Sachverhalt
K ist 1947 geboren und seit 1980 bei einem Einzelhandelsunternehmen E (bzw. seiner Rechtsvorgängerin) als Kommissionierer beschäftigt. Sein Entgelt setzt sich aus einer Grundvergütung und einer Prämie zusammen. Eine Prämie wird gezahlt, wenn der Arbeitnehmer die mit Zahlenwert 1,0 versehene Normalleistung überschreitet. Die Leistungswerte des K lagen 1999 bei 0,57 und im Jahre 2000 bei 0,62. Die durchschnittlich erreichte Prämienstufe der Kommissionssammler im Hauptlager lag 1999 bei 1,06 und im Jahre 2000 bei 1,01. E wies in zwei Gesprächen den K auf seine nicht ausreichenden Leistungen hin. K erhielt 1999 und 2000 jeweils eine Abmahnung in der er durch die E zu einer Leistung von mindestens 1,0 aufgefordert wurde. Als sich keine Veränderung der Leistung einstellte kündigte die E dem K ordentlich. Daraufhin erhob K fristgerecht Kündigungsschutzklage vor dem zuständigen Arbeitsgericht.
Begründetheit der Kündigungsschutzklage?
A. Zulässigkeit
Die Kündigungsschutzklage ist zulässig.
B. Begründetheit
I. Bestehen eines Arbeitsverhältnis z.Z. der Kündigung
Zwischen den Parteien bestand unstreitig zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ein wirksames Arbeitsverhältnis.
II. Wirksame Kündigungserklärung
1. Schriftform, §§ 623, 126 BGB
Eine Kündigung muss immer schriftlich erfolgen, vgl. § 623 BGB
2. Erklärung durch Kündigungsberechtigten
Die Kündigung muss vom Kündigungsberechtigen unterschrieben worden sein, soweit nicht der „Chef“ selbst unterschrieben hat ist darauf zu achten, dass eine Originalvollmacht anbei liegt. Liegt keine Originalvollmacht anbei kann die Kündigung ggf. zurückgewiesen werden, vgl. § 174 BGB.
3. Zugang der Kündigung, § 130 BGB
Die Kündigung ist dem K auch unstreitig postalisch zugegangen. Anmerkung: In der Praxis wird eine direkte Übergabe im Betrieb gegen Empfangsbestätigung oder eine Zustellung durch einen Boten, der zu Beweiszwecken den Inhalt des Schreibens kennt, empfohlen.
III. Rechtzeitige Erhebung der Kündigungsschutzklage
Die Kündigung muss innerhalb der Drei-Wochen-Frist angegriffen werden, § 4 S.1 KSchG. Die Frist beginnt ab Zugang der schriftlichen Kündigung. Geschieht dies nicht tritt die Präklusionswirkung des § 7 KSchG ein mit der Folge, dass die Kündigung als von Anfang an als wirksam gilt.
IV. Allgemeine Kündigungsschutzgründe z.B. §§ 134, 138, 242 BGB (-)
V. Besonderer Kündigungsschutz/Zustimmungserfordernis
Es ist kein besonderer Kündigungsschutz bzw. ein Zustimmungserfordernis ersichtlich z.B. § 85 SGB IX, § 9 MuSchG, § 18 BEEG, §§ 15 KSchG i.V.m. § 103 BetrVG (-)
VI. Betriebsratsanhörung, § 102 BetrVG
Bei einer Kündigung wegen Schlecht- bzw. Minderleistung sollte soweit ein Betriebsrat vorhanden ist dieser vorsorglich immer zu einer personenbedingten als auch zu einer verhaltensbedingten Kündigung angehört werden.
VII. Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes
1. Arbeitnehmer
K ist unstreitig Arbeitnehmer der E.
2. Wartezeit erfüllt, § 1 Abs. 1 KSchG (sechs Monate)
K hat die Wartezeit von sechs Monaten des § 1 Abs. 1 KSchG erfüllt, da sein Arbeitsverhältnis bei E bereits seit 1980 besteht (Betriebszugehörigkeit über 20 Jahre).
