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Schlagwortarchiv für: Mordmerkmale

Charlotte Schippers

Rechtsprechungsübersicht Strafrecht und Strafprozessrecht 1. Halbjahr 2020

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Bei der Vorbereitung auf die schriftliche und vor allem mündliche Examensprüfung, aber auch auf Klausuren des Studiums, ist die Kenntnis aktueller Rechtsprechung unbedingt erforderlich. Neue Urteile und Beschlüsse werden immer wieder als ein Teil der Prüfung herangezogen oder bei besonders wichtigen Entscheidungen ausdrücklich abgefragt. Der folgende Überblick soll für die examensrelevanten Entscheidungen in Strafsachen des Jahres 2020 (und Ende 2019) als Stütze dienen und Ausgangspunkt für eine tiefere Auseinandersetzung sein.
 
Strafrecht

BGH, Urt. v. 26.11.2019 – 2 StR 557/18: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von JVA-Beamten für den Mord eines Häftlings während eines Freigangs

Zu folgendem Fall urteilte der BGH Ende letzten Jahres: T, Häftling in einer JVA, beging während eines Freigangs mehrere Straftaten, u.a. tötete er bei einer Flucht vor der Polizei, indem er mit rasanter Geschwindigkeit als „Geisterfahrer“ auf die Gegenfahrbahn fuhr, eine im Gegenverkehr befindliche junge Frau. Wegen dieser Tat wurde er wegen Mordes rechtskräftig zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Relevant war hier nun die Strafbarkeit der zuständigen JVA-Beamten.
Die Vorinstanz hatte eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB angenommen, der BGH sprach die Beamten nun frei: In ihrer Entscheidung, den Strafgefangenen in den offenen Vollzug zu verlegen und ihm weitere Lockerungen in Form von Freigängen zu gewähren, liege keine Sorgfaltspflichtverletzung; den Beamten stehen Beurteilungsspielraum und Ermessen zu, sodass

„die getroffene Entscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen [ist]. Bei der Beurteilung der Sorgfaltswidrigkeit darf sich das Gericht weder von einer aus dem späteren Kenntnisstand rückschauenden Wertung (ex post) leiten lassen, dass sich eine Prognoseentscheidung im Ergebnis als ,falsch‘ erwiesen hat, noch seine eigene, abweichende Prognoseentscheidung als Maßstab anlegen. Maßgebend ist vielmehr die fachliche und rechtliche Vertretbarkeit der Entscheidung aus der Perspektive der Lockerungsentscheidung (ex ante). Eine im Ergebnis falsche Prognose erweist sich als pflichtwidrig, wenn die Missbrauchsgefahr aufgrund relevant unvollständiger oder unzutreffender Tatsachengrundlage oder unter nicht vertretbarer Bewertung der festgestellten Tatsachen verneint worden ist.“ (Rn. 25)

Der BGH erläutert in der Folge, die Angeklagten hätten sich aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht den Anforderungen entsprechend verhalten.
Diese examensrelevante Entscheidung hat Tobias Vogt besprochen.
 

BGH, Beschl. v. 17.12.2019 – 1 StR 364/18: Unvermeidbarer Verbotsirrtum bei Auskunft eines Rechtsanwalts und einer unzuständigen Behörde?

Mit Betäubungsmitteldelikten beschäftigte der BGH sich Ende letzten Jahres und erhielt hierbei auch die Gelegenheit, sich zu den Anforderungen an die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums zu äußern. Kurz gefasst ging es um den Apotheker A, der mit anderen zusammen einen Versandhandel mit über das Internet bestellten verschreibungspflichtigen Medikamenten, die Abhängigkeitserkrankungen verursachen können, führte. Diese wurden an Kunden aus dem Ausland, überwiegend in die USA, geliefert. Über die für die Ausfuhr nach dem BtMG erforderliche Erlaubnis verfügte keiner der Beteiligten. Rechtsanwalt R, der A an die anderen vermittelt hatte, hatte ihm mitgeteilt, das Vertriebssystem sei von weiteren Rechtsanwälten geprüft. Dazu zeigte er ihm mehrere Blätter, die er als Gutachten bezeichnete, ohne sie ihm aber zum Lesen zu überlassen. Zudem erhielt A von der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz die telefonische Auskunft, gegen den Versand von Medikamenten ins Ausland auf der Grundlage von Rezepten bestünden keine Bedenken.
Festgestellt wurde ein Verbotsirrtum gem. § 17 S. 1 StGB des A. Fraglich war nun, ob dieser vermeidbar war oder nicht. Zu den Anforderungen an die Unvermeidbarkeit führt der BGH aus:

„Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum erst dann, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet, sie muss insbesondere sachkundig und unvoreingenommen sein und mit der Erteilung der Auskunft keinerlei Eigeninteresse verfolgen. Zudem darf der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen.“ (Rn. 21)

Daher ist auch der Rat eines Rechtsanwalts nicht ohne weiteres vertrauenswürdig. Der Rat muss, von notwendiger Sachkenntnis getragen, nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgen. Sind die Auskünfte offenkundig mangelhaft, reicht das nicht zur Entlastung, notwendig ist bei komplexen Sachverhalten ein detailliertes, schriftliches Gutachten. Die durch R erteilten Hinweise, ohne die Möglichkeit, die Blätter durchzulesen, hätten durch A hinterfragt werden müssen, subsumiert der BGH.
Hinsichtlich der telefonischen Auskunft ist zu berücksichtigen, dass unzutreffende Auskünfte unzuständiger Behörden nur dann zur Unvermeidbarkeit des Irrtums führen können, wenn sich für den Täter die fehlende Zuständigkeit und Beurteilungskompetenz nicht aufdrängt (s. dazu BGH, Beschl. v. 2.2.2000 – 1 StR 597/99).

„Bei [A] handelt es sich um einen approbierten Apotheker mit langjähriger Berufserfahrung. Zur Ausbildung eines Apothekers gehören auch Grundkenntnisse im Betäubungsmittel- und Arzneirecht. Gerade aufgrund seiner beruflichen Stellung und der hiermit verbundenen Verpflichtungen war von [A] zu erwarten, dass ihm bekannt ist, dass der Handel mit Benzodiazepinen und NonBenzodiazepinen wegen der erhöhten Gefahr einer Abhängigkeitserkrankung bei dauerhaftem Konsum einer besonderen betäubungsmittelrechtlichen Kontrolle unterliegt und daher einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis bedarf. Jedenfalls hätte er dies bei gebotener Anstrengung von Verstand und Gewissen erkennen können. Gleichermaßen hätte er – unter Berücksichtigung seiner beruflichen Stellung und Erfahrung – erkennen können, dass er sich an das für die Erteilung von Erlaubnissen und Genehmigungen im Betäubungsmittelrecht zuständige BfArM [Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte] hätte wenden müssen.“ (Rn. 21)

Schließlich verneint der BGH, dass das BfArM ebenfalls dieselbe Auskunft gegeben hätte:

„Hat der Täter einer Erkundigungspflicht nicht genügt, so setzt die Feststellung von Vermeidbarkeit voraus, dass die Erkundigung zu einer richtigen Auskunft geführt hätte.“ (Rn. 21)

Insbesondere wegen der Ausführungen zu den Anforderungen an die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums handelt es sich hierbei somit um eine wichtige und examensrelevante Entscheidung.
 

BGH, Beschl. v. 8.1.2020 – 4 StR 548/19: Erpressung bei Nötigung zur Begehung von Eigentumsdelikten?

T brauchte dringend Geld, um sich Marihuana kaufen zu können. Deswegen bedrohte er zwei 13-jährige Jungen mit einem Messer und forderte sie auf, für ihn in der Innenstadt Wertgegenstände zu stehlen. Wie beabsichtigt, hatten die beiden Jungen Angst vor ihm und waren von dem vorgehaltenen Messer so beeindruckt, dass sie sich nicht zu widersetzen wagten. Auf dem Weg in die Innenstadt konnten sie aber weglaufen.
Der BGH beschäftigte sich mit der Strafbarkeit des T wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB. Die Erpressung scheitert am Vermögensnachteil der Genötigten – das abverlangte Verhalten liegt „nur“ in der Begehung strafbarer Handlungen, ein Vermögensschaden auf Seiten des Nötigungsopfers fehlt. Weiterhin wäre für eine Dreieckserpressung ein Näheverhältnis zwischen dem Genötigten und dem zu Schädigenden erforderlich, an dem es hier, wie der BGH knapp feststellt, fehlte (vgl. auch BGH,  Urt. v.  20. 4.1995 ‒ 4 StR 27/95). Somit kam hier nur eine Strafbarkeit wegen versuchter Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen gem. §§ 240 Abs. 1, 2, 3, 22, 23 Abs. 1 StGB infrage.
 

