Der Aufruhr ist groß: Politiker jeglicher couleur – vom türkischen Premier Recep Erdogan bis zum CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder – kritisieren die Sitzplatzvergabe beim in Kürze beginnenden NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte in München. Auch die Medien wie bspw. die türkische Hürriyet oder auch die BILD äußern harsche Kritik an den Vergabemodalitäten. Aber auch juristisch versierte Kreise äußern starke Zweifel an der Sitzplatzvergabe durch das sog. Windhundprinzip und fordern zumindest eine Übertragung in Nebenräumen.
Dennoch erscheint die Kritik oftmals eher politisch denn juristisch motiviert zu sein. Der Beitrag möchte aus diesem Grund eine Übersicht über die juristischen Fragen der Sitzplatzvergabe für Zuschauer und Medien in Gerichtsverhandlungen geben.
I. Sachverhalt
Was ist eigentlich genau passiert? In München beginnt am 17. April der NSU-Prozess – teilweise reißerisch als „Jahrhundertprozess“ bezeichnet (so SPD- Innenexperte Dieter Wiefelspütz in der „Berliner Zeitung“; das OLG-München widerspricht dagegen einem solchen Superlativ). Stattfinden wird der Prozess im Schwurgerichtssaal A 101 des OLG, dem bestgesicherten Saal dieses Gerichts. Vergeben werden dabei 50 Journalistenplätze sowie weitere 50 Plätze für Zuschauer. Daneben sind 71 Nebenkläger sowie 49 Anwälte beteiligt. Die Vergabe der Zuschauerplätze erfolgt jeden Verhandlungstag aufs Neue nach dem Windhundprinzip (Prioritätsprinzip) – die ersten Anwesenden werden also eingelassen. Auch Journalisten können hierbei Einlass begehren. Hingegen wurden die Journalistenplätze bereits im Vorfeld vergeben. Auch hier wurde der Zeitpunkt der Anmeldung per Mail oder Fax berücksichtigt. Bereits drei Stunden nach Beginn der Meldefrist waren dabei die 50 festen Plätze vergeben, so dass eine Nachrückerliste eröffnet wurde, auf der sich nun insgesamt 73 Medienvertreter befinden. Dabei fällt auf, dass sich unter den 50 registrierten Medienanstalten keine türkischen Medien befinden.
II. Rechtliche Bewertung
Ausgangspunkt der juristischen Betrachtung muss der § 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sein, der eine öffentliche Verhandlung vorschreibt (§ 169 S. 1 GVG), Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung aber untersagt (§ 169 S. 2 GVG). Jede Person muss also die reelle Möglichkeit haben, als Zuhörer am Prozess teilzunehmen (BGH NStZ 1982, 476; BGH NStZ 1989, 1741; BVerfG NJW 2002, 814).
1. Sitzungssaal zu klein
Der Bundesgerichtshof stellt aber gleichwohl klar, dass die vorhandenen Kapazitäten eine natürliche Grenze des Zugangsrecht darstellen (BGH NJW 1977, 157). (Hier zeigt sich eine Parallele zum Zugangsrecht bei öffentlichen Einrichtungen im Kommunalrecht.) Das Gericht ist auch nicht gezwungen zusätzliche Kapazitäten zu schaffen (BeckOK StPO/Allgayer, § 169 GVG, Rn. 7). Insbesondere Sicherheitsmaßnahmen können zu einer Absenkung der Zuschauerplätze führen. Unzulässig ist es lediglich einen so kleinen Verhandlungssaal zu wählen, in welchem eine Teilnahme Dritter ausgeschlossen ist (bspw. das Richterzimmer; BeckOK StPO/Allgayer, § 169 GVG, Rn. 7).
Gegen diese Vorgaben verstößt das OLG München offensichtlich nicht. Hier wurde ein verhältnismäßig großer Verhandlungssaal gewählt, der insbesondere auch die erforderlichen Sicherheitsanforderungen erfüllt.
