Nach langer Zeit mal wieder ein Rechtsprechungsklassiker. Der Fräsmaschinenfall ist ein Klassiker des Zivilrechts aus dem Jahre 1968. Jeder Jurastudent, der die Sachenrechtvorlesung schon hinter sich gebracht hat, hat von ihm schon einmal gehört. Ging es in dem Fall nicht um den Nebensitz? Ja, unter anderem. Doch der Fräsmaschinenfall behandelt neben der Frage, ob es die Konstruktion des Nebenbesitzes gibt, noch einige andere examensrelevante sachenrechtliche Probleme:
– Was versteht man eigentlich unter Übereignung i.S.d. § 929 S. 1 BGB und was i.S.d. § 933 BGB?
– Verschiedene Formen des gutgläubigen Erwerbs: § 929 S. 1 BGB mit Eigentumsvorbehalt § 158 Abs. 1 BGB / §§ 929 S. 1, 930, (933) BGB / §§ 929 S. 1, 931, (934) BGB
– Verschiedene Formen des Besitzes: Eigenbesitz VS Fremdbesitz, unmittelbarer VS mittelbarer Besitz
Im Folgenden soll eine Lösung des Fräsmaschinenfalls mit Schwerpunkt auf die examensrelevanten Probleme herausgearbeitet werden. Es empfiehlt sich, zur besseren Nachvollziehung der Lösung beim Lesen des Sachverhalts eine Skizze anzufertigen, da hier vier Personen / Parteien im Spiel sind.
Sachverhalt
V verkauft K eine Fräsmaschine unter Eigentumsvorbehalt und übergibt diese K. Dieser zahlt den Kaufpreis nicht. Stattdessen übereignet er die Fräsmaschine zur Sicherung einer Darlehensforderung an die C-Bank, ohne die Berechtigung des V offen zu legen. K bleibt der Abrede gemäß die ganze Zeit im Besitz der Sache. Die C-Bank übereignet die Fräsmaschine unter Abtretung des Herausgabeanspruchs an D. Wie ist die Eigentumslage?
Lösung
1. Ursprünglich war die Fräsmaschine im Eigentum des V.
2. Übereignung V an K, §§ 929 S. 1, 158 Abs. 1 BGB (-)
Übereignung scheitert bereits an der ersten Voraussetzung der dinglichen Einigung.
Die dingliche Einigung stand unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Kaufpreiszahlung durch K an V. Hier ist die Bedingung i.S.d. § 158 Abs. 1 BGB nicht eingetreten.
3. Übereignung K an die C-Bank, §§ 929 S. 1, 930, 933 BGB, i. Erg. (-)
a. Dingliche Einigung (+)
b. Übergabe (-), da kein vollständiger Besitzverlust bei K
c. Übergabesurrogat des § 930 BGB anstelle der Übergabe?
– Sicherungsabrede als „sonstiges Verhältnis“ i.S.d. § 930 BGB
– Sicherungsabrede = Besitzmittlungsverhältnis (BMV)
d. Berechtigung des K (-)
e. Aber gutgläubiger Erwerb der C-Bank gem. §§ 929 S.1, 930, 933 BGB?
– C-Bank war gutgläubig. Laut SV hatte K die Berechtigung des V nicht offen gelegt.
– Jedoch Übergabe (-)
Die Übergabe i.S.d. § 933 BGB entspricht der Übergabe im § 929 BGB, so dass hier zwar ein mittelbarer Besitzerwerb der C-Bank genügt, jedoch auch ein vollständiger Besitzverlust des K erforderlich ist. Da K jedoch weiterhin unmittelbarer Besitz der Fräsmaschine blieb, hat er seinen Besitz nicht vollständig aufgegeben.
4. Übereignung C-Bank an D, §§ 929 S. 1, 931, 934 Alt. 1 BGB, i. Erg. (+)
a. (P) Berechtigung der C-Bank (-)
Ein Eigentumserwerb gem. §§ 929 S. 1, 931 BGB von der C-Bank als Berechtigtem scheidet aus, da die C-Bank nicht Eigentümer der Fräsmaschine war.
b. Jedoch gutgläubiger Erwerb des D gem. §§ 929 S. 1, 931, 934 Alt. 1 BGB
– Gutgläubigkeit des D (+)
– Voraussetzung des § 934 Alt. 1 BGB: „mittelbarer Besitzer“
(P 1) Ist die C-Bank überhaupt mittelbarer Besitzer?
– BMV zwischen K und C-Bank (+) s.o., aber Übereignung (-) s.o.
=> Ist daher BMV nutzlos?
=> Schlägt die Unwirksamkeit der Übereignung über § 139 BGB auch auf den schuldrechtlichen Sicherungsvertrag durch?
i. Erg. (-). Argumente: Abstraktionsprinzip, zudem hat die C-Bank immerhin ein Anwartschaftsrecht erworben.
Ein Anwartschaftsrecht besteht, wenn von einem mehraktigen Entstehungstatbestand eines Rechts schon so viele Erfordernisse erfüllt sind, dass der Veräußerer den Erwerb des Vollrechts nicht mehr einseitig verhindern kann. (BGHZ 49, 202). -> hier (+)
=> somit C-Bank mittelbarer Besitzer
(P 2) Nebenbesitz
§ 934 BGB spricht von „mittelbarer Besitzer“, zu lesen ist dies jedoch als „mittelbarer Alleinbesitzer“
Scheitert die Anwendung des § 934 Alt. 1. BGB nicht daran, dass C nicht mittelbaren Alleinbesitz, sondern lediglich mittelbaren Nebenbesitz hatte?