BGH, Beschl. v. 22.1.2020 – 3 StR 526/19: Wohnungen i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Der BGH beschäftigte sich zur Klärung der Frage, ob die Wohnung eines Verstorbenen auch eine Wohnung i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist, mit folgendem (leicht abgewandeltem und gekürztem) Sachverhalt: Einbrecher E beschloss, vorrangig in die Häuser von Verstorbenen einzubrechen. Über entsprechende Todesfälle informierte er sich durch Traueranzeigen in der Tageszeitung. In der Folgezeit brach er, entsprechend seines Plans, unter Aufhebeln von Fenstern und Terassentüren in verschiedene Wohnungen von Verstorbenen ein.
In dem Beschluss bejahte der BGH, dass es sich bei den Immobilien, die noch voll eingerichtet und funktionsfähig waren, um Wohnungen im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB handelte mit einer lehrbuchartigen Gesetzesauslegung:

„Dafür spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift. Der Begriff „Wohnung“ bezeichnet eine für die private Lebensführung geeignete und in sich abgeschlossene Einheit von gewöhnlich mehreren Räumen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist somit der Zweck der Stätte maßgebend, nicht deren tatsächlicher Gebrauch. […].
Diese Betrachtungsweise erfährt ihre Bestätigung in der Gesetzessystematik. Das Strafgesetzbuch sieht bei Einbruchdiebstählen eine Staffelung in Deliktsschwere und Strafmaß vor, die vom besonders schweren Fall des Diebstahls gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB über den Wohnungseinbruch im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB bis zum Einbruch in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung nach § 244 Abs. 4 StGB reicht. Spätestens mit Einführung der letztgenannten Vorschrift im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er die (dauerhafte) Nutzung der Wohnung nicht als tatbestandliche Voraussetzung des einfachen Wohnungseinbruchdiebstahls nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB verstanden wissen will. Die sprachliche Betonung dieses zusätzlichen Tatbestandsmerkmals in § 244 Abs. 4 StGB wäre sonst nicht geboten gewesen.“ (Rn. 16 f.)

Er argumentiert an dieser Stelle mit weiteren Delikten, namentlich § 123 Abs. 1 StGB, § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB, die sich auch in der Klausur gut zur Begründung heranziehen lassen!

„Schließlich gebieten Sinn und Zweck der Qualifikation aus § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB die Einbeziehung von unbewohnten Immobilien, jedenfalls so lange sie nicht als Wohnstätte entwidmet sind. Die Vorschrift soll das Eigentum an höchstpersönlichen Gegenständen und die häusliche Integrität an sich schützen. Diese Rechtsgüter können auch dann verletzt sein, wenn sie neben den aktuellen Bewohnern weiteren Personen zuzuordnen sind, die einen Bezug zu den Räumlichkeiten aufweisen – etwa, weil sie sich häufig in ihnen aufhalten, weil es sich um ihr Elternhaus handelt oder weil sie in dem Haus private Gegenstände lagern.“

Somit bejahte der BGH den Wohnungseinbruchsdiebstahl.
 

OLG Hamm, Beschl. v. 7.4.2020 – 4 RVs 12/20: Verwendung einer fremden EC-Karte zum kontaktlosen Zahlen

Ein Dauerbrenner im Examen sind die EC-Karten-Fälle, sodass sich ein Blick auf die aktuelle Entscheidung des OLG Hamm zum kontaktlosen Zahlen mit einer fremden EC-Karte lohnt. Folgender Fall (leicht abgewandelt und gekürzt) wurde entschieden: T erhielt von seiner Bekannten B die auf der Straße gefundene Geldbörse des O, in der sich neben ein wenig Bargeld und diversen Papieren und Karten auch eine EC-Karte befand. Mit dieser Karte tätigte T Einkäufe, u.a. im H-Markt, durch kontaktloses Bezahlen – also Auflegen der Karte auf das Lesegerät –, die jeweils einen Wert von unter 25 Euro hatten, sodass die Eingabe der PIN nicht erforderlich war. Diese Tatsache war T bekannt und er nutzte sie bewusst aus.
Eine Strafbarkeit wegen Betrugs gem. § 263 StGB lehnte das OLG ab, denn eine Täuschung liege bei der Zahlung ohne PIN-Abfrage nicht vor. Nach lesenswerten Ausführungen zu den Elementen der kontaktlosen Zahlung, folgert das OLG:

„Vor dem Hintergrund dieser Zahlungsmodalitäten hatten die Kassenkräfte des H-Marktes vorliegend keinerlei Anlass, sich Vorstellungen über die Berechtigung des Angeklagten zur Kartenverwendung zu machen. Im Gegenteil liefen sie vielmehr Gefahr, bei positiver Kenntnis von der Nichtberechtigung wegen kollusiven Zusammenwirkens mit dem Kartenverwender ihren Zahlungsanspruch gegen die […] kartenausgebende[…] Bank zu verlieren, weshalb aus Händlersicht gerade kein Anreiz bestand, über die Berechtigung des Angeklagten nachzudenken und so womöglich bösgläubig zu werden. Auch traf den Betreiber des H-Marktes bzw. seine Kassenmitarbeiter nach den Händlerbedingungen gegenüber der […] kartenausgebende[n] Bank keine Pflicht, die Berechtigung des Angeklagten anderweitig zu überprüfen, etwa durch Ausweiskontrolle. Damit aber fehlt es an einer Grundlage für die Annahme, dass der Angeklagte als Kunde seine Berechtigung zur Kartennutzung nach der Verkehrsanschauung fälschlich konkludent erklärt hätte und dass die Kassenmitarbeiter wenigstens im Sinne eines sachgedanklichen Mitbewusstseins einer entsprechenden irrigen Vorstellung unterlegen wären.“ (Rn. 14)

Gleichfalls scheidet auch ein Computerbetrug nach § 263a StGB aus, insbesondere wird nicht die einzig in Betracht kommende Variante der unbefugten Verwendung von Daten erfüllt – die h.M. setzt nämlich für das Merkmal „unbefugt“ voraus, dass die Verwendung gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte. Das scheidet hier aber aus, denn geprüft werden mit dem Vorhalten der Karte vor das Lesegerät nur die Einhaltung des Verfügungsrahmens, die Nicht-Eintragung in eine Sperrdatei und das Vorliegen der Voraussetzungen für das Absehen von der starken Kundenauthentifizierung.
In Betracht zieht das OLG nach Verneinung einiger anderer Delikte schließlich noch eine Urkundenunterdrückung nach § 274 I Nr. 2 StGB: Die Verwendung der Karte im kontaktlosen Bezahlvorgang stellt eine Löschung/Veränderung beweiserheblicher Daten dar:

„Der noch bestehende Verfügungsrahmen sowie die Umstände der bisherigen Kartennutzung seit der letzten PIN-Abfrage stellen Gedankenerklärungen dar, die durch die Speicherung im Autorisierungssystem bzw. auf dem Chip der ec-Karte perpetuiert sind. Weiterhin sind diese Daten auch beweiserheblich, weil sie für die Autorisierung weiterer Bezahlvorgänge mit der ec-Karte relevant sind. Nur wenn der Verfügungsrahmen noch nicht ausgeschöpft ist und in Bezug auf die Umstände der bisherigen Kartennutzung die Voraussetzungen […] für das Absehen von der PIN-Abfrage erfüllt sind, erteilt die kartenausgebende Bank im POS-Verfahren die Autorisierung der Zahlung (ohne PIN-Abfrage). Anders als im Hinblick auf die Transaktionsdaten ist in Bezug auf den Verfügungsrahmen und die Umstände der bisherigen Kartennutzung auch die Garantiefunktion des Urkundenbegriffs erfüllt. Es ist nämlich die kartenausstellende Bank als Aussteller dieser Daten ohne Weiteres erkennbar.“ (Rn. 37)

Verwirklicht wurde darüber hinaus auch § 303a Abs. 1 StGB.
Insgesamt ist das hier also eine wichtige und examensrelevante Entscheidung, die man sich genauer anschauen sollte!
 

BGH, Beschl. v. 14.4.2020 – 5 StR 93/20: Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel in Abgrenzung zur „Mehrfachtötung“

Im April hat der BGH die Anforderungen an das Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel (speziell für den Fall naturgemäß gemeingefährlicher Mittel) konkretisiert. Folgender Sachverhalt (gekürzt) lag dem zugrunde: T zündete in dem von ihm bewohnten Zimmer im 1. OG eines Wohnkomplexes eine auf seinem Bett liegende Wolldecke an, schloss die Zimmertür und verließ das Haus. Es war ihm bewusst, dass A und B sich im 1. OG aufhielten und C sich möglicherweise im Dachgeschoss befand. Mögliche Verletzungen oder den Tod der anderen nahm T in Kauf. A entdeckte den Brand und alarmierte B und C. Sie flüchteten und alarmierten die Feuerwehr. A und C erlitten Rauchgasvergiftungen. Die Feuerwehr konnte ohne Atemschutz nur bis zur Hälfte der Holztreppe ins OG vordringen; ab dort bestand akute Lebensgefahr. Der im Zimmer des T lodernde Vollbrand konnte schließlich gelöscht werden.
Maßgeblich war zunächst die Frage, ob ein gemeingefährliches Mittel vorliegt, wobei die Tatsache, dass T den Brand in seinem Zimmer gelegt hat, die Gemeingefährlichkeit des Mittels nicht grundsätzlich ausschließt, vielmehr wohnt Handlungen wie der vorliegenden aufgrund ihrer naturgemäß fehlenden Beherrschbarkeit die Gemeingefährlichkeit bereits inne:

„Es gibt nach ihrer Eigenart grundsätzlich gemeingefährliche Mittel, bei denen allenfalls im Einzelfall die Beherrschbarkeit bejaht oder bei der speziellen Art ihrer Handhabung die Gefahr für eine Vielzahl von Menschen ausnahmsweise verneint werden kann. Dazu zählen Brandsetzungsmittel und Explosionsstoffe. Bei ihnen hat der Täter die Folgen seines Tuns typischerweise nicht in der Hand […]. An der gemeingefährlichen Verwendung fehlt es bei an sich nicht beherrschbaren Mitteln nur dann, wenn der Täter im konkreten Fall davon ausgeht, es könne dadurch nur die zur Tötung ins Auge gefasste Person getroffen werden.“ (Rn. 9)

Wichtig war außerdem die Abgrenzung zu „Mehrfachtötungen“, wobei es nach früherer Rspr. darauf ankam, ob sich die Tat trotz Einsatzes eines naturgemäß gemeingefährlichen Mittels gegen einen individualisierten Kreis von Personen richtet – dann war das Vorliegen dieses Mordmerkmals zu verneinen (s. BGH, Beschl. v. 18.7.2018 – 4 StR 170/18). Daran zweifelte der BGH aber nun:

„Es erscheint wertungswidersprüchlich, den Täter, der von vornherein eine konkrete Vielzahl von Opfern durch ein in seinem Gefahrenpotential nicht beherrschbares Mittel tötet, gegenüber demjenigen zu privilegieren, der ohne diese Konkretisierung aufgrund der Gemeingefahr des Tötungsmittels auch nicht bereits individualisierte Opfer in Kauf nimmt. Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung müsste in Fällen nicht weiterer Aufklärbarkeit der Tätervorstellung der Zweifelssatz für die Annahme sprechen, dem Täter sei es gerade auf die Tötung aller in die Gefahrenlage einbezogenen Personen angekommen. Weder die Formulierung noch der Sinn und Zweck des Mordmerkmals gebieten nach Ansicht des Senats eine solche Auslegung. Das gesetzliche Tatbestandsmerkmal stellt lediglich auf die vom Vorsatz umfasste Art des Tatmittels, nicht auf die Konkretisierung des Opfers in der Vorstellung des Täters ab. Die Unbestimmbarkeit des Opferkreises folgt vielmehr aus der besonderen Art des Tötungsmittels, das nach Freisetzung der in ihm ruhenden Kräfte für den Täter nicht mehr beherrschbar ist. Entscheidend muss es deshalb darauf ankommen, ob für den Angeklagten nicht mehr berechenbar ist, wie viele Menschen durch das Tatmittel verletzt und getötet werden können, weil er den Umfang der Gefährdung nicht beherrscht […]. Hat es der Täter bewusst nicht in der Hand, wie viele Menschen in den von ihm geschaffenen Gefahrenbereich geraten und durch sein Verhalten gefährdet werden, tötet er nach Ansicht des Senats auch dann mit gemeingefährlichen Mitteln, wenn er mit dem für ihn unbeherrschbaren Mittel eigentlich nur eine bestimmte Zahl konkreter Menschen töten will […].“ (Rn. 11 f.)

Im vorliegenden Fall fehlte aber sowieso die Individualisierung des Opferkreises, sodass die Frage i.E. nicht abschließend beurteilt werden musste.
Für weitere Details sei auf die ausführliche Besprechung von Melanie Jänsch verwiesen.
 

BGH, Beschl. vom 19.5.2020 – 4 StR 140/20: Habgier bei angestrebter staatlicher Versorgung in einer JVA?

Einen versuchten Mord aus Habgier nahm der BGH in vorliegendem Fall an: Der vermögenslose und nicht krankenversicherte A nahm sich vor, eine schwere Straftat begehen, um langfristig Unterkunft, Verpflegung und Krankenversorgung in einer JVA zu erhalten. In dieser Absicht fuhr er mit seinem Fahrzeug mit mindestens 80 km/h gezielt von hinten auf den auf einem Fahrradweg radelnden B auf. A wollte ihn erheblich verletzen. Zudem hielt er den Eintritt seines Todes ernsthaft für möglich und nahm ihn billigend in Kauf. B wurde von seinem Fahrrad geschleudert und erlitt durch den Aufprall und den Sturz schwere Verletzungen.
Zur Erinnerung:

„Habgier bedeutet ein Streben nach materiellen Gütern oder Vorteilen, das in seiner Hemmungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit das erträgliche Maß weit übersteigt und das in der Regel durch eine ungehemmte triebhafte Eigensucht bestimmt ist. Voraussetzung hierfür ist, dass sich das Vermögen des Täters ‒ objektiv oder zumindest nach seiner Vorstellung ‒ durch den Tod des Opfers unmittelbar vermehrt oder dass durch die Tat jedenfalls eine sonst nicht vorhandene Aussicht auf eine Vermögensvermehrung entsteht.“ (2. a))

A wollte nun durch seine Tat lediglich eine langfristige Versorgung durch eine staatliche Einrichtung und dadurch eben auch eine Verbesserung seiner Vermögenslage i.S.e. rücksichtslosen Gewinnstrebens erreichen. Dass sich hiermit eine Begehung aus Habgier begründen lässt, wird auch nicht durch die Nachteile der Inhaftierung widerlegt, da diese für A nicht maßgeblich waren und er vornehmlich aufgrund der Vermögensvorteile handelte. Weiter begründet der BGH das Mordmerkmal der Habgier:

„Für die Annahme einer Tötung aus Habgier ist ferner unerheblich, dass der erstrebte Vermögensvorteil nicht unmittelbar aus dem Vermögen des Opfers stammen sollte. Ebenso steht einem Mordversuch aus Habgier nicht entgegen, dass der Angeklagte eine staatliche Versorgung auch auf legale Weise durch Beantragung von Sozialleistungen hätte erreichen können. Einen funktionalen Zusammenhang zwischen Tötung und Vermögensvermehrung in dem Sinne, dass der Angriff auf das Leben aus Sicht des Täters unerlässliches Mittel zur Zielerreichung ist, setzt das Mordmerkmal nicht voraus; entscheidend ist vielmehr die Motivation des Täters.“ (2. b)).

 

BGH, Beschl. v. 19.5.2020 – 6 StR 85/20: Erpresste Bankkarte und leeres Bankkonto

Der BGH traf ebenfalls am 19. Mai dieses Jahres einen Beschluss, wobei er die Anforderungen an einen Vermögensnachteil i.S.d. § 253 StGB darstellte. Der Sachverhalt ist schnell erzählt: T bedrohte O mit einer Schreckschusspistole und forderte ihn auf, am Automaten Geld abzuheben. Das gelang O aber nicht, da sein Konto nicht ausreichend gedeckt war. Daraufhin zwang T ihn unter Drohung mit der Waffe zur Aushändigung der EC-Karte und der PIN. Eine Strafbarkeit wegen Erpressung scheitert aber am Vermögensschaden:

„Zwar ist der Nachteil für das Vermögen i.S. des § 253 StGB gleichbedeutend mit der Vermögensbeschädigung beim Betrug, so dass auch schon eine bloße Vermögensgefährdung einen Vermögensnachteil darstellt. Dabei kommt es aber entscheidend darauf an, ob im Einzelfall durch die Verfügung das Vermögen konkret gefährdet, also mit wirtschaftlichen Nachteilen ernstlich zu rechnen ist. Durch die Kenntnis der geheimen Zugangsdaten zu einem Bankkonto ist das Vermögen des Opfers grundsätzlich beeinträchtigt, wenn sich der Täter zudem im Besitz der zugehörigen Bankkarte befindet und ihm deshalb die jederzeitige Zugriffsmöglichkeit auf den Auszahlungsanspruch des Berechtigten gegenüber der die Karte akzeptierenden Bank eröffnet ist.“ (Rn. 4)

Das setzt aber voraus, dass tatsächlich mit wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen ist, was hier jedoch mangels Deckung des Kontos nicht der Fall ist.
Auch hierbei handelt es sich also um eine Entscheidung, die man sich in Anbetracht der Examensrelevanz der einschlägigen Delikte zu Gemüte führen sollte.
 

BGH, Beschl. v. 23.6.2020 – 5 StR 164/20: Mehrfacher Einsatz einer fremden EC-Karte an demselben Geldautomaten

Noch ein EC-Karten-Fall hat den BGH diesen Juni beschäftigt, in konkurrenzrechtlicher Hinsicht: T erlangte EC-Karte und PIN des O. Daraufhin hob er an einem Geldautomaten der örtlichen Sparkasse zunächst 400 € und etwa eine Minute später weitere 600 € ab.

„Bei mehrfachem unberechtigtem Einsatz einer fremden ec-Karte an demselben Geldautomaten innerhalb kürzester Zeit – mit von vornherein auf die Erlangung einer möglichst großen Bargeldsumme gerichtetem Vorsatz – stellen die einzelnen Zugriffe eine einheitliche Tat nach § 263a StGB im materiellrechtlichen Sinne dar.“ (Rn. 3)

 
Strafprozessrecht

BGH, Beschl. v. 11.3.2020 – 4 StR 307/19: Kein Strafklageverbrauch durch Einstellung durch die Staatsanwaltschaft gem. § 153 Abs. 1 StPO

In einem Beschluss dieses Jahr stellte der BGH klar, dass eine Verfahrenseinstellung der Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1 StPO ohne Zustimmung des Gerichts kein Verfahrenshindernis begründet und der Aburteilung der Tat daher nicht entgegensteht, es kommt nicht mal ein begrenzter Strafklageverbrauch infrage. Das ist insofern anders als bei einer gerichtlichen Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 2 StPO, nach der eine Verfahrensfortführung nur unter den Voraussetzungen des § 153a Abs. 1 S. 5 StPO möglich ist.

