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Schlagwortarchiv für: Mordmerkmal

Alexandra Ritter

Heimtücke bei einem Erpresser als Tatopfer (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21)

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit neueren Tendenzen des BGH zur Auslegung und Anwendung des Mordmerkmals der Heimtücke.

Die Prüfung der Mordmerkmal muss von allen Jurastudierenden beherrscht werden. Das prüfungsrelevante Wissen beschränkt sich dabei jedoch nicht auf die jeweilige Definition, sondern es wird vorausgesetzt, die Tendenzen von Literatur und Rechtsprechung zur Auslegung darlegen zu können. In diesem Beitrag wird daher der Beschluss des BGH v. 18.11.2021 (Az. 1 StR 397/21) näher betrachtet, in dem der BGH sich mit der Auslegung des Mordmerkmals der Heimtücke befasst.

I. Sachverhalt (Schilderung nach BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21)

Der Sachverhalt, der dem Beschluss des BGH zugrunde lag, gestaltete sich wie folgt: A erwirbt von O regelmäßig Kokain. Nach einiger Zeit kündigt O dem A jedoch eine Vereinbarung, nach der A die erworbenen Rauschmittel erst zum Monatsende zu bezahlen hatte und fordert den Geldbetrag nunmehr sofort. A kann die Summe nicht aufbringen, was O dazu veranlasst „Strafzinsen“ zu verlangen. In der folgenden Zeit verlangt O von A auf diese Weise immer höhere und aus Sicht des A ungerechtfertigte Beträge. Dabei verleiht O seinen Forderungen mit gelegentlichen Schlägen und Drohungen gegenüber A Nachdruck. In der Folge übergibt A dem O wiederholt Beträge in dreistelliger Höhe.

So kommt es, dass O von A nun 8.000 Euro verlangt. A spiegelt dem O vor, dass seine Mutter einen Kredit aufgenommen und er die Forderung begleichen könne und sie verabreden sich zu einem Treffen für den nächsten Tag. Bei dem Treffen wird die Stimmung des O immer aggressiver. Schließlich fahren sie zum Haus des A und dessen Mutter. Allerdings muss O das Treffen unterbrechen, da er etwas zu erledigen hat. Bevor er geht, schlägt er A mit voller Wucht in den Bauch. Unterwegs kündigt er dem A telefonisch an, er werde alles auseinandernehmen, wenn A bei der Rückkehr des O nicht zahle.

A nimmt während der Abwesenheit des O eine Selbstladepistole vom Dachboden und steckt sie in seine Jackentasche. Später geht er so zum mit O verabredeten Standort, wo O in seinem Pkw auf A wartet. Dort setzt A sich auf die Hinterbank, sodass O dem A die Pistole nicht entreißen kann. Als O nach dem Geld fragt, erwidert A, seine Mutter sei noch nicht da. Dann zieht A die Waffe und erklärt O er brauche mehr Zeit zur Beschaffung des Geldes. O lacht den A daraufhin aus, fragt, was A mit dem „Spielzeug“ wolle und sagt: „Schieß doch, Hurensohn, ich lasse Dich nicht so einfach in Ruhe.“ Zudem macht er eine Handbewegung in Richtung des A. Darauf schießt A dreimal aus kurzer Distanz schnell hintereinander in den Kopf des O. O hatte sich in der Situation keines Angriffs auf Leib oder Leben versehen und konnte sich deshalb nicht effektiv gegen den Angriff durch A wehren. O verstarb. Den Umstand, dass O sich keines Angriffs auf Leib oder Leben versah, nutze A zur Tötung aus.

II. Entscheidung des BGH

Anders als die Vorinstanz hat der BGH in dem Verhalten des A keine heimtückische Tötung erkannt. Die Erwägungen des BGH sollen im Folgenden dargestellt werden.

1. Keine Notwehr gem. § 32 StGB

Zunächst beschäftigt sich der BGH mit der Frage, ob A aus Notwehr i.S.v. § 32 StGB und damit gerechtfertigt gehandelt haben könnte. Er bejaht das Vorliegen einer Notwehrlage durch einen andauernden und damit gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf die freie Willensentschließung und das Vermögen des A,

„weil die von gewalttätigen Übergriffen begleiteten fortlaufenden Drohungen des Tatopfers zwecks Durchsetzung der von ihm erstrebten rechtsgrundlosen Zahlungen ununterbrochen fortwirkten und sich sogar zunehmend intensivierten.“ (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 7)

Allerdings war die Notwehrhandlung, wenn auch geeignet, nicht geboten, da es dem Täter zumutbar gewesen wäre, das erpresserische Verhalten des O durch Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden zu beenden. Dem stehe auch nicht das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung („nemo tenetur“) entgegen, da A die Anzeige ohne Preisgabe seiner Beteilung an Drogengeschäften hätte aufgeben können (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 8).