Verständnisfrage: Warum stellt sich hier die Frage des Nebenbesitzes überhaupt? Wer ist hier Nebenbesitzer?
a. Ursprünglich bestand wegen des vereinbarten Eigentumsvorbehalts zwischen V und K ein BMV: Bis zum Eintritt der Bedingung ist im Verhältnis V – K der V als Vorbehaltskäufer mittelbarer Eigenbesitzer der Fräsmaschine, K unmittelbarer Fremdbesitzer.
b. Daneben könnte D durch die Abtretung der C-Bank von ihrem mittelbaren Besitz an der Fräsmaschine gem. §§ 929 S. 1, 931, 934 BGB mittelbarer Nebenbesitzer geworden sein.
d.h. Nebenbesitzer 1: V, Nebenbesitzer 2: D
Dies wäre jedoch nur dann möglich, wenn man die Konstruktion des Nebenbesitzes bejaht.
e.A.: Nebenbesitz möglich
– Besitzposition des V gehe nicht automatisch bei Begründung eines neuen BMV verloren. Vielmehr sei es denkbar, dass K sowohl vorliegend die C-Bank als Sicherungsnehmer als anerkennt als auch die Weisungen des Vorbehaltsverkäufers befolge.
h.M. lehnt die Konstruktion des Nebenbesitzes ab
Argumente:
– Rechtssystematik: BGB spreche nur von „dem Besitz“, niemals vom „Nebenbesitz“
– Aufteilung der Besitzposition sei nur in den vom Gesetz abschließend geregelten und vorgesehenen Fällen anzuerkennen, nämlich § 866 BGB und § 871 BGB
– Zudem könne K als Besitzmittler nicht gleichzeitig den Willen haben, die Sache an mehrere Personen herauszugeben. Inhalt beider BMVe sei ja gerade, dass die Sache im Sicherungsfall (bei V bei Rücktritt vom Vertrag, § 449 Abs. 2 BGB; bei der C-Bank, wenn die Darlehensraten nicht ordnungsgemäß beglichen wurden, bzw. das Darlehen fällig gestellt wurde) herauszugeben ist.
Der Meinungsstreit müsste hier jedoch nicht entschieden werden, wenn auch schon nach der ersten Auffassung hier Nebenbesitz nicht vorliegt. Der mittelbare Besitz endet (außer in den Fällen des Wegfalls des unmittelbaren Besitzes und dem Erlöschen des Herausgabeanspruchs) durch eine objektiv erkennbare Änderung des Besitzmittlungswillens. Eine solche ist dann gegeben, wenn der unmittelbare Besitzer ein neues, mit dem ersten unverträgliches BMV mit einem anderen Oberbesitzer (hier der C-Bank) eingeht. Dadurch wird objektiv erkennbar, dass er sich vom bisherigen Oberbesitzer V lösen will und nur noch für den neuen Oberbesitzer K den Besitz vermitteln will. Somit war auch nach der ersten Auffassung mit Abschluss des Sicherungsvertrags kein Nebenbesitz bei V verblieben. (andere Ansicht vertretbar, dann ist der Streit zu entscheiden)
=> Mithin ist die C-Bank, wie für § 934 Alt. 1 BGB erforderlich, mittelbarer Alleinbesitzer der Fräsmaschine
=> C-Bank konnte daher D wirksam seinen Anspruch aus dem BMV mit K gemäß §§ 931, 870, 934 1. Alt. BGB abtreten.
=> D hat von C gem. §§ 929 S. 1, 931, 934 1. Alt, 932 Abs. 2 BGB gutgläubig Eigentum erworben.
Aber Wertungswiderspruch: Warum ist der Erwerb des D wirksam, der der C-Bank jedoch unwirksam? Enthält gutgläubiger Erwerb nach § 934 1. Alt. BGB einen Widerspruch gegenüber dem gutgläubigen Erwerb nach § 933 BGB?
Der gutgläubige Erwerb nach § 933 BGB setzt voraus, dass der nichtberechtigte Veräußerer dem Erwerber den unmittelbaren Besitz an der verkauften Sache verschafft (Traditionsprinzip). Nach § 933 BGB wird der gutgläubige Erwerber nicht geschützt, wenn ihm der unmittelbare Besitzer nur den mittelbaren Besitz einräumt.
Ist der Veräußerer dagegen mittelbarer Besitzer, so erlangt der Erwerber gem. § 934 1. Alt. mit Abtretung des Herausgabeanspruchs gutgläubig Eigentum.
Dieses Ergebnis erscheint widersprüchlich, da der D als zweiter Sicherungsnehmer, der gem. § 934 1. Alt. BGB gutgläubig Eigentum erworben hat, der Vorbehaltssache ferner stand als die C-Bank als erster Sicherungsnehmer, die gem. § 933 kein Eigentum erwerben konnte.
Dies ist jedoch so hinzunehmen, da der Gesetzgeber den §§ 933, 934 BGB bewusst das Prinzip zugrunde gelegt hat, dass die Neubegründung mittelbaren Besitzes zum gutgläubigen Erwerb nicht ausreichen soll, wohl aber seine Übertragung. Das Gesetz geht dabei von der Gleichstellung des mittelbaren mit dem unmittelbaren Besitz aus, und lässt es für den gutgläubigen Erwerb genügen, wenn sich der Veräußerer seines Besitzes vollständig entledigt. Diese Voraussetzung ist bei §§ 931, 934 1. Alt. BGB durch die Abtretung des Anspruchs aus dem BMV erfüllt, mangels Übergabe aber nicht bei §§ 930, 933 BGB.
Daher i. Erg. kein Wertungswiderspruch. § 934 1. Alt. BGB ist mithin gesetzestreu anzuwenden.
Ergebnis: D hat gem. §§ 929 S. 1, 931, 934 1. Alt, 932 Abs. 2 BGB gutgläubig Eigentum an der Fräsmaschine erworben.
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