Oscar Pistorius ist wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen worden (s. hier). Er hatte seine Freundin durch eine Badezimmertür erschossen, weil er einen Einbrecher hinter dieser vermutet hatte. Der Fall bietet – übertragen auf das deutsche Rechte – viele Anknüpfungspunkte für eine mündliche Prüfung oder gar eine Examensklausur im Strafrecht. An dieser Stelle sei auf unsere ausführlichen Artikel zum Erlaubnistatbestandsirrtum in der Klausur sowie der irrtümlichen Notwehrlage eines HellsAngels Mitglieds hingewiesen. Letztlich läuft der Fall Pistorius analog. Im Folgenden werden die wohl wesentlichen Prüfungspunkte dargestellt:
I. Subjektiver Tatbestand: Zunächst bräuchte Pistorius Vorsatz, das heißt Wissen und Wollen, hinsichtlich der Tötung seiner Freundin. Da Pistorius jedoch einen Einbrecher vermutete, liegt ein error in persona vor. Dieser ist aber unbeachtlich, da die Tatobjekte rechtlich gleichwertig sind. In einer mündlichen Prüfung könnte die Abgrenzung von (unbeachtlichem) error in persona zu einem aberratio ictus (Fehlgehen der Tat) abgefragt werden.
II. Rechtfertigung: In Betracht kommt die Notwehr nach § 32 StGB. Tatsächlich lag kein kein gegenwärtiger rechtswidrig Angriff auf Pistorius vor, sodass es schon an einer Notwehrlage mangelt.
III. Erlaubnistatbestandsirrtum: Subjektiv hat sich Pistorius (nach Beweislage) aber vorgestellt, dass ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff, also eine Notwehrlage vorlag. Dies führt zum Problem des Erlaubnistatbestandsirrtum, der von verschiedenen Seiten unterschiedlich behandelt wird (die Vorsatztheorie bzw Lehre von den negativen TB-Merkmalen gem. § 16 Abs. 1 StGB, die strenge Schuldtheorie gem. § 17 StGB, die eingeschränkte Schuldtheorie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB analog und die rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie, der im Ergebnis gefolgt werden sollte gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB analog).
Anschließend muss geprüft werden, ob nach der Vorstellung von Pistorius ein Notwehrrecht tatsächlich vorgelegen hätte und ob dieses dann nach seiner Vorstellung rechtmäßig ausgeübt wurde. Hier kann man Überlegungen anstellen, ob mehrere Schüsse durch eine geschlossene Badezimmertür ohne vorherige Ankündigung noch ein erforderliches Mittel zur Abwehr des (vermeintlichen) Angriffes sind. Für eine Erforderlichkeit kann angeführt werden, dass Pistorius beinamputiert ist und in der besagten Nacht keine Prothese trug. Somit war er in seiner Verteidungsbereitschaft stark eingeschränkt, was zu einer Absenkung der Anforderungen an einen Schusswaffengebrauch führen kann. Die Theorien zur Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums sollten letztlich erst an dieser Stelle ausführlich diskutiert werden, da diese nur bei tatsächlichem Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtum eine Rolle spielen.
Nimmt man nun an, dass Pistorius die Grenzen seines vermeintlichen Notwehrrechtes aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat (die Vermutung könnte insbesondere wegen des unangekündigten Schusswaffengebrauches nahe liegen), käme man zu einem sog. Putativnotwehrexzess, also einer Überschreitung seines Notwehrrechts gem. § 33 StGB bei gleichzeitigem Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums. Wie dieser Putativnotwehrexzess rechtlich zu behandeln ist, ist umstritten.
a.A.: Sieht man die Grenzen des vermeintlichen Notwehrrechtes hingegen als gewahrt an und lehnt im Folgenden eine Vorsatzstrafbarkeit ab, muss noch die fahrlässige Tötung geprüft werden gem. § 222 StGB. Die Strafbarkeit ergibt sich hierbei aus § 16 Abs. 1 S. 2 StGB (analog).
Man sieht: Der Fall kann Futter für eine mündliche Prüfung liefern und sollte daher ein Mal komplett durchdacht sein. Trotz aller Kritik – die der Polemik im Fall der Tötung eines Polizisten durch ein Mitglied der HellsAngels nahe kommt – ist das Urteil zumindest nach deutschem Recht nachvollziehbar.