Die aufgeheizte Stimmung in der Diskussion um Flüchtlinge war vor allem in der kleinen sächsischen Stadt Heidenau in den vergangenen Tagen spürbar. Die Stadt fühlte sich überfordert und verbot alle Versammlungen in der Stadt von Freitag bis Montagmorgen. „Wir dürfen Rechtsextremen nicht das Feld überlassen!“, kritisierte zB Cem Özdemir (Grüne), Jörg Radek (Gewerkschaft der Polizei) wertete es als „Kniefall vor dem braunen Mob“. Das VG hat das umstrittene Verbot nun aufgehoben.
I. Ausgangslage
Das zuständige Landratsamt hatte ein Versammlungsverbot für alle öffentlichen Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel in Heidenau von gestern, 28.08. (14.00 Uhr) bis Montagmorgen, 31.08.2015 (6.00 Uhr) ausgesprochen. Das für die gesamte Stadt Heidenau über das gesamte Wochenende geltende Demonstrationsverbot wurde von der Behörde mit Hinweis auf eine erhebliche Gefährdung für die öffentliche Sicherheit begründet.
Hintergrund des behördlichen Handelns waren neben den allgemein im Dresdner Raum bekannten rechtsextremen Gruppierungen sowie den enormen Problemen bei der Handhabung der zunehmenden Anzahl von Flüchtlingen insbesondere Vorfälle in der Nähe des Erstaufnahmelagers für Flüchtlinge in Heidenau, wo sich über mehrere Tage hinweg Rechtsradikale zu Demonstrationen gegen die Asylpolitik und die untergebrachten Asylanten versammelt hatten. So waren am vergangenen Wochenende u. a. mehr als 30 Polizisten verletzt worden. Darüber hinaus wurde von der Behörde angeführt, dass nicht genug Kapazitäten bestünden, um gegen die Störer vorgehen und die in Frage stehenden Rechtsgüter schützen zu können. Des Weiteren könnten die von der Polizei bei derartigen Umständen einzusetzenden Mittel wie Wasserwerfer unbeteiligte Dritte sowie friedliche Versammlungsteilnehmer unverhältnismäßig schädigen. Mithin sei insgesamt ein polizeilicher Notstand gegeben.
II. Eilentscheidung
Die 6. Kammer des VG Dresden hat nun auf den Eilantrag eines Bürgers, der an der geplanten Demonstration „Dresden Nazifrei“ teilnehmen wollte, nach summarischer rechtlicher Sachverhaltsprüfung entschieden, dass das allgemeine Verbot für alle geplanten Versammlungen im Stadtgebiet „offensichtlich rechtswidrig“ sei (AZ 6 L 815/15). Damit hat der Antrag des Bürgers nach § 80 V VWGO Erfolg, so dass der Suspensiveffekt wieder hergestellt wird. Die geplanten und angemeldeten Versammlungen rechter Gruppierungen und gemäßigter Gegenbewegungen sowie das Willkommensfest für Flüchtlinge können nun doch stattfinden. Zur Begründung führte das Gericht aus (Wortlaut der Pressemitteilung):
Die Rechtswidrigkeit „ (…) des Verbots folge zum einen aus dem Umstand, dass der polizeiliche Notstand, der zur Begründung der Allgemeinverfügung herangezogen worden sei, schon nicht hinreichend vorgetragen und belegt worden sei. So stütze sich die vorgenommene Gefahrenprognose lediglich auf die Ereignisse des vergangenen Wochenendes ohne sich konkret mit den für das kommende Wochenende angezeigten Versammlungen auseinanderzusetzen und darzulegen, wie von der zu erwartenden Teilnehmerzahl eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen solle. Insoweit reiche es nicht aus, auf die aus dem gesamten Bundesgebiet erwarteten übrigen Demonstranten zu verweisen.
Das VG sieht also die Begründung des polizeilichen Notstandes als nicht ausreichend an. Insbesondere kann durch den alleinigen Verweis auf nicht genügend vorhandene Polizeikräfte ein derartig einschneidendes Verbot nicht begründet werden.