3. Kein Kleinunternehmen gem. § 23 KSchG
Es handelt sich hier nicht um einen Kleinbetrieb i.S.d § 23 KSchG so, dass die Kündigung am Maßstab der sozialen Rechtfertigung nach § 1 KSchG zu überprüfen ist.
4. Soziale Rechtfertigung, § 1 Abs. 2 KSchG
Sozial ungerechtfertigt ist eine Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe die in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG).
a) Betriebsbedingte Kündigung
Eine betriebsbedingte Kündigung kommt hier nicht Betracht, da durch Einführung des Mess-Systems gekoppelt mit einer Leistungsabhängigen Prämienzahlung weder der Arbeitsplatz aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung weggefallen ist noch sich die Anforderungen aufgrund dieses Systems gravierend geändert haben. In Betracht kommt hier vielmehr sowohl eine Verhaltensbedingte als auch eine personenbedingte Kündigung wegen Schlecht- bzw. Minderleistung (sog. Low Performer Kündigung). Ein verhaltensbedingter Grund läge vor: „wenn der Mitarbeiter kann, aber nicht will“. Ein in der Person bedingter Kündigungsgrund läge hingegen vor: „wenn der Mitarbeiter will, aber nicht kann“.
b) Verhaltensbedingte Kündigung
Für eine verhaltensbedingte Kündigung genügen solche im Verhalten des Arbeitnehmers liegende Umstände, die bei einer verständigen Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen.
aa) Pflichtverletzung
Als verhaltensbedingter Grund ist insbesondere eine rechtswidrige Pflichtverletzung aus dem Arbeitsvertrag geeignet. Für diese ist regelmäßig ein Verschulden (§ 276 BGB) erforderlich. Eine Pflichtverletzung kann bei quantitativen (Minderleistung) oder qualitativen Mängeln (Schlechtleistung) über einen längeren Zeitraum vorliegen, die das Austauschverhältnis erheblich stören. K arbeitet nicht schlecht, sondern erreicht hier nicht die durch den Arbeitgeber ermittelte Durchschnittsleistung, so dass ein Fall von Minderleistung vorliegen könnte.
(1) Maßstab
Eine Minder- oder Schlechtleistung im arbeitsrechtlichen Sinne liegt erst vor, wenn die Ist-Leistung von der geschuldeten Soll-Leistung erheblich abweicht. Die Soll-Leistung bestimmt sich nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen (Menge, Qualität) oder das im Rahmen des Direktionsrecht festgelegten Arbeitsinhalts unter Ausschöpfung der persönlichen, subjektiven Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Ein rein objektiver Maßstab ist nicht anzusetzen, dies wird dem Charakter des Arbeitsvertrages als besonderer Dienstvertrag nicht gerecht. Geschuldet ist das Wirken nicht das Werk (a.A. Hunold BB 2003, 2345f – objektive Normalleistung).
„Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie kann.“
Normalleistung = Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit Fraglich ist was eine Normalleistung ist und wonach diese bemessen wird. Der Arbeitnehmer muss unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten. Dies ist für einen Arbeitgeber jedoch nicht ohne objektive Kriterien erkennbar, denn wenn ein Arbeitnehmer unterdurchschnittliche Leistungen erbringt, muss das nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Arbeitnehmer seine persönliche Leistungsfähigkeit nicht ausschöpft.
„In einer Vergleichsgruppe ist stets ein Angehöriger der Gruppen das Schlusslicht. Das kann seine Ursache auch darin haben, dass die übrigen Gruppenangehörigen besonders leistungsstark sind, sich überfordern oder dass umgekehrt der gruppenschwächste Arbeitnehmer besonders leistungsschwach ist […]“.
D.h. nicht jede unterdurchschnittliche Leistung eines Arbeitnehmers stellt eine arbeitsrechtlich relevante „low performance“ dar.
