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Schlagwortarchiv für: NSU

Gastautor

NSU-Prozess: Der Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung

Startseite, StPO, Strafrecht, Verschiedenes

Wie freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Philipp Karl veröffentlichen zu können. Der Autor hat sein Studium und Referendariat erfolgreich in Mannheim absolviert.
Anlässlich der aktuellen Diskussion im NSU-Prozess beschäftigt sich dieser Beitrag mit der notwendigen Verteidigung (I.) und den Voraussetzungen unter denen die Bestellung zum Pflichtverteidiger widerrufen werden kann (II.).
Die vor dem Münchener Oberlandesgericht wegen zahlreicher durch den sog. „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) begangener Verbrechen angeklagte Beate Zschäpe wurde zunächst durch drei ihr beigeordnete Pflichtverteidiger verteidigt. Ihr Antrag auf Entpflichtung dieser Verteidiger wurde abgelehnt, stattdessen wurde ihr ein vierter Pflichtverteidiger beigeordnet (siehe hier). Im Gegenzug stellten die drei ursprünglichen Pflichtverteidiger ihrerseits den Antrag sie von der Pflichtverteidigung zu entbinden (siehe hier).
I. Allgemeines zur notwendigen Verteidigung
In § 137 Abs. 1 S. 1 StPO ist geregelt, dass der Beschuldigte sich in jeder Lage des Verfahrens eines Verteidigers bedienen darf. Dieses Recht ist ein elementarer Bestandteil des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Rechts auf ein faires Verfahren (BVerfG, Beschl. v. 25.09.2001 -2 BvR 1152/01 = NJW 2001, 3695 ff.) und findet sich auch in Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK.
Allerdings besteht nicht nur ein Recht des Angeklagten sich des Beistands eines Verteidigers zu bedienen, sondern es gibt auch Fälle in denen die Mitwirkung eines Verteidigers von Gesetzes wegen obligatorisch ist.
Hierbei handelt es sich um die sog. Fälle der notwendigen Verteidigung, welche in § 140 StPO geregelt sind.
Dadurch soll eine wirksame Verteidigung des Angeklagten gewährleistet werden. Dabei wird der Pflichtverteidiger aber nicht nur im Interesse des Angeklagten tätig, sondern dient auch der Strafrechtspflege, indem er dafür Sorge zu tragen hat, dass das Verfahren sachdienlich und prozessual in geordneten Bahnen durchgeführt wird (BGH; Urt. v. 07.11.1991 – 4 StR 252/91 = BGHSt 38, 111 ff.).
Im Prozess gegen die Angeklagte Zschäpe liegt unter mehreren Gesichtspunkten ein Fall der notwendigen Verteidigung vor (§ 140 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 StPO).
Wird der Vorschrift des § 140 StPO in der Regel mit der Bestellung eines Pflichtverteidigers genüge getan, so kann es wegen des Umfangs oder der Schwierigkeit des Verfahrens die prozessuale Fürsorgepflicht gebieten mehrere Pflichtverteidiger zu bestellen, um eine wirksame Verteidigung zu gewährleisten. Unter diesem Gesichtspunkt wurden der Angeklagten Zschäpe zunächst gleich drei Verteidiger beigeordnet. Die Anzahl von Pflichtverteidigern, die durch das Gericht bestellt werden können, ist gesetzlich nicht beschränkt. Die Regelung des § 137 Abs. 1 S. 2 StPO, welche die Zahl der Wahlverteidiger auf drei beschränkt, ist auf die Pflichtverteidigung nicht anwendbar (Meyer-Goßner, § 141 StPO, Rn.: 2), sodass sie auch nicht der späteren Beiordnung des vierten Pflichtverteidigers der Angeklagten entgegenstand.
Bei der Auswahl des notwendigen Verteidigers ist dem Beschuldigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Wird von ihm ein Verteidiger seiner Wahl bezeichnet, ist dieser grundsätzlich als Pflichtverteidiger zu bestellen, es sei denn ein wichtiger Grund steht dem entgegen (§ 142 Abs. 1 StPO).
Die Bestellung zum Pflichtverteidiger ist für den Verteidiger gemäß § 49 Abs. 1 BRAO grundsätzlich bindend. Dabei kann die Bestellung für den jeweiligen Pflichtverteidiger durchaus belastend sein, weil die Vergütung des Pflichtverteidigers grundsätzlich niedriger ist als die eines Wahlverteidigers. Andererseits hat der Pflichtverteidiger gemäß § 45 Abs. 3 RVG im Gegenzug einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse und erhält somit einen solventen Kostenschuldner.
II. Der Widerruf der Bestellung zum Pflichtverteidiger
Die Zurücknahme der Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen der Auswahl eines Wahlverteidigers durch den Beschuldigten ist in § 143 StPO und die Ausschließung eines Verteidigers wegen des Verdachtes strafbarer Handlungen in § 138a StPO geregelt.
Der Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung aus wichtigem Grund hat hingegen keine gesetzliche Regelung in der StPO erfahren, ist nach ganz herrschender Meinung aber zulässig (Meyer-Goßner, § 143 StPO, Rn.: 3).
Ein solch wichtiger Grund liegt insbesondere dann vor, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Pflichtverteidiger derart gestört ist, dass der Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet ist (OLG Hamm, Beschl. v. 19.01.2006 – 2 Ws 296/05 = NJW 2006, 2502 ff.). Da der Verteidiger das Verfahren in eigener Verantwortung führt und nicht an die Weisungen des Angeklagten gebunden ist, reichen Meinungsverschiedenheiten über die Verteidigungsstrategie nicht ohne weiteres aus, um von einem gestörten Vertrauensverhältnis ausgehen zu können, welches den Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung rechtfertigt (BGH, Urt. v. 08.02.1995 – 3 StR 586/94) = JR 1996, 124 ff.). Hierzu bedarf es nicht zu beseitigende Meinungsverschiedenheiten über das grundlegende Verteidigungskonzept (OLG Hamm, Beschl. v. 19.01.2006 – 2 Ws 296/05 = NJW 2006, 2502 ff.).
Jedenfalls ist eine substantiierte Begründung der nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses erforderlich (BGH, Urt. v. 08.02.1995 – 3 StR 586/94) = JR 1996, 124 ff.).
Bereits hieran scheiterte der Antrag der Pflichtverteidiger der Angeklagten Zschäpe. Aus welchen Gründen genau sie das Vertrauensverhältnis als irreparabel gestört ansehen, haben sie unter Hinweis auf ihre gemäß § 43a Abs. 2 BRAO bestehende anwaltliche Schweigepflicht nämlich nicht näher ausgeführt.
Für die Frage, ob die zwischenzeitlich durch die Angeklagte gegen ihre Pflichtverteidiger eingereichte Strafanzeige (siehe hier) wegen Geheimnisverrates (§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB) dazu geeignet ist, einen den Widerruf rechtfertigenden Vertrauensverlust zu rechtfertigen, wird man die Substanz des gegen die Pflichtverteidiger erhobenen Tatvorwurfes abwarten müssen. Eine Verletzung der anwaltlichen Schweigepflicht würde als grobe Pflichtverletzung und strafbare Handlung gegenüber der Angeklagten eine nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses nachvollziehbar machen. Haltlose Vorwürfe sind hierzu allerdings nicht geeignet, da es der Angeklagten verwehrt bleiben muss einen Verteidigerwechsel zu erzwingen. Andernfalls hätte sie es jederzeit in der Hand den Prozess, unter bloßer Berufung auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis, zu torpedieren (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 19.01.2006 – 2 Ws 296/05 = NJW 2006, 2502 ff.).
Bei einer zu treffenden Entscheidung könnten jedenfalls auch verfahrenssichernde Aspekte Berücksichtigung finden (BVerfG, Beschl. v. 25.09.2001 -2 BvR 1152/01 = NJW 2001, 3695 ff.). Angesichts des umfangreichen Prozessstoffes wäre eine wirksame Verteidigung der Angeklagten ohne Verteidiger, die dem Prozess von Beginn an beiwohnten nämlich kaum noch möglich.
Dabei muss man sich die Lage des Gerichtes vor Augen führen, welches Gefahr laufen würde, dass ein Prozess platzt, der bereits über 200 Verhandlungstag und Millionen Euro an Steuergeldern in Anspruch genommen hat. Ein solches Szenario würde dem berechtigten Interesse der Angehörigen der Opfer des NSU und der Öffentlichkeit an der Aufklärung des Sachverhaltes zuwiderlaufen und das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat erschüttern.

