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Gastautor

Das reformierte Verbraucherschutzrecht – ein Überblick über Neuregelungen, Systematik und examensrelevante Themen

Rechtsgebiete, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Das reformierte Verbraucherschutzrecht – ein Überblick über Neuregelungen, Systematik und examensrelevante Themen
Auch im neuen Jahr veröffentlichen wir wieder einen Beitrag eines Mitglieds des Phi Delta Phi – Hoffmann Becking Inn. Der Beitrag stammt im Januar von Peter Stainer.
Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einer internationalen Wirtschaftskanzlei in Frankfurt am Main und beginnt im Frühjahr 2015 sein Referendariat. Darüber hinaus ist er Mitautor des aktuellen Hemmer-Skripts zum Verbraucherrecht.
I. Die Verbraucherrechtsreform vom 13.06.2014
Das Widerrufsrecht soll vor vertraglichen Bindungen schützen, die der Verbraucher möglicherweise übereilt und ohne gründliche Abwägung eingegangen ist. Grund für die Durchbrechung des Grundsatzes „pacta sunt servanda“ ist manchmal die Situation, in welcher der Vertrag zustande gekommen ist, manchmal aber auch der schwierig zu durchschauende Vertragsgegenstand (Palandt, § 355 nF, Rn. 2).
Mit Wirkung zum 13.06.2014 trat das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechtsrichtlinie (VerbRRL) und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung (VerbRRG) in Kraft. Ziel des Gesetzes ist die Umstellung des deutschen Verbraucherschutzrechts vom europäischen Minimalstandard hin zu einer Vollharmonisierung im Geltungsbereich der Richtlinie (Palandt, Vorb v § 312 nF, Rn. 3; Schärtl, JuS 2014, 577).
II. Neuerungen
Die Verbraucherrechtsreform hat im Bereich der besonderen Vertriebsformen („Haustürgeschäft“ und Fernabsatzvertrag) sowie beim Widerrufsrecht selbst zu umfassenden Modifikationen geführt. Die wesentlichen Änderungen sind im Folgenden überblicksmäßig aufgeführt:

  • Die §§ 312–312h wurden komplett neu gefasst, neu eingefügt wurden §§ 312i–312k BGB. Die §§ 355–361 BGB sowie Art. 246–246c EGBGB wurden ebenfalls neu gefasst.
  • In §§ 312, 312a BGB ist nun ein „Verbrauchervertragsrecht AT“ kodifiziert, welches für alle Verträge gilt, die eine „entgeltliche Leistung“ zum Gegenstand haben (Ehmann/Forster, GWR 2014, 163).
  • Das „Haustürgeschäft“ wurde durch den weitergehenden Begriff des „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrages (AGV)“ gem. § 312b BGB ersetzt.
  • Die Informationspflichten des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher wurden in §§ 312d, 312e, § 312j BGB neu gestaltet.
  • Für die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträge gem. § 312b BGB und Fernabsatzverträge gem. § 312c BGB gilt nun ein einheitliches Widerrufsrecht gem. §§ 312g, 355, 356 BGB.
  • Die neuen Bestimmungen zum Widerrufsrecht richten sich nunmehr nach den besonderen Verbrauchervertragstypen (Besondere Vertriebsformen, Teilzeit-Wohnrechteverträge, Verbraucherdarlehen, Ratenlieferungsverträge etc.).
  • Der Widerruf muss nun gem. § 355 I 2, 3 BGB ausdrücklich erklärt werden, wofür es jetzt ein EU-weit einheitliches Musterformular gibt. Allerdings genügt nun eine formlose Erklärung des Widerrufs.
  • Die Widerrufsfrist wurde EU-weit harmonisiert und beträgt nun einheitlich 14 Tage, im Falle unzureichender Information beträgt die Höchstdauer zwölf Monate und 14 Tage. Ein quasi „ewiges“ Widerrufsrecht besteht somit – außer bei Verträgen über Finanzdienstleistungen – nicht mehr. [Verträge über Finanzdienstleistungen wurden von der VerbRRL und – weitestgehend – auch vom VerbRRG nicht erfasst. Solche Finanzdienstleistungsverträge (Definition in § 312 V BGB) haben jedoch allenfalls in den Südbundesländern (geringe) Examensrelevanz und sollten zumindest keinen Schwerpunkt bei der Vorbereitung auf die Pflichtfachprüfung darstellen.]
  • Gestrichen wurde das Rückgaberecht gem. § 356 BGB aF als Alternative zum Widerruf.
  • Anders als bisher werden abweichende Widerrufsvorschriften bei besonderen Verbraucherverträgen (Teilzeit-Wohnrechte, Verbraucherdarlehen, Ratenlieferung) nicht mehr bei den einzelnen Vertragstypen, sondern zentral in den §§ 356a–356c, 357a–357c geregelt.
  • Die Rechtsfolgen des Widerrufs sind nun selbstständig geregelt, der Verweis auf die Rechtsfolgen des Rücktritts (§ 246 ff. BGB) ist entfallen.
  • § 357 VI BGB trägt der Verbraucher nun im Regelfall die Kosten der Rücksendung.

Gemäß Art. 229 § 32 I EGBGB richten sich vor dem 13.06.2014 entstandene Schuldverhältnisse grundsätzlich nach dem alten Recht, ab diesem Stichtag findet die neue Rechtslage Anwendung.
III. Systematik der §§ 355 ff. BGB
In verschiedenen Bestimmungen zu Verbraucherverträgen (klausurträchtig sind §§ 312g, 485, 495 I und § 510 II BGB) finden sich Tatbestände, bei deren Vorliegen ein Widerrufsrecht besteht. Diese Tatbestände verweisen auf § 355 BGB, welcher – als eine Art „Widerrufsrecht AT“ grundlegend die Art und Weise der Ausübung des Widerrufs bestimmt. § 355 BGB wird jedoch durch die §§ 356–356c BGB weiter konkretisiert, welche mit den besonderen Verbrauchervertragstypen (§§ 312g, 485, 495 I, § 510 II BGB) korrespondieren und speziellere Anforderungen – insbesondere Ausschlussfristen – für den jeweiligen Vertragstyp aufstellen. In §§ 357–357c BGB werden die Rechtsfolgen des Widerrufs – parallel zu §§ 356a–356c – für bestimmte Vertragstypen abschließend normiert.
Die Systematik lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Besondere Vertriebsformen (§§ 312b ff BGB):
Widerrufsrecht: §§ 355, 356                       Rechtsfolge: § 357 BGB
Teilzeit-Wohnrechtsverträge (§§ 481 ff. BGB):
Widerrufsrecht: §§ 355, 356a                     Rechtsfolge: § 357b BGB
Verbraucherdarlehensverträge (§§ 491 ff. BGB):
Widerrufsrecht: §§ 355, 356b                     Rechtsfolge: § 357a III BGB
Ratenlieferungsverträge (§§ 510 ff. BGB):
Widerrufsrecht: §§ 355, 356c                      Rechtsfolge: § 357c BGB
IV. Systematik der §§ 312 ff. BGB
Die §§ 312–312k BGB (Untertitel 2: Grundsätze bei Verbraucherverträgen und besondere Vertriebsformen) folgen einer völlig neuen Regelungstechnik, deren Regelungsgegenstand zum Teil über Verbraucherverträge hinausgeht:
1. Kapitel 1 (§§ 312; 312a BGB): „Verbrauchervertragsrecht AT“
312 I BGB definiert den Anwendungsbereich für Kapitel 1 und 2, wonach diese nur auf Verbraucherverträge i.S.d. § 310 III BGB Anwendung finden, welche eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben. Der Verbrauchervertrag ist in § 310 III BGB legaldefiniert als ein Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (B2C). „Entgeltlich“ meint alle Verträge, in denen sich der Verbraucher zu einer Gegenleistung verpflichtet, die Bezeichnung der Gegenleistung ist dabei gleichgültig (Preis, Lohn, Honorar, Vergütung, Gebühr, usw.) und weit auszulegen.
Von erhöhter Klausurrelevanz sind die Bereichsausnahmen in § 312 II–IV BGB. § 312 II–VI BGB beschränken den sachlichen Anwendungsbereich der §§ 312–312h BGB durch Ausnahmetatbestände. Grund hierfür ist meist, dass in den genannten Fällen der Verbraucherschutz durch speziellere Normen ausreichend verwirklicht wird. Das Widerrufsrecht entfällt jedoch nur in den Fällen des § 312 II und VI BGB sowie bei Folgeverträgen bei Finanzdienstleistungen mit mehreren aufeinander folgenden Verträgen. Interessant im Zusammenhang mit den Bereichsausnahmen ist das Umgehungsverbot in § 312k I 2 BGB: Geschickte Unternehmer könnten den Versuch unternehmen, einen entgeltlichen Verbrauchervertrag formal unter die Voraussetzungen einer Bereichsausnahme zu fassen und das Widerrufsrecht aus § 312b BGB oder § 312c BGB auf diese Weise auszuhöhlen. Dies verhindert § 312k I 2 BGB, indem die Norm bei solchen Umgehungskonstellationen die Vorschriften des Untertitels trotzdem für anwendbar erklärt. Neben den Bereichsausnahmen des § 312 II–IV BGB findet der Ausnahmekatalog des § 312g II BGB Anwendung (für Einzelheiten und Fallbeispiele zu den Bereichsausnahmen siehe Hemmer/Wüst/d’Alquen/Stainer, Verbraucherschutzrecht, 4.Aufl., Rn. 304 ff).
Die in § 312a I, III–V BGB geregelten Informationspflichten gelten für alle Verbraucherverträge i.S.d. § 310 III BGB, während die in § 312a II BGB i.V.m. Art. 246 EGBGB genannten Pflichten durch § 312d BGB i.V.m. Art. 246a EGBGB verdrängt werden. Die Informationspflichten nach § 312a II BGB i.V.m. Art. 246 EGBGB sind auch auf alle sonstigen Verbraucherverträge, die nicht unter §§ 312b; 312c BGB fallen, anwendbar, also auf sämtliche Geschäfte des stationären Handels oberhalb der Bagatellgrenze des Art. 246 II EGBGB. Die Pflichten und Grundsätze des § 312a I, III–V BGB werfen im Einzelnen keine Schwierigkeiten auf und lassen sich durch Lektüre des Gesetzes gut erschließen. Zu beachten ist, dass sich eine Nichtbeachtung des § 312a BGB nicht auf das Widerrufsrecht bzw. die Widerrufsfrist auswirkt, da die Sanktionen nach Abs. 3–5 den Verbraucherschutz bereits hinreichend gewährleisten (Palandt, § 356 nF, Rn. 7).
2. Kapitel 2 (§§ 312b–312h BGB): Besondere Vertriebsformen bei Verbraucherverträgen
a) Außergeschäftsraumverträge (AGV), § 312b BGB
Das Widerrufsrecht bei Außergeschäftsraumverträgen dient dem Schutz des Verbrauchers vor situativer Überrumpelung durch einen Unternehmer: Außerhalb von Geschäftsräumen muss ein Verbraucher nämlich regelmäßig nicht mit einem Vertragsschluss rechnen.
Ein Außergeschäftsraumvertrag liegt in den vier Fällen des § 312b I 1 Nr. 1–4 BGB vor. Hinsichtlich der einzelnen Tatbestandsvarianten ist Folgendes zu beachten:

