Das OLG Hamm hat in einem noch nicht veröffentlichten Urteil vom 18.04.2013 (24 U 113/12) entschieden, dass Hauseigentümer auf der Grundlage des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs für unverschuldete Brandschäden am Nachbarhaus haften.
I. Sachverhalt
Die in dem Rechtsstreit beklagten Eheleute sind Eigentümer eines Reihenmittelhauses. Sie veranstalteten auf ihrem Grundstück ein privates Grillfest. Infolge des Grillfests entstand ein nächtlicher Brand, der auf die jeweils benachbarten Reihenhäuser übergriff und diese beschädigte. Die Feuerwehr hatte den Übergriff nicht rechtzeitig verhindern können. Nach den Ermittlungen eines Sachverständigen war Ursache für den Brand entweder der Defekt einer elektrischen Leitung im Bereich ihres Abstellraums oder durch noch heiße Grillkohle verursachter Funkenflug. Gegenstand der Entscheidung war nun der Regress des Versicherers, der den Schaden in Höhe von 60.000 Euro erstattet hatte.
II. Rechtliche Würdigung
Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht im Volltext vor. Gleichwohl kann man sich der rechtlichen Lösung in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zum nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch nähern.
Vorab sollte man kurz klarstellen, dass vertragliche und quasi-vertragliche Ansprüche nicht in Betracht kommen. Da auch deliktsrechtliche Ansprüche mangels Verschulden der Beklagten ausscheiden werden, läuft die Prüfung zwangsläufig auf den dinglichen Anspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB (analog) hinaus (dies nur als Merkposten, deliktsrechtliche Ansprüche werden im Anspruchsaufbau natürlich erst nach den dinglichen Ansprüchen behandelt).
1. Aktivlegitimation
Zunächst ist zu beachten, dass der Versicherer vorliegend gegen die potentiellen Schädiger vorgeht. Insofern muss § 86 Abs. 1 VVG genannt werden, der den Anspruch des Geschädigten im Wege der Legalzession auf den Versicherer übergehen lässt, wenn dieser den entstandenen Schaden ersetzt.
2. Voraussetzungen des allgemeinen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs
Der von der Rechtsprechung entwickelte allgemeine verschuldensunabhängige nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch wird einer entsprechenden Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB entnommen und hat im Wesentlichen folgende Voraussetzungen:
- rechtswidrige Beeinträchtigung
- faktischer Duldungszwang
- Schutzzweckzusammenhang
a) rechtswidrige Beeinträchtigung
Die im Rahmen des Ausgleichanspruchs nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog erforderliche Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung ergibt sich regelmäßig aus dem Umstand, dass dem Nachbar ein Unterlassungsanspruch nach §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB zugestanden hätte mit dem er die Beeinträchtigung hätte abwehren können. Dies dürfte bei dem drohenden Übergriff eines Brandes unzweifelhaft der Fall sein.
[NACHTRAG – angepasster Störerbegriff: Aus den auf der Website des OLG Hamm veröffentlichten Entscheidungsgründen wird ersichtlich, dass sich das Gericht schwerpunktmäßig mit Beweislastfragen und dem Störerbegriff des § 1004 Abs. 1 BGB befasst hat. Die von § 1004 Abs. 1 BGB vorausgesetzte Störereigenschaft wird, wenn es um den Anspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog geht, vom BGH als haftungsbegrenzendes Merkmal angesehen, da ohne dies eine nicht gerechtfertigte Ausweitung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs zu einer reinen Gefährdungshaftung zu befürchten wäre. Vor diesem Hintergrund ist der Anspruchssteller nach allgemeinen Grundsätzen darlegungs- und beweisbelastet, denn mit der haftungsbegrenzenden Funktion dieses Tatbestandsmerkmals
wäre es unvereinbar, dem in Anspruch genommenen Grundstückseigentümer die Beweislast für das Fehlen seiner Störereigenschaft aufzuerlegen.
Der gebotene Ausgleich zwischen der Haftungsbegrenzung und zu hohen Anforderungen an den Beweis der Störereigenschaft durch den Anspruchsteller wird im Anwendungsbereich des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs durch einen an die Besonderheiten des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses angepassten Störerbegriff erzielt.
