Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hatte über die Strafbarkeit eines Mannes zu entscheiden, der einen Richter am Amtsgericht in einer Dienstaufsichtsbeschwerde als „ekelig parteiischen Amtsrichter“ und dessen Urteil als eine „schikanöse Schandtat“ bezeichnete (BayObLG, Beschl. v. 04.07.2022 – 202 StRR 61/22). Es handelt sich hierbei um einen weiteren von zahlreichen Fällen, der im grundrechtssensiblen Bereich zwischen Meinungsfreiheit und Strafbarkeit nach dem 14. Abschnitt des StGB spielt. Ob eine Äußerung die Grenze zur Strafbarkeit überschreitet, ist durch eine Grundrechtsprüfung und eine umfassende Abwägung zu ermitteln. Diese Stichworte lassen schon vermuten, dass sich eine solche Konstellation gleichermaßen für eine Strafrechtsklausur gleichermaßen, wie für eine Verfassungsbeschwerde eignet.
I. Sachverhalt
Ausgangspunkt des Strafverfahrens war ein Zivilverfahren, an dem der spätere Täter als Partei, das spätere Opfer als Richter beteiligt war. Bei dem Täter handelt es sich um einen promovierten Mediziner, der in dem Verfahren vor dem Amtsgericht die Räumung seiner Eigentumswohnung durch seinen damaligen Mieter geltend machte. In dem Räumungsverfahren obsiegte er – trotzdem gab es aus seiner Sicht Anlass für eine Dienstaufsichtsbeschwerde: Denn der Täter wurde durch das Gericht als Zweitschuldner für die Gerichtskosten in Anspruch genommen, die der Beklagte in dem Ausgangsverfahren zu tragen hatte. Von dem vom Täter eingezahlten Gerichtskostenvorschuss wurde nur ein Teilbetrag an ihn ausbezahlt, der Rest wurde auf die Gerichtskosten angerechnet. Für diesen angerechneten Restbetrag hätte der Täter seinen ehemaligen Mieter im Rahmen eines von ihm anzustrengenden Kostenfestsetzungsverfahrens gemäß den §§ 103 ff. ZPO in Anspruch nehmen müssen. Hierauf, sowie darauf, dass dies gängige Praxis ist, wurde der Täter dreimal hingewiesen, unter anderem durch das spätere Opfer und den Direktor des Amtsgerichts. Gleichwohl erhob der Täter gegen den Amtsrichter eine Dienstaufsichtsbeschwerde „wegen Entnahme von Geld aus einem Guthaben von mir (monatelang (!) ohne mich zu benachrichtigen!!?), um – ohne Not – die Schuld eines Dritten (!!?) zu begleichen!!? § 266 StGB (Untreue).“ In dem Schreiben führte der Täter weiterhin aus: „Der Beklagte musste aber aufgrund der extrem parteiischen Schandtat (Geldtransaktion) des Amtsrichters [namentliche Nennung des Richters] die 1. Gerichtskostenzahlung überhaupt nicht zahlen (!!?), wohl aber den ganzen Rest (2/3) […]“. Ferner wurde wiederum die angebliche „Entnahme aus dem Guthaben“ durch den zuständigen Richter, der namentlich genannt wurde, unter Hinweis auf § 266 StGB wiederholt. Die Dienstaufsichtsbeschwerde endete mit der Frage: „WIE bekomme ich jetzt meine 203,- € zurück? Billigt Präsident […] auch diese Schandtat des Herrn […]?“. In einer beigefügten Anlage zu der Dienstaufsichtsbeschwerde bezeichnete der Täter den Richter am Amtsgericht mit dessen namentlicher Nennung als „ekelig parteiischen Amtsrichter“, wiederholte den Vorwurf, der Richter habe sich „an einem Guthaben von mir vergriffen (§ 266 StGB/Untreue)“ und wertete dessen Verhalten als „schikanöse Schandtat“.
Wegen dieser Aussagen wurde der Täter vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe wegen übler Nachrede gemäß § 186 StGB verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte keinen Erfolg, stattdessen wurde aufgrund der Berufung der Staatsanwaltschaft, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war, die Höhe der verhängten Tagessätze von 30 € auf 50 € festgesetzt. Hiergegen richtete sich der Täter nun in seiner Revision zum BayObLG.
II. Entscheidung
Auch die Revision hatte keinen Erfolg. Das BayObLG hielt die Revision für unbegründet und änderte dabei lediglich den Schuldspruch.
Zwar sei die Verurteilung wegen übler Nachrede nach § 186 Alt. 1 StGB rechtsfehlerhaft. Bei der Aussage, der Amtsrichter habe aus dem „Guthaben“ des Angeklagten „Geld entnommen“, um damit „die Schuld eines Dritten zu begleichen“, handele es sich nicht um eine unwahre Tatsachenbehauptung. Aus dem Gesamtzusammenhang der Äußerung ergebe sich ohne weiteres, dass der Täter die Tätigkeit des Richters insoweit als fehlerhaft beanstanden wollte. Nicht entnehmen ließe sich den Äußerungen des Täters, dass er falsche oder zumindest nicht erweislich wahre Tatsachen behauptet habe. Dennoch hatte die Revision keinen Erfolg, der Täter habe sich wegen Beleidigung nach § 185 Alt. 1 StGB strafbar gemacht. Der Vorwurf der strafbaren Untreue stelle schon für sich genommen einen Angriff auf den Achtungsanspruch des Richters dar. Dieser werde dadurch noch verstärkt, dass der Täter den Richter als „ekelig parteiischen Amtsrichter“ und dessen Wirken als „schikanöse Schandtat“ bezeichnete. Das Verhalten des Täters sei auch nicht nach § 193 StGB unter Berücksichtigung seiner Meinungsäußerungsfreiheit gerechtfertigt, die vorzunehmende Interessenabwägung zwischen Meinungsfreiheit des Täters und dem Schutz der Persönlichkeit des Opfers gehe zulasten des Täters. Hierbei ging das Gericht auf die Umstände des Einzelfalls, die Person des Täters und die Rahmenbedingungen ein, die der Äußerung des Täters vorausgingen.
