Vor kurzem ereignete sich ein beinahe unvorstellbarer Sachverhalt in den Vorgärten des Hamburger Vororts Bramberg (siehe eine Aufnahme vor Ort hier oder auch hier).
Der Fall Thessa
Die fünfzehnjährige Schülerin Thessa (oder auch „Tessa“, das konnte ich leider nicht verifizieren, ich hoffe, mir sei verziehen) hatte bei Facebook ihre Geburtstagseinladung gepostet. Diese Einladung war, bedingt durch ein Versehen, als „öffentlich“ gekennzeichnet, d.h. die Einladung war für alle Facebooknutzer einsehbar. Mehr als 15.000 Partywütige aus ganz Deutschland hatten bei Facebook ihr kommen angekündigt. Als Thessa das Missgeschick bemerkte und sogar ihr Facebook-Profil löschte, hatte sich die „Party des Jahres“, wie die Schülerin sie nannte, bereits über Facebook hinaus verselbstständigt. In Blogs und auf verschiedensten Internetseiten und sozialen Netzwerken wurden die User dazu angehalten, Thessas Geburtstagsparty zu besuchen.
Es tauchten zum Zeitpunkt der angekündigten Feier tatsächlich über 1.000 Menschen auf, obwohl Thessas Party abgesagt wurde. Die Situation artete aus: Vermummte Partygäste pöbelten gegen die Polizei und stimmten Sprechchöre an. Blumenbeete wurden zertrampelt. Darüber hinaus flogen Bierflaschen durch die Luft und Feuerwerkskörper explodierten. Im Laufe des Abends wurden Mülltonnen und sogar eine Gartenlaube angezündet. Auch einige Autos wurden leicht beschädigt.
Rechtliche Implikationen
In rechtlicher Hinsicht stellt sich nun für die Nachbarn von Thessas Familie die Frage, von wem sie Ihre Schäden ersetzt verlangen können. Selbstredend bestehen deliktische Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m den Schutzgesetzen aus dem StGB gegen die unmittelbaren Störer. Da sich eine Vielzahl der Randalierer nicht mehr ausmachen lässt, stellt sich darüber hinaus die weitaus interessantere Frage, ob Ansprüche der Nachbarn auch gegen Thessa oder ihre Eltern bestehen.
I. Ansprüche gegen Thessa
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB könnte demnach einem der betroffenen Nachbarn direkt gegen die fühnzehnjährige Thessa zustehen. Hierfür müssten die Tatbestandsmerkmale des § 823 Abs. 1 BGB erfüllt sein.
1. Rechtsgutsverletzung: Eine Rechtsgutsverletzung besteht vorliegend in dem beschädigten Eigentum der Nachbarn. Zusätzlich können bestimmte Nachbarn unter erhöhtem beweisrechtlichen Aufwand Gesundheitsschäden geltend machen, sofern der Lärm zu einem außerordentlichen Schlafentzug geführt hat.
2. Handlung: Als schadensbegründende deliktische Handlung von Thessa wäre hier das Einstellen der Party auf Facebook zu diskutieren.
3. Haftungsbegründende Kausalität: Bei diesem Punkt bestehen bereits ernsthafte Bedenken. Das Einstellen der Party auf Facebook war selbsverständlich äquivalent kausal (d.h. conditio sine qua non) für den eingetretenen Schaden. Hätte Thessa die Party nicht online angekündigt, wäre es nicht zu dem Ansturm an Partygästen und damit zu den Verwüstungen gekommen.
Fraglich ist jedoch, ob ein solcher Ausgang bereits vorhersehbar – also adäquat kausal war (zur Eingrenzung durch die adäquate Kausalität siehe BGHZ 41, 125; offengelassen in BGH 57, 27 f.). Grundsätzlich gilt, dass das Dazwischentreten eines Dritten für sich gesehen noch nicht dazu ausreicht, um die adäquate Kausalität zu verneinen. In diesem Fall müsste man entsprechend der allgemeinen Verkehrsanschauung bewerten, ob ein solcher Verlauf gänzlich außergewöhnlich und nicht zu erwarten war. Dies wäre im vorliegenden Fall wohl zu verneinen, da bei einer öffentlichen, an tausende von Menschen gerichteten Einladung damit zu rechnen ist, dass davon auch einige erscheinen werden.
Schließlich kann das Erfordernis der haftungsbegründenden Kausalität auch noch nach der Lehre des Schutzzwecks der Norm zu verneinen sein. Hiernach sind nur diejenigen Rechtsgutsverletzungen zurechenbar, die vom Schutz des § 823 Abs. 1 BGB erfasst sind. Beispielsweise ist ein Nervenschock, der aufgrund einer Unfallmeldung über eine dem Geschädigten nicht nahestehende Person ergeht, dem Auslöser nicht zurechenbar. Ein solcher Schaden fällt vielmehr unter die Kategorie des allgemeinen Lebensrisikos. Im vorliegenden Fall würde eine solche Annahme aber wohl zu verneinen sein. Eine Massenparty mit über 1.000 Teilnehmern findet nicht ohne Auslöser statt und stellt damit kein allgemeines Lebensrisiko dar. Die haftungsbegründende Kausalität ist damit zu bejahen.
