Das BVerfG hat mit seinem Urteil vom 27.02.2018 – 2 BvE 1/16 eine äußerst examensrelevante – und auch gesellschaftspolitisch aufgeladene – Entscheidung zum Verhältnis staatlicher Informations- und Öffentlichkeitsarbeit zum Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG erlassen. Gegenstand des Urteils ist eine kritische Äußerung der Bildungsministerin Johanna Wanka zu einer von der AfD in Berlin angemeldeten Versammlung. Der Fall weist Ähnlichkeiten zum Verfahren gegen die Thüringer Landesministerin Heike Taubert auf, die 2014 auf der Webseite ihres Ministeriums zum Protest gegen einen NPD Parteitag aufrief und vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof unterlag. Die nunmehr gegen die Bundesministerin ergangene Entscheidung behandelt grundlegende staatsrechtliche Fragestellungen und sollte deshalb jedem Studenten und Examenskandidaten bekannt sein:
I. Sachverhalt (der Pressemitteilung entnommen)
Die Antragstellerin, die Partei „Alternative für Deutschland“, war Veranstalterin einer in Berlin für den 7. November 2015 angemeldeten Versammlung unter dem Motto „Rote Karte für Merkel! – Asyl braucht Grenzen!“ Zu dieser Veranstaltung veröffentlichte die Antragsgegnerin, die damalige Bundesministerin für Bildung und Forschung, am 4. November 2015 auf der Homepage des von ihr geführten Ministeriums eine Pressemitteilung, in der sie sich zu der geplanten Demonstration wie folgt äußerte: „Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden. Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub. Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung betreiben wie der Pegida-Chef Bachmann, erhalten damit unerträgliche Unterstützung.“
II. Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung
Den Ausgangspunkt für die gesellschaftspolitische Betätigung der Bundesministerin bildet das Recht der Bundesregierung, Informations- und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Das BVerfG stellt zunächst fest, dass der Bundesregierung – als oberstes Organ der vollziehenden Gewalt – mit den anderen dazu berufenen Verfassungsorganen die Aufgabe der Staatsleitung obliegt und diese als integralen Bestandteil die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit einschließt. Es bedarf insofern keiner gesonderten Ermächtigung. Das Gericht betont zum einen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit, gleichzeitig jedoch auch die Notwendigkeit derartiger Arbeiten: Die Darlegung und Erläuterung der Regierungspolitik hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftigen Vorhaben ist unabdingbar, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen zu erhalten und den Bürger zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der politischen Willensbildung zu befähigen. Die Öffentlichkeitsarbeit erlaubt insbesondere die sachgerechte, objektiv gehaltene Informierung über gesellschaftliche Vorgänge, ohne dabei auf die eigene gestaltende Politik der Bundesregierung beschränkt zu sein. Für die in Frage stehende Streitigkeit besonders wichtig ist, dass die Bundesregierung auch Empfehlungen und Warnungen aussprechen darf.
III. Das Gebot staatlicher Neutralität
Das Recht zur Befugnis, Informations- und Öffentlichkeitsarbeit wahrzunehmen, steht in direkten Zusammenhang zum Neutralitätsgebot staatlicher Organe. Diese können aufgrund ihrer Reichweite und den ihnen zugesprochenen Ressourcen nachhaltig und in besonderem Maße auf die politische Willensbildung innerhalb der Gesellschaft einwirken. Das BVerfG stellt fest, dass es insofern zwar hinzunehmen sei, dass das Regierungshandeln sich in erheblichem Umfang auf die Wahlchancen der am Wettbewerb teilnehmenden Parteien auswirke – ein zielgerichteter Eingriff der Bundesregierung sei hiervon jedoch zu unterscheiden. Der Senat macht deutlich, dass es der Bundesregierung untersagt sei, sich mit einzelnen Parteien zu identifizieren und die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten bzw. Lasten einzusetzen.