  • „Geschäftsräume“ sind in § 312b II BGB definiert. Die negative Abgrenzung in § 312b I Nr BGB geht deutlich über das „alte“ Verständnis des Haustürgeschäfts hinaus. Als außerhalb von Geschäftsräumen sind insbesondere die Privatwohnung, der Arbeitsplatz und allgemein zugängliche Verkehrsflächen anzusehen. Insoweit fallen auch Partyverkäufe in Privatwohnungen und Vertragsschlüsse in Hotels und Seniorenheimen unter § 312b I BGB. Ob der Besuch des Unternehmers durch den Verbraucher bestellt wurde, ist nach neuer Rechtslage nicht mehr entscheidend (Palandt, § 312b nF, Rn. 4).
  • 312b I 1 Nr. 2 BGB erweitert den Anwendungsbereich der Nr. 1 auf Fälle, in denen nur der Verbraucher seine bindende Erklärung abgibt, der Unternehmer den Antrag aber erst später (und möglicherweise in seinen Geschäftsräumen) annimmt. Voraussetzung ist allerdings die körperliche Anwesenheit des Unternehmers (oder seines Gehilfen, § 312b I 2 BGB).
  • Von § 312b I 1 Nr. 3 BGB erfasst werden Verträge, bei denen der Verbraucher außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers persönlich und individuell angesprochen, der Vertrag allerdings in unmittelbarem Anschluss in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder über Fernkommunikationsmittel geschlossen wird. Allerdings greift Nr. 3 nicht, wenn der Unternehmer in die Wohnung des Verbrauchers kommt, um für ein Angebot Werbematerial abzugeben, Maße zu nehmen oder eine Schätzung vorzunehmen und der Verbraucher erst nach einer Prüfungs- und Bedenkzeit sein Angebot abgibt (Palandt, § 312b nF, Rn. 6).
  • 312b I 1 Nr. 4 BGB erfasst Fälle, bei denen anlässlich einer Ausflugsveranstaltung in den Geschäftsräumen des Unternehmers geschlossen werden. Erfasst werden insbesondere Kaffee- und Butterfahrten.

b) Fernabsatzverträge, § 312c BGB
Die Definition des Fernabsatzvertrages hat sich – im Vergleich zum „Haustürgeschäft / Außergeschäftsraumvertrag“ eher geringfügig verändert und vereinfacht. Sowohl der Begriff des Fernabsatzvertrages (§ 312c I BGB) als auch der des Fernkommunikationsmittels (§ 312c II BGB) sind nun legaldefiniert. Entscheidend für das Vorliegen eines Fernabsatzvertrages ist, dass die Vertragsparteien nicht gleichzeitig körperlich anwesend sind, sondern eben nur mittels Fernkommunikationsmittel kommunizieren. Für die Klausur empfiehlt es sich hier, sich am Gesetzeswortlaut zu orientieren und in Zweifelsfällen richtlinienkonform – also verbraucherfreundlich – auszulegen.
c) Informationspflichten und Formalien, §§ 312d, 312e, 312f BGB
Gemäß § 312d I 1 BGB ist der Unternehmer bei Verträgen gem. § 312b I BGB verpflichtet, den Verbraucher nach Maßgabe des Art. 246a EGBGB zu informieren. Für Verträge über Finanzdienstleistungen gilt abweichend § 312d II BGB i.V.m. Art. 246b EGBGB. Die einzelnen Informationspflichten sind im EGBGB katalogartig aufgelistet und lassen sich durch die Gesetzeslektüre ohne weiteres erschließen.
d) Widerrufsrecht, § 312g BGB
312g I BGB enthält den Verweis auf § 355 BGB. § 312g II BGB enthält einen Katalog von Fällen, in welchen – vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung durch die Parteien – kein Widerrufsrecht besteht. Die einzelnen Ausnahmen sind wörtlich aus Art. 16 VerbRRL übernommen und teilweise sehr weit formuliert; ein Ergebnis intensiver Lobbyarbeit zugunsten der Unternehmen (Palandt, § 312g, Rn. 3). Im Zweifel ist auch hier richtlinienkonform (also verbraucherfreundlich) auszulegen, wegen § 312k II BGB trägt der Unternehmer die Beweislast für das Vorliegen einer Ausnahme. Dieser Ausnahmenkatalog gilt kumulativ mit den Bereichsausnahmen des § 312 II, V, VI BGB. § 312g III BGB stellt klar, dass die dort genannten spezielleren Widerrufsrechte dem § 312g I BGB vorgehen (zu den einzelnen Ausnahmen mit Fallbeispielen vgl. Hemmer/Wüst/d’Alquen/Stainer, Verbraucherschutzrecht, 4. Aufl. 2014, Rn. 317 ff.).
3. Kapitel 3 (§§ 312i, 312j BGB): Elektronischer Geschäftsverkehr
312i BGB dient der Umsetzung von Art. 10, 11 E-Commerce-Richtlinie (2000/31/EG). Vom persönlichen Anwendungsbereich werden daher nicht nur Verbraucherverträge, sondern sämtliche Vertragsverhältnisse im elektronischen Geschäftsverkehr (also auch B2B und C2C) erfasst. Daher bezieht sich die Norm auf den weiten Begriff des „Kunden“ und nicht auf den Verbraucher i.S.d. § 14 BGB. Die Verortung des § 312i BGB im Untertitel 2 („Verbraucherverträge“) ist daher an sich systemwidrig. Sie wird allerdings in Zusammenschau mit der Folgenorm § 312j BGB verständlich, welche für Verbraucherverträge (B2C) im elektronischen Geschäftsverkehr – in Umsetzung von Art. 8 II, III VerbRRL – weitere, über § 312i BGB hinausgehende Anforderungen stellt.
Der Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr ist in § 312i I BGB legaldefiniert. Maßgebliches Kriterium ist die Verwendung von Telemedien zum Vertragsabschluss, wobei der Begriff Telemedien wie in § 1 TMG zu verstehen ist (BeckOK-BGB, § 312k, Rn. 9 ff.). Der Hauptanwendungsbereich liegt freilich in der Benutzung des Internets und internetbasierter Dienste (Online-Banking, Filesharing Dating-Plattformen).
Die allgemeinen Pflichten des Unternehmers gem. § 312i I Nr. 1–4 BGB (Nr. 1: Bereitstellung einer Korrekturmöglichkeit für Eingabefehler; Nr. 2: Informationspflichten nach Art. 246c EGBGB; Nr. 3: Unverzügliche Bestellbestätigung und Nr. 4: Möglichkeit des Abrufs und der Speicherung des Vertragswerkes einschließlich AGB) sind aus der Gesetzeslektüre heraus verständlich. Als Sanktion bei Pflichtverletzungen kommen allenfalls ein Schadenersatzanspruch aus §§ 311 II, 241 II, 280 I EGBGB, ferner Unterlassungsansprüche aus § 8 UWG und § 2 UKlaG in Betracht (Schulte u.a., § 312i BGB, Rn. 12). Auf das Widerrufsrecht ergeben sich insoweit keine Auswirkungen.
Der speziellere § 312j BGB sieht in § 312j I BGB besondere Informationspflichten für Webseiten für den elektronischen Geschäftsverkehr mit Verbrauchern (Online-Shops) vor und erklärt in § 312j II BGB im Anwendungsbereich des § 312 I BGB („entgeltliche Leistung“) die Belehrungspflichten des Art. 246a § 1 I 1 Nr. 1, 4, 5, 11, 12 EGBGB ergänzend zu Art. 246c EGBGB für anwendbar. Ähnlich wie bei § 312i BGB kommen bei Verletzung dieser Pflichten Ansprüche aus c.i.c. sowie aus dem UWG und dem UKlaG in Betracht mit dem Unterschied, dass wegen § 312k II BGB eine Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers stattfindet.
Die vormals in § 312g III 1 und 2 BGB aF geregelte Ausdrücklichkeitsanforderung und die sog. „Button-Lösung“ befinden sich nun – inhaltlich unverändert – in § 312j III 1 und 2 BGB. Ein konkludenter Abschluss von Verbraucherverträgen im Internet bleibt somit unmöglich (BeckOK-BGB, § 312j, Rn. 17).
312j IV BGB sanktioniert die Nichthaltung der formalen Anforderungen des § 312j III BGB mit der Unwirksamkeit des Vertrages. Diese Rechtsfolge – Unwirksamkeit eines Vertrages ex tunc aufgrund einer Pflichtverletzung – fügt sich nicht in die Dogmatik der Rechtsgeschäftslehre des BGB ein und stellt daher ein u.U. klausurtaugliches Problem dar. (siehe dazu unter V.).
4. Kapitel 4 (§ 312k BGB): Abweichende Vereinbarungen und Beweislast.

