Wann sind Tiere als „gebrauchte“ Sachen im Sinne der §§ 474 Abs. 2 S. 2, 476 Abs. 2 BGB zu verstehen? Hierzu hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht mit Urteil vom 4.7.2018 – 12 U 87/17 Stellung bezogen. Konkret betraf die Rechtsstreitigkeit die Versteigerung eines zweieinhalb Jahre alten Hengstes. Die Abgrenzung zwischen neuen und gebrauchten Sachen ist für die Anwendbarkeit der Sonderbestimmungen aus dem Verbrauchsgüterkaufrecht von besonderer Bedeutung, wobei die Einzelheiten in Rechtsprechung und Literatur nach wie vor äußerst umstritten sind. Das Urteil bietet Gelegenheit, sich mit der prüfungs- und examensrelevanten Rechtsfrage vertieft auseinanderzusetzen:
I. Worüber stritten die Parteien?
Gegenstand des Verfahrens war eine Streitigkeit über die Rückabwicklung eines Pferdekaufs. Die Käuferin ersteigerte am 1. November 2014 auf einer von der Verkäuferin durchgeführten Auktion einen zu diesem Zeitpunkt zweieinhalb Jahre alten Hengst. Im Zeitraum von November 2014 bis zum Sommer 2015 befand sich der Hengst im Stall der Käuferin. Diese unternahm mehrere Versuche, das Pferd zu longieren und an Sattel und Gewicht eines Reiters zu gewöhnen. Bis Oktober 2015 stand das Pferd auf der Weide der Käuferin, die immer wieder Versuche unternahm, das Pferd zu reiten. Schlussendlich möchte sich die Käuferin vom Kaufvertrag lösen: Sie habe das Pferd als künftiges Dressurpferd erworben. Entgegen ihrer ursprünglichen Vorstellung sei das Tier nicht reitbar und dazu noch äußerst widerwillig. Vor allem aber habe der Hengst bereits zum Zeitpunkt der Auktion ein sog. Kissing Spines (Fehlstellung der Dornfortsätze der Wirbelsäule) im Bereich der Brust und der Lendenwirbelsäule sowie eine Verkalkung im Nackenbereich des Hinterhauptes aufgewiesen.
Am 10. November 2016 erklärte die Käuferin ihren Rücktritt vom Kaufvertrag. Die Verkäuferin erklärte unter Berufung auf eine in ihren Auktionsbedingungen geregelte Verjährungsverkürzung auf drei Monate nach Gefahrübergang, dass der Rücktritt wegen der Verjährung eines hypothetischen Nacherfüllungsanspruchs unwirksam sei.
II. § 474 Abs. 2 S. 2 BGB: Nichtanwendbarkeit der §§ 474 ff. BGB bei „gebrauchter“ Sache
Für die Frage nach der Wirksamkeit des Rücktritts der Käuferin ist entscheidend, ob die in den Auktionsbedingungen bestimmte Verjährungsverkürzung auf drei Monate ab dem Zeitpunkt des Gefahrübergangs wirksam Bestandteil des zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrags geworden ist. Nach § 476 Abs. 2 BGB kann die Verjährung der Mangelgewährleistungsansprüche aus § 437 BGB bei gebrauchten Sachen vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer nicht rechtsgeschäftlich zugunsten des Unternehmers erleichtert werden, wenn die Vereinbarung zu einer Verjährungsfrist ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn von weniger als einem Jahr führt. Danach wäre die zwischen den Parteien vereinbarte Verjährungsverkürzung auf drei Monate unwirksam. § 476 Abs. 2 BGB findet jedoch ausweislich der Regelung in § 474 Abs. 2 S. 2 BGB keine Anwendung, wenn der Kaufgegenstand eine „gebrauchte Sache“ ist, die in einer öffentlich zugänglichen Versteigerung an den Verbraucher verkauft worden ist. Die Verbrauchereigenschaft der Käuferin sowie die Einordnung der streitgegenständlichen Auktion als öffentlich zugängliche Versteigerung vorausgesetzt, ist zu fragen, ob der zweieinhalb Jahre alte Hengst eine gebrauchte Sache i.S. der Norm darstellt:
1. Ansätze von Rechtsprechung und Literatur zur Begriffsbestimmung beim Tierkauf
Uneinheitlich wird beurteilt, wann beim Tierkauf von einer gebrauchten Sache auszugehen ist. Die Rechtsprechung tendiert dazu, jedenfalls Jungtiere nicht als „gebraucht“ zu qualifizieren (vgl. für den Kauf von Hundewelpen LG Aschaffenburg Urteil v. 14.12.1989 – S 210/89, NJW 1990, 915). Ebenso spricht gegen eine Einordnung als gebrauchte Sache, wenn das Tier bis zum Verkauf noch nicht verwendet worden ist, im Falle eines Pferdes also keine Nutzung als Reit- oder Zuchttier stattgefunden hat (BAG Urteil v. 15.11.2006 – VIII ZR 3/06, NJW 2007, 674). Begründet wird diese Auffassung damit, dass das Tier bis zu diesem Zeitpunkt nur seinem allgemeinen Lebensrisiko ausgesetzt worden ist, nicht hingegen dem spezifischen Gebrauchsrisiko (BAG Urteil v. 3.7.1985 – VIII ZR 152/84, NJW-RR 1986, 52). Teile der Literatur widersprechen bereits der Möglichkeit einer Abgrenzung, da das Mangelrisiko für den Verkäufer generell nicht beherrschbar sei (BeckOK/Faust, BGB, 46. Ed. Stand 1.5.2018, § 474 Rn. 27; Reuter, ZGS 2005, 88 (90f.). Diese Ansicht ist allerdings nur schwerlich mit der Gesetzesbegründung vereinbar, in der die Unterscheidung zwischen neu und alt auch für Fälle des Tierkaufs explizit angesprochen wird (BT-Drucks. 14/6040, S. 245).