Darüber hinaus erscheine die Allgemeinverfügung, die ein vollständiges Verbot sämtlicher Versammlungen für das gesamte Wochenende umfasse, unverhältnismäßig. Sie stelle nach Überzeugung der Kammer schon nicht das mildeste Mittel dar, um den von der Behörde angenommenen Gefahren, die von den angezeigten Demonstrationen ausgehen sollen, wirksam zu begegnen. So seien für Freitag, den 28. August 2015 lediglich zwei Demonstrationen in Heidenau angemeldet und eine weitere für Samstag, den 29. August 2015. Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, aus welchen Gründen diese Versammlungen nicht beispielsweise in örtlicher oder zeitlicher Hinsicht beauflagt worden seien, um ein Aufeinandertreffen der unterschiedlichen politischen Lager zu unterbinden.“
Das VG verneint zudem die Verhältnismäßigkeit des allgemeinen Verbotes, genauer gesagt die Erforderlichkeit, es hätten mildere und gleich geeignete Mittel zur Sicherstellung der Öffentlichen Sicherheit bestanden, so zB die zeitliche oder auch örtliche Trennung der Demonstrationen.
Rechtlich stellt sich weitergehend aber die Frage, wie das generelle Versammlungsverbot einzustufen ist. Nach Ansicht des VG Dresden handelt es sich hierbei richtigerweise um eine Allgemeinverfügung. Eine solche stellt einen Unterfall eines Verwaltungsaktes dar (sodass sie mit der Anfechtungsklage im Hauptverfahren angegriffen werden kann) und richtet sich an einen nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmbaren Adressatenkreis.
Zweifeln könnte man bei der rechtlichen Betrachtung auch daran, ob sich das geplante Willkommensfest für Flüchtlinge überhaupt als Versammlung im Sinne des Versammlungsrechts qualifizieren lässt. Eine Versammlung ist nach der Definition des BVerfG eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (BVerfGE 104, 92, 104). Dieser für Art. 8 I GG entwickelte Grundsatz findet unstreitig auch im VersG Anwendung.
Die Personengruppe, die an dem Willkommensfest teilnimmt, muss u. a. innerlich durch einen gemeinsamen Zweck verbunden sein. Streitig ist dabei, worin genau der gemeinsame Zweck liegen muss. Nach dem BVerfG ist – wie an der vorstehenden Definition gesehen – die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung erforderlich; das Gericht vertritt also den engen Versammlungsbegriff. Dies wird u. a. bei der Betrachtung von Großveranstaltungen wie der Love Parade deutlich, bei der zwar eine gewisse politische Intention vorhanden war, die Musik sowie der Spaß aber eindeutig im Vordergrund standen, so dass der Versammlungscharakter verneint wurde. Grund dessen ist, dass derartige Events nicht grundlos in den Schutzbereich des Art. 8 GG einbezogen werden sollen. Aufgrund des Bezugs der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit des Art. 5 I GG (Versammlungsfreiheit als „kollektive Meinungsfreiheit“; Komplementärfunktion) und der historischen Intention des Versammlungsbegriffs ist eine enge Begriffsdefinition also unvermeidbar; abzulehnen sind damit der weite, aber auch der engste Versammlungsbegriff.
Bei dem Willkommensfest handelt es sich zwar um eine Grillparty, bei der man annehmen könnte, dass lediglich das gesellige Zusammensein mit Spaßcharakter vordergründig sei. Vor dem politischen Hintergrund der Brisanz der Flüchtlingsdebatte, den Ausschreitungen im Dresdner Raum, und der Tatsache, dass gerade durch das Willkommensfest eine deutsche Willkommenskultur für Flüchtlinge bzw. Asylsuchende gelebt werden sollte, wird man die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung aber nicht verneinen können. Eine Versammlung ist deshalb anzunehmen.