A handelte demnach nicht gerechtfertigt gem. § 32 StGB.

2. Kein § 33 StGB

Zudem liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Täter das Notwehrrecht aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten habe, sodass auch § 33 StGB ausscheidet (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 9).

3. Kein entschuldigender Notstand

Auch die Voraussetzungen des § 35 StGB liegen, wegen der zumutbaren Möglichkeit der Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden, nicht vor (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 10).

4. Kein § 211 StGB

Nachdem der BGH festgestellt hat, dass A weder gerechtfertigt noch entschuldigt gehandelt hat, beschäftigt er sich mit der Frage, ob A durch sein Verhalten das Mordmerkmal der Heimtücke verwirklicht hat.

a) Heimtücke i.S.v. § 211 Abs. 2 StGB

„Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist dabei, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren.“ (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 12)

Problematisch ist in der hiesigen Fallkonstellation insbesondere die Arglosigkeit des O.

aa) Zunächst könnte es an der Arglosigkeit des O dadurch fehlen, dass A dem O die Waffe offen gezeigt hat. Aber:

„Heimtückisches Handeln erfordert jedoch kein „heimliches“ Vorgehen. Nach ständiger Rspr. des BGH kann das Opfer vielmehr auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass ihm keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (stRspr; vgl. nur BGH Urt. v. 6.1.2021 – 5 StR 288/20 Rn. 28 mwN.).“  (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 13, Hervorhebung durch d. Verf.)

bb) Sodann eröffnet der BGH die Möglichkeit der normativen Auslegung des Mordmerkmals der Heimtücke.

„Begeht der Täter seine Tat als Opfer einer Erpressung in einer bestehenden Notwehrlage, kann dies – unbeschadet der weiteren Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes – Auswirkungen auf die Beantwortung der Frage heimtückischen Handelns haben (vgl. BGH Urt. v. 12.2.2002 – 1 StR 403/02, BGHSt 48, 207 ff. Rn. 9). Das Mordmerkmal der Heimtücke ist insoweit einer – auch normativ orientierten – einschränkenden Auslegung zugänglich, die dem Wortsinn des Begriffs der Heimtücke mit dem ihm innewohnenden Element des Tückischen Rechnung zu tragen hat (BGHSt, aaO, Rn. 12; kritisch hierzu – nicht tragend – BGH Urt. v. 10.5.2007 – 4 StR 11/07 Rn. 20; und v. 10.11.2004 – 2 StR 248/04 Rn. 19; vgl. im Übrigen BGH Urt. v. 19.8.2020 – 5 StR 219/20 Rn. 11 f., 18).“(BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 14, Hervorhebung durch d. Verf.)

Weiter beschäftigt der BGH sich mit der Frage, ob in derartigen Konstellationen, in denen eine normativ einschränkende Auslegung in Betracht kommt, das Opfer überhaupt arglos sein kann.  Dazu führt er aus:

„Die Beurteilung, ob ein Mensch arglos ist, richtet sich dabei grundsätzlich nach seiner tatsächlichen Einsicht in das Bestehen einer Gefahr; maßgeblich sind hierfür jeweils die Umstände des konkreten Einzelfalls (vgl. BGHSt, aaO Rn. 11 [BGH Urt. v. 12.2.2002 – 1 StR 403/02, BGHSt 48, 207 ff.]). Ein Erpresser mag in der von ihm gesuchten Konfrontation mit dem Erpressten im Hinblick auf einen etwaigen abwehrenden Gegenangriff des Opfers auf sein Leben regelmäßig dann nicht arglos sein, wenn er in dessen Angesicht im Begriff ist, seine Tat zu vollenden oder zu beenden und damit den endgültigen Rechtsgutsverlust auf Seiten des Erpressten zu bewirken. Das sich wehrende Erpressungsopfer handelt hiernach in einem solchen Fall in aller Regel nicht heimtückisch (BGHSt, aaO Rn. 10). Denn in einer Konstellation, in der sich das Erpressungsopfer gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen erpresserischen Angriff durch Tötung seines Erpressers wehrt, ist regelmäßig der Erpresser der Angreifer, weil er durch sein Verhalten den schützenden oder trutzwehrenden Gegenangriff herausgefordert hat, mag dieser Gegenangriff sich nun im Rahmen des durch Notwehr Gerechtfertigten halten oder die Grenzen der Notwehr überschreiten (BGHSt, aaO Rn. 11). Da der Erpresser mit einer Ausübung des Notwehrrechts durch sein Opfer grundsätzlich jederzeit rechnen muss, spricht bereits die Grundkonstellation gegen dessen Arglosigkeit (vgl. BGHSt, aaO, vgl. auch Urt. v. 9.1.1991 – 3 StR 205/90; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13); deren Vorliegen ist aber dennoch aufgrund einer Gesamtwürdigung der konkreten Tatumstände im Einzelfall festzustellen (BGHSt, aaO).“ (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 15, Hervorhebung durch d. Verf.)

