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Schlagwortarchiv für: Nachbarschutz

Dr. Maximilian Schmidt

BVerfG: Baurechtliche Beurteilung einer Krypta im Industriegebiet

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Das BVerfG hat mit Beschluss vom 09. Mai 2016  – 1 BvR 2202/13 einen Fall entschieden, der sich ideal sowohl für eine verwaltungsrechtliche als auch eine verfassungsprozessrechtliche Klausur eignet. Bekannt sein sollte jedem Examenskandidaten das Problemfeld der religösen Begräbnisstätten im Baurecht. Insoweit ist in Klausuren bei Prüfung der Voraussetzungen der §§ 30 ff. BauGB und der Normen der BauNVO häufig eine Abwägung der widerstreitenden Grundrechte vorzunehmen: Art. 4 GG der Bauherrn sowie Art. 14 GG und Art. 12 GG der Nachbarn.
I. Sachverhalt (der Pressemitteilung entnommen)

Die Beschwerdeführerin ist eine vereinsrechtlich organisierte Glaubensgemeinschaft und gehört der Erzdiözese der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien in Deutschland an. Im Jahr 1994 errichtete sie auf einem Grundstück in einem Industriegebiet ein Kirchengebäude. Im Jahr 2005 beantragte die Beschwerdeführerin die Genehmigung zur Umnutzung eines Lagerraums im Untergeschoss des Kirchengebäudes in eine Krypta mit zehn Begräbnisplätzen, was von den zuständigen Behörden abgelehnt wurde. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren gegen die Versagung der Genehmigung blieb ohne Erfolg.

Der VGH Baden-Württemberg (09.09.2009 – 3 S 2679/08 ) hielt in der zugrunde liegenden Entscheidung insbesondere fest, dass die „Hauskirchenbestattung“ für die Beschwerdeführer keinen zwingenden Glaubenssatz darstellten:

An diesen Vorgaben gemessen bewertet der Senat das Bedürfnis, über eine Krypta zur Bestattung der Gemeindepriester in der eigenen Kirche zu verfügen, zwar als einen vom Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 137 Abs. 3 WRV i.V.m. Art. 140 GG erfassten Teil des traditionellen Ritus der syrisch-orthodoxen Glaubensgemeinschaft, nicht jedoch als einen aktuellen zwingenden Bestandteil der Religionsausübung im engeren Sinn.

II. Lösung des BVerfG
Das BVerfG stellt zunächst fest, dass der Schutzbereich des Art. 4 GG eröffnet ist und dieses Grundrecht nur durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden könne.

  • Der postmortale Persönlichkeitsschutz der Toten kommt vorliegend als widerstreitendes Verfassungsgut nicht in Betracht, da die zu beerdigenden Geistlichen ihre personale Würde gerade im untrennbaren Zusammenhang mit den ihrem Glauben zugrunde liegenden Regeln sehen.
  • Gleiches gilt für die Totenruhe, die ebenfalls subjektiv zu bestimmen ist.
  • Auch das Pietätsempfinden der Hinterbliebenen oder der Allgemeinheit muss als Rechtfertigungsgrund ausscheiden, da insoweit die subjektive Entscheidung der Geistlichen Vorrang genießt.

Wichtig: Das BVerfG stellt hiermit fest, dass die subjektive Bestimmung durch die Geistlichen einen hohen Stellenwert hat und damit der Persönlichkeitsschutz sowie das Pietätsempfinden Dritter keine Einschränkung der Religionsfreiheit erlaubten.
Kollidierendes Verfassungsrecht liegt jedoch mit dem Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) sowie der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der Grundstücksnachbarn vor. Diese Grundrechte sind mit der Religionsfreiheit im Wege praktischer Konkordanz zu vereinen: nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen darf bevorzugt und maximal behauptet werden, sondern alle Rechte müssen einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren.
Das BVerfG greift die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg in zwei Punkten an:

  • Keine konkrete Feststellung der Konflikte zwischen Begräbnis und Eigentumsnutzung durch Nachbarn. Insbesondere ist kaum Unterschied zwischen Kirche mit oder ohne Krypta festgestellt worden.
  • Eigene Wertung des VGH, dass kein zwingender Glaubenssatz vorliege. Zu dieser Feststellung ist ein Gericht grundsätzlich nicht befugt, allein eine Plausibilitätskontrolle, u.U. anhand eines Sachverständigengutachtens, ist möglich.

III. Klausurrelevanz
Verwaltungsrechtliche Klausur: Im Rahmen der Prüfung der BauNVO kann die Zuordnung zu einem Baugebiet schwerfallen. Dann ist jedoch eine Ausnahmevorschrift anzuwenden, etwa § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Auch ist Art. 4 GG bei der Abwägung mit nachbarlichen Interessen nach § 15 BauNVO zu prüfen. Ebenso kann eine Befreiung etwa nach § 31 BauGB in Betracht kommen. Jedenfalls sind die Wertungen des Art. 4 GG zwingend in der Klausur an geeigneter Stelle zu berücksichtigen.
Verfassungsrechtliche Klausur: In Betracht kommt eine Verfassungsbeschwerde (wie vorliegend) der Gemeinde bzw. deren Mitgliedern. Dann ist die hier dargestellte Grundrechtsprüfung wie bekannt durchzuführen.

22.06.2016/2 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2016-06-22 09:27:002016-06-22 09:27:00BVerfG: Baurechtliche Beurteilung einer Krypta im Industriegebiet
Dr. Stephan Pötters

Grundlagenwissen Baurecht für das Assessorexamen

Baurecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht
Das Baurecht muss schon im ersten Staatsexamen in den Grundzügen beherrscht werden, besonders wichtig wird es aber für das Assessorexamen. Viele Probleme des Baurechts müssen dabei als abrufbares Wissen präsent sein, da – anders als etwa im Zivilrecht – keine Kommentierung als Hilfsmittel zugelassen ist. Die nachfolgende Übersicht mit den wichtigsten Wissensbausteinen kann als „Crashkurs“ bzw. Kurzwiederholung vor den Prüfungen dienen.
 
I. Verfassungsrechtliches

1. Bundeskompetenzen nach Art. 74 I Nr. 18, 30 und 31 GG
2. Verwaltungskompetenz der Länder für gesamtes BauR nach Art. 83 GG
3. Planungshoheit als Teil der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 II GG)
4. „Baufreiheit“ als Teil des Privateigentums nach Art. 14 I 1 GG? Sehr problematisch wegen Inhalts- und Schrankenbestimmung gem. Art. 14 I 2 GG; idR keine unmittelbaren Ansprüche aus Art. 14 GG ableiten, aber: verfassungskonforme Auslegung des einfachen Baurechts kann mitunter auch in der Klausur wichtig sein, insb. bei § 35 II BauGB (hier idR Ermessensreduktion zugunsten des Bauherren) und bei Verhältnismäßigkeitsprüfung im GefahrenabwehrR
 
II. Der Bebauungsplan
1. Enthält die rechtsverbindlichen Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung, § 8 BauGB; positive und negative Wirkung, d.h. er bestimmt verbindlich welche Vorhaben zulässig sind i.S.v. §§ 30-33 BauGB
2. Die in § 9 Abs. 1 bis Abs. 4 BauGB genannten Festsetzungen sind eine erschöpfende Aufzählung; Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung i.S.v. § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB müssen solche der BauNVO sein

  • Art der baulichen Nutzung: §§ 1 ff. BauNVO
  • Maß der baulichen Nutzung: §§ 16 ff. BauNVO

3. Rechtsnatur: Satzung (§ 10 BauGB); Rechtmäßigkeit mit Normenkontrolle § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO überprüfbar
4. Formelle Rechtmäßigkeit eines BPlans (insb. § 2 bis § 4c, § 9 Abs. 8 und § 10 BauGB)

  • Aufstellungsbeschluss (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB) und ortsübliche Bekanntmachung
  • Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials (§ 2 Abs. 3 BauGB, Material: § 1 Abs. 6 und § 1a BauGB)
  • Umweltprüfung (§ 2 Abs. 4 BauGB), Ausnahme § 13 Abs. 3, 13a Abs. 2 Nr.1 BauGB
  • Erstellung einer Begründung zum Bebauungsplanentwurf und Anfertigung eines Umweltberichts (§ 2a BauGB)
  • Vorgezogene Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 4a BauGB)
  • Vorgezogene Behördenbeteiligung (§ 4 Abs. 1 BauGB, § 4a BauGB)
  • Bekanntmachung von Ort und Dauer der Auslegung (§ 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB)
  • Auslegung des Bebauungsplans (§ 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB)
  • Einholung von Behördenstellungnahmen (§ 4 Abs. 2, § 4a BauGB) und Prüfung
  • Mitteilung des Ergebnisses der Prüfung von Stellungnahmen (§ 3 Abs. 2 Satz 4 und 5 BauGB)
  • Ordnungsmäßiger Satzungsbeschluss (§ 10 Abs. 1 BauGB i.V.m. den landesrechtlichen Gemeindeordnungen)
    –> Vereinbarkeit des Satzungsbeschlusses mit den kommunalrechtlichen Vorschriften!
  • Begründung des Beschlusses (§ 9 Abs. 8 BauGB)
  • Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde (§ 10 Abs. 2 BauGB)
  • Bekanntmachung des Beschlusses bzw. der Genehmigung (§ 10 Abs. 3 BauGB)