III. Einordnung der Entscheidung
Dass das BayObLG im ersten Schritt die Verurteilung wegen übler Nachrede für rechtsfehlerhaft hielt, zeigt, dass schon bei der Frage, ob es sich bei einer Äußerung um eine Tatsachenbehauptung handelt, eine Auseinandersetzung mit dem gesamten Sachverhalt und nicht nur der Äußerung selbst erforderlich ist. Auch dies kann aus Art. 5 Abs. 1 GG hergeleitet werden.
Bei der Prüfung von Beleidigungsdelikten ist § 193 StGB der Aufhänger für die vorzunehmende Grundrechtsprüfung. Die Meinungsäußerungsfreiheit des Täters ist in Ausgleich mit dem Persönlichkeitsschutz des Täters zu bringen: Nach gefestigter verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 185 StGB regelmäßig auf der Grundlage der konkreten Umstände einer Äußerung und ihrer Bedeutung eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen. Nur in Ausnahmefällen tritt bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde eines anderen antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurück, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf. Bei einer Äußerung handelt es sich um Schmähkritik, wenn sie keinen nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Von einer Formalbeleidigung ist bei der Verwendung besonders krasser, aus sich heraus herabwürdigender Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – auszugehen, bei denen die gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit dazu führt, dass sie in aller Regel von vornherein nicht dem grundrechtlichen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit unterliegen würde. Beides lag nicht vor, die Äußerungen des Täters hatten namentlich einen Bezug zu dem Verhalten des Richters, das er kritisierte. Gerade aufgrund dieses Bezuges zu dem richterliche Verhalten ist noch zu thematisieren, dass es sich um eine Äußerung gegen eine Person bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben handelt. In der Vergangenheit war das Bundesverfassungsgericht mit Fällen befasst, in denen Behördenmitarbeiter bzw. der Finanzminister verbal angegriffen wurden (BVerfG, Beschl. v. 19.05.2020 – 1 BvR 362/18; 1 BvR 1094/19). Auch Personen, die öffentliche Ämter bekleiden, genießen einen Persönlichkeitsschutz. Dennoch besteht ein berechtigtes Interesse daran, „Machtkritik“ äußern zu dürfen, zumal wenn man sich im „Kampf ums Recht“ befindet. Diese Schlagworte sollten in einer Klausur fallen! Freilich darf auch „Machtkritik“ nicht unbegrenzt geäußert werden, Machtkritik bedeutet nicht a priori einen Vorrang der Meinungsäußerungsfreiheit, sondern stellt (nur) einen Gesichtspunkt im Rahmen der gebotenen Abwägung dar. Es ist zu untersuchen, ob Anknüpfungspunkt der Äußerung ein dienstliches Verhalten ist und in welchem Kreis die Äußerungen getätigt wurden (hier nur ggü. dem Dienstvorgesetzen). Ebenso ist im Rahmen der Abwägung zu prüfen, ob es einen nachvollziehbaren Anlass für die Äußerung gab. Dies verneinte das BayObLG im vorliegenden Verfahren. Dem Täter als promoviertem Mediziner hätte, zumal nach dreimaligem gerichtlichem Hinweis, erkennen können, dass es sich bei der Kostenentscheidung um gängige Praxis und nicht etwa eine Einzelfallentscheidung zu seinen Lasten handelte. Schließlich berücksichtigte das Gericht zulasten des Täters, dass es sich nicht um eine spontane Äußerung „im Eifer des Gefechts“ handelte, sondern dass sie schriftlich vorbereitet wurde, sodass ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung hätte erwartet werden müssen.
Die Entscheidung zeigt, dass im Rahmen von Beleidigungsdelikten eine umfassende Auseinandersetzung mit allen Umständen des Einzelfalls erforderlich ist. Insbesondere gegenüber staatlichem Handeln ist ein billigenswertes Interesse des Bürgers an der Übung von „Machtkritik“ in die Interessenabwägung einzustellen. In welchen Fällen es dieser Interessenabwägung nicht bedarf, sollte bekannt sein und in einer Klausur benannt werden (Menschenwürdeverstoß, Schmähkritik, Formalbeleidigung). Je mehr Sachbezug eine Äußerung aufweist, desto eher wird sie von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. Je weiter sie sich demgegenüber von der Sache selbst entfernt und die Person des Amtsträgers in den Fokus nimmt, desto eher wird von einer strafbaren Beleidigung auszugehen sein. Im Rahme der Frage, ob ein Sachbezug besteht, muss thematisiert werden, ob der Täter einen haltbaren Standpunkt vertritt, den er im Rahmen seiner Möglichkeiten überprüft hat.