Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Tyrrell Blum veröffentlichen zu können. Der Autor ist Wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn sowie Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Düsseldorfer Wirtschaftskanzlei „ARQIS“.
A. Einleitung
Der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am 23. Januar 2024 einstimmig entschieden (BVerfG, Urt. v. 23.01.2024 – 2 BvB 1/19), dass die Partei „Die Heimat“ (vormals: NPD) für die Dauer von sechs Jahren von der staatlichen Parteienfinanzierung nach § 18 Parteiengesetz (PartG) ausgeschlossen ist. Dadurch entfallen gleichzeitig sämtliche steuerliche Begünstigungen der Partei – dies wirkt sich insbesondere mit Blick auf etwaige Spenden vehement aus.
Die Relevanz des Falles für das Staatsexamen liegt, ungeachtet der gesellschaftspolitischen Bedeutung, vor allem an der Tatsache, dass erstmalig ein solches Finanzierungsausschlussverfahren auf Grundlage des Art. 21 Abs. 3 GG angestrengt worden ist. Außerdem eignet sich der Sachverhalt gut, um staatsorganisationsrechtliche Kompetenzen abzufragen. Die Entscheidung soll daher im Folgenden entsprechend dem Aufbau einer juristischen Klausur dargestellt werden. Aus didaktischen Gründen ist der Sachverhalt an einzelnen Stellen leicht abgewandelt worden.
B. Sachverhalt (leicht abgewandelt)
Die N-Partei ist eine 1964 gegründete rechtsextreme Partei in Deutschland, die in der Vergangenheit mehrfach erfolgreiche Landtagswahlen verzeichnen konnte. Sie ist bundesweit organisiert und verfügt neben regionalen Untergliederungen über eine eigene Jugendorganisation. Außerdem richtet sie regelmäßig Parteiveranstaltungen in Form von Parteitagen, Tagungen, Konferenzen und Schulungen aus und verfügt über Publikationsorgane in Printversionen und digitalen Formaten. Im Jahre 2014 ist sie zudem aufgrund des Wegfalls der Sperrklausel für die Wahl zum Europäischen Parlament mit einem Ergebnis von 1 % der Stimmen mit einem Abgeordneten in das Europäische Parlament eingezogen.
Seit einigen Jahren ist die Wählerzahl jedoch stetig gesunken, sodass die N-Partei gegenwärtig in keinem Parlament auf Bundes- oder Landesebene vertreten ist. In der jüngsten Bundestags- und Europawahl hat sie jeweils unter einem Prozent erzielt. In gleicher Weise ist die Mitgliederzahl der Partei stetig gesunken.
Die N-Partei fordert in ihrem Parteiprogramm die „Einheit von Volk und Staat“ und postuliert „Volksherrschaft setzt Volksgemeinschaft voraus“. Hierbei bezieht sie sich auf einen ethnischen Volksbegriff und der Vorstellung von der deutschen „Volksgemeinschaft“ als Abstammungsgemeinschaft, die einen Vorrang gegenüber dem einzelnen Menschen haben soll. Eine „Überfremdung“ Deutschlands soll daher in jedem Falle verhindert werden. Weitergehend soll die bestehende Verfassungsordnung durch einen autoritären „Nationalstaat“ ersetzt werden, der an der ethnischen „Volksgemeinschaft“ ausgerichtet ist.
Diese politischen Ziele möchte die N-Partei anhand einer „Vier-Säulen-Strategie“ und vor allem durch zahlreiche öffentliche Veranstaltungen, darunter auch in Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremen Parteien und Organisationen, erreichen.
Bis zum Jahr 2021 hat die N-Partei an der staatlichen Parteienfinanzierung partizipiert. Nach der Bundestagswahl 2021 hat sie jedoch nicht mehr die nach § 18 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 PartG erforderlichen Wahlergebnisse erzielt und demnach ihren Anspruch verloren.