2. Die Lösung des OLG Schleswig-Holstein
Das OLG schließt sich im Ausgangspunt der Judikatur des BGH an, wonach auch bei Tieren zwischen „neu“ und „alt“ zu unterscheiden ist. Ob das Pferd zum Zeitpunkt des Verkaufs die anatomischen und physischen Voraussetzungen für eine Verwendung als Reitpferd aufweist, sei unerheblich. Vielmehr sei entscheidend, ob das Pferd bei Gesamtbetrachtung über einen längeren Zeitraum dergestalt äußeren Einwirkungen bzw. Umwelteinflüssen ausgesetzt war, dass das altersbedingte Mängelrisiko zum Verkaufszeitpunkt derart gestiegen ist, dass das Tier nicht mehr als „neu“ angesehen werden kann. Für einen zum Zeitpunkt seiner Versteigerung zweieinhalb Jahre alten Hengst sei dieses Sachmangelrisiko bereits so hoch, dass das Pferd eine „gebrauchte Sache“ i.S.v. §§ 474, 476 BGB darstelle. Wirklich aufschlussreich ist der Definitionsversuch des Gerichts freilich nicht. Konkrete Anhaltspunkte für die generelle Bestimmung des „Sachmängelrisikos“ bei Tieren liefert das OLG nicht. Verkürzt kann der Ansatz des Gerichts so gelesen werden: „Eine Sache ist als gebraucht anzusehen, wenn das Risiko eines Sachmangels so hoch ist, dass sie nicht mehr als neu angesehen werden kann.“ Der Abgrenzungsversuch ist zum einen zirkulär, zum anderen liefert er keine stichhaltigen Merkmale für die Unterscheidung. Zutreffend ist jedoch, dass es letztlich einer wertenden Gesamtbetrachtung des Zustands des Tieres bedarf. Dabei kommt – unter Berücksichtigung der vereinbarten oder vorausgesetzten Verwendung – insbesondere den biologischen Merkmalen des Tieres Bedeutung zu. Für den Kauf eines Pferdes sind regelmäßig Umstände wie etwa Eintritt der Geschlechtsreife, bisherige Maßnahmen zur Dressur, Art der Haltung (Stallhaltung/Weidehaltung), Alter bei Gefahrübergang etc. zu berücksichtigen.
III. Kurze Summa
Auch beim Kauf von Tieren ist zwischen „neu“ und „gebraucht“ im Sinne der Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf zu differenzieren. Tiere sind weder kategorisch als gebrauchte Sachen einzuordnen, noch finden sich in den §§ 474 ff. BGB spezielle Sonderschriften für den Kauf von Tieren. Die Abgrenzung bedarf dabei einer wertenden Gesamtbetrachtung des biologischen Zustands des Tieres – feste, allgemeingültige Abgrenzungsmerkmale gibt es nicht. „Gebraucht“ ist ein Tier grundsätzlich dann, wenn das Risiko eines Mangels altersbedingt erhöht ist. Das Alter des Tieres bei Gefahrübergang kann dabei ein erstes Indiz für die Einordnung darstellen. Jedenfalls ein zum Zeitpunkt des Kaufs zweieinhalb Jahre altes Pferd wird danach als gebrauchte Sache i.S.v. § 474 Abs. 2 S. 2 BGB einzuordnen sein.
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Neben dem Gebrauchtwagenkauf ist der Kauf von (Dressur-)Pferden einer der absoluten Examensklassiker. Üblicherweise finden sich in der Klausur Problemstellungen zum Mangelbegriff, zur Vertragsauslegung sowie zur Beweislastverteilung. Zu diesen Punkten hat sich der BGH nunmehr mit Urteil vom 18.10.2017 – VIII ZR 32/16 erneut geäußert und seine bisherige Rechtsprechung zur Frage des Sachmangels bei Abweichen eines Tieres von der „physiologischen Idealnorm“ bestätigt. Die Entscheidung bietet Gelegenheit zur Wiederholung und Vertiefung des in Klausuren regelmäßig behandelten Systems der Sachmängelgewährleistung im Kaufrecht. Sie verdient deshalb eine genauere Betrachtung.
I. Der Sachverhalt
Die Parteien schlossen im Jahr 2010 einen mündlichen Kaufvertrag über einen damals 10 Jahre alten Hannoveraner Wallach zum Preis von 500.000 €. Der Käufer beabsichtigte, den Wallach als Dressurpferd bei Grand-Prix-Prüfungen einzusetzen. Der Verkäufer, ein selbständiger Reitlehrer und Pferdetrainer, hatte das Pferd zuvor für eigene Zwecke erworben und zum Dressurpferd ausgebildet. Nach zwei Proberitten und einer „großen Ankaufsuntersuchung“, in der sich keine erheblichen Befunde ergeben hatten, wurde das Pferd dem Käufer am 30.11.2010 übergeben. Am 15. Juni 2011 wurde dann jedoch im Rahmen einer tierärztlichen Untersuchung ein Röntgenbefund an einem Halswirbel des Pferdes festgestellt – der Gelenkfortsatz des vierten Halswirbels des Tieres war deutlich verändert. Das Pferd lahmt und hat Schmerzen, sodass es sich einer reiterlichen Einwirkung widersetzt. Ob die schwerwiegenden Rittigkeitsprobleme auf die durch den Röntgenbefund festgestellte Veränderung des Halswirbels zurückzuführen sind, ließ sich nicht feststellen. Der Käufer erklärt – nach vergeblicher Fristsetzung zur Nacherfüllung – den Rücktritt vom Kaufvertrag und begehrt dessen Rückabwicklung.