Daraus folgt, dass die Bundesregierung grundsätzlich berechtigt ist, gegen ihre Politik gerichtete Angriffe öffentlich zurückzuweisen. Allerdings ist sie dazu verpflichtet, sowohl mit Blick auf die Darstellung als auch der Auseinandersetzung mit der ausgeübten Kritik das Sachlichkeitsgebot zu wahren. Dieses verbiete insbesondere eine einseitige parteiergreifende Stellungnahme für oder gegen einzelne politische Parteien. Im Kern bedeutet dies, dass die Bundesregierung bzw. einzelne Bundesminister geäußerte Kritik nicht zum Anlass nehmen darf, für Regierungsparteien zu werben oder Oppositionsparteien zu bekämpfen. Letztlich läuft diese Feststellung darauf hinaus, dass im Einzelfall zwischen (administrativer) Amtsausübung und eigener, von Staatsgewalt losgelöster parteipolitischer Betätigung des Amtsinhabers unterschieden werden muss.
IV. Recht der Parteien auf Chancengleichheit – Art. 21 Abs. 1 GG
Der aus Art. 21 Abs. 1 GG folgende Grundsatz der Chancengleichheit umfasst auch das Recht der Parteien, durch Demonstrationen und Versammlungen an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Das BVerfG stellt klar, dass hiermit jegliche einseitige Einflussnahme von Staatsorganen auf die Ankündigung oder Durchführung politischer Kundgebungen grundsätzlich unvereinbar ist. Unter Bezugnahme zu seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 140, 225) bestätigt der Senat erneut, dass der Grundsatz der Chancengleichheit die Beachtung der staatlichen Neutralitätspflicht auch außerhalb von Wahlkampfzeiten erfordert. Veranstaltet eine Partei eine politische Kundgebung, nimmt sie ihren durch Art. 21 Abs. 1 GG zugewiesenen Verfassungsauftrag wahr. In der Konsequenz sind staatliche Organe in Anbetracht ihrer Neutralitätspflicht dazu berufen, Bürger nicht zur Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an derartigen Veranstaltungen aufzufordern bzw. zu veranlassen. Genau das stellte bereits der Thüringer Verfassungsgerichtshof im Verfahren gegen die Landesministerin Taubert klar (Thüringer VerfGH Urteil v. 3.12.2014 – 2/14, juris).
V. Resultat: Pressemitteilung der Bundesministerin verstößt gegen das Recht auf Chancengleichheit
Vor diesem Hintergrund stellt das BVerfG fest, dass die auf der Homepage des Ministeriums veröffentlichte Erklärung gegen das Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG verstößt. Die Bundesministerin habe die Erklärung durch die Veröffentlichung der amtseigenen Webseite mit der „Autorität des Ministeramts unterlegt“ und missachte dadurch das Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb. Der Senat stellt im Rahmen der Missachtung des staatlichen Neutralitätsgebots insbesondere auf zwei Umstände ab: Zum einen handelte die Bundesministerin in amtlicher Funktion:
„Einem Handeln in amtlicher Funktion steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin im Text der Pressemitteilung nicht ausdrücklich auf ihr Ministeramt Bezug genommen, sondern sich nur unter ihrem bürgerlichen Namen geäußert hat. Die Homepage eines Bundesministeriums dient der Verlautbarung von Mitteilungen zu Angelegenheiten in seinem Zuständigkeitsbereich. Daher stellt sich die Pressemitteilung vom 4. November 2015 nach ihrem objektiven Erscheinungsbild als Verlautbarung der Antragsgegnerin in ihrer Eigenschaft als Bundesministerin für Bildung und Forschung dar. Der Verzicht auf die Amtsbezeichnung reicht nicht aus, um ein Handeln in nichtamtlicher Funktion zu dokumentieren. Außerdem erkennt die Antragsgegnerin selbst an, dass sie bei der Veröffentlichung der streitgegenständlichen Pressemitteilung in amtlicher Funktion gehandelt hat, wenn sie darauf verweist, dass sie als Mitglied der Bundesregierung in Ausübung ihres Ministeramts einen Angriff auf die Regierungspolitik unter Einsatz ihrer Amtsressourcen zurückgewiesen habe.“