29.07.2015/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-07-29 08:00:512015-07-29 08:00:51NSU-Prozess: Der Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung
Christian Muders

Reicht das für Mittäterschaft? Die Tatbeiträge Beate Zschäpes nach der Anklageschrift

Aktuelles, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT

In den letzten Tagen war ja viel zum NSU-Prozess zu lesen, insbesondere wurde auch die Anklageschrift gegen Beate Zschäpe näher bekannt, welche ihr – mutmaßliches – Tatverhalten beschreibt (dazu etwa hier). Danach soll Frau Zschäpe als Mittäterin der NSU-Morde anzusehen sein, obwohl sie selbst nie direkt an den Tatorten beteiligt war. Die Bundesanwaltschaft stellt vielmehr darauf ab, dass sie die eigentlich ausführenden Mitglieder der NSU, also Mundlos und Böhnhard, in vielfältiger Weise unterstützt habe. Dazu gehörten zum Beispiel Informationen zu den „Tarnpersonalien“ der beiden, also Angaben zum Lebenslauf der eigentlichen Passinhaber, Namen und Wohnort von Eltern, Arbeitgebern sowie Angaben zu Bekannten. Sie habe auch Wohnmobile angemietet, mit denen die Männer zu Tatorten gefahren seien. Sie habe Zeitungsartikel über die Mordtaten gesammelt und archiviert und so dabei geholfen, aus diesen Artikeln sowie aus Videoaufnahmen einen Bekennerfilm des NSU zu erstellen, außerdem das Geld aus den Raubüberfällen verwaltet und ausgeteilt. Fraglich erscheint, ob die genannten Handlungen, die mit dem Obergriff der „unterstützenden Tätigkeit“ umschrieben werden können, ausreichend sind, um eine Täterschaft von Frau Zschäpe an den angeklagten Taten zu begründen, oder vielmehr eine bloße Teilnahmehandlung, namentlich in Form einer Beihilfe, vorliegt. Die Frage ist nicht rein theoretischer Natur: So würde Frau Zschäpe bei der Annahme einer bloßen Beihilfe die obligatorische Strafmilderung nach § 27 Abs. 2 S. 2 StGB zugute kommen, während ihr dies bei der Einordnung ihres Verhaltens als Täterschaft verwehrt wäre.
1. Täterbegriffe im Strafrecht
Zur Wiederholung zunächst die einzelnen Täterbegriffe, wie sie sich im vorigen Jahrhundert in Rechtsprechung und Schrifttum herausgebildet haben:
a) Nach dem älteren, sog. subjektiven Täterbegriff ist derjenige Täter, der mit „animus auctoris“, also Täterwillen handelt, wohingegen bei solchen Personen, die die Tat nicht als eigene wollen („animus socii“), von einer bloßen Teilnahme auszugehen ist. Die subjektive Täterlehre ist dabei eine Konsequenz der conditio-sine-qua-non- oder Äquivalenz-Formel, und zwar zu einem Zeitpunkt, als die Lehre von der objektiven Zurechnung noch nicht etabliert war: Wenn es für die zurechenbare Verursachung einer Tat nur darauf ankommt, dass ein bestimmtes Verhalten nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der zu vermeidende Erfolg entfiele, also alle Beiträge objektiv gleichwertig (eben äquivalent) sind, kann die Entscheidung über die Zuordnung eines Tatbeitrags zu einer der Beteiligungsfiguren nicht auf der objektiven Ebene getroffen werden, sondern ist in den subjektiven Bereich hinein zu verlagern. Die Konsequenz ist, dass auch objektiv randständige Tathandlungen, etwa die Beschaffung eines Tatwerkzeugs oder der Hinweis, wo ein besonders lohnenswerter Raubzug zu machen ist, zur Täterschaft führen können, wenn der Helfende die Tat nur „als eigene will“, z.B. weil er direkt an der Tatbeute beteiligt wird. Der subjektive Täterbegriff ist freilich dann überholt, wenn man mit der neueren Lehre der objektiven Zurechnung annimmt, dass eben nicht jedes objektiv ursächliche Verhalten gleichzeitig auch den objektiven Unwert eines Delikts ausfüllt, sondern hierzu das Vorliegen weiterer, objektiv verstandener Voraussetzungen einfordert. Zudem steht diese Lehre vor dem Problem, dass der Gesetzgeber in neuerer Zeit auch fremdnützige Delikte (etwa Diebstähle in Drittzueignungsabsicht, Erpressungen mit Drittbereicherungsintention) normiert hat, bei denen es an einem Handeln um des eigenen Vorteils willen gerade fehlt.
b) Nach der sog. objektiv-formellen Täterlehre ist Täter derjenige, der die eigentlichen Tatmerkmale unmittelbar ausfüllt, also etwa den konkreten Tötungsakt begeht, das zu stehlende Objekt ergreift etc.; andere Personen können demgegenüber, auch wenn sie an der Tat ein eigenes Interesse haben, keine entsprechende Rolle beanspruchen. Diese Figur ist indes insoweit überholt, als durch die Vorschrift des § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB sowie § 25 Abs. 2 StGB klargestellt wird, dass auch derjenige, welcher ein Delikt mittelbar (mittelbarer Täter) oder arbeitsteilig mit anderen (Mittäter) verwirklicht, als Täter haftet, ohne dass er zwingend alle Merkmale des Tatbestandes in eigener Person verwirklicht haben muss. Demgemäß ist die objektiv-formelle Täterlehre jedenfalls keine Figur, die diese Beteiligungsform nach der derzeitigen Gesetzesfassung restlos erklären könnte.
c) Nach der sog. objektiv-materiellen Täterlehre kommt es nicht auf die unmittelbare Verwirklichung der konkreten Tatmerkmale an, sondern darauf, dass jemand als „Kernfigur“ das Geschehen beherrscht, also „Tatherrschaft“ innehat; Täter ist danach derjenige, der den Abzug des Revolvers drückt, aber auch derjenige, welcher beim Einstieg in eine fremde Wohnung eine Räuberleiter macht, ohne welche der geplante Einbruchsdiebstahl des Kumpanen nicht vonstatten gehen könnte. Man spricht insofern auch von „funktionaler“, da nicht in bestimmte gesetzliche Merkmale gepresster, Tatherrschaft. Dieser Ansatz führt freilich zu mannigfaltigen Abgrenzungsproblemen und Zweifelsfragen, da z.B. im Detail umstritten ist, ob auch der Bandenchef, der sich nicht am Tatort aufhält, sondern etwa zur Verdeckung seiner Beteiligung am Tatabend die Oper besucht, als Mittäter einzuordnen ist. Während teilweise gefordert wird, dass insofern wenigstens ein fernmündlicher Kontakt zu der die eigentliche Tatausführung in Angriff nehmenden Crew besteht, damit eine Tatherrschaft im Hinblick auf das konkret strafwürdige Geschehen bejaht werden könne, lassen es andere Stimmen ausreichen, dass der Bandenchef als Hintermann die Deliktsausführung geplant hat: Ein Mehr an Gestaltungsherrschaft kompensiert danach ein Weniger an Ausführungsherrschaft.
d) Schlussendlich zu erwähnen ist noch der Ansatz der neueren Rechtsprechung, die sich nicht festlegen lässt, sondern mit einem gemischt objektiv-subjektiven Täterbegriff operiert. Dieser wird auf die folgende, stets wiederkehrende Formel gebracht: „Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Täter begeht, ist in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfaßt sind, zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können sein der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen“ (so etwa BGHSt 37, 289, 291; BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 13, 14 und 18). Die Rechtsprechung verwendet also ein Gemisch aus objektiven und subjektiven Kriterien, die dann auch noch mit dem Kunstgriff der „wertenden Gesamtbetrachtung“ bearbeitet werden können. Vorteil dieser Formel ist, dass die Gerichte hiermit so ziemlich jedes Ergebnis, was sie begründen wollen, auch begründen können, indem sie einmal diesen, einmal jenen Aspekt verstärkt in den Vordergrund rücken; die Methode sichert also eine gewisse Flexibilität bei der Rechtsanwendung. Die Kehrseite dieses Verfahrensweise ist freilich, dass keine Rechtssicherheit besteht, da es an verbindlichen Vorgaben, die der Betroffene in jedem Fall erfüllen muss, damit er als Täter einzustufen ist, gerade fehlt. Der Täterbegriff der Rechtsprechung ist also kein trennscharfer, sondern vielmehr ein Typus-Begriff.
2. Anwendung auf den „Fall Zschäpe“
Wendet man die unterschiedlichen Täterbegriffe auf das Verhalten der Angeklagten Zschäpe an, so wie es sich nach der Beschreibung der Anklageschrift darstellt, kann man zu folgenden Ergebnissen gelangen:
a) Der subjektive Täterbegriff der älteren Rechtsprechung würde eine Täterschaft von Frau Zschäpe wohl ohne Weiteres bejahen: Diese war zwar nie an den Tatorten beteiligt und hat nie die Waffe abgedrückt, allerdings hat sie durch ihre Vor- und Nachbereitung der Taten durchaus unterstützende und damit äquivalente Beiträge zu den Morden geleistet. Zudem dürfte sie auch den Willen, die Taten als eigene durchzuführen, gehabt haben, da sie sich, in den Worten der Bundesanwaltschaft, zusammen mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos als einheitliches „Tötungskommando“ sah, so dass sie sich durchaus als wesentlicher Teil der durchgeführten Aktionen verstanden hat.
b) Geht man von dem formal-objektiven Täterbegriff aus, ist demgegenüber eine Einstufung der Angeklagten als Täter klar zu verneinen: Da Frau Zschäpe keines der Merkmale, die etwa der Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB näher umschreibt, in eigener Person erfüllt hat, wäre ihr nach dieser Lehre allein eine Position als Teilnehmer an den Taten der übrigen beiden NSU-Mitglieder zuzubilligen.
c) Die materiell-objektive Theorie kann die Frage nach der Täterschaft von Frau Zschäpe nicht direkt beantworten, da dies maßgeblich vom Vorverständnis des für diese Lehre so zentralen Begriffes der „Tatherrschaft“ abhängig ist: Geht man davon aus, dass sich dieser Begriff immer auf das konkrete, zeitlich-räumliche Geschehen beziehen muss, welches zur Deliktsverwirklichung führt, dürfte eine Tatherrschaft der Angeklagten selbst dann, wenn man hierfür auch nicht gesetzlich umschriebene Verhaltensweisen ausreichen lässt, ausscheiden. Da die Angeklagte weder am Tatort anwesend noch mittels telefonischen Kontakts unmittelbar, etwa durch Ratschläge, auf das konkrete Geschehen einwirken konnte, wäre sie in diesem Fall lediglich als Teilnehmer einzuordnen. Aber auch dann, wenn man den Begriff der Tatherrschaft weiter fasst und ebenfalls Vorbereitungshandlungen mit in die Beurteilung einer täterschaftlichen Deliktsverwirklichung einbezieht, dürfte eine diesbezügliche Erfassung des Verhaltens von Frau Zschäpe schwierig werden: Insofern ist zu berücksichtigen, dass der oben angesprochene „Bandenchef“, dem verschiedene Stimmen unabhängig von seiner Mitwirkung am Tatort die Stellung als Mittäter zubilligen, eine besondere Ausnahme darstellt, da dessen Mittäterschaft mit seiner größeren Gestaltungsherrschaft im Vorfeld begründet wird. Da er der „Boss“ ist, dirigiert er die einzelnen Mitglieder quasi bereits vorab und teilt ihnen mit, wie sie sich bei der Tatausführung im Einzelnen zu verhalten haben. Diese hierarchisch hervorgehobene Position ist bei Frau Zschäpe freilich nicht zu finden. Vielmehr betont die Staatsanwaltschaft, dass keiner der drei NSU-Mitglieder eine Anführerrolle innegehabt habe und alle Entscheidungen gemeinsam getroffen und vorbereitet worden seien. Geht man damit davon aus, dass die Angeklagte Zschäpe ein gleichberechtigtes Mitglied der NSU-Zelle gewesen ist, kann man ihr gegebenenfalls eine „Mittäterschaft“ im Hinblick auf die Gesamtorganisation der Terrorvereinigung zubilligen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass bezüglich der einzelnen Taten, die aus dieser Organisation heraus begangen wurden, die Zuschreibung einer solchen Rolle schwierig bleibt; schließlich wäre es auch schief, würde man behaupten, dass einer ihrer Spießgesellen die Wohnmobile, mit welchen sich das Trio durch Deutschland bewegte, aufgrund seiner Stellung in der Organisation mit angemietet habe, obwohl dies offenbar allein in den Verantwortungsbereich von Frau Zschäpe gefallen ist.
d) Geht man schließlich von der aktuellen Rechtsprechung und ihrem gemischt objektiv-subjektiven Täterbegriff aus, ist, wie bereits angedeutet, jedwede Lösung vertretbar, sofern man sie nur stringent begründet. Danach kann im Hinblick auf die wesentliche Beteiligung der Angeklagten an der Gesamtorganisation und ihrem Willen zur Tat durchaus eine Täterschaft ins Auge gefasst werden.