Nichtsdestotrotz konnte die Partei erhebliche Einnahmen außerhalb der staatlichen Teilfinanzierung erlangen, vor allem durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Aufgrund dieser Einnahmen gelang es ihnen weiterhin einen Überschuss zu erzielen und somit einen defizitären Haushalt zu verhindern. So betrug der Überschuss zuletzt im Jahre 2020 insgesamt 451.692,32 €.
Der Bundestag möchte der steuerlichen Begünstigung der N-Partei nun ein Ende setzen. Am 17.07.2019 beantragt er beim Bundesverfassungsgericht, die N-Partei von staatlicher Finanzierung auszuschließen und den Wegfall der steuerlichen Begünstigung und von Zuwendungen festzustellen. Die N-Partei sei sowohl nach ihren Zielen als auch nach dem ihr zurechenbaren Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen und zu beseitigen.
Das Bundesverfassungsgericht wendet sich sodann an den Vorstand der N-Partei und gibt ihm eine Gelegenheit zur Stellungnahme. Die N-Partei hält den Antrag für unzulässig und unbegründet. Der Antrag sei bereits unstatthaft, da weder das Grundgesetz noch das Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine Verfahrensart kennen, mit der eine politische Partei von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden kann. Etwaig vorhandene Regelungen seien wegen Verstoßes gegen Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 sowie Art. 79 Abs. 3 GG verfassungswidrig und nichtig.
Außerdem fehle das Rechtsschutzbedürfnis für einen Finanzierungsausschluss der N-Partei, da sie infolge ihrer mäßigen Wahlergebnisse nahezu vollständig aus der staatlichen Finanzierung herausgefallen seien.
Jedenfalls sei der Antrag unbegründet mangels Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 3 GG, insbesondere mit Blick auf das Tatbestandsmerkmal des „Darauf-Ausgerichtetseins“. Wie im Falle des Art. 21 Abs. 2 GG könne auch im Rahmen des Abs. 3 nicht auf das Potentialitätskriterium verzichtet werden.
Hat der Finanzierungsausschlussantrag Aussicht auf Erfolg?
C. Gutachten
Vorweg: Aufgrund des Umstandes, dass Art. 21 Abs. 3 GG erst seit 2017 existiert, fällt die entsprechende Ausbildungsliteratur hierzu vergleichsweise eher spärlich aus. Dies wird auch der Tatsache geschuldet sein, dass nun erstmals ein solches Finanzierungsausschlussverfahren angestrengt worden ist. Konsequenterweise wird eine beachtliche Leistung des Prüflings bereits in der Transferleistung liegen, dass er ein „eigenes“ Prüfungsschema anhand des Gesetzes und der Kenntnisse zum Parteiverbotsverfahren erstellt. Die erforderliche Gesetzeslektüre richtet sich hierbei primär nach den Bestimmungen des Art. 21 Abs. 2-4 GG bzw. §§ 43 ff. BVerfGG.
Der Finanzierungsausschlussantrag hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und soweit er begründet ist.
I. Zulässigkeit
Der Antrag des Bundestages müsste zunächst zulässig sein.
1. Zuständigkeit des BVerfG
Das Bundesverfassungsgericht ist gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 5 GG i.V.m. Art. 21 Abs. 4 Alt. 2 GG, § 13 Nr. 2a BVerfGG für das Finanzierungsausschlussverfahren zuständig.
Der Statthaftigkeit des Antrages steht es nicht entgegen, dass Art. 21 Abs. 3 GG von der N-Partei als verfassungswidriges Verfassungsrecht gerügt wird, weshalb das Grundgesetz eine entsprechende Antragsart von vornherein nicht kennen würde. Die materiell-rechtliche Beurteilung der Verfassungswidrigkeit ist eine Frage der Begründetheit, weshalb für die Statthaftigkeit ausreicht, dass die begehrte Entscheidung überhaupt gesetzlich vorgesehen ist.
2. Antragsberechtigung
Der Bundestag ist gem. § 43 Abs. 1 S. 1 BVerfGG antragsberechtigt.