Zum anderen gibt es im Rahmen der staatlichen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit kein „Recht auf Gegenschlag“:
„Ein „Recht auf Gegenschlag“ dergestalt, dass staatliche Organe auf unsachliche oder diffamierende Angriffe in gleicher Weise reagieren dürfen, besteht nicht. Die Auffassung der Antragsgegnerin, reaktive Äußerungen auf verbale Angriffe seien vom Neutralitätsprinzip gedeckt, soweit und solange sie sich nach Form und Inhalt in dem Rahmen hielten, der durch die kritische Äußerung vorgegeben worden sei, geht fehl. Sie hätte zur Folge, dass die Bundesregierung bei einem auf unwahre Behauptungen gestützten Angriff auf ihre Politik ihrerseits berechtigt wäre, unwahre Tatsachen zu verbreiten. Dem steht die Verpflichtung staatlicher Organe entgegen, in Bezug genommene Tatsachen korrekt wiederzugeben (vgl. BVerfGE 57, 1 (8)). Auch der Hinweis, die gesellschaftliche Entwicklung habe dazu geführt, dass nur das „lautstark“ Gesagte Gehör finde, und dass es nicht sein könne, dass eine politische Partei sich das Recht nehme, diskreditierend in der öffentlichen Debatte zu agieren und gleichzeitig von staatlichen Organen eine zurückhaltende Sprache einzufordern (vgl. VerfGH des Saarlandes, Urteil vom 8. Juli 2014 – Lv 5/14 -, juris, Rn. 42, 45), ändert nichts daran, dass der Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG der abwertenden Beurteilung einzelner politischer Parteien durch staatliche Organe grundsätzlich entgegensteht. Die Bundesregierung ist darauf beschränkt, im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit über das Regierungshandeln aufzuklären, hiergegen erhobene Vorwürfe in der Sache aufzuarbeiten und diffamierende Angriffe zurückzuweisen. Darüber hinausgehender wertender Einflussnahmen auf den politischen Wettbewerb und die an diesem beteiligten Parteien hat sie sich – auch soweit es sich um bloß reaktive Äußerungen handelt – aufgrund der Gebote der Neutralität und Sachlichkeit zu enthalten.“
VI. Ausblick für die 19. Legislaturperiode
Das BVerfG verdeutlicht mit seiner Entscheidung nochmals Grund und Grenzen staatlicher Informations- und Öffentlichkeitsarbeit. In Anbetracht der aktuellen politischen Gemengelage schlägt das Gericht mit seinem Urteil grundlegende Eckpfeiler für die Konfliktszenarien der nächsten Jahre ein. Die rechtliche Würdigung der Kritik der Bundesministerin ist freilich nicht unumstritten. Gerade aufgrund der Tatsache, dass die Erklärung außerhalb der Wahlkampfzeit erfolgte, besteht Argumentationsspielraum. Denkbar ist insoweit ein gelockertes Verständnis des Sachlichkeitsgebots. In der Klausur muss bei der Prüfung des Art. 21 Abs. 1 GG vor allem die Rechtsnatur der Erklärung herausgearbeitet werden: Handelt das Regierungsmitglied in Wahrnehmung seines Ministeramts oder nimmt es außerhalb seiner amtlichen Funktion am politischen Meinungskampf teil? Punkten wird, wer mit Blick auf das Neutralitätsgebot umfassend argumentiert und den Rahmen der staatlichen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit überzeugend absteckt.
Schlagwortarchiv für: Neutralitätsgebot
Das OVG Münster hat in einem bereits Anfang November getroffenen Urteil, die Rechtswidrigkeit der sog. „Licht Aus-Aktion“ des Düsseldorfer Oberbürgermeisters festgestellt (Az. 15 A 2293/15). Die Aktion hatte im vergangenen Jahr bundesweit für Aufsehen gesorgt und richtete sich gegen den Düsseldorfer Pegida-Ableger „Dügida“. Da sich das OVG in seinem Urteil mit der Reichweite der Neutralitätspflicht sowie dem Sachlichkeitsgebot auseinandersetzt und die Entscheidung damit Examensrelevanz hat, sollen im Folgenden die wesentlichen Erwägungen vorgestellt werden.