„Andererseits ist das deutliche und längerfristige Unterschreiten des von vergleichbaren Arbeitnehmern erreichten Mittelwert oft der einzige für den Arbeitgeber erkennbare Hinweis darauf, dass der schwache Ergebnisse erzielende Arbeitnehmer Reserven nicht ausschöpft, die mit zumutbaren Anstrengungen nutzbar wären […]“
(2) Darlegungs- und Beweislast einer erheblichen Störung der betrieblichen Interessen durch Schlechtleistung/Minderleistung
Dieser Konflikt zwischen der geschuldeten Ausschöpfung der (subjektiven) persönlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers und der rein objektiven Möglichkeit der Leistungsbemessung und Vergleichbarkeit für den Arbeitgeber, löst das BAG nach den Regeln der abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Nach § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG trifft den Arbeitgeber die Darlegung- und Beweislast im Falle einer Kündigung, d.h. er hat die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, welche die Kündigung bedingen. Das hat zur Folge, dass bei einer sog. Low Performer Kündigung, der Arbeitgeber grds. nicht nachweisen kann dass der Arbeitnehmer sein subjektives Leistungsvermögen nicht voll ausschöpft. In der Praxis besteht weiter das Problem der Messbarbarkeit der Arbeitsleistung bzw. der Fehlerhäufigkeit. Diese lässt sich nicht für alle Berufsgruppe einfach ermittelt (insbesondere im Dienstleistungssektor), u.a. ist auch die Ermittlung einer aussagekräftigen Durchschnittsleistung nicht immer einfach. Eine Durchschnittsleistung lässt sich nur ermitteln, wenn eine größere Anzahl von Mitarbeitern im Wesentlichen die gleiche Arbeit leistet (Problem einer Vergleichsgruppe in mittelständigen Betrieben).
1. Stufe: Erhebliche Unterschreitung
Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen, aus denen sich ergibt, dass der betroffene Arbeitnehmer deutlich hinter der Leistung von vergleichbaren Arbeitnehmern zurückbleibt, also eine erhebliche Unterschreitung der Arbeitsleistung vorliegt. Das BAG nimmt eine erhebliche Unterschreitung der Arbeitsleistung mit Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses an, wenn die Leistung des Arbeitnehmers dauerhaft deutlich mehr als 1/3 der Durchschnittsleistung unterschreitet. Anmerkung: Diese Berechnung kann nicht ohne Weiteres auf Fälle der Schlechtleistung übertragen werden, vgl. BAG Urteil v. 17.01.2008 Az. 2 AZR 536/06.
2. Stufe: Qualifiziertes Bestreiten
Der Arbeitnehmer muss dies qualifiziert bestreiten. Beispielsweise muss er das Zahlenwerk und seine Aussagekräftigkeit im Einzelnen bestreiten und/oder darlegen, warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft. Hier können altersbedingte Leistungsdefizite, Beeinträchtigungen durch Krankheit oder durch betriebliche Umstände eine Rolle spielen. Trägt der Arbeitnehmer solcher Umstände nicht vor, so gilt das schlüssige Vorbringen des Arbeitgebers als zugestanden (vgl. § 138 Abs. 3 ZPO). Anmerkung: In diesem Punkt hatte das BAG den Fall als noch nicht Entscheidungsreif gesehen.
(3) Verschulden
Der Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung setzt regelmäßig voraus, dass die dem Arbeitnehmer vorgeworfene Pflichtverletzung schuldhaft begangen wurde. Wird eine Schlechtleistung bzw. Minderleistung festgestellt, so steht damit ebenso fest, dass der Arbeitnehmer zumindest die übliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat (§ 276 BGB). Das Verschulden nach § 276 BGB gilt auch im Arbeitsrecht uneingeschränkt zu beachten ist jedoch die Beweislastregelung des § 619a BGB.