Der angepasste Störerbegriff setzt für den Anspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog einen Zurechnungszusammenhang voraus,
der reine Naturvorgänge und unbeherrschbare Ereignisse ausschließt.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der sich der Senat anschließt, folgt die Störereigenschaft im Sinne der §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht, setzt aber auch keinen unmittelbaren Eingriff voraus.
die Beeinträchtigung des Nachbargrundstückes wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers zurückgeht.
Dies kann
nicht begrifflich, sondern nur nach wertender Betrachtung von Fall zu Fall festgestellt werden. Entscheidend ist, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen. Dies ist dann zu bejahen, wenn sich aus der Art der Nutzung des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, eine „Sicherungspflicht“ also eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen, ergibt.
Nach der Beweisaufnahme erkennt das Gericht
allein die Folgen des Grillfestes oder ein Defekt der elektrischen Anlage als ernsthaft in Betracht zu ziehende Brandursachen.
In beiden Fällen sind die Beklagten als Störer Schuldner des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches gem. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog.
Etwas anderes (nämlich der Wegfall der Störereigenschaft) könnte zwar gelten, wenn der Brand durch Dritte verursacht worden wäre. Insoweit führt das Gericht aber aus
Demgegenüber ist praktisch ausgeschlossen, dass sich gerade in der relativ kurzen Zeit nach dem Zubettgehen der Beklagten gegen 2.00 Uhr Unbekannte ohne erkennbaren Grund auf das Grundstück der Beklagten geschlichen haben sollen und so rechtzeitig einen Brand legen bzw. fahrlässig verursachen konnten, dass es bereits um 2.45 Uhr zu einem lodernden Feuer und Bersten der Thermopaneverglasung an den Terrassentüren gekommen ist. Es sind auch keine Anhaltspunkte für ein Einbruchsgeschehen oder ein sonstiges nachvollziehbares Motiv erkennbar.]
b) keine Möglichkeit der Unterbindung/faktischer Duldungszwang
Bei direkter Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ergibt sich die Duldungspflicht des Nachbarn (die ja letztlich der Grund für dessen Entschädigung ist) aus § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB (ortsübliche Benutzung des Grundstücks).
Beim allgemeinen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch geht es aber um den Ersatz von Nachteilen, die der Nachbar dadurch erleidet, dass er seinen Unterlassungsanspruch nicht geltend machen konnte, sei es aus tatsächlichen (Baumwurzeln im Mauerwerk) oder aus rechtlichen Gründen (etwa, wenn der Störer eine zur Beseitigung der Störung erforderliche Genehmigung nach Bauordnungsrecht nicht erlangen kann).
Eine (die wichtigste) Fallgruppe in diesem Zusammenhang ist der sog. faktische Duldungszwang, der immer dann gegeben ist, wenn die rechtzeitige Erlangung von Rechtsschutz ausgeschlossen ist. Da § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in diesen Fällen trotz vergleichbarer Interessenlage (es kommt aufgrund einer Duldungspflicht zu einem Schaden) nicht direkt anwendbar ist, bedarf es einer Lückenfüllung im Wege der Analogie (sofern es um andere als die in § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB genannte Beeinträchtigungen geht, wird teilweise sogar von einer doppelten Analogie gesprochen).
Hier ergibt sich ein solcher faktischerDuldungszwang aus dem Umstand, dass die Feuerwehr den Übergriff des Brandes nicht mehr rechtzeitig verhindern konnte.
c) Schutzzweckzusammenhang
Der Schutzzweckzusammenhang dürfte im vorliegenden Fall nicht problematisch gewesen sein. Gleichwohl sei an dieser Stelle kurz darauf hingewiesen, dass der Anspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in der Rechtsprechung (siehe insbesondere BGH, Urteil vom 19.09.2009 – V ZR 75/08 Rz. 16 -juris) eine wichtige Einschränkung erfährt:
Nicht jeder von einer rechtswidrigen Einwirkung betroffene Grundstückseigentümer, der aus besonderen Gründen an der Durchsetzung eines ansonsten bestehenden Unterlassungsanspruchs gegenüber seinem Nachbarn gehindert ist, kann allerdings von diesem nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog einen Geldausgleich für die erlittenen unzumutbaren Nachteile verlangen. Zwar dient die Vorschrift als Kompensation für den Ausschluss primärer Abwehransprüche nach §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB (Senat, BGHZ 155, 99, 101 f. m.w.N.; Urt. v. 1. Februar 2008, V ZR 47/07, NJW 2008, 992, 993). Der Anwendungsbereich des Ausgleichsanspruchs ist aber nur im Rahmen des Regelungszusammenhangs der Norm und des mit ihr verfolgten Zwecks eröffnet.