3. Antragsgegner
Die N-Partei ist der richtige Antragsgegner gem. § 43 Abs. 1 S. 1 BVerfGG. Sie wird gem. § 44 Abs. 1 S. 1 BVerfGG i.V.m. § 11 Abs. 3 PartG vom Vorstand vertreten.
4. Vorverfahren
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Vertretungsberechtigten, also dem Vorstand der Partei gem. § 44 Abs. 1 S. 1 BVerfGG i.V.m. § 11 Abs. 3 PartG, Gelegenheit zur Äußerung gegeben und somit das nach § 45 BVerfGG erforderliche Vorverfahren durchgeführt.
5. Form
Von einem ordnungsgemäßen Antrag gem. § 23 Abs. 1 BVerfGG ist auszugehen.
6. Rechtsschutzbedürfnis
Fraglich ist, ob im Rahmen eines Finanzierungsausschlussverfahrens ein Rechtsschutzbedürfnis notwendig ist.
Dagegen spricht zunächst der Sinn und Zweck des Finanzierungsausschlussverfahrens. Dieses ist – wie auch das Parteiverbotsverfahren – auf präventiven Verfassungsschutz gerichtet und soll nicht den subjektiven Interessen des Antragsstellers dienen. Außerdem würde hiermit im Ergebnis eine Kontrolle des politischen Ermessens bei der Entscheidung über eine Antragstellung stattfinden. Schließlich führt sogar der missbräuchliche Antrag eines Parteiverbots nicht zur Unzulässigkeit, weshalb dies erst recht für einen Antrag gelten muss, an dessen Entscheidung der Antragsberechtigte kein eigenes Interesse hat.
Für die Erforderlichkeit spricht der systematische Vergleich mit anderen verfassungsrechtlichen Streitigkeiten, bei denen ein Rechtsschutzbedürfnis grundsätzlich notwendig ist.
Ein Streitentscheid ist jedoch nur erforderlich, wenn kein Rechtsschutzbedürfnis vorliegt. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Rechtsverfolgung hat und eine gerichtliche Inanspruchnahme erforderlich ist. Dem könnte der Umstand entgegenstehen, dass die N-Partei infolge ihrer mäßigen Wahlergebnisse nahezu vollständig aus der staatlichen Finanzierung herausgefallen ist. Das verfolgte Rechtsziel in Form des Ausschlusses der staatlichen Finanzierung stellt demnach im Ergebnis bereits den gegenwärtigen Zustand dar.
Dies lässt jedoch außer Acht, dass die N-Partei zukünftig wieder Wahlerfolge verbuchen könnte und damit die Beteiligungsvoraussetzungen erneut aufleben würden. Jenes lässt sich nur vermeiden, indem ein Finanzierungsaussschlussverfahren durchgeführt wird, wonach die N-Partei in jedem Falle in den künftigen sechs Jahren von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen wäre. Darüber hinaus stellt auch der Entzug der mittelbaren Parteienfinanzierung in Form von Steuerbegünstigungen nach Art. 21 Abs. 3 S. 2 GG ein legitimes Ziel dar. Der Entzug folgt dem Ausschluss von staatlicher Teilfinanzierung akzessorisch und kann nicht eigenständig verfolgt werden. Somit würden von vornherein auch die Rechtsfolgen des Art. 21 Abs. 3 S. 2 GG vereitelt werden, obwohl die Partei hiervon unter Umständen noch profitiert. Schließlich ist Sinn und Zweck des Art. 21 Abs. 3 GG die präventive Abwehr erstarkender verfassungsfeindlicher Parteien. Diesen soll nicht nur gegenwärtige Finanzzuwendungen entzogen, sondern für einen festgelegten Zeitraum jegliche Partizipation an der staatlichen Parteienfinanzierung verwehrt werden.
Aufgrund dieser Erwägungen ist ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben, weshalb sich ein Streitentscheid erübrigt.
7. Zwischenergebnis
Der Antrag des Bundestages ist zulässig.