„Denn anders als bei einem gerichtlichen Beschluss nach § 153 Abs. 2 StPO, der auf der Grundlage einer auch für ein Urteil ausreichenden Sachverhaltsaufklärung ergehen kann, handelt es sich bei der staatsanwaltschaftlichen Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO strukturell um eine Entscheidung, der unter dem Gesichtspunkt des Verfahrensschutzes nicht die einem Urteilsverfahren ähnliche Verlässlichkeit zuzumessen ist. […] Da die Staatsanwaltschaft die von ihr […] verfügte Wiederaufnahme des Verfahrens auf neue Erkenntnisse und Tatsachen, die den Verdacht einer vorsätzlichen Tatbegehung begründeten, gestützt hat, liegt auch kein Verstoß gegen das Willkürverbot vor.“ (Rn. 4)

Alles in allem also eine Entscheidung, die sich gut in einer StPO-Zusatzfrage z.B. abfragen lässt, da man hier gut den Vergleich der Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO und der nach Abs. 2 ziehen kann.
 

BGH, Beschl. v. 27.5.2020 – 5 StR 166/20: Entzug des letzten Wortes bei Missbrauch

Kurz gehalten ist der Beschluss des BGH zu dem Fall, dass der Angeklagte eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte, weil ihm nicht ausreichend Gelegenheit zum letzten Wort (§ 258 StPO) gegeben worden sei, als ihm nach fünf Tagen das Wort entzogen wurde:

„Nach zehn Tagen Beweisaufnahme konnte er fünf Tage lang Ausführungen zu seiner Verteidigung machen. Dass er durch die Vorsitzende dabei 31 mal darauf hingewiesen wurde, dass seine Ausführungen Wiederholungen und Weitschweifigkeiten enthalten, und ihm schließlich eine Frist zur Beendigung seiner Ausführungen gesetzt wurde, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Denn ein Vorsitzender darf nach § 238 Abs. 1 StPO einschreiten, wenn sich die Ausführungen des Angeklagten in seinem letzten Wort mit nicht zur Sache gehörenden Umständen befassen, fortwährende Wiederholungen oder andere unnütze Weitschweifigkeiten enthalten oder sonst einen Missbrauch seines letzten Wortes darstellen. Nach mehrmaligen erfolglosen Ermahnungen ist auch der Entzug des letzten Wortes möglich.“ (Rn. 7)

 

Weitere Beiträge

Folgende Beiträge beschäftigen sich nicht mit Entscheidungen aus dem hier betrachteten Zeitraum, sind aber dieses Jahr erschienen und behandeln Examensrelevantes:
 
Unsere ausführliche Besprechung des Beschlusses des OLG Karlsruhe vom 13.3.2019 (1 Rv 3 Ss 691/18) zur Manipulation von Warenetiketten, wobei das Gericht über einen examensrelevanten Fall entschied, der sich im Kontext der Vermögens- und auch Urkundendelikte bewegt: Der Täter tauschte zwei Warenetiketten aus und zahlte an der Kasse in der Folge einen „falschen“ geringeren Preis, was der Kassiererin nicht auffiel. Er machte sich dadurch strafbar wegen Betrugs, woran sich im Hinblick auf den Vermögensschaden auch nichts dadurch ändert, dass er von einer Ladendetektivin beobachtet und vor Verlassen des Ladens aufgehalten wurde:

„Dass der von dem Täter erstrebte Vermögensvorteil erlangt oder auch nur erreichbar ist, ist hingegen wegen der überschießenden Innentendenz zur Tatbestandsvollendung nicht erforderlich. Danach ist erst recht dann von Vollendung auszugehen, wenn der Täter die rechtswidrig erstrebte Vermögensposition – wie hier Eigentum und Besitz an der Schlauchtrommel – bereits erlangt hat, diese aber noch nicht gegen die unmittelbar drohende Erhebung berechtigter Rückgabeansprüche des Geschädigten sichern konnte, weil er sich noch in dessen Herrschaftsbereich aufhält und seine Tat von einem im Auftrag des Geschädigten handelnden, eingriffsbereiten Dritten beobachtet wurde.“ (Rn. 22)

Eine Urkundenunterdrückung hat der Täter ebenfalls verwirklicht, denn das Etikett i.V.m. der Ware stellt eine zusammengesetzte Urkunde dar, die durch das Abreißen des Etiketts, um das Austauschen zu ermöglichen, vernichtet wurde. Eine Urkundenfälschung kam im konkreten Fall aber nicht in Betracht.
 
Der Beitrag von Dr. Lorenz Bode, in dem er klausurtaktische Hinweise zu dem Beschluss des BGH vom 6.6.2019 (STB 14/19) zu Beweisverwertungsverboten und Widerspruchslösung gibt. Hier wurde die Pflicht, dass Beweisverwertungsverbote im Ermittlungsverfahren „unabhängig von einem Widerspruch des Beschuldigten von Amts wegen zu beachten“ sind, „auch wenn der zugrundeliegende Verfahrensmangel eine für ihn disponible Vorschrift betrifft“, festgeschrieben.
 
Keine Gerichtsentscheidung, aber eine brandaktuelle Frage wird im Beitrag von Tobias Vogt behandelt: Es geht um die Strafbarkeit durch Ansteckung mit dem Coronavirus, die im Kontext einer Anzeige gegen eine Strafrichter wegen versuchter Körperverletzung, nachdem dieser auf die Durchführung einer Gerichtsverhandlung bestand, auch im Grundsatz betrachtet wird. Hierbei kommt die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 StGB, in Betracht, die aber wohl häufig am fehlenden Vorsatz scheitern wird. Dann ist aber an eine fahrlässige Körperverletzung, § 229 StGB, denkbar. Bei tödlichem Verlauf ist natürlich an die Tötungsdelikte zu denken, auch ist immer der Versuch zu berücksichtigen.

03.08.2020/1 Kommentar/von Charlotte Schippers
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Charlotte Schippers https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Charlotte Schippers2020-08-03 08:16:002020-08-03 08:16:00Rechtsprechungsübersicht Strafrecht und Strafprozessrecht 1. Halbjahr 2020
Dr. Melanie Jänsch

BGH bestätigt erstmals Mordurteil gegen Raser

Examensvorbereitung, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Erstmals hat der BGH in seinem am vergangenen Freitag veröffentlichten Beschluss vom 16.1.2019 (Az.: 4 StR 345/18) ein Mordurteil gegen einen Raser bestätigt. Das LG Hamburg hatte in seiner Entscheidung vom 19.2.2018 (Az.: 621 Ks 12/17) den Angeklagten unter anderem wegen Diebstahls, wegen Mordes in Tateinheit mit zweifachem versuchten Mord und mit zweifacher gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Der BGH hat die gegen die Verurteilung gerichtete Revision nun verworfen. Die extrem hohe Examensrelevanz ist offensichtlich: Es ist nicht nur das erste Mal, dass der BGH in einem Raser-Fall eine Strafbarkeit wegen Mordes annimmt; die Entscheidung bildet auch einen Kontrast zum medial sehr präsenten Ku’damm-Raser-Fall, in dem der BGH mit Urteil vom 1.3.2018 (Az.: 4 StR 399/17) das Mordurteil des LG Berlin vom 27.2.2017 (Az.: 535 Ks 8/16) gegen zwei Raser aufgehoben hat (s. hierzu unsere ausführliche Besprechung). Raser-Fälle sind Paradebeispiele für die Problematik der Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit, auf die im Rahmen dieses Beitrags noch einmal eingegangen werden soll. Insbesondere ist herauszustellen, auf welche Weise sich der hier darzustellende Hamburger Raser-Fall vom Ku’damm-Raser-Fall unterscheidet und inwieweit dies eine unterschiedliche Beurteilung des Vorsatzes rechtfertigen kann. Ebenso bedarf es – sofern vorsätzliches Handeln angenommen wird – anschließend der Auseinandersetzung mit der Frage, ob in solchen Fällen Mordmerkmale vorliegen oder ob eine Strafbarkeit wegen Totschlags anzunehmen ist.
 
A. Sachverhalt (der Pressemitteilung entnommen und vereinfacht):
Der alkoholisierte Angeklagte hatte am Morgen des 4.5.2017 ein Taxi gestohlen und war in der Hamburger Innenstadt auf der Flucht vor der ihn verfolgenden Polizei bewusst auf die dreispurige Gegenfahrbahn gefahren. Den Streckenabschnitt der leicht kurvig verlaufenden und baulich von der übrigen Fahrbahn abgetrennten Gegenfahrbahn befuhr er mit hoher Geschwindigkeit von bis zu 155 km/h. Aufgrund von Kollisionen mit dem Kantstein der Fahrbahn und einer Verkehrsinsel verlor er die Kontrolle über das Fahrzeug und stieß nach Überqueren einer Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von mindestens 130 km/h frontal mit einem ihm mit ca. 20 km/h entgegenkommenden Taxi zusammen. Einer der Insassen dieses Taxis verstarb noch an der Unfallstelle, zwei weitere Personen wurden schwer verletzt.
 