In dem bislang aus Examenssicht wohl wichtigsten Fall zu dieser Problematik, in dem es um den durch eine Feuerwerksrakete verursachten Brandschaden einer Scheune ging, verneinte der BGH genau diesen Schutzzweckzusammenhang wegen des fehlenden Grundstücksbezugs der schädigenden Beeinträchtigung (wir hatten dazu berichtet). In der maßgebenden Passage (Rz. 18 aaO) heisst es:
Für die Beurteilung, ob der betroffene Nachbar eine Entschädigung verlangen kann, ist, wie sich schon aus dem Wortlaut des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt, zugleich das Grundstück in den Blick zu nehmen, von dem die Einwirkung ausgeht. Auch insoweit bedarf es eines Zusammenhangs, der die Einwirkung als von diesem herrührend erscheinen lässt (in diesem Sinn auch OLG Hamm NJW-RR 1987, 1315, 1316 für den Fall einer durch Dritte verursachten Brandstiftung). Ein solcher kann zum einen durch einen gefahrenträchtigen Zustand des Grundstücks vermittelt werden (Senat, Urt. v. 22. September 2000, V ZR 443/99, NJW-RR 2001, 232 f.). Zum anderen kommt es auf die Nutzung durch den Eigentümer oder durch die die Nutzung bestimmende Person an (vgl. Senat, BGHZ 175, 253, 257).
Im vorliegenden Fall dürfte an dem so formulierten Schutzzweckzusammenhang bzw. dem Grundstücksbezug der Beeinträchtigung keine Bedenken bestehen, da sich das Grundstück selbst in einem gefahrenträchtigen Zustand (resultierend entweder aus dem Defekt einer elektrischen Leitung oder der noch heißen Grillkohle) befand. In der offiziellen Pressemitteilung heisst es dazu recht knapp:
3. Ergebnis
Dem Grunde nach steht der Versicherung ein Anspruch auf Ersatz der geleisteten Zahlungen aus §§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog, 86 Abs. 1 VVG zu. Zur Klärung der genauen Anspruchshöhe hat das OLG Hamm an das LG zurück verwiesen.
III. Fazit
Der vorliegende Fall gibt Anlass, sich mit dem allgemeinen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch zu befassen. Der Anspruch tritt an die Stelle der dinglichen Abwehransprüche aus § 1004 Abs. 1 BGB (Eigentum) und § 862 Abs. 1 BGB (Besitz), wenn diese den Berechtigten im Einzelfall nicht schützen können. Er wird folgerichtig von der Rechtsprechung nach Sinn und Zweck auch auf Besitzstörungen angewendet. Besonders wichtig ist der Anspruch, wenn und weil deliktsrechtliche Ansprüche (insbesondere wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten) wie hier mangels Verschulden des vermeintlichen Schädigers nicht in Betracht kommen.
Dass Fälle zu § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog besondere Examensrelevanz haben, hat der bereits angesprochene Feuerwerksraketen-Fall des BGH eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Dieser lief sowohl im ersten als auch im zweiten Examen, im Mündlichen und im Schriftlichen. Angesichts der neuen Entscheidung des OLG Hamm (die inhaltlich zu einem anderen Ergebnis kommt als der BGH im Feuerwerksraketen-Fall), sollte man sich mit dem Themenkomplex aktuell noch einmal befassen.
[Nachtrag: Neben den Schutzzweckerwägungen zur Frage des Grundstücksbezugs der Beeinträchtigung erfährt im Rahmen der entsprechenden Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog auch der Störerbegriff des § 1004 Abs. 1 BGB eine normative Einschränkung. Eigentum oder Besitz allein reichen nicht aus. Die Beeinträchtigung muss zumindest mittelbar auf den Willen des Grundstückseigentümers zurückgehen. Die Darlegungs- und Beweislast trägt insoweit der Anspruchssteller.]
Hingewiesen sei zu diesem Zweck noch einmal auf unseren Beitrag zum Feuerwerksraketen-Fall und den sehr instruktiven und öffentlich verfügbaren Beitrag in der JA 2001, 741.