5. Materielle Rechtmäßigkeit eines BPlans

  • Erforderlichkeit der Planung (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB)
  • Einhaltung der zulässigen Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 bis 7 BauGB = Typenzwang
  • Anpassungsgebot (§ 1 Abs. 4 BauGB)
  • Entwicklung des Bebauungsplans aus dem Flächennutzungsplan (§ 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB)
  • Interkommunales Abstimmungsgebot (§ 2 Abs. 2 BauGB)
  • Ordnungsgemäße Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB (die zu berücksichtigenden Belange werden in § 1 Abs. 6 und § 1a BauGB aufgezählt)
  • Fehler im Abwägungsvorgang, die nicht (nur) die Zusammenstellung und Bewertung des Abwägungsmaterials nach § 2 Abs. 3 BauGB betreffen: Abwägungsausfall, Abwägungsfehleinstellung (planfremde Ziele), Abwägungsfehleinschätzung
    –> nach § 214 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB jedenfalls dann beachtlich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind
  • Fehler im Abwägungsergebnis: Abwägungsdisproportionalität –> stets beachtlich!

6. Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit, §§ 214 f. BauGB: Soweit Fehler unbeachtlich sind (§ 214 BauGB) oder unbeachtlich geworden (§ 215 BauGB) sind, ist der Bebauungsplan trotz des Fehlers wirksam und für jedermann verbindlich. Soweit ein Fehler beachtlich ist, ist der Bebauungsplan „ungültig“ und „unwirksam“ (vgl. § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO) und entfaltet keine Rechtswirkungen. Nach § 214 Abs. 4 BauGB kann durch ein „ergänzendes Verfahren zur Behebung von Fehlern“ der Bebauungsplan auch rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Hieraus folgt, dass der unwirksame Bebauungsplan bis zur Behebung des Fehlers im ergänzenden Verfahren nur „schwebend unwirksam“ ist.
 
III. Schema: Zulässigkeit eines Vorhabens im Innenbereich, § 34 BauGB
1. Vorhaben i.S.d. § 29 BauGB
2. Innenbereich (§ 34 Abs. 1, 4 BauGB)
3. Sich-Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung
a) nach Art der baulichen Nutzung

  • § 34 Abs. 2 BauGB (–> BauNVO, § 31 BauGB)
  • § 34 Abs. 1 BauGB

b) nach Maß der baulichen Nutzung
c) Bauweise
d) überbaubare Grundstücksfläche
e) Abweichung gem. § 34 Abs. 3a BauGB
4. § 34 Abs. 1 S. 2 BauGB: Wahrung der Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, keine Beeinträchtigung des Ortsbildes
5. keine Beeinträchtigung zentraler Versorgungsbereiche (§ 34 Abs. 3 BauGB)
6. gesicherte Erschließung
 
IV. Schema: Zulässigkeit eines Vorhabens im Außenbereich, § 35 BauGB
1. Vorhaben
2. im Außenbereich
3. privilegiertes Vorhaben (§ 35 Abs.1 BauGB)

  • einer der Fälle des § 35 Abs.1 Nr. 1-6 BauGB
  • kein Entgegenstehen öffentlicher Belange (i.S.v. § 35 Abs. 3 BauGB) –> grundsätzliche Zulässigkeit der privilegierten Vorhaben (–> „entgegenstehen“)

4. sonstiges Vorhaben (§ 35 Abs.2 BauGB)

  • kein Fall des § 35 Abs.1 BauGB
  • keine Beeinträchtigung öffentlicher Belange
    –> Zulässigkeit der nichtprivilegierten Vorhaben nur im besonderen Einzelfall („nicht beeinträchtigt“), dann aber kein Ermessen (verfassungskonforme Auslegung, hM)

5. teilprivilegiertes Vorhaben (§ 35 Abs.4 BauGB): Unbeachtlichkeit bestimmter öff. Belange
6. gesicherte Erschließung
 
V. Wichtige Definitionen

  • Vorhabenbegriff (§ 29 BauGB) = Anwendungsbereich des Bauplanungsrechts
    –> Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung einer baulichen Anlage im planungsrechtlichen Sinne (eigenständige Definition!): Anlagen, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden sind und planungsrechtliche Relevanz aufweisen (d.h. Belange iSv § 1 Abs. 6 BauGB nicht unerheblich berührt werden)
  • gesicherte Erschließung: Ermöglichung einer gefahrlosen, geordneten, baulichen Nutzung (insb. Straßen, Abwasser, Energie etc.); gesichert ist Erschließung dann, wenn die Erschließungsanlagen voraussichtlich bis zur Fertigstellung des baulichen Vorhabens funktionsfähig sind
  • im Zusammenhang bebauter Ortsteil (§ 34 BauGB): Ortsteil: Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Bebauungszusammenhang: aufeinander folgende Bebauung muss trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit vermitteln; keine Unterbrechung durch Baulücken, nicht nur Splittersiedlung.
    alternativ: Klarstellungssatzung (§ 34 Abs. 4 S.1 Nr.1 BauGB), Entwicklungssatzung (§ 34 Abs. 4 S.1 Nr.2 BauGB), Ergänzungssatzung (§ 34 Abs. 4 S.1 Nr.3 BauGB)
  • Sich-Einfügen (§ 34 BauGB): Bauvorhaben muss der näheren Umgebung entsprechen, Rücksichtnahme auf die Eigenart der näheren Umgebung (kein „architektonischer Ausrutscher“ oder Fremdkörper), aber: § 34 Abs. 3a BauGB
  • Außenbereich: § 35 BauGB hat Auffangfunktion für alle Flächen, die nicht einem anderen Bereich (räumlicher Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder im Zusammenhang bebauter Ortsteile) zuzuordnen sind.

 
VI. Veränderungssperre, § 14 BauGB
1. „Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst“ (§ 14 Abs. 1 BauGB); Erlass von Veränderungssperre und Aufstellungsbeschluss uU auch in derselben Ratssitzung möglich
2. „zur Sicherung der Planung erforderlich“ 8§ 14 Abs. 1 BauGB)

  • Planung muss ein Mindestmaß dessen erkennen lassen, was Inhalt des zu erwartenden BPlans sein soll
  • Sicherungsbedürfnis, d.h. Gefährdung der Planungsabsichten

3. muss in Form einer Satzung beschlossen werden (§ 16 Abs. 1 BauGB)
4. enthält idR abstrakte Verbotstatbestände für Vorhaben iSv § 29 BauGB (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB), d.h. ein grdsl. erlaubtes Vorhaben wird durch die Sperre unzulässig
 
VII. Gefahrenabwehr (nach BauO NRW)
1. allgemeine Aufgabenzuweisung: § 61 Abs.1 S.1BauO NRW
2. Bauüberwachung usw. (§ 81 f. BauO NRW)
3. Ermächtigungsgrundlage für repressive Maßnahmen: § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW

  • Baueinstellungsverfügung (Stilllegungsverfügung): formelle Illegalität ausreichend
  • Beseitigungsanordnung (Abrissverfügung): formelle und materielle Illegalität notwendig
  • Nutzungsuntersagung: str., ob formelle und materielle Illegalität vorliegen müssen
  • Verfügungen gelten aufgrund dinglicher Wirkung der Baugenehmigung auch gegen Rechtsnachfolger

 
VIII. Drittschutz im Baurecht (s. K/S, § 42 VwGO Rn. 96 ff.)
vgl. hierzu ausführlich unseren Beitrag vom 29.06.2012
1. zwei Klausurkonstellationen: Drittanfechtung einer Baugenehmigung durch Nachbar oder Verpflichtungsklage auf Einschreiten der Bauaufsicht gegen Schwarzbau
2. generell-typisierenden Drittschutz (d.h. unabhängig von einer tatsächlichen persönlichen Betroffenheit) vermitteln folgende Schutznormen:

  • Gebietserhaltungsanspruch: jeder Grundstückseigentümer kann sich innerhalb des von ihm bewohnten Baugebiets i.S.d. BauNVO (auch bei § 34 II BauGB oder § 31 II BauGB!) gegen artfremde Bebauung wehren, also gegen alle Vorhaben, die nicht generell oder ausnahmsweise nach der BauNVO zulässig sind
  • Gebietsprägungserhaltungsanspruch: Drittschutz bei einem Vorhaben, das an sich unter die Regel- oder Ausnahmebebauung der §§ 2 ff. BauNVO subsumiert werden kann, das aber bei generell-typisierender Betrachtungsweise in dem einschlägigen Baugebiet gebietsunverträglich ist, weil es den prägenden Charakter des Baugebiets konterkariert (abzugrenzen von § 15 BauNVO: hier liegt bei genereller Betrachtung Gebietsverträglichkeit vor, aber im Einzelfall gebietsunverträgliches Vorhaben); es geht im Grunde um eine systematisch-teleologische Auslegung der BauNVO Vorschriften, ein Vorhaben mag vom Wortlaut her ausnahmsweise zulässig sein, auch wenn es gebietsunverträglich ist: zB (BVerwG): Dialysezentrum mit 33 Behandlungsplätzen, Zwei-Schicht-Betrieb und regem An- und Abfahrtsverkehr in Wohngebiet trotz § 4 II Nr.3 BauNVO unverträglich
  • § 15 I 1 BauNVO vermittelt allen Bewohnern eines Baugebiets einen Anspruch auf Erhalt des prägenden Gebietscharakters
  • Abstandsflächenregelungen nach BauO

3. einzelfallbezogener Drittschutz (iVm Gebot der Rücksichtnahme):
–> Drittschutz einer Norm (+), wenn in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist.
–> Gebot der Rücksichtnahme ist nicht per se drittschützend, sondern nur iVm einer konkreten Norm; anerkannt ist diese Verknüpfung insbesondere bei

  • § 15 I 2 BauNVO „unzumutbare Störungen oder Belästigungen“ – Unzumutbarkeit ist anhand Abwägungsformel zu bestimmen: „Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, auf den Rücksicht zu nehmen ist, umso mehr kann an Rücksicht verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht der Bauherr Rücksicht zu nehmen“ (BVerwG)
  • § 31 II BauGB „Würdigung nachbarlicher Interessen“
  • § 34 I 1 BauGB „Einfügen“
  • § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB – „Schädliche Umwelteinwirkungen“ –> Rechtsgedanke § 3 BImSchG: schädliche Umwelteinwirkungen sind Immissionen, die geeignet sind, erhebliche Nachteile oder Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen
  • Schutz privilegierter Vorhaben gegen heranrückende Bebauung

 
IX. Prozessuale Besonderheiten

  • notwendige Beiladung (§ 65 II VwGO) bei Nachbarklagen oder bei verweigertem Einvernehmen der Gemeinde gem. § 36 BauGB
  • für Nachbarn läuft idR mangels Bekanntgabe keine Klagefrist, aber Verwirkung denkbar, wenn er sichere Kenntnis vom Vorhaben hätte haben müssen
  • maßgebender Zeitpunkt für Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung ist der Erlass, nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherrn sind aber zu berücksichtigen; maßgebender Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Eingriffsverfügung ist der Abschluss der letzten mündl. Verhandl.
  • § 212a I BauGB stellt  Fall des § 80 II 1 Nr.3 VwGO dar; Nachbar kann vorläufigen Rechtsschutz nach §§ 80a III, 80 V VwGO beantragen
  • bei vereinfachtem Verfahren muss der Nachbar ggf. Anfechtungs- und Verpflichtungsklage kombinieren: Anf.kl. bzgl. drittschützender Normen, die bei der Baugenehmigung geprüft wurden, i.Ü. Verpfl.kl. auf bauaufsichtliches Einschreiten

20.11.2013/15 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2013-11-20 09:00:032013-11-20 09:00:03Grundlagenwissen Baurecht für das Assessorexamen
Dr. Jan Winzen

VG Arnsberg: Borussia Dortmund Fahne darf weiter wehen

Baurecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite

Pünktlich zur neuen Bundesligasaison hat das VG Arnsberg mit Urteil vom 15.07.2013 (8 K 1679/12) die Klage zweier Grundstückseigentümer, gerichtet auf Beseitigung einer auf dem Nachbargrundstück aufgestellte Fahnenstange nebst BVB-Fahne, abgewiesen.
A. Sachverhalt
Der Nachbar hatte zur Fussball Weltmeisterschaft 2010 auf seinem Grundstück einen 5 m hohen Fahnenmast errichtet und die deutsche Flagge gehisst. Im April 2012 ersetzte er die Deutschland-Flagge durch eine 1×2 m große Flagge des Bundesligavereins Borussia Dortmund (BVB). Der Flaggenmast befindet sich im rückwärtigen Bereich des Grundstücks (Garten) in ca. 11,5 m Entfernung von dem Grundstück der Kläger. Der Bebauungsplan weist das streitgegenständliche Gebiet als reines Wohngebiet aus. Die Kläger verfügen hinter ihrem Haus über eine gepflasterte Terrassenanlage. Auf dieser ist ein Fischteich mit stetiger Wasserzu- und abfuhr und damit verbundenem Plätschern angelegt.
Nach erfolgloser Durchführung eines Vorverfahrens begehren die Kläger von der zuständigen Behörde (Beklagte) im Wege der Verpflichtungsklage den Erlass einer an den Nachbarn gerichteten Beseitigungsverfügung. Sie sind der Ansicht, bei der Fahne handele es sich um eine Werbeanlage für den BVB als börsennotiertes Unternehmen, die nicht der Nutzung der Wohngrundstücke diene und im Wohngebiet einen Störfaktor darstelle. Diese sei nicht nur von ihrer Terrasse, sondern auch aus ihrem Wohnzimmer heraus dauernd sichtbar. Außerdem entstünden durch das Schlagen der Fahne im Wind erhebliche Geräusche, die nicht zu akzeptieren seien.
B. Rechtliche Würdigung
Die zulässige Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) ist begründet, wenn den Klägern ein Anspruch auf Einschreiten gegen die Beklagte in Form der Beseitigungsanordnung bezogen auf die auf dem Nachbargrundstück aufgestellte Fahnenstange nebst BVB-Fahne zusteht.
I. Anspruchsgrundlage: § 61 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BauO NRW
Ein solcher Anspruch könnte sich aus § 61 Abs. 1 S. 1 und 2 BauO NRW ergeben.
Danach haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, der Änderung, dem Abbruch, der Nutzung, der Nutzungsänderung sowie der Instandhaltung baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen im Sinne des §§ 1 Abs. 1 S. 2 BauO NRW darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden. Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
II. Prüfungsmaßstab bei Beseitigungsanordnung

  • Die Beseitigung einer genehmigungsbedürftigen baulichen Anlage setzt voraus, dass die Anlage formell und materiell illegal ist, d.h. weder genehmigt worden noch zu irgend einem Zeitpunkt genehmigungsfähig gewesen ist.
  • Handelt es sich um eine nicht genehmigungsbedürftige baulichen Anlage, kommt es allein auf die materielle Illegalität an.
  • Verlangt – wie hier – ein Nachbar die Beseitigung einer baulichen Anlage im Wege des bauaufsichtlichen Einschreitens, reicht die bloße Rechtswidrigkeit der baulichen Anlage freilich nicht aus. Die Rechtswidrigkeit muss sich vielmehr aus einem Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Rechts ergeben.
  • Siehe ausführlich zum Nachbarschutz im Baurecht hier.

III. Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften
Der Fahnenmast  nebst BVB Fahne (bei dem es sich um eine bauliche Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 BauO NRW handelt) müsste gegen nachbarschützende Vorschriften verstoßen.
1. Art der baulichen Nutzung
In dem Umstand, dass der Fahnenmast in einem reinen Wohngebiet (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 3 BauNVO)  errichtet wurde, könnte ein Verstoß gegen die (generell drittschützenden) bauplanungsrechtlichen Festsetzungen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung liegen.
Zur Erinnerung: Das BVerwG billigt jedem Grundstückseigentümer das Recht zu, sich innerhalb des von ihm bewohnten Baugebiets gegen jede artfremde Bebauung zur Wehr zu setzen, unabhängig davon, ob sie ihn tatsächlich beeinträchtigt (sog. Gebietserhaltungsanspruch).
Nach § 3 Abs. 2 BauNVO sind im reinen Wohngebiet nur Wohngebäude zulässig.
a) Fahnenmast kein Gewerbebetrieb
Zunächst handelt es sich bei der Fahnenstange nicht um einen im reinen Wohngebiet unzulässigen Gewerbebetrieb.