Daraus schlussfolgert der BGH, dass die sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls richtende Feststellung, ob das Opfer arglos war, oder es die Arglosigkeit durch den Angriff auf die Willensfreiheit des späteren Täters verloren hat, dahinstehen kann,

„weil es [das Opfer bzw. der Erpresser] in einer von ihm geschaffenen Notwehrlage schon nach der gesetzlichen Wertung jederzeit mit einem Gegenangriff des Erpressten rechnen muss (vgl. BGHSt, aaO)“, (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 16).

Der (tödlichen) Gegenwehr des Erpressungsopfers wohne das Tückische nicht in dem Maße inne, „welches den gesteigerten Unwert des Mordmerkmals der Heimtücke kennzeichnet (BGHSt, aaO.)“ (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 16). Aufgrund der vom Erpresser geschaffenen Notwehrlage, sei dieser der „wirkliche Angreifer“, der wegen der gesetzlichen Wertung des § 32 StGB mit Gegenwehr rechnen müsse (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 16). Handelt das sich wehrende Opfer in dieser Situation im Randbereich der erforderlichen und gebotenen Verteidigung oder exzessiv,

„erscheint es bei wertender Betrachtung nicht systemgerecht, dem sich wehrenden Opfer […] das Risiko aufzubürden, bei Überschreitung der rechtlichen Grenzen der Rechtfertigung oder auch der Entschuldigung sogleich das Mordmerkmal der Heimtücke zu verwirklichen (BGHSt, aaO).“(BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 16)

In dem vorliegenden Fall hat der BGH daher ein heimtückisches Verhalten des A verneint.

b) Rückausnahmen möglich?

Im Anschluss an diese Feststellung trifft der BGH Ausführungen dazu, dass das Verhalten des A im konkreten Fall nicht planmäßig auf die Tötung des O gerichtet war und er die Situation auch nicht gezielt vorbereitet hatte (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21, NStZ 2022, 288 Rn. 17 f.). Diese Ausführungen haben den Anklang, dass der BGH sich Rückausnahmen vorbehalten möchte, in denen trotz der obigen Erwägungen in ähnlichen Situationen die Bejahung der Heimtücke möglich sein soll (s. hierzu auch Holznagel, RÜ 5/2022, 301, 305 Randbemerkung).

III. Bewertung

Die Entscheidung des BGH wurde in der Literatur aus verschiedenen Gründen kritisiert.

1. Dogmatische Anknüpfung

Zunächst eröffnet Nettersheim in seiner Anmerkung zu dem Beschluss (NStZ 2022, 288, 290 ff.), die Frage, ob die Tücke ein geeigneter Anknüpfungspunkt ist, um die vom BGH vorgenommenen Wertungen einzubringen. Dem stehe entgegen, dass der Arg- und Wehrlosigkeit nach stetiger Rechtsprechung ein rein faktisches Verständnis zugrunde liege (Nettersheim, NStZ 2022, 288, 290 f.; auch i.E. dies als nicht überzeugend einordnend Jäger, JA 2022, 697, 699). Nach der Rechtsprechung ist es grundsätzlich unbeachtlich, ob das Opfer mit einer Attacke hätte rechnen müssen (BGH, Urt. v. 13.11.1985 – 3 StR 273/85; Eisele, JuS 2022, 370, 372; Jäger, JA 2022, 697, 699).

Die Wertung des BGH, dass einer Tötung bei bestehender Notwehrlage das Tückische fehle – auch wenn die Grenzen der gebotenen Verteidigung überschritten werden – entspricht im Ergebnis der von der Literatur bereits vertretenen negativen Typenkorrektur (Jäger, JA 2022, 697, 699 m.w.N.). Nach der negativen Typenkorrektur ist in Fällen wie dem hier behandelten das Merkmal der Heimtücke zunächst zu bejahen, schließlich sind seine Voraussetzungen nach der Definition erfüllt. Im Anschluss ist dann zu prüfen, ob im Einzelfall Umstände vorliegen, welche der besonderen Verwerflichkeit, die die Mordmerkmale auszeichnet, entgegenstehen. Befindet der Täter sich in einer Notwehrlage und erwehrt er sich eines Angriffs, kann es dann an der besonderen Verwerflichkeit fehlen und die Annahme der Heimtücke ist dann nicht gerechtfertigt.