  • 312k BGB gilt für den gesamten Untertitel 2 und enthält drei Regelungen: § 312k I 1 BGB erklärt die vorhergehenden Bestimmungen für unabdingbar, während § 312k I 2 BGB ein Umgehungsverbot der Vorschriften des 2. Untertitels konstituiert. Gestaltungen, welche die Vorschriften zum Schutze des Verbrauchers umgehen sollen, werden somit unwirksam (z.B. die Aufteilung eines einheitlichen Vertrages in Teilleistungen zu je 40 €, um den Vertrag gem. § 312 II Nr. 12 BGB aus dem Anwendungsbereich des Widerrufsrechts herauszunehmen).
  • 312k II BGB bürdet für den gesamten Unterabschnitt 2 die Beweislast in Bezug auf Informationspflichten dem Unternehmer auf, sofern ein Verbraucher auf einer Seite des Vertrages steht. Sofern in den Fällen des § 312i BGB keine Verbraucher involviert sind, gilt die Beweislastumkehr also entsprechend nicht, wohl aber für die Fälle des § 312j BGB.

V. Klausurrelevanz
Sofern in einer Klausur ein Widerrufsrecht gem. §§ 312g, 355 BGB in Betracht kommt, bietet sich das folgende Aufbauschema an:

  • Obersatz zu Rechtsfolgen:
    • 355 I BGB rechtsvernichtende Einwendung
    • § 357–357c BGB: Entstehen eines RückgewährSV (nur relevant bei AustauschV), u.U. Wertersatzpflicht des Verbrauchers
  • Bestehen eines Widerrufsrechts nach § §312b, 312g BGB
    • Verbrauchervertrag i.S.v. § 310 III BGB
    • Entgeltliche Leistung, § 312 I BGB
    • keine Bereichsausnahme gem. § 312 II, V, VI BGB
    • Außergeschäftsraum-Situation gem. § 312b I Nr. 1–4 BGB oder Fernabsatzvertrag, § 312c I BGB
    • kein Ausschluss des Widerrufsrechts gem. § 312g II BGB
    • keine Subsidiarität gem. § 312g III BGB
    • kein Erlöschen des Widerrufsrechts gem. § 356 IV, V BGB
  • Frist- und formgerechter Widerruf:
    • 14 Tage ab Vertragsschluss gem. § 355 II BGB bei Belehrung, abweichender Fristbeginn gem. §§ 356 II, III; 356a–356c BGB. Ohne Belehrung erlischt das Widerrufsrecht 12 Monate und 14 Tagen gem. § 356 III BGB
    • Ausdrückliche Widerrufserklärung, § 355 I 3 BGB, ggf. unter Verwendung der Musterwiderrufserklärung gem. § 356 I BGB

Der erste größere Augenmerk in einer Klausur sollte auf den Bereichsausnahmen des § 312 II–VI BGB und dem Ausnahmekatalog des § 312g II BGB liegen, wobei das Umgehungsverbot des § 312k I 2 BGB stets gedanklich präsent sein sollte.
Bei § 312j IV BGB (bzw. § 312g IV BGB aF) bleibt bei Pflichtverletzungen im elektronischen Geschäftsverkehr das Problem der richtlinienkonformen Auslegung des § 312j IV BGB aktuell. Fraglich ist ob der Verbraucher trotz Pflichtverletzung des Unternehmers am Vertrag festhalten kann und die Leistung fordern darf: Während eine Ansicht wortlautkonform auch dem Verbraucher das Festhalten am Vertrag versagt (Palandt, § 312j BGB nF, Rn. 8 m.w.N.), soll auf der anderen Seite in richtlinienkonformer Auslegung des Art. 8 II VerbRRL der Verbraucher nicht gebunden und nur der Unternehmer am Vertrag festgehalten werden (Schulte u.a., § 312j, Rn. 3). Entscheidend sind wie immer die Identifikation des Problems und die argumentative Zuführung zu einer vertretbaren Lösung (zur Vertiefung: BeckOK-BGB, § 312j, Rn. 26 ff.; Weiss, JuS 2013, 590–594; Heinig, MDR 2012, 323–327; Alexander, NJW 2012, 1985–1990)
Die Handhabung des – zumindest in Bayern – als klausurrelevant gehandelten Widerrufs eines geschlossenen Fonds mit dem Problem, dass die § 357 I 1 aF i.V.m. 246 ff. BGB nicht auf die Beendigung einer Gesellschaft passten, dürfte sich zumindest nicht wesentlich verändert haben: Die nunmehr in § 355 III BGB geregelte „Rückgewähr empfangener Leistungen“ entspricht insoweit dem Wortlaut des § 346 I BGB, sodass die Lösung eines solchen Falles immer noch eine argumentative Auseinandersetzung erfordert [fehlerhafte Gesellschaft, Auseinandersetzungsanspruch (siehe MüKo-BGB, § 705, Rn. 329; BGH, NJW 2012, 3096)].
VI. Zur Vertiefung und Ergänzung
Schärtl, Der verbraucherschützende Widerruf bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen, JuS 2014, 577–583.
 

14.01.2015/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-01-14 08:30:132015-01-14 08:30:13Das reformierte Verbraucherschutzrecht – ein Überblick über Neuregelungen, Systematik und examensrelevante Themen
Gastautor

Studium und dann… ??? Ein kleiner juristischer Reisebericht aus Südosteuropa

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Auch im Dezember veröffentlichen wir wieder einen Beitrag eines Mitglieds des Phi Delta Phi – Hoffmann Becking Inns. Marcel Werner berichtet über seine Erfahrungen innerhalb einer NGO in Südosteuropa und der Frage was nach dem Studium folgen wird. Insbesondere durch zahlreiche Veranstaltungsplattformen und Expertengespräche, aber auch durch aktive Beratung der Regierungen, unterstützen NGO´s den Reformprozess in Südosteuropa. Der vorliegende Beitrag zeigt einige Missstände, mit welchen sich die NGO´s auseinadersetzen, auf, Aktuell bereitet sich der Autor auf einen weiteren Auslandsaufenthalt vor.

Die allgemeine Ausgangssituation

Wirtschaft oder Staat – Wohin nach dem Studium? Was möchte ich und was bin ich bereit zu leisten und gegebenenfalls auch zu opfern? Diese Fragen beschäftigen wahrscheinlich jeden Studenten während seiner Ausbildung. Waren vor einigen Jahren Großkanzleien kaum bekannt, konkurrieren sie heute gemeinsam mit dem Staatsdienst unter den beliebtesten Arbeitgebern bei Juristen. Ganz plakativ: hier 100.000 € Einstiegsgehalt aber durchaus wenig Freizeit und dort weitgehende Autonomie aber unter Umständen die Beschäftigung mit weniger spektakulären Fällen, als es der Tatort vermuten lässt.
Nachdem ich im Sommer ein Praktikum in einer der führenden internationalen Wirtschaftskanzleien absolviert hatte, war mir klar, es handelt sich um eine ganz eigene Welt, in welcher das juristische Handwerk, welches an der Uni gelehrt wird, meist eher zweitrangig ist. Diese Tatsache möchte ich überhaupt nicht kritisieren, denn es hat mir sehr viel Freude bereitet und ich könnte mir sehr gut vorstellen, für eine gewisse Dauer in einer solchen Kanzlei zu arbeiten. Die Kanzleien bilden die Neueinsteiger praktisch noch einmal völlig neu aus und man kann sehr viel lernen. Die universitäre Ausbildung vermittelt mit der Fähigkeit zu analytischem Denken und der Abwägung von Argumenten lediglich (aber immerhin) eine Ausgangsposition, so zumindest das meinige Empfinden und das vieler Anwälte, mit denen ich mich austauschen konnte.
Südosteuropa – Die Arbeit in einer Nichtregierungsorganisation
Gewährleistung eines funktionierenden Justizapparats
Da ich mich aber auch für die internationale Politik interessiere, verschlug es mich anschließend nach Rumänien. Dort absolvierte ich ein Praktikum im Rechtsstaatsprogramm einer großen NGO. Im folgenden Bericht werde ich einige Themen aufzählen, welche typischerweise das Aufgabengebiet einer NGO in Südosteuropa umfassen, um den Lesern eine Vorstellung über dortige Tätigkeiten zu ermöglichen.
Ein ganz anderes Aufgabenfeld, dennoch spannend und vielseitig. Im Rahmen des Praktikums beschäftigte ich mich mit Reformen der Justiz, Minderheiten, insbesondere Roma in Südosteuropa, und der Antikorruption, aber auch dem Asylrecht. Man beriet postkommunistische Regierungen bei Entwürfen zu neuen Strafgesetzbüchern und erarbeitete gemeinsam mit anderen NGOs Ideen, um das Justizwesen transparenter zu gestalten und das Vertrauen der Menschen in die Justiz nach jahrzehntelangem Kommunismus und Vetternwirtschaft wieder herzustellen. Gleichzeitig versuchte man die Transparenz und Effektivität der Gerichtsprozesse nachhaltig zu gewährleisten. Oftmals ziehen sich diese über Jahre hinweg, sodass sich kaum ein Durchschnittsbürger die hohen Prozess- und Anwaltskosten leisten kann. Hinzu kommt, dass es in einigen Regionen keine Prozesskostenhilfe gibt. Dies nutzen Richter und Anwälte oftmals aus, um sich gegenseitig abzusprechen und die anfallenden Anwaltskosten durch aufschiebende Prozesstage in die Höhe zu treiben und dann untereinander zu teilen.
Asylrecht – Eine Frage der Differenzierung

