Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 27.1.2010 entschieden, dass die Eigenbedarfskündigung wegen des Wohnbedarfs einer Nichte des Vermieters wirksam ist.
Sachverhalt
Im Sommer 2004 zog die damals 85-jährige Klägerin aus ihrer Eigentumswohnung in Baden-Baden aus und übersiedelte in eine nahe gelegene Seniorenresidenz. Sie vermietete die Wohnung ab September 2004 an die Beklagten zu einer monatlichen Miete von 1.050 €. Im August 2007 übertrug die verwitwete und kinderlose Klägerin das Eigentum an der Wohnung im Wege vorweggenommener Erbfolge auf ihre Nichte; dabei behielt sie sich einen Nießbrauch an der Wohnung vor. In dem Übertragungsvertrag verpflichtete sich die Nichte als Gegenleistung gegenüber der Klägerin, auf Lebenszeit deren Haushalt in der Seniorenresidenz zu versorgen und die häusliche Grundpflege der Klägerin zu übernehmen. Durch Anwaltsschreiben ließ die Klägerin seit August 2007 mehrfach Kündigungen des mit den Beklagten bestehenden Mietverhältnisses aussprechen. Als Kündigungsgrund wurde auch Eigenbedarf für die Nichte aufgrund der Pflegevereinbarung im Vertrag vom August 2007 geltend gemacht. Das Amtsgericht hat die anschließend von der Vermieterin erhobene Räumungsklage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Entscheidung und Lösung
Die Kündigung wegen Eigenbedarfs ist in § 573 II BGB geregelt:
§ 573 BGB: Ordentliche Kündigung des Vermieters
(1) Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Die Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung ist ausgeschlossen.
(2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn
1. …
2. der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt oder …
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Nichte der Klägerin als Familienangehörige im Sinne § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB anzusehen ist und die Eigenbedarfskündigung deshalb berechtigt war. Der Bundesgerichtshof hat in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ausgeführt, dass nicht nur Geschwister, sondern auch deren Kinder noch so eng mit dem Vermieter verwandt sind, dass es nicht darauf ankommt, ob im Einzelfall eine besondere persönliche Beziehung oder soziale Bindung zum Vermieter besteht.
Examensrelevanz
In der mietrechtlichen Examensklausur ließe sich diese neue BGH Entscheidung beispielsweise mit einer Räumungsklage verbinden. Dabei wäre in etwa nach folgendem Schema vorzugehen:
Anspruch auf Räumung der Wohnung gem. §§ 546 Abs. 1, 549 Abs. 1 BGB
I. Mietvertrag wirksam zustande gekommen?
II. Beendigung des Mietverhältnisses
1. durch Zeitablauf gemäß § 542 Abs. 2, 549 Abs. 1 BGB
2. durch Kündigung
a) Beendigung durch fristlose Kündigung nach §§ 543 Abs. 1, 549 Abs. 1, 569 BGB
b) Beendigung durch ordentliche Kündigung nach §§ 573 Abs. 2, 568, 573c Abs. 1 S. 1 BGB
aa) Kündigungsgrund gemäß § 573 BGB
aaa) Berechtigtes Interesse des Vermieters i.S.v. § 573 Abs. 2 Nr. 1 – 3 BGB
Hier zu prüfen: Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB
nun nach BGH auch bei Nichte (+)
bbb) Schriftliche Darlegung des Eigenbedarfs, § 573 Abs. 3 S. 1 BGB
bb) Wirksame Kündigungserklärung
aaa) Schriftform gemäß § 568 Abs. 1 BGB
bbb) Zugang der Kündigungserklärung nach § 130 BGB
cc) Ablauf der Kündigungsfrist gemäß § 573c Abs. 1 BGB
– Grundsatz: § 573c Abs. 1 S. 1 BGB, spätestens bis zum dritten Werktag,
Kündigung dann mit Ablauf des übernächsten Monats wirksam
oder Verlängerung der Kündigungsfrist nach § 573c Abs. 1 S. 2 BGB
dd) Kein wirksamer Widerspruch mit Verlängerungsverlangen gemäß § 574 BGB
Der Klausurersteller könnte das aktuelle BGH Urteil aber auch zum Anlass nehmen, das Urteil vom 16.7. letzten Jahres zur Eigenbedarfskündigung einer BGB Gesellschaft für einen Gesellschafter bei beabsichtigter Wohnungsumwandlung abzuprüfen. Denn dieser Sachverhalt entspricht eher dem Niveau einer Examensklausur, da man auch einige zusätzliche Probleme wie die Teilrechtsfähigkeit und Grundbuchfähigkeit der GbR, die Stellvertretung der GbR bei der Kündigung in die Klausur mit einbauen und die Mietrechtskenntnisse (§§ 566, 577a BGB) etwas genauer abfragen könnte.