bb) Verhältnismäßigkeit (Ultima-Ratio) – milderes Mittel
Denkbar wäre soweit möglich eine Versetzung im Rahmen des Direktionsrechtes, diese ist hier aber nicht sinnvoll möglich, da alle Kommissionierer zu den selben Bedingungen arbeiten. Abmahnungen sind erfolgt, das Verhalten Arbeitsleistung hat sich nicht geändert. Diese ist auch nicht durch eine kurzweilige Nachschulung änderbar. Ggf. wäre noch Änderungskündigung mit leistungsangepasster Entlohnung denkbar. (Bei einer Schlechtleistung wäre eine Änderungskündigung nicht immer ein sinnvolles milderes Mittel – vgl. BAG Urteil v. 17.01.2008 Az. 2AZR 536/06)
cc) Interessenabwägung
- Dauerhafte Minder-bzw. Schlechtleistung
- Betriebliche Auswirkungen
- Negative Prognose
- Dauer der Betriebszugehörigkeit
- Alter des Arbeitnehmers und Arbeitsmarktchancen
dd) Ergebnis
Soweit keine Änderungskündigung möglich ist wird eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung Erfolg haben. (Das BAG hatte in der Originalentscheidung an das LAG zurückverwiesen wegen weiterer Tatsachenerhebungen bzgl. der abgestuften Darlegungs- und Beweislast und auch darauf hingewiesen, dass das LAG ggf. eine personenbedingte Kündigung überprüfen müsse)
c) Personenbedingte Kündigung
aa) Gründe in der Person
Eine personenbedingte Kündigung kann sozial gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Sphäre liegen, jedoch nicht von ihm verschuldet sein müssen, zu der nach dem Vertrag vorausgesetzten Arbeitsleistungen ganz oder teilweise nicht mehr in der Lage ist.
„Eine personenbedingte Kündigung wegen Minderleistung setzt deshalb nicht voraus, dass der Arbeitnehmer gegen die subjektiv zu bestimmende Leistungspflicht verstößt. Es kommt darauf an, ob die Arbeitsleitung die berechtigte Gleichwertigkeitserwartung des Arbeitgebers in einem Maße unterschreitet, dass ihm ein Festhalten an dem (unveränderten) Arbeitsvertrag unzumutbar wird […]“.
bb) Negativprognose
Weiter muss feststehen, dass auch für die Zukunft nicht mit einer Wiederherstellung des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung zu rechnen ist und kein milderes Mittel zur Wiederherstellung eines Vertragsgleichgewichts zur Verfügung steht (z.B. Schulung).
cc) Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
Diese Minderleistung muss sich erheblich auf die betrieblichen Interessen auswirken. Das BAG erachtet eine Minderleistung als erheblich, wenn ein Arbeitnehmer die Durchschnittsleistung längerfristig mehr als 1/3 unterschreitet.
dd) Milderes Mittel
Ein milderes Mittel kann beispielsweise eine Herbeiführung von Änderungen der Vertragsbedingung durch eine Änderungskündigung sein (Versetzung, Vergütungsanpassung).
ee) Interessenabwägung (s.o.)
ff) Ergebnis
Dem Vortrag der Parteien ließen sich keine Tatsachen entnehmen, die darauf hinwiesen, dass K wegen eines in seiner Person liegenden Grundes die durchschnittliche Arbeitsleistung nicht erbringen konnte. Das BAG hatte hier an das LAG wegen weiter zu treffender Feststellungen zurück verwiesen.
C. Fazit
Soweit nicht vertraglich eine Leistung genau definiert wurde, kommt es bei der Bestimmung einer Schlecht- bzw. Minderleistung auf das subjektive Leistungsvermögen des Arbeitnehmers an. Nicht jede Schlechtleistung bzw. Minderleistung stellt einen Kündigungsgrund dar. Es muss eine erhebliche Minder- bzw. Schlechtleistung über einen längeren Zeitraum vorliegen und kein milderes Mittel zur Verfügung stehen. Eine Kündigung ist und bleibt das letzte Mittel (Ultima-Ratio). Eine Kündigung wegen Schlecht-/Minderleistung kann aus verhaltensbedingten oder personenbedingten Gründen erfolgen, dies sollte schon bei der Betriebsratsanhörung berücksichtigt werden. Der Interessenkonflikt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird durch die Regeln der abgestuften Darlegungs- und Beweislast gelöst.