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Schlagwortarchiv für: Polizei

Dr. Lena Bleckmann

BGH: Neues zur Anstiftung durch den agent provocateur

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, StPO, Strafrecht, Strafrecht AT

In seinem Urteil vom 16.12.2021 (Az. 1 StR 197/21) äußerte sich der BGH zur allseits beliebten Fallkonstellation der An- bzw. Aufstiftung durch einen verdeckten Ermittler. Die sog. agent provocateur-Fälle sind ein Klassiker im Allgemeinen Teil des Strafrechts – die neue Entscheidung sollte Anlass geben, die wichtigsten Eckpunkte der Problemstellung zu wiederholen.
I. Was ist passiert? (Sachverhalt gekürzt und leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt. Die nicht einschlägig vorbestraften T und M handelten gemeinsam mit Betäubungsmittelprodukten. Hiervon erfuhren offenbar auch die Strafverfolgungsbehörden – Anfang März 2020 nahm daher der verdeckte Ermittler V Kontakt zu T auf, um eine kleinere Menge Marihuana zu erwerben. Zugleich fragte V, ob es auch möglich sei, größere Mengen zu erwerben. Hieran schlossen sich mehrere Betäubungsmittelkäufe des V bei T an, bei denen V immer wieder nach größeren Mengen fragte (3kg Marihuana und 50 bis 100g Kokain). Das entsprach nicht den Mengen, mit denen T und  M üblicherweise handelten, sie konnten aber schließlich über den D die Betäubungsmittel in entsprechendem Umfang besorgen. Bei der vereinbarten Übergabe an V erfolgte die Festnahme von T und M.
II. Die Strafbarkeit des Lockspitzels in der Strafrechtsklausur
Derartige Konstellationen sind der Strafrechtswissenschaft nicht unbekannt. Unter dem Begriff des Lockspitzels oder agent provocateur wird insbesondere die Problematik der Strafbarkeit desjenigen erörtert, der – beispielweise als verdeckter Ermittler – andere zu einer Straftat veranlasst, gerade um deren Festnahme zu veranlassen (vgl. BeckOK StGB/Kudlich, § 26 Rn. 22; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, § 26 Rn. 21). Hier nur eine knappe Rekapitulation der Problematik – sofern hier Lücken bestehen, wird eine entsprechende Wiederholung dringend empfohlen.
Zu erörtern ist das Problem beim Prüfungspunkt des doppelten Anstiftervorsatzes. Dieser muss sich, so viel sollte bekannt sein, sowohl auf die Anstiftung, d.h. auf die Bestimmenshandlung, als auch auf die Vollendung der vorsätzlichen, rechtswidrigen Haupttat beziehen (BeckOK StGB/Kudlich, § 26 Rn. 19). Auf dieser Grundlage lässt sich die Strafbarkeit des Lockspitzels, der auf eine Festnahme des Täters schon im Versuchsstadium abzielt, bereits verneinen: Er hat keinen Vorsatz hinsichtlich der Vollendung der Haupttat und verwirklicht damit nicht den subjektiven Tatbestand der Anstiftung (so die hM, siehe (BeckOK StGB/Kudlich, § 26 Rn. 22; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, § 26 Rn. 21). Grund für die Einschränkung dahingehend, dass sich der Vorsatz des Anstifters auch auf die Vollendung der Haupttat richten muss, ist der Strafgrund der Teilnahme: Das Unrecht der Teilnahme besteht darin, dass ein über den Haupttäter vermittelter Angriff auf das geschützte Rechtsgut erfolgt oder nach dem Vorsatz zumindest erfolgen soll, denn nur dann liegt ein strafwürdiges, sozialschädliches Verhalten vor (vgl. Rönnau, JuS 2015, 19).
Schwieriger – und damit umso klausurrelevanter – ist die Frage der Strafbarkeit des agent provocateur, der zwar die formelle Vollendung der Haupttat anstrebt bzw. vorhersieht, nicht aber deren materielle Beendigung. Lehrbuchbeispiel ist der Einbruchdiebstahl, bei dem die Festnahme des angestifteten Haupttäters erst nach Verlassen des Hauses erfolgen soll (Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, § 26 Rn. 23; Rönnau, JuS 2015, 19 (20)). Auch und gerade beim Handel mit Betäubungsmitteln, um den es auch in der genannten Entscheidung des BGH ging, spielt diese Konstellation eine Rolle. Der Handel als solcher ist zum Zeitpunkt der Festnahme meist bereits erfolgt (BeckOK StGB/Kudlich, § 26 Rn. 78). Dasselbe Problem stellt sich auch bei allen anderen Tätigkeitsdelikten (Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, § 26 Rn. 23). Auch hier gelangt die herrschende Meinung jedoch zur Straflosigkeit des Lockspitzels – weil eine tatsächliche Verletzung des geschützten Rechtsguts nicht gewollt ist, soll trotz materieller Vollendung der Tat keine strafrechtlich relevante Anstiftung vorliegen (Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, § 26 Rn. 23 m.w.N.; ausführlich auch Rönnau, JuS 2015, 19 (20 f.); zu Betäubungsmitteldelikten insbesondere OLG Oldenburg, Beschl. v. 4.3.1999 – Ss 40-00, NJW 1999, 2751).
III. Die Verurteilung des zur Tat provozierten Haupttäters
Doch all das soll an dieser Stelle gar nicht im Fokus stehen. Bevor sich der Klausurkandidat mit der Strafbarkeit des agent provocateurs auseinandersetzt, wird er in aller Regel zunächst diejenige des Haupttäters prüfen. Auch wenn die Verwirklichung des jeweiligen Straftatbestands, das Vorliegen aller objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale sowie die Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit des Verhaltens unproblematisch sind, muss das nicht heißen, dass der Betroffene am Ende tatsächlich bestraft werden kann. Zugegebenermaßen handelt es sich bei den Fragen, welche spezifisch die Verurteilung des zur Tat Provozierten betreffen, um solche der Strafzumessung bzw. Strafverfolgung, die für Kandidaten des Ersten Staatsexamens von untergeordneter Bedeutung sind. Insbesondere in einer mündlichen Prüfung kann die Kenntnis der Problematik jedoch auch hier durchaus vorausgesetzt werden – das gilt insbesondere im Lichte der nun ergangenen Entscheidung des BGH.
Problematisch sind hier insbesondere Fälle der Tatveranlassung durch polizeiliche Ermittlungspersonen. Diese kann zu einem Konflikt mit dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Rechtsstaatlichkeit führen, wenn bislang unverdächtige oder nicht tatgeneigte Personen angestiftet werden oder eine besonders intensive Einwirkung etwa durch beträchtliche Erhöhung des Unrechtsgehalts (Aufstiftung) erfolgt (vgl. auch Rönnau, JuS 2015, 19 (21)).
Schon früh führte der BGH insoweit aus:

„Nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des BGH ist im Rahmen der Ermittlung und Bekämpfung besonders gefährlicher und schwer aufklärbarer Straftaten, zu denen auch der Rauschgifthandel gehört, der Einsatz polizeilicher Lockspitzel im Grundsatz geboten und rechtmäßig. Dies gilt aber nicht uneingeschränkt. Es ist anerkannt, daß dem tatprovozierenden Verhalten des Lockspitzels Grenzen gesetzt sind, deren Außerachtlassung als ein dem Staat zuzurechnender Rechtsverstoß in das Strafverfahren gegen den Täter hineinwirken würde. Das dem GG und der StPO immanente Rechtsstaatsprinzip untersagt es den Strafverfolgungsbehörden, auf die Verübung von Straftaten hinzuwirken, wenn die Gründe dafür vor diesem Prinzip nicht bestehen können; wesentlich für die Beurteilung sind dabei Grundlage und Ausmaß des gegen den Täter bestehenden Verdachts, Art, Intensität und Zweck der Einflußnahme des Lockspitzels, Tatbereitschaft und eigene, nicht fremdgesteuerte Aktivitäten dessen, auf den er einwirkt.“ (BGH, Urt. v. 6.2.1981 – 2 StR 370/80, NJW 1981, 1626, Nachweise im Zitat ausgelassen).

a) Grundlegende Entscheidung des BGH im Jahr 1984
Ein Überschreiten dieser durch das Rechtsstaatsprinzip gesetzten Grenzen führte allerdings bislang nach Ansicht des BGH nicht zu einem Verfahrenshindernis. Ein solches soll nur unter strengsten Voraussetzungen in Betracht kommen, die nicht bei jedem Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip vorliegen sollen:

„Als Verfahrenshindernisse kommen nur Umstände in Betracht, die nach dem ausdrücklich erklärten oder aus dem Zusammenhang ersichtlichen Willen des Gesetzes für das Strafverfahren so schwer wiegen, daß von ihrem Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des Verfahrens im ganzen abhängig gemacht werden muß. Dies gilt auch für Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip. Bei der Weite und Unbestimmtheit des Rechtsstaatsprinzips und der in ihm angelegten Gegenläufigkeiten verbieten sich unterschiedslose verfahrensrechtliche Sanktionen für Verletzungen von selbst.“  (BGH, Urt. v. 23.5.1984 – 1 StR 148/84, NJW 1984, 2300 (2301), Nachweise im Zitat ausgelassen).