B. Entscheidung
Der Fall beinhaltet zwei Schwerpunktprobleme: Zunächst muss diskutiert werden, ob der Angeklagte vorsätzlich handelt, um dann in einem folgenden Schritt das Vorliegen etwaiger Mordmerkmale zu erörtern.
 
I. Abgrenzung des Eventualvorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit
Die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz – auch: bedingtem Vorsatz – und bewusster Fahrlässigkeit gehört vermutlich zu den schwierigsten Abgrenzungsproblematiken im Strafrecht. Dabei unterscheiden sich Eventualvorsatz und bewusste Fahrlässigkeit darin, „dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut, während der bedingt vorsätzlich Handelnde mit dem Eintreten des schädlichen Erfolgs in der Weise einverstanden ist, dass er ihn billigend in Kauf nimmt oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet“ (BGH, v. 14.1.2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79 m.w.N.). Mit anderen Worten: Bei bedingtem Vorsatz erkennt der Täter den Erfolgseintritt als mögliche, nicht gänzlich fernliegende Folge seines Handelns (kognitives Element) und nimmt diesen jedenfalls billigend in Kauf (voluntatives Element). Bei der bewussten Fahrlässigkeit erkennt er zwar auch den Erfolg als mögliche Folge seines Handelns (kognitives Element), vertraut aber ernsthaft und nicht nur vage darauf, dass dieser nicht eintritt (fehlendes voluntatives Element). Dies erfordert eine Gesamtbetrachtung der objektiven und subjektiven Tatumstände. Als wesentlicher Indikator für das Wissens- und Wollenselement kann dabei die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung herangezogen werden, was im vorliegenden Fall die Annahme des Vorsatzes nahelegt.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die sog. Hemmschwellentheorie hinzuweisen, wonach bei Tötungsdelikten eine gegenüber Körperverletzungsdelikten deutlich höhere Hemmschwelle angenommen wird. Dies bedeutet allerdings nur, dass an den Nachweis des Vorsatzes höhere Anforderungen zu stellen sind. Dagegen soll die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges, auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden (BGH v. 5.12.2017 − 1 StR 416/17, NStZ 2018, 206, 207).
Dabei ist es nach Ansicht der Rechtsprechung bei der Würdigung des voluntativen Elements in der Regel auch erforderlich, dass sich das Gericht mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in die Beurteilung einbezieht (BGH, Urt. v. 14.1.2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79 m.w.N.). Insbesondere könne eine mögliche Eigengefährdung des Täters gegen die Annahme eines Vorsatzes sprechen; bei riskantem Verhalten im Straßenverkehr, das nicht von vornherein auf die Verletzung anderer Personen angelegt sei, könne eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung zu der Beurteilung führen, dass er auf das Ausbleiben des Erfolgs vertraut habe.
Indes – so räumt der BGH in ständiger Rechtsprechung ein – seien die Gefährlichkeit der Tathandlung sowie der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts keine ausschließlich maßgeblichen Kriterien für die Annahme des bedingten Vorsatzes; vielmehr komme es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an (BGH v. 1.3.2018 – 4 StR 399/17, NStZ 2018, 409, Rn. 19 m.w.N.).
 
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der BGH im Hamburger Raser-Fall in Übereinstimmung mit der Vorinstanz vorsätzliches Handeln angenommen. Dem Angeklagten sei bewusst gewesen,

„dass es mit hoher, letztlich unkalkulierbarer und nur vom Zufall abhängender Wahrscheinlichkeit zu einem frontalen Zusammenstoß mit entgegenkommenden Fahrzeugen kommen würde.“ Ihm war auch „bewusst, dass ein Frontalunfall mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod eines oder mehrerer direkter Unfallbeteiligter sowie eventuell zur Schädigung weiterer Personen führen würde.“ All dies, auch der eigene Tod, wurde vom Angeklagten gebilligt, weil er „kompromisslos das Ziel, der Polizei zu entkommen“, verfolgte. Der Zurechnung des eingetretenen Todeserfolges zu dem vom Vorsatz des Angeklagten umfassten Kausalverlauf steht daher nicht entgegen, dass der Angeklagte nicht unmittelbar mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte, sondern infolge der Kollisionen mit dem Kantstein am rechten Fahrbahnrand und einer der Verkehrsinseln die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und nach Überqueren des Glockengießerwalls auf der gegenüberliegenden Seite (…) mit einer Geschwindigkeit von „ca. 130 bis 143 km/h“ ungebremst frontal mit dem ihm entgegenkommenden Taxi des Geschädigten Y. kollidierte.“

Die Entscheidung sorgt für Aufsehen, hat der BGH in dem Berliner Raser-Fall einen Tötungsvorsatz abgelehnt. Hier liegt der Fall jedoch anders: Während die Täter im Ku’damm-Raser-Fall ein Kräftemessen in Form eines illegalen Autorennens veranstalteten, befand sich der Täter im Hamburger Raser-Fall auf der Flucht vor der Polizei. Dabei war ihm – so hat es das Landgericht festgestellt – „die Chance auf ein Entkommen wichtiger als das sichere Überleben“. Damit kann aber eine als solche erkannte Eigengefährdung, die im Einzelfall gegen die Annahme eines Tötungsvorsatzes sprechen kann, im vorliegenden Fall gerade nicht als Indiz gegen den Tötungsvorsatz herangezogen werden. Vielmehr sprechen die sonstigen Umstände – wie etwa die hohe Geschwindigkeit im Innenstadtbereich – für vorsätzliches Handeln.
 
II. Vorliegen eines Mordmerkmals
Wird der Vorsatz bejaht, so ist sich in einem zweiten Schritt der Frage zuzuwenden, ob Mordmerkmale vorliegen. Dabei scheint sich das Merkmal des gemeingefährlichen Mittels aufzudrängen, dessen Einschlägigkeit in einer Klausur ausführlich diskutiert werden müsste. Gemeingefährlich ist ein Mittel, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Maßgeblich ist dabei nicht die abstrakte Wirkung, sondern die Eignung zur Gefährdung Dritter in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters (MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, § 211 Rn. 127 f.). Dies bedeutet, dass ein Mittel selbst dann gemeingefährlich sein kann, wenn es seiner abstrakten Art nach nicht gemeingefährlich ist – wie ein Auto, das seiner Art nach ein Fortbewegungsmittel ist. Die Gemeingefährlichkeit kann sich dann daraus ergeben, dass bei einer derart hohen Geschwindigkeit eine unkontrollierbar hohe Anzahl an Menschen an Leib und Leben gefährdet wird. Ob eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln hier vorliegt, wie es die Vorinstanz angenommen hat, hat der BGH jedoch offengelassen, da jedenfalls das Merkmal der Verdeckungsabsicht gegeben sei:

„Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift steht der vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten Verdeckungsabsicht nicht entgegen, dass das Schwurgericht „tatsachenalternativ“ ein Handeln des Angeklagten in suizidaler Absicht festgestellt hätte. Das Schwurgericht hat vielmehr „nicht klären“ können, ob „auch suizidale Gedanken mit motivgebend waren“; „im Ergebnis“ – so das Landgericht weiter – „war ihm die Chance auf ein Entkommen wichtiger als das sichere Überleben“; dies stellt das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht nicht in Frage (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 211 Rn. 68b). Daher kann der Senat offenlassen, ob auch die Voraussetzungen des vom Landgericht weiterhin angenommenen Mordmerkmals der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln erfüllt sind.“

In Verdeckungsabsicht handelt, wer als Täter das Opfer tötet, um dadurch eine vorangegangene Straftat als solche oder auch Spuren zu verdecken, die bei einer näheren Untersuchung Aufschluss über bedeutsame Tatumstände geben könnten (BGH v. 15.2.2017 − 2 StR 162/16, NStZ 2017, 462 m.w.N.). Im vorliegenden Fall betraf dies den Taxi-Diebstahl, den der Täter zu verdecken versuchte.
 
C. Fazit
Zwar unterscheidet sich der hier dargestellte Fall vom Ku’damm-Raser-Fall insofern, als der Täter vor der Polizei flieht und nicht an einem illegalen Autorennen teilnimmt. Gleichwohl hat der BGH mit dieser Entscheidung klargestellt, dass die rücksichtslose Verwendung eines Fahrzeugs im Straßenverkehr und die bewusste Gefährdung von Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes rechtfertigen kann, auf den im Einzelfall eine Verurteilung wegen Mordes gestützt werden kann. Maßgeblich sind stets die konkreten Tatumstände. Daher erscheint auch in Autorennen-Fällen eine Strafbarkeit nach § 211 StGB möglich. Diesbezüglich ist aber auch zu bedenken, dass der Gesetzgeber im Oktober 2017 § 315d StGB eingefügt hat, der verbotene Kraftfahrzeugrennen bestraft und in Abs. 5 eine Erfolgsqualifikation für die Verursachung des Todes eines anderen Menschen enthält, die keinen Vorsatz erfordert.
 
 

05.03.2019/2 Kommentare/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-03-05 09:00:242019-03-05 09:00:24BGH bestätigt erstmals Mordurteil gegen Raser
Gastautor

Anfängerklausur – Strafrecht: Der mordlustige Erbe

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Wir freuen uns sehr, einen Gastbeitrag von Jasmin Bertlings veröffentlichen zu können. Die Autorin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht bei Herrn Prof. Dr. Martin Waßmer an der Universität zu Köln. Diese Klausur wurde im Wintersemester 2016/2017 den Studierenden des zweiten Semesters an der Universität zu Köln als Abschlussklausur der Vorlesung „Strafrecht II“ gestellt.
 