BGH – Urteil vom 27. Januar 2010 – VIII ZR 159/09
AG Baden-Baden – Urteil vom 1. Juli 2008 – 7 C 150/08
LG Baden-Baden – Urteil vom 26. Mai 2009 – 2 S 9/09
Quelle: BGH, Karlsruhe, den 27. Januar 2010
Schlagwortarchiv für: Mietrecht Eigenbedarfskündigung
BGH-Pressemitteilung Nr. 155/09:
„Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine BGB-Gesellschaft nicht deswegen an der Kündigung eines Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs ihrer Gesellschafter gehindert ist, weil die Gesellschaft mit dem Ziel gegründet wurde, Wohnräume in Wohnungseigentum der Gesellschaft umzuwandeln.
Die Klägerin, eine aus acht Gesellschaftern bestehende BGB-Gesellschaft, erwarb ein Wohnanwesen in München. Erklärter Zweck der Gesellschaft ist die Eigennutzung der Wohnungen durch die Gesellschafter. Die Beklagte ist aufgrund eines mit den Voreigentümern des Anwesens geschlossenen Mietvertrages vom 18. August 1983 Mieterin einer Wohnung im dritten Obergeschoss des Anwesens. Mit Schreiben vom 31. März 2006 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis über die streitgegenständliche Wohnung wegen Eigenbedarfs ihres Gesellschafters K. zum 31. März 2007. Mit der Klage hat die Klägerin Räumung und Herausgabe der Wohnung begehrt.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass eine BGB-Gesellschaft als Vermieterin einem Mieter grundsätzlich wegen Eigenbedarfs eines ihrer Gesellschafter nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB auch dann kündigen darf, wenn die BGB-Gesellschaft durch Erwerb des Mietwohnraums gemäß § 566 Abs. 1 BGB in den Mietvertrag eingetreten ist. § 566 BGB schützt den Mieter, indem der Erwerber anstelle des alten Vermieters in die sich aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten eintritt. Die Vorschrift des § 566 BGB schützt den Mieter aber nicht davor, dass eine Personenmehrheit, sei es in Form einer Eigentümergemeinschaft oder einer BGB-Gesellschaft, als Erwerberin in den Mietvertrag eintritt.
Der Wirksamkeit der Kündigung steht auch § 577a BGB (in Verbindung mit der einschlägigen Landesverordnung über die Gebiete mit gefährdeter Wohnungsversorgung) weder in direkter noch in analoger Anwendung entgegen. Nach dieser Vorschrift kann der Erwerber nicht vor Ablauf von drei bis zehn Jahren seit der Veräußerung an ihn Eigenbedarf geltend machen, wenn an vermieteten Wohnräumen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet und das Wohnungseigentum veräußert worden ist. Daran fehlt es hier, weil die klagende BGB-Gesellschaft kein Wohnungseigentum, sondern das bebaute Grundstück als solches erworben hat und im Zeitpunkt der Kündigung durch die Klägerin eine Umwandlung in Wohnungseigentum noch nicht erfolgt war. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift muss ebenfalls ausscheiden, weil gerade die erhöhte Gefahr einer Eigenbedarfskündigung nach Umwandlung des vermieteten Wohnraums in eine Eigentumswohnung und Veräußerung an einen neuen Eigentümer nach Auffassung des Gesetzgebers die Rechtfertigung für die mit der (verlängerten) Kündigungssperrfrist verbundene Beschränkung der verfassungs-rechtlich geschützten Eigentümerbefugnisse (Art. 14 GG) sowohl des Veräußerers als auch des Erwerbers darstellt. Auf den Schutz vor einer unabhängig von der Umwandlung bestehenden Eigenbedarfslage ist die Vorschrift nach ihrem Normzweck nicht zugeschnitten.
Da der Schutzzweck des § 577a BGB den Erwerb einer Wohnimmobilie durch eine Mehrheit von Personen, sei es in Form einer Miteigentümergemeinschaft, sei es in Form einer BGB-Gesellschaft, zum Zwecke der Eigennutzung nicht erfasst, hat der Senat auch eine unzulässige Umgehung dieser Vorschrift verneint.“
Bewertung: Der 8. Senat führt mit dem Urteil seine Rechtsprechung zur Eigenbedarfskündigung einer GbR fort. Bereits im Jahr 2007 hatte er entschieden, dass eine GbR grundsätzlich auch wegen Eigenbedarfs eines Gesellschafters (!) kündigen kann (Urt. v. 27.6.2007 – VIII ZR 271/06, NJW 2007, 2845 = ZIP 2007, 1955 = MDR 2007, 1301)