2. Vergabe der Plätze willkürlich
Hauptkritikpunkt ist freilich die Vergabe der Plätze selbst. Hier ist zwischen den Plätzen für die eigentliche Öffentlichkeit (unmittelbare Öffentlichkeit) und Journalistenplätzen (die zu einer mittelbaren Öffentlichkeit führen) zu differenzieren. Bei den Zuschauerplätzen ist eine Vorreservierung generell unzulässig (BGHSt 26, 99). Die Vergabe muss hier also zwingend an Anwesende erfolgen; einziges objektives Kriterium kann dabei der Zeitpunkt der Ankunft am Sitzzungssal sein. Zur Wahrung der Übersichtlichkeit ist es aber zulässig, Einlasskarten zu verteilen (BeckOK StPO/Allgayer, § 169 GVG, Rn. 7). Eine Vorabvergabe der Zuschauerplätze, aber auch die Berücksichtigung einer Quote für türkische Staatsangehörige würde damit gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit verstoßen. Ebenso wäre es auch unzulässig, türkische Politiker oder Botschafter bevorzugt zu berücksichtigen.
Davon zu unterscheiden ist die Sitzplatzvergabe für Medien. Hier ist eine Reservierung eines bestimmten Pressekontingents zulässig (BGH NJW 2006, 1220; BVerfG NJW 2003, 500). Dies verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit, sofern eine ausreichende Anzahl von Plätzen auch für Nichtpressevertreter freigehalten wird. Ein besonderes Recht auf Bereitstellung von Presseplätzen besteht hingegen nicht (MüKo ZPO/Zimmermann, § 169 GVG, Rn. 51; vgl. auch BVerfGE 50, , ; NJW 2001, ). Daraus ergibt sich auch, dass die Medien denselben Beschränkungen unterworfen sind wie einfache Zuhörer. Dies hat zur Folge, dass die Auswahlkriterien übereinstimmend gewählt werden müssen. Stets ist auch hier das Prioritätsprinzip zu wahren. Lediglich dann, wenn dessen Beachtung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, ist eine zufällige Vergabe (Losverfahren) möglich (BGH NJW 2006, 1220).
Fraglich ist allerdings, ob eine besondere Quote für ausländische Medien nicht geboten oder sogar zwingend wäre. Zwingend kann diese keinesfalls sein; das Gesetz unterscheidet nicht zwischen besonderen Arten der Öffentlichkeit; vielmehr gibt es vor, dass jeder potentielle Prozesszuschauer gleichberechtigte Chancen zum Zugang haben muss. Allerdings wäre eine Quotierung dann geboten, wenn hierdurch Ungleichheiten ausgeglichen würden. Die Anmeldung für Medien sollte hier per Mail oder Fax erfolgen. Im Gegensatz zum Postversand zeigen sich dabei keine Unterscheide zwischen in- und ausländischen Absendern. Eine Antwort binnen kurzer Zeit wäre folglich auch den türkischen Medienvertretern möglich gewesen. Es sind auch keine weiteren Anhaltspunkte ersichtlich, die gegen eine solche Reaktionsmöglichkeit sprechen; insbesondere wird nicht behauptet, dass die Medieninformation allein in deutscher Sprache oder sehr kurzfristig erfolgt sei, sodass nichtdeutschen Medien eine Antwort faktisch unmöglich war. Aus diesem Grund scheidet eine besondere Behandlung ausländischer Medien als unzulässig aus. Gerade dies würde dem Grundsatz der Öffentlichkeit aus § 169 GVG widersprechen.
Das Gericht hat hier sachliche Kriterien angewandt, um eine gleichberechtigte Auswahl zwischen allen potentiellen Prozesszuschauern zu treffen. Eine Benachteiligung ausländischer Medien (wie bspw. bei einer Anmeldung per Post oder ausschließlich in deutscher Sprache) ist hier nicht ersichtlich. Insofern scheidet ein Verstoß gegen § 169 GVG aus.
3. Vergabe von Nachrückplätzen
Kritisiert wurde zudem, dass auch Nachrückplätze (beim Fehlen von registrierten Medien) nach dem Prioritätsprinzip vergeben werden und hierbei nicht der Wunsch des Nichterscheinenden beachtet wird. Auch dies ist aber nach dem GVG zwingend. Öffentlichkeit ist ohne Ansehung der Person herzustellen und jeder Beteiligte ist gleich zu behandeln. Wird aber die Vergabe ins Ermessen Dritter gestellt, so führt das dazu, dass gerade keine rein objektiven Kriterien mehr angewandt werden. Das Gericht hat damit keine andere Möglichkeit, als das Prioritätsprinzip strikt durchzuhalten und auch auf Nachrückplätze anzuwenden.