Sachverhalt
Die Klägerin hatte als verantwortliche Leiterin für den 12.01.2015 in Düsseldorf eine Versammlung mit dem Motto „Düsseldorfer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ angemeldet. Aus Anlass dieser Veranstaltung stellte der Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf auf der städtischen Internetseite www.düsseldorf.de eine Erklärung mit dem Titel „Lichter aus! Düsseldorf setzt Zeichen gegen Intoleranz“ ein. Darin kündigte er an, dass am 12.01.215 anlässlich der angemeldeten Versammlung die Stadt die Beleuchtung bestimmter öffentlicher Gebäude abschalten werde. Darüber hinaus rief er die Düsseldorfer Bürger und Geschäftsleute dazu auf, ebenfalls die Beleuchtung an ihren Gebäuden auszuschalten, um ein „Zeichen gegen Intoleranz und Rassismus“ zu setzen und auch an der parallel stattfindenden Gegendemonstration „Düsseldorfer Bürgerinnen und Bürger für Demokratie und Vielfalt – Mit rheinischer Toleranz gegen Ausgrenzung und Hass“ teilzunehmen. Am 12.01.2015 wurde die Beleuchtung seitens der Stadt Düsseldorf an bestimmten öffentlichen Gebäuden tatsächlich abgeschaltet.
Wesentliche Erwägungen
I. Befugnisnorm für die Erklärung und das Abschalten
Nach Auffassung des OVG konnte der Oberbürgermeister seine Erklärung sowie das Abschalten der Lichter im Grundsatz auf die Aufgabenzuweisung der kommunalen Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 78 LVerfG NRW, § 2 GO NRW i.V.m. mit seiner Organkompetenz nach §§ 40 Abs. 2 Satz 1, 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 GO NRW stützen, da diese dem Oberbürgermeister die Befugnis zu kommunalpolitischen Stellungnahmen vermitteln.
Staatliche – d. h. im gegebenen Zusammenhang auch kommunale – Öffentlichkeitsarbeit ist nicht nur zulässig, sondern auch notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten. Hierbei handelt es sich um eine Aufgabe der Staatsleitung als Bestandteil der Staatsaufgaben, die, ohne dass es dazu einer besonderen gesetzlichen Eingriffsermächtigung bedürfte, hoheitliches Informationshandeln legitimieren kann. Unter dieses fällt namentlich die Darlegung und Erläuterung der Politik hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme sowie die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über den Bürger unmittelbar betreffende Fragen und wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit.
Allerdings ist erforderlich, dass ein spezifischer Bezug zur örtlichen Gemeinschaft besteht, da sich die grundgesetzlich gewährleistete kommunale Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG) nur auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft und gerade nicht auf Angelegenheiten der allgemeinen Politik erstreckt. Zwar besteht bei den hier in Rede stehenden Äußerungen gewiss auch ein grundlegender Bezug zu allgemeinen politischen Themen (Ausländer- und Asylrecht, Rechtsextremismus), allerdings bezogen sie sich auf eine für die Stadt Düsseldorf angemeldete Veranstaltung. Darüber hinaus nahm die Versammlung mit dem Motto „Düsseldorfer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ konkret auf die Stadt Düsseldorf und ihre Einwohner Bezug und vereinnahmte diese für sich, so dass ein spezifischer örtlicher Bezug der Erklärung des Oberbürgermeisters gegeben ist.
II. Kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot
Das OVG sieht in den streitigen Äußerungen allerdings keinen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot. Die Richter sind vielmehr der Auffassung, dass eine strikte Neutralitätspflicht von Amtsträgern im Hinblick auf politische Äußerungen allein Parteien gegenüber bestehen könne. Bei der hier in Rede stehenden „Dügida“-Bewegung handelt es sich allerdings nicht um eine politische Partei. Einer im Schrifttum vertretenen Auffassung, die das Neutralitätsgebot auch auf das Verhältnis zu politischen Bewegungen bzw. Gruppierungen erstrecken will, die nicht als Parteien organisiert sind (so Barczak, NVwZ 2015, 1014 ff.), erteilt der Senat somit eine Absage. Anders als das OVG hatte auch das VG Düsseldorf das Neutralitätsgebot auf die Dügida-Bewegung angewandt (VG Düsseldorf, Beschl. v. 09.01.2015 – 1 L 54/15).