II. Begründetheit
Der Antrag ist begründet, soweit die N-Partei darauf ausgerichtet ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, vgl. Art. 21 Abs. 3 S. 1 GG.
1. Art. 21 Abs. 3 GG als „verfassungswidriges Verfassungsrecht“
Der Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung ist nur möglich, wenn Art. 21 Abs. 3 GG selbst keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt.
Eine Verfassungsänderung, die nicht die durch Art. 79 Abs. 3 GG aufgestellten Grenzen einhält, stellt „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ dar und ist nichtig. Demzufolge ist eine Änderung des Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, nichtig.
a) Demokratieprinzip
Art. 21 Abs. 3 GG könnte eine die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG berührende Aushöhlung des Demokratieprinzips darstellen und damit nichtig sein.
Das Demokratieprinzip ist verankert in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG und verlangt, dass sich die Ausübung hoheitlicher Gewalt durch staatliche Organe auf die Gesamtheit der Bürger zurückführen lässt. Hierbei muss eine gleichberechtigte Teilnahme aller Bürger an der politischen Willensbildung stets gewährleistet sein. Ein wichtiges Instrument hierfür ist der Grundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien.
Hinweis: Art. 79 Abs. 3 GG schützt nicht jede einzelne Ausprägung des Demokratieprinzips. Vielmehr soll das demokratische Wesen des Verfassungsstaates als solches geschützt werden – dessen Wesensgehalt darf nicht durch eine Grundgesetzänderung negiert oder in substantieller Weise beeinträchtigt werden.
Art. 21 Abs. 3 GG sieht einen Finanzierungsausschluss im Falle von verfassungsfeindlichen Parteien vor. Aufgrund der entzogenen finanziellen Mittel steht die N-Partei im politischen Wettbewerb schlechter dar, insbesondere in Zeiten des Wahlkampfes.
Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Chancengleichheit in ihrem Kerngehalt erhalten bleibt; eine absolute Garantie dessen wird durch Art. 79 Abs. 3 GG nicht gewährleistet. Parteien, die auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgehen, können gem. Art. 21 Abs. 2 GG verboten und damit vollständig von der Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes ausgeschlossen werden. Dies ist eine Folge des grundgesetzlichen Konzepts der „wehrhaften Demokratie“, wonach die freiheitliche demokratische Ordnung des Grundgesetzes geschützt werden soll.
In gleicher Weise ist ein Eingriff in die Chancengleichheit durch Art. 21 Abs. 3 GG zulässig, wenn dieser dem Bestand und der Sicherung der freiheitlichen Demokratie dient. Der Finanzierungsausschluss bezweckt in abgestufter Variante ebendiesen Schutz vor Parteien, die gerade dessen Beseitigung anstreben. Es können demnach nur solche Parteien von den Folgen des Art. 21 Abs. 3 GG getroffen werden, deren chancengleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung nicht Teil des grundgesetzlichen Demokratieprinzips ist. Zudem gewährt die politische Chancengleichheit keinen Anspruch auf finanzielle Unterstützung, sondern sieht nur eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung vor, sofern diese stattfindet.
Folglich berührt Art. 21 Abs. 3 GG nicht die Substanz des in Art. 20 GG garantierten Demokratieprinzips i.S.d. Art. 79 Abs. 3 GG.
b) Menschenwürdegarantie
Art. 21 Abs. 3 GG könnte jedoch in verfassungsfeindlicher Weise die Menschenwürdegarantie gem. Art. 1 Abs. 1 GG berühren und damit nichtig sein.
Der Schutz- und Achtungsanspruch der Menschenwürde umfasst auch den Anspruch auf demokratische Selbstbestimmung der Bürger. Dieser sichert den Bürgern eine gleichberechtigte Teilhabe an der Ausgestaltung der freiheitlichen demokratischen Ordnung zu, ausgehend vom Eigenwert und Würde des zur Freiheit befähigten Menschen.