4. Übertragung in zusätzlichen Saal
Auf Grund der erwarteten zu geringen Kapazitäten des Sitzungssaals wird zudem gefordert, eine Übertragung für Zuschauer und Medienvertreter in einen weiteren Sitzungssaal zu ermöglichen. Klar ist nach dem oben Gesagten, dass eine solche Übertragung von § 169 S. 1 GVG keinesfalls gefordert wird (auch nicht im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 GG BVerfG – NJW 1993, ). Vielmehr genügt es, wenn ein durch faktische Grenzen beschränkter Personenkreis die Möglichkeit zur Teilnahme hat.
Fraglich ist aber, ob ein solches Vorgehen zumindest rechtlich möglich wäre. Ein klares Meinungsbild zu dieser Frage existiert nicht. Fest steht nur, dass eine Prüfung anhand des § 169 S. 2 GVG geboten ist. Diese Vorschrift verstößt auch nicht gegen Art. 5 Abs. 1 GG (BVerfG Urteil vom 24.01.2001 – 1 BvR 2623/95, 622/99, NJW 2001, 1633). Eine Übertragung scheidet jedenfalls dann aus, wenn die Wahrheitsfindung durch eine solche Übertragung leiden würde (MüKo ZPO/Zimmermann, § 169 GVG, Rn. 33). Roxin hingegen hält eine solche Übertragung für zulässig und vergleicht sie mit der Öffnung einer Zwischentür im Sitzungssaal (Roxin, Strafverfahrensrecht § 45 A). Bedenken bezüglich einer solchen Erweiterung ergeben sich insbesondere daraus, dass das Gericht damit die Einhaltung des Veröffentlichungsverbots aus § 169 S. 2 GVG nur noch schwer überwachen kann (MüKo ZPO/Zimmermann, § 169 GVG, Rn. 33; so auch BGH DRiZ 1971, 207). Jedenfalls sind deshalb Maßnahmen vorzunehmen, um auch in dem zusätzlichen Sitzungssaal die Ordnung zu wahren, da hier das Gericht keinen unmittelbaren Einfluss mehr hat. Die Übertragung darf keinesfalls zu einer Art Kinovorführung verkommen, führte dies sonst dazu, dass der Prozess den Charakter eines Schauprozesses erhalten würde. Jedenfalls muss also gewährleistet sein, dass die Übertragung den gleichen Charakter wie der eigentliche Prozess hat – nur dann ist das Bild der sich öffnenden Schiebetür zutreffend. Dies erscheint problematisch, sodass eine solche Übertragung zumindest starken rechtlichen Bedenken unterliegt.
III. Rechtsfolgen
Sollte der Grundsatz der Öffentlichkeit verletzt sein – was nach der hier vertretenen Ansicht gerade nur durch eine gesonderte Berücksichtigung nichtdeutscher Medien und möglicherweise durch eine Übertragung in andere Gerichtssäle eintreten würde – liegt ein absoluter Revisionsgrund nach § 547 Nr. 5 ZPO (Anm. bzw. hier § 338 Nr. 6 StPO) vor. Das Gericht ist also gut beraten, hier trotz der politischen Brisanz allein eine juristische und nüchterne Betrachtung vorzunehmen und nicht dem Druck diverser Medien nachzugeben.
IV. Fazit
Für eine mündliche Prüfung ist die gezeigte Diskussion absoluter Pflichtstoff. Aber auch darüber hinaus gehört es wohl zur juristischen Allgemeinbildung, diese Diskussion zu verfolgen. Gerade eine rein juristische Vorgehensweise könnte hier sehr nützlich sein, um etwas Feuer aus der Diskussion zu nehmen. Dies würde im Ergebnis auch dem Prozess selbst dienen, der in einer aufgeheizten Atmosphäre nur sehr schwer geführt werden und nicht zur erwünschten Aufklärung führen kann.
Statt populistische Forderungen zu stellen, wäre die Politik gut beraten, nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen, sondern sowohl national als auch international zu erklären, warum die Sitzplatzvergabe durch das OLG München juristisch absolut korrekt und zwingend war. Einige Politiker gehen hier bereits mit gutem Beispiel voran. Letztlich liegt der Sitzplatzvergabe durch das OLG München der Gedanke zugrunde, dass alle Personen und Medien gleich sind und damit gleich zu behandeln sind – unabhängig aus welchem Land sie stammen. Dem wird wohl niemand ernsthaft widersprechen können.