Anfängerklausur – Strafrecht: Verhältnis von § 211 und § 212 StGB; restriktive Auslegung der Mordmerkmale; Tatbestandsverschiebung gem. § 28 StGB – Der mordlustige Erbe
Im Rahmen der Tötungsdelikte stellt sich das Problem der Anwendbarkeit des § 28 StGB. Ursprung dieses Problems ist der anhaltende Streit zwischen Rechtsprechung und Literatur um das Verhältnis der Tötungsdelikte zueinander. Dieser Streit ist ein absoluter Klausurklassiker und wird gerne im Rahmen der Abschlussklausur geprüft. Wurden die unterschiedlichen Ansätze der Rechtsprechung und der Literatur einmal verstanden, ist die Thematik jedoch ein dankbares Klausurthema.
Sachverhalt
Oma Otilie (O) hat im Laufe ihres langen Lebens ein Vermögen angehäuft. Einziger Erbe ist ihr Enkel (E). E, der seit Jahren versucht, seine Ausbildung abzuschließen, möchte nicht weiter auf Luxus verzichten und beschließt daher O zu töten, um endlich an das Erbe zu gelangen. Da er keine Waffe besitzt, geht er zu seinem besten Freund (F), der einige alte, nicht registrierte Pistolen hat. Er berichtet F von seinem Plan, O zu töten, um an das Erbe zu gelangen. Über die konkrete Begehungsweise verliert E kein Wort.
F ist das Erbe des E vollkommen gleichgültig. Dennoch heißt er die Tötung gut, da er am Tag zuvor vor dem Haus der O ein Auto gestreift und Fahrerflucht begangen hatte. Er fürchtet, dass O – die einzige Zeugin der Tat – ihn anzeigt.
Gegen 22.00 Uhr begibt sich E im Schutz der Dunkelheit mit der von F geborgten Pistole zum Haus der O. Mit seinem Zweitschlüssel verschafft er sich Zutritt zum Haus. E schleicht in das Schlafzimmer und erschießt dort die friedlich schlummernde O, mit einem Schuss in den Kopf. O ist sofort tot. In freudiger Erwartung des Erbes verlässt E eilig den Ort des Geschehens.
Als E auf die Straße tritt, ist er noch voller Euphorie wegen des bald zu erwartenden Erbes. Er steigt in seinen Golf und macht sich auf den Heimweg. Auf der Rückfahrt kommt E in eine allgemeine Verkehrskontrolle und wird von den Polizisten P1 und P2 angehalten. Diese wollen die Ausweispapiere des E sehen. E, sichtlich genervt von dem Verhalten der Polizisten, entgegnet: „Die beiden Bullen haben offenbar nichts Besseres zu tun…!“
Wie haben sich E und F nach dem 14. und 16. Abschnitt des StGB strafbar gemacht? Ggf. erforderliche Strafanträge sind gestellt.
 
Gliederung:
1. Tatkomplex: Der Tod der Oma

A. Strafbarkeit des E gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, Var. 5 StGB durch Abgabe des Schusses auf O

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Tötung eines anderen Menschen

b) Tatbezogene Mordmerkmale: Heimtücke gem. § 211 Abs. 2 Var. 5 StGB

2. Subjektiver Tatbestand

a) Tötungsvorsatz (Bzgl. § 212 StGB und der Heimtücke)

b) Täterbezogene Mordmerkmale: Habgier gem. § 211 Abs. 2 Var. 3 StGB

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

III. Ergebnis

B. Strafbarkeit des F gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5, 9, 27 Abs. 1, 28 Abs. 2 StGB durch Aushändigen des Gewehrs

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Vorsätzliche rechtswidrige Haupttat

b) Hilfeleisten

2. Subjektiver Tatbestand (Doppelvorsatz)

a) Vorsatz bzgl. der Teilnahmehandlung

b) Vorsatz bzgl. der Vollendung der Haupttat

3. Tatbestandsverschiebung nach § 28 Abs. 2 StGB

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

III. Ergebnis

2. Tatkomplex: Die Verkehrskontrolle: Strafbarkeit des E gem. § 185 StGB durch Äußerung gegenüber den Polizisten

I. Tatbestand

II. Ergebnis

Gesamtergebnis
 
Lösungsvorschlag:
Der Lösungsvorschlag ist so formuliert, wie er bei einer Bearbeitungszeit von 120 Minuten erwartet werden kann. Die Verweise sind bewusst sparsam gehalten.
1. Tatkomplex: Der Tod der Oma
A. Strafbarkeit des E gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, Var. 5 StGB durch Abgabe des Schusses auf O
E könnte sich gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5 StGB wegen Mordes strafbar gemacht haben, indem er auf die O schoss.

Hinweis:
An dieser Stelle können die Studierenden das Gutachten entweder mit §§ 212, 211 StGB oder § 211 StGB beginnen. Bereits an dem Aufbau wird deutlich, welcher Ansicht der Klausurbearbeiter am Ende bei der streitigen Frage, in welchem Verhältnis § 212 StGB und § 211 StGB zueinander stehen, folgen wird. Wichtig ist an dieser Stelle, dass die Prüfung konsequent durchgeführt wird.

I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a. Tötung eines Menschen
Die O, ein anderer Mensch ist tot. Der Tod wurde kausal und objektiv zurechenbar durch den Schuss des E ausgelöst.
b. Tatbezogene Mordmerkmale
E könnte die Tat heimtückisch gem. § 211 Abs. 2 Var. 5 StGB begangen haben. Heimtückisch handelt, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt (Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 211, Rn. 34). Die Wehrlosigkeit muss Folge der Arglosigkeit sein (Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 211, Rn. 40). Arglos ist, wer sich zu Beginn des Tötungsversuchs keines Angriffs auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit versieht (Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 211, Rn. 35). Wehrlos ist, wer infolge seiner Arglosigkeit zur Verteidigung außerstande oder in seiner natürlichen Abwehrbereitschaft eingeschränkt ist (Eschelbach, in: Beck OK StGB, 35. Edition, Stand: 01.08.2017, § 211, Rn. 43 m.w.N.). O schläft friedlich. Da sich O kurz vor dem Zubettgehen, keines Angriffs auf sich versah, war O arglos. Die Arglosigkeit könnte aber in dem Zeitpunkt, als zu Bett ging, entfallen sein. Denn Voraussetzung für die Arglosigkeit ist die Fähigkeit zum Argwohn. Die herrschende Meinung bejaht Fähigkeit zum Argwohn auch bei Schlafenden. Sie gehen arglos zu Bett und nehmen die Arglosigkeit mit in den Schlaf (BGH NJW 2003, 2464; Neumann/Saliger, in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 211, Rn. 55). Die O war mithin arglos. Die schlafende O war auch in ihrer Verteidigungsbereitschaft eingeschränkt, sodass O auch wehrlos war. Die Wehrlosigkeit beruhte auf der Arglosigkeit. Die Voraussetzungen der Heimtücke liegen grundsätzlich vor.
Allerdings muss jedem Mord eine besondere Verwerflichkeit anhaften. Aufgrund der lebenslangen Freiheitsstrafe ist eine restriktive Auslegung der Mordmerkmale, insbesondere der Heimtücke, geboten. Ansonsten wäre die absolute Strafandrohung des § 211 StGB nicht mit dem Schuldgrundsatz vereinbar und damit verfassungswidrig. Es gibt eine Vielzahl von Restriktionsansätzen in Rspr. und Schrifttum, die sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite ansetzen.
Die Rspr. fordert daher ein Handeln in feindlicher Willensrichtung und die zusätzliche Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB auf der Rechtsfolgenseite (BGHSt 9, 385, 30; siehe auch: Neumann/Saliger,in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 211, Rn. 73; Schneider, in: MüKo StGB, 3. Aufl. 2017, § 211, Rn. 197). Die feindliche Willensrichtung ist nur in den Fällen zu verneinen, in denen der Täter zum vermeintlich Besten des Opfers handelt (Neumann/Saliger, in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 211, Rn. 73; Wenkel, in: Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl. 2017; § 211, Rn. 14). E wollte die O töten, um das Erbe vorzeitig zu erhalten. Er handelte nicht zum vermeintlich Besten der O. Ein Handeln in feindlicher Willensrichtung liegt vor.
Eine a.A. verlangt eine besonders verwerfliche Gesinnung des Täters. Eine solche liegt vor, wenn der Täter z.B. egoistisch handelt oder von Spaß geleitet ist. E handelte aus einer egoistischen Gesinnung heraus, denn er wollte sich mit dem zu erwartenden Erbe ein schönes Leben machen. Somit ist auch eine verwerfliche Gesinnung zu bejahen.
Eine weitere Ansicht fordert einen besonders verwerflichen Vertrauensbruch (Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014; § 211, Rn. 26; Neumann/Saliger, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 211, Rn. 49; Schneider, in: MüKo StGB, 3. Aufl. 2017, § 211, Rn. 204). Das bedeutet, dass das Merkmal der Heimtücke nur in den Fällen angenommen wird, in denen der Täter ein spezielles Vertrauen ausnutzt oder missbraucht, welches das Opfer ihm entgegenbringt (Küper, JuS 2000, 740, 745). E ist der Enkel und ihr einziger Erbe. Darüber hinaus besitzt er einen Schlüssel zu O´s Haus. Einen Zweitschlüssel zu seinem Haus gibt man regelmäßig nur Personen, zu denen man ein enges Verhältnis hat. Es kann daher von einem engen Vertrauensverhältnis zwischen den beiden ausgegangen werden. Ein verwerflicher Vertrauensbruch ist mithin anzunehmen.
Zuletzt wird von manchen ein tückisch-verschlagenes Vorgehen (Schneider, in: MüKo StGB, 3. Aufl. 2017, § 211, Rn. 206) zur Bedingung gemacht. Dieses Vorgehen ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Täter bestimmte Tatumstände planmäßig zunutze macht (Schneider, in: MüKo StGB, 3. Aufl. 2017, § 211, Rn. 204 m.w.N.). E schleicht sich während die O schläft in ihr Schlafzimmer und tötet sie im Schlaf. Den Umstand, dass seine Großmutter schläft, macht sich E zunutze. Ein tückisch verschlagenes Vorgehen ist zu bejahen.
Nach allen Ansichten ist die Heimtücke gegeben. Ein Streitentscheid kann an dieser Stelle dahinstehen.
2. Subjektiver Tatbestand
a. Tötungsvorsatz (hinsichtlich § 212 StGB und der Heimtücke)
E handelte, da er die Tötung der O wollte, vorsätzlich. Ebenso handelte der E mit Vorsatz in Bezug auf die heimtückische Begehungsweise.
b. Täterbezogene Mordmerkmale
E könnte habgierig gem. § 211 Abs. 2 Var. 3 StGB gehandelt haben. Habgier ist das ungezügelte und rücksichtslose Streben nach Vermögensvorteilen um jeden Preis (Wenkel, in: Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl. 2017, § 211, Rn. 25). E wollte die O töten, um das Erbe zu erhalten. Er stellte folglich sein Streben nach materiellen Vermögenswerten über das Leben seiner Oma. E handelte folglich aus Habgier.
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
E handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
III. Ergebnis
E hat sich gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5 StGB wegen Mordes strafbar gemacht, indem er auf die O schoss.
 