Bei der Fahnenstange handelt es sich selbst dann nicht um einen Gewerbebetrieb, wenn diese mit aufgezogener BVB-Fahne rechtlich als Werbeanlage qualifiziert würde. Ein Gewerbebetrieb im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO 1968 liegt hier nicht vor. „Gewerbebetrieb“ im Sinne des § 8 BauNVO ist ein gerichtlich in vollem Umfang überprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff. Ein solches Gewerbe ist jede selbständige, auf Dauer und auf Gewinnerzielung angelegte Tätigkeit. Die Beigeladenen betreiben jedoch mit der am Fahnenmast gehissten Fahne von Borussia Dortmund ganz erkennbar keine selbstständige, auf Dauer und auf Gewinnerzielung angelegte Tätigkeit.

b) Fahnenmast keine Werbeanlage
Sodann kann der Einwand der Kläger, es handele sich bei dem Fahnenmast um eine im Wohngebiet unzulässige Werbeanlage, nicht durchgreifen. Zwar sind Werbeanlagen gemäß § 13 BauNVO in reinen Wohngebieten unzulässig. Selbst wenn es sich bei dem Fahnenmast vorliegend um eine Werbeanlage handeln sollte, kommt es aber nach Ansicht des Gerichts

nicht darauf an, dass gemäß § 13 BauO NRW Werbeanlagen in Wohngebieten unzulässig sind. Denn § 13 BauO NRW entfaltet bezogen auf die Kläger keine nachbarschützende Wirkung. Die darin enthaltenen Verunstaltungsvorschriften dienen dem allgemeinen Interesse an einer einwandfreien Einfügung des Bauwerks in seine Umgebung.

c) Fahnemast = zulässige Nebenanlage
Vielmehr handelt es sich nach Ansicht des Gerichts bei dem Fahnenmast um eine nach § 14 BauNVO zulässige Nebenanlage. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind außer den in den §§ 2 bis 13 genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen.

Der Fahnenmast mit Fahne stellt sich seiner Dimension nach gegenüber dem Wohngebäude als untergeordnet dar. Er dient dem Nutzungszweck des Wohnens, weil er eine nach außen dokumentierte Verbundenheit der Bewohner des Grundstücks mit bestimmten Ereignissen, Hobbys oder ähnlichem dokumentiert. Als solcher ist er auch nur dort sinnvoll, wo sich die Personen regelmäßig aufhält, um hier den nach außen sichtbaren gewünschten Bezug zu erreichen. An einer anderen Stelle aufgebaut und aufgezogen kann dieser Zweck nicht erreicht werden, weil dann der nötige Bezug der gemäß Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützten Meinungsfreiheit sinngemäß dergestalt „Der Fußballverein BVB ist derjenige, dem meine sportliche Verbundenheit und Unterstützung gilt“ nicht hergestellt werden kann. Das ist aber typischerweise beim Wohnhaus der Fall, weil hier ein ersichtlicher Bezug zwischen dem persönlichen Lebensbereich des Vereinsfans und seiner äußeren Meinungsbekundung besteht.

d) Maß der baulichen Nutzung?
Dass der Fahnenmast angesichts seiner Höhe möglicherweise außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen liegt, ist schon deshalb hier nicht beachtlich, weil den Festsetzungen des Bebauungsplans über das Maß der baulichen Nutzung nach hM keine drittschützende Wirkung zugunsten des Nachbarn zukommt. Sie dienen ausschließlich dem öffentlichen Interesse an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung. Gleichwohl verweist das Gericht hilfsweise auch noch auf § 23 Abs. 5 BauNVO, wonach bauliche Nebenanlagen gegebenenfalls auch außerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche zulässig sind.

Als bauliche Nebenanlage ist die Anlage gemäß § 23 Abs. 5 BauNVO auch gegebenenfalls außerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche zulässig. Im Übrigen entfalten Regelungen über die überbaubaren Grundstücksflächen auch keine nachbarschützende Wirkung zugunsten der Kläger.

2. § 15 Abs. 1 Satz 2 NauNVO i.V.m. dem Gebot der Rücksichtnahme
Abschließend prüft das Gericht einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Drittschutz folgt allerdings nach heute überwiegender Meinung nicht aus dem Rücksichtnahmegebot selbst, sondern stets aus einer einfach-gesetzlichen Norm als dessen Ausprägung. Dass das Gericht vorliegend insoweit prüft, ob von dem Fahnenmast für die Kläger keine für diese unzumutbaren Beeinträchtigungen ausgehen, deutet auf die materielle Prüfung des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO als einfachgesetzliche Ausprägung des Rücksichtnahmegebots hin.
Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme (objektiv-rechtlich) begründet, hängt – nach st. Rspr. des BVerwG – wesentlich von den jeweiligen Umständen ab.

Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, um so mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen.

Gemessen daran ergibt sich ein Anspruch der Kläger auf Beseitigung des Fahnenmasts auch nicht aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO i.V.m. demRücksichtsnahmegebot. Weder der Umstand, dass die BVB-Fahne gerade bei Nässe und starkem Wind nicht unerhebliche Geräusche verursacht, noch der Blick auf die flatternde Fahne begründen nach der Abwägung des Gerichts eine unzumutbare Beeinträchtigung der Kläger. Zu Lasten der Kläger berücksichtigt das Gericht dabei auch, dass auch ihr Grundstück angesichts des plätschernden Teichs nicht immissionsneutral ausgestaltet ist.

Insofern ist den Klägern, was auch die Beigeladenen einräumen, zuzugeben, dass die Fahne, gerade bei Nässe verbunden mit starkem Wind nicht unerhebliche Geräusche verursacht (…) Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beigeladenen sowohl schriftsätzlich als auch mündlich im Rahmen des Erörterungstermins glaubhaft versichert haben, die jeweiligen Fahnen bei stürmischer Wetterlage und starkem Wind auch aus eigenem Interesse einzuholen. Sofern sie dies gelegentlich aufgrund vorübergehender Abwesenheit verabsäumen, gehen die von der Fahne ausgehenden Beeinträchtigungen nach Auffassung der Kammer jedoch nicht über das im nachbarlichen Austauschverhältnis zumutbare Maß hinaus und verpflichten die Beklagte insbesondere nicht, im bauordnungsrechtlichen Verfahren die Beseitigung anzuordnen.
(…)
Im diesem Zusammenhang ist insbesondere auch von Bedeutung, dass die Fahnenstange in einer Entfernung von über 10 Metern zum Grundstück der Kläger hin angebracht sind. Sofern diese darauf verweisen, die Fahne tauche immer wieder in ihrem Blickwinkel auf, wenn sie im Wohnzimmer in ihren Sitzmöbeln säßen und dadurch sei insbesondere auch ein ungestörtes Fernsehen nicht möglich, stellt das Flattern der Fahne in Richtung des Grundstücks der Kläger keine gegen öffentlich-rechtliche Bestimmungen verstoßende, für diese unzumutbare und nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung dar. Zunächst weht der Wind im T. nicht ständig mit hoher Windstärke und wenn er weht, geschieht dies auch nicht immer aus westlicher Richtung, so dass die Fahne in Richtung des Grundstücks der Kläger flattert. Es handelt sich daher bei dem Flattern um eine nur gelegentlich auftretende Einwirkung auf das Grundstück der Kläger. Auch bei Wohngrundstücken müssen aber gewisse, gelegentlich auftretende und von Nachbargrundstücken ausgehende Beeinträchtigungen hingenommen werden, sofern diese – wie hier – mit der Wohnnutzung in Zusammenhang stehen. Dazu gehören neben Lebensäußerungen der Bewohner auch bei der Gartennutzung etwa auch gelegentliche Geräusche, die bei der Gartenpflege, zum Beispiel durch Rasenmäher, entstehen. Über solche gelegentliche Beeinträchtigungen gehen die von dem Fahnenmast verursachten Immissionen auf dem Grundstück der Kläger aber selbst ihrem eigenen Vorbringen zufolge nicht hinaus.
(…)
Dabei berücksichtigt das Gericht auch, dass auch der rückwärtige Grundstücksbereich der Kläger keineswegs vollkommen immissionsneutral gestaltet ist. Dort haben diese nämlich einen Teich angelegt, der durch dauernden Wasserzu- und -abfluss ein stetig plätscherndes Geräusch erzeugt, das auch auf den Nachbargrundstücken – insbesondere nachts – wahrnehmbar sein dürfte.

Im Ergebnis ist die Klage daher mangels eines Verstoßes des Fahnenmasts gegen nachbarschützende Vorschriften unbegründet.
C. Fazit
Ein Fall mit populärem Bezug ohne größere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten. Gerade deshalb aber als Aufhänger für ein baurechtliches Prüfungsgespräch nicht uninteressant. Die Genehmigungsfreiheit der baulichen Anlage wird in den Entscheidungsgründen übrigens gar nicht angesprochen, dürfte sich aber entsprechend des Vortrags der Beklagten im Vorverfahren aus § 65 Abs. 1 Nr. 22 BauO NRW ergeben. Im Rahmen der Abwägung muss man argumentieren. Da die von der Fahne ausgehenden Immissionen nicht über das Maß der Beeinträchtigung anderer im Nachbarschaftverhältnis üblicher Immissionen (Rasenmähen) hinausgehen und die Nachbarn außerdem glaubhaft ihre Bereitschaft bekundet haben, die Fahne einzuholen, wenn mit außergewöhnlichen starken Immissionen zu rechnen ist (Sturm, Gewitter), fällt die Abwägung hier zu Lasten der Kläger aus. Dies könnte natürlich im Einzelfall auch anders sein.
Für die Assessorklausur ist zu beachten, dass die Nachbarn durch das Gericht beigeladen wurden. Da sie keinen Antrag gestellt haben und deshalb keinem Kostenrisiko ausgesetzt waren (§ 154 Abs. 3 VwGO), sind etwaige aussergerichtliche Kosten für sie auch nicht erstattungsfähig (§ 162 Abs. 3 VwGO). Das ist im Kostentenor deutlich zu machen („Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen“).
Sehr instruktiv zum baurechtlichen Nachbarschutz ist im Übrigen der zweitplatzierte Beitrag aus unserem Aufsatzwettberwerb des vergangenen Jahres.
 
