Gestern hat der BGH (Urteil v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, bisher gibt es nur die Pressemitteilung, auf der auch dieser Bericht beruht) entschieden, dass ein auf eine bestimmte Dauer bestellter Geschäftsführer einer GmbH in den Schutzbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) fällt. Wird also sein Dienstvertrag wegen seines Alters nicht verlängert, stellt dies eine nach § 7 Abs. 1 AGG verbotene Benachteiligung dar.
I. Das AGG – im Gesellschaftsrecht neu, im Arbeitsrecht ein alter Hut
Auch wenn die Medienaufmerksamkeit anderes suggeriert: Die Entscheidung des BGH war keine Überraschung. Das AGG ist im Arbeitsrecht längst ein „alter Hut“. Das BAG hat sich schon in zahlreichen Judikaten zu den verschiedenen Fragen geäußert. Der vorliegende Fall genießt nur deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil er der erste vom BGH Entschiedene ist.
Dass in diesem Fall der BGH zuständig war, ergibt sich daraus, dass für die Rechtsstreitigkeiten zwischen Organmitgliedern und ihren Gesellschaften nicht die Arbeitsgerichte, sondern in Ermangelung einer Sonderzuständigkeit die Zivilgerichte zuständig sind. Denn da Organmitglieder keine Arbeitnehmer sind, ist keine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG begründet. Bestätigt wird dies noch einmal durch den Umkehrschluss aus § 2 Abs. 4 ArbGG, wonach die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für Streitigkeiten zwischen Organmitgliedern und ihren Gesellschaften durch besondere Vereinbarung begründet werden kann.
II. Anwendbarkeit des AGG auf Organmitglieder juristischer Personen
Die „arbeitsrechtlichen“ Regelungen des AGG gelten jedoch auch für Organmitglieder „entsprechend“. Das ergibt sich aus § 6 Abs. 3 AGG (umfangreich dazu Thüsing/Stiebert, NZG 2011, 641):
(3) Soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft, gelten die Vorschriften dieses Abschnitts für Selbstständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Geschäftsführerinnen und Vorstände, entsprechend.
Die Einbeziehung auch von Organmitgliedern hat ihren Grund darin, dass der Beschäftigtenbegriff der europäischen Richtlinien (insb. 2000/78/EG), zu deren Umsetzung das AGG dient, weiter ist als der deutsche Arbeitnehmerbegriff und auch Organmitglieder erfasst.
In dem Beschluss, den Kläger nach dem Auslaufen seiner Bestellung nicht weiter als Geschäftsführer zu beschäftigen, hat der BGH in dem vorliegenden Fall eine Entscheidung über den Zugang zu dem Amt gesehen (s. Pressemitteilung).
III. Vorliegen einer Benachteiligung und § 22 AGG
Sodann war zu prüfen, ob überhaupt eine Benachteiligung vorliegt. Hier hilft dem Beschäftigten die Beweislastregel des § 22 AGG:
§ 22 Beweislast
Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
Hierzu führt der BGH aus:
„Hier hatte der Aufsichtsratsvorsitzende gegenüber der Presse erklärt, dass der Kläger wegen seines Alters nicht weiterbeschäftigt worden sei. Man habe wegen des „Umbruchs auf dem Gesundheitsmarkt“ einen Bewerber gewählt, der das Unternehmen „langfristig in den Wind stellen“ könne. Das hat der Senat als ausreichend für die Beweislastumkehr nach § 22 AGG angesehen. Die Beklagte hat den damit ihr obliegenden Gegenbeweis nicht geführt.“
Hierin könnte – man muss freilich die Urteilsgründe noch abwarten – eine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung liegen. Nach dieser greift die Begünstigung des § 22 AGG nicht hinsichtlich des Vorliegens einer weniger günstigen Behandlung iS von § 3 Abs. 1 und 2, sondern nur hinsichtlich der Kausalität zwischen Ungleichbehandlung und einem der nach § 1 verpönten Merkmale. Der Kläger muss daher zunächst den Vollbeweis führen, dass er gegenüber einer anderen Person ungünstig behandelt worden ist. Er muss die von ihm angegriffene Maßnahme und ebenso das Betroffensein von dieser Maßnahme nachweisen (MüKoBGB/Thüsing, § 22 Rn. 6 m.w.N.).
Ein solcher Vollbeweis ist bei Arbeitnehmern freilich auch leichter zu führen als bei Organmitgliedern, da bei jenen meist Vergleichspersonen gegeben sind, bei diesen dagegen nicht. Es bleibt abzuwarten, was der BGH in seinen Urteilsgründen ausgeführt hat.
IV. Rechtsfolgen
Die Rechtsfolgen einer unzulässigen Benachteiligung sind für Beschäftigte in den §§ 13ff. AGG geregelt. Praktisch am wichtigsten sind sicherlich die Ansprüche auf Schadensersatz (§ 15 Abs. 1 AGG) und der Entschädigungsanspruch für Nichtvermögensschäden (§ 15 Abs. 2 AGG). Zu beachten ist, dass es nach § 15 Abs. 6 AGG grundsätzlich keine Naturalrestitution in Form eines Kontrahierungszwangs gibt, d.h. der Beschäftigte darf bei einer diskriminierenden Ablehung keine Einstellung verlangen.
V. Bewertung: Unternehmerische Entscheidungen werden überprüfbar
Folge des AGG ist es, dass unternehmerische Entscheidungen rechtlicher Überprüfung dahingehend unterliegen, ob diskriminiert wurde. Um dem Vorwurf der Diskriminierung zu entgehen, müssen die Unternehmen ihre Entscheidungen in dem Sinne verobjektivieren, dass Gründe für die Entscheidung offengelegt und dokumentiert werden. Die Ausübung ihrer Privatautonomie unterliegt also gerichtlicher Überprüfung. Ansonsten droht, dass der nach § 22 AGG erforderliche Gegenbeweis nicht geführt werden kann.