Das zum Schutz der politischen Chancengleichheit erforderliche Neutralitätsgebot, dem grundsätzlich auch Amtsträger auf kommunaler Ebene unterworfen sind, band den Oberbürgermeister der Beklagten nach alledem deshalb nicht, weil er sich nicht gegen eine politische Partei i.S.d. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG wandte, der gegenüber ein striktes Neutralitätsgebot allein eingreifen kann. Die von der Klägerin (mit-) getragene „E. “-Bewegung, die hinter der Versammlung am 12. Januar 2015 stand, ist keine politische Partei. Sie ist vielmehr eine Vereinigung ohne feste Struktur mit einem in personeller wie sächlicher Hinsicht lediglich niedrigschwelligen Organisationsgrad. Das Neutralitätsgebot hinderte den Oberbürgermeister der Beklagten aufgrund dessen nicht, sich in der gewählten Form gegen sie zu positionieren und die von ihr vertretenen Auffassungen öffentlich als von ihm als tendenziell verfassungsfeindlich eingestuft zu verurteilen.
III. Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot
Allerdings sehen die Richter in der Ankündigung des Abschaltens der Beleuchtung an öffentlichen Gebäuden anlässlich der Versammlung, in dem gleichzeitigen Aufruf an die Düsseldorfer Bürger und Geschäftsleute ebenfalls die Beleuchtung ihrer Gebäude auszuschalten sowie in dem tatsächlichen Lichtlöschen einen Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot. Bei diesem handelt es sich um eine besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, an dem Äußerungen von Amtsträgern zu messen sind. Zwar sind Amtsträger auch dazu befugt, sich offensiv gegen als verfassungsfeindlich einzustufende Strömungen politisch zu positionieren, allerdings verlangt das Sachlichkeitsgebot, dass behauptete Tatsachen zutreffend sind, Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen, sie den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten sowie auf einem im Wesentlichen zutreffenden Tatsachenkern beruhen. Diese Anforderungen sehen die Richter im vorliegenden Fall nicht mehr gewahrt an:
Ausgehend von diesen Maßstäben überschritt der Oberbürgermeister der Beklagten den Rahmen des sachlich Gebotenen … Denn damit verließ der Oberbürgermeister … den auf die geistige, diskursive Auseinandersetzung beschränkten Bereich kommunalpolitischer Kommunikation. Er zweckentfremdete kommunale Einrichtungen, die zu einem bestimmten (anderen) öffentlichen Zweck gewidmet sind, zu einer politischen Symbolsetzung, die der Klägerin als davon Betroffener die Möglichkeit nahm, auf die damit verbundene politische Aussage der Missbilligung in diskursiver Form zu reagieren. Der Oberbürgermeister der Beklagten wählte ein Instrument der symbolisch-politischen Kommunikation, das in der gegebenen Situation lediglich ihm zur Verfügung stand. An die negative politische Symbolik durch öffentliches Lichtabschalten konnte die Klägerin indes nicht kommunikativ anschließen, so dass eine inhaltlich-sachbezogene Debatte auf diese Weise weder angestoßen noch fortgeführt werden konnte …
… Mit der Ankündigung des Abschaltens der Beleuchtung, dem Aufruf an private Dritte, diesem Beispiel der Beklagten zu folgen, und dem Lichtausschalten selbst, hat der Oberbürgermeister gerade nicht die argumentative Auseinandersetzung mit der Klägerin und ihrer Gruppierung gesucht. Das symbolhafte Verdunkeln der Stadt gibt für sich genommen keinen Aufschluss darüber, aus welchen inhaltlich-politischen Gründen genau die von der Klägerin auf ihrer Versammlung vertretenen Positionen zu missbilligen seien, etwa weil sie verfassungsfeindliche Tendenzen zeigten und auch sonst den Grundwerten der staatlichen bzw. örtlichen Gemeinschaft widersprächen. Es hat für den politischen Diskurs aus sich heraus – wie ausgeführt – keinen diskursiv-informatorischen Mehrwert. Ein sachlicher Beitrag auf der städtischen Internetseite für Toleranz und zugunsten einer pluralistischen Stadtgesellschaft sowie zum Thema Zuwanderung, Flüchtlinge und Ausländerfeindlichkeit lässt sich unschwer auch auf andere Weise bewerkstelligen. Dem etwaigen Eindruck, dass die Stadt E. sich nach außen sichtbar mit den Ansichten der Bewegung der Klägerin identifiziere, konnte der Oberbürgermeister der Beklagten durch entsprechende – verbal-diskursive – Verlautbarungen und eben auch mittels der nach den oben aufgeführten Maßstäben hier zulässigen Bitte zur Teilnahme an der Gegendemonstration „E. Bürgerinnen und Bürger für Demokratie und Vielfalt – Mit rheinischer Toleranz gegen Ausgrenzung und Hass“ am 12. Januar 2015 – entgegenwirken.