Aufgrund des finanziellen Ausschlusses der N-Partei, kann der einzelne Bürger seine bevorzugte Partei nicht mehr finanziell unterstützen. Hierin könnte eine Verhinderung der Wahrnehmung des demokratischen Selbstbestimmungsrechtes des einzelnen Bürgers liegen.
Dem steht jedoch erneut das Konzept der „wehrhaften Demokratie“ entgegen. Der Bürger hat keinen Anspruch darauf, dass auch verfassungsfeindliche Parteien an einer staatlichen Finanzierung partizipieren können. Weitergehend bleibt es dem Bürger überlassen die Partei auf eine andere Art und Weise zu unterstützen und auf diesem Wege politisch mitzuwirken. Das demokratische Selbstbestimmungsrecht des Bürgers ist nicht allein auf eine finanzielle Unterstützung beschränkt, sondern kann auf unterschiedlichste Art verwirklicht werden.
Mithin berührt Art. 21 Abs. 3 GG nicht die Menschenwürdegarantie gem. Art. 1 Abs. 1 GG i.S.d. Art. 79 Abs. 3 GG und ist damit nicht nichtig.
c) Zwischenergebnis
Art. 21 Abs. 3 GG tangiert nicht die von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Regelungsinhalte. Folglich handelt es sich bei Art. 21 Abs. 3 GG nicht um „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ und unterliegt damit keiner verfassungsrechtlichen Bedenken.
Hinweis: Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist zudem die Vereinbarkeit des Art. 21 Abs. 3 GG mit den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention thematisiert und bejaht worden. Dies soll an dieser Stelle jedoch nicht weiter vertieft werden.
2. Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung
Weitergehend müssten die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 3 S. 1 GG gegeben sein. Hierbei „bedarf es einer [restriktiven] Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale, die dem Charakter des Ausschlusses von der staatlichen Finanzierung in Art. 21 Abs. 3 S. 1 GG als ‚demokratieverkürzende Ausnahmenorm‘ genügt (Rn. 244).
Der Tatbestand könnte durch eine Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erfüllt sein.
Hinweis: Die tatbestandliche Prüfung verläuft hier weitestgehend parallel zu der Prüfung des Parteiverbots gem. Art. 21 Abs. 3 GG. Folglich kann auf das dortige Wissen zurückgegriffen werden. Der einzige Unterschied liegt in der Voraussetzung des „Darauf-Ausgehens“ und des „Darauf-Ausgerichtetseins“ – auf genau diesen Unterschied kam es in dieser Entscheidung schwerpunktmäßig an.
a) Freiheitliche demokratische Grundordnung
Zunächst müsste die freiheitliche demokratische Grundordnung betroffen sein. Diese umfasst nur „wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unverzichtbar sind, [sodass weiterhin ein] kritische[s] Hinterfragen einzelner Elemente der Verfassung möglich sein [kann], ohne dass dadurch ein Parteiverbot oder ein Finanzierungsausschluss ausgelöst werden kann.“ (Rn. 248).
Den Ausgangspunkt stellt die Würde des Menschen gem. Art. 1 Abs. 1 GG dar. Daneben kommt dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip eine große Bedeutung zu.
aa) Menschenwürde
Das politische Konzept der N-Partei könnte mit der Garantie der Menschenwürde i.S.d. Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar sein. Diese umfasst insbesondere die „Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit.“
Die N-Partei bekennt sich in ihrem Parteiprogramm deutlich zu dem Vorrang einer ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ und begehrt eine „Einheit von Volk und Staat“. In jedem Falle soll eine „Überfremdung“ Deutschlands verhindert werden, damit das deutsche Volk mit Blick auf die Abstammung, Sprache und Wertevorstellungen erhalten bleibt. Ein solcher „Volksbegriff“ negiert, vor allem in der Gesamtschau der Äußerungen, den Achtungsanspruch der Person. Insbesondere wird hierdurch eine Rechtsgleichheit für alle verweigert und einzelne gesellschaftliche Gruppierungen und Minderheiten werden in entschlossener Art und Weise diffamiert und ausgegrenzt. Diesen Personen wird auf Grundlage des von der N-Partei entwickelten „Volksbegriffes“ die Geltung der Grundrechte abgesprochen, wodurch der Vorrang einzelner Menschen erreicht werden soll. Der personalen Individualität, Identität und Integrität eines Menschen werden hierbei in keiner Weise Rechnung getragen, da es allein auf den „ethnischen Deutschen“ ankommt.