B. Strafbarkeit des F gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5, 9, 27 Abs. 1, 28 Abs. 2 StGB durch Aushändigen des Gewehrs
F könnte sich gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5, 9, 27 Abs. 1, 28 Abs. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er dem E das Gewehr aushändigte.
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
Eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat ist mit dem von E begangenen Mord gegeben. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5 StGB (s.o).
F müsste dem E Hilfe geleistet haben, also die Haupttat des E gefördert haben. F händigte dem E die Tatwaffe aus. Somit leistete der F Hilfe zur Tat des E.

Hinweis: Es ist strittig, ob der Gehilfenbeitrag kausal geworden sein muss. Da hier die Kausalität des Gehilfenbeitrags des F offensichtlich unproblematisch ist, muss an dieser Stelle auf den Streit nicht eingegangen werden.

2. Subjektiver Tatbestand (Doppelvorsatz)
a. Vorsatz bzgl. der Teilnahmehandlung
F händigte dem E die Tatwaffe aus. Er handelte vorsätzlich in Bezug auf seine Teilnahmehandlung.
b. Vorsatz bzgl. der Vollendung der Haupttat
Weiter müsste F auch Vorsatz hinsichtlich der Vollendung der Haupttat aufweisen. F wollte durch den Tod der O sein eigenes Fehlverhalten verdecken. F handelte mithin vorsätzlich in Bezug auf die Tötung der O. E hatte dem F gegenüber keine Ausführungen zur Art und Weise der Begehung gemacht, weshalb F nicht wusste, dass der E die O heimtückisch töten wollte. Mithin hatte F nach allgemeinen Akzessorietätsregeln lediglich Vorsatz in Bezug auf §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3 StGB.
3. Tatbestandsverschiebung nach § 28 Abs. 2 StGB
Grundsätzlich richtet sich die Strafbarkeit des Teilnehmers nach der Strafbarkeit der Haupttat (Akzessorietät). Es könnte jedoch zu einer Akzessorietätslockerung nach § 28 Abs. 1 StGB oder einer Akzessorietätsdurchbrechung gem. § 28 Abs. 2 StGB kommen.
Bei dem Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht handelt es sich um ein besonderes persönliches Merkmal iSd. § 14 StGB. § 28 StGB ist mithin in seiner Gesamtheit anwendbar.
Zu einer Akzessorietätslockerung käme es, wenn die Mordmerkmale strafbegründender Natur (Siehe dazu: BGHSt 50, 1, 5; BGHSt 22, 375, 377; BGHSt 1, 368, 372) wären. Eine Akzessorietätsdurchbrechung liegt vor, wenn es sich bei den Mordmerkmalen um strafschärfende Merkmale (Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 211, Rn. 88; Neumann/Saliger, in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 211, Rn. 117; Schneider, in: MüKo StGB, 3. Aufl. 2017, § 211, Rn. 265, 271; Wessels/Hettinger/Engländer, Strafrecht Besonderer Teil, Bd. 1, 41. Aufl. 2017, Rn. 155) handelt. Ob diese strafschärfend oder strafbegründend sind, richtet sich nach dem Verhältnis der §§ 211, 212, 216 StGB zueinander.
Die Rspr. sieht in §§ 211, 212, 216 StGB selbstständige Tatbestände mit spezifischem Unrechtsgehalt. Mithin sind nach dieser Ansicht die Mordmerkmale strafbegründender Natur und somit ist § 28 Abs. 1 StGB anwendbar. Demnach richtet sich die Strafbarkeit nach den besonderen persönlichen Merkmalen des Haupttäters. Weist der Teilnehmer das Merkmal des Haupttäters nicht auf, käme es zu einer obligatorischen Strafmilderung. Beim Vorliegen von sogenannten gekreuzten Mordmerkmalen versagt die Rechtsprechung die obligatorische Strafmilderung. Sie bedient sich eines Kunstgriffs, wenn der Teilnehmer nicht das Merkmal des Haupttäters, jedoch ein artgleiches Unrecht verwirklicht.
E verwirklichte das Mordmerkmal der Habgier. Beim F liegt das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht vor. Daher wäre grds. die Strafe gem. § 49 Abs. 1 StGB zu mildern. Da hier aber die Situation der gekreuzten Mordmerkmale gegeben ist, versagt die Rspr. die obligatorische Strafmilderung und bestraft den Teilnehmer wegen Beihilfe zum Mord aus Habgier des E.
Die Literatur ist der Ansicht, dass zwischen den §§ 211, 212, 216 StGB ein Qualifikationsverhältnis bestehe. Mord ist mithin die Qualifikation des Totschlags. Tötung auf Verlangen ist eine Privilegierung des Totschlags. Somit kommt den Mordmerkmalen strafschärfende Wirkung zu und § 28 Abs. 2 StGB ist anwendbar. Die Strafe richtet sich demgemäß individuell danach, welche Merkmale beim Teilnehmer vorliegen.
Der E handelte aus Habgier. F hingegen handelte nicht habgierig. Er weist aber selbst das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht auf. Daher kommt es zunächst zu einer Tatbestandsverschiebung von §§ 211, 212, 27 StGB zu §§ 212, 27 StGB. Aufgrund des eigenen Mordmerkmals, der Verdeckungsabsicht, kommt es aber zu einer zweiten Tatbestandsverschiebung von §§ 212, 27 StGB zu §§ 211, 212, 27 StGB. Der Teilnehmer wird folglich wegen Beihilfe zum Mord aus Verdeckungsabsicht bestraft.
Ergebnis/Streitentscheid:
Die beiden Ansichten gelangen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Zwar wird der E nach beiden Ansichten wegen Beihilfe zum Mord bestraft, die Ansichten knüpfen jedoch an unterschiedliche Mordmerkmale an, sodass die Schuldsprüche bei einer Verurteilung differierend sind. Mithin ist ein Streitentscheid erforderlich.
Für die Rspr. lässt sich anführen, dass es sich nach dem Wortlaut der §§ 211 und 212 StGB um jeweils selbstständige Tatbestände handelt. § 211 StGB spricht vom „Mörder“; § 212 StGB spricht vom „Totschläger“. Diese unterschiedliche Bezeichnung ist ein Indiz für das Eigenständigkeitsmodell der Rspr.
Weiter legt die Systematik des Gesetzes nahe, dass es sich um selbstständige Tatbestände handelt: § 211 StGB steht vor § 212 StGB. Wäre § 211 StGB die Qualifikation des § 212 StGB stünde es hinter § 212 StGB. Denn grundsätzlich stehen Qualifikationen hinter dem Grundtatbestand.
Darüber hinaus beschreibt der § 211 StGB arteigenes Unrecht.
Dagegen spricht, dass die Begriffe „Totschläger“ und „Mörder“ nur die bei Neufassung der Tötungsdelikte verbreitete Tätertypenlehre kennzeichnen (Safferling, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 211, Rn. 4; Rengier, Strafrecht, Besonderer Teil II, 18. Aufl. 2017, § 4, Rn. 7) und daher kein Indiz für die Eigenständigkeit der Tatbestände sind. Weiter spricht die Systematik für das Qualifikationsmodell der Literatur. Denn alle Tatbestände schützen das gleiche Rechtsgut (Leben). Darüber hinaus sind § 212 StGB und § 211 StGB nicht unselbstständig, sondern beziehen sich aufeinander. Der Totschlag ist eine Tötung ohne Verwirklichung eines Mordmerkmals. Der Mordparagraph ist dem Totschlag nur aufgrund seines besonderen Unrechtsgehalts vorangestellt (Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 211, Rn. 1). Bei den §§ 249 und 253 StGB geht die Rspr. auch trotz der Reihenfolge der Tatbestände davon aus, dass die Erpressung der Grundtatbestand des Raubes ist, obwohl der Raub vor der Erpressung normiert ist (RGSt 4, 429, 432; BGHSt 14, 386, 390). Außerdem führt das Selbstständigkeitsmodell der Rspr. teilweise zu unbilligen Ergebnissen bei der Teilnahme. Zum Teil kann das Mordmerkmal des Teilnehmers von der Rspr. nicht berücksichtigt werden, wie beispielsweise bei den gekreuzten Mordmerkmalen oder der fehlenden Mitleidmotivation bei § 216 StGB, in denen die Rspr. dann durch Kunstgriffe versucht ihr Ergebnis zu korrigieren.
Im Ergebnis sprechen die überzeugenderen Argumente für die Ansicht der Literatur. Die Literatur gelangt bei allen Konstellationen zu logisch nachvollziehbaren Ergebnissen und muss sich nicht Kunstgriffen bedienen. Selbst die Rspr. hat dies in einem obiter dictum bereits angedeutet und sich der herrschenden Lehre dadurch angenähert (BGH NJW 2006, 1008, 1012).
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
F handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
III. Ergebnis
F hat sich gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5, 9, 27 Abs. 1, 28 Abs. 2 StGB strafbar gemacht, indem er E die Tatwaffe aushändigte.
 