17.05.2013/0 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2013-05-17 09:00:392013-05-17 09:00:39Reicht das für Mittäterschaft? Die Tatbeiträge Beate Zschäpes nach der Anklageschrift
Dr. Christoph Werkmeister

„NSU-Verfahren“: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung teilweise erfolgreich

Aktuelles, Verfassungsrecht

Das BVerfG hat soeben über den Antrag einer türkischen Zeitung auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entschieden (Beschluss vom 12.4.2013 – 1 BvR 990/13). In der Sache geht es um das Verfahren der Sitzvergabe durch das OLG München im sog. NSU-Prozess (siehe hierzu bereits unsere umfassende Berichterstattung hier sowie hier).
Anstatt die hoch umstrittene und politisch brisante Frage, ob durch die Nichtberücksichtigung türkischer Medien ein Verstoß gegen Grundrechte vorliegt, zu entscheiden, kam es indes zu einer Folgenabwägung. Im Ergebnis stellt dieses Ergebnis zum jetzigen Zeitpunkt einen großen Teilsieg für die türkischen Medien dar, da das BVerfG eine teilweise Vorwegnahme der Hauptsache tenorierte.
Das Gericht führt dazu Folgendes aus:

1. Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweise sich von vornherein als insgesamt unzulässig oder offensichtlich unbegründet.
2. Die zugrundeliegende Verfassungsbeschwerde ist vorliegend weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Insbesondere erscheint es nicht ausgeschlossen, dass das sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ableitende subjektive Recht der Beschwerdeführer auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb, also auf gleichberechtigte Teilhabe an den Berichterstattungsmöglichkeiten zu gerichtlichen Verfahren, verletzt sein könnte. Allerdings ist die Entscheidung über die Zugänglichkeit zu Gerichtsverhandlungen, die Reservierung einer bestimmten Anzahl von Plätzen für Medienberichterstatter und auch die Verteilung knapper Sitzplätze an dieselben grundsätzlich eine Frage, die sich unter dem verfassungsrechtlichen Schutz der Unabhängigkeit der Gerichte zunächst nach einfachem Recht entscheidet und die der Prozessleitung des Vorsitzenden in dem jeweiligen Gerichtsverfahren obliegt. Dabei hat dieser einen weiten Entscheidungsspielraum. Das Bundesverfassungsgericht überprüft dessen Anordnungen nur dahingehend, ob sie Verfassungsrecht verletzen und insbesondere, ob sie auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen. Ob die Beschwerdeführer danach durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren Grundrechten verletzt sind, bedarf einer näheren Prüfung, die schwierige Rechtsfragen aufwirft und daher im Eilrechtsschutzverfahren nicht abschließend geklärt werden kann. Deshalb kann die Eilentscheidung nur auf eine Folgenabwägung gestützt werden.
3. Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde weder als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre.
a) Erginge vorliegend keine einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber Erfolg, so bestünde die Gefahr, dass die Beschwerdeführer, ohne dass ihnen die gleichen Chancen wie anderen Medienvertretern eingeräumt gewesen wären, wie auch andere ausländische Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten von der Möglichkeit einer eigenen, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Berichterstattung im sogenannten NSU-Prozess ausgeschlossen blieben. Dies wiegt vorliegend umso schwerer, als gerade türkische Medienvertreter ein besonderes Interesse an einer vollumfänglich eigenständigen Berichterstattung über diesen Prozess geltend machen können, da zahlreiche Opfer der angeklagten Taten türkischer Herkunft sind.
b) Diese Nachteile überwiegen gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im tenorierten Umfange stattgegeben würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg letztlich versagt wäre. Denn in diesem Falle würden zwar den ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten Sitzplätze in der Verhandlung eingeräumt, auf die sie nach der bisherigen Sitzplatzvergabe keinen Anspruch mehr gehabt hätten. Eine etwaige Ungleichbehandlung sonstiger Medien, denen ein bereits zugeteilter Sitzplatz genommen oder bei Bildung eines Zusatzkontingents kein Sitzplatz zugeteilt wird, wöge jedoch vor dem Hintergrund des besonderen Interesses dieser Medien weniger schwer. Rechte der Medien bestehen ohnedies nur im Rahmen einer gleichheitsgerechten Auswahlentscheidung. Auch ist der Nachteil für die allgemeine Öffentlichkeit, der dadurch entsteht, wenn mit einem Zusatzkontingent einige wenige Plätze der Saalöffentlichkeit bestimmten Medienvertretern zur Verfügung gestellt würden, verhältnismäßig geringer, da die allgemein zu vergebenden Sitzplätze noch nicht konkretisiert sind und entsprechend den hierfür geltenden Maßstäben nach wie vor ein angemessener Teil der im Sitzungssaal verfügbaren Plätze dem allgemeinen Publikum vorbehalten bleibt.
4. Im Eilrechtsschutzverfahren kann das Bundesverfassungsgericht Maßnahmen treffen, die nicht als die Durchsetzung eines endgültig verfassungsrechtlich gebotenen Ergebnisses zu verstehen sind, sondern als vorläufige Anordnung zur Abwendung oder Milderung von drohenden Nachteilen. Dies gilt insbesondere in einer Situation wie der vorliegenden, in der von vornherein kein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht auf Zugang zur Gerichtsverhandlung, sondern nur die mögliche Verletzung einer Chance auf gleichberechtigte Teilhabe in Frage steht, die Nachteile sich aber aus den Folgen einer möglichen Verletzung der Chancengleichheit ergeben. Die Maßnahme kann sich hier auf die Abmilderung dieser Folgen beziehen. Dies kommt vorliegend zwar einer teilweisen Vorwegnahme der Hauptsache gleich; in Ausnahmefällen ist dies jedoch zulässig, wenn die Entscheidung in der Hauptsache zu spät ergehen würde und in anderer Weise ausreichender Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte. Daher wird dem Vorsitzenden des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts aufgegeben, nach einem von ihm im Rahmen seiner Prozessleitungsbefugnis festzulegenden Verfahren eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten zu vergeben. Möglich wäre ein Zusatzkontingent von nicht weniger als drei Plätzen zu eröffnen, in dem nach dem Prioritätsprinzip oder etwa nach dem Losverfahren Plätze vergeben werden. Es bleibt dem Vorsitzenden aber auch unbenommen, anstelle dessen die Sitzplatzvergabe oder die Akkreditierung insgesamt nach anderen Regeln zu gestalten.
5. Der weitergehende Antrag der Beschwerdeführer auf vollständige Aussetzung der Vollziehung der Platzvergabe und der Sicherheitsverfügungen war hingegen abzulehnen, da sie einen Antragsgrund für eine derart weitgehende Verfügung nicht hinreichend dargelegt haben (der vollständige Beschluss des BVerfG kann hier eingesehen werden).

Eine Klärung der hochbrisanten Rechtsfrage bleibt insofern dem Hauptsacheverfahren in Form einer Verfassungsbeschwerde vorbehalten. Bis eine Entscheidung gefällt ist, wird das politische Interesse an der Sache wieder verflogen sein… Für Examenskandidaten, die in den nächsten Wochen oder Monaten die mündliche Prüfung bestreiten, stellt dieses Verfahren jedoch auch nach der vorläufigen Klärung absoluten Pflichtfachstoff dar!