Jedenfalls das Gesamtbild dieser Standpunkte stellt einen Verstoß gegen die Garantie der Menschenwürde i.S.d. Art. 1 Abs. 1 GG dar.
bb) Demokratieprinzip
Weitergehend könnte das politische Konzept der N-Partei auch gegen das Demokratieprinzip i.S.d. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG verstoßen. Das Demokratieprinzip sichert unter anderem die gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung ab.
Die N-Partei fordert die „Einheit von Volk und Staat“ und postuliert „Volksherrschaft setzt Volksgemeinschaft voraus“. Die Volksherrschaft soll demnach von der Volksgemeinschaft ausgehen, welche die N-Partei jedoch anhand ihres eigenen „ethnischen Volksbegriffes“ definiert. Hierdurch werden alle diejenigen von der demokratischen Willensbildung ausgeschlossen, die dieser Gemeinschaft per Definition der N-Partei nicht angehören. Ein „ethnisch Nichtdeutscher“ könnte demnach in dem begehrten „autoritären Nationalstaat“, der die aktuelle Bundesrepublik ersetzen soll, nicht wählen. Dies greift in elementarer Weise in den Grundsatz des Demokratieprinzips ein, wonach sich die Ausübung hoheitlicher Gewalt durch staatliche Organe nicht mehr auf die Gesamtheit aller Bürger zurückführen lässt.
Folglich verstößt das politische Konzept der N-Partei auch gegen das Demokratieprinzip i.S.d. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG.
cc) Rechtsstaatsprinzip
Das Begehren die aktuelle Verfassungsordnung durch einen „autoritären Nationalstaat“ mit den oben beschriebenen Grundsätzen zu ersetzen, stellt zudem einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip i.S.d. Art. 20 Abs. 3 GG dar.
dd) Zwischenergebnis
Mithin ist die freiheitliche demokratische Grundordnung betroffen aufgrund der Unvereinbarkeit mit der Garantie der Menschenwürde, dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip.
b) Beeinträchtigung oder Beseitigung
Des Weiteren müsste die Partei die freiheitliche demokratische Grundordnung „beeinträchtigen“ oder „beseitigen“. Dies muss sich hierbei aus den Zielen der Partei oder dem Verhalten ihrer Anhänger ergeben, wobei Letzteres der Partei auch zurechenbar sein muss. Eine Zurechnung des Verhaltens von bloßen Anhängern ist möglich, soweit darin der politische Wille der betroffenen Partei erkennbar zum Ausdruck gebracht wird und eine Beeinflussung oder Billigung seitens der Partei vorliegt.
Eine „Beeinträchtigung“ liegt vor, wenn „eine Partei nach ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirken will.“ (Rn. 261). Der Begriff des „Beseitigens“ hingegen bezeichnet „die Abschaffung zumindest eines der vorstehend beschriebenen Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder deren Ersetzung durch eine andere Verfassungsordnung beziehungsweise ein anderes Regierungssystem.“ (Rn. 260).
Die N-Partei begehrt einen an der ethnischen „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten „autoritären Nationalstaat“, der die aktuelle Verfassungsordnung in Gänze ersetzen soll. Das hierbei verfolgte politische Konzept widersetzt sich der Garantie der Menschenwürde und ist mit dem grundgesetzlichen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. Diese Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung würden demnach gefährdet und nach vollständiger Einführung des „autoritären Nationalstaats“ vollständig abgeschafft werden.
Folglich strebt die N-Partei nach ihren Zielen nicht nur eine Beeinträchtigung, sondern die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung an.
c) „Darauf ausgerichtet“
Schließlich müsste die N-Partei auch nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger „darauf ausgerichtet“ sein, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen.