2. Tatkomplex: Die Verkehrskontrolle: Strafbarkeit des E gem. § 185 StGB durch Äußerung gegenüber den Polizisten
E könnte sich gem. § 185 StGB wegen Beleidigung strafbar gemacht haben, indem er die beiden Polizisten „Bullen“ nannte.
I. Tatbestand
Dazu müsste der E die Polizisten beleidigt haben. Eine Beleidigung ist die Kundgabe von Missachtung oder Nichtachtung durch ein ehrrühriges Werturteil.

Hinweis: Ob eine Beleidigung anzunehmen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln und abhängig von den konkreten Umständen des Falles.

Fraglich ist, ob der Begriff „Bulle“ einen ehrverletzenden Inhalt hat. Dies ist umstritten. Einerseits wird dem Begriff eine ehrverletzende Bedeutung zugeschrieben (OLG Hamm JMBI NRW 1982, 22; LG Essen NJW 1980, 1639). Große Teile der Bevölkerung meiden den Begriff gegenüber Polizeibeamten. Der Begriff „Bulle“ unterstelle, dass Polizisten leicht reizbar und angriffslustig seien und zu unüberlegter, brutaler Gewalt neigten (LG Essen NJW 1980, 1639). Andererseits können sich Begriffe auch im Laufe der Zeit wandeln (LG Regensburg NJW 2006, 629). Der Begriff „Bulle“ sei früher zwar als Schimpfwort gebraucht worden, mittlerweile sei der Begriff aber umgangssprachlich anerkannt (LG Regensburg NJW 2006, 629). Heute würde der Begriff ohne Hintergedanken als Synonym für Polizisten genutzt. Auch in den Medien ist der Begriff geläufig, wie sich an den Fernsehserien: „Der Bulle von Tölz“ und „Der letzte Bulle“ zeigt (LG Regensburg NJW 2006, 629).
Hier war E sichtlich genervt von der Verkehrskontrolle und sagte zu den Polizisten: „Die beiden Bullen haben offenbar nichts Besseres zu tun…!“. Zwar könnte die Tatsache, dass der E genervt war dafür sprechen, dass die Bemerkung ehrrührig wirkte. Nichts desto trotz schob der E keine Beleidigung vorweg wie beispielsweise „scheiß Bulle“ oder „Drecksbulle“. Sodass nach den Gesamtumständen die besseren Argumente dafür sprechen, den ehrverletzenden Inhalt des Begriffs „Bulle“ im konkreten Fall zu verneinen (a.A. vertretbar).
II. Ergebnis
E hat sich nicht gem. § 185 StGB wegen Beleidigung strafbar gemacht haben, indem er die beiden Polizisten „Bullen“ nannte.
Gesamtergebnis und Konkurrenzen
E hat sich gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 3, 5 StGB wegen Mordes strafbar gemacht. F hat sich gem. §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 2 Var. 5, 9, 27 Abs. 1, 28 Abs. 2 StGB wegen Beihilfe zum Mord strafbar gemacht.

Hinweis: Die „Konkurrenzen“ runden eine gelungene Klausur ab. Fehlen diese, kann dies zu einem Punktabzug führen. (Ausführlich zu den Konkurrenzen: Steinberg/Bergmann, Jura 2009, 905)

11.06.2018/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2018-06-11 10:00:312018-06-11 10:00:31Anfängerklausur – Strafrecht: Der mordlustige Erbe
Redaktion

Schema: Mord, § 211 StGB

Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT, Verschiedenes

Schema: Mord, § 211 StGB

I. Tatbestandsmäßigkeit

1. Objektiver Tatbestand

a) Tötung eines anderen Menschen, § 212
– Der Tod erfordert den Hirntod, d.h. den irreversiblen Funktionsausfall des Gehirns.
– Erforderlich ist der Tod eines anderen Menschen. Das Menschsein beginnt dabei erst mit der Geburt. Entscheidend ist der Zeitpunkt der Tötungshandlung.

b)  Tatbezogene Mordmerkmale (2. Gruppe)

– Heimtücke: Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt.
– Grausam: Grausam handelt, wer dem Opfer in gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung Schmerzen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die über das zur Tötung unvermeidliche Maß hinausgehen.
– Mit gemeingefährlichen Mitteln: Ein Mittel ist gemeingefährlich, wenn der Täter die Wirkungsweise in der Tatsituation nicht beherrschen kann und dadurch nicht ausschließen kann, eine Vielzahl von Menschen zu töten.

c)  Kausalität

d)  Objektive Zurechenbarkeit

2. Subjektiver Tatbestand

a)  Vorsatz bzgl. aller Merkmale des objektiven Tatbestands, insb. in Bezug auf die tatbezogenen Mordmerkmale.

b)  Täterbezogene Mordmerkmale

aa) 1. Gruppe:

– Mordlust: Aus Mordlust tötet, wer die Tat allein um des Tötens Willen begeht.
– Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs: Liegt vor, wenn der Täter durch die Tat oder nach der Tat sexuelle Befriedigung erlangen will.
– Habgier: Habgierig handelt, wer aus triebhafter Eigensucht zur Erlangung eines materiellen Vorteils einen anderen Menschen tötet.
– Sonstige niedrige Beweggründe: Alle Motive, die auf sittliche niedrigster Stufe stehen und geradezu verachtenswert sind.

bb) 3. Gruppe

– Verdeckungsabsicht: Liegt vor, wenn der Täter die Tötung begeht um die Aufdeckung einer anderen Straftat zu verhindern.
– Ermöglichungsabsicht: Liegt vor, wenn der Täter durch die Tötung die Begehung einer anderen Straftat erleichtern oder beschleunigen will.

II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
 
Exkurs: Überblick über die Anwendung von § 28 StGB auf die Mordmerkmale:

  • Nach § 28 StGB bestimmt sich die Strafbarkeit der an der Tat Beteiligten.
  • Eine Zurechnung eines Mordmerkmals kommt stets nur dann in Betracht, wenn der Beteiligte Kenntnis von dem jeweiligen Mordmerkmal des Täters hat.
  • Bei den tatbezogenen Mordmerkmalen der 2. Gruppe ist allein die Kenntnis entscheidend. § 28 StGB findet keine Anwendung.
  • § 28 StGB findet nur Anwendung auf die täterbezogenen Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe.
  • Die Rechtsprechung wendet insofern § 28 I StGB an. Es kommt allein darauf an, ob beim Haupttäter ein Mordmerkmal vorliegt von dem der Teilnehmer (§ 28 I StGB gilt nicht für Mittäter) Kenntnis hat. Ist dies der Fall, ist der Teilnehmer ebenfalls gem. § 211 StGB (iVm § 26 StGB bzw. § 27 StGB) strafbar. Seine Strafe ist jedoch nach § 49 I StGB zu mildern.
  • Die Literatur wendet § 28 II StGB an. Für die Strafbarkeit des Beteiligten (§ 28 II StGB gilt für Teilnehmer und Mittäter) kommt es allein darauf an, ob er ein eigenes Mordmerkmal verwirklicht. Ist dies der Fall, ist er strafbar gem. §§ 212, 211 StGB (iVm § 26 StGB bzw. § 27 StGB bzw. § 25 II StGB).
  • Die Anwendung von § 28 I bzw. II StGB hängt davon ab, ob man § 211 StGB als eigenständiges Delikt betrachtet (Rspr.) oder § 211 StGB als Qualifiaktionstatbestand zu § 212 StGB ansieht (Lit.).

Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

29.06.2017/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2017-06-29 10:00:122017-06-29 10:00:12Schema: Mord, § 211 StGB

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