 

28.07.2013/1 Kommentar/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2013-07-28 09:00:282013-07-28 09:00:28VG Arnsberg: Borussia Dortmund Fahne darf weiter wehen
Gastautor

Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht

Baurecht, Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht

Wir freuen uns, heute erneut einen Gastbeitrag von David Ullenboom veröffentlichen zu können. David ist zur Zeit Rechtsreferendar am LG Münster und hat auch schon sehr erfolgreich (2. Platz) an unserem Aufsatzwettbewerb teilgenommen.
Hinweis: Wie ihr seht, handelt es sich um einen sehr langen Beitrag, der das Problem des Nachbarschutzes sehr ausführlich und unter allen Aspekten behandelt. Natürlich müsst ihr den Beitrag nicht am Monitor lesen, denn wir haben – wie ihr vielleicht schon wisst – ganz am Ende die print-Funktion durch die ihr den Eintrag als pdf speichern und auch eine entsprechende Version drucken könnt.
I. Einführung
Öffentliches Baurecht, insbesondere das Bauplanungsrecht nach dem BauGB, spielt in den Klausuren zum Ersten und Zweiten Staatsexamen eine große Rolle. Ein Großteil der Examensklausuren im öffentlichen Recht sind Klausuren aus dem Bereich des Bau(planungs)rechts. Hintergrund des hohen Anteils an Baurechtsrechtsklausuren in den Staatsprüfungen mag u. a. sein, dass das Bauplanungsrecht im BauGB bundeseinheitlich geregelt ist und deshalb die Möglichkeit eröffnet, die Klausuren bundesweit als Aufsichtsarbeiten zu stellen. Dadurch unterscheidet sich dieses Rechtsgebiet insbesondere von den anderen Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts in den Staatsexamina, welches überwiegend in die Zuständigkeit der Länder fällt (Polizei- und Ordnungsrecht, Kommunalrecht). Obwohl im Ersten und Zweiten Staatsexamen in NRW das Baurecht vom Prüfling nur „im Überblick“, d. h. in seinen gesetzlichen Grundstrukturen ohne vertieftes Wissen von Rechtsprechung und Literatur, beherrscht werden muss (§§ 11 II Nr.13 c), IV, 52 I 1 Nr.1 JAG NRW), verlangt eine typische Examensklausur aus dem Baurecht dem Kandidaten in der Examenswirklichkeit doch einiges an „Detailwissen“ ab. Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht ist vor diesem Hintergrund seit jeher ein absoluter Examens-Klassiker. Die Rechtsprechung des BVerwG wurde in diesem Bereich in den letzten Jahrzenten zunehmend ausdifferenziert. Dabei lässt sich ein Trend „hin zu einem Mehr an Nachbarschutz“ ausmachen. Während das BVerwG das Bauplanungsrecht zunächst als rein objektives Städtebaurecht einordnete, das allein dem öffentlichen Interesse an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung diene, hat das höchste deutsche Verwaltungsgericht diese Rechtsauffassung sukzessive aufgegeben und in der Folge immer mehr Vorschriften des BauGB drittschützende Wirkung zuerkannt (vgl. etwa Gaentzsch, ZfBR 2009, 321).
II. Klausurkonstellationen
Die Frage des Drittschutzes im öffentlichen Baurecht stellt sich in Examensklausuren insbesondere in zwei Konstellationen:
– Der Bauherr B erhält antragsgemäß von der Bauaufsichtsbehörde eine Baugenehmigung. Der Nachbar N erhebt Anfechtungsklage gegen die dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung. Die Anfechtungsklage ist nur zulässig, wenn N geltend machen kann, möglicherweise in einem subjektiven öffentlichen Recht verletzt zu sein (§ 42 II VwGO). Die Anfechtungsklage des N ist gem. § 113 I 1 VwGO nur begründet, wenn die Erteilung der Baugenehmigung gegen den Schutz des Nachbarn bezweckende Baurechtsnormen verstößt.
– Der Bauherr B baut ohne Baugenehmigung oder außerhalb einer erteilten Baugenehmigung („Schwarzbau“). Der Nachbar N erhebt Verpflichtungsklage gegen die Bauaufsichtsbehörde auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen den Schwarzbau. Die Verpflichtungsklage ist nur zulässig, wenn der N geltend macht, einen Anspruch auf behördliches Einschreiten aus einer drittschützenden EGL der Behörde zu haben (§ 42 II VwGO). Die Klage ist nur begründet, wenn dieser Anspruch tatsächlich besteht (§ 113 V VwGO).
III. Drittschützende Normen im Baurecht
Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Arten von drittschützenden Normen unterscheiden. Zum einen gibt es drittschützende Normen, die den Nachbarn unabhängig von einer tatsächlichen persönlichen Betroffenheit schützen (generell-typisierender Drittschutz). Zum anderen gibt es solche drittschützenden Normen, die erst im Falle einer tatsächlichen (unzumutbaren) persönlichen Betroffenheit tangiert sind (einzelfallbezogener Drittschutz). Zur ersten Gruppe gehört insbesondere der sog. „Gebietserhaltungsanspruch“ hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung im Bebauungsplangebiet, unter die zweite Gruppe fallen insbesondere die einfachgesetzlichen Ausprägungen des sog. „Rücksichtnahmegebots“. Davon wird noch genauer die Rede sein.
1. generell-typisierender Drittschutz
Einige Normen des öffentlichen Baurechts vermitteln Drittschutz unabhängig von einer tatsächlichen persönlichen Betroffenheit. Der Hintergrund eines derartigen generell-typisierenden Drittschutzes wird überwiegend in Folgendem gesehen: Das Eigentum an einem Grundstück wird grds. nicht grenzenlos gewährt. Vielmehr ist der Gesetzgeber ermächtigt, Inhalt und Schranken des Eigentums durch einfachgesetzliche Bestimmungen festzulegen (Art. 14 I 2 GG). Wenn nun aber der Eigentümer eines Grundstücks in einem bestimmten Baugebiet in der Nutzung seines Grundstücks durch öffentlich-rechtliche Vorschriften beschränkt wird, dann soll er die Einhaltung derartiger (beschränkender) Vorschriften wenigstens auch von den anderen Grundstückseigentümern im selben Baugebiet verlangen können. Insofern bilden alle Grundstückseigentümer in einem Baugebiet eine „Schicksalsgemeinschaft“. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom „nachbarschaftlichen Austauschverhältnis“ (vgl. zum Ganzen BVerwG NJW 1994, 1548).
a) „Gebietserhaltungsanspruch“
1. Durch die Festsetzung der in § 1 II BauNVO genannten Baugebiete (z. B. allgemeines Wohngebiet [WA], Mischgebiet [MI] oder Gewerbegebiet [GE]) in einem Bebauungsplan, werden die diesbezüglichen Vorschriften der §§ 2 ff. BauNVO kraft Gesetzes gem. § 1 III 2 BauNVO Bestandteil des B-Plans. Die § 2 ff. BauNVO sind dabei überwiegend jeweils gleich strukturiert. Im jeweiligen Absatz 1 wird der Zweck bzw. Charakter des jeweiligen Baugebiets festgelegt. Im jeweiligen Absatz 2 findet sich die allgemein zulässige Bebauung (sog. „Regelbebauung“). Im jeweiligen Absatz 3 schließlich regelt die BauNVO die ausnahmsweise zulässige Bebauung (sog. „Ausnahmebebauung“). Wenn § 30 I BauGB nun davon spricht, dass ein Bauvorhaben zulässig ist, wenn es „den Festsetzungen des B-Plans nicht widerspricht“, so bedeutet dies, dass das Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung zulässig ist, wenn es dem Absatz 2 des einschlägigen Baugebiets nach den §§ 2 ff. BauNVO entspricht, also einem der dort aufgeführten Gebäude und Anlagen zugeordnet werden kann (z. B. Zulässigkeit eines Wohngebäudes im allgemeinen Wohngebiet gem. § 4 II Nr.1 BauNVO). Denn der jeweilige Absatz 2 der §§ 2 ff. BauNVO ist ja, wie oben bereits ausgeführt, kraft Gesetzes Bestandteil des B-Plans geworden.