II. Rechtliche Würdigung des Bundesgerichtshofs
Der Käufer könnte einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises i.H.v. 500.000 € aus §§ 437 Nr. 2, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 Alt. 2, 346 Abs. 1 BGB haben. Die zentrale Fragestellung ist insofern, ob bei Gefahrübergang ein Sachmangel vorgelegen hat:
Der BGH stellt zunächst Überlegungen zu einer etwaigen Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB an. Das Berufungsgericht entschied zuvor, dass es sich bei dem Röntgenbefund um einen Sachmangel i.S. der genannten Norm handele, und zwar unabhängig davon, ob die klinischen Erscheinungen des Pferdes auf den Befund kausal zurückgeführt werden können. Dafür wäre allerdings das Vorhandensein einer – ausdrücklichen oder konkludenten – Beschaffenheitsvereinbarung notwendig, der zufolge das Pferd einen Röntgenbefund im Bereich des Facettengelenks nicht haben dürfte. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH setzt eine Beschaffenheitsvereinbarung voraus, dass der Verkäufer in vertragsbindender Weise die Gewähr für das Vorhandensein einer Eigenschaft der Kaufsache übernimmt und damit seine Bereitschaft zu erkennen gibt, für alle Folgen des Fehlens dieser Eigenschaft einzustehen (hierzu bereits BGH Urteil v. 4.6.1997 – VIII ZR 243/96). Eine solche Vereinbarung kann auch stillschweigend getroffen werden – der BGH stellt hier jedoch strenge Anforderungen, sodass eine Beschaffenheitsvereinbarung nicht im Zweifel, sondern nur bei eindeutigen Fällen in Betracht kommt (so bereits BGH Urteil v. 15.6.2016 – VIII ZR 134/15 und 29.6.2016 – VIII ZR 191/15). Da auch hinsichtlich einer stillschweigenden Vereinbarung keine Anhaltspunkte für einen darauf gerichteten Willen in irgendeiner Form vorlagen, verneinte das Gericht im Ergebnis den Abschluss einer Beschaffenheitsvereinbarung über den streitgegenständlichen Röntgenbefund am Halswirbel des Tieres.
Fraglich ist jedoch, ob ein Mangel i.S.v. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 BGB vorliegt. Zentraler Problempunkt ist insofern, dass der Hannoveraner Wallach ein hochklassiges Dressurpferd ist, das aufgrund der Veränderung des Halswirbels nicht mehr der „Idealform“ entspricht. Der BGH setzt diesbezüglich seine bisherige Rechtsprechung zu Mängeln bei Pferden fort: Die Eignung für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung als Reitpferd ist nicht bereits dadurch beeinträchtigt, dass aufgrund von Abweichungen in der physiologischen Norm eine (lediglich) geringere Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung künftiger klinischer Symptome besteht. Dem BGH zufolge gehört es nicht zur üblichen Beschaffenheit eines Tieres, „dass es in jeder Hinsicht einer biologischen oder physiologischen „Idealnorm“ entspricht“.
Dieser Wertung ist umfassend beizupflichten: Tiere unterliegen als Lebewesen einer ständigen biologischen Entwicklung, sodass es bereits äußerst schwer sein dürfte, einen Maßstab für eine derartige „Idealphysiologie“ zu bilden. Darüber hinaus handelt es sich beim Kauf eines Tieres nicht um ein industrielle hergestelltes Produkt, bei dem weitaus höhere Anforderungen an die physische und maschinelle Beschaffenheit gestellt werden können. Die individuellen Anlagen eines Tieres sind also im Rahmen der Bestimmung des Mangelbegriffs umfassend zu berücksichtigen. Das Gericht entschied in diesem Zusammenhang auch noch, dass es auf die Häufigkeit bzw. Üblichkeit der morphologischen Veränderung nicht ankomme. Dies gelte sogar für erstmalig auftretende physiologische Abweichungen von der „Idealform“.
Da weder eine Beschaffenheitsvereinbarung über das Ausbleiben eines Röntgenbefunds am Halswirbel vorliegt, noch die Abweichung von der physiologischen Idealnorm einen eigenständigen Mangel zu begründen vermag, verbleibt die Frage, ob die „Rittigkeitsprobleme“ bereits bei Gefahrübergang vorhanden waren. Fest steht zwar, dass die Änderung des Halswirbels zu diesem Zeitpunkt schon bestand, jedoch ist nicht feststellbar, ob Lahmheit, Schmerzen und Widersetzlichkeit des Pferdes hierauf zurückzuführen sind. Fraglich ist demzufolge, ob dem Käufer die Vermutungswirkung des § 476 BGB zu Gute kommt. Problematisch und in der Klausur zu diskutieren wäre hier die Reichweite der Vermutungswirkung – Stichwort „Grundmangel“. Dafür müsste allerdings zunächst ein Verbrauchsgüterkauf nach § 474 Abs. 1 BGB vorliegen, der Verkäufer mithin als Unternehmer i.S.v. § 14 Abs. 1 BGB gehandelt haben. Mit Blick auf die objektiv zu bestimmende Zweckrichtung des Kaufs kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Verkäufer nicht in Ausübung einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit gehandelt hat. Zwar kann auch der erstmalige Abschluss eines Vertrags auf zukünftiges unternehmerisches Handeln gerichtet sein (vgl. zur Unternehmereigenschaft bei Startup-Unternehmen BGH Beschluss v. 24.2.2005 – III ZB 36/04). Hierfür bedarf es jedoch entsprechender Anhaltspunkte, die im zu entscheidenden Fall nicht ersichtlich waren. Darüber hinaus wurde das Pferd zuvor vom Verkäufer zu eigenen Zwecken ausgebildet und trainiert, sodass eine private Nutzung bestand. Da es auch keine Vermutung dafür, dass von Unternehmern getätigte Rechtsgeschäfte im Zweifel dem geschäftlichen bzw. beruflichen Bereich zuzuordnen sind, besteht, handelte der Verkäufer im Ergebnis nicht als Unternehmer i.S.v. § 14 Abs. 1 BGB. Mangels Verbrauchsgüterkaufs kommt dem Käufer also die Vermutungsregelung aus § 476 BGB nicht zu Gute, sodass auch die diversen „Rittigkeitsprobleme“ keinen bei Gefahrübergang nachweisbar bestandenen Mangel begründen. Summa summarum fehlt es also an einem Sachmangel i.S.v. § 434 BGB. Einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises i.H.v. 500.000 € aus §§ 437 Nr. 2, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 Alt. 2, 346 Abs. 1 BGB hat der Käufer nicht.