Als besonders interessant erwies sich für mich auch die Auseinandersetzung mit deutschem Asylrecht. Ein Gebiet, welches ich persönlich zuvor nur beiläufig kannte. Spannend war es insbesondere deshalb, weil in der Zeit meines Praktikums die Entscheidung der Bundesregierung fiel, das Asylrecht zu verschärfen.[1] Die Bundesregierung stufte drei weitere Balkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten ein, namentlich sind dies Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Abgelehnte Asylbewerber können nun schneller abgeschoben werden. Dies betrifft vor allem die Minderheit der Roma, welche sich seit ein paar Jahren auch auf deutschen Straßen niederlässt. Abgelehnt wird ein Großteil der Asylanträge oftmals, weil die Menschen nicht immer als politisch verfolgt im Sinne des Grundgesetzes (Art. 16a GG) gelten. Die Bundesregierung möchte damit insbesondere die Armutseinwanderung bekämpfen. Korrekt ist sicherlich, dass das Asylrecht häufig missbraucht wird. Aber man muss zwischen den einzelnen Einwanderungsgruppen differenzieren. Während des Praktikums fand ich bspw. heraus, dass es den Roma in den einzelnen Balkanstaaten sehr unterschiedlich ergeht.
In einigen Ländern, so z.B. in Rumänien, werden Roma gesellschaftlich isoliert und verstoßen. Man lässt sie nicht am alltäglichen Leben teilhaben und sie leben vielfach unter menschenunwürdigen Bedingungen. Politisch verfolgt werden sie jedoch nicht. In anderen Staaten hingegen sind Roma durchaus der Gewalt rechter Gruppierungen ausgesetzt. Man zündet ihre Häuser an oder missbraucht sie. So berichten zahlreiche NGOs bspw. über solche Vorfälle in Serbien und Ungarn. Mir wurde deutlich, dass man sich jedes Land individuell anschauen muss.
Dass die Bundesregierung Serbien und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten einstuft, erschließt sich einem, wenn man bedenkt, dass bspw. Serbien seit 2012 als offizieller Beitrittskandidat der EU gilt und die Verhandlungen Anfang 2014 begonnen haben. Es erscheint ziemlich paradox, dass die EU ein Land aufnehmen würde, welches nicht als sicheres Herkunftsland gilt, in welchem Minderheiten diskriminiert und verfolgt werden.
In der gesamten Asyldebatte sollten wir jedoch nicht vergessen, dass der Großteil der Migranten einen akademischen Hintergrund besitzt. Die Abwanderung junger qualifizierter Menschen stellt ein typisches Problem der Länder in Südosteuropa dar, was auch dem dort sehr niedrigen Lebensstandard und Einkommen geschuldet ist.
Korruption und Systemkonflikt
Der gesamte Balkan gilt nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens als rechtlich sehr instabil. Der Justiz mangelt es oftmals an Effizienz. Auch der ständige Systemkonflikt zwischen Ost und West führt zu keiner Stabilisierung, wenngleich sich der Großteil der Transformationsstaaten für eine EU-Mitgliedschaft begeistern kann und eine solche auch anstrebt. Ein weiteres Problem ist die Korruption. Im alltäglichen Leben wird in jeder gesellschaftlichen Schicht bestochen. Egal ob für einen Führerschein, ein Staatsexamen oder einen Arztbesuch. Mit einem gewissen Geldbetrag lässt sich vieles vereinfachen. Die monotone Medienlandschaft, oftmals durch das Establishment kontrolliert, lässt keine unabhängige Berichterstattung zu. Dies führt dazu, dass gesellschaftliche Probleme oftmals kaum diskutiert werden. Glücklicherweise kristallisiert sich seit einigen Jahren aber heraus, dass zahlreiche Bürger Verantwortung übernehmen wollen und sich zusammenschließen, um auf Missstände aufmerksam zu machen und ihr Recht auf gesellschaftliche Teilhabe leben. Auch durch Veranstaltungen und Maßnahmen der Weiterbildung westlicher NGOs wird gewährleistet, dass auf solche Missstände aufmerksam gemacht wird.
Rechtsstaatlichkeit auf dem Balkan
Die Verfassungen der Länder sind modernisiert und demokratisiert worden. Die Gewaltenteilung, für uns selbstverständlich, findet nach und nach Akzeptanz. Die Verfassungsgerichtsbarkeit, welche in vielen Ländern aufgrund der sozialistischen Regierungen nicht ausgeführt wurde, wird von der Bevölkerung erfreulicherweise genutzt, um Rechte einzuklagen, sodass sich die Verfassungsgerichte durch spektakuläre Urteile zu einem von Politik und Gesellschaft angesehenen Akteur entwickelt haben.
Insbesondere im Hinblick auf die Rechtstaatlichkeit erzielen die Länder Südosteuropas (vor allem Kroatien und Rumänien) spürbare Fortschritte, wenngleich es noch zahlreiche Probleme gibt. Besonders problematisch sind ungelöste Erb- und Eigentumsfragen, die auf Altlasten sozialistischer Zeit zurückzuführen sind. Teilweise liegen diese Verfahren zehn oder 20 Jahre zurück. Laut dem Gericht für Menschenrechte in Straßburg werden Menschenrechte verletzt, falls ein Verfahren länger als fünf Jahre andauert. Daraus ergibt sich, dass hier täglich gegen Menschenrechte verstoßen wird.
Anwaltsvergütungen in Kroatien – ein spezielles Thema
Was sich mir als besonders bizarr aufgetan hat ist das System der Anwaltsvergütungen in Kroatien, welche jeglichen Rahmen sprengen. Der Interessensverein der Rechtsanwälte in Kroatien erlegt den Bürgern wucherartige Gebühren in Form von festen Tarifen auf. Bei einem Streitwert von 2.000,000 € beträgt das Honorar der Anwälte in Deutschland ca. 400,00 Euro, das in Kroatien 2.300,00 €. Diese Differenz steigt mit steigendem Streitwert, sodass Rechtsanwaltsgebühren oftmals bis zu 20-mal höher sind als in Deutschland. Ein Rechtsschutz ist hier kaum gewährleistet. Auch die Dauer der Verhandlungstage führt dazu, dass Gerichtsverfahren unnötig in die Länge gezogen werden und den Anwälten zusätzliche Honorare bringen. Die Prozesskostenhilfe wird nach dem Gesetz über Prozesskostenhilfe in solchen Fällen gewährt, in denen es um eine für den Empfänger existentielle Frage geht, was in der Praxis so eng wie möglich ausgelegt wird. Personen, die ein Haus oder eine Wohnung besitzen, haben gesetzlich keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe, unabhängig vom Wert der Wohnung, des Hauses oder den Kosten des Verfahrens. Dies führt dazu, dass Zivilprozesse oftmals zugunsten des finanziell Überlegenen entschieden werden.
Zusammenarbeit mit anderen NGO´s
Während meines Praktikums war es mir möglich, mich mit zahlreichen NGO’s zu beschäftigen, so z.B. Transparency International, Human Right Watch, Amnesty International oder Unicef. Daneben beschäftigte ich mich mit Berichten der EU-Kommission oder der Weltbank. Mit Vertretern der EU-Kommission in Bukarest konnte ich mich dankenswerterweise sogar austauschen und an europäischen Dialogen und Konferenzen teilnehmen.
Der deutsche Jurist – besonders populär auf dem internationalen Parkett
Insgesamt war es sehr interessant, Land, Leute und Kultur kennenzulernen und Vorurteile abzubauen. In Zeiten der europäischen Integration sollten wir uns alle ein selbstständiges Bild unserer Mitmenschen machen und uns nicht allzu stark durch Medien beeinflussen lassen. Wir müssen objektiv und sachlich bleiben und ein gewisses Maß an politischem Interesse aufbringen, denn auch dies ist die Verantwortung die ein Jurist trägt. Für mich persönlich hat sich das Praktikum mehr als ausgezahlt. Ich fühle mich bestärkt darin, eine internationale politische Berufslaufbahn einzuschlagen. Ob bei einer Behörde oder einer NGO ist mir noch nicht klar, aber dafür ist ja auch noch ein wenig Zeit……
Was sich insgesamt jedoch allgemein beobachten lässt und ich auch in meinem Arbeitsumfeld feststellen konnte, ist die Tatsache, dass beinahe alle Führungspositionen von Personen bekleidet werden, die Rechtswissenschaft studiert haben. Sowohl innerhalb von Botschaften und anderen Behörden, als auch innerhalb von Nichtregierungsorganisationen ließ sich dies feststellen. Man teilte mir mehrmals mit, dass sich Juristen schnell in komplexe Sachverhalte einarbeiten können und oftmals über eine schnelle Auffassungsgabe verfügen. Zudem seien sie eloquent und objektiv, was bei schwierigen Thematiken oftmals von Vorteil ist. Ich erfreute mich insbesondere der Tatsache, dass gerade Juristen aus Deutschland sehr populär sind. Nie vergessen werde ich die Antwort eines Französischen Diplomaten, als ich fragte, weshalb in einigen Organisationen überdurchschnittlich viele Deutsche vertreten sind: ,, Sie sind eben fleißig, diszipliniert und verantwortungsbewusst. Naja und außerdem haben sie Jura in Deutschland studiert, einem der angesehensten Länder was die juristische Ausbildung betrifft.‘‘
Der Autor befand sich im Sommer 2014 in Bukarest, Rumänien, wo er in einer international tätigen NGO gearbeitet hat.
[1] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/015/1801528.pdf

22.12.2014/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2014-12-22 09:00:412014-12-22 09:00:41Studium und dann… ??? Ein kleiner juristischer Reisebericht aus Südosteuropa
Gastautor

Unwirksamkeit von formularmäßigen Weiterverkaufsverboten bei Software-Downloads nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB

Rechtsgebiete, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Wir freuen uns auch im November wieder einen Beitrag aus der Feder eines Mitglieds unseres Kooperationspartners Phi Delta Phi – Michael Hoffmann-Becking Inn Frankfurt am Main veröffentlichen zu können. Diesmal stammt der Beitrag von Dominik König. Er ist Doktorand  bei Prof. Dr. Alexander Peukert am Exzellenzcluster „Normative Orders“ in Frankfurt/Main und gleichzeitig Promotionsstipendiat im dortigen IGP-Graduiertenprogramm.
Ein zwar auf den ersten Blick den Nebengebieten des Zivilrechts entstammendes Problem, welches sich aber durchaus in eine schuldrechtliche Klausur der Pflichtfachprüfung integrieren lässt, ist die Frage nach der Zulässigkeit von AGB-Klauseln, welche den Weiterverkauf von im Wege des Download-Vertriebs erworbener Software verbieten.
In diesem Beitrag soll am Beispiel des Online-Vertriebs von „Gebraucht-Software“ im Lichte der UsedSoft-Rechtsprechung (EUGH Rs C-128/11 – Used Soft) aufgezeigt werden, inwiefern eine subtile Unterscheidung hinsichtlich der Vertriebsmodalitäten dazu führen kann, dass ein wirtschaftlich identischer Vorgang in schuldrechtlicher Hinsicht komplett verschieden interpretiert werden kann und damit wesentliche Weichenstellungen in AGB-rechtlichen Prüfungen erfolgen können. Eine erfolgreiche Bewältigung dieses für Studierende überwiegend eher unbekannten Themas kann auch ohne vertiefte urheberrechtliche Kenntnisse durch saubere Subsumtion sowie sachverhaltsnahes Arbeiten gelingen.
I. Sachverhalt
Sucht man in einem beliebigen Online-Marktplatz nach bekannter und verbreiteter Software, so findet man dort zahllose Angebote zum Erwerb von gebrauchten Computerprogrammen auf CD oder DVD.
Erwarb man das identische Programm jedoch im Online-Shop des Herstellers zum komfortablen Download, so fanden sich noch bis in die erste Hälfte des Jahres 2014 hinein vielfach in formularmäßig abgefassten Lizenzbedingungen (sog. End User License Agreements, EULAs) Klauseln, welche es dem Downloader untersagten, das heruntergeladene Programm seinerseits weiter zu veräußern, selbst wenn er damit die eigene Nutzung aufgäbe.
II. Kurze Einführung in das Software-Urheberrecht
Dass dieser auf den ersten Blick widersprüchlichen Konstellation – problemlose Möglichkeit des Weiterverkaufs bei einem Erwerb auf Datenträgern vs. dessen kategorischer Ausschluss beim Download – gerade bei Software besondere Relevanz zukommt, ist der Besonderheit von Computerprogrammen als urheberrechtlich geschütztem Werk geschuldet. Um die schuldrechtlichen Probleme dieser Thematik durchdringen zu können, sollen im Folgenden kurz die urheberrechtlichen Koordinaten dieser Thematik abgesteckt werden
1. Trennung zwischen Datenträger und Werk, gesetzliche Lizenz
Bei Erwerb eines Computerprogramms ist es zu dessen rechtmäßiger Nutzung nicht ausreichend, das Eigentum an dem Datenträger (res commodum) bzw. den Zugriff auf eine Programmkopie zu erlangen. Neben dem res commodum wird vielmehr auch die Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers benötigt, das Werk nutzen zu dürfen. Zu diesem Zweck wird zusätzlich gem. §§ 398, 413 BGB ein sogenanntes Nutzungsrecht (§ 31 Abs. 1 UrhG) eingeräumt. Die Notwendigkeit dieser doppelten Rechtseinräumung (Eigentum am Datenträger + Nutzung des Inhalts des Datenträgers) könnte grds. dazu führen, dass nur ein Teil der Rechte übertragen wird und ein Erwerber beispielsweise Eigentum an einer DVD erwirbt, das Programm jedoch urheberrechtlich nicht nutzen darf. Um dies zu verhindern, wird in § 69d Abs. 1 UrhG angeordnet, dass der berechtigte Inhaber einer Programmkopie qua Gesetz berechtigt ist, diese auch zu nutzen – mithin das enthaltene Programm zu installieren und ablaufen zu lassen.
2. Erschöpfung des Verbreitungsrechts
Ein weiteres auch für die vorliegende Thematik wesentliches Grundprinzip des Urheberrechts ist die sogenannte Erschöpfungslehre, angelegt in § 17 Abs. 2 bzw. § 69d Abs. 1 UrhG: Veräußert ein Urheber ein Exemplar seines Werkes, so verliert er das Recht, die weitere Verbreitung des Werkes zu verhindern oder zu beeinflussen. Der Käufer eines Computerprogrammes auf einer DVD soll diese ohne Zustimmung des Urhebers frei weiterveräußern können. Dies gilt allerdings nur in Fällen, in denen der Urheber das Werkexemplar derart in den Verkehr bringt, dass der Urheber endgültig und dauerhaft die Möglichkeit verliert, über dieses verfügen zu können. Der typische Anwendungsfall der Erschöpfungslehre ist die dauerhafte Überlassung eines Exemplars gegen eine Einmalzahlung im Rahmen eines Verkaufs des Werkexemplares gem. der §§ 433ff. BGB.
III. Zulässigkeit des Veräußerungsverbots beim Vertrieb auf Datenträgern
Wendet man diese Grundsätze schließlich auf unseren Beispielsfall des Vertriebs von Software auf Datenträgern an, so wird deutlich, dass mit der Übertragung des Eigentums, etwa an einer DVD (§ 929 S. 1 BGB), der Erwerber der DVD gem. § 69d Abs. 1 UrhG automatisch auch das Recht erhält, das auf dieser DVD gespeicherte Werk nutzen zu dürfen. Ein solcher Vorgang wird von Literatur und Rechtsprechung einhellig als Kaufvertrag im Sinne der §§ 433ff. BGB angesehen, mit der Konsequenz, dass – wie gezeigt – die Wirkungen der Erschöpfung eintreten: Es ist dem Urheber danach untersagt, die weitere Verbreitung der DVD zu beeinflussen.
Nun wird die AGB-rechtliche Dimension des folgenden Sachverhalts deutlich: Verbietet ein Verkäufer von auf Datenträgern gespeicherter Software in den AGB seines Online-Shops dem Käufer die Weiterveräußerung der gekauften Datenträger, so wird dadurch deren weitere Verbreitung beeinflusst. Die entsprechende Klausel muss sich daran messen lassen, ob das darin enthaltene Verbot der Weiterveräußerung „mit dem wesentlichen Grundgedanken der Regelung von der abgewichen wird zu vereinbaren ist“ (vgl. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB).
Als „wesentlicher Grundgedanke“, von dem hier abgewichen werden soll kommen dabei zwei eng verwandte Aspekte in Betracht: Aus kaufrechtlicher Sicht ist unzweifelhaft, dass aus einer Übergabe und Übereignung frei von Rechten Dritter (§ 433 Abs. 1 BGB) die Befugnis folgt, den Kaufgegenstand nach Belieben weiterveräußern zu können. Die Freiheit des Erwerbers, ein gegen Einmalzahlung dauerhaft lizensiertes Werk auch nach Belieben seinerseits wieder weiterveräußern zu können, wird überdies durch die Erschöpfungslehre urheberrechtlich abgesichert (vgl. oben II. 2). Der formularmäßige Ausschluss der Weiterveräußerung durch den Erwerber bei an einen Datenträger gebundenem Softwarevertrieb steht demnach offensichtlich im Gegensatz zum gesetzlichen Leitbild des gewählten Vertragstyps und wird von der herrschenden Lehre wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB als unwirksam angesehen.
IV. Vergleich der Situation mit dem Software-Vertrieb per Download
Dieses doch recht eindeutige Ergebnis im Sinne einer Unzulässigkeit der untersuchten Klauseln vermag angesichts der abweichenden Behandlung von Downloads zu verwundern. Um zu verstehen, wie eine auf den ersten Blick unscheinbare Unterscheidung eine 5-jährige Prozessgeschichte bis zum EUGH in Gang setzen kann, ist es nötig, die beiden Konstellationen detailliert gegenüber zu stellen.
1. Technisch-formaler Vergleich der Vertriebsmodalitäten
In beiden Fällen des Vertriebs wird mit auf den ersten Blick identischen Mitteln ein identisches Ergebnis herbeigeführt. Es wird ausgehend von der Master-Version des Programms eine Kopie des Datensatzes erstellt und diese dem Erwerber dauerhaft zur Verfügung gestellt. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass im Falle des sog. trägergebundenen Vertriebs der Rechtsinhaber die Kopien in seiner Herrschaftssphäre erstellt und dann an Kunden versendet, während bei den Downloads allein die Möglichkeit eröffnet wird, dass der Erwerber des Programms mit Initiierung des Downloadvorgangs in seiner Herrschaftssphäre eine Kopie der Software erstellt.
a) rechtliche Würdigung des Unterschieds
Diese Unterscheidung war es, die nach Ansicht vieler Stimmen und unter anderem dem OLG München (Urteil vom 3.7.2008 – 6 U 2759/07) dazu bewogen hat, die beiden wirtschaftlich identischen Konstellationen rechtlich unterschiedlich zu behandeln.
Anders als beim Versand der Kopie stelle der Veräußerer beim Download dem Erwerber allein die Möglichkeit zur Verfügung, nach Entrichtung des Entgelts selbständig eine Kopie des Programmes auf seinem Rechner anzufertigen. Ein solches Vorgehen stelle, so die Vertreter dieser Ansicht, gerade keine kaufvertragsähnliche Konstellation dar, sondern entspreche in der Beschränkung auf das bloße Zur-Verfügung-Stellen einer Kopiermöglichkeit im Wesentlichen der Erbringung einer Dienstleistung. Aus dieser formalen Einordnung als Dienstleistung ergeben sich wiederum wesentliche Folgen für die Beurteilung von Veräußerungsbeschränkungen unter dem Aspekt des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
Zum einen verlässt man den Bereich des Kaufrechtes, womit es keineswegs mehr klar bzw. wesentlicher Grundgedanke der Vertragstypologie ist, dass die gewährten Gegenstände oder Rechte dauerhaft zur freien Verfügung des Erwerbers, bzw. nunmehr Dienstleistungsnehmers stehen.
In urheberechtlicher Hinsicht (Erschöpfungslehre) zieht die Qualifikation des Zur-Verfügung-Stellens (zum Download) als Dienstleistung das In-Verkehr-Bringen des Werkexemplars durch den Urheber in Zweifel. Es liegt ebenso nahe, bezüglich eines solchen In-Verkehr-Bringens allein auf die Download-Handlung des Erwerbers abzustellen und wie folgt zu argumentieren: durch den Upload auf den Download-Server verlässt das betreffende Exemplar gar nicht die Herrschaftssphäre des Anbieters. Vielmehr wird eine in den Verkehr gebrachte Version des Programmes erst und allein auf Veranlassung und unter ausschließlicher Kontrolle des Downloadenden bzw. Erwerbers auf dessen Rechner erstellt.
Schließlich bedeutet die Einordnung des Vorgangs als Dienstleistung, dass gerade kein Verkauf eines Exemplars und damit nicht die wesentliche Voraussetzung für den Eintritt der Erschöpfungswirkung vorliegen würde, so dass auch dieser Einwand gegen die Zulässigkeit der AGB-Klausel wegfallen würde.
b) Fazit zum technischen Vergleich der Vertriebsmodalitäten
Ein technischer Vergleich des körperlichen Offline- mit dem unkörperlichen Online-Vertriebs von Software ergibt also durchaus Unterschiede, welche eine abweichende Beurteilung der vertragstypologischen Einordnung des Software-Erwerbs rechtfertigen können. Wird dieser als Dienstleistungsvorgang (und nicht als Kaufvertrag) angesehen, so ergeben sich unter dem Aspekt des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB im Hinblick auf wesentliche Grundgedanken, welche eine Unwirksamkeit von formularmäßigen Veräußerungsverboten zur Folge haben müssten, keine Bedenken.
2. Wirtschaftlich-funktionaler Vergleich der Konstellationen
Vergleicht man die Konstellationen allerdings aus wirtschaftlicher Perspektive, so lassen sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen einem Download und einem CD/DVD-Versand ausmachen. In beiden Fällen wird dem Erwerber des Programmes gegen eine Einmalzahlung auf Dauer Zugriff auf eine Kopie des Programmes gewährt und damit das Recht eingeräumt, das erworbene Programm zu nutzen. Ob die Kopie beim Veräußerer erstellt und versandt oder beim Erwerber durch den Download gefertigt wird, ist – die zu vernachlässigenden Versandkosten außer Acht gelassen – wirtschaftlich und aus Sicht der Erwerbers ohne Belang. Aus einer wirtschaftlichen Perspektive substituiert der unkörperliche Download somit den körperlichen Vertrieb vollumfänglich – wie die Daten zum Erwerber gelangen ist irrelevant.
3. Zwischenfazit
Der Vergleich der beiden Vertriebsarten zeigt also, dass die Frage nach der Zulässigkeit von ein Veräußerungsverbot statuierenden Klauseln im Rahmen des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB davon abhängt, welcher der beiden Blickwinkel bevorzugt wird. Aus einer formal-technischen Perspektive stellt sich das zugrunde liegende Schuldverhältnis tatsächlich eher als Dienstleistung dar, mit der Folge dass weder die Wertungen des § 433 BGB noch der Erschöpfungsgrundsatz als wesentliche Grundgedanken gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB einem Verbot entgegenstünden. Betrachtet man die beiden Vertriebsarten jedoch unter wirtschaftlich-funktionalen Gesichtspunkten, so substituiert der Download allein die Aushändigung des Datenträgers, ohne dass in rechtlicher Hinsicht relevante Unterschiede bestünden, die ein von der Einordnung des Vorganges als Kauf gem. § 433 BGB (eventuell i.V.m. § 453 Abs.1, Var. 1 BGB) abweichendes Ergebnis begründen könnten.
V. Einordnung des Vorgangs durch den EUGH
Aufgrund der europarechtlichen Prägung des Urheberrechts oblag es schließlich dem EUGH, die Frage zu beantworten (Rs C-128/11 – Used Soft) und den Veräußerungsvorgang schuldrechtlich einzuordnen.
Der EUGH entschied schließlich entgegen dem Antrag des Generalanwalts Yves Bot zugunsten eines Kaufvertrages. Nach Ansicht des Gerichtshofs bilden das Herunterladen der Kopie sowie die Einräumung der Nutzungsrechte gegen eine Einmalzahlung ein untrennbares Ganzes (Rnrn. 44, 47), so dass von einer formalen Betrachtung allein des Online-Stellens sowie der Rechtseinräumung Abstand zu nehmen ist. Bei dieser Gesamtbetrachtung ist schließlich aus Gründen der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit der Sachverhalte davon auszugehen, dass ein solches Vorgehen eine Eigentumsübertragung an der Programmkopie und damit einen Kaufvertrag (im deutschen Recht § 433 BGB) darstellt.
Aus dieser schuldrechtlichen Einordnung als Kaufvertrag ergibt sich ferner, dass das In-Verkehr-Bringen im Wege des Downloads als Gegenstand eines Kaufvertrages auch eine Erschöpfungswirkung auslöst und dem Erwerber damit die Weiterveräußerung der Programmkopie freisteht (Rn. 52).
VI. Auswirkungen und Beurteilung der Einordnung durch den EUGH
Die vertragstypologische Einordnung des Softwareerwerbs im Wege des Downloads als Kaufvertrag hat schließlich zur Folge, dass aufgrund der entgegenstehenden wesentlichen Grundgedanken des § 433 BGB sowie der Erschöpfungslehre ein Veräußerungsverbot statuierende AGB-Klauseln gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB als unwirksam anzusehen sind – der freie Weiterverkauf von per Download erworbener Software ist damit möglich.
Diese Entscheidung des EUGH ist abschließend insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit und –klarheit zu begrüßen. Es dürfte für den juristisch nicht vorgebildeten Verbraucher nur sehr schwer verständlich sein, warum ein aus seiner Sicht identischer Vorgang allein aufgrund der zugrundeliegenden Technologie anders zu bewerten wäre. Neben den verbraucherfreundlichen Aspekten des Weiterverkaufs stellt die Used Soft-Entscheidung des EUGH somit einen wichtigen Beitrag zur technologieneutralen Auslegung des Begriffes des Kaufvertrags dar.
Mit Blick auf die juristische Ausbildung lässt sich festhalten, dass diese Konstellation direkt zwar nicht unbedingt klausurrelevant sein dürfte, das Thema sich allerdings insbesondere im Hinblick auf die Subsumtion von Downloadvorgängen unter verschiedene Vertragstypen und die damit verbundenen AGB-rechtlichen Weichenstellungen durchaus für eine mündliche Prüfung anbietet.