Wenn demgegenüber § 31 I BauGB davon spricht, dass von den Festsetzungen des B-Plans solche Ausnahmen zugelassen werden können, welche „in dem B-Plan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind“, so ist dies ein Verweis auf die Ausnahmebebauung der jeweiligen Absätze 3 der §§ 2 ff. BauNVO. Denn da die BauNVO kraft Gesetzes Bestandteil des B-Plans geworden ist, ist die in den Absätzen 3 der BauNVO vorgesehene Ausnahmebebauung eben eine solche, die der B-Plan ausdrücklich vorsieht.
Vorhaben hingegen, die weder unter die Tatbestände der Regelbebauung noch unter die der Ausnahmebebauung subsumiert werden können, können nur unter den sehr strengen Voraussetzungen des § 31 II BauGB zugelassen werden (sog. „Dispens“).
2. Das BVerwG hat nun jedem Grundstückseigentümer ausdrücklich das Recht zuerkannt, sich innerhalb des von ihm bewohnten Baugebiets gegen jede artfremde Bebauung zu wehren, unabhängig davon, ob sie ihn tatsächlich beeinträchtigt (sog. „Gebietserhaltungsanspruch“). Seine Grundlage hat der Gebietserhaltungsanspruch im „nachbarlichen Austauschverhältnis“ und im Gedanken der „Schicksalsgemeinschaft“ (vgl. bereits oben). Der Nachbar eines Baugebiets kann sich also gegen jedes Vorhaben in seinem Baugebiet zur Wehr setzen, das weder Regel- noch Ausnahmebebauung nach der BauNVO ist. Der Gebietserhaltungsanspruch ist aber begrenzt auf das jeweilige Baugebiet, gebietsübergreifenden Rechtsschutz auch in Bezug auf benachbarte Baugebiete vermittelt er hingegen nicht.
b) „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“
1. Vom „Gebietserhaltungsanspruch“ streng zu unterscheiden ist der sog. „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“. Der Gebietsprägungserhaltungsanspruch ist ein noch vergleichsweise junges Rechtsinstitut, welches vom BVerwG insbesondere in zwei Entscheidungen aus den Jahren 2002 und 2008 entwickelt wurde (NVwZ 2002, 118; NVwZ 2008, 786). Im Unterschied zum Gebietserhaltungsanspruch beschreibt der Gebietsprägungserhaltungsanspruch folgendes Phänomen: Ein Vorhaben, dass an sich unter die Regel- oder Ausnahmebebauung der §§ 2 ff. BauNVO subsumiert werden kann (deshalb greift der Gebietserhaltungsanspruch nicht ein!) ist bei generell-typisierender Betrachtungsweise in dem einschlägigen Baugebiet gebietsunverträglich, weil es den prägenden Charakter des Baugebiets konterkariert. Bei oberflächlicher Betrachtungsweise könnte man versucht sein, den Gebietsprägungserhaltungsanspruch mit der Regelung in § 15 I 1 BauNVO gleichzusetzen, die ebenfalls davon spricht, dass ein nach den §§ 2 ff. BauNVO grundsätzlich zulässiges Vorhaben im Einzelfall unzulässig ist, wenn es der Eigenart des Baugebiets widerspricht. Der Gebietsprägungserhaltungsanspruch muss aber auch zu § 15 I 1 BauNVO abgegrenzt werden, keinesfalls sind beide Regelungskomplexe gleichzusetzen. Während nämlich der Gebietsprägungserhaltungsanspruch ein Vorhaben betrifft, dass bereits nach genereller und typisierender Betrachtungsweise in dem jeweiligen Baugebiet gebietsunverträglich ist, meint § 15 I 1 BauNVO den Fall, dass ein Bauvorhaben zwar nach abstrakt-typisierender Anschauung dem Gebietscharakter nicht widerspricht (deshalb greift der Gebietsprägungserhaltungsanspruch nicht ein!), aber dennoch im konkreten Einzelfall gebietsunverträglich ist. Der Gebietsprägungserhaltungsanspruch ist der Regelung des § 15 I 1 BauNVO also logisch vorgeschaltet (sehr ausführlich z. B. Decker, JA 2007, 55).
2. Hinter dem „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ steht folgende Idee: Bei den in den Absätzen 2 und 3 der §§ 2 ff. BauNVO aufgeführten Gebäuden und Anlagen handelt es sich um in hohem Maße unbestimmte Rechtsbegriffe. Z. B. umfasst der Begriff der „Anlage zu gesundheitlichen Zwecken“ in § 4 II Nr.3 BauNVO nach seinem Wortlaut sowohl die kleine Praxisgemeinschaft niedergelassener Ärzte als auch das Krankenhaus mit 100 Krankenhausbetten. Zudem wird der Begriff der „Anlage zu gesundheitlichen Zwecken“ auch noch in den Vorschriften anderer Baugebiete aufgegriffen (z. B. § 6 II Nr.5 für „Mischgebiete“ und § 8 III Nr.2 für „Gewerbegebiete“) und kann wegen der erheblichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Baugebieten unmöglich überall im gleichen Sinne verstanden werden. Da allein der „Feinfilter“ des § 15 I 1 BauNVO, der immer erst bei einzelfallbezogener Gebietsunverträglichkeit eingreift, dem Interesse der Bewohner des Baugebiets an einer Wahrung des prägenden Gebietscharakters nicht gerecht wird, hat das BVerwG einen „Grobfilter“ in Form des Gebietsprägungserhaltungsanspruchs vorgeschaltet.
Hierbei werden die in den Absätzen 2 und 3 der §§ 2 ff. BauNVO jeweils genannten Gebäude und Anlagen in Beziehung zu dem jeweiligen Absatz 1 der Vorschrift gesetzt, welcher eine allgemeine Charakterisierung bzw. Zweckrichtung des Baugebiets enthält. Beispielsweise dienen allgemeine Wohngebiete gem. § 4 I BauNVO vorwiegend dem Wohnen. Bauvorhaben, die bereits nach generell-typisierender Betrachtungsweise geeignet sind, die Wohnruhe im allgemeinen Wohngebiet erheblich zu stören und deshalb gebietsunverträglich sind, können also mit dem Gebietsprägungserhaltungsanspruch von den Bewohnern dieses Baugebiets abgewehrt werden. Ein Dialysezentrum mit 33 Behandlungsplätzen, Zwei-Schicht-Betrieb und regem An- und Abfahrtsverkehr, welches eine erhebliche Unruhe in das Wohngebiet hineinträgt, ist deshalb beispielsweise in einem allgemeinen Wohngebiet (obwohl gem. § 4 II Nr.3 BauNVO grds. zulässig) gebietsunverträglich (BVerwG NVwZ 2008, 786).
c) § 15 I 1 BauNVO
§ 15 I 1 vermittelt allen Bewohnern eines Baugebiets einen Anspruch auf Erhalt des prägenden Gebietscharakters. Vorhaben, die zwar an sich nach den §§ 2 ff. BauNVO regelhaft oder ausnahmsweise zulässig sind, können von den Baugebietsnachbarn abgewehrt werden, wenn sie im Einzelfall nach Lage, Umfang, Anzahl oder Zweckbestimmung dem prägenden Gebietscharakter widersprechen. § 15 I 1 BauNVO ist insofern weiter als § 15 I 2 BauNVO, als er keine unzumutbare persönliche Betroffenheit voraussetzt. Er ist auf der anderen Seite enger, weil er nur die Bewohner des betroffenen Baugebiets schützt, nicht aber die Bewohner benachbarter Baugebiete (kein plangebietsübergreifender Nachbarschutz; vgl. Stuer, Der B.Plan, Rn. 917). § 15 I 1 BauNVO kommt aber erst zum Zuge, wenn das Vorhaben nicht bereits nach generell-typisierender Betrachtungsweise gebietsunverträglich ist (dann greift vorrangig der „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ ein, s. oben).