4. Rechtswidrigkeit: Durch die Tatbestandsmäßigkeit ist die Rechtswidrigkeit bereits indiziert.
5. Verschulden: Ein Verschulden von Thessa könnte hier in Form von Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 1 BGB) vorliegen. Dies wäre der Fall, wenn Thessa die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hätte. In diesem Kontext stellt sich somit die diskussionswürdige Frage, welche Verhaltensmaßstäbe beim Erstellen von Facebook-Einträgen zu erwarten sind.
Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass das Entstehen einer Massenparty, wie im Fall von Thessa zwar theoretisch möglich, aber dennoch eine Ausnahmeerscheinung darstellt. Deshalb kann vom Facebook-Nutzer nicht erwartet werden, mit gehöriger Sorgfalt bei Partyeinladungen zu prüfen, ob diese als öffentlich oder privat gekennzeichnet wurde. Insofern lag beim Erstellen von Thessas Einladung (ohne eine sorgfältige Prüfung dessen Inhalts ) noch kein fahrlässiges Verhalten vor.
Ein anderer Anknüpfungspunkt für eine deliktische Handlung stellt allerdings die fehlende Überwachung einer solchen Einladung dar. Sobald Thessa bemerken konnte, dass die Facebook-Einladung „öffentlich“ war und eine Vielzahl an Menschen ihr Kommen ankündigten, musste sie den Status ändern. Eine solche Pflicht ergibt sich als Verkehrssicherungspflicht, die hier durch die Schaffung einer potentiellen Schadensquelle vorliegt. Da Thessa (soweit ich den Sachverhalt richtig erfassen konnte) aber sofort reagiert hat und innerhalb kürzester Zeit ihre Anmeldung zurück zog, dürfte sie dieser Verkehrssicherungspflicht nachgekommen sein.
Aus diesem Grund fehlt es an der Fahrlässigkeit von Thessas Verhalten, so dass ein Verschulden i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB nicht vorliegt.
6. Ergebnis: Thessa haftet den Nachbarn nicht aus § 823 Abs. 1 BGB.
(7. Haftungsausschluss:) Sofern man allerdings eine Haftung von Thessa bejaht hätte, wäre ein Ausschluss der Haftung nach § 828 Abs. 3 BGB noch zu diskutieren. Hiernach ist die Haftung von über siebenjährigen Minderjährigen ausgeschlossen, wenn die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht beim Minderjährigen fehlt. In diesem Fall würde man wohl argumentieren, dass ein Minderjähriger durchaus nachvollziehen kann, dass eine Einladung an eine extrem hohe Zahl an Teilnehmern eine Party von erheblichem Ausmaß und damit auch ein erhebliches Störerpotential entfalten kann. Die Einsichtsfähigkeit wäre dann im speziellen Einzelfall von Thessa zu evaluieren, wobei man diese wohl gut vertretbar bejahen könnte.
II. Haftung der Eltern von Thessa
Eine Haftung von Thessas Eltern kommt lediglich nach § 832 BGB in Betracht. Es handelt sich hierbei um eine Haftung für vermutetes eigenes Verschulden der Eltern. Die Eltern wären allerdings sehr wahrscheinlich in der Lage, die Haftung nach § 832 Abs. 1 S. 2 BGB auszuschließen, wenn sie ihrer Aufsichtspflicht genüge getan haben.
Von Eltern wird nicht erwartet, dass sie ihre Kinder rund um die Uhr überwachen. Auch in Bezug auf Internettätigkeiten der Kinder wird es als ausreichend angesehen, wenn die Eltern die Kinder grundsätzlich und generell über die Gefahrenpotentiale des Internets aufklären. Einem fünfzehnjährigen Kind die Nutzung des Internets oder Facebook zu verbieten, wäre eine unverhältnismäßige Maßnahme, die von den Aufsichtspflichten der Eltern auch nicht erfasst ist.
Eine Haftung der Eltern ist aus diesem Grund schwerlich zu begründen.
Folglich können die Nachbarn sich lediglich an die unmittelbaren Störer halten. Eine Haftung von Thessa oder ihren Eltern besteht (bei Annahme des oben geschilderten Sachverhalts) nicht.
Examensrelevanz
Da der Fall kurios, aktuell und rechtlich nicht unkompliziert ist, eignet er sich hervorragend für eine mündliche Prüfung. Auch in eine Klausur könnte der Fall in Zukunft Eingang finden. Die Probleme rund um die Kausalität und das Verschulden von Thessa können durchaus anders gelöst werden – wichtig ist lediglich, dass eine wohlbegründete Ansicht des Prüflings erkennbar ist.