Zur Vertiefung eignet sich insbesondere auch unser Beitrag: „(Politische) Äußerungen von Amtsträgern – Was geht, was geht nicht?“
Immer wiedern äußern sich Amtsträger zu aktuellen politischen Entwicklungen. Lieblingsziel sind rechte oder gar rechtsradikale Parteien und Demonstrationen. Nimmt man das staatliche Neutralitätsgebot in den Blick, könnte man zunächst davon ausgehen, dass tagespolitische Äußerungen für oder gegen konkrete Parteien, Gruppierungen oder Demonstrationen durch Amtsräger unzulässig sind. Dass es so einfach nicht ist, soll der folgende Beitrag aufzeigen.
I. Äußerungs- und Ausfertigunsverweigerungsrecht des Bundespräsidenten
1. Das Ausfertigungsverweigerungsrecht – häufig ungenau als Prüfungsrecht bezeichnet – des Bundespräsidenten zählt zu den Klassikern der juristischen Examensvorbereitung. Gestritten wird, ob der Bundespräsident die Ausfertigung von Gesetzen nach Art. 82 GG mit politischen, materiellen oder bloß formalen Bedenken verweigern darf. Im Ergebnis sollte man der vermittelnden Meinung folgen, wonach grundsätzlich nur ein Verweigerungsrecht bei formellen Fehlern besteht; ausnahmsweise wird dieses bei evidenten materiell-rechtlichen Verstößen ebenso bejaht (s. unseren Beitrag)
2. Das Äußerungsrecht des Bundespräsidenten ist eine weitere klassische Fallgestaltung. Hier geht es um die Frage, ob und wenn ja, wie der Bundespräsident sich zum aktuellen Tagesgeschehen äußern darf. Zuletzt wurde diese Frage im Zusammenhang mit der Äußerung „Spinner“ seitens Bundespräsident Gauck gegenüber der NPD virulent. Das Bundesverfassungsgericht entschied auf Klage der NPD hin, dass diese Äußerung im Gesamtzusammenhang seiner Aussagen noch zulässig sei (zur Vertiefung, welche dringend empfohlen sei, kann unser ausführlicher Beitrag dienen). Ebenfalls tagesaktuell sind die kritischen Äußerungen Gaucks zur Linkspartei im Zuge der Wahl Bodo Ramelows zum Thüringischen Ministerpräsidenten (s. unseren kurzen Beitrag).
Als Kernaussage des BVerfG lässt sich festhalten, dass die Stellung des Bundespräsidenten, die Chancengleichheit der Parteien und die Neutralitätspflicht von Verfassungsorganen relevant sind. Diese „keywords“ sind Grundlage jeder Argumentation zum Äußerungsrecht. Gerade im Hinblick auf das nicht ausdrücklich erwähnte Rederecht des Bundespräsidenten, das seiner Stellung als Staatsoberhaupt immanent ist, gilt es sich argumentativ mit den Kompentenzen des Bundespräsidenten im Grundgesetz auseinanderzusetzen. Das BVerfG nimmt letztlich lediglich eine Evidenzkontrolle vor:
Nicht mehr mit seiner Repräsentations- und Integrationsaufgabe in Einklang stehen Äußerungen, die keinen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung leisten, sondern ausgrenzend wirken, wie dies grundsätzlich bei beleidigenden, insbesondere solchen Äußerungen der Fall ist, die in anderen Zusammenhängen als „Schmähkritik“ qualifiziert werden (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 2 BvE 4/13 , juris, Rn. 29). Abgesehen davon können Äußerungen des Bundespräsidenten über eine Partei verfassungsgerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob er unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich Partei ergriffen hat (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014, 2 BvE 4/13 , juris, Rn. 30).
II. Äußerungsrecht von Bundesministern
Examensrelevant sind zudem Äußerungen von Bundesministern zu anderen politischen Parteien. Im vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 16. Dezember 2014 – Az. 2 BvE 2/14 entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob Familienministerin Schwesig durch ein Zeitungsinterview die Rechte der NPD aus Art. 21 GG verletzt hat.