d) „faktisches Baugebiet“, § 34 II BauGB
Im „faktischen Baugebiet“ nach § 34 II BauGB besteht hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung genau derselbe Drittschutz wie im Bebauungsplangebiet (BVerwG NJW 1994, 1546). D. h. entspricht die nähere Umgebung eines Bauvorhabens im Innenbereich einem der Baugebiete nach der BauNVO, so stehen dem Nachbar ebenso wie im beplanten Innenbereich der „Gebietserhaltungsanspruch“, der „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ und § 15 I BauNVO zur Seite.
e) Maß der baulichen Nutzung, Bauweise, überbaubare Grundstücksflächen
Während es oben um die Festsetzungen des B-Plans über die Art der baulichen Nutzung ging, stellt sich die Frage, ob auch die Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung (§§ 16 ff. BauNVO), die Bauweise und die überbaubaren Grundstücksflächen (§§ 22 ff. BauNVO) Drittschutz entfalten können.
1. Nach h. M. entfalten die Festsetzungen des B-Plans über das Maß der baulichen Nutzung grds. keine drittschützende Wirkung zugunsten des Nachbarn, da sie ausschließlich dem öffentlichen Interesse an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung dienen sollen. Ausnahmsweise haben aber auch Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung drittschützende Wirkung, wenn der Drittschutz im B-Plan von der planenden Gemeinde ausdrücklich festgeschrieben wird (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 68 f.). Möglich ist eine Geltendmachung der drittschützenden Wirkung des Maßes der baulichen Nutzung – trotz Einhaltung der Abtsandsflächen nach § 6 BauO NW- auch in denjenigen Ausnahmefällen, in denen dem Bauvorhaben eine „erdrückende Wirkung“ zukommt und dem Nachbarn ein Gefühl des „Eingemauertseins“ vermittelt und ihm die „Luft zum Atmen nimmt“ (sog. „Gefängnishofsituation“; Thiel, AL 2012, 179). Diese sehr enge Ausnahme ist dann wiederum Ausdruck des Rücksichtnahmegebots. In derartigen Ausnahmefällen dient dann im Bebauungsplangebiet ausnahmsweise § 15 I 1 BauNVO (der an sich nur für die Art der baulichen Nutzung gilt!) als Einfallstor für das Gebot der Rücksichtnahme (vgl. dort Merkmal „Umfang“ des Vorhabens). Denn die Rechtsprechung geht davon aus, dass in derartigen Fällen „Quantität in Qualität umschlägt“, d. h. dass ausnahmsweise die Größe einer Anlage die Art der baulichen Nutzung tangiert (vgl. zum Ganzen BVerwG, NVwZ 1995, 900). Im unbeplanten Innenbereich kann die „erdrückende Wirkung“ rücksichtsloser Vorhaben über § 34 I 1 BauGB („Einfügen“) im Außenbereich über § 35 III 1 (ungeschriebener „öffentlicher Belang“!) geltend gemacht werden.
2. Die Festsetzung einer offenen Bauweise wird überwiegend als drittschützend angesehen, der Festsetzung einer geschlossenen Bauweise wird Drittschutz hingegen überwiegend versagt (Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 70 f.). Die Festsetzungen über die überbaubaren Grundstücksflächen gem. § 23 BauNVO (Baulinien, Baugrenzen, Bautiefen) sind nur dann nachbarschützend, wenn sie (ähnlich wie die Abstandsflächenregelung des § 6 BauO NRW) die ausreichende Licht- und Luftzufuhr zum Nachbargrundstück bezwecken (Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 72). Allerdings sollte man hier Vorsicht walten lassen: Die Tatsache, dass z. B. seitliche und hintere Baugrenzen in rein tatsächlicher Hinsicht eine ähnliche Wirkung wie die Abstandsflächenregelungen in den Landesbauordnungen der Länder haben, lässt noch keinen Rückschluss auf deren nachbarschützende Wirkung zu. Insofern handelt es sich dann nämlich zunächst um einen reinen Rechtsreflex. Entscheidend ist, ob der Gesetzgeber diese tatsächlichen Wirkungen der Festsetzungen auch bezweckt hat.
f) Bauordnungsrecht: insbesondere Abstandsflächenregelung
Im Bauordnungsrecht entfalten insbesondere die Abstandsflächenregelungen in den jeweiligen Bauordnungen der Länder drittschützende Wirkung (z. B. § 6 BauO NRW). Die Abstandsflächenregelungen haben nämlich insbesondere den Zweck, das Nachbargrundstück vor einer Verschattung zu schützen und die Zufuhr mit Licht und Luft sicherzustellen. Zudem soll einem zu schnellen Übergreifen von Bränden auf Nachbarhäuser vorgebeugt werden (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 103. Ergänzungslieferung 2012, § 22 BauNVO Rn. 37). Die Abständsflächenregelungen schützen den Nachbarn wiederum unabhängig von einer tatsächlichen Beeinträchtigung. D. h. der Nachbar kann die Einhaltung der Abstandsflächen im Verhältnis zum Angrenzer unabhängig davon verlangen, ob es z. B. tatsächlich zu einer Verschattung seines Grundstücks kommt. Hintergrund ist hier aber nicht das nachbarschaftliche Austauschverhältnis und der Gedanke der Schicksalsgemeinschaft, sondern vielmehr die Tatsache, dass der Gesetzgeber die abstrakte Gefahr eines Nutzungskonflikts der benachbarten Grundstücke im Rahmen einer generellen Interessenabwägung einer gesetzlichen Lösung zugeführt hat.
2. einzelfallbezogener Drittschutz
Es gibt des Weiteren drittschützende Normen des öffentlichen Baurechts, die immer erst dann tangiert sind, wenn der rechtsschutzsuchende Nachbar tatsächlich und unzumutbar in seinen Rechten betroffen ist. Derartiger einzelfallbezogener Drittschutz begegnet insbesondere in Form einfachgesetzlicher Ausprägungen des sog. „Rücksichtnahmegebots“.