2. Abweichung von der Rechtsfolgenlösung

Ein weiterer Kritikpunkt lautet, dass der BGH die Tötung des Erpressers anders als die Tötung im sog. Haustyrannenfall (BGH, Urt. v. 25.3.2003 – 1 StR 483/02) beurteile (Nettersheim, NStZ 2022, 288, 290 f.). Hier wurde die Täterin wegen Mordes verurteilt, die Strafe jedoch nach §§ 35 II, 49 I Nr. 1 StGB gemildert (Stichwort: Rechtsfolgenlösung).

Hierbei bedarf es jedoch eines genaueren Blicks: Die korrigierende Wertung, die den BGH im vorliegenden Fall dazu veranlasste, die Heimtücke zu verneinen, beruht auf der Erwägung, dass eine Notwehrlage in der Tötungssituation gegeben war. In den sog. Haustyrannenfällen liegt im Tatzeitpunkt lediglich eine Dauergefahr vor, die keinen gegenwärtigen Angriff i.S.v. § 32 StGB begründet. Hierin unterscheiden sich die Fallkonstellationen (s. auch Jäger, JA 2022, 697, 699).

IV. Hinweise für die Fallbearbeitung

Der Fall eignet sich sowohl für die Prüfung der Heimtücke im schriftlichen als auch im mündlichen Examen. Studierende, die mit den Ansätzen der Literatur und Rechtsprechung zur Auslegung der Mordmerkmale vertraut sind, können hier ihr Verständnis davon beweisen und auch die Tendenzen der Rechtsprechung hin zur negativen Typenkorrektur, die bislang von (Teilen) der Literatur vertreten wurde, aufzeigen. Dabei muss jedoch der Sachverhalt präzise subsumiert werden, um die Wertungen bei der Tötung des Erpressers nicht mit denen der sog. Haustyrannenfälle zu vermischen oder zu verwechseln.

Für den Prüfungsaufbau bietet es sich an, nicht mit dem schwersten Delikt (§ 211 StGB) zu beginnen, sondern mit dem Totschlag gem. § 212 StGB. Dadurch können Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe auf der Rechtfertigungsebene geprüft und eine Inzidentprüfung auf Tatbestandsebene vermieden werden (s. hierzu auch Jäger, JA 2022, 697, 698; Holznagel, RÜ 5/2022, 301 ff.). In der zweiten Prüfung kann dann bei der Bearbeitung des Mordmerkmals der Heimtücke auf die Ausführungen zur Notwehrlage Bezug genommen werden.

25.07.2022/1 Kommentar/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-07-25 07:26:112022-08-05 07:38:01Heimtücke bei einem Erpresser als Tatopfer (BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – 1 StR 397/21)
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel in Abgrenzung zur „Mehrfachtötung“

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Mit aktuellem Beschluss vom 14.04.2020 hat der BGH (Az.: 5 StR 93/20) die Anforderungen an das Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel gem. § 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 4 StGB speziell für den Fall naturgemäß gemeingefährlicher Mittel – wie der Brandstiftung – abermals konturiert. Eine sichere Prüfung dieses Tatbestandsmerkmals gehört zu den absoluten Basics, die von jedem Examenskandidaten beherrscht werden sollten. Das Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel hat zudem insbesondere infolge der Raserfälle in jüngerer Vergangenheit erhöhte Aufmerksamkeit erfahren (s. hierzu LG Berlin v. 27.02.2017 − (535 Ks) 251 Js 52/16 (8/16); offen gelassen in der Revisionsinstanz: BGH v. 16.01.2019 – 4 StR 345/18), sodass von einer gesteigerten Prüfungsrelevanz auszugehen ist. Die Entscheidung soll daher zum Anlass genommen werden, sich – unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des BGH zur Abgrenzung von der „schlichten Mehrfachtötung“ – eingehender mit dem Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel auseinanderzusetzen.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Der Täter T zündete in dem von ihm bewohnten Zimmer im ersten Obergeschoss eines Wohnkomplexes aus Unzufriedenheit mit seiner Wohnsituation eine auf seinem Bett liegende Wolldecke an, schloss die Zimmertür und verließ anschließend das Haus. Dabei war dem T bewusst, dass sich im ersten Obergeschoss zwei weitere Bewohner aufhielten. Zudem rechnete er damit, dass sich im Dachgeschoss mindestens eine weitere Person befand. Ihm war das hohe Gefahrenpotential eines Feuers in einem Wohnhaus bewusst und er erkannte die naheliegende Möglichkeit einer körperlichen Verletzung oder des Todes der im Wohnhaus anwesenden Personen durch das Feuer oder entstehende Rauchgase und fand sich mit dem möglichen Eintritt dieser Folgen ab. Das Feuer entwickelte sich zunächst unbemerkt. Als ein im selben Geschoss wohnender Bewohner den Brand entdeckte, stand bereits das ganze Bett des T in Flammen. Er machte einen weiteren im ersten Obergeschoss wohnenden Zeugen auf den Brand aufmerksam, beide alarmierten einen im Dachgeschoss wohnenden Bewohner; sie flüchteten gemeinsam ins Freie und alarmierten die Feuerwehr. Zwei der drei Bewohner erlitten leichte bis mittelschwere Rauchgasvergiftungen. Als die Feuerwehr eintraf, konnte sie ohne Atemschutz nur bis zur Hälfte der Holztreppe ins Obergeschoss vordringen. Aufgrund der Hitze, des Rauchgases und des fehlenden Sauerstoffs bestand ab dort akute Lebensgefahr. Erst zwölf Minuten später konnten mit Atemschutzgeräten und Wärmeschutzanzügen ausgestattete Feuerwehrtrupps das Gebäude betreten und in die Obergeschosswohnung vordringen. Der im Zimmer des T lodernde Vollbrand konnte gelöscht werden.
 