12.04.2013/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2013-04-12 18:29:532013-04-12 18:29:53„NSU-Verfahren“: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung teilweise erfolgreich
Dr. Maximilian Schmidt

Erfolgsaussichten und Prüfungsrelevanz der Verfassungsbeschwerde im NSU-Verfahren

Aktuelles, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

 
Die türkische Zeitung „Sabah“ hat am 5.4.2013 Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben, um eine Verletzung ihrer Grundrechte geltend zu machen (s. nur hier). Das Vorgehen des OLG München im NSU-Prozess hinsichtlich der Vergabe von Presseplätzen ist wegen der fehlenden Berücksichtigung türkischer Medien in der letzten Woche stark in die Kritik geraten. Aufgrund der Thematik und ihrer Aktualität bietet sich das Verfahren als Aufhänger einer Grundrechtsprüfung an und war bereits letzte Woche im Hinblick auf §§ 169, 176 GVG Prüfungsgegenstand einer mündlichen Prüfung am OLG Köln. Insoweit sollte man sich vor einer anstehenden mündlichen Prüfung auf dieses Thema einstellen. Dieser Beitrag soll hierbei helfen, indem er Schwer- und Problempunkte der Prüfung einer Verfassungsbeschwerde aufzeigt, ohne diese schulbuchmäßig durchzuprüfen (was in einer mündlichen Prüfung idR auch nicht der Fall sein wird).
 
A. Zulässigkeit einer VfB nach Art. 93 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90, 92ff. BVerfGG
 
I. Beschwerdefähigkeit, § 90 BVerfGG
Im Verfassungsbeschwerdeverfahren ist „Jedermann“ beschwerdefähig, also jeder Träger von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten. Die Sabah ist eine juristische Person des Privatrechts, so dass die Voraussetzungen von Art. 19 III GG zu prüfen sind. Die Sabah ist eine türkische Zeitschrift, so dass das Merkmal „inländisch“ fraglich sein könnte. Allerdings hat sie eine deutsche Dependence, die nach deutschem Recht eingerichtet ist (GmbH), so dass diese eine inländische juristische Person ist. Insoweit könnte sich die Frage nach der Weite des Begriffs „juristische Person“ anschließen, der, anders als im einfachen Recht, auch Personengesellschaften (GbR, OHG, KG) umfasst und daher weiter ist. Auch könnte hier eine europarechtliche Frage folgen, wenn man die Zeitung bspw. nach Frankreich verlegte ohne Tochtergesellschaft in Deutschland (eingehend unser Beitrag hierzu).
Somit ist die Sabah beschwerdefähig nach § 90 BVerfGG.
 
II. Beschwerdegegenstand, § 90 BVerfGG
Die Ablehnung durch das Gericht ist ein Akt öffentlicher Gewalt, hier der Exekutive (nicht der Judikative! Hier wird Verwaltungstätigkeit wahrgenommen!).
 
III. Beschwerdebefugnis, § 90 BVerfGG
1. Möglichkeit der Grundrechtsverletzung
Als möglicherweise verletzte Grundrechte kommen Art. 5 I 2 Var. 1 GG (Pressefreiheit) in Betracht sowie Art. 3 I, III GG und Art. 12 GG. Diese müssten wesensmäßig auf jur. Personen anwendbar sein, Art. 19 III GG sein.
Hinsichtlich der Pressefreiheit ist auch schon die Informationsbeschaffung geschützt, das heißt hier der Zutritt zum Gericht. An dieser Stelle könnte man schon die Frage aufwerfen, ob Art. 5 I 2 Var. 1 GG überhaupt davor schützt, nicht zu einem bestimmten Ort (hier Gerichtssaal) zu gelangen. Im Rahmen der Beschwerdebefugnis, an dem nur die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung geprüft wird, sollte ein Hinweis darauf genügen, dass die fehlende Zulassung die Pressearbeit zumindest erschwert, weswegen eine Verletzung zumindest in Betracht kommt bzw. nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Auch ein Hinweis auf den status positivus kann hier erfolgen.
Auch kommt eine Verletzung von Art. 12 GG in Betracht.
Bei Art. 3 I, III GG stellt sich die spannende Frage, wer sich eigentlich auf dieses Grundrecht beruft: Stellt man auf die juristische Person selbst ab, die ja, wie dargestellt, inländisch ist, kann schon keine Ungleichbehandlung zu anderen inländischen juristischen Personen wegen der Herkunft vorliegen. Wählt man den Ansatz des Schutzes der natürlichen Personen hinter der juristischen Person, kommt vorliegend ein Verstoß gegen Art. 3 I, III GG insofern in Betracht, als dass die vorwiegend bzw. ausschließlich türkischstämmigen Mitglieder benachteiligt werden könnten. Hier ist der häufig im Ergebnis irrelevante Streit, was Art. 19 III GG schützt (Stichwort: grundrechtstypische Gefährdungslage vs. Schutz der dahinter stehenden natürlichen Personen), somit ausnahmsweise relevant.
 
2. Selbst, gegenwärtig und unmittelbar
 
IV. Rechtswegerschöpfung, § 90 II BVerfGG
Vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde ist der Rechtsweg zu erschöpfen, § 90 II BVerfGG. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es  gegen Sitzungsverfügungen eines Gerichts nach h.M. keinen Rechtsweg gibt.
Würde man einen solchen dennoch annehmen, stellte sich die Frage, ob ausnahmsweise auch ohne Erschöpfung eines vorhandenen Rechtsweges die Verfassungsbeschwerde zulässig ist. Hier müsste auf § 90 II 2 BVerfGG rekurriert werden, der zwei Varianten hat.
Die allgemeine Bedeutung könnte man argumentativ damit herleiten, dass Sitzungsverfügungen wegen Platzmangels häufiger auftreten und hierzu keine Rechtsprechung vorhanden ist. Hinzu tritt die starke öffentliche Aufmerksamkeit für den NSU-Prozess, der sich in der umfangreichen Berichterstattung widerspiegelt.
Auch schwere, unabwendbare Nachteile könnten im Hinblick auf den bevorstehenden Beginn des Prozesses angenommen werden (vgl. auch § 32 BVerfGG), da dann die Pressefreiheit schon beschränkt wäre.
 
V. Subsidiarität
Hier kann auf den Rechtsgedanken von § 90 II 2 BVerfGG abgestellt werden.
 
B. Begründetheit
 
I. Art. 5 I 2 Var. 1 GG

Zunächst könnte man fragen, ob es sich hier tatsächlich um ein grundrechtliches Abwehrrecht geht oder nicht vielmehr um den status positivus; an dieser Stelle könnte dann die Frage nach der Statuslehre nach Jellinek folgen (weitergehend auch dessen 3-Elementenlehre).
Hier möchte die Sabah zugelassen werden, so dass eine Orientierung am Leistungskern des Grundrechtes nahe liegt. Hier kann eine Entscheidung offenbleiben:
–  Knüpft man an den status positivus an, muss der Staat dem Presseorgan die Teilhabe an der Berichterstattung ermöglichen, wobei ihm ein weiter Ermessensspielraum zusteht. Hier müsste dann eine Überprüfung des Auswahlverfahrens anhand einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der staatlichen Einschätzungsprärogative erfolgen (dazu sogleich).
– Knüpft man an den status negativus an, darf der Staat dem Presseorgan den Zutritt zum Gericht nur aus sachlichen, verfassungskonformen Gründen verwehren. Dies könnte hier die Sitzplatzerschöpfung sein, welche aber nur dann als Rechtfertigung dienen kann, wenn sie unter Berücksichtigung aller grundrechtlich zu schützenden Belange erreicht worden ist. Hier hat dann die gleiche Überprüfung der Ermessensentscheidung des Gerichts und dessen Vergabepraxis zu erfolgen.
 
Die Vergabepraxis erfolgte ausschließlich nach dem Prioritätsprinzip, auch Windhundprinzip genannt. Fraglich ist, ob dieses den verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein faires Vergabeverfahren genügt.
An dieser Stelle kann zunächst allgemein die Verfassungsmäßigkeit des reinen Prioritätsprinzips geprüft werden. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass bei ausreichender Hinweisfrist durch das Gericht eine Vergabe nach dem Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ verfassungskonform ist. Weder werden bestimmte Personenkreise von vornherein ausgeschlossen, noch stellt die Unterscheidung nach zeitlichem Eingang ein besonderes Hindernis dar; es ergibt sich schlichtweg aus der beschränkten Kapazität. Nun könnte man andere Verfahren wie ein Losverfahren andenken; allerdings verwirklicht dieses die Pressefreiheit nicht besser. Im Gegenteil könnten Medien zugelassen werden, die sich erst sehr spät um eine Akkreditierung bemüht haben.
Im NSU-Verfahren war jedoch mit einem erhöhten Interesse ausländischer Medien zu rechnen, sodass sich als weiteres Auswahlkriterium eine Zwei-Pool-Lösung angeboten hätte: Bspw. 20% der Sitze hätten sicher an ausländische oder gar türkische Medien vergeben werden können (hierzu schon eingehend unser Beitrag der letzten Woche). Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass das Prioritätsprinzip daher grundsätzlich auch als alleiniges Auswahlkriterium wohl verfassungskonform ist.
 