a) Das Gebot der Rücksichtnahme
1. Auch das Rücksichtnahmegebot ist ein „Kind des Bundesverwaltungsgerichts“. Das Rücksichtnahmegebot ist dabei zunächst ein objektiv-rechtliches Rechtsinstitut. Als so verstandener objektiv-rechtlicher Rechtssatz ist das Rücksichtnahmegebot an sich eine Selbstverständlichkeit: Die Baufaufsichtsbehörde ist bei der Entscheidung über die Erteilung einer Bauerlaubnis verpflichtet, die Interessen des Bauherrn und des Nachbarn gerecht gegeneinander abzuwägen. Da die Exekutive im Verhältnis zum Bauherrn und zum Nachbarn an die Grundrechte gebunden ist (Art. 1 III GG, 20 III GG) und durch die Erteilung oder Versagung einer Bauerlaubnis in das Eigentumsgrundrecht des Nachbarn oder des Bauherrn aus Art. 14 I 1 GG eingegreift, muss die Bauaufsichtsbehörde diese widerstreitenden Interessen grundsätzlich zu einem möglichst schonenden Ausgleich bringen. Insofern ist das Rücksichtnahmegebot eine spezielle Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. etwa Battis/Krautzberger/Löhr, § 1 Rn. 122).
2. Das Rücksichtnahmegebot hat aber auch eine subjektiv-rechtliche Komponente. Das Rücksichtnahmegebot darf dabei zunächst nicht als übergesetzliches, losgelöst von gesetzlichen Vorschriften existierendes Prinzip missverstanden werden. Es folgt insbesondere nicht aus Art. 14 I GG. Der Gesetzgeber hat in den §§ 29 ff. BauGB Inhalt und Schranken des Eigentums iSv Art. 14 I 2 GG abschließend festgelegt (Inhalts- und Schrankenbestimmung). Durch den Rückgriff des Tatrichters auf vermeintliche vor-rechtliche Prinzipien, würde die Werteentscheidung des Gesetzgebers unterlaufen und das Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 III GG) verletzt. Das Gebot der Rücksichtnahme ist vielmehr immer nur insoweit von Bedeutung, als es Ausdruck in einer konkreten einfach-gesetzlichen Rechtsnorm gefunden hat.  Drittschutz folgt also nicht aus dem Rücksichtnahmegebot, sondern aus einer einfach-rechtlichen Norm, mag diese auch eine Ausprägung des Rücksichtnahmegebots sein. Insofern ist das Rücksichtnahmegebot eine Art „Einfallstor“ für den Drittschutz baurechtlicher Normen, vergleichbar den zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 134, 138 BGB. Hinter dem „Rücksichtnahmegebot“ verbirgt sich letztlich nichts anderes als eine Art „Auslegungshilfe“ bzw. „Auslegungsregel“ in Bezug auf einfach-gesetzliche Normen des Baurechts (vgl. zum Ganzen Gaentzsch, ZfBR 2009, 324). Auslegungshilfe ist es dabei sowohl im Hinblick auf das „Ob“ des Drittschutzes als auch hinsichtlich des „Wie“ des Drittschutzes:
– „Ob“ des Drittschutzes: Zunächst wird das Rücksichtnahmegebot für die Frage herangezogen, ob eine bestimmte Baurechtsvorschrift überhaupt Drittschutz vermittelt. Das BVerwG hat dabei mehrfach entschieden, dass eine Vorschrift des öffentlichen Baurechts nur dann drittschützende Wirkung entfaltet, wenn sie deutlich macht, „dass in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schützwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist“ (zuletzt etwa BVerwG JuS 2004, 173). Mit anderen Worten: Eine Norm ist dann drittschützend, wenn die Auslegung ergibt, dass auf einen abgrenzbaren Personenkreis in besonderer Weise Rücksicht genommen werden soll. In dieser Funktion ist das Rücksichtnahmegebot nichts anderes als eine spezielle Ausprägung der „Schutznormtheorie“ im Baurecht.
– „Wie“ des Drittschutzes: Sodann wird das Rücksichtnahmegebot weiterhin herangezogen, um das Maß des Drittschutzes zu ermitteln. Dabei reicht für die Verletzung von Baurechtsnormen, deren drittschützende Wirkung anhand der „Lehre vom Rücksichtnahmegebot“ festgestellt wurde, nicht bereits jede Beeinträchtigung nachbarlicher Interessen, erforderlich ist vielmehr eine unzumutbare Beeinträchtigung. Das BVerwG hat das so formuliert: „Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, auf den Rücksicht zu nehmen ist, umso mehr kann an Rücksicht verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht der Bauherr Rücksicht zu nehmen“ (BVerwG NVwZ 1993, 1185).  Der Sache nach handelt es sich dabei um eine umfassende Interessenabwägung zwischen den Interessen des Bauherrn an der Bebauung seines Grundstücks und den Interessen des Nachbarn an der ungestörten Nutzung seines Eigentums. Zu berücksichtigen sind bei der Interessenabwägung insbesondere bereits bestehende Vorbelastungen (z. B. bereits vorhandene Lärmquellen).
b) § 15 I 2 BauNVO
Eine wichtige einfachgesetzliche Ausprägung des Rücksichtnahmegebots ist die Regelung des § 15 I BauNVO (sog. „Feinfilter“). Hierbei sollte man grds. zwischen der Regelung des § 15 I 1 BauNVO (dazu bereits oben) und des § 15 I 2 BauNVO unterscheiden. Beide Regelungen setzen ein Bauvorhaben im Bebauungsplangebiet oder im faktischen Baugebiet (§ 34 II BauGB) voraus, welches an sich den §§ 2 ff. BauNVO entspricht, aber im Einzefall gebietsunverträglich ist. § 15 I 1 BauNVO greift wie bereits oben erläutert nicht erst bei unzumutbarer persönlicher Betroffenheit, sondern gibt den Bewohnern eines Baugebiets im Zusammenspiel mit dem sog. „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ einen allgemeinen Anspruch auf Erhalt des prägenden Charakters eines Baugebiets.
Durch das Tatbestandsmerkmal der „unzumutbaren Störungen und Belästigungen“ in § 15 I 2 BauNVO macht die Regelung deutlich, dass auf die Interessen der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet oder in benachbarten Baugebieten besondere Rücksicht zu nehmen ist. Unterscheiden muss man bei § 15 I 2 die 1. Alternative (= Bauvorhaben wird Störer) und die 2. Alternative (= Bauvorhaben wird störanfällig). Durch die Wendung „im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung“ macht das Gesetz deutlich, dass nicht nur die Grundstückseigentümer des betroffenen Baugebiets, sondern auch die Nachbarn benachbarter Baugebiete in den Schutzbereich des § 15 I 2 BauNVO einbezogen sind. § 15 I 2 BauNVO eröffnet damit insbesondere die Möglichkeit plangebietsübergreifenden Drittschutzes! Soweit die Störungen und Belästigungen des Vorhabens über das Baugebiet hinaus in benachbarte Baugebiete ausstrahlen, können sich auch die Plangebietsnachbarn zur Wehr setzen. Andererseits ist § 15 I 2 BauNVO erst dann verletzt, wenn die Belästigungen die Zumutbarkeitsschwelle überschreiten. Dies ist insbesondere anhand der Abwägungsformel des BVerwG zu bestimmen (vgl. oben). § 15 I 2 BauNVO stellt damit insgesamt recht hohe Hürden auf.
c) Dispens gem. § 31 II BauGB
Beim bauplanungsrechtlichen Dispens gem. § 31 II BauGB muss man unbedingt zwei Fälle unterscheiden. Bei einer Befreiung von nachbarschützenden Vorschriften, insbesondere von den Vorgaben für die Art der baulichen Nutzung gem. §§ 2 ff. BauNVO, vermittelt § 31 II BauGB immer und uneingeschränkt Drittschutz. Denn insbesondere bei einem Dispens von den §§ 2 ff. BauNVO wird der „Gebietserhaltungsanspruch“ des Nachbarn tangiert, der sich unabhängig von einer persönlichen Betroffenheit gegen jede artfremde Bebauung wehren kann.
Bei einem Dispens von nicht nachbarschützenden Vorschriften bietet § 31 II BauGB nur Drittschutz nach Maßgabe des Rücksichtnahmegebots. Das Tatbestandsmerkmal der „Würdigung nachbarlicher Interessen“ gem. § 31 II a. E. BauGB macht hierbei deutlich, dass die betroffenen Baugebietsnachbarn in besonderer Weise geschützt werden sollen. Eine Verletzung drittschützender Vorschriften ist in diesen Fällen erst gegeben, wenn die nachbarlichen Interessen in unzumtbarer Weise beeinträchtigt werden. Auch dies bemisst sich wiederum anhand der Abwägungsformel des BVerwG (s. oben.).
d) Merkmal „Einfügen“ iSv § 34 I 1 BauGB
Das BVerwG hat im Merkmal des „Einfügens“ iSv § 34 I 1 BauGB mithilfe der Auslegungsregel des Rücksichtnahmegebots die drittschützende Wirkung dieser Vorschrift erkannt. Ein Bauvorhaben „fügt“ sich danach nur dann in die vorhandene Umgebungsbebauung ein, wenn es die gebotene Rücksicht auf die bereits vorhandene Nachbarbebauung nimmt (Battis/Krautzberger/Löhr, § 34 Rn. 17). Das wird auch durch die Regelung über den Dispens von dem Erfordernis des „Einfügens“ in § 34 IIIa Nr.3 BauGB deutlich, der von der „Würdigung nachbarlicher Interessen“ spricht.
e) „Schädliche Umwelteinwirkungen“ iSv § 35 III 1 Nr.3
Der drittschützende Charakter des § 35 BauGB kann mithilfe des Rücksichtnahmegebots insbesondere aus § 35 III 1 Nr.3 anhand des Merkmals der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ entnommen werden (Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 80). Denn gem. § 3 I BImschG sind schädliche Umwelteinwirkungen Immissionen, die geeignet sind, erhebliche Nachteile oder Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (Rechtsgedanke des § 3 BImschG). Früher hat das BVerwG das Rücksichtnahmegebot z. T. als ungeschriebenen „öffentlichen Belang“ iSv § 35 III 1 BauGB eingeordnet (BVerwG NJW 1978, 62; sog. „Schweinemäster-Fall“). Das ist aber zum einen missverständlich, weil das Rücksichtnahmegebot eben kein selbständiges rechtliches Prinzip ist, sondern eine bloße Auslegungshilfe für das „Ob“ und „Wie“ des drittschützenden Charakters baurechtlicher Normen. Zum anderen spricht der Wortlaut „öffentlich“ gerade eher gegen den drittschützenden Charakter und macht eine besondere Schutzbedürftigkeit eines abgrenzbaren Personenkreises gerade nicht deutlich.
Auch auf privilegierte Vorhaben iSv § 35 I BauGB ist in besonderer Weise Rücksicht zu nehmen, weil die gesetzliche Systematik des § 35 I und II BauGB deutlich macht, dass privilegierte Vorhaben im Außenbereich in besonderem Maße schützenswert sind. Privilegierte Grundstückseigentümer können sich deshalb insbesondere gegen eine heranrückende störende Außenbereichsbebauung wehren (Battis/Krautzberger/Löhr, § 31 Rn. 80).
IV.Klausurtipps
Zum Abschluss noch ein paar Tipps für Klausuren, die häufig zu beobachtende Fehlerquellen betreffen.
1. Da das „Rücksichtnahmegebot“ kein eigenständiges, übergesetzliches Prinzip ist, darf im Rahmen der Klagebefugnis nach § 42 II VwGO und im Rahmen der Rechtsverletzung iSv § 113 I 1 VwGO nicht auf eine (mögliche) „Verletzung des Rücksichtnahmegebots“ abgestellt werden. Richtig ist vielmehr die Prüfung einer (möglichen) Verletzung einer drittschützenden einfachrechtlichen Norm in Verbindung mit dem Rücksichtnahmegebot (z. B.: „X kann geltend machen, möglicherweise in seinem subjektiven Recht aus dem Merkmal des „Einfügens“ iSv § 34 I 1 BauGB iVm dem Rücksichtnahmegebot verletzt zu sein.“).
2. Auch wenn § 113 I 1 VwGO eine zweistufige Prüfung nach objektiver Rechtswidrigkeit und Rechtsverletzung vorgibt, prüft man bei Baunachbarstreitigkeiten von vornherein nur, ob nachbarschützende Vorschriften verletzt sind. Die Baunachbaranfechtungsklage ist also begründet, „wenn der VA nachbarschützende Vorschriften verletzt“(!). Die Prüfung der objektiven Rechtswidrigkeit nicht nachbarschützender Normen ist nicht nur überflüssig, sondern sogar falsch. Es bietet sich deshalb an, im Rahmen der Klagebefugnis gem. § 42 II VwGO zu diskutieren, welche der gerügten Vorschriften nachbarschützend sind und welche nicht und sodann die mögliche Verletzung dieser drittschützenden Vorschriften festzustellen. In der Begründetheit wird dann nur noch die tatsächliche Verletzung der (übrig gebliebenen) nachbarschützenden Normen geprüft.

29.06.2012/9 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2012-06-29 08:00:462012-06-29 08:00:46Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht

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