B) Rechtsausführungen
Der Fokus der Prüfung soll auf der Frage liegen, ob sich T wegen versuchten Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln in drei tateinheitlichen Fällen gemäß §§ 211 Abs. 1, Abs. 2 Gr. 2 Var. 3, 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat.
 
Anmerkung: Das Landgericht Saarbrücken hatte den Angeklagten in erster Instanz wegen versuchten Mordes in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung, schwerer Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt. Aus didaktischen Gründen wird im Rahmen dieses Beitrags von der Prüfung der weiteren Delikte abgesehen; sie sollten in einer Klausur aber zwingend bedacht werden.
 
I. Vorprüfung
Mangels Erfolgseintritts wurde die Tat nicht vollendet. Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus dem Verbrechenscharakter des Mordes, §§ 211 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB.
 
II. Tatentschluss
T müsste mit Tatentschluss gehandelt haben. Dies setzt Vorsatz hinsichtlich der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes sowie das Vorliegen etwaiger subjektiver Tatbestandsmerkmale voraus. Zweifelsohne kann nach den Feststellungen der Tötungsvorsatz bejaht werden. Fraglich ist allein, ob es sich bei der Brandstiftung um eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln i.S.v. § 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 3 StGB handelt.
 
1. Präzisierung der Gemeingefährlichkeit
Ein Tötungsmittel ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH gemeingefährlich, „wenn es in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Anzahl von Menschen an Leib oder Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters.“ (S. etwa BGH, Beschl. v. 18.07.2018 – 4 StR 170/18, NStZ 2019, 607 mwN). Für die Gemeingefährlichkeit ist mithin entscheidend, inwieweit das spezifische Mittel infolge seines Einsatzes nicht mehr beherrschbar und aufgrund dessen im Allgemeinen in seiner Wirkung geeignet ist, mehrere Menschen an Leib und Leben zu verletzen. Dabei kommt es – so ausdrücklich der BGH in seiner aktuellen Entscheidung – auf den Umfang des konkreten Gefährdungsbereichs nicht an:

„Seine Beschränkung auf eine Räumlichkeit schließt die Eigenschaft als gemeingefährliches Mittel nicht aus, denn jede auch noch so allgemeine Gefahr hat der Natur der Sache nach irgendeine örtliche Grenze.“ (Rn. 8)

Mit anderen Worten: Dass der T den Brand in seinem Zimmer gelegt hat, schließt die Gemeingefährlichkeit des Mittels nicht grundsätzlich aus. Im Gegenteil wohnt bestimmten Handlungen, zu denen der Einsatz von Brandsetzungsmitteln oder Explosionsstoffen zählen, aufgrund ihrer naturgemäß fehlenden Beherrschbarkeit die Gemeingefährlichkeit bereits inne. Ausdrücklich formuliert der BGH:

„Es gibt nach ihrer Eigenart grundsätzlich gemeingefährliche Mittel, bei denen allenfalls im Einzelfall die Beherrschbarkeit bejaht oder bei der speziellen Art ihrer Handhabung die Gefahr für eine Vielzahl von Menschen ausnahmsweise verneint werden kann. Dazu zählen Brandsetzungsmittel und Explosionsstoffe. Bei ihnen hat der Täter die Folgen seines Tuns typischerweise nicht in der Hand (…). An der gemeingefährlichen Verwendung fehlt es bei an sich nicht beherrschbaren Mitteln nur dann, wenn der Täter im konkreten Fall davon ausgeht, es könne dadurch nur die zur Tötung ins Auge gefasste Person getroffen werden.“ (Rn. 9)

Kurzum: Es kommt also darauf an, dass der Täter gerade aufgrund der Unbeherrschbarkeit des von ihm gewählten Mittels nicht ausschließen kann, eine Mehrzahl von Personen zu töten. Wählt er ein Mittel, das – wie hier die Brandstiftung – schon seiner Art nach im Regelfall nicht beherrscht werden kann, fehlt es an der Gemeingefährlichkeit nur in Ausnahmefällen.
 