Nun muss es aber auch im Einzelfall korrekt angewendet worden sein. Hierzu muss eine umfassende Würdigung des Sachverhaltes erfolgen. Soweit er hier vorliegt (s. die sehr ausführliche und aufschlussreiche Sachverhaltsdarstellung im Tagesspiegel), lässt sich Folgendes sagen:
Die Sabah ist eine inländische juristische Person und muss sich daher grundsätzlich am gleichen Maßstab messen lassen wie andere inländische Presseorgane. Zunächst konnte man davon ausgehen, dass die Sabah schlichtweg den Akkreditierungsstart versäumt hatte. Dieser Obliegenheitsverstoß schien daher eine verfassungswidrige Anwendung im Einzelfall auszuschließen. Das Prioritätsprinzip soll doch gerade verhindern, dass nach und nach Anmeldungen erfolgen, die dann eine Zuweisung erschweren. Auch ist es zunächst am Grundrechtsträger selbst seinen Obliegenheiten nachzukommen, um von seinen Grundrechten Gebrauch machen zu können. Zudem könnte auf die Gefahr einer Revision wegen einer erneuten Sitzplatzvergabe wegen Befangenheit der Richter hingewiesen werden.
Hiergegen könnte man zunächst anführen, dass alleine die Einfachheit der Vergabe kein Argument sein kann; der Staat muss auch Schwierigkeiten auf sich nehmen, um den grundrechtlichen Teilhaberechten zu genügen. Zudem können nicht mit Hinweis auf einen späteren Revisionsgrund Fakten geschaffen werden. Hinzu kommt, dass aufgrund des für die türkischen Medien brisanten Themas der Verhandlung auf jeden Fall für diese Medien Sitzplätze vorhanden sein müssten. Die Pressefreiheit muss sich immer auch an tatsächlichen Gegebenheiten messen lassen. Werden durch die konkrete Anwendung eines Auswahlprinzips de facto bestimmte Medien ausgeschlossen, ist dieses im Einzelfall nicht mehr verfassungskonform.
Nun häufen sich nämlich die Hinweise, dass das tatsächliche Vergabeverfahren fehlerhaft war (s. hierzu den tagesspiegel; von einem anderen Sachverhalt ging insofern noch unser vorheriger Beitrag aus). Anscheinend wurde durch fehlende oder fehlerhafte Information die Sabah verhindert, dass diese rechtzeitig einen Akkreditierungsantrag stellt, während deutsche Medien umfassender und frühzeitiger informiert waren. Insoweit läge ein Verstoß gegen die Hinweispflicht bzgl. des Anmeldestarts vor (technische Fehler; falsche Auskünfte usw.)
Sollte dies tatsächlich der Fall gewesen sein, genügt das Vergabeverfahren im Einzelfall nicht mehr dem Gebot der Sachlichkeit und ist verfassungswidrig.
Damit ist die Sabah unter Zugrundelegung dieses Sachverhaltes in ihrem Grundrecht aus Art. 5 I 2 Var. 1 GG verletzt.
 
II. Art. 3 I, III GG
Zunächst muss hier der Streit aus der Beschwerdebefugnis aufgegriffen werden (s.o.). Sieht man hier Art. 3 I, III GG hinsichtlich des Merkmals Herkunft wegen der hinter der Sabah stehenden natürlichen Personen als anwendbar an, stellt sich die Frage, ob hier wesentlich Gleiches ungleich bzw. wesentlich Ungleiches gleich behandelt worden ist. Hier wurden zwar alle Presseorgane hinsichtlich der Akkreditierung nach dem Prioritätsprinzip gleich behandelt; im Vorfeld wurde aber unterschiedlich und zum Teil widersprüchlich informiert. Somit liegt eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vor. Knüpft diese an die Herkunft an (was hier freilich noch nicht geklärt erscheint), ist diese Anknüpfung an ein verpöntes Merkmale des Art. 3 III unabhängig von einer Verhältnismäßigkeits- oder Willkürkontrolle grundsätzlich unzulässig. Ausnahmsweise kann jedoch wegen der Ähnlichkeit zu personenbezogenen Merkmalen eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen, sog. Neue Formel. Hier genügt die unterschiedliche Behandlung jedoch schon nicht dem Gebot der Sachlichkeit (Willkürverbot s.o.), sodass das Vorgehen des Gerichts verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigen ist.
Somit liegt auch ein Verstoß gegen Art. 3 III GG vor.
 
III. Art. 12 GG
Dieser wird von der spezielleren Pressefreiheit vorliegend verdrängt, Art. 5 I 2 Var. 1 GG.
 
C. § 32 Einstweilige Anordnung
Die Sabah hat zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG gestellt. Bei dieser sind ihm Rahmen einer doppelten Nachteilsabwägung die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, abzuwägen mit denen, dass die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg hätte, die einstweilige Anordnung aber erginge.
Aufgrund der Komplexität verfassungsrechtlicher Fragen erfolgt hier anders als bei der nur in tatsächlicher Hinsicht summarischen Prüfung im Verwaltungsgerichtsverfahren idR keine tiefgehende inhaltliche rechtliche Prüfung.
 
D. Fazit
Der Fall der Sabah bietet somit jede Menge Anknüpfungspunkte für eine mündliche Prüfung und sollte daher vorher schon einmal durchdacht sein, um dann einfacher auf richtige Ergebnisse und vor allem eine gute Argumentation zu kommen.
Die Verfassungsbeschwerde ist keineswegs so aussichtslos, wie dies im Vorfeld schien. Sollte sich als wahr erweisen, dass die Sabah verspätet über den Akkreditierungsbeginn informiert wurde und aus diesem Grund eine Anmeldung erschwert war, so verstoßen diese Modalitäten gegen die Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, 3 GG und 5 Abs. 1 GG.
 

09.04.2013/2 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2013-04-09 13:00:452013-04-09 13:00:45Erfolgsaussichten und Prüfungsrelevanz der Verfassungsbeschwerde im NSU-Verfahren
Tom Stiebert

Diskussion um den NSU-Prozess – Jura vs. Politik

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Der Aufruhr ist groß: Politiker jeglicher couleur – vom türkischen Premier Recep Erdogan bis zum CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder – kritisieren die Sitzplatzvergabe beim in Kürze beginnenden NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte in München. Auch die Medien wie bspw. die türkische Hürriyet oder auch die BILD äußern harsche Kritik an den Vergabemodalitäten. Aber auch juristisch versierte Kreise äußern starke Zweifel an der Sitzplatzvergabe durch das sog. Windhundprinzip und fordern zumindest eine Übertragung in Nebenräumen.

Dennoch erscheint die Kritik oftmals eher politisch denn juristisch motiviert zu sein. Der Beitrag möchte aus diesem Grund eine Übersicht über die juristischen Fragen der Sitzplatzvergabe für Zuschauer und Medien in Gerichtsverhandlungen geben.

I. Sachverhalt

Was ist eigentlich genau passiert? In München beginnt am 17. April der NSU-Prozess – teilweise reißerisch als „Jahrhundertprozess“ bezeichnet (so SPD- Innenexperte Dieter Wiefelspütz in der „Berliner Zeitung“; das OLG-München widerspricht dagegen einem solchen Superlativ). Stattfinden wird der Prozess im Schwurgerichtssaal A 101 des OLG, dem bestgesicherten Saal dieses Gerichts. Vergeben werden dabei 50 Journalistenplätze sowie weitere 50 Plätze für Zuschauer. Daneben sind 71 Nebenkläger sowie 49 Anwälte beteiligt. Die Vergabe der Zuschauerplätze erfolgt jeden Verhandlungstag aufs Neue nach dem Windhundprinzip (Prioritätsprinzip) – die ersten Anwesenden werden also eingelassen. Auch Journalisten können hierbei Einlass begehren. Hingegen wurden die Journalistenplätze bereits im Vorfeld vergeben. Auch hier wurde der Zeitpunkt der Anmeldung per Mail oder Fax berücksichtigt. Bereits drei Stunden nach Beginn der Meldefrist waren dabei die 50 festen Plätze vergeben, so dass eine Nachrückerliste eröffnet wurde, auf der sich nun insgesamt 73 Medienvertreter befinden. Dabei fällt auf, dass sich unter den 50 registrierten Medienanstalten keine türkischen Medien befinden.

II. Rechtliche Bewertung

Ausgangspunkt der juristischen Betrachtung muss der § 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sein, der eine öffentliche Verhandlung vorschreibt (§ 169 S. 1 GVG), Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung aber untersagt (§ 169 S. 2 GVG). Jede Person muss also die reelle Möglichkeit haben, als Zuhörer am Prozess teilzunehmen (BGH NStZ 1982, 476; BGH NStZ 1989, 1741; BVerfG NJW 2002, 814).

1. Sitzungssaal zu klein

Der Bundesgerichtshof stellt aber gleichwohl klar, dass die vorhandenen Kapazitäten eine natürliche Grenze des Zugangsrecht darstellen (BGH NJW 1977, 157). (Hier zeigt sich eine Parallele zum Zugangsrecht bei öffentlichen Einrichtungen im Kommunalrecht.) Das Gericht ist auch nicht gezwungen zusätzliche Kapazitäten zu schaffen (BeckOK StPO/Allgayer, § 169 GVG, Rn. 7). Insbesondere Sicherheitsmaßnahmen können zu einer Absenkung der Zuschauerplätze führen. Unzulässig ist es lediglich einen so kleinen Verhandlungssaal zu wählen, in welchem eine Teilnahme Dritter ausgeschlossen ist (bspw. das Richterzimmer; BeckOK StPO/Allgayer, § 169 GVG, Rn. 7).

Gegen diese Vorgaben verstößt das OLG München offensichtlich nicht. Hier wurde ein verhältnismäßig großer Verhandlungssaal gewählt, der insbesondere auch die erforderlichen Sicherheitsanforderungen erfüllt.

2. Vergabe der Plätze willkürlich

Hauptkritikpunkt ist freilich die Vergabe der Plätze selbst. Hier ist zwischen den Plätzen für die eigentliche Öffentlichkeit (unmittelbare Öffentlichkeit) und Journalistenplätzen (die zu einer mittelbaren Öffentlichkeit führen) zu differenzieren. Bei den Zuschauerplätzen ist eine Vorreservierung generell unzulässig (BGHSt 26, 99). Die Vergabe muss hier also zwingend an Anwesende erfolgen; einziges objektives Kriterium kann dabei der Zeitpunkt der Ankunft am Sitzzungssal sein. Zur Wahrung der Übersichtlichkeit ist es aber zulässig, Einlasskarten zu verteilen (BeckOK StPO/Allgayer, § 169 GVG, Rn. 7). Eine Vorabvergabe der Zuschauerplätze, aber auch die Berücksichtigung einer Quote für türkische Staatsangehörige würde damit gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit verstoßen. Ebenso wäre es auch unzulässig, türkische Politiker oder Botschafter bevorzugt zu berücksichtigen.