05.11.2014/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2014-11-05 08:00:102014-11-05 08:00:10Unwirksamkeit von formularmäßigen Weiterverkaufsverboten bei Software-Downloads nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB
Gastautor

Errare humanum est – Einführung in die strafrechtliche Irrtumslehre

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Der heutige Beitrag resultiert aus einer Kooperation zwischen juraexamen.info und dem Phi Delta Phi – Michael Hoffmann-Becking Inn Frankfurt am Main. Das Michael Hoffmann-Becking Inn ist Teil der weltweiten Juristenorganisation und Honor Society Phi Delta Phi, welche die älteste noch bestehende Juristenvereinigung amerikanischen Ursprungs darstellt (siehe hierzu etwa bei Wikipedia). Künftig wird im Rahmen der Kooperation in regelmäßigen Abständen ein Artikel erscheinen, der sich inhaltlich an dem bestehenden Konzept von juraexamen.info ausrichtet.
Diesen Monat stammt der Beitrag von dem Phi Delta Phi Mitglied Manuel Köchel. Er ist externer Doktorand bei Prof. Bosch am Lehrstuhl Strafrecht I in Bayreuth und Wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Wirtschaftskanzlei in Frankfurt am Main.
I. Einleitung
„Errare humanum est“: Der Irrtum gilt als Kehrseite des Wissens einer Person. Während Irrtümer im Öffentlichen Recht, wenn überhaupt, stiefmütterlich behandelt werden und im Zivilrecht abgesehen von den §§ 119 ff. BGB auch eher einen Randbereich des juristischen Curriculums ausmachen, nehmen entsprechende Fehlvorstellungen in der strafrechtlichen Falllösung einen nicht nur unwesentlichen Bestandteil ein. Der nachfolgende Beitrag beleuchtet die strafrechtliche Irrtumslehre, welcher ab dem ersten Semester bis zum Ende einer jeden juristischen Ausbildung uneingeschränkte Relevanz beizumessen ist. Aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrads und der mannigfaltigen Terminologie wird diese Thematik von den Studierenden gerne aufgeschoben. Statt sich von Einzelfall zu Einzelfall zu hangeln, sollte man sich von den zahlreichen Einzelbegriffen der Lehrbuchs- und Kommentarliteratur lösen und sich zuvörderst auf die Grundstruktur der Irrtumslehre besinnen.
Vorangestellt sei in diesem Zusammenhang noch die Ausgangsüberlegung, dass sich vorsätzliche Erfolgsdelikte aus einem Erfolgsunrecht (= Eintritt eines Erfolgs, welcher im Widerspruch zur Rechtsordnung steht) und einem Handlungsunrecht (= rechtsfeindliche Gesinnung des Täters, welche in seinem Verhalten für die Außenwelt in Erscheinung tritt) zusammensetzen. Während ein abgelöster Handlungsunwert zu einer Bestrafung des Täters führen kann (bspw. im Wege der Versuchsstrafbarkeit), ist das für ein selbstständiges Erfolgsunrecht nie der Fall (der Tot eines Menschen wird erst dann für § 212 StGB relevant, wenn er auf ein Verhalten des Täters zurückgeführt werden kann).
Die Grundstruktur des Irrtumsbegriffs ist aufgrund der Ausgangsdefinition vergleichsweise simpel: „Irrtum ist jede Abweichung subjektiv Vorgestellten vom objektiv Vorhandenen„. Unterscheidet man im Hinblick auf diese Fehlvorstellung zwischen einer Komponente der Unkenntnis („Täter hat keine Kenntnis davon, dass …“) und einer Komponente der irrigen Annahme („Täter geht irrig davon aus, dass …“) und übertragt man dies auf die drei Prüfungsschritte der juristischen Falllösung – Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld – so gelangt man auf Basis dieser Struktur zu lediglich sechs Irrtumskonstellationen.