2. Eine Abgrenzung zu „Mehrfachtötungen“
Die Gemeingefährlichkeit des Mittels war aber nach bisheriger Rechtsprechung des BGH auch bei ihrer Eigenart nach unbeherrschbaren Mitteln dann abzulehnen, wenn es sich bei der konkreten Tat um eine „bloße Mehrfachtötung“ handelte (vgl. BGH, Beschl. v. 18.07.2018 – 4 StR 170/18, NStZ 2019, 607, und v. 12.11.2019 – 2 StR 415/19; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 127 mwN). Die Abgrenzung erfolge danach, ob sich der Täter mit Tötungsvorsatz gegen eine bestimmte Anzahl individualisierter Opfer wende – dann liege eine Mehrfachtötung und keine Gemeingefährlichkeit vor – oder ob er auch die Tötung von Zufallsopfern billigend in Kauf nehme (s. hierzu auch Altvater, NStZ 2006, 86, 90). Konnte also festgestellt werden, dass sich die Tat trotz Einsatzes eines naturgemäß gemeingefährlichen Mittels gegen einen individualisierten Kreis von Personen richtet, war das Vorliegen dieses Mordmerkmals zu verneinen (s. hierzu insbesondere die lesenswerte Entscheidung des BGH v. 18.07.2018 – 4 StR 170/18, NStZ 2019, 607).
In seiner aktuellen Entscheidung äußert der BGH hingegen zu Recht begründete Zweifel an der Aufrechterhaltung dieser Rechtsprechung:

„Es erscheint wertungswidersprüchlich, den Täter, der von vornherein eine konkrete Vielzahl von Opfern durch ein in seinem Gefahrenpotential nicht beherrschbares Mittel tötet, gegenüber demjenigen zu privilegieren, der ohne diese Konkretisierung aufgrund der Gemeingefahr des Tötungsmittels auch nicht bereits individualisierte Opfer in Kauf nimmt (vgl. näher Schneider, aaO Rn. 127). Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung müsste in Fällen nicht weiterer Aufklärbarkeit der Tätervorstellung der Zweifelssatz für die Annahme sprechen, dem Täter sei es gerade auf die Tötung aller in die Gefahrenlage einbezogenen Personen angekommen. Weder die Formulierung noch der Sinn und Zweck des Mordmerkmals gebieten nach Ansicht des Senats eine solche Auslegung. Das gesetzliche Tatbestandsmerkmal stellt lediglich auf die vom Vorsatz umfasste Art des Tatmittels, nicht auf die Konkretisierung des Opfers in der Vorstellung des Täters ab. Die Unbestimmbarkeit des Opferkreises folgt vielmehr aus der besonderen Art des Tötungsmittels, das nach Freisetzung der in ihm ruhenden Kräfte für den Täter nicht mehr beherrschbar ist. Entscheidend muss es deshalb darauf ankommen, ob für den Angeklagten nicht mehr berechenbar ist, wie viele Menschen durch das Tatmittel verletzt und getötet werden können, weil er den Umfang der Gefährdung nicht beherrscht (…). Hat es der Täter bewusst nicht in der Hand, wie viele Menschen in den von ihm geschaffenen Gefahrenbereich geraten und durch sein Verhalten gefährdet werden, tötet er nach Ansicht des Senats auch dann mit gemeingefährlichen Mitteln, wenn er mit dem für ihn unbeherrschbaren Mittel eigentlich nur eine bestimmte Zahl konkreter Menschen töten will (…).“ (Rn. 11 f.)