Davon zu unterscheiden ist die Sitzplatzvergabe für Medien. Hier ist eine Reservierung eines bestimmten Pressekontingents zulässig (BGH NJW 2006, 1220; BVerfG NJW 2003, 500). Dies verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit, sofern eine ausreichende Anzahl von Plätzen auch für Nichtpressevertreter freigehalten wird. Ein besonderes Recht auf Bereitstellung von Presseplätzen besteht hingegen nicht (MüKo ZPO/Zimmermann, § 169 GVG, Rn. 51; vgl. auch BVerfGE 50, , ; NJW 2001, ). Daraus ergibt sich auch, dass die Medien denselben Beschränkungen unterworfen sind wie einfache Zuhörer. Dies hat zur Folge, dass die Auswahlkriterien übereinstimmend gewählt werden müssen. Stets ist auch hier das Prioritätsprinzip zu wahren. Lediglich dann, wenn dessen Beachtung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, ist eine zufällige Vergabe (Losverfahren) möglich (BGH NJW 2006, 1220).

Fraglich ist allerdings, ob eine besondere Quote für ausländische Medien nicht geboten oder sogar zwingend wäre. Zwingend kann diese keinesfalls sein; das Gesetz unterscheidet nicht zwischen besonderen Arten der Öffentlichkeit; vielmehr gibt es vor, dass jeder potentielle Prozesszuschauer gleichberechtigte Chancen zum Zugang haben muss. Allerdings wäre eine Quotierung dann geboten, wenn hierdurch Ungleichheiten ausgeglichen würden. Die Anmeldung für Medien sollte hier per Mail oder Fax erfolgen. Im Gegensatz zum Postversand zeigen sich dabei keine Unterscheide zwischen in- und ausländischen Absendern. Eine Antwort binnen kurzer Zeit wäre folglich auch den türkischen Medienvertretern möglich gewesen. Es sind auch keine weiteren Anhaltspunkte ersichtlich, die gegen eine solche Reaktionsmöglichkeit sprechen; insbesondere wird nicht behauptet, dass die Medieninformation allein in deutscher Sprache oder sehr kurzfristig erfolgt sei, sodass nichtdeutschen Medien eine Antwort faktisch unmöglich war. Aus diesem Grund scheidet eine besondere Behandlung ausländischer Medien als unzulässig aus. Gerade dies würde dem Grundsatz der Öffentlichkeit aus § 169 GVG widersprechen.

Das Gericht hat hier sachliche Kriterien angewandt, um eine gleichberechtigte Auswahl zwischen allen potentiellen Prozesszuschauern zu treffen. Eine Benachteiligung ausländischer Medien (wie bspw. bei einer Anmeldung per Post oder ausschließlich in deutscher Sprache) ist hier nicht ersichtlich. Insofern scheidet ein Verstoß gegen § 169 GVG aus.

3. Vergabe von Nachrückplätzen

Kritisiert wurde zudem, dass auch Nachrückplätze (beim Fehlen von registrierten Medien) nach dem Prioritätsprinzip vergeben werden und hierbei nicht der Wunsch des Nichterscheinenden beachtet wird. Auch dies ist aber nach dem GVG zwingend. Öffentlichkeit ist ohne Ansehung der Person herzustellen und jeder Beteiligte ist gleich zu behandeln. Wird aber die Vergabe ins Ermessen Dritter gestellt, so führt das dazu, dass gerade keine rein objektiven Kriterien mehr angewandt werden. Das Gericht hat damit keine andere Möglichkeit, als das Prioritätsprinzip strikt durchzuhalten und auch auf Nachrückplätze anzuwenden.

4. Übertragung in zusätzlichen Saal

Auf Grund der erwarteten zu geringen Kapazitäten des Sitzungssaals wird zudem gefordert, eine Übertragung für Zuschauer und Medienvertreter in einen weiteren Sitzungssaal zu ermöglichen. Klar ist nach dem oben Gesagten, dass eine solche Übertragung von § 169 S. 1 GVG keinesfalls gefordert wird (auch nicht im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 GG BVerfG – NJW 1993, ). Vielmehr genügt es, wenn ein durch faktische Grenzen beschränkter Personenkreis die Möglichkeit zur Teilnahme hat.

Fraglich ist aber, ob ein solches Vorgehen zumindest rechtlich möglich wäre. Ein klares Meinungsbild zu dieser Frage existiert nicht. Fest steht nur, dass eine Prüfung anhand des § 169 S. 2 GVG geboten ist. Diese Vorschrift verstößt auch nicht gegen Art. 5 Abs. 1 GG (BVerfG Urteil vom 24.01.2001 – 1 BvR 2623/95, 622/99, NJW 2001, 1633). Eine Übertragung scheidet jedenfalls dann aus, wenn die Wahrheitsfindung durch eine solche Übertragung leiden würde (MüKo ZPO/Zimmermann, § 169 GVG, Rn. 33). Roxin hingegen hält eine solche Übertragung für zulässig und vergleicht sie mit der Öffnung einer Zwischentür im Sitzungssaal (Roxin, Strafverfahrensrecht § 45 A). Bedenken bezüglich einer solchen Erweiterung ergeben sich insbesondere daraus, dass das Gericht damit die Einhaltung des Veröffentlichungsverbots aus § 169 S. 2 GVG nur noch schwer überwachen kann (MüKo ZPO/Zimmermann, § 169 GVG, Rn. 33; so auch BGH DRiZ 1971, 207). Jedenfalls sind deshalb Maßnahmen vorzunehmen, um auch in dem zusätzlichen Sitzungssaal die Ordnung zu wahren, da hier das Gericht keinen unmittelbaren Einfluss mehr hat. Die Übertragung darf keinesfalls zu einer Art Kinovorführung verkommen, führte dies sonst dazu, dass der Prozess den Charakter eines Schauprozesses erhalten würde. Jedenfalls muss also gewährleistet sein, dass die Übertragung den gleichen Charakter wie der eigentliche Prozess hat – nur dann ist das Bild der sich öffnenden Schiebetür zutreffend. Dies erscheint problematisch, sodass eine solche Übertragung zumindest starken rechtlichen Bedenken unterliegt.

III. Rechtsfolgen

Sollte der Grundsatz der Öffentlichkeit verletzt sein – was nach der hier vertretenen Ansicht gerade nur durch eine gesonderte Berücksichtigung nichtdeutscher Medien und möglicherweise durch eine Übertragung in andere Gerichtssäle eintreten würde – liegt ein absoluter Revisionsgrund nach § 547 Nr. 5 ZPO (Anm. bzw. hier § 338 Nr. 6 StPO) vor. Das Gericht ist also gut beraten, hier trotz der politischen Brisanz allein eine juristische und nüchterne Betrachtung vorzunehmen und nicht dem Druck diverser Medien nachzugeben.

IV. Fazit

Für eine mündliche Prüfung ist die gezeigte Diskussion absoluter Pflichtstoff. Aber auch darüber hinaus gehört es wohl zur juristischen Allgemeinbildung, diese Diskussion zu verfolgen. Gerade eine rein juristische Vorgehensweise könnte hier sehr nützlich sein, um etwas Feuer aus der Diskussion zu nehmen. Dies würde im Ergebnis auch dem Prozess selbst dienen, der in einer aufgeheizten Atmosphäre nur sehr schwer geführt werden und nicht zur erwünschten Aufklärung führen kann.

Statt populistische Forderungen zu stellen, wäre die Politik gut beraten, nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen, sondern sowohl national als auch international zu erklären, warum die Sitzplatzvergabe durch das OLG München juristisch absolut korrekt und zwingend war. Einige Politiker gehen hier bereits mit gutem Beispiel voran. Letztlich liegt der Sitzplatzvergabe durch das OLG München der Gedanke zugrunde, dass alle Personen und Medien gleich sind und damit gleich zu behandeln sind – unabhängig aus welchem Land sie stammen. Dem wird wohl niemand ernsthaft widersprechen können.

04.04.2013/53 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2013-04-04 15:00:452013-04-04 15:00:45Diskussion um den NSU-Prozess – Jura vs. Politik
Christian Muders