III. Beschluss des Sächsischen OVG
Das Sächsische OVG in Bautzen hat auf die Beschwerde des Landkreises gegen die Eilentscheidung des VG Dresden hin nun in einem Beschlussverfahren beschlossen, dass lediglich die Versammlungen des Bündnisses „Dresden Nazifrei“ stattfinden dürfen. Für die stattfindenden Veranstaltungen bestehen aber strenge Auflagen, so dürfen zB Flaschen, die als Wurfgeschosse dienen könnten, nicht mitgeführt werden (Auflagen dürfen von der Polizei in Bezug auf Demonstrationen ausschließlich auf Grundlage des VersG erlassen werden; Stichwort „Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts“). Das Demonstrationsverbot bleibt damit für rechte Gruppierungen und deren Aufmärsche am Wochenende bestehen.
Entgegen einer hohen Anzahl von Falschmeldungen in der Presse ist darauf hinzuweisen, dass das OVG Sachsen nicht entschieden hat, dass das Verbot nur in Teilen rechtswidrig ist. Der Antragssteller, der an der Veranstaltung „Dresden Nazifrei“ teilnehmen wollte, ist nämlich lediglich in Bezug auf diese Versammlung antragsbefugt, so dass nur diesbezüglich ein Beschluss ergehen kann. Die Rechtmäßigkeit oder auch Rechtswidrigkeit des Verbots in Bezug auf die anderen Versammlungen stand also gar nicht gerichtlich in Frage, so dass das VG Dresden dazu nicht hätte Stellung nehmen dürfen und das Demonstrationsverbot deshalb insoweit bestehen bleibt.
IV. Ausblick
Ein Antrag nach § 32 BVerfGG ist nach verschiedenen Pressemitteilungen anhängig. Es erscheint aber fraglich, ob das BVerfG eine einstweilige Anordnung aussprechen wird, da eine solche grds. bewusst nur unter strengen Anforderungen ergeht.
Vgl. zu den Problemen im Versammlungsrecht näher hier.
Update! 29.08.2015, 13.20 Uhr:
Das BVerfG hat das Demonstrationsverbot per einstweiliger Anordnung iSd § 32 BVerfGG in vollem Umfang für rechtswidrig erklärt und damit die Ausgangsentscheidung des VG bestätigt (AZ 1 BvQ 32/15)! Es müssten alle Demonstrationen ermöglicht werden. Zu beachten ist vor diesem Hintergrund, dass das BVerfG bei einer derartigen Anodnung nicht wie das VG Dresden oder das OVG Sachsen allein die Interessen des antragsbefugten Antragsstellers in den Blick nehmen, sondern alle widerstreitenden Interessen gegeneinander abwägen kann.
Im Zuge dieser Folgenabwägung hat das BVerfG insbesondere beanstandet, dass das OVG das Antragsbegehren nicht hinreichend im Lichte des Art. 8 I GG ausgelegt habe. Das OVG wäre dazu verpflichtet gewesen, den Antragssteller konkret zu fragen, ob er noch an weiteren Veranstaltungen habe teilnehmen wollen. Dann wäre die Aufhehbung des Verbots nämlich – wie bei der Eilentscheidung des VG Dresden geschehen – auf alle Versammlungen zu erstrecken gewesen.
Die Verfassungsrichter argumentierten zudem, dass die hohen Anforderungen für eine Anordnung nach § 32 BVerfGG deshalb gegeben seien, weil ohne eine solche Anordnung bei späterer erfolgreicher Verfassungsbeschwerde gegen das Demonstrationsverbot dieVersammlungsfreiheit durch den Staat hätte beschränkt und in dem hier doch sehr engen und räumlich begrenzten Zusammenhang gänzlich außer Kraft gesetzt werden können. Anderenfalls hätte viele Bürger außerhalb des Wochenendes nur wenige bis gar keine Möglichkeiten, um ihre Meinungen öffentlich kundtun zu können.
Im rechtlichen Kern wurden die Bedenken der Fachgerichte (VG und OVG) hinsichtlich des Vorliegens eines polizeilichen Notstandes sowie der Verhältnismäßigkeit des Verbots geteilt (vgl. näher die Pressemitteilung).
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