1. Sachverhalt
Familienministerin Schwesig äußerte sich anlässlich der Verleihung des Thüringer Demokratiepreises am 25. Juni 2014 in einem in der Thüringischen Landeszeitung (TLZ) erschienenen Interview. In dem Interview ging es unter anderem um den Kampf der Bundesregierung gegen den Rechtsextremismus und ein dafür vorgesehenes Demokratieprogramm des Bundes, das von der Antragsgegnerin verantwortet wird.
„Das Gefährliche an der NPD ist, dass sie versucht, ihr Molotow-Cocktail-Image abzulegen. Sie kommt nicht mehr mit Springerstiefeln und Glatzen daher, sondern im feinen Nadelstreifenanzug. Sie tut so, also ob sie sich sozial engagiert. Aber dahinter versteckt sich die Ideologie von Hitler – und jedes Parlament muss sich beraten, wie es damit umgeht. Meine Erfahrung aus dem Landtag in Mecklenburg-Pommern ist: der Antrag wird abgelehnt und ein Demokrat spricht für alle demokratischen Fraktionen, um dabei deutlich zu machen, dass der Antrag nur vermeintlich soziales Engagement ist und dahinter etwas anderes steckt. Das hat sich in Schwerin bewährt – und kann ein Beispiel sein. Aber ich werde im Thüringer Wahlkampf mithelfen, alles dafür zu tun, dass es erst gar nicht so weit kommt bei der Wahl im September. Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt.“
Die NPD (Antragsstellerin) richtet ihren Antrag gegen die letzten beiden Sätze, da die Familienministerin mit dieser Äußerung ihre parteipolitische Neutralität und somit das Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 GG verletzt habe. Die NPD war bereits mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor dem BVerfG gescheitert (v. 15. Juli 2014 – 2 BvE 2/14).
2. Rechtserwägungen
a) Keine Übertragbarkeit der Maßstäbe, die für Bundespräsidenten gelten, auf Bundesminister
Im Unterschied zur Bundesregierung und deren Mitgliedern steht der Bundespräsident weder mit den politischen Parteien in direktem Wettbewerb um die Gewinnung politischen Einflusses noch stehen ihm in vergleichbarem Umfang Mittel zur Verfügung, die es ermöglichten, durch eine ausgreifende Informationspolitik auf die Meinungs- und Willensbildung des Volkes einzuwirken (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 10. Juni 2014 2 BvE 4/13 , juris, Rn. 27). Der Bundespräsident kann vor diesem Hintergrund weitgehend frei darüber entscheiden, bei welcher Gelegenheit und in welcher Form er sich äußert.
b) Neutralitätsgebot
Die Bundesministerin könnte mit ihrer Äußerung das Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 GG verletzt haben. Das BVerfG hat in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass Staatsorgane aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung grundsätzlich nicht als solche zugunsten oder zulasten einer Partei in den Wahlkampf eingreifen dürfen (sog. Neutralitätsgebot, s. hierzu unseren Beitrag; vgl. auch BVerfGE 44, 125, 146; 63, 230, 243 f.; BVerfG, 2 BvE 4/13 , juris, Rn. 25). Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass gerade Minister regelmäßig selbst Parteimitglieder sind und als solche in den Wahlkampf einwirken können müssen. Das BVerfG geht sogar noch einen Schritt weiter:
Jedoch ist zu berücksichtigen, dass Politiker, insbesondere wenn sie ein Staatsamt bekleiden, vor Wahlen nicht alle Auftritte in der Öffentlichkeit meiden können. Mitglieder der Bundesregierung sind daher grundsätzlich befugt, sich auch im Wahlkampf in amtlicher Funktion über die Medien an die Öffentlichkeit zu wenden (vgl. BVerfGE 44, 125 <154 f.>), haben dabei aber die Chancengleichheit der Parteien zu beachten.
Wichtig ist an dieser Stelle zunächst zu fragen, in welcher Funktion Schwesig das Interview gegeben hat („Amtsbezug“). Je mehr das Amt Grundlage der Äußerung war, desto eher ist diese unzulässig.Maßgeblich ist bei Ministern also, ob die Äußerungen tatsächlich als Staatsorgan getätigt wurden und wenn ja, welche Eingriffsintensität sie haben. Bei gemischter Tätigkeit (z.B. Interview/Talkshow, bei denen schlichtweg nicht jede Äußerung vorher zugeordnet werden kann) als Staatsorgan und Parteipolitiker ist eine Gewichtung der Umstände im Einzelfall notwendig. So wird die Parteitagsrede Angela Merkels kaum gegen das Neutralitätsgebot verstoßen können, Äußerungen bei Günter Jauch sind abhängig vom jeweiligen Kontext, während Einlassungen auf Bundespressekonferenzen die Vermutung eines Verstoßes in sich tragen.