 
III. Im konkreten Fall ohnehin fehlende Individualisierung des Opferkreises
Ob die Rechtsprechung, die bei der Abgrenzung zur Mehrfachtötung auf die Individualisierung des Personenkreises beim Einsatz per se unbeherrschbarer Mittel abstellt, aufrechterhalten werden kann, konnte jedoch letztlich offenbleiben, da dem T nach den Urteilsfeststellungen jedenfalls bewusst war, dass weitere, nicht näher konkretisierte Bewohner des Hauses an Leib und Leben gefährdet werden konnten. Er hatte weder kontrolliert, welche Personen sich in dem Wohnkomplex aufhielten, noch sichergestellt, dass weitere Bewohner oder Besucher das Haus nach der Brandlegung nicht mehr betreten. Zwar bezog sich sein bedingter Tötungsvorsatz auf zwei konkrete Hausbewohner, er rechnete aber auch damit, dass mindestens eine weitere, nicht konkretisierte Person im Haus war. Zudem wurden mit den Rettungskräften der Feuerwehr auch weitere Personen gefährdet. Der Kreis der potentiell durch die Brandlegung an Leib und Leben Gefährdeten war durch die Eigenart des Brandobjekts und die Dauer des Brandes letztlich unbestimmbar. (Rn. 15) Damit ist selbst nach der einschränkenden bisherigen Rechtsprechung des BGH der Einsatz gemeingefährlicher Mittel in diesem Fall anzunehmen. Der T hatte Vorsatz in Bezug auf die Begehung eines Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln i.S.v. § 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 3 StGB.
 
Achtung: Liegt die Sachverhaltskonstellation anders, ist dem T etwa versehentlich eine Zigarette auf die Decke gefallen und verlässt er daraufhin das Haus, kommt lediglich ein versuchter Mord durch Unterlassen gem. §§ 211, 212, 13 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB in Betracht (Garantenstellung durch Ingerenz). Nach zweifelhafter Ansicht des BGH (Grundlegend BGHSt 34, 13; zutr. a.A. Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 211 Rn. 61) kann die Variante der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln aber nicht durch Unterlassen verwirklicht werden. Nach diesen Maßstäben würde sich die hiesige Problematik (Gemeingefährlichkeit nur bei fehlender Individualisierung des Personenkreises) gar nicht stellen – so fragwürdig das sein mag. 
 
Anmerkung: In Betracht könnte man zudem das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe gemäß § 211 Abs. 2 Gr. 1 Var. 4 StGB ziehen. Hierunter fällt die Tötung aus solchen Motiven, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb als besonders verwerflich anzusehen sind. Beurteilt wird dies nach der gesellschaftlich anerkannten und gelebten Sozialmoral, wobei die Umstände der Tat, ihre Vorgeschichte, die Lebensverhältnisse des Täters sowie seine Persönlichkeit in einer Gesamtschau zu bewerten sind (ausführlich MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, § 211 Rn. 70 ff.). Aufgrund der restriktiven Handhabe des Merkmals wird man im vorliegenden Fall das Motiv des T – die Unzufriedenheit mit seiner Wohnsituation – aber mangels weiterer Informationen wohl nicht als in besonderem Maße verwerflich einordnen können.
 
III. Unmittelbares Ansetzen
Gemäß § 22 StGB liegt der Versuch einer Straftat aber erst dann vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt hat. Zwar ist dies nach ständiger Rechtsprechung des BGH bereits dann der Fall, wenn eine vorgelagerte Handlung „nach der Vorstellung des Täters bei ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte zur Tatbestandsverwirklichung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in sie einmündet (s. exemplarisch BGH, Urt. v. 16.09.1975 – 1 StR 264/75, BGHSt 26, 201, 203; v. 16.01.1991 – 2 StR 527/90, BGHSt 37, 294, 297 f. und v. 20.03.2014 – 3 StR 424/13, NStZ 2014, 447; Besch. v. 29.01.2014 – 1 StR 654/13, JR 2014, 299, 300 und v. 20.09.2016 – 2 StR 43/16, NStZ 2017, 86 f.).“ Jedenfalls aber ist der Eintritt ins Versuchsstadium dann erfolgt, wenn der Täter bereits mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung dergestalt begonnen hat, dass bereits ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht wurde. Dies ist hier der Fall: Durch das Anzünden der Decke und das anschließende Verlassen des Hauses hat der T die Tathandlung vorgenommen. Damit hat er unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.
 
IV. Rechtswidrigkeit und Schuld
Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
 
V. Ergebnis
T hat sich wegen versuchten Mordes gemäß §§ 211 Abs. 1, Abs. 2 Gr. 2 Var. 3, 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
 
C) Fazit
Zusammenfassend kommt es für die Qualifikation eines Tötungsmittels als gemeingefährlich darauf an, ob das Mittel – wegen seiner abstrakten Gefährlichkeit, aber auch wegen seiner Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters – eine unbestimmte Anzahl von Menschen an Leib oder Leben gefährden kann, gerade weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht beherrschen kann. Bestimmte Mittel wie beispielsweise der Einsatz von Sprengstoff sind dabei schon ihrer Art nach typischerweise nicht zu kontrollieren, sodass sie nur in besonderen Fällen nicht als gemeingefährlich einzuordnen sind. Nach bisheriger BGH-Rechtsprechung kommt gleichwohl eine Verneinung der Gemeingefährlichkeit dann in Betracht, wenn sich der Täter mit Tötungsvorsatz gegen eine bestimmte Anzahl individualisierter Opfer richtet. Ob diese Rechtsprechung gerade in Fällen der Brandlegung in einem Wohnhaus künftig aufrechterhalten bleibt, wird man indes abwarten müssen; in der hier besprochenen Entscheidung hat der BGH dies mit überzeugenden Argumenten in Zweifel gezogen.
 
