze entsprechend zu ändern und anzupassen.
Die (noch nicht im Volltext vorliegende) Entscheidung steht im Einklang mit der Kruzifix-Entscheidung des EGMR aus dem Jahre 2011, in der die Straßburger Richter Kreuze in italienischen Klassenräumen für zulässig hielten (wir berichteten dazu hier, zu Kopftuch und anderen religiösen Bekleidungsstücken, siehe hier).
Sachverhalt
Geklagt hatten zwei praktizierende Christinnen britischer Staatsangehörigkeit. Eine davon war Angestellte des Bodenpersonals der Fluggesellschaft British Airways und die andere Krankenschwester in einem Krankenhaus. Beide sahen sich durch eine Anordnung ihres Arbeitgebers, ihre Kruzifixe bei der Arbeit unter der Kleidung zu tragen, in ihrer Religionsfreiheit verletzt.
Die Kleiderordnung der Fluggesellschaft British Airways sah eine Uniform vor und untersagte den Mitarbeitern, Schmuck oder jegliche religiöse Symbole ohne Erlaubnis offen zu tragen. Dagegen erlaubte die Fluggesellschaft muslimischen Frauen oder Sikhs, ein Kopftuch beziehungsweise einen Turban in den Farben der Uniform zu tragen.
Im Fall der Krankenschwester verboten die einschlägigen Bestimmungen das Tragen von Schmuck im Krankenhaus aus gesundheitlichen und sicherheitsrechtlichen Gründen, da die Patienten sich bei unbedachten Bewegungen an der Kette verletzen oder bei offenen Wunden infizieren könnten.
Beide Klägerinnen behaupteten, das sichtbare Tragen des Kreuzes sei ein wichtiger Bestandteil der Manifestation ihres Glaubens. Sie fühlten sich daher durch das Verbot diskriminiert.
Entscheidung
Der EGMR entschied im Fall der Flugbegleiterin, dass das Verbot der Fluggesellschaft,keine sichtbaren Kreuze tragen zu dürfen, einen Verstoß gegen Artikel 9 (freedom of religion) EMRK darstellt. Die Richter wogen die Religionsfreiheit der Mitarbeiterin und das (von der Fluggesellschaft vorgebrachte) entgegenstehende Interesse, ein bestimmtes öffentliches Image zu wahren, gegeneinander ab und entschieden zu Gunsten der Klägerin. Ihren religiösen Glauben nach außen zu manifestieren überwiege im Lichte der Religionsfreiheit das (grundsätzlich ebenfalls anzuerkennende) Interesse der Fluggesellschaft. Die Richter sprachen der Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 2000 Euro zu.
Anders lag nach Ansicht des Gerichts der Fall der christlichen Krankenschwester. Hier stehe der Religionsfreiheit der Klägerin der Schutz der Gesundheit der Patienten gegenüber. Es bestünde nämlich die (aus Sicht der Klinikleitung begründete) Gefahr, dass sich die (vornehmlich älteren) Patienten an dem offen getragenen Kreuz verletzen könnten. Insoweit überwiegt nach Ansicht des Gerichts der Gesundheitsschutz die durch Artikel 9 in Verbindung mit Artikel 14 (prohibition of discrimination) EMRK geschützte Religionsfreiheit der Krankenschwester.
Kruzifix-Entscheidung des BVerfG
Um die Entscheidung in den nationalen Kontext einordnen zu können, soll an dieser Stelle auf die aufsehenerregende Kruzifix-Entscheidung des BVerfG vom 10. August 1995 (BVerfGE 93, 1) eingegangen werden. Hier wurde der Verfassungsbeschwerde dreier minderjähriger schulpflichtiger Kinder und ihrer Eltern stattgegeben, die sich gegen die Anbringung von Kruzifixen und Kreuzen in bayrischen Klassenzimmern gewandt hatten. Die Anbringung von Kruzifixen beruhte auf einer Rechtsverordnung für die Volksschulen in Bayern (VSO) dessen einschlägiger Teil in § 13 Abs. 1 S. 2 wie folgt lautete:

…In jedem Klassenzimmer ist ein Kreuz anzubringen…

Daraufhin hielt das BVerfG in seinem Leitsatz fest:

Die staatlich angeordnete Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, verstößt gegen Art. 4 Abs. 1 GG.