    TB

          Unkenntnis                  RW             irrige Annahme

       Schuld

 
Ergänzt werden kann dieses Grundmuster dann noch durch weitere zusätzliche Kriterien (Bezugspunkt der Fehlvorstellung im Sinne eines Irrtums über einen tatsächlichen Umstand oder eine rechtliche Wertung – dann sind 12 Konstellationen denkbar – bzw. darüber, ob sich der Irrtum zu Gunsten oder zu Ungunsten des Täters auswirkt, etc.).

          TB

         Tatsächlicher Umstand        RW            Rechtlicher Umstand

           Schuld

                                                                                                                                                                                                   

        TB

          Zugunsten des Täters                 RW            Zuungunsten des Täters

          Schuld

 
Im Folgenden soll der Übersichtlichkeit halber zunächst auf die sechs Ausgangskonstellationen betreffend die Irrtümer hinsichtlich der Unkenntnis und irrigen Annahme tatsächlicher Umstände eingegangen werden (II.) und im Anschluss auf die sechs Ausgangskonstellationen über die Irrtümer im Hinblick auf die Unkenntnis und irrige Annahme rechtlicher Bewertungen (III.). Außen vor bleiben im Folgenden Irrtümer im Zusammenhang mit der Beteiligungslehre und den Unterlassungsdelikten. Auf die Verwendung der herkömmlichen Nomenklatur der Irrtumsumschreibungen wird aufgrund des Grundlagencharakters dieses Beitrags ausdrücklich verzichtet. Sobald der Prüfling das Konzept durchdrungen hat, können die relevanten Begriffe jederorts nachgelesen werden. Entscheidend für die Klausur ist vielmehr, dass die jeweilige Irrtumsproblematik korrekt im Prüfungsaufbau verortet wird und gerade nicht, dass das entsprechende Schlagwort fällt. Selbstverständlich fällt es positiv auf, wenn der Bearbeiter zusätzlich noch den entsprechenden Fachterminus nennt. Wer lediglich den Begriff nennt, dabei aber nicht oder nur unzureichend die zutreffende rechtliche Würdigung bzw. Subsumtionsarbeit leisten kann, hat aus Prüfersicht rasch den Stempel des bloßen „Auswendiglerners“ auf der Stirn stehen.
II. Der Irrtum über tatsächliche Umstände
1. Tatbestand
Der erste Prüfungspunkt im Rahmen des dreigliedrigen Deliktsaufbaus ist regelmäßig der Tatbestand. Dieser setzt sich aus dem objektiven und dem subjektiven Tatbestand, ggf. noch aus einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit (bspw. die Rauschtat bei § 323a StGB) zusammen. Der objektive Tatbestand der Erfolgsdelikte lässt sich weiter in die Handlung des Täters, den Erfolgseintritt, die Kausalität sowie die objektive Zurechnung untergliedern. Demgegenüber setzt sich der subjektive Tatbestand im Wesentlichen aus dem Vorsatz und z. T. aus sonstigen subjektiven Merkmalen (die Zueignungsabsicht bei § 242 StGB oder die Bereicherungsabsicht bei § 263 StGB) zusammen. Der Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB stellt die Kehrseite des Wissenselementes des Vorsatzes dar. Um die Rechtsfolge des § 16 Abs. 1 StGB zu erreichen, muss diese Fehlvorstellung sich nur auf einen einzigen relevanten Tatumstand beziehen.
a. Unkenntnis
Nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB handelt derjenige ohne Vorsatz der „bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt“ (, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört). Bedeutung gewinnt hierbei die Unterscheidung zwischen normativen und deskriptiven Tatbestandsmerkmalen (klassisches Beispiel ist in diesem Zusammenhang das Entfernen der Striche auf dem Bierdeckel als Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 StGB).

§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB „Unkenntnis“

objektiver Tatbestand (+)                    subjektiver Tatbestand (-)

 
Bsp.: B führt im Wald Schießübungen durch. Dabei erschießt er den X, ohne diesen erkannt zu haben.
Prüfungsort: subjektiver Tatbestand (Vorsatz bzgl. des konkreten Tatbestandsmerkmals; hier: Tatobjekt gem. § 212 Abs. 1 StGB „Mensch“). Ggf. Strafbarkeit aus dem (falls vorhandenen) Fahrlässigkeitstatbestand nach § 16 Abs. 1 S. 2 StGB; hier: fahrlässige Tötung nach § 222 StGB.
b. Irrige Annahme
Geht der Täter hingegen irrtümlich von einem anderen als dem tatsächlich vorliegenden Geschehen aus, liegt konstruktiv ein Versuch vor. Dies ergibt sich aus der vorangestellten Differenzierung zwischen dem Handlungs- und dem Erfolgsunrecht.

§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB „Unkenntnis“

objektiver Tatbestand (-)                    subjektiver Tatbestand (+)

 
Bsp.: B schießt auf ein Reh, weil er es für den X hält.
Prüfungsort: Subjektiver Tatbestand bzw. Tatentschluss (Vorsatz bzgl. des konkreten Tatbestandsmerkmals; hier: Tatobjekt gem. § 212 Abs. 1 StGB „Mensch“). Ggf. Strafbarkeit aus dem (falls vorhandenen) Versuch und dem Fahrlässigkeitstatbestand; hier: fahrlässige Sachbeschädigung ist nicht strafbar, vgl. § 16 Abs. 1 S. 2 StGB, aber ggf. versuchter Totschlag nach §§ 212, 22, 23 Abs. 1 StGB.
c. Sonderfälle
Lediglich hingewiesen werden soll in diesem Kontext auf die Spezialprobleme des sog. „error in persona vel in obiecto“; der „aberratio ictus“; dem Zusammentreffen von „error in persona vel in obiecto“ und „aberratio ictus“, sowie dem Irrtum über den Kausalverlauf („mittelbare Individualisierung“); § 16 Abs. 2 StGB.
2. Rechtswidrigkeit
Ein vollständiges Unrecht setzt neben der Subsumtion unter den strafrechtlichen Tatbestand auch das Fehlen eines (un-)geschriebenen Rechtfertigungsgrundes voraus. Das Verhältnis wird regelmäßig mit dem Satz umschrieben: „die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit“. Wie den Tatbestand kann man auch die Rechtfertigungsebene in einen objektiven und einen subjektiven Teil aufspalten. Während der objektive Teil das Vorliegen der objektiven Rechtfertigungselemente (diese ergeben sich bei den gesetzlich normierten Rechtfertigungsgründen aus dem Gesetz) verlangt, erfordert das subjektive Pendant, dass der Täter in Kenntnis der tatsächlichen Sachlage und aufgrund der ihm dadurch zustehenden Befugnis handelt. Kontrovers wird die Rechtsfolge bei Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements diskutiert.
a. Unkenntnis
Die Fälle der mangelnden Kenntnis tatsächlicher Umstände, die den Täter rechtfertigen, zeichnen sich durch das Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements aus.

Rechtfertigung

obj. rechtfertigende Lage (+)           subj. Rechtfertigungselement (-)

 
Bsp.: X erschießt den T, weil er ihn nicht leiden kann, ohne zu erkennen, dass T gerade dabei war auf den ahnungslosen A anzulegen und diesen zu erschießen.
Prüfungsort: Subjektives Rechtfertigungselement; zum einen strittig, ob subjektives Rechtfertigungselement generell erforderlich ist (so die h. M.). Zum anderen unterschiedliche Auffassung darüber, ob aus vollendeter oder versuchter Tat zu bestrafen ist.
b. Irrige Annahme
Hier stellt sich der Täter irrtümlich Tatsachen vor, bei deren Vorliegen er gerechtfertigt wäre. Das Merkmal des subjektiven Rechtfertigungselements kann bejaht werden, allerdings erfüllt das objektive Geschehen nicht die vom Gesetz vorgesehenen Rechtfertigungsmerkmale.

Rechtfertigung

obj. rechtfertigende Lage (-)            subj. Rechtfertigungselement (+)