Im Unterschied zum „Darauf-Ausgehen“ des Art. 21 Abs. 2 GG setzt ein „Darauf-Ausgerichtetsein“ ein „qualifiziertes und planvolles Handeln zur Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung voraus, ohne dass es auf das Erfordernis der Potentialität ankommt.“ (Rn. 277).
Hinweis: Dieser Unterschied zwischen den beiden Tatbeständen – also das Ausbleiben des Potentialitätserfordernisses – muss in der Klausur deutlich werden. Die Wahrscheinlichkeit des Erfolges, soll im Rahmen des Art. 21 Abs. 3 GG als bewusste Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers unerheblich sein. Vielmehr sollte die Möglichkeit geschaffen werden, dass solch verfassungsfeindliche Parteien von vornherein bei der Gewährung staatlicher Zuschüsse keine Berücksichtigung finden.
Die N-Partei verfügt über eine bundesweite Organisationsstruktur und führt ebenfalls bundesweit eigene Veranstaltungen durch. Hierbei pflegt sie Kontakte zu anderen rechtsextremen Parteien und Organisationen. Für ihre politischen Ziele wirbt sie öffentlich und tritt zudem regelmäßig bei Wahlen an, um so ihre Mitgliederzahl zu erhöhen. Sie verfügt außerdem über eine Jugendorganisation, mit der das Gedankengut der Partei unter beeinflussbaren Jugendlichen verbreitet werden soll. Ferner werden die Ideale der Partei der breiten Masse über zahlreiche Parteiveranstaltungen in Form von Parteitagen, Tagungen, Konferenzen und Schulungen zugetragen. Dies wird in gleicher Weise anhand von Publikationsorganen der Partei in Printversionen und digitalen Formaten erreicht. Folglich strebt die N-Partei die Erreichung ihrer Ziele auf unterschiedlichen Wegen an, damit sie diese möglichst effizient und erfolgreich umsetzen können. Schließlich sprechen die sinkenden Wahlerfolge nicht gegen die Annahme der Voraussetzung, da es eben nicht auf die Wahrscheinlichkeit des Erfolges ankommt.
Somit ist die N-Partei auch nach ihren Zielen „darauf ausgerichtet“, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen.
c) Zwischenergebnis
Die N-Partei ist auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgerichtet.
3. Gefährdung des Bestands der Bundesrepublik Deutschland
Die N-Partei gefährdet aufgrund der obigen Erwägungen auch den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere mit Blick auf das politische Ziel einen „autoritären Nationalstaat“ einzuführen.
4. Zwischenergebnis
Die N-Partei ist darauf ausgerichtet die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen und den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, vgl. Art. 21 Abs. 3 S. 1 GG.
Damit ist der Antrag begründet.
III. Entscheidung des BVerfG
Das Bundesverfassungsgericht wird gem. § 46a Abs. 1 S. 1 BVerfGG feststellen, dass die Partei für sechs Jahre von der staatlichen Finanzierung nach § 18 des Parteiengesetzes ausgeschlossen ist.
D. Einordnung der Entscheidung
Die Entscheidung ist das Ergebnis einer längeren Prozedur: Den Anfang begründete das gescheiterte Verbotsverfahren gegen die NPD im Jahre 2017 (BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13, NJW 2017, 611). Die NPD ist hierbei zwar als verfassungsfeindlich eingestuft worden- für ein Verbot reichte das aber nicht: Es fehlte an konkreten Anhaltspunkten, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das Handeln der Partei zur Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung führt.
Der Gesetzgeber reagierte auf diese Entscheidung, indem er mit Wirkung zum 20. Juli 2017 den dritten Absatz des Artikel 21 GG eingeführt hat, der im Mittelpunkt dieser Entscheidung stand. Die NPD sah sich durch diese Grundgesetzänderung in ihren Rechten verletzt und regte ein Organstreitverfahren an. Das