Der Senat des BVerfG stellte vorerst auf die Verletzung der Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG ab. Zur Freiheit der positiven Ausübung umfasse die Glaubensfreiheit aber auch, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Diese negative Freiheit beziehe sich ebenfalls auf Glaubenssymbole. Dem Staat sei durch Art. 4 Abs. 1 GG eine Pflicht auferlegt, Einzelnen oder religiösen Gemeinschaften einen Betätigungsraum zur Entfaltung zu sichern und vor Angriffen konkurrierender Religionsgruppen zu schützen. Allerdings entfalte Art. 4 Abs. 1 GG keinen Anspruch des Einzelnen darauf, durch staatliche Hilfe seiner religiösen Überzeugung Ausdruck zu verleihen. Dies folge aus dem Grundsatz staatlicher Neutralität. Der Staat könne die friedliche Koexistenz nur bewahren, wenn er in Glaubensfragen Neutralität bewahre. Dieses Gebot fände seine Grundsätze neben Art. 4 Abs. 1 GG auch in Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 1 sowie Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 11 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV.
Im Anschluss daran erwog das BVerfG die Verletzung der Glaubensfreiheit durch § 13 Abs. 1 S. 3 VSO. Die staatliche Anbringung des Kreuzes führe dazu, dass die Schüler ohne Ausweichmöglichkeit mit diesem Symbol konfrontiert seien und gezwungen würden, „unter dem Kreuz zu lernen“ (Kreuz als Zwangselement). Das Kreuz (mit oder ohne Korpus) sei das spezifische Glaubenssymbol der Christen und nicht nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur. Für Nichtchristen und Atheisten sei das Kreuz gerade wegen der Bedeutung Symbol der „missionarischen Ausbreitung“ bestimmter Glaubensüberzeugungen. Ein staatliches Bekenntnis zu diesem Glaubensinhalt berühre daher die Religionsfreiheit.
Im dritten Teil befasste sich das BVerfG mit einer möglichen Rechtfertigung. Da das Grundrecht auf Glaubensfreiheit vorbehaltlos gewährleistet wird, muss sich die Einschränkung aus der Verfassung selbst ergeben. Als Erstes wurde eine Rechtfertigung aus Art. 7 Abs. 1 GG (staatliche Schulhoheit) angesprochen. Art. 7 Abs. 1 GG erteile dem Staat ein Erziehungsauftrag unabhängig von den Eltern. Problematisch hierbei ist jedoch, dass in der Schule unterschiedliche religiöse und weltanschauliche Überzeugungen der Schüler und ihrer Eltern intensiv aufeinander treffen. Um diesen Konflikt zwischen verschiedenen Grundrechtsträgern zu lösen, zieht das BVerfG den Grundsatz der „praktischen Konkordanz“ heran. Dieser Grundsatz fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet werden darf, sondern dass alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren. Ein solcher Ausgleich könne aber nicht dazu führen, dass alle kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und Einstellungen abgestreift werden. Allerdings sei es in einer pluralistischen Gesellschaft unmöglich, allen Erziehungsvorstellungen voll Rechnung zu tragen. Das Spannungsverhältnis zwischen negativer und positiver Religionsfreiheit sei mithin vom Landesgesetzgeber unter Berücksichtigung des Toleranzgebotes zu lösen. Dem Landesgesetzgeber sei die Einführung christlicher Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht verboten. Voraussetzung sei jedoch, dass damit nur das unerlässliche Minimum an Zwangselementen verbunden ist. Im vorliegenden Fall überschreite die staatlich angeordnete Anbringung von Kreuzen in Klassenzimmern die Grenzen religiös-weltanschaulicher Ausrichtung der Schule. Art. 7 Abs. 1 GG als Einschränkung der Glaubensfreiheit wurde daher im Ergebnis verneint.
Weiterhin wurde auch eine Rechtfertigung der Anbringung der Kreuze aufgrund der positiven Glaubensfreiheit der Eltern und Schüler christlichen Glaubens abgelehnt. Gerade das Grundrecht der Glaubensfreiheit bezwecke in besonderem Maße den Schutz von Minderheiten, so dass es keine Bedeutung habe, dass die Anhänger christlichen Glaubens im Klassenzimmer in der Mehrheit seien.
Fazit
Diese Entscheidung des BVerfG ist nicht als Widerspruch zu den Entscheidungen des EGMR zu betrachten. Als säkularer Staat ist Deutschland grundsätzlich religionsfreundlich, sog. „offene Neutralität“. Jedoch wurde die Neutralität vom Gericht nicht, wie teilweise angenommen, im Sinn eines Laizismus gedeutet, der die Entfernung aller religiösen Elemente aus dem öffentlichen Leben verlangt. Es wurde ausdrücklich anerkannt, dass religiöse Bezüge auch in den Bereich des öffentlichen Schulwesens hineinwirken können. Das Gericht hat sich nur von der staatlich angeordneten Anbringung von Kreuzen ohne Ausgleichsregelung distanziert, nicht von Kreuzen in Klassenzimmern generell.
Wie die aktuelle Entscheidung des EGMR noch einmal verdeutlicht, gilt auch in Europa auf Grundlage der EMRK die Religionsfreiheit. Sie ist sowohl von den Mitgliedsstaaten als auch von den Staatsangehörigen (namentlich in Person der Arbeitgeber) zu achten. Allerdings gilt die Religionsfreiheit auch insoweit nicht uneingeschränkt. Insbesondere wenn höherrangige Interessen wie gesundheitliche und sicherheitsrechtliche Aspekte entgegenstehen, kann diese eingeschränkt werden. Pauschale Verbote, Religionssymbole am Arbeitsplatz sichtbar zu tragen, verstoßen aber grundsätzlich gegen Artikel 9 EMRK.
 