Aus aktuellem Anlass: Strafbarkeit des „Schredderns“ amtlicher Akten

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In den letzten Tagen wurde in den Medien davon berichtet, dass ein Referatsleiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) im November 2011, just als die NSU-Terror-Zelle aufflog und die Bundesanwaltschaft nach Übernahme der Ermittlungen alle relevanten Akten angefordert hatte, sieben Dokumente vernichtete, die von seinem Referat erstellt worden waren (vgl. etwa hier und hier). Der Sachverhalt ereignete sich dabei anscheinend dergestalt, dass der Referatsleiter von der Amtsleitung des BfV anlässlich der Anfrage der Staatsanwaltschaft den Auftrag erhielt, seinen Aktenbestand auf die Namen der NSU-Terroristen bzw. Querverbindungen zur rechten Szene durchzusehen. Dabei fiel ihm nach eigener Aussage auf, dass mehrere Akten die Aufbewahrungsgrenze von zehn Jahren überschritten hatten, so dass er deren Vernichtung anordnete.
Der Vorfall bietet Anlass genug, sich aus strafrechtlicher Perspektive und im Hinblick auf eine möglicherweise nahende mündliche Prüfung mit der Frage zu beschäftigen, nach welchen Delikten sich der Referatsleiter ggf. strafbar gemacht haben könnte. Dabei soll im Folgenden freilich keine „Musterlösung“ präsentiert, sondern nur Denkanstöße für die Prüfung evtl. einschlägiger Strafvorschriften gegeben werden – ergänzende Vorschläge und Anmerkungen immer möglich. Die Darstellung orientiert sich dabei an der Reihenfolge der Tatbestände im Gesetz.
1. Strafbarkeit wegen Verwahrungsbruchs, § 133 Abs. 1 StGB:
Nach diesem Tatbestand macht sich u.a. strafbar, wer Schriftstücke oder andere bewegliche Sachen, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden, zerstört, beschädigt, unbrauchbar macht oder der dienstlichen Verfügung entzieht.
a) Insofern bedarf es zunächst einmal eines tauglichen Tatobjekts: Eine Sache befindet sich in amtlicher Verwahrung, wenn sie durch eine Behörde, einen Amtsträger oder einen für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten in Gewahrsam genommen worden ist, um sie für bestimmte, über das bloße Funktionsinteresse der Behörde hinausgehende Zwecke um ihrer selbst willen möglichst unversehrt zu erhalten und vor unbefugtem Zugriff zu bewahren. Zu den tatbestandsmäßigen Schriftstücken zählen dabei auch dienstliche Akten (vgl. MK-Hohmann, 2. Aufl. 2012, § 133 Rn. 6).
b) Fraglich ist aber, ob sich die hier interessierenden sieben Akten zum Zeitpunkt der Tathandlung, nämlich ihrer Vernichtung, noch in dienstlicher Verwahrung befanden. Die dienstliche Verwahrung dauert so lange an, bis sie durch Erfüllung des Zwecks der Verwahrung aufgehoben wird (vgl. LK-Krauß, 12. Aufl. 2011, § 133 Rn. 15). Nach den Presseberichten wies der Referatsleiter die Löschung der Akten an, die dann einen Tag später von einem anderer Mitarbeiter auftragsgemäß durchgeführt wurde. Durchaus denkbar ist nun, dass dann, wenn (wie offenbar hier) der Referatsleiter zu einer solchen Anweisung grds. befugt ist, das dienstliche Verwahrungsverhältnis mit der Anordnung zur Vernichtung aufgehoben wird. Entsprechendes nimmt der BGH jedenfalls in einem Fall an, in dem es um die Entziehung (= 4. Tatmodalität des § 133 Abs. 1 StGB) eines Führerscheins aus der dienstlichen Verwahrung ging (BGHSt 33, 190 [193 ff.]):

Ein im Sinne des § 133 StGB beachtlicher (…) Verwahrungszweck endet jedenfalls in dem Augenblick, in dem der zur amtlichen Verfügung darüber Berechtigte den Führerschein der allgemeinen dienstlichen Verwendung zuführt. Mit einer solchen Verfügung durch den Berechtigten wird der Führerschein nicht der dienstlichen Verwendung entzogen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Berechtigte eine in jeder Hinsicht gesetzmäßige Verfügung trifft und ob er ein ihm vom Gesetz eingeräumtes Ermessen sachgemäß ausübt (…).

Bei der anschließende Tathandlung, nämlich der Zerstörung der Akten auf Weisung des Referatsleiters, wären die Akten dann nicht mehr taugliches Tatobjekt i.S.d. § 133 StGB gewesen und unterfielen mithin nicht mehr dem Tatbestand.
2. Strafbarkeit wegen Urkundenunterdrückung, § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB:
Der Tatbestand erfordert, dass der Täter eine echte Urkunde, die ihm nicht oder nicht ausschließlich gehört, in der Absicht, jemandem einen Nachteil zuzufügen, beschädigt, vernichtet oder unterdrückt.
a) Zu prüfen ist zunächst, ob der Akteninhalt als taugliches Tatobjekt, nämlich als eine fremde Urkunde anzusehen ist. Urkunden sind verkörperte Gedankenerklärungen, die den Aussteller erkennen lassen und zum Beweis einer rechtserheblichen Tatsache geeignet und bestimmt sind (vgl. nur Joecks, Studienkommentar StGB, 8. Aufl. 2009, § 267 Rn. 13).
aa) Nach den Presseinformationen handelte es sich bei den sieben gelöschten Akten um Dossiers, sog. Beschaffungsakten, in welchen alle Details der Anwerbung einer Quelle bis hin zu Decknamen und Einschätzungen der Person vermerkt werden. Mithin sind diese Akten (verkörperte) Gedankenerklärungen, die auch ihren Aussteller (wohl das BfV) erkennen lassen.
bb) Fraglich erscheint indes, ob sie auch zum Beweis geeignet und bestimmt waren. Eine generelle Beweiseignung, nämlich um evtl. Verbindungen und Ermittlungen des Verfassungsschutzes bzgl. der NSU bzw. ihrer Vorgängerorganisation, dem Thüringer Heimatschutz, zu dokumentieren, ist grds. zu bejahen. Hinsichtlich der Beweisbestimmung kann man zwischen Absichts– und Zufallsurkunden unterscheiden (dazu Kindhäuser, LPK, 4. Aufl. 2010, § 267 Rn. 10): Erstere sind bereits bei ihrer Erstellung zum Beweis bestimmt (z.B. Kaufvertragsurkunde), letztere werden erst nachträglich von einem Dritten hierzu gewidmet (z.B. beleidigende Briefe, die das Opfer zur Vorbereitung eines Prozesses sammelt). Vorliegend dürfte die ursprüngliche Bestimmung der Akten, Beweis zu erbringen, eher zweifelhaft sein; offenbar sollte ihnen als „Dossier“ ein reiner Informationsgehalt bzgl. der angeworbenen Personen als „Quellen“ zukommen. Im Hinblick auf eine nachträgliche Beweisbestimmung könnte man sich allerdings fragen, ob nicht jedenfalls zum Zeitpunkt, als die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen und relevante Akten angefordert hatte, eine solche anzunehmen ist. Allerdings war der Referatsleiter laut Presseberichten nach eigener Aussage in den von ihm vernichteten Akten gerade nicht fündig geworden: So meldete er der Amtsleitung einen Tag, nachdem er den Auftrag bekommen hatte, seine Akten auf die Namen der NSU-Terroristen und mögliche Querverbindungen in die rechte Szene hin durchzusehen, in den Akten befänden sich weder die Namen der drei Terroristen noch andere Hinweise. Ob wiederum die spätere Bedeutung der Akten bei der politischen Aufarbeitung, namentlich um die Arbeit der Geheimdienste zu untersuchen, zum Zeitpunkt der Vernichtung bereits ausreichend im Fokus stand, erscheint fraglich. Mithin ist auch die Einordnung der Dossier-Akten als Zufallsurkunden zumindest zweifelhaft.
cc) Bejaht man nichtsdestotrotz die Beweisbestimmung, haben die Urkunden dem Referatsleiter nicht „gehört“ i.S.d. Tatbestandes und waren somit „fremd“ für ihn, wobei es hierfür allein darauf ankommt, ob jemand anderem ein Beweisführungsrecht an der Urkunde zusteht.
b) Eine taugliche Tathandlung i.S.e. Vernichtung liegt beim Zerstören der Akten auf Anweisung des Referatsleiters vor.
c) Fraglich ist schließlich, ob der Referatsleiter mit Nachteilszufügungsabsicht gehandelt hat. Unterstellt man, wie von dem BfV verlautbart, ein bloß „gedankenloses“ Handeln bzw. eine „eklatante Instinktlosigkeit“ desselben, ist dies zu verneinen. Denn die Nachteilszufügungsabsicht fordert (nach h.M.) jedenfalls einen dolus directus 2. Grades, also sicheres Wissen hinsichtlich der notwendigen Folge eines fremden Nachteils (hierzu Joecks, Studienkommentar StGB. 8. Aufl. 2009, § 274 Rn. 23).
3. Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung, § 303 Abs. 1 StGB:
Wegen Sachbeschädigug nach § 303 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer eine fremde bewegliche Sache beschädigt oder zerstört.
a) Die Sache, nämlich die sieben Dossiers, sind durchaus als fremd, da nicht im (Allein-) Eigentum des Referatsleiters stehend, einzuordnen. Eine Zerstörung ist mit ihrer Vernichtung, ebenso wie bei §§ 133 Abs. 1, 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB, zu bejahen.
b) Allerdings erscheint fraglich, ob dem Referatsleiter nicht ein Rechtfertigungsgrund zur Seite stand. Zu denken wäre insofern an eine dienstliche Berechtigung, solange er im Rahmen seiner Befugnisse handelte. Hier ergibt sich damit eine entsprechende Argumentation wie im Rahmen der Frage einer fortbestehenden „dienstlichen“ Verwahrung der Akten bei § 133 Abs. 1 StGB: Solange der Referatsleiter als „Herr“ der unter ihm gesammelten Akten und unter Hinweis auf die abgelaufene Aufbewahrungszeit die Vernichtung derselben anordnete, wird man ein Handeln im Rahmen seiner Befugnisse unterstellen können, dem rechtfertigende Wirkung zukommt. Darauf, ob die Vernichtung in jeder Hinsicht gesetzmäßig war bzw. ob der Referatsleiter ein ihm vom Gesetz eingeräumtes Ermessen sachgemäß ausgeübt hat, dürfte es dann wie bei der Frage nach einem Verwahrungsbruch der Akten nicht ankommen.