Hier ist zu berücksichtigen, dass Schwesig sich im unmittelbaren Zusammenhang zu einem vom Bund initiierten Programm gegen Rechtsextremismus äußerte, weswegen davon auszugehen ist, dass sie jedenfalls auch in staatlicher Funktion aktiv war. Jedoch handelte es sich nur um ein Interview, nicht etwa um die Inanspruchnahme hoheitlicher Funktionen oder Zuwendung von Geldleistungen. Zudem berief sie sich nicht ausdrücklich auf ihr Amt, sondern sprach nur von ihrer eigenen Person und subjektiven Eindrücken. Sie machte auch nicht von Staatssymbolen oder Hoheitszeichen Gebrauch. Das Tätigwerden ist also als eher wenig eingriffsintensiv einzuordnen. Daher lehnte das BVerfG letztlich eine Verletzung des Neutralitätsgebotes sowie der Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 GG ab.
III. Äußerungsrecht von Bürgermeistern
Last but not least von großer Relevanz im juristischen Staatsexamen sind Äußerungen von Bürgermeistern zum aktuellen Tagesgeschehen. Jüngst ließ der Düsseldorfer Oberbürgermeister mit der Entscheidung aufhorchen, die Lichter der Stadt auszuschalten um gegen DÜGIDA, einen Ableger von PEGIDA, zu protestieren. Zugleich veröffentlichte er einen Aufruf an die Bevölkerung auf den städtischen Internetseiten diesem Beispiel zu folgen. Andere Fälle sind denkbar, bspw. Aufrufe „gegen Rechts“ oder konkret gegen „rechte Parteien“.
Das VG Düsseldorf entschied erstinstanzlich, dass der Aufruf „Lichter aus! Düsseldorf setzt Zeichen gegen Intoleranz“ von der Internetseite www.duesseldorf.de zu entfernen sei, da dieser gegen das Neutralitätsgebot verstoße. Die Beschwerde des Oberbürgermeisters hatte Erfolg, weswegen die Organisatoren nunmehr vor dem OVG NRW einen Eilantrag auf Entfernung des Aufrufs stellten. Dieses führt aus: (s. Pressemitteilung):
Der Senat könne in der Kürze der ihm für die Beschwerdeentscheidung zur Verfügung stehenden Zeit nicht feststellen, dass die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit obsiege. Der Fall werfe die schwierige Frage nach der Geltung und Reichweite des für Amtswalter geltenden Neutralitätsgebots in politischen Auseinandersetzungen außerhalb von Wahlkampfzeiten und ohne Beteiligung politischer Parteien auf. Zulässigkeit und Grenzen von staatlichen Aufrufen an die Bevölkerung zu Kundgebungen oder ähnlichen politischen Aktionen seien jedoch bislang in der Rechtsprechung nicht hinreichend geklärt. Bei dieser Sachlage sehe der Senat keine Veranlassung zum Erlass der begehrten einstweiligen Regelung. Zwar werde die Antragstellerin durch den Aufruf des Oberbürgermeisters in ihren Grundrechten berührt. Sie könne ihre Versammlung aber wie geplant durchführen.
Dies kann praktisch wenig überzeugen – zudem müsste in einer Klausur eine Entscheidung getroffen werden. Hier muss mit dem staatlichen Neutralitätsgebot argumentiert werden, vergleichbar dem der Bundesminister. Gegen die Zulässigkeit der Äußerungen spricht, dass sie auf der städtischen Internetseite getätigt werden, somit staatliche Mittel im politischen Meinungskampf verwendet werden. Zudem handelt es sich um einen konkreten Aufruf an die Bürger, der allein deswegen schon deutlich intensiver ist als bloße Wertungen. Vieles spricht daher gegen die Zulässigkeit eines solches Aufrufs.
IV. Äußerungsrechte als argumentatives Spielfeld