22.01.2013/1 Kommentar/von Dr. Deniz Nikolaus
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Deniz Nikolaus https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Deniz Nikolaus2013-01-22 10:00:422013-01-22 10:00:42EGMR: Das sichtbare Tragen eines Kruzifix am Arbeitspatz ist von der Religionsfreiheit grundsätzlich geschützt
Tom Stiebert

VG Berlin: Tiertötung als Kunst?

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Das VG Berlin hat am 24.4.2012 einen Fall (24 L 113.12) entschieden, dessen Ergebnis zwar auf jeden Fall eindeutig und richtig ist, dessen dogmatische Herleitung aber zumindest zweifelhaft wirkt.
I. Sachverhalt
Es ging kurz gesagt um die Frage, ob die Tötung zweier Hundewelpen mittels Kabelbinder zulässig oder unzulässig sei. Der Sachverhalt stellte sich wie folgt dar:

„Die Antragstellerin teilte dem Veterinäramt des Antragsgegners mit Schreiben vom 17. Februar 2012 mit, dass sie die Aufführung ihrer Performance „Der Tod als Metamorphose“ am 30. April 2012 im S… plane. Sie verwies auf ihre Internetseite und auf anliegende „screenshots“, aus denen hervorging, dass sie im Rahmen einer auch musikalisch an traditionelle thailändische Kunstformen orientierten Veranstaltung im Anschluss an eine 15-minütige Meditation zunächst einen und sodann einen zweiten Hundewelpen mittels eines Kabelbinders töten wolle. Nach 2 Minuten trete jeweils die Bewusstlosigkeit eines Tieres ein und nach 5 Minuten seien die Tiere tot. Mit einem Gong und Trauermusik schließe die Performance nach weiteren 10 Minuten. Das Kunstwerk solle provozieren und erregen. Denn in Alaska würden ausgediente Schlittenhunde und in Spanien leistungsschwache Jagdhunde auf gleiche Weise zu Tode stranguliert. Das gleiche Schicksal erlitten Millionen von Hunden in China vor ihrer Schlachtung.“

II. Dogmatisch problematische Lösung des Gerichts
Die Problemlage liegt hier auf der Hand – das Töten von Wirbeltieren ist nach §§ 3 und 4 TierSchG unzulässig; jedenfalls müssen die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten für ein schmerzfreies Töten vorliegen. Insbesondere ist es nach § 3 Nr. 6 TierSchG verboten, „ein Tier zu einer Filmaufnahme, Schaustellung, Werbung oder ähnlichen Veranstaltung heranzuziehen, sofern damit Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden sind“. Dem entgegen steht aber die Kunstfreiheit, die nach § 5 Abs. 3 GG geschützt ist. Nach dem offenen Kunstbegriff (siehe hierzu unseren Beitrag) muss wohl auch die hier durchzuführende Performance als Kunst anzusehen sein.
Es stellt sich damit die Frage, welche Folgen aus der Verortung der Kunstfreiheit im Grundgesetz resultieren, insbesondere weil auch der Tierschutz den Niederschlag in Art. 20a GG gefunden hat. Klausurtechnisch korrekt müsste man hier zunächst prüfen, ob der Schutzbereich der Kunstfreiheit eröffnet ist, sodann einen Eingriff durch das Verbot bejahen und schließlich auf der Rechtfertigungsebene die Abwägung mit Art. 20a GG nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz vornehmen.
Das VG Berlin scheint hier einen anderen Weg zu gehen: Es legt nur kurz dar, dass die geplante Handlung gegen den Tierschutz und insbesondere gegen das TierSchG verstößt und betrachtet sie damit als unzulässig:

„Die geplante Tötung als solche verstößt gegen die Regelung des § 1 Satz 2 TierSchG, wonach niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. Der Verstoß ist gemäß § 17 Nr. 1 TierSchG strafbewehrt. Ein vernünftiger Grund für die geplante Tötung der Welpen ist auch unter Berücksichtigung der in Anspruch genommenen Kunst- und möglicherweise der Religionsfreiheit nicht anzuerkennen.“

Klarer wird diese Sichtweise des Gerichts noch, wenn man ein weiteres Urteil des KG Berlin vom 24.07.2009 ((4) 1 Ss 235/09 (150/09)) betrachtet. Auch dieses hatte einen vergleichbaren Sachverhalt zum Inhalt. Das Gericht legte hierzu dar:

„Der Senat lässt dahinstehen, ob angesichts der Regelung in § 3 Nr. 6 TierSchG, der untersagt, ein Tier zu einer Schaustellung, Werbung oder ähnlichen Veranstaltung heranzuziehen, sofern damit Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden sind, überhaupt eine Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und dem Tierschutz geboten oder ob eine solche – wie teilweise vertreten wird (vgl. Caspar aaO; Ort/Reckewell Rn 160; Pfohl Rn 36; wohl auch Metzger Rn 28 – alle aaO; LG Köln NuR 1991, 42; zur Bedeutung des Verbotskatalogs des § 3 TierSchG für die Frage der Sozialadäquanz s. auch OLG Hamm NStZ 1985, 275) – wegen dieser ausdrücklichen gesetzlichen Grenzziehung entbehrlich ist.“

Lies das Gericht hier noch offen, ob die Tötung von Tieren aufgrund der Regelung in § 3 Nr. 6 TierSchG bereits aus dem Schutzbereich der Kunstfreiheit herausgelöst werden sollte, so scheint das VG Berlin diese Ansicht nun zu teilen. Dies erscheint insbesondere deshalb problematisch, weil die offene Definition des Kunstbegriffs gemeinhin anerkannt ist und das Grundrecht schrankenlos gewährt wird.
III. Normative Begrenzung der Kunstfreiheit?
Eine vergleichbare Wertung ist dem deutschen Recht aber nicht fremd. Auch im – zu Recht – viel gescholtenen Graffiti-Urteil des BVerfG von 19854 – 2 BvR 1/84) wurde festgestellt, dass das Verfassen von Graffitis auf Grund des Verstoßes gegen diverse Strafnormen nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG erfasst ist. Auch dies ist problematisch, wird doch auch hier die Grundrechtsdogmatik entscheidend verändert und bekommt Art. 5 Abs. 3 GG einen stark normativ geprägten Inhalt, der sonst nur von Art. 14 GG bekannt ist. Aus diesen Gründen wurde das Urteil, nicht vom Ergebnis her, wohl aber von der Herleitung, stark kritisiert.
IV. Klausurtipp
Wie sollte nun also in der Klausur verfahren werden, wenn eine mögliche Verletzung der Kunstfreiheit zu prüfen ist. Optimal ist es natürlich, wenn man die hier gezeigten Problemkreise kennt. Dennoch empfiehlt es sich, der bekannten Dogmatik zu folgen und zunächst den (weiten) Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG(und zu bejahen) und danach Eingriff und Rechtfertigung zu prüfen und hierbei die praktische Konkordanz mit weiteren Grundrechten zu beachten. Hier wird man zum selben Ergebnis wie in den gezeigten Urteilen kommen, der Weg dorthin ist aber auf jeden Fall dogmatisch sauberer und wird in der Klausur auch honoriert werden.

30.04.2012/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2012-04-30 15:41:542012-04-30 15:41:54VG Berlin: Tiertötung als Kunst?

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