 
Bsp.: B streckt den X mit einem Faustschlag nieder, da er davon ausgeht von X angegriffen zu werden.
Prüfungsort: Nach wohl hA im Rahmen der Schuld (ansonsten je nach vertretener Meinung). Nach der eingeschränkten Schuldtheorie § 16 Abs. 1 S. 1 StGB analog (zum Umgang mit dem ETBI in der Klausur). Ggf. Fahrlässigkeitsdelikt; hier: fahrlässige Körperverletzung nach § 229 StGB.
Prüfungsort:
(1) TB
(2) RW
Hier handelt der Täter rechtswidrig, weil obj. gerade kein Rechtfertigungsgrund vorliegt.
(3) Schuld
Klausurvorschlag: Vorab sollte der Bearbeiter sich überlegen, welcher Theorie im Rahmen der Falllösung gefolgt wird, weil davon der Prüfungsort abhängt. Folgt man der hM (eingeschränkten rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie) hat man den Diskurs in der Schuld, genauer gesagt in der Vorsatzschuld zu prüfen.
„Der Vorsatzschuldvorwurf könnte entfallen, wenn der Täter sich in einem Erlaubnistatbestandsirrtum befunden hätte.“
(a) Vorliegen eines ETBI
Dazu müsste sich der Täter Umstände vorgestellt haben, bei deren Vorliegen er tatsächlich gerechtfertigt gewesen wäre (siehe oben unter 2 b.)  inzidente Prüfung des entsprechenden Rechtfertigungsgrundes aus der Sicht des Täters
(b) Auseinandersetzung mit den Theorien
Klausurtipp: in einer Strafrechtsklausur wird man je nach Umständen des Falles nicht die Zeit haben auf alle Theorien einzugehen. Es bietet sich an, neben der Meinung, der schlussendlich gefolgt wird, auf zwei weitere Ansichten einzugehen (zum Umgang mit dem ETBI in der Klausur).
3. Schuld
Neben dem Tatbestand und der (indizierten) Rechtswidrigkeit setzt die volle Strafbarkeit des Delinquenten dessen entsprechende Schuld voraus. Der Gesetzgeber hat gewisse außergewöhnliche Motivationslagen erkannt, die eine Bestrafung trotz tatbestandlichem und rechtswidrigem Geschehensablauf nicht erfordern. Das vom Täter verwirklichte Unrecht bleibt allerdings insofern bestehen, als es Anknüpfungspunkt für ein Teilnahmedelikt sein mag. Der letzte Prüfungsstein des dreigliedrigen Deliktsaufbaus kann weiter unterteilt werden in die Schuldfähigkeit nach §§ 20 f. StGB, ggf. spezieller Schuldmerkmale (bspw. Rücksichtslosigkeit bei § 315c StGB) und der persönlichen Vorwerfbarkeit, insb. den Entschuldigungsgründen, dem Unrechtsbewusstsein (vgl. § 17 StGB) sowie der Vorsatzschuld. Ähnlich wie bei den Rechtfertigungsgründen ist es auch bei den Entschuldigungsgründen angebracht, die Prüfung in einen objektiven und einen subjektiven Part zu trennen.
Unabhängig davon, ob der Täter das Unrecht der Tat aufgrund etwaigen Nichtwissens oder aufgrund einer tatsächlichen Fehlvorstellung nicht erkennen konnte, hängt die Anwendbarkeit des § 17 S. 1 StGB (Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.) von der Vermeidbarkeit des Irrtums ab.
Ein Verbotsirrtum ist vermeidbar (vgl. § 17 S. 2 StGB) wenn der Täter bei gehöriger Anspannung seines Gewissens und Anstrengung aller geistigen Kräfte das Unrecht der Tat erkennen konnte. Insgesamt legt der BGH sehr strenge Maßstäbe bei der Beurteilung an, so dass der Verbotsirrtum (auch in der Klausur) in der Regel vermeidbar sein wird. Bei Zweifeln an der rechtlichen Zulässigkeit der Tat besteht eine Erkundigungspflicht.

§ 17 StGB „Einsicht“

Vermeidbarkeit S. 2              Unvermeidbarkeit S. 1

 
I. Irrtum über tatsächliche Umstände
a. Unkenntnis
Der Täter ist nicht entschuldigt, da er ohne Kenntnis der tatsächlichen Umstände nicht aus der Motivation der entschuldbaren Zwangslage heraus handelt.

Entschuldigung

obj. entschuldigende Lage (+)             subj. Motivationslage (-)

 
Bsp.: X und Y sind schiffbrüchig und treiben zusammen auf einer morschen Holzplanke. Die Planke kann auf Dauer nur einen tragen. X erkennt dies nicht, will aber die Situation nutzen, um Y zu töten, und schubst diesen ins Wasser. Y ertrinkt.
Prüfungsort: Entschuldigungsgrund (umgekehrter Entschuldigungstatbestandsirrtum). Aufgrund der fehlenden psychischen Zwangslage ist die volle Strafbarkeit zu bejahen.
b. Irrige Annahme
Gesetzlich geregelt in § 35 Abs. 2 StGB als Entschuldigungstatbestandsirrtum: nimmt „bei Begehung der Tat irrig Umstände an, welche ihn nach Absatz 1 entschuldigen würden“.

Entschuldigung

obj. entschuldigende Lage (-)           sub. Motivationslage (+)

 
Bsp.: Wie soeben. X und Y sind schiffbrüchig und treiben zusammen auf einer morschen Holzplanke. Die Planke kann auf Dauer beide tragen. X geht irrtümlich davon aus, dass nur einer getragen werden kann (Entschuldigungstatbestandsirrtum) und schubst Y ins Wasser. Y ertrinkt.
Prüfungsort: Schuld. Schuld entfällt, sofern der Irrtum unvermeidbar gewesen ist. War der Irrtum vermeidbar kann Strafe nach §§ 35 Abs. 2 S. 2, 49 Abs. 1 StGB gemildert werden.
II. Irrtum über rechtliche Wertungen
Vergleichbar mit den Irrtümern über Tatumstände ist es auch beim Irrtum über rechtliche Umstände/Wertungen denkbar, dass der Delinquent das Verbot nicht kennt (Unkenntnis), oder aber auch, dass er auf Grund einer fehlerhaften Vorstellung sein Verhalten nicht für rechtswidrig hält (Irrige Annahme).
1. Tatbestand
a. Unkenntnis
Der Irrtum im rechtlichen Bereich auf Tatbestandsebene führt zu einem Verbotsirrtum nach § 17 S. 1 StGB.

§ 17 StGB „Einsicht“

Vermeidbarkeit S. 2             Unvermeidbarkeit S. 1

 
Bsp.: Der Täter geht nicht davon aus, dass die Verschmutzung eines Gewässers entgegen § 324 StGB nicht nur ökologisch bedenklich, sondern auch rechtlich verboten ist.
Prüfungsort: Schuld. Bei Unvermeidbarkeit entfällt die Schuld, ansonsten kann eine fakultative Strafmilderung erfolgen.
b. Irrige Annahme
Der Täter verwirklicht kein strafrechtlich relevantes Unrecht, geht aber davon aus, dass sein Handeln verboten ist. Merkformel: „Wäre der Täter auch ohne seinen Irrtum straflos, kann der Irrtum nicht zur Strafbarkeit führen“.
Bsp.: A nimmt irrigerweise an, dass Klingelstreiche bei Privatpersonen strafbar seien.
Prüfungsort: Ggf. am Ende eines anderen Straftatbestandes, aber selten prüfungsrelevant.
2. Rechtswidrigkeit
a. Unkenntnis
Der Delinquent ist gerechtfertigt, weil die Voraussetzungen des jeweiligen Rechtfertigungsgrunds vorliegen, obwohl er dessen Grenzen zu eng auslegt.

Rechtfertigung

obj. rechtfertigende Lage (+)        subj. Rechtfertigungselement (+/-)

 
Bsp.: Ehefrau F wird von ihrem Ehemann M verprügelt. Aus Furcht vor weiteren Verletzungen greift sie zum nächstliegenden Kerzenständer und schlägt lebensgefährlich zu. Sie verkennt dabei, dass auch lebensgefährliche Verteidigungshandlungen vom Notwehrrecht mit umfasst sind.
Prüfungsort: Subjektives Rechtfertigungselement. Es ist die Frage aufzuwerfen, ob der Irrtum über die Gebotenheit der Verteidigungshandlung das Notwehrrecht entfallen lässt. Dies ist aber zu verneinen, da der Täter objektiv wie subjektiv gerechtfertigt ist.
b. Irrige Annahme
Geht der Täter irrig davon aus, dass ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, der sein Verhalten legitimiert, bzw. dehnt er einen bestehenden Rechtfertigungsgrund zu weit aus, irrt er auf juristischer Bewertungsebene.

Rechtfertigung

obj. rechtfertigende Lage (-)            subj. Rechtfertigungselement (+)

 
Bsp.: Der im Rollstuhl sitzende R erschießt den davonlaufenden Kirschendieb K, weil er davon ausgeht, diesen bereits für den Diebstahl an den Kirschen zur Strecke bringen zu dürfen.
Prüfungsort: Schuld. Die Behandlung des Irrtums richtet sich erneut nach § 17 StGB.
3. Schuld
a. Unkenntnis
Verkennt der Täter bei Kenntnis der Sachlage und bei vorhandenem Rettungswillen den Entschuldigungsgrund, so ist er wegen bestehender seelischer Zwangslage entschuldigt.

Entschuldigung

obj. entschuldigende Lage (+)         subj. Motivationslage (+/-)

 
Bsp.: Ehefrau F wird von ihrem Ehemann M über längere Zeit hinweg verprügelt. Aus Furcht vor weiteren Verletzungen greift sie, während dieser schläft, zum nächstliegenden Messer und sticht lebensgefährlich zu. Sie verkennt dabei, dass auch lebensgefährliche Verteidigungshandlungen vom Notstandsrecht mit umfasst sind.
Prüfungsort: Schuld. Es ist die Frage aufzuwerfen, ob der Irrtum über die Reichweite des entschuldigenden Notstands die Straffreiheit verhindert. Dies ist nach allgemeiner Ansicht aber zu verneinen.
b. Irrige Annahme
Der Täter geht irrigerweise vom Vorliegen einer Entschuldigungsnorm aus bzw. legt die Reichweite der Entschuldigungsnorm zu weit aus.

Entschuldigung

obj. entschuldigende Lage (-)         subj. Motivationslage (+)

 
Bsp.: Ehefrau F wird von ihrem randalierendem Ehemann M regelmäßig verprügelt. Aus Furcht vor weiteren zerstörten Einrichtungsgegenständen greift sie, während dieser schläft, zum nächstliegenden Messer und sticht lebensgefährlich zu.
Prüfungsort: Schuld. Irrtum nach hA unbeachtlich (allenfalls im Rahmen der Strafzumessung nach § 46 StGB zu berücksichtigen).
So unübersichtlich die Irrtumsproblematik aufgrund der unterschiedlichen Terminologie auf den ersten Blick erscheint, gelingt es doch mit wenigen Weichenstellungen diesem Irrgarten eine gewisse Systematik einzuverleiben. Aufgrund dieser Möglichkeit strukturiertes Denken abzufragen, ist die Irrtumsproblematik ein beliebter Mosaikstein in der strafrechtlichen Schein-, Zwischenprüfungs- und Examensklausur.
 

29.09.2014/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2014-09-29 08:00:052014-09-29 08:00:05Errare humanum est – Einführung in die strafrechtliche Irrtumslehre

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