 

29.06.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-06-29 09:00:462020-06-29 09:00:46BGH: Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel in Abgrenzung zur „Mehrfachtötung“
Dr. Gerrit Forst

BGH: Kein Mord mit gemeingefährlichen Mitteln durch Unterlassen

Strafrecht

Ein neuer Beschluss des BGH legt das Mordmerkmal des gemeingefährlichen Mittels (§ 211 Abs. 2 Gruppe 2 Var. 3 StGB) aus. Der 3. Senat kommt zu dem Schluss, dass das Merkmal nicht durch Unterlassen begangen werden kann.
Sachverhalt
Der Angeklagte hatte geglaubt, dass seine Lebensgefährtin die Beziehung beendet habe. Aus Verzweiflung entschloss der Angeklagte sich zum Suizid. Er öffnete in seiner Wohnung, die sich in einem Mehrfamilienhaus befand, eine Gasleitung, um sich zu vergiften. Nach ca. einer viertel Stunde schloss er den Gashahn wieder. Ein anschließendes Telefonat brachte den Angeklagten zur Räson. Als seine Ex-Lebensgefährtin an der Tür klingelte, um ihre Sachen abzuholen, ließ er sie ein und ließ es geschehen, dass sie sich eine Zigarette anzündete. Durch die anschließende Gasexplosion wurde das Haus zum Einsturz gebracht, ein Nachbar kam dabei um. Das Landgericht verurteilte den Angeklagten unter anderem wegen Mordes durch Unterlassen zu Lasten des Nachbarn in der Variante der gemeingefährlichen Begehung.
Entscheidung
Der 3. Senat schließt sich den Ausführungen des Generalbundesanwalts an, der darauf hinweist, dass nach herrschender Ansicht (BGHSt 34, 13 f.; Schneider in MK StGB § 211 Rdnr. 13; Eser in Schönke/Schröder 27. Aufl. § 211 Rdnr. 29; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 211 Rdnr. 11; Arzt in FS Roxin S. 855, 858; a. A. Fischer StGB 56. Aufl. § 211 Rdn. 61; Jähnke in LK 11. Aufl. § 211 Rdnr. 58; offen gelassen von BGHSt 48, 147, 149) die Mordvariante „mit gemeingefährlichen Mitteln“ grundsätzlich nicht durch Unterlassen begangen werden kann. Es soll nach h.M. nicht genügen, dass der Täter eine bestehende gemeingefährliche Situation ausnutzt. Begründet wird dies mit der Erwägung, dass das Mordmerkmal die besondere Rücksichtslosigkeit des Täters sanktioniere, der ein Mittel einsetze, welches er anschließend nicht mehr beherrschen könne. Werde lediglich eine schon bestehende Gefahr ausgenutzt, rechtfertige der Zweck des Tatbestandes keine Strafschärfung.
Bewertung
Man mag der h.M. folgen oder nicht. Gegen sie spricht, dass wegen Unterlassens nur bestraft werden kann, wer Garant ist, wen also für die Gefahr eine besondere Verantwortung trifft (§ 13 Abs. 1 StGB). Deshalb ist es keineswegs so, dass der Unterlassungstäter bloß eine zufällig vorhandene Gefahr ausnutzt. Vielmehr „handelt“ der Unterlassende genauso rücksichtslos wie ein aktiv Handelnder, wenn er seine Garantenpflicht in dem Bewusstsein nicht wahrnimmt, eine nicht überschaubare Zahl von Personen zu schädigen. Gleichwohl ist das Urteil richtig, denn nach den Sachverhaltsfeststellungen fehlte es dem Täter bei Schaffung der Gefahr (Gashahn öffnen) am Tötungsvorsatz bezüglich des Nachbarn. Er ging dann auch später wohl davon aus, dass die Explosion sich auf das Wohnzimmer beschränken würde.
BGH, Beschluss vom 7.7.2009 – 3 StR 204/09.

12.08.2009/1 Kommentar/von Dr. Gerrit Forst
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Gerrit Forst https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Gerrit Forst2009-08-12 14:13:212009-08-12 14:13:21BGH: Kein Mord mit gemeingefährlichen Mitteln durch Unterlassen

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