09.07.2012/2 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-07-09 12:00:142012-07-09 12:00:14Aus aktuellem Anlass: Strafbarkeit des „Schredderns“ amtlicher Akten
Tom Stiebert

Die Kronzeugenregelung nach § 46b StGB

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Im Zuge der Ermittlungen zur Aufdeckung der Straftaten der rechtsextremen Terroristengruppe NSU taucht in den letzten Tagen vermehrt der Begriff der Kronzeugenregelung in der medialen Diskussion auf. Was hat es mit dieser Begrifflichkeit aber überhaupt auf sich und welche Voraussetzungen und Folgen sind hieran geknüpft? – diese Fragen möchte der nachfolgende Beitrag klären.
I. Kronzeugenregelungen im Recht
Das Strafrecht kennt mehrere verschiedene Kronzeugenregelungen. Die Begrifflichkeit stammt laut Wikipedia vom englischen Terminus „to give evidence for The Crown ”, also für die Krone (= den Staat) als Zeuge aussagen. Zu verstehen ist darunter ein besonderer Zeuge der Anklage, der aber gleichzeitig Mittäter oder anderweitig Beteiligter ist. Durch seine Aussage zulasten der Angeklagten wird eine Verurteilung dieser Personen bzw. eine Aufklärung weiterer Verbrechen ermöglicht. Im Gegenzug führt dieses Verhalten allerdings auch dazu – und gerade deshalb ist es auch besonders glaubhaft – dass der Zeuge sich auch selbst belastet – ein Verhalten, dass er nach § 55 StPO nicht zeigen müsste. Als Anreiz für ein solches Verhalten wird dem Kronzeugen im Gegenzug allerdings eine Strafmilderung versprochen – beide Parteien versprechen sich von diesem Verhalten somit Vorteile.
Die Probleme, die damit verbunden sind, liegen freilich auf der Hand: Allein die Belastung eines anderen kann nicht dazu führen, dass eigene Straftaten grds. milder bestraft werden, denn dies hätte zur Folge, dass der allein Handelnde diese Privilegierung nie genießen würde, während ein in einer Organisation eingebetteter Täter privilegiert würde. Zudem besteht im Regelfall auch kein sachlicher Grund für eine Privilegierung – das Verhalten bezüglich der weiteren Taten hat keinen Einfluss auf die Tat und Motivation der Aussage kann gerade auch sein, sich selbst vor Strafe zu schützen. Eine Distanzierung von der eigenen Tat ist dann hierin nicht zu erkennen.
Dessen ungeachtet können Fälle existieren, in denen eine Kronzeugenregelung erforderlich ist, insbesondere dann, wenn ansonsten schwere Straftaten gar nicht aufgeklärt werden könnten. Hier steht die Justiz vor dem Dilemma, dass beide Möglichkeiten, Nichtbestrafung durch Beweisnot oder Anwendung Kronzeugenregelung, rechtspolitische Problem aufweisen. Dennoch ist die Zubilligung einer Kronzeugenregelun weniger problematisch anzusehen als die Nichtbestrafung von Tätern aufgrund nicht vorlegbarer Beweise.
Aus diesem Grund existieren auch im deutschen Recht einige spezialgesetzlich geregelte Kronzeugenregelungen – diese sollen aber eine Ausnahme darstellen und sind restriktiv auszulegen, um die aufgezeigte Problematik möglichst zu minimieren.
Im Bereich der Drogenkriminalität ist die Aufklärung von Straftaten oft problematisch, sodass § 31 BtMG eine spezielle Kronzeugenregelung enthält.
Eine weitere spezielle Regelung war in § 261 Abs. 10 StGB a.F. enthalten, wurde aber mit Wirkung zum 1.9.2009 aus dem Gesetz entfernt.
Die Entfernung wurde möglich, weil mit Wirkung zum 1.9.2009 mit § 46b StGB ein spezieller „Kronzeugenparagraph“ in des Gesetz aufgenommen wurde, der für alle schweren Straftaten nach § 100a Abs. 2 StPO  gleichermaßen gilt und damit auch die Geldwäsche erfasst.
II. Speziell § 46b StGB
Die Voraussetzungen dieser Normen sollen an dieser Stelle kurz beleuchtet werden.
1. Straftaten des Kronzeugen
Die Kronzeugenregelung greift nur für solche „Täter einer Straftat, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist“. Ausgeschlossen sind damit nach der Gesetzesbegründung nur die Straftaten der einfachen Kriminalität; die mittlere und schwere Kriminalität ist hingegen erfasst, denn ansonsten würde der Zweck der Kronzeugenregelung zu weit ausgedehnt.
2. Zu offenbarende Straftaten
Die Norm soll für alle Straftaten nach § 100a Abs. 2 StPO und damit für alle schweren Straftaten gelten. Nur in diesem Bereich ist eine Kronzeugenregelung überhaupt erforderlich und besteht ein besonderes Interesse des Staates an der Aufklärung, welches Grund für die Gewährung der Kronzeugenregelung ist. Ein allgemeines Denunziantentum soll nicht geschaffen, sondern nur die Aufklärung schwerwiegender Straftaten erleichtert werden.
Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Kronzeuge Beteiligter der offenbarten Tat ist. Die Regelung im Gesetz ist bewusst weit ausgestaltet (BT-Drucks 16/6268 S. 10, 12;  BGHSt 55, 153). Auch ein Zusammenhang mit den eigenen Taten ist nicht erforderlich.
3. Freiwilliges Offenbaren des Wissens
Die Kronzeugenregelung kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn die Handlung und Aussage freiwillig erfolgt. Nur dann ist eine Privilegierung des Handelnden geboten. Was darunter zu verstehen ist, wird durch die Rechtsprechung des BGH konturiert. Zurückgegriffen werden kann hierbei auch auf die Rechtsprechung zu § 31 BtMG.
Der BGH legt dazu dar (BGHSt 55, 153):

„Freiwilligkeit ist nach der insoweit auf § 46b StGB übertragbaren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 31 BtMG dann gegeben, wenn sich der Beschuldigte frei zur Offenbarung entschließen kann; unfreiwillig handelt hingegen, wer meint, nicht mehr anders handeln zu können.“

Die Grenzen sind aber sehr weit ausgestaltet. Freiwilligkeit soll nicht bereits dann ausgeschlossen sein, wenn eine Zeugnispflicht besteht, denn auch hier ist der Handelnde noch Herr seiner Entscheidung.
4. Aufdeckung einer Straftat (Nr. 1) oder Verhinderung einer Straftat (Nr. 2)
Notwendig ist eine Aufklärungs- oder Verhinderungshilfe, die nur dann wirksam gegeben ist, wenn sie tatsächlich erfolgreich war. Der bloße Wille hierzu genügt nicht. Damit muss entweder ein Aufklärungserfolg eintreten (d.h. gesicherte Erkenntnisse zu Tätern, Tatgeschehen, Tatverlauf etc. müssen vorliegen)  oder eine konkret drohende Tat muss verhindert werden. Für einen Aufklärungserfolg ist eine unbekannte Tat nicht zwingend erforderlich. Es genügt auch, wenn bezüglich einer bekannten Tat die bisher unbekannten Täter und weitere Umstände offenbart werden.
Hinzuweisen ist hierbei auch noch auf den Zeitpunkt der Aussage. So ist die Kronzeugenregelung nur anwendbar, wenn die Offenbarung vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 207 StPO) erfolgt (vgl. § 46b Abs. 3 StGB).

„Denn mit der Regelung des § 46b StGB soll dem Gericht ermöglicht werden, ermittlungsrelevante Angaben noch vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens überprüfen zu lassen und die Akten gegebenenfalls zum Zwecke weiterer Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft zurückzusenden. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens und der damit regelmäßig einhergehenden Terminierung der Hauptverhandlung und Ladung der Zeugen sowie der übrigen Prozessbeteiligten besteht für das Gericht nicht selten eine nur noch eingeschränkte Möglichkeit, vom Angeklagten erhobene Behauptungen auf deren Wahrheitsgehalt ohne wesentliche Verzögerung des Hauptverfahrens zu überprüfen“ (BT-Drucks. 16/6268 S. 14; so auch BGH v. 15.3.2011 – NJW 2011, 2529).

5. Rechtsfolge: Ermessen des Gerichts bzgl. Strafmilderung
Selbst wenn alle Tatbestandvoraussetzungen erfüllt sind, tritt nicht automatisch eine Strafmilderung ein. Vielmehr steht dem Gericht ein Ermessen zu („kann“).

„Es müssen, soweit im konkreten Fall relevant, die in § 46b Abs. 2 Nr. 1 StGB beispielhaft aufgeführten Umstände im Einzelnen dargelegt und bewertet werden. […]Ferner kann zu würdigen sein, ob und inwieweit der Angeklagte, wie es beim Tatopfer der Fall sein kann, mit seiner Wissensoffenbarung (Anzeige bzw. Aussage) ausschließlich oder vorrangig eigene Aufklärungs- bzw. Genugtuungsinteressen verfolgt hat.“ (BGHSt  55, 153).

Einzubeziehen sind daher beispielsweise der Grad des Beitrags des Kronzeugen zur Aufklärung sowie die schwere seiner eigenen Tat.
III. Fazit für konkreten Fall
Es zeigt sich damit, dass im konkreten Fall eine Strafmilderung aufgrund der Anwendung der Kronzeugenregelung in Betracht kommt. Das Ermessen des Gerichts wäre wohl auf Null reduziert. Auch die Aufdeckung einer Straftat würde durch eine umfassende Aussage der Beschuldigten Beate Z. ermöglicht; ohne diese Aussage wäre die Aufklärung zumindest deutlich erschwert. Probleme könnten sich allenfalls bei der Freiwilligkeit zeigen, wenn auf der Beschuldigten ein solch starker psychischer Druck lastet, dass sie sich faktisch zur Aussage gezwungen sieht. Auch wenn über die Zusammenhänge und das Milieu immer noch wenig bekannt ist, ist ein solcher Druck zumindest im Moment noch nicht erkennbar.
Bei einer umfassenden Aussage und damit verbunden der kompletten Aufklärung der durch die „NSU“ begangenen Straftaten ist die Strafe somit zu mildern.

21.11.2011/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2011-11-21 10:17:122011-11-21 10:17:12Die Kronzeugenregelung nach § 46b StGB

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