Stattdessen soll die nachhaltige und erhebliche Einwirkung des Lockspitzels auf den Täter, mag sie auch mit den Grundsätzen des Rechtsstaats nicht mehr vereinbar sein, lediglich zu einem Strafmilderungsgrund führen (BGH, Urt. v. 23.5.1984 – 1 StR 148/84, NJW 1984, 2300 (2302)).
b) Die Rechtsprechung des EGMR
Anders die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser nimmt einen Verstoß gegen das Verbot des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) an, wenn eine polizeiliche Provokation zur Tat erfolgt, der Täter zuvor nicht tatverdächtig war und die verdeckte Ermittlungstätigkeit der Polizei nicht durch ein Gericht kontrolliert war (EGMR, Urt. v. 9.6.1998 – 44/1997/828/1034, NStZ 1999, 47). Der Gerichtshof führt aus:

„Die Nutzung von verdeckt arbeitenden Ermittlern („undercover agents“) muß begrenzt werden, und Sicherungen sind auch für die Fälle der Bekämpfung des Drogenhandels zu gewährleisten. Wenn auch der Anstieg der organisierten Kriminalität zweifellos das Ergreifen angemessener Maßnahmen erfordert, nimmt das Recht auf eine faire Rechtspflege doch einen derart hervorragenden Platz ein (a. Delcourt gegen Belgien, Urt. v. 17. 1. 1970, Serie A Nr. 11, S. 15, § 25), daß es nicht um der Nützlichkeit willen geopfert werden kann. Die allgemeinen Erfordernisse der Fairneß, wie sie in Art. 6 niedergelegt sind, sind auf Verfahren jeglicher Art von Kriminalität anzuwenden, von der einfachsten bis hin zu der kompliziertesten. Das öffentliche Interesse kann nicht die Verwendung von Beweismaterial rechtfertigen, das aus polizeilicher Anstiftung resultiert. (…) Letztlich stellt der Gerichtshof fest, daß die nationalen Gerichte in ihren Entscheidungen ausführen, daß der Bf. hauptsächlich aufgrund der Aussagen der beiden Polizeibeamten verurteilt worden ist. Im Lichte aller dieser Überlegungen folgert der Gerichtshof, daß die Handlungen der beiden Polizeibeamten über die von verdeckten Ermittlern hinausgingen, weil sie zu der Tat anstifteten und es keinen Hinweis darauf gibt, daß diese Tat ohne ihr Einschreiten begangen worden wäre. Dieses Eingreifen und dessen Verwendung im angefochtenen Strafverfahren bedeutet, daß dem Bf. von Beginn an vollständig ein faires Verfahren entzogen war. Damit lag eine Verletzung von Art. 6 I vor (…)“ (EGMR, Urt. v. 9.6.1998 – 44/1997/828/1034, NStZ 1999, 47 (48)).

Hieran anknüpfend fanden sich in der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur Stimmen, nach denen der Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nur dann hinreichend sanktioniert würde, wenn der rechtsstaatswidrige Einsatz von Lockspitzeln ein Verfahrenshindernis darstellen würde (siehe BeckOK StGB/Kudlich, § 26 Rn. 23.1 m.w.N.). Der BGH jedoch hielt an der Strafzumessungslösung fest (BGH, Urt. v. 18.11.1999 – 1 StR 221/99, NStZ 2000, 269).
In einer Entscheidung aus dem Jahr 2020 wurde der EGMR noch deutlicher. Dort heißt es:

„Liegt eine konventionswidrige Anstiftung vor, so sind die zuständigen Behörden bzw. Gerichte verpflichtet, entweder das Verfahren wegen Verfahrensmissbrauchs einzustellen oder alle durch die Anstiftung erlangten Beweise auszuschließen bzw. auf andere Weise vergleichbare Ergebnisse herbeizuführen. Eine erhebliche Milderung der Strafe führt nicht zu vergleichbaren Ergebnissen. Eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation kann daher nicht lediglich auf der Ebene der Strafzumessung Berücksichtigung finden; hierdurch wird die durch die Tatprovokation verursachte Verletzung von Art. 6 I EMRK nicht ausreichend kompensiert und der Beschwerdeführer kann weiterhin behaupten, Opfer einer Verletzung von Art. 6 I EMRK zu sein.“ (EGMR, Urt. v. 15.10.2020 – 40495/15, 40913/15, 37273/15, NJW 2021, 3515).

c) Die aktuelle Entscheidung des BGH
Diese nunmehr eindeutige Rechtsprechung des EGMR hat auch der BGH zur Kenntnis genommen. In der Pressemitteilung zum Urteil v. 16.12.2021 heißt es:

„Läge eine nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte rechtsstaatswidrige Tatprovokation vor, dann würde dies ein Verfahrenshindernis begründen. Dafür kommt es entscheidend darauf an, ob der Täter und gegebenenfalls in welchem Umfang („Aufstiftung“ zu deutlich gewichtigeren Straftaten) bereits in Betäubungsmittelgeschäfte verwickelt war und inwieweit der Verdeckte Ermittler physischen oder psychischen Druck aufgebaut hat.“ (PM Nr. 227/2021).

Die Vorinstanz, das LG Freiburg, hatte demgegenüber noch die oben geschilderte Strafzumessungslösung angewandt und dem Betroffenen lediglich eine Strafmilderung gewährt. Eine endgültige Entscheidung konnte der BGH noch nicht treffen, da er ausweislich der Pressemitteilung eine weitere Aufklärung der für die Beurteilung der polizeilichen Tatprovokation notwendigen Tatsachen für notwendig hielt. Die Sache wurde an das LG zurückverwiesen.
III. Was bleibt?
Lockspitzel- bzw. agent-procovateur-Fälle werden den meisten Studierenden und Examenskandidaten ein Begriff sein. Erörtert werden sie insbesondere im ersten Examen gerade aus der Perspektive der Strafbarkeit des Lockspitzels, d.h. unter dem Gesichtspunkt der Anstiftung. Auch die strafrechtliche Behandlung des Haupttäters ist jedoch nicht unproblematisch. Durch die aktuellen Entscheidungen des EGMR und des BGH dürfte Bewegung in die diesbezüglich noch anhaltende Diskussion gekommen sein. Gerade von gut informierten Kandidaten in mündlichen Prüfungen könnte die Kenntnis des Problems daher erwartet werden. Davon unabhängig wird selbstverständlich auch eine Wiederholung der Anstiftungskonstellation wärmstens empfohlen – auch diese taucht in Klausuren in Studium und Examen immer wieder auf.

17.12.2021/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2021-12-17 10:30:292021-12-17 10:30:29BGH: Neues zur Anstiftung durch den agent provocateur
Dr. Lena Bleckmann

Bundesverwaltungsgericht zu Polizeikosten bei Hochrisikospielen

Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verwaltungsrecht

In der vergangenen Woche erging ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage der Kostentragungspflichten bei Hochrisikofußballspielen (PM Nr. 26/2019 v. 29.3.2019). Aufgrund der Berührungspunkte mit mehreren Teilgebieten des Öffentlichen Rechts, insbesondere dem Polizeirecht und den Grundrechten, bietet die Entscheidung eine gute Basis für zukünftige Klausuren.
Sachverhalt
Aus Anlass eines Polizeieinsatzes bei einem Fußballspiel des SV Werder Bremen gegen den Hamburger SV erhob das Land Bremen von der Deutschen Fußball Liga (DFL) Gebühren in Höhe von 425.000 €. Dies geschah auf Grundlage eines Gesetzes aus dem Jahre 2014: Es sieht die Möglichkeit vor, von Veranstaltern gewinnorientierter Großveranstaltungen Gebühren für Polizeieinsätze zu erheben, sofern in räumlichem und zeitlichem Zusammenhang gewaltsame Ausschreitungen zu erwarten und so der Einsatz zusätzlicher Polizeikräfte voraussichtlich erforderlich sei. Die Gebühr richtet sich nach dem jeweiligen Mehraufwand der Polizei. 
Bei dem Spiel bestand die hohe Wahrscheinlichkeit gewalttätiger Auseinandersetzungen, sodass statt der üblichen 150 Beamten über 950 Polizisten, größtenteils aus anderen Bundesländern, im Einsatz waren. Die hierdurch entstandenen Kosten soll die DFL nun ersetzen. 
Die DFL ging gegen den Gebührenbescheid vor. Sie selbst sei schon nicht der richtige Adressat, die Gebühren könnten ausschließlich vom Verein Werder Bremen erhoben werden. Das Gesetz sei außerdem verfassungswidrig, insbesondere im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot, Art. 12 GG und Art. 14 GG. Weiterhin sei die Gefahrenabwehr Kernaufgabe des Landes und dürfe nur über Steuern finanziert werden. Auch sei die DFL selbst kein Störer i.S.d. Polizeigesetzes des Landes Bremen, sondern müsse vielmehr selbst vor den Ausschreitungen geschützt werden (siehe zu den Einwänden der DFL die Entscheidung der Vorinstanz, OVG Bremen, Az. 2 LC 139/17 – juris).
Während die erste Instanz der Klage der DFL stattgab und das Gesetz für zu unbestimmt hielt, entschied das OVG Bremen zugunsten des Landes.
So nun auch das Bundesverwaltungsgericht:
Zunächst sei bei der Gebührenerhebung zu beachten, dass der Gebührenpflichtige Steuerzahler sei und so unter anderem auch die Gefahrenabwehr mitfinanziere. Aufgrund einer besonderen Rechtfertigung sei die Erhebung zusätzlicher Gebühren dennoch möglich. Richtig sei der Einwand, die DFL selbst sei kein Störer im polizeirechtlichen Sinne, sodass die Gebühren nicht auf die Grundsätze der Störerhaftung gestützt werden können. Allerdings handle es sich bei dem Einsatz auch nicht um die übliche Gefahrenabwehr, sondern um eine Sonderleistung, die die Gebühren rechtfertige. Die DFL sei insoweit Nutznießer, sodass die Gebührenerhebung gerechtfertigt sei. 
Zwar sei auch die allgemeine Gefahrenabwehr betroffen, sodass in Erwägung gezogen werden könnte, einen entsprechenden Betrag in Abzug zu bringen. Das BVerwG stellte jedoch fest, dass das Interesse des Nutznießers das allgemeine Interesse so sehr überwiege, dass ein Abzug nicht angezeigt sei. 
Hinsichtlich der Bestimmtheit des Gesetzes bestünden jedenfalls im Hinblick auf Hochrisikofußballspiele keine Zweifel: Aufgrund der bestehenden Erfahrungswerte sei absehbar, in welchem Ausmaß zusätzliche Polizeikräfte erforderlich seien. Zwar müsse die Polizei den betriebenen Aufwand stets im Einzelnen rechtfertigen, dies sei ihr aufgrund der Erfahrungswerte allerdings regelmäßig möglich. 
Wichtig: Anderes soll für andersartige Großveranstaltungen gelten, für die keine ähnlichen Erfahrungswerte bestehen – die in diesem Fall mit dem Gebührentatbestand verbundenen Unsicherheiten seien dem Veranstalter unzumutbar, sodass keine Gebühr erhoben werden dürfe. 
Auch die Höhe der erhobenen Gebühr sah das BVerwG als unproblematisch an: Zwar können die polizeilichen Ausgaben eine beträchtliche Höhe erreichen, dies sei aber zumutbar, da der Tatbestand ausschließlich an gewinnorientierte Veranstaltungen anknüpfe. Insbesondere in der (hier betroffenen) Ersten Bundesliga stehe die Gebühr in einer angemessenen Relation zu dem durch den Veranstalter erzielten Gewinn. Dieser erhöhe sich auch gerade durch die gewährleistete Sicherheit – ohne den Einsatz der Polizeikräfte sei das Risiko von Ausschreitungen so hoch, das Besucher fernbleiben, der Gewinn einbrechen und der Ruf der DFL leiden könnte. In nachrangigen Ligen oder bei anderen Großveranstaltungen, bei denen keine vergleichbaren Gewinne erzielt werden, können die Gebühren jedoch unverhältnismäßig sein. 
Soweit die DFL geltend macht, sie sei nicht der richtige Adressat des Gebührenbescheids, führt das BVerwG lediglich aus, das Land könne nach seiner Wahl zwar auch den Verein Werder Bremen in Anspruch nehmen – die DFL sei jedoch jedenfalls Mitveranstalter des Fußballspiels. Sie bestimme wesentlich mit, wann und wo die Spiele der Ersten Bundesliga stattfinden. Der interne Ausgleich zwischen den Beteiligten bleibe diesen überlassen. 
Problematisch seien die erhobenen Gebühren allerdings insoweit, als dass sie auch direkt von den jeweiligen Störern erhoben werden könnten. Dies betrifft insbesondere die Kosten für zahlreiche Ingewahrsamnahmen am Spieltag. Hier seien ausschließlich die Störer in Anspruch zu nehmen, um eine doppelte Erstattung auszuschließen.
Bezüglich möglicher Grundrechtseingriffe lässt sich der Pressemitteilung des BVerwG nichts entnehmen. Allerdings stellte schon die Vorinstanz fest, Art. 14 GG schütze nicht das Vermögen als solches und damit nicht vor der Auferlegung von Geldleistungspflichten. Ein Eingriff in Art. 12 GG sei zwar aufgrund einer objektiv berufsregelnden Tendenz gegeben, jedoch durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt – der Schutz bei Hochrisikospielen diene vorrangig dem wirtschaftlichen Interesse des Veranstalters, sodass die Kosten auch von diesem, nicht aber von der Allgemeinheit zu tragen seien. 
Fazit
Die Entscheidung eröffnet dem Klausursteller viele Möglichkeiten: je nach Schwerpunktsetzung und Fragestellung können Ansprüche aus dem Polizeirecht gegen Veranstalter und Teilnehmer sowie grundrechtliche Fragestellungen zu prüfen sein. Die Möglichkeit der Kostenerhebung bei „Sonderleistungen“ der Polizei ist ungewöhnlich und stellt eine besondere Schwierigkeit dar. Der Bearbeiter, der diesbezüglich Überlegungen anstellt, dürfte sich bei vertretbarer Argumentation besonders vom Durchschnitt abheben. 

03.04.2019/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2019-04-03 09:00:422019-04-03 09:00:42Bundesverwaltungsgericht zu Polizeikosten bei Hochrisikospielen
Dr. Christoph Werkmeister

OVG Münster: Ablehnung tätowierter Polizeibewerber

Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Das OVG Münster hat kürzlich über einen äußerst examensrelevanten Sachverhalt entschieden (Urteil vom 26.09.2014 – 6 B 1064/14). In der Sache ging es um die Ablehnung von Bewerbern für den Polizeivollzugsdienst aufgrund von großflächigen Tätowierungen, die sich nicht durch (Sommer-)Uniformen verdecken ließen.
Im zu entscheidenden Fall wurde die Ablehnung des Bewerbers damit begründet, dass er an den Unterarmen tätowiert war, und dies, obwohl der Bewerber durchaus bereit gewesen wäre, im Sommer langärmelige Uniformhemden zu tragen. Das in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren beklagte Land NRW argumentierte, dass die Legitimation und Autorität von Polizeivollzugsbeamten durch die Tätowierungen beeinträchtigt sei. Das OVG Münster bestätigte diese Rechtsauffassung, da das Land als Dienstherr berechtigt sei, Vorgaben für die äußere Erscheinung im Dienst zu machen.
In eine andere Richtung ging hingegen ältere Rechtsprechung des VG Aachen, wobei allerdings ein grundsätzlicher Ausschluss vom Auswahlverfahren aufgrund der Tätowierungen in Frage stand (siehe dazu hier). Die Entscheidung des VG Aachen zeigt aber, dass die in dem Fall durchzuführende Abwägung der Grundrechte des Bewerbers mit der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes durchaus auch anders ausfallen kann. Wir hatten seinerzeit ausführlich zu der Entscheidung und den jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen berichtet. Die Lektüre des vorstehend verlinkten Beitrags sei aufgrund der hohen Examensrelevanz dringend empfohlen.

04.10.2014/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2014-10-04 14:05:482014-10-04 14:05:48OVG Münster: Ablehnung tätowierter Polizeibewerber
Redaktion

VG Berlin: Silikonbrüste als Hindernis für den Polizeidienst?

Rechtsprechung, Verwaltungsrecht

Die Einstellung einer Bewerberin für den Polizeivollzugsdienst darf nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden, es fehle ihr wegen Brustimplantaten an der gesundheitlichen Eignung. Dies entschied das VG Berlin am mit vom 22.01.2014 (VG 7 K 117.13).
Die Entscheidung
Die Klägerin hatte sich im Jahr 2012 für den Dienst in der Berliner Schutzpolizei beworben. Der Polizeipräsident in Berlin lehnte die Bewerbung mit der Begründung ab, die Brustimplantate begründeten ihre gesundheitliche Nichteignung. Sie könne nicht zu Einsätzen, die das Tragen von Schutzkleidung erforderten, herangezogen werden, da mit dem hiermit verbundenen Druck ein größeres Risiko einer Fibrosebildung (d.h. einer krankhaften Vermehrung des Bindegewebes) einhergehe.
Das VG Berlin bezog sich in seiner Entscheidung auf die aktuelle Rechtsprechung des BVerwG, wonach dienstfähigen Bewerbern die gesundheitliche Eignung nur noch abgesprochen werden darf, wenn überwiegend wahrscheinlich ist, dass es zu einer Frühpensionierung oder zu regelmäßigen und langen Erkrankungen kommen wird. Bei der Klägerin sei weder feststellbar, dass sie durch die Implantate weniger leistungsfähig sei, noch, dass sie bei der Dienstausübung erheblich mehr gefährdet sei als andere Bewerberinnen ohne Brustimplantate. Die Befragung einer Fachärztin habe ergeben, dass typische Polizeieinsätze und das Tragen der Schutzkleidung die Klägerin nicht höher gefährden würden als Bewerberinnen ohne Brustimplantate. Eine Frühpensionierung oder lange Erkrankungszeiten seien daher nicht überwiegend wahrscheinlich.
Weiterführender Hinweis
Einen ähnlich gelagerten Fall hatte bereits das VG Aachen zu entscheiden. Im genannten Fall ging es um einen Bewerber, der als für den Polizeidienst ungeeignet abgelehnt wurde, weil er an beiden Armen von der Schulter bis zu den Unterarmen tätowiert war (siehe dazu hier). Der verlinkte Beitrag enthält eine ausführlichere Würdigung der beamtenrechtlichen Problematik. Da die hier geschilderten Fälle durchaus Stoff für Examensklausuren sowie mündliche Prüfungen bieten, sei die weiterführende Lektüre des genannten Beitrags empfohlen.

08.03.2014/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2014-03-08 16:06:132014-03-08 16:06:13VG Berlin: Silikonbrüste als Hindernis für den Polizeidienst?
Dr. Marius Schäfer

VG Aachen: Teilnahme an Auswahlverfahren für Polizeidienst auch mit Unterarm-Tätowierungen

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Verfassungsrecht

Sachverhalt (verkürzt)
Das VG Aachen hat mit noch nicht veröffentlichtem Urteil (1 K 1518/12) vom 29.11.2012 entschieden, dass ein Bewerber, welcher sich für den Vorbereitungsdienst im Rahmen der Einstellung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst beworben hat, nicht schon deshalb als für den Polizeidienst ungeeignet abgelehnt bzw. nicht schon von vornherein vom Auswahlverfahren ausgeschlossen werden darf, weil dieser an beiden Armen große Tätowierungen von der Schulter bis zu den Unterarmen aufweist. Die Teilnahme am Auswahlverfahren ist für jeden Bewerber Voraussetzung für dessen Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst und das am 01.09.2012 beginnende Studium an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung. In diesem Sinne folgt das Urteil einer Entscheidung (1 L 277/12) gleichen Rubrums vom 31.07.2012, welche durch das VG Aachen bereits im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 I 2 VwGO erfolgt ist.
Rechtliche Würdigung
Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zur Geeignetheit eines Beamten aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes häufen sich in den letzten Jahren, sodass damit fast zwangsläufig auch eine gewisse Klausurrelevanz verbunden ist. Es gilt hier stets die Grundrechte des Beamten – oder in diesem Falle des Bewerbers – in Einklang mit den im öffentlichen Dienst vorherrschenden Strukturprinzipien zu bringen.
In diesem Fall könnten der Einstellung eines auffällig tätowierten Bewerbers für den Polizeivollzugsdienst die in Art. 33 GG verankerten Strukturprinzipien des öffentlichen Dienstrechts entgegenstehen. Betroffen ist, mit der Berücksichtigung für das Auswahlverfahren und der vom Kläger beabsichtigten Einstellung in den Polizeivollzugsdienst, insbesondere der Zugang zu einem öffentlichen Amt. Zwar enthält das in Art. 33 II GG begründete Leistungsprinzip für jeden Bewerber in diesem Zusammenhang das Recht, bei seiner Bewerbung um ein öffentliches Amt allein nach den hier genannten Voraussetzungen – d.h. Eignung, Befähigung und fachliche Leistung – beurteilt und unter gleichen Zugangsmöglichkeiten eingestellt zu werden,[1] doch bleibt insofern fraglich, inwieweit das äußere Erscheinungsbild des Klägers diesem eine Eignung für das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis versagen könnte. Vom Begriff der Eignung umfasst sind die Persönlichkeit sowie auch solche charakterlichen Eigenschaften, die für ein bestimmtes Amt von Bedeutung sind.[2] Zu beachten ist dabei, dass die Auswahlkriterien des Art. 33 II GG in gleicher Weise auch für ein vorgeschaltetes Auswahlverfahren gelten, mit dem der Dienstherr das Vorliegen der Eignungsvoraussetzungen möglichst zuverlässig in Erfahrung bringen möchte.[3]
So führte das Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen (LAFP) aus, dass eine deutlich sichtbare Tätowierung nicht mit der Neutralität eines Polizeibeamten in Einklang zu bringen sei. Ausgehend von einem Erlass des Innenministeriums aus dem Jahre 1995, welche durch einen weiteren Erlass im August des Jahres 2012 bestätigt wurde, stellten derartige Tätowierungen, die beim Tragen von Hemden mit kurzen Ärmeln zu sehen seien, mithin einen Eignungsmangel dar. Von daher berief sich die Einstellungsbehörde darauf, dass der Kläger anhand seines äußeren Erscheinungsbildes nicht dem in Art. 33 II GG enthaltenen Leistungsprinzip gerecht werde und sich somit auch nicht für einen Zugang zum Polizeivollzugsdienst qualifizieren könne.
Gegenüber einem so begründeten, generellen Ausschluss vom Auswahlverfahren zur Einstellung in den Vorbereitungsdienst des Polizeivollzuges, können die Grundrechte des Bewerbers allerdings nicht unbeachtet bleiben. Zum einen könnte sich der Kläger auf sein Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I GG berufen, denn dessen erkennbare Tätowierungen sind gerade ein nach außen kundgegebener Ausdruck seiner Persönlichkeit. Andererseits könnte der Bewerber auch geltend machen, dass eine verfassungsrechtlich unzulässige Vorenthaltung des in Art. 12 I GG verbürgten Grundrechts auf freie Wahl des Berufes bzw. des in Art. 33 II GG grundrechtsgleich gewährleisteten Rechts auf Zugang zu einem öffentlichem Amt verletzt wurde, indem die Einstellungsbehörde die Eignung des Bewerbers fehlerhaft beurteilt hat und diesem so die Teilnahme am erforderlichen Auswahlverfahren versagt hat. Diese verfassungsrechtliche Gewährleistung ist überdies auch einfachgesetzlich in den §§ 8, 9 BeamtStG i.V.m. § 15 III 1 LBG NRW enthalten.
Unter dem Aspekt, dass eine Einschränkung von Grundrechten möglich ist, um die Funktionsfähigkeit des Polizeivollzugsdienstes zu erhalten, ist sodann eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anzustellen, um die Grundrechte des Bewerbers in Einklang mit den Strukturprinzipien des Beamtentums zu bringen. Insoweit könnte der Einstellungsbehörde bei der Beurteilung hinsichtlich der Eignung eines an beiden Armen tätowierten Bewerbers, eine ermessensfehlerhafte Entscheidung im Rahmen des Auswahlermessens zur Last zu legen sein.
Die Versagung der Teilnahme am Auswahlverfahren müsste einen legitimen Zweck verfolgen und an sich auch geeignet sein, diesen legitimen Zweck zu erreichen. Sinngemäß stellt die Einstellungsbehörde hier darauf ab, dass vor allem Polizeibeamten eine Geltung in der Öffentlichkeit zukomme, dessen Auftreten es erforderlich mache, eine gewisse Neutralität und Einheitlichkeit des Staates und seiner Beamten zu bewahren und auszudrücken. Der Respekt gegenüber einem Polizeibeamten könnte von daher vermindert sein, wenn dieser deutlich sichtbare Tätowierungen zur Schau stellt und so eine überzogene Individualität nach außen Preis gibt, mit dem die Toleranz anderer übermäßig beansprucht wird. Um jedoch die Funktionstüchtigkeit des Polizeivollzugsdienstes dahingehend zu sichern, dass den Beamten in der Öffentlichkeit das gleiche Maß an erforderlicher Geltung zukommt, erscheint es durchaus als geeignet, tätowierten Bewerbern bereits die Teilnahme am Auswahlverfahren zu versagen. Allerdings dürfen darüber hinaus keine milderen aber gleich geeigneten Mittel zur Verfügung stehen oder eine unzureichende Abwägung mit den Grundrechten des Bewerbers erfolgt sein.
Das VG führte im Ergebnis hierzu aus, dass eine generelle Versagung der Teilnahme, mit ablehnendem Bescheid des LAFP, zu beanstanden sei, soweit die Behörde die Prüfung einer Entscheidungsrelevanz der individuellen Tätowierung nicht vorgenommen hat. Vielmehr müsse aus einer solchen Einzelprüfung hervorgehen, dass es dem Bewerber an einer geeigneten Persönlichkeit oder charakterlichen Eigenschaft mangele. Es gehe aus dem Bescheid insofern nicht klar hervor, inwieweit es diesbezüglich überhaupt an der Eignung des Bewerbers fehle, zumal das Grundrecht des Bewerbers aus Art. 2 I GG nicht hinreichend beachtet wurde, denn eine Versagung – unter Verweis auf einen 15 Jahre alten Erlass – werde dem vollzogenen gesellschaftlichen Wandel hinsichtlich der Akzeptanz von Tätowierungen in der Öffentlichkeit nicht mehr in anzustellendem Maße gerecht. Schließlich komme auch ein milderes Mittel in Betracht, welches vorrangig zu berücksichtigen wäre, um dem Ausdruck des Persönlichkeitsrechts des Beamten sowie der Funktionsfähigkeit des Polizeivollzugsdienstes gerecht zu werden: Der Dienstherr kann den Beamten auch im Sommer anweisen, ein Hemd mit langen Ärmeln zu tragen, um so die Tätowierungen ggf. zu verdecken. Damit ist es nicht erforderlich, dem Bewerber im vorgeschalteten Auswahlverfahren eine Teilnahme hieran zu versagen, ohne hinreichende Versagensgründe für dessen Eignung darzulegen, welche sich nicht von vornherein aus dessen auffälliger Tätowierung ergeben. Generell könne eine solche Tätowierung nicht als Eignungsmangel herangezogen werden, sodass sich das Auswahlermessen des LAFP jedenfalls dahingehend reduziere, den Kläger zumindest zum Auswahlverfahren zuzulassen.
Bewertung
Eine Entscheidung des VG Aachen, welche im Ergebnis überzeugt und sich ohne weiteres in einer Klausur wiederfinden könnte. Angesichts der Abwägung der Grundrechte des Bewerbers mit der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes sollte das Augenmerk in Bezug auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung insbesondere auf den gesellschaftlichen Wert der Tätowierung als Ausdruck des Persönlichkeitsrechtes nach Art. 2 I GG sowie die Möglichkeit eines Eignungsmangels im Sinne des Art. 33 II GG gelegt werden.



[1] Jarass/Pieroth, Art.33, Rn. 7.
[2] Sachs, Art. 33, Rn. 28.
[3] OVG NRW, Beschluss vom 6. März 2007 – 6 B 48/07.

19.12.2012/1 Kommentar/von Dr. Marius Schäfer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Marius Schäfer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Marius Schäfer2012-12-19 10:00:412012-12-19 10:00:41VG Aachen: Teilnahme an Auswahlverfahren für Polizeidienst auch mit Unterarm-Tätowierungen
Dr. Christoph Werkmeister

VGH Mannheim zum Glasverbot am Bodenseeufer

Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung

Der VGH Mannheim hatte sich vor Kurzem mit der rechtlichen Haltbarkeit einer ordnungsrechtlichen Gefahrenverordnung auseinanderzusetzen (Urteil v. 26.07.2012 – 1 S 2603/11). Derartige Prüfungsaufträge waren in letzter Zeit öfter im Fokus der deutschen Oberverwaltungsgerichte, so dass die Grundzüge des Problemkreises unbedingt beherrscht werden müssen. Wir berichteten bereits zu diesem Thema im Kontext von Alkoholverboten auf öffentlichen Plätzen (s. dazu hier).
Sachverhalt
Im Sachverhalt, den der VGH Mannheim nun zu entscheiden hatte, ging es um eine auf Ordnungsrecht basierende Verordnung, wonach das Mitführen zerbrechlicher Behältnisse am Bodensee verboten war, wenn aufgrund der konkreten Umstände die Absicht erkennbar war, dass deren Inhalt beim dauerhaften Verweilen konsumiert werden sollte. Die Verordnung galt für die Abend- und Nachtstunden an drei Abschnitten des Bodenseeufers und des Rheinufers. Mit ihr wollte die Stadt den Verletzungen vorbeugen, die Besucher sich durch umherliegende Scherben zuziehen können.
Entscheidung
Der Erlass einer polizei- oder ordnungsrechtlichen Gefahrenverordnung erfordert indes nach dem jeweils einschlägigen Landesrecht das Vorliegen einer abstrakten Gefahr. Die Schwelle zu einer solchen Gefahr ist erst dann überschritten, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das verbotene Verhalten regelmäßig und typischerweise erhebliche Rechtsgutverletzungen zur Folge hat.
Das sei vorliegend nach dem VGH Mannheim nicht der Fall. Zwar stehe außer Zweifel, dass von Glas- und Porzellanscherben ein gewisses Risiko ausgehe. Es habe sich indes nicht feststellen lassen, inwieweit es in dem betroffenen Gebiet in der Vergangenheit zu entsprechenden Schnittverletzungen gekommen sei. Es fehle an einer nachvollziehbaren Statistik oder auch nur Hochrechnung. Die Stadt Konstanz habe nicht belegen können, dass es nach Erlass mehrerer jeweils auf einen Monat befristeter Verordnungen in der Vergangenheit zu einem Rückgang der Verletzungen gekommen sei. Ebenso wenig sei der von ihr behauptete Anstieg des Scherbenaufkommens nach Auslaufen der einmonatigen Verordnungen nachgewiesen. Die wenigen aktenkundigen Verletzungen stellten sich daher als Einzelfälle dar.
Der VGH betonte in seiner Entscheidung, dass reine Vorsorgemaßnahmen durch die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Gefahrenverordnungen nicht gedeckt seien. Die Exekutive dürfe das besondere Mittel der Verordnung nur zur Abwehr polizei- und ordnungsrechtlicher Gefahren einsetzen. Im Bereich der Gefahrenvorsorge sei es demnach aber allein Sache des Gesetzgebers (und gerade nicht der Exekutive) Risiken zu bewerten und zu bewältigen.

11.08.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-08-11 09:20:172012-08-11 09:20:17VGH Mannheim zum Glasverbot am Bodenseeufer
Dr. Marius Schäfer

OVG Hamburg: Zurückweisung der Beschwerde des FC St. Pauli bzgl. des Verbots des Verkaufs von Eintrittskarten an Fans des FC Hansa Rostock

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht

1.  Vorüberlegungen
Der hier im Rahmen eines Eilverfahrens thematisierte Beschluss des OVG Hamburg vom 16.04.2012 (Az.: 4 Bs 78/12) befasst sich mit einer gängigen Fallgestaltung im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechtes hinsichtlich der von als „gewaltbereit“ bezeichneten Fußballfans ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Eine Examensrelevanz beinhaltet dieser Beschluss aber nicht zuletzt auch deshalb, da das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, auf den diese Beschwerde des FC St. Pauli abzielt, regelmäßig in Prüfungen wiederzufinden ist.
2.  Sachverhalt (verkürzt)
Am 22.04.2012 sollte in Hamburg (Millerntor-Stadion) das mit Spannung erwartete Fußballspiel der 2. Fußballbundesliga zwischen dem FC St. Pauli und dem FC Hansa Rostock stattfinden. Nicht nur die sportliche Brisanz dieser Partie, sondern auch die seit Jahren verfestigte und ausgeprägte „Feindschaft“ der Fangruppen dieser beiden Vereine, welche in den vergangenen Jahren immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen dieser Gruppierungen untereinander sowie auch mit der Polizei führte, ließ nunmehr abermals vermuten, dass es bei diesem sog. „Hochrisikospiel“ zu erneuten Ausschreitungen kommen könnte. Von daher erließ die zuständige Behörde, mit Schreiben vom 01.03.2012, ein sog. polizeiliches Verbot gegenüber dem FC St. Pauli, welches das Verbot der sonst üblichen Abgabe von Eintrittskarten an den Gastverein zum Inhalt hatte. Zudem wurde die sofortige Vollziehung dieser Verfügung angeordnet.
Gegen dieses Abgabeverbot (Untersagungsverfügung) legte der FC St. Pauli Widerspruch ein und beantragte außerdem am 16.03.2012 beim Verwaltungsgericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 V 1 Alt.2 VwGO. Noch während des erstinstanzlichen Eilverfahrens erfolgte am 21.03.2012 die erneute Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde, mitsamt einer hierauf bezogenen, ausführlichen Begründung. Schließlich lehnte das Verwaltungsgericht aber den Antrag des FC St. Pauli zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ab (Beschluss vom 02.04.2012), sodass sich der Fußballverein mit einer Beschwerde i.S.d. §§ 146 ff. VwGO an das OVG Hamburg gewendet hat.
3.  Lösung
Die Beschwerde ist nach § 146 I VwGO die statthafte Antragsart, wenn diese gegen eine streitentscheidende Entscheidung des Verwaltungsgerichtes gerichtet ist, welche aber nicht in einem Urteil oder einem Gerichtsbescheid, sondern vielmehr u.a. in einer Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 80 V VwGO besteht (Hufen, Verwaltungsprozessrecht; § 42, Rn.4). Insofern bezieht sich die Beschwerde des FC St. Pauli auf die Ablehnung ihres Antrages auf die Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung, durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im erstinstanzlichen Eilverfahren nach § 80 V 1 Alt.2 VwGO. Das OVG entscheidet gem. § 150 VwGO über die Beschwerde durch einen Beschluss und prüft die angefochtene Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (Schenke, Verwaltungsprozessrecht; Rn. 1150) auf deren Rechtswidrigkeit und ob diese den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt (Hufen, Verwaltungsprozessrecht; § 42, Rn.7). Dabei kommt dem Beschwerdegericht im gleichen Maße eine Ermessensentscheidungsbefugnis zu wie auch der Vorinstanz (Kopp/Schenke, VwGO; § 150, Rn.1). Ist die Beschwerde unzulässig, so wird diese verworfen, während eine Zurückweisung derselben stattfindet, soweit diese unbegründet ist (Hufen, Verwaltungsprozessrecht; § 42, Rn.9).
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein eingelegter Widerspruch, wie der des FC St. Pauli gegen die vorliegende Unterlassungsverfügung, nach § 80 I 1 VwGO grundsätzlich den sog. „Suspensiveffekt“ herzustellen vermag. Da jedoch die zuständige Gefahrenabwehrbehörde die sofortige Vollziehung angeordnet hat, ist die aufschiebende Wirkung nach § 80 II Nr.4 VwGO vorliegend entfallen. Der Antrag im erstinstanzlichen Eilverfahren des FC St. Pauli richtete sich insofern auf die Wiederherstellung dieser aufschiebenden Wirkung nach § 80 V 1 Alt. 2 VwGO. Das Verwaltungsgericht hatte sodann zu prüfen, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung fehlerhaft war bzw. ob sich im Rahmen einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage feststellen lässt, dass das private Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung überwiegt. Letzteres ist i.d.R. dann der Fall, wenn sich der zugrunde zulegende Verwaltungsakt (VA) als rechtswidrig erweist, da an dem sofortigen Vollzug eines rechtswidrigen VA kein öffentliches Interesse bestehen kann.
Vor diesem Hintergrund stellte das OVG Hamburg fest, dass die Vollziehungsanordnung rechtmäßig ergangen ist. In Bezug auf die Begründungspflicht der Vollziehungsanordnung nach § 80 III 1 VwGO ließ das Verwaltungsgericht ausdrücklich offen, ob das am 21.03.2012 erfolgte Nachschieben einer (ausführlichen) Begründung überhaupt zulässig ist. Jedenfalls sei aber durch die erneute Anordnung der sofortigen Vollziehung am 21.03.2012 eine neue Vollziehungsanordnung i.S.d. § 80 II Nr.4 VwGO erlassen worden, die den Anforderungen des § 80 III 1 VwGO vollumfänglich gerecht wurde.
In materiell-rechtlicher Hinsicht, bezogen auf die zugrunde zu legende Untersagungsverfügung (VA i.S.d. § 35 1 VwVfG), folgte das OVG Hamburg der Vorinstanz und führte dabei aus, dass bei der summarischen Prüfung im Eilverfahren eine Folgenabwägung streitentscheidend sei. Im vorliegenden Fall sei zunächst eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 3 I Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) gegeben, da beim Aufeinandertreffen der jeweiligen Fangruppierungen anlässlich des Fußballspieles vom 22.04.2012 mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen wäre, dass es zu „schweren Ausschreitungen und in deren Folge zu Verletzungen von Personen und zu Sachschäden kommen werde“. Diese Annahme sei deswegen zu erwarten, da sich in der Vergangenheit ein derartiges Muster eines solchen Verhaltens herausgebildet habe, was durch Verlaufsberichte der Polizei und insbes. durch sog. szenekundige Beamte (SKB) ausreichend dokumentiert wurde. Im Hinblick auf die vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen sei außerdem zu berücksichtigen, dass in unmittelbarer Nähe zum Stadion ein Volksfest („Hamburger Dom“) stattfinde, welches v.a. von Familien stark frequentiert sei. Demgegenüber solle allerdings zu beachten sein, dass der FC St. Pauli durch die Statuten der DFL dazu verpflichtet ist, ein Kartenkontingent von 10 % für die Gästefans zu reservieren. Auch dürfe das Interesse der (friedlichen) Gästefans auf Besuch des Fußballspieles nicht unberücksichtigt bleiben. Wägt man die hier gegenüberstehenden Interessen miteinander ab, so lasse sich feststellen, dass das Fußballspiel auch trotz der Untersagungsverfügung stattfinden könne und ein wirtschaftlicher Schaden des FC St. Pauli nicht entscheidend ins Gewicht falle, sodass die Interessen des Vereines, unter Heranziehung des Prognosespielraumes der Behörde, gegenüber dem öffentlichen Interesse an dem Schutz der Öffentlichen Sicherheit zurücktreten müsse.
Deutlich wird hier also, dass das OVG Hamburg die Ermessensentscheidung der Behörde nach § 3 I SOG gerade im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit überprüft. Wenngleich das OVG Hamburg die getroffene Maßnahme als verhältnismäßig ansieht, so ist es aber dennoch fraglich, ob der FC St. Pauli hier überhaupt in Anspruch genommen werden durfte, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwenden, da die Gefahr de facto von den gewaltbereiten Fans der beiden Fußballvereine ausgeht, nicht jedoch vom Fußballverein FC St. Pauli. Ob der Veranstalter des Fußballspieles ein „Sonderrisiko“ schaffe oder gar als sog. „Zweckveranlasser“ anzusehen sei, lässt das OVG jedoch ausdrücklich offen. Jedenfalls könne der FC St. Pauli nach § 10 I SOG als sog. „Nichtstörer“ in Anspruch genommen werden, wobei dann insbes. eine „unmittelbar bevorstehende Gefahr“ zu verlangen sei. Aufgrund des nicht gerade geringen Zeitraumes zwischen der Untersagungsverfügung und dem Fußballspiel, sowie aufgrund eines gesteigerten Maßes bzgl. der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes erscheint die Annahme einer „unmittelbar bevorstehenden Gefahr“ allerdings insoweit nicht ganz unproblematisch. Diese sowie die vorangestellte Problematik sei allerdings nicht in einem derartigen Eilverfahren zu entscheiden, da das Gericht im Eilverfahren ausschließlich eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage vorzunehmen habe. Ebenso müsse in diesem Eilverfahren offen bleiben, ob es tatsächlich zutreffen könnte, dass die Polizei die Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung i.S.d. § 10 I SOG nicht durch ausreichend eigene Kräfte und Mittel („polizeilicher Notstand“) sicherzustellen vermag.
Letztlich erscheint es jedoch auch fraglich, ob die Unterlassungsverfügung überhaupt geeignet ist, die Gefahr tatsächlich abzuwenden, da das OVG Hamburg der Meinung ist, dass trotz des Kartenabgabeverbotes eine erhebliche Anzahl an durchaus auch gewaltbereiten Fans des FC Hansa Rostock den Weg nach Hamburg finden werde, um nichts desto trotz eine Auseinandersetzung mit den Fans des FC St. Pauli zu suchen. Jedoch sei die Eignung der polizeilichen Maßnahme nach § 4 I 1 SOG auch dann gegeben, wenn die Gefahr „nur vermindert oder vorübergehend abgewehrt wird“, was hier zu bejahen ist, da durch das Kartenabgabeverbot eine geringere Anzahl an Fans der Gastmannschaft zu erwarten ist. Selbst die geplante Abschlusskundgebung einer Versammlung der „Fanszene Rostock e.V.“ vermag an dieser Beurteilung nicht nachträglich etwas zu ändern.
Im Ergebnis stellt das OVG Hamburg fest, dass eine Entscheidung im Eilverfahren angesichts des offenen Ausganges des Hauptsacheverfahrens auf der Grundlage einer Abwägung der Folgen zu treffen sei, „die sich für den Antragsteller ergeben, sofern sein Eilantrag abgelehnt, er aber mit seinem Rechtsmittel gegen das Kartenabgabeverbot Erfolg haben sollte, und den Folgen, die im Fall einer Aussetzung des Sofortvollzugs der Untersagungsverfügung eintreten könnten und für den Fall der Bestätigung von dessen Rechtmäßigkeit nicht mehr rückgängig zu machen wären“ (sog. Doppelhypothese). Dabei folgt das OVG Hamburg den Entscheidungsgründen der Vorinstanz, sodass das Interesse des FC St. Pauli an der Abgabe der Karten gegenüber dem Interesse an der Gefahrenabwehr zurücktreten müsse und das Vollziehungsinteresse insoweit als vorrangig anzusehen wäre, zumal der FC St. Pauli nach § 10 III SOG eine angemessen Entschädigung geltend machen könne.
4.  Bewertung
Der Beschluss des OVG Hamburg überzeugt, da das Gericht zwar die unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten in ausreichendem und gebotenem Maße berücksichtigt aber dennoch klar stellt, dass es sich lediglich um eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage handelt und eine abschließende Beurteilung in der Hauptsache erfolgen muss. Sodann stellt das OVG Hamburg auch zu Recht eine Folgenabwägung i.S.d. sog. Doppelhypothese an, um zu einer Entscheidung in diesem Eilverfahren zu gelangen. Von daher eignet sich dieser Beschluss besonders, um die Argumentation im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nachzuvollziehen, insbes. im Bereich einer gefahrenrechtlichen Abwehrmaßnahme.
 

04.05.2012/2 Kommentare/von Dr. Marius Schäfer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Marius Schäfer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Marius Schäfer2012-05-04 11:40:052012-05-04 11:40:05OVG Hamburg: Zurückweisung der Beschwerde des FC St. Pauli bzgl. des Verbots des Verkaufs von Eintrittskarten an Fans des FC Hansa Rostock
Dr. Christoph Werkmeister

VG Düsseldorf: Polizei muss auch bei Terrorgefahr die Straßen selbst kontrollieren

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Das VG Düsseldorf entschied vor Kurzem einen Sachverhalt, der ideal zur Diskussion im Rahmen eines mündlichen Prüfungsgesprächs gestellt werden kann (Az. 6 K 254/11). Die Entscheidung eignet sich deshalb besonders gut, da hiermit losgelöst vom einschlägigen Rechtsrahmen ganz abstrakt die Zulässigkeit der Übertragung von originären Aufgaben des Staates auf Private diskutiert werden kann.
Die Entscheidung
In der Sache ging es um die Verpflichtung einer Hafengesellschaft bei bestimmten Terrorwarnstufen  die öffentlichen Straßen, die durch das Hafengebiet verlaufen, mit eigenen Sicherheitskräften und auf eigene Kosten zu kontrollieren. Das VG Düsseldorf entschied, dass an das Hafengelände angrenzende Straßen von der Polizei überwacht werden müssten. Die Auferlegung einer besonderen Sicherungspflicht könne nur für das Hafengelände bestehen.
Gründe

Die Hafengesellschaft ist bereit, ihre eigenen Grundstücke und Anlagen zu schützen. Sie wehrt sich aber gegen die Kontrollpflicht auf den öffentlichen Straßen, die im Hafen verlaufen. Das Verwaltungsgericht hat ihr heute Recht gegeben. In der mündlichen Urteilsbegründung hat der Vorsitzende Richter Dr. Stuttmann u. a. ausgeführt: Die Abwehr von Gefahren, zu denen auch Sabotageakte und terroristische Bedrohungen zählen, obliegt grundsätzlich den staatlichen Organen als Ausfluss des an den Staat gerichteten grundrechtlichen Auftrags, seine Bürger und deren Eigentum zu schützen. Dieser Schutzauftrag ist die Kehrseite des staatlichen Gewaltmonopols. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Bürger gänzlich davon freigestellt ist, zur Gefahrenabwehr beizutragen. Er kann vielmehr zur Gefahrenvorsorge herangezogen werden. Er kann verpflichtet werden, bereits im Vorfeld mitzuhelfen zu verhindern, dass eine Gefahr für sein sensibles Eigentum überhaupt entsteht. So ist allgemein anerkannt, dass Betreiber von besonders gefährdeten Anlagen und Einrichtungen, wie etwa Kernkraftwerken oder Flughäfen, zur Gefahrenvorsorge in Form von Eigensicherungsmaßnahmen verpflichtet werden können. Die Verpflichtung zur Eigensicherung findet aber ihren Grund und ihre Grenze in der privatrechtlichen Eigentümerstellung bzw. unbeschränkten Sachherrschaft. Dem Hafenbetreiber können nur solche Eigensicherungsmaßnahmen auferlegt werden, die von seinem Eigentumsrecht oder seiner ungeschmälerten Sachherrschaft gedeckt sind. Da der Hafengesellschaft die öffentlichen Straßen im Hafen weder gehören noch sie die unbeschränkte Sachherrschaft über sie ausübt, kann sie nicht dazu verpflichtet werden, auf diesen Straßen Zugangskontrollen (Stufe 2: Anhalten und Befragen) durchzuführen oder Straßensperren zu errichten (Stufe 3). Jedermann darf selbst bei ausgerufener Warnstufe 2 und 3 alle öffentlichen Straßen grundsätzlich ohne Einschränkung befahren. Für öffentliche Straßen im Hafengebiet gilt insofern nichts anderes. Auch sie dürfen nur von Polizei- bzw. Zollbeamten kontrolliert werden (Quelle: Pressemitteilung des VG Düsseldorf).

More to come
Gegen das Urteil hat die Kammer des VG Düsseldorf die Berufung zum OVG Münster zugelassen. Insofern ist in Zukunft noch mit einer weiteren gerichtlichen Klärung in diesem Kontext zu rechnen, womit die Examensrelevanz noch einmal zunehmen wird. Die in der Pressemitteilung genannten Argumente des VG überzeugen indes, so dass für die Prüfungssituation bereits mit dieser Entscheidung das notwendige Argumentationsgerüst bereit stehen sollte.

13.03.2012/1 Kommentar/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-03-13 11:51:042012-03-13 11:51:04VG Düsseldorf: Polizei muss auch bei Terrorgefahr die Straßen selbst kontrollieren
Dr. Christoph Werkmeister

VG Schleswig: Gefahrhundegesetz verfassungsgemäß

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Verwaltungsrecht

Das VG Schleswig entschied am 16.02.2012 über die Verfassungsmäßigkeit einer Regelung des schleswig-holsteinischen Gefahrhundegesetz (Az. 3 A 212/10).
Schubladendenken bei Hunden?
Die infrage stehende Regelung (§ 3 Abs. 3 Nr. 4 GefHG) gab vor, dass solche Hunde als „gefährlich“ im Sinne des Gesetzes gelten, welche ein anderes Tier gebissen haben, ohne aber selbst angegriffen worden zu sein. Weitergehende Voraussetzungen stellt § 3 Abs. 3 Nr. 4 GefHG indes nicht. Die Gefährlichkeit hat u.a. zur Folge, dass eine Hundehaltererlaubnis nach § 3 Abs. 1 GefHG beantrag werden muss. In der Konsequenz bedeutet dies, dass u.U. ein Hund nach der vorgenannten Regelung als gefährlich eingestuft werden könnte, obwohl sich dieser nur ein einziges mal daneben benommen hat. Für viele Hundehalter also eine nicht hinnehmbare Regelung, weil sie zu pauschal formuliert ist. Liebe und zutrauliche Tiere könnten so in Einzelfällen in die Kategorie der gefährlichen Hunde eingeordnet werden, obwohl sie nur einen einmaligen – vielleicht sogar nachvollziehbaren – Ausraster erlegen waren.
Verfassungskonforme Auslegung
Das VG ging indes von der Verfassungsmäßigkeit der Regelung aus. Die Vorschrift greife zwar in den Schutzbereich des Art. 2 I GG im Hinblick auf den Hundehalter ein, es liege aber eine verfassungsmäßige Rechtfertigung vor. Der Gesetzgeber habe mit den Normen des  GefHG  nicht lediglich die Abwehr konkreter Gefahren (wie etwa in den ordnungsrechtlichen Generalklauseln vorgesehen) geregelt, sondern ausdrücklich auch potentiellen Gefahren für Menschen und Tiere vorbeugen wollen. Insoweit habe der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Diese Einschätzungsprärogative sei durch die infrage stehende Regelung nicht überschritten. In Anbetracht der zu schützenden Rechtsgüter sei die Vorschrift insbesondere nicht unverhältnismäßig und genüge darüber hinaus auch dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Abs. 3 GG) wurzelnden Bestimmtheitsgrundsatz.
Die Regelung sei zwar durchaus sehr weitgehend, sie könne indes verfassungskonform angewendet werden. Das Verwaltungsgericht betonte in diesem Kontext, dass an die Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen äußerst strenge Anforderungen zu stellen seien. Die Behörde müsse deshalb besonders gründlich prüfen, bevor sie eine Entscheidung trifft.
Examensrelevanz
Die Ausführungen des VG Schleswig sind exemplarisch für eine Vielzahl von Konstellationen, die gerne in Staatsexamina abgeprüft werden. Oftmals ist genau wie hier die inzidente Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Ermächtigungsgrundlage gefordert. Der Bestimmtheitsgrundsatz spielt dabei sehr häufig eine Rolle, wobei eine Verletzung dieses Grundsatzes nur vereinzelt zu bejahen sein wird (s. einen solchen Einzelfall hier). Genau wie bei der Entscheidung des VG Schleswig ist allerdings auch stets an die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung der Norm zu denken, was insbesondere bei Ermessensvorschriften in Betracht kommt. Kann das Gesetz noch im systematischen Einklang mit der Verfassung ausgelegt werden, muss die Nichtigkeit zwingend verneint werden.
In verwaltungsgerichtlichen Urteilsklausuren für das zweite Examen, bei denen die Verfassungsmäßigkeit eines formellen Parlamentsgesetzes zu überprüfen ist, wird im Ergebnis regelmäßig von der Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage auszugehen sein. Ansonsten müsste das Gericht gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG einen Antrag auf konkrete Normenkontrolle stellen, was vom Klausurersteller regelmäßig nicht gewollt sein wird. Bei Gesetzen im lediglich materiellen Sinne, also Rechtsverordnungen und Satzungen, kann hingegen im Einzelfall auch die Verfassungswidrigkeit bejaht werden.

17.02.2012/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-02-17 07:00:302012-02-17 07:00:30VG Schleswig: Gefahrhundegesetz verfassungsgemäß
Dr. Christoph Werkmeister

FKK-Wandern kann in der Schweiz verboten werden

Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Tagesgeschehen

Die taz berichtet über schwere Zeiten für Nackedeis. Demnach dürfen die Schweizer Kantone das Nacktwandern auf ihrem Territorium verbieten und Zuwiderhandlungen auch entsprechend mit Bußgeld bewähren. Die Anwälte der Nackwanderer-Lobby brachten vor, dass ein solches Verbot in unverhältnismäßiger Weise in die persönliche Freiheit der Nacktwanderer eingreife. Angesichts der omnipräsenten Nacktheit in den Medien entspreche eine solche Verbotsnorm nicht dem Schutzbedürfnis der Mehrheit der Bevölkerung.  Aufgrund der Aktualität und der Medienwirksamkeit erscheint es deshalb erforderlich, eine Analyse nach deutschem Recht vorzunehmen.
Rechtslage in Deutschland
In Deutschland können entsprechende Handlungen gemäß § 118 OWiG geahndet werden. Nach dieser Norm handelt ordnungswidrig, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen. Vertreter in der Literatur rügten erfolglos, dass diese Vorschrift gegen das Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 Abs. 2 GG verstoße (so etwa Bohnert, NStZ 1988, 134).
Schutzgut
Die unbestimmte Vorschrift des § 118 OWiG, schützt den Bestand der öffentlichen Ordnung, worunter die allgemeine Gesellschaftsordnung oder Verkehrssitte verstanden werden. Als Gesellschaftsordnung sollen alle anerkannten Regeln und Einrichtungen anzusehen sein, die Erwartung gegenseitiger Rücksichtnahme, Duldung und Achtung eines friedlichen äußeren Zusammenlebens eingeschlossen (vgl. Bohnert, OWiG
3. Auflage 2010, § 118 Rn. 2). Verboten ist demnach etwa das  Nacktjoggen auf öffentlichen Straßen und Anlagen (so jedenfalls OLG Karlsruhe NStZ-RR 2000, 309).
Nur bei Drittgefährdung
Beim Nacktwandern in freier Natur wäre nach dem Wortlaut des § 118 OWiG insofern im Einzelfall festzustellen, ob auch Dritte von diesem Unterfangen betroffen wären – sprich, ob auch Dritte dem Anblick der Nacktwanderer ausgesetzt sind. Ein striktes per se Verbot im Hinblick auf Nackwandern besteht in Deutschland somit nicht. Nur wenn dies in der Öffentlichkeit geschieht, kann ein Bußgeld verhängt werden. Gleichwohl ist zu beachten, dass auf öffentlich zugänglichen Wanderwegen – auch wenn diese abgelegen sind und nicht oft frequentiert werden – ein solcher Sachverhalt wohl in aller Regel gegeben sein wird, da zumindest die Wahrscheinlichkeit besteht, dass Dritte belästigt werden.
Bezüge zum Polizei- und Ordnungsrecht
Für Gefahrenabwehrkonstellationen ist bedeutsam, dass das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht in allen landesrechtlichen Generalklauseln die öffentliche Sicherheit als Schutzgut ansieht. Als Schutzgut erfasst ist demnach insbesondere auch die gesamte Rechtsordnung, die wiederum § 118 OWiG umfasst. Sofern also ein Verstoß gegen § 118 OWiG wahrscheinlich ist, etwa wenn ein Nacktwanderer seine Route ankündigt oder sogar bereits losgewandert ist, können nach Polizei- bzw. Ordnungsrecht Maßnahmen vorgenommen werden.
Zu beachten ist, dass in den Bundesländern, bei denen die öffentliche Ordnung gleichzeitig auch Schutzgut der polizei- und ordnungsrechtlichen  Generalklauseln ist, dennoch primär auf die öffentliche Sicherheit abgestellt werden muss- dies obwohl § 118 OWiG den Begriff der öffentlichen Ordnung bereits inne hat.

18.11.2011/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2011-11-18 10:12:492011-11-18 10:12:49FKK-Wandern kann in der Schweiz verboten werden
Dr. Gerrit Forst

Bayern: Präventive Festnahme von sogenannten „Islamisten“

Öffentliches Recht

Laut FAZ hat die bayerische Polizei heute in München zwei Personen in Gewahrsam genommen, die zum Al Qaida-Netzwerk in Verbindung stehen sollen. Den Personen werden jedoch keine Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zur Last gelegt. Vielmehr sei die Ingewahrsamnahme eine vorbeugende Maßnahme zum Schutz des Oktoberfestes. Dieses sei in Drohvideos von Islamisten im Vorfeld der Bundestagswahl gezeigt worden. Die beiden Personen sollen bis zum Ende des Oktoberfestes am 4. Oktober in Gewahrsam bleiben.
Aus rechtlicher Sicht stellt sich die Frage, wie ein solcher Freiheitsentzug zu rechtfertigen ist. Nach Art. 104 Abs. 1 GG kann die Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nach Art. 104 Abs. 2 GG nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten.
Da es sich bei der Ingewahrsamnahme mangels Tatverdachts um eine präventivpolizeiliche Maßnahme handelt, sind als Ermächtigungsgrundlage die Polizeigesetze der Länder , hier des Landes Bayern, heranzuziehen.  Die Artt. 17 ff. PAG Bayern enthalten Vorschriften über die Gründe des Gewahrsams (hier evtl. Art. 17 Abs.  1 Nr. 2 PAG Bayern) sowie dessen Dauer und das einzuhaltende Verfahren. Nach Art. 20 S. 2 PAG Bayern darf die Freiheitsentziehung auch aufgrund richterlicher Entscheidung nicht mehr als zwei Wochen betragen.
In NRW ist eine Freiheitsentziehung von zwei Wochen aufgrund des PolG NRW nicht möglich. Nach § 38 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW ist die festgehaltene Person in jedem Falle spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen zu entlassen, wenn nicht vorher die Fortdauer der Freiheitsentziehung auf Grund eines anderen Gesetzes durch richterliche Entscheidung angeordnet ist.

28.09.2009/0 Kommentare/von Dr. Gerrit Forst
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Gerrit Forst https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Gerrit Forst2009-09-28 12:39:462009-09-28 12:39:46Bayern: Präventive Festnahme von sogenannten „Islamisten“

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