Gestern hat die Staatsanwaltschaft Hof die Ermittlungen gegen den ehemaligen Verteidigungsminister Guttenberg wegen der Plagiate in seiner Dissertation nach § 153a StPO eingestellt (Bericht von beck-online v. 23.11.2011).
I. Materiell-rechtliche Probleme
- Urheberrechtsverletzungen: Der Tatbestand des § 106 Abs. 1 UrhG ist wohl erfüllt. Jedenfalls die Staatsanwaltschaft Hof ging hiervon aus.
§ 106 UrhG Unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke:(1) Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
- Möglicherweise § 263 Abs. 1 StGB (Betrug) gegenüber dem Deutschen Bundestag durch Nutzung dessen wissenschaftlichen Dienstes für private Zwecke. Hier fehlt es wohl vor allem am Schaden.
- Möglicherweise § 266 Abs. 1 StGB (Untreue) durch dieselbe Handlung. Insofern ist jedoch schon das Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflicht (nach h.M. für beide Tatvarianten erforderlich) mehr als fraglich.
- §§ 267, 274 StGB (Urkundenfälschung, Unterdrückung von Urkunden): Schützen nicht die inhaltliche Richtigkeit.
- Amtsanmaßung (§ 132a StGB): Der Titel war wirksam verliehen, daher durfte Guttenberg ihn auch führen.
In der Prüfung ist insofern in erster Linie Problembewußtsein und dann eigenständige Argumentation gefragt. Zu den materiell-rechtlichen Problemen ausführlicher unser Artikel: „Noch einmal aus aktuellem Anlass: Strafbarkeit bei plagiierten Dissertation“ und, insbesondere zum Betrug und der zivilrechtlichen Seite „Plagiat in der Dissertation von Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg – rechtliche Implikationen und andere interessante Fälle„.
II. Die Einstellung nach § 153a StPO
Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 153a StPO gegen Zahlung von 20.000€ an die Deutsche Kinderkrebshilfe eingestellt. Die Einstellung nach § 153a StPO ist ein in der Praxis häufiges Mittel, wenn eine Einstellung nach § 153 StPO wegen geringer Schuld (und fehlendem öffentlichen Interesse) nicht mehr in Betracht kommt.
§ 153a StPO geht in zweierlei Hinsicht über § 153 StPO hinaus, nämlich sowohl hinsichtlich des Grades der Schuld wie auch hinsichtlich des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung: Während § 153 StPO eine Einstellung nur zulässt, wenn die Schuld Täters „gering“ ist UND KEIN öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, ermöglicht § 153a StPO eine Einstellung „soweit die Schuld des Täters nicht entgegensteht“ – also bei einem höheren Maß an Schuld. Außerdem trotz eines zunächst bestehenden öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung eingestellt werden, soweit dieses durch Auflagen nach § 153a Abs. 1 S. 2 StPO beseitigt wurde.
§ 153a [Einstellung des Verfahrens bei Erfüllung von Auflagen und Weisungen]
Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. […]
Vorliegend ist die Schwere der Schuld sicherlich kein Einstellunghindernis: Insgesamt ist der wirtschaftliche Schaden durch die sicher erfüllten Urheberrechtsverletzungen als gering zu bewerten und zu Guttenberg ist Ersttäter. Bei der Beurteilung der Schuld kann man durchaus auch einbeziehen, dass in der wissenschaftlichen Praxis „Plagiate“ wenn nicht stillschweigend hingenommen, so doch kaum verfolgt wurden. Wenn man sich vor Auge hält, dass auch Verkehrsdelikte mit Personenschäden und sogar Fälle fahrlässiger Tötung unter § 153a StPO fallen können, ist die Schuld zu Guttenbergs sicherlich am unteren Rande anzusiedeln. Dazu und allgemein zu der Schwere der Schuld vgl. Beck’scherOK-StPO/Beukelmann, § 153a Rn. 12ff.).
Problematisch ist jedoch, ob das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigt werden kann. Zunächst ist im Falle zu Guttenbergs vor allem zu klären, wonach sich dieses Interesse bemisst: Geht es nur um „die Tat als solche“ oder dürfen auch Gründe aus seiner Person, und hier insbesondere seine Stellung im öffentlichen Leben, einbezogen werden?
Die wohl überwiegende Meinung bejaht letzteres – bei einem Prominenten kann daher wegen der Vorbildfunktion ein (größeres) öffentliches Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen sein als bei einer unbekannten Person (vgl. KarlsruherKo-StPO/Schoreit, § 153 Rn. 23 m.w.N.). Insbesondere soll das bei „politischen Verwerfungen“ gelten (KarlsruherKo-StPO/Schoreit, § 153 Rn. 25 m.w.N). Die Gegenansicht dagegen möchte Gründe, die in der Person des Täters liegen, eher ausblenden (etwa Löwe/Rosenberg/BeulkeStPO § 153 Rn. 33). Ein bloßes Interesse der Medien an dem Fall reicht jedenfalls nicht (LG Bonn NStZ 2001, 375).
Letztlich muss man sich hier eine eigene Meinung bilden. Ich halte eine vermittelnde Ansicht für richtig: Der Sinn der Strafverfolgung ist es sicherlich nicht, ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu befriedigen, sondern sollte sich nach general- oder spezialpräventiven Gesichtspunkten richten. Denn letztlich dient die Strafverfolgung den gleichen Zwecken wie die Strafe selbst. Im Rahmen dieser kann dann durchaus die Vorbildfunktion des Prominenten einbezogen werden.
Das gilt insbesondere im Falle zu Guttenbergs, der sich auf der politischen Bühne mit dem Ruf der Integrität zu profilieren suchte. Stellt sich heraus, dass diese Fassade unrichtig war, liegt der Gedanke, dass auch andere diesem negativen Vorbild folgen würden, nicht fern. Es bestand also durchaus ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung.
Ob dieses durch die Auflage in Höhe von 20.000€ beseitigt wurde, mag man diskutieren. Dort heißt es bei Beck’scherOK-StPO/Beukelmann, § 153a Rn. 17ff: Für die Einstellung spricht,
„[…] wenn die langwierige Durchführung des Verfahrens durch mehrere Instanzen nicht mehr im Verhältnis zur Tat oder zum Schutzgehalt und damit auch zur eventuellen Höhe der Strafe stünde, eine verständliche Motivlage des Beschuldigten, seine fehlende kriminelle Vorbelastung und seine Person als solches, eine fehlende Wiederholungsgefahr, Bemühung um Schadenswiedergutmachung und geringe Tatfolgen“.
Ich denke im Ergebnis sind 20.000 € gut vertretbar. Es ist sicherlich eine recht hohe Summe im Verhältnis zu den eingetretenen Schäden. Damit wird dann dem aus der Person des Ex-Verteidigungsminister fließenden höheren öffentlichen Intersse genügt.