III. Fazit
Die Entscheidung des BGH setzt die bisherige Rechtsprechung zum Mangelbegriff bei Tieren konsequent fort. Auch bei hochpreisigen Dressurpferden kann der Käufer grundsätzlich keine Beschaffenheit erwarten, die der – wie auch immer zu bestimmenden – Idealphysiologie entspricht. In der Klausur muss vor allem zwischen den verschiedenen Bezugspunkten für die Bestimmung eines etwaigen Mangels unterschieden werden. Hier ist eine präzise Differenzierung notwendig. Im Ergebnis handelt es sich um einen Fall, der sich für die juristische Staatsprüfung sehr gut eignet – der Pferdekauf bleibt ein echter „Dauerbrenner“.
An dieser Stelle möchten wir Euch ausdrücklich auf eine weitere aktuelle Entscheidung des OLG Hamm zu der Frage hinweisen, ob der für Zwecke einer Ankaufuntersuchung zwischen einem Verkäufer und dem Tierarzt geschlossene Vertrag Schutzwirkung zu Gunsten des späteren Käufers entfaltet (21 U 143/12). Die Entscheidung ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil der 21. Zivilsenat die Schutzwirkung zu Gunsten Dritter bejaht und sich dabei ausdrücklich gegen die erst vor wenigen Monaten ergangenen Rechtsprechung des 12. Zivilsenats wendet (wir hatten berichtet).
I. Sachverhalt
Der Sachverhalt ist in den hier problematischen Fällen in seinen Grundzügen gleich: Die Klägerin erwirbt von einem Pferdeverkäufer ein Pferd (hier eine Schimmelstute), das über eine im Kaufvertrag festgehaltene Eigenschaft verfügt (hier war die Stute laut Kaufvertrag vier Jahre alt und wurde als Reitpferd erworben). Das ganze erfolgt zu einem bestimmten Kaufpreis (hier 2.700 Euro). Der Kaufvertrag wird erst wirksam, wenn eine Ankaufsuntersuchung durch eine Tierarztpraxis erfolgreich durchgeführt worden ist. Der Verkäufer beauftragt daraufhin die Beklagte (Tierarztpraxis) mit der Ankaufsuntersuchung. Ansprüche der Käuferin gegen die Praxis sind in den Vertragsbedingungen, die dem Vertrag zwischen Verkäufer und Praxis zu Grunde liegen, ausgeschlossen. Die Untersuchung wird fehlerhaft durchgeführt (hier versäumte es der untersuchende Tierarzt, in dem über die Ankaufsuntersuchung erstellten Protokoll zu vermerken, dass das Tier noch ein vollständiges Milchgebiss hatte und deshalb – entgegen den Angaben im Kaufvertrag und im Pferdepass – noch keine vier Jahre alt sein konnte). Die Käuferin billigt das Protokoll und der Vertrag wird wirksam. Nachdem die Käuferin erfährt, dass das Tier erst ca. 2 ½ Jahre alt ist, nimmt sie die Tierarztpraxis auf Schadensersatz in Höhe ihrer Aufwendungen für das Pferd (bis zum Erreichen des vierten Lebensjahres) in Anspruch, weil sie zum einen das Pferd vor diesem Hintergrund nicht gekauft hätte und es zum anderen vorher als Reitpferd nicht einsetzbar gewesen sei.
II. Anspruch der Käuferin gegen die Tierarztpraxis aus § 280 Abs. 1 in Verbindung mit dem Untersuchungsvertrag und den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte (VSD)
Ein solcher Anspruch setzt voraus, dass die Voraussetzungen eines VSD vorliegen.
a) Leistungsnähe der K und Erkennbarkeit für den Tierarzt
Insoweit hat der 21. Zivilsenat, genau wie auch der 12. Zivilsenat, keine Bedenken:
Ein – wie hier – zwischen Verkäufer und Tierarzt im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Kaufvertrages geschlossener Vertrag über die Durchführung einer tierärztlichen Ankaufsuntersuchung entfaltet Schutzwirkung für den Kaufinteressenten. Dies ergibt sich aus der – der Beklagten naturgemäß bekannten – Bestimmung der Ankaufsuntersuchung, der Klägerin als Kaufinteressentin Aufschluss über die gesundheitliche Verfassung des Tieres zu geben und ihr so als Grundlage für ihren Kaufentschluss zu dienen.
b) Einbeziehungsinteresse des Verkäufers
Während der 12. Zivilsenats das Einbeziehungsinteresse des Verkäufers mit dem Argument verneint hatte, durch den Ausschluss der Haftung gegenüber Dritten hätten die Parteien zum Ausdruck gebracht, dass eine solche Einbeziehung Dritter nicht gewollt sei (siehe dazu hier), bejaht der 21. Zivilsenat auch insoweit die Voraussetzungen des VSD.
Der Senat begründet seine Auffassung mit § 242 BGB. Denn der Untersuchungsvertrag sah ausdrücklich vor, dass der Verkäufer das Ergebnis der Untersuchung dem Käufer vorlegen konnte. Dann aber, so der 21. Zivilsenat, könne der Tierarzt sich nicht andererseits auf den ebenfalls in dem Vertrag vereinbarten Haftungsausschluss gegenüber Dritten (also dem Käufer) berufen.
Dabei verkennt der Senat zunächst nicht, dass sich die Klägerin grundsätzlich Haftungsbeschränkungen und -freizeichnungen, die sich aus dem Verhältnis zwischen der Beklagten und ihrem Vertragspartner, dem Verkäufer F, ergeben, analog § 334 BGB entgegenhalten lassen muss (vgl. BGH NJW 1971, 1931 [1932]). Eine Haftungsfreizeichnung nur zu Lasten der Klägerin ist aber in der vorliegenden Konstellation zum einen als venire contra factum proprium gem. § 242 BGB und zum anderen als AGB – was der Senat jedoch letztlich offen lassen kann – entweder bereits gem. §§ 309 Nrn. 7 und 8 lit. b) aa) BGB oder aber jedenfalls gem. § 307 Abs. 1 und 2 BGB unwirksam (vgl. MünchKomm/Gottwald, 6. Aufl. 2012, § 328 BGB, Rdnr. 191 mwN.).
Besonders wichtig ist es nun, zu erkennen, dass sich der Fall möglicherweise genau an dieser Stelle doch entscheidend von dem Sachverhalt, der dem 12. Zivilsenat zur Entscheidung vorlag, unterscheidet. Ob insoweit nämlich auch eine Klausel in dem Vertrag enthalten war, die eine Vorlage des Untersuchungsergebnisses beim Käufer ausdrücklich vorsah, lässt sich den Entscheidungsgründen nicht entnehmen.
Der insoweit (möglicherweise) gegenteiligen Auffassung des 12. Zivilsenats (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 29.05.2013, Az. 12 U 178/12, Tz. 37, zit. nach juris, aus dem sich der genaue Wortlaut der dort einschlägigen Klausel allerdings nicht ergibt) folgt der erkennende Senat nicht. Die Beklagte kann nicht einerseits dadurch einen Vertrauenstatbestand schaffen, dass sie die Vorlage des Untersuchungsergebnisses an den jeweiligen Kaufinteressenten ausdrücklich gestattet, weil es gerade Sinn und Zweck einer – auch vom Verkäufer in Auftrag gegebenen – Ankaufsuntersuchung ist, dem Käufer hierdurch eine (entscheidende) Grundlage für seinen Kaufentschluss zu verschaffen, zugleich aber jegliche Haftung hierfür gegenüber dem Dritten ausschließen wollen. Dies gilt umso mehr, als ein Schaden infolge einer fehlerhaft durchgeführten Ankaufsuntersuchung typischerweise gerade – ausschließlich – beim Käufer eintritt.
III. Bewertung
Die Tatsache, dass zwei Senate desselben Gerichts binnen weniger Monate über grundsätzlich identische Sachverhalte unterschiedlich entschieden haben, dürfte schon Grund genug sein, die Thematik zum Gegenstand einer Examensklausur zu machen. Mit guter Argumentation dürfte hier vieles vertretbar sein. Enthält der Untersuchungsvertrag eine Klausel, wonach der Verkäufer ausdrücklich zur Vorlage des Untersuchungsergebnisses beim Käufer berechtigt ist, empfiehlt es sich aber, mit dem 21. Senat das Einbeziehungsinteresse des Verkäufers zu bejahen und die Wirksamkeit des Haftungsausschlusses zu verneinen.
Darüber hinaus behandelt die neue Entscheidung des 21. Senats zahlreiche weitere examensrelevante Fragen. Hingewiesen sei insoweit auf folgende Gesichtspunkte (im Übrigen wird die Lektüre der Originalentscheidung dringend empfohlen):
Das Gericht spricht den Anspruch konkret aus §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit den Grundsätzen des VSD zu. Da durch eine Nachbesserung des Gutachtens der streitgegenständliche Schaden, welcher der Klägerin durch den Ankauf des Pferdes entstanden ist, nicht mehr verhindert oder vermindert werden kann, sondern die Klägerin vielmehr Schadensersatz wegen Mangelfolgeschadens begehrt, war eine mit einer entsprechenden Fristsetzung verbundene Aufforderung zur Mängelbeseitigung (§§ 634 Nr. 4, 281 BGB) entbehrlich.
Fürs zweite Examen interessant ist die Frage der Kausalität des Fehlers für den Kaufentschluss der Klägerin. Insoweit lässt sich leicht eine Beweisaufnahme in die Akte einbauen.
Wird eine Tierarztpraxis in Anspruch genommen, muss sie sich das (gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutete) Verschulden des behandelnden Arztes über § 31 BGB zurechnen lassen.
Der Verkäufer und die Käuferin hatten im Laufe des Verfahrens einen Vergleich geschlossen. Insoweit wäre § 423 BGB zu erörtern, wonach ein zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner vereinbarter Erlass auch für die übrigen Schuldner wirkt, wenn die Vertragschließenden das ganze Schuldverhältnis aufheben wollen. Entsprechendes gilt zwar auch für den Vergleich, wenn der Tierarzt und der Verkäufer Gesamtschuldner sind. Die Auslegung des Vergleichs wird aber (wie hier) regelmäßig ergeben, dass eine Wirkung auch für den Tierarzt nicht gewollt gewesen sein dürfte.
In einer aktuellen Entscheidung des OLG Hamm vom 29.05.2013 (12 U 178/12) ging es einmal mehr um einen „gescheiterten“ Pferdekauf. Das Gericht hatte sich mit der Frage zu befassen, ob die Käuferin (K) eines Pferdes, das unter hochgradiger Arthrose eines Hufgelenks leidet, Schadensersatzansprüche (insgesamt 18.123,48 €) gegen den Tierarzt (T) geltend machen kann, der vor Abschluss des Kaufvertrags in einer allein durch den Verkäufer (V) in Auftrag gegebenen Ankaufuntersuchung Anhaltspunkte für erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen verneint hatte. Die in den Vertrag zwischen V und T einbezogenen AGB des Tierarztes sahen dabei einen Haftungsausschluss gegenüber im Vertrag namentlich nicht genannter Dritter vor.
A. Falllösung
I. Eigene vertragliche Ansprüche der Klägerin
Methodisch sauber kann man zunächst kurz feststellen, dass Ansprüche der K gegen T aus einem eigens von ihr geschlossenen Ankaufuntersuchungsvertrag nicht in Betracht kommen. Ausweislich des Sachverhalts wurde der Auftrag für die Ankaufuntersuchung nämlich allein durch V erteilt. Anhaltspunkte für eine Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) der K durch V mit der Folge, dass dessen auf den Vertragsschluss abgegebene Willenserklärung unmittelbar für und gegen K wirkt (§ 164 Abs. 1 Satz 1 BGB), existieren ebenfalls nicht:
Gewährleistungsansprüche als Vertragspartner des Beklagten scheiden deshalb aus, weil der Zeuge C2 im eigenen Namen und nicht als Vertreter der Klägerin den Vertrag mit dem Beklagten geschlossen hat. Das ergibt sich nicht nur aus der Aussage des Zeugen, sondern auch schon aus dem Vertrag selbst, in dem der Zeuge als Auftraggeber und die Klägerin nicht einmal namentlich erwähnt ist. Dass in erster Linie sie an einer korrekten Ermittlung des Gesundheitszustandes des Pferdes interessiert ist, ist für die Frage, wer Vertragspartner geworden ist, nicht von Belang.
II. Eigenhaftung Dritter
Eine Inanspruchnahme des T kommt vor diesem Hintergrund grundsätzlich noch über § 311 Abs. 3 BGB oder über eine Einbeziehung der K in den Schutzbereich des Unersuchungsvertrages zwischen V und T nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD) in Betracht.
1. Anspruch K gegen T aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB
Ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB setzt zunächst ein Schuldverhältnis voraus. Nach § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB kann ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst (§ 311 Abs. 3 Satz 2 BGB).
Zum Hintergrund: § 311 Abs. 3 BGB sollte die Haftung Dritter wegen Verschuldens beim Vertragsschluss (c.i.c.) gesetzlich verankern. Die in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB beispielhaft genannte Inanspruchnahme besonderen (d.h. über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehenden) Vertrauens ist dabei nur ein denkbarer Anwendungsfall. Daneben gibt es weitere Fallgruppen der Haftung Dritter, deren dogmatische Einordnung nicht abschließend geklärt wird. Hierzu zählt die Inanspruchnahme wegen wirtschaftlichen Eigeninteresses (etwa des Gesellschafters der vertragsschließenden GmbH) und die sog. Sachwalterhaftung. § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB ist insoweit auch nicht abschließend formuliert („insbesondere“), so dass auch die Fallgruppe des wirschaftlichen Eigeninteresses hierunter fallen dürfte (siehe etwa Palandt, 71. Aufl. 2012, Rn. 60 f.). Im Hinblick auf die Sachwalterhaftung (verstanden als „Haftung von Sachverständigen oder anderen Auskunftspersonen, die nicht selbst ein Eigeninteresse an einem Abschluss des Vertrags haben, dennoch aber durch ihre Äußerungen entscheidend zum Vertragsabschluss beitragen, weil sich ein Verhandlungspartner auf ihre Objektivität und Neutralität verlässt“, siehe BT-Drucks. 14/6040, S. 163), soll nach Ansicht des Gesetzgebers eine Lösung über § 311 Abs. 3 BGB zumindest „auch“ möglich sein (BT-Drucks. 14/6040, aaO). Dieser Aussage haben sich große Teile der Literatur angeschlossen (siehe zum Meinungsstand etwa Emmerich, in: Münchener Kommentar BGB § 311, Rn. 197). Die Rechtsprechung erörtert Fragen der Sachwalterhaftung bislang gleichwohl überwiegend im Rahmen des VSD (siehe etwa zur Schutzwirkungen eines Gutachtenauftrags zur Grundstückswertermittlung, BGH, NJW 2004, 3035, 3036). Der BGH hat eine Subsumtion unter §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB zuletzt aber zumindest auch nicht verneint (BGH, NJW-RR 2011, 462, 463).
Das OLG Hamm lehnt im vorliegenden Fall eine Haftung des T aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB mangels wirtschaftlichen Eigeninteresses kategorisch ab:
Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 311 Abs. 3 BGB. Danach haftet ein Dritter, dessen Verhalten die Entscheidung für den Vertragsschluss beeinflusst hat, nur dann, wenn er ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Vertragsschluss hat. Die Haftung des Gutachters für ein unrichtiges Gutachten ergibt sich nicht aus § 311 Abs. 3 BGB, sondern weiterhin aus den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.
2. Anspruch K gegen T aus § 280 Abs. 1 in Verbindung mit dem Untersuchungsvertrag und den Grundsätzen des VSD
Verortet man die Prüfung mit der Rechtsprechung und dem OLG Hamm nun im Rahmen des VSD, sind die Voraussetzungen dieses Instituts zu prüfen (siehe dazu auch sehr instruktiv hier):
- Leistungsnähe des Dritten
- Erkennbarkeit für den Schuldner
- Einbeziehungsinteresse des Gläubigers
- Schutzbedürftigkei des Dritten
a) Leistungsnähe der K
Leistungsnähe setzt voraus, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der geschuldeten Leistung in Berührung kommt und den Gefahren einer Pflichtverletzung ebenso ausgesetzt ist wie der Gläubiger selbst.
Diese Voraussetzung ist nach Ansicht des OLG erfüllt:
An einer korrekten Ermittlung des Gesundheitszustandes des Pferdes ist in erster Linie der potentielle Käufer interessiert, der sicher gehen will, dass das Tier nicht krank und seinen Preis wert ist.
b) Erkennbarkeit für den T
Die Drittbezogenheit seiner Leistung muss für den Schuldner erkennbar sein.
Auch insoweit sieht das OLG die Voraussetzungen des VSD als gegeben an:
Auch erscheint dem Senat die Erkennbarkeit der Drittbezogenheit seiner Leistung für den Beklagten schon deshalb eindeutig, weil der schriftliche Vertrag mit „Vertrag einer Kaufuntersuchung eines Pferdes“ überschrieben ist und den Zeugen C2, der von Beruf Pferdehändler ist, als Verkäufer ausweist.
c) Einbeziehungsinteresse des V
Das Einbeziehungsinteresse setzt voraus, dass der Vertragspartner ein eigenes schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages hat.
Anmerkung: Ausgangspunkt der Rechtsprechung des BGH zum VSD waren Fallgestaltungen, in denen einem Vertragspartner gegenüber Dritten eine gesteigerte Fürsorgepflicht obliegt, ihm also deren „Wohl und Wehe“ anvertraut ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn zwischen Gläubiger und Drittem eine Rechtsbeziehung mit personenrechtlichem Einschlag – ein familienrechtliches, arbeitsrechtliches oder mietvertragliches Verhältnis – besteht. In Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung sind in die Schutzwirkungen eines Vertrages im Wege ergänzender Vertragsauslegung auch Dritte einbezogen worden, wenn der Gläubiger an deren Schutz ein besonderes Interesse hat und wenn Inhalt und Zweck des Vertrages erkennen lassen, dass diesem Interesse Rechnung getragen werden sollte, und die Parteien den Willen hatten, zugunsten dieser Dritten eine Schutzpflicht des Schuldners zu begründen (instruktiv zur Entwicklung der Rechtsprechung: BGH, NJW 2001, 3115, 3116).
Das OLG Hamm legt den Untersuchungsvertrag aus und verneint das Einbeziehungsinteresse des V. Dabei stützt sich das Gericht im Wesentlichen auf zwei Argumente:
Durch den Ausschluss der Haftung gegenüber im Vertrag namentlich nicht genannten Dritten haben die Parteien zum Ausdruck gebracht, dass eine Einbeziehung Dritter nicht gewollt ist:
Nach den in den Vertrag einbezogenen AGB des Beklagten ist dessen Haftung gegenüber im Vertrag namentlich nicht aufgeführten Dritten ausdrücklich ausgeschlossen. Eine solche Haftungsbegrenzung ist rechtlich unbedenklich. Ob und welche Dritte sie in den Schutzbereich des von ihnen geschlossenen Vertrages einbeziehen, unterliegt im Rahmen der Vertragsfreiheit grundsätzlich der freien Disposition der Vertragsschließenden. AGB-rechtliche Bedenken gegen die Zulässigkeit einer entsprechenden Vereinbarung ergeben sich nicht. Durch die Regelung wird nicht die Kardinalpflicht zur Erstellung eines inhaltlich richtigen Gutachtens als solche aufgehoben oder inhaltlich eingeschränkt, sondern lediglich der Kreis derjenigen Personen begrenzt, denen gegenüber gehaftet werden soll.
Daneben billigt das Gericht dem T ein (erkennbares) Interesse an der Beschränkung der Haftung auf seinen Vertragspartner zu, da er andernfalls mit einer nicht kalkulierbaren Haftungsausweitung konfrontiert würde:
Daran, dass die Haftung gegenüber Dritten auf die im Vertrag ausdrücklich benannten Personen beschränkt wird, hat der Beklagte ein schutzwürdiges Interesse. Ohne diese Begrenzung ist er der Gefahr der Inanspruchnahme gegenüber einem nicht überschaubaren Personenkreis ausgesetzt. So ist denkbar, dass das Pferd nach einer Rückabwicklung des ersten Kaufvertrages erneut unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Ankaufsuntersuchung des Beklagten veräußert wird und deshalb mehrere Erwerber Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten geltend machen. Auch kann sich die Konstellation ergeben, dass mehrere Dritte den Beklagten dafür verantwortlich machen, dass sie wegen eines fehlerhaft negativen Untersuchungsbefundes von einem für sie günstigen Kauf Abstand genommen haben.
d) Schutzbedürftigkeit der K
Neben dem fehlenden Einbeziehungsinteresse fehlt es nach Ansicht des Gerichts schließlich auch an der Schutzbedürftigkeit der K, da diese zum einen gegen ihren Vertragspartner V vorgehen kann und sie, sofern Ansprüche gegen den V verjährt sein sollten, für die Verjährung allein verantwortlich ist:
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Zu verneinen ist auch die Schutzbedürftigkeit der Beklagten. Diese entfällt regelmäßig, wenn dem Dritten eigene vertragliche Ansprüche zustehen, die denselben oder zumindest einen gleichwertigen Inhalt haben, wie diejenigen Ansprüche, die ihm bei einer Einbeziehung in den Schutzbereich des Vertrages zuzubilligen wären. Unter diesem Gesichtspunkt hat das OLG Celle (RdL 2010, RDL Jahr 2010 Seite 262-RDL Jahr 2010 263) die Verpflichtung des Dritten angenommen, vorrangig den Verkäufer nach § BGB § 437 BGB in Anspruch zu nehmen (im Ergebnis ebenso LG Verden RdL 2008, RDL Jahr 2008 Seite 153-RDL Jahr 2008 154). Dem folgt der erkennende Senat.
Die Schutzbedürftigkeit besteht auch nicht deshalb, weil Ansprüche gegen den Verkäufer inzwischen wegen Verjährung nicht mehr durchsetzbar sind. Abgesehen davon, dass – was im vorliegenden Fall keiner abschließenden Beurteilung bedarf – die Frage der Schutzbedürftigkeit nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu beurteilen sein dürfte, hat die Klägerin nach eigenem Vorbringen bereits in unverjährter Zeit deutliche Mangelsymptome festgestellt, dennoch aber die Verjährungsfrist verstreichen lassen. Jedenfalls dies lässt ihre Schutzbedürftigkeit entfallen.
Im Ergebnis stehen der K damit auch unter dem Gesichtspunkt des VSD keine Schadensersatzansprüche gegen den T zu.
B. Fazit
Die Entscheidung eignet sich hervorragend für Examensklausuren und mündliche Prüfungen. Denkbar ist etwa die Frage nach der Rechtslage. Hier könnten dann (kaufvertragliche) Ansprüche der K gegen V erörtert werden. Dabei ließen sich neben den üblichen Gewährleistungsthemen vor allem auch Verjährungsfragen einbauen. Daneben ließen sich Regressansprüche des V gegen T aus werkvertraglicher Gewährleistung (§§ 634 ff. BGB) und schließlich – im Verhältnis K zu T – die hier erörterten Anspruchsgrundlagen abprüfen.
Zum Hintergrund (keine deliktsrechtliche Haftung für Vermögensschäden, Herleitung aus §§ 328 ff. BGB) und zur Wiederholung der Voraussetzungen sei hier auch nochmal auf unseren Grundlagenbeitrag zum VSD verwiesen.


Wir bedanken uns bei Philipp für die Zusendung eines Gedächtnisprotokolls der ZR I im 2. Staatsexamen in Rheinland-Pfalz im April 2012.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt. Vorab vielen Dank!
Inhalt des Aktenauszugs
Thema: Kauf eines Pferdes und Aufwendungsersatzansprüche
Eigentümerin (Beklagte) schließt mit Reitstallbesitzer/Pferdetrainer (Kläger) einen Geschäftsbesorgungsvertrag. Ihr Wallach soll innerhalb von 4 Monaten für mindestens 7.000,00 € Euro verkauft werden. Der Kläger soll den Verkauf in eigenem Namen abwickeln.
Der Kläger verkauft das Pferd sodann an eine Interessierte (Zeugin O) für 8.800,00 € (7.000,00 € gingen davon an die Beklagte). Das Pferd wird im Vertrag als Freizeitpferd ausgewiesen und es wird ein Gewährleistungsausschluss vereinbart. Vor dem Kauf lässt die Zeugen eine Ankaufsuntersuchung durch einen Tierarzt vornehmen. Hierbei erwähnt der Kläger, dass das Tier vor einem Monat an einer Kolik erkrankt sei. Der Tierarzt konnte jedoch keine Erkrankungen feststellen und auch die Kolik sei abgeheilt.
Ca. 3 Monate später erkrankt das Tier an einer schweren Kolik und muss operiert werden, dabei wird festgestellt, das 7m des Dünndarms mit Divertikeln belastet ist. Da eine Genesung unwahrscheinlich und eine OP sinnlos erscheint, rät man der Zeugen zum Einschläfern während der OP, was sie auch veranlasst.
Nachdem der Kläger in Kenntnis gesetzt wurde, versuchte er mit der Beklagten und der Zeugin eine Einigung zu erzielen. Dies scheiterte an der Beklagten. Daraufhin erklärte die Zeugin den Rücktritt vom Kaufvertrag. Sie verlangt Kaufpreiszahlung, Tierarzt- & Laborkosten, Kosten der Ankaufuntersuchung, sowie Kosten für Trainingseinheiten (da das Pferd Talent als Springreiter hatte).
Der Kläger zahlte der Zeugen die Kosten und möchte nun diese von der Beklagten ersetzt bekommen.
Kläger behauptet, das Pferd könne nicht mehr gerettet werden. Einschläferung sei die einzig mögliche Konsequenz.
Beklagte behauptet, das Pferd hätte noch leben können. Außerdem habe der Kläger ihr am runden Tisch zugesichert, dass keine Kostentragungspflicht auf sie zukäme.
Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten bzgl. der Einschläferung: Ein Befall von 7m Dünndarm sei für das Pferd schmerzhaft, eine OP sei zwar möglich, aber die Lebensdauer sei verkürzt und aus dem Blick des Tierschutzes sei eine Einschläferung geboten.
Zeugenbeweis: Hinsichtlich der Behauptung, dass die Beklagte keine Kostentragungspflicht trage werden der Ehemann der Beklagten und die Zeugin O als Zeugin benannt. Der Ehemann untermauert die Behauptung der Beklagten die Zeugin O kann sich erst nicht erinnern, auf konkrete Nachfragebekundet sie, dass es eine solche Abrede nicht gab.