Im Februar hat der Bundestag eine Erhöhung der Abgeordnetenbezüge beschlossen. Doch Joachim Gauck hat es vorläufig abgelehnt, das Gesetz zu unterschreiben. Zuletzt bestanden massive Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit.
Dieser Sachverhalt bietet Anlass, sich noch einmal das Prüfungsrecht des Bundespräsidenten als echten Klassiker des Staatsorganisationsrechts anzuschauen:
Anknüpfungspunkt ist Art. 82 I S1 GG, wonach die nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze nach Gegenzeichnung des Bundespräsidenten ausgefertigt werden. Der Bundespräsident unterzeichnet die Gesetzesurkunde und ordnet sogleich damit die Verkündung an. Dabei hat er keinen Ermessensspielraum, vgl. „werden“.
Jedoch wird aus der Formulierung „nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommen“ abgeleitet, dass er bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit, soweit ihm ein Prüfungsrecht zusteht, die Ausfertigung verweigern darf.
Unterschieden werden:
A. formelles Prüfungsrecht
Das formelle Prüfungsrecht schließt die Frage nach Gesetzeskompetenz und ordnungsgemäßem Gesetzgebungsverfahren ein, Jarass/Pieroth, Art. 82 Rn3. Unstreitig besteht dieses schon aus dem Wortlaut des Art. 82 I S1 GG, „zustande gekommen“.
Nach hM besteht sogar eine Prüfungspflicht, Rau, DVBl. 2004,1.
B. materielles Prüfungsrecht (str.)
Streitig ist, ob der Bundespräsident darüber hinaus auch ein materielles Prüfungsrecht, insbesondere bzgl. möglicher Grundrechtsverstöße, besitzt.
Dagegen lässt sich der Wortlaut anführen: Art. 82 I S1 GG spricht insoweit von „zustande gekommen“, was nur formelle Aspekte berücksichtigen könnte, Degenhart, Rn. 376. Allerdings beinhaltet die Vorschrift auch den Terminus „nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes“, was Grundrechte mit einschließen könnte.
Von der Systematik her ist aber zuzugestehen, dass Art. 82 I S1 GG die Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren abschließt und so dem formellen Recht zugeordnet werden könnte.
Für ein materielles Prüfungsrecht indes spricht, dass nach Art. 20 III GG alle Verfassungsorgane zur Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung verplichtet sind, auch der Bundespräsident.
Wenig aussagekräftig ist hingegen die Heranziehung des Art. 56 GG, so noch Arndt, NJW 1958,605. Zwar hat der Bundespräsident den Amtseid abgelegt, seine Pflichten gewissenhaft zu erfüllen, doch ist dies wiederum reichlich unkonkret,
was diese denn nun genau beinhalten, sog. Zirkelschlussargument.
Auch das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts steht dem nicht hingegen, besteht doch nach Art. 20 I GG ausdrücklich Gewaltenteilung.
Vielfach wird gegen solches Prüfungsrecht auch angeführt, dass der Bundespräsident im Vergleich zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik aus der Lehre aus der Vergangenheit eben deutlich beschnittene Kompetenzen haben soll, die vor allem jetzt beim Bundestag und der Bundesregierung lägen. Nur kann allein bei der Beurteilung der Frage nach einem materiellen Prüfungsrecht die Vorgaben des GG allein entscheidend sein. Die WRV ist zwar voll inkooperiertes Verfassungsrecht, jedoch nur punktuell. Zuzugestehen ist, das primär die Verabschiedung von Gesetzen beim parlamentarisch legitimierten Gesetzgeber liegt, welcher grundsätzlich eine weite Einschätzungsprorogative hat. Diese ist jedoch jedenfalls begrenzt durch Art. 20 III GG, Borsysiak/Fleury, JuS 1993, L 81, so dass dem Bundespräsidenten zumindest eine materielle Evidenzkontrolle, Jarass/Pieroth, Art. 82 GG, Rn mwN, zusteht.
Bei offensichtlicher Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes kann er sich also nach überzeugender Meinung weigern, dieses auszufertigen.
C. politisches Prüfungsrecht
Ein politisches Prüfungsrecht besteht nach einhelliger Auffassung jedoch nicht, Degenhart, Rn. 379.
D. Fazit
Das Prüfungsrecht des Bundespräsidenten ist ein echter Klassiker und sollte von jedem Studenten und Examenskandidaten, auch in der mündlichen Prüfung, beherrscht werden. Es lässt sich leicht mit einer formellen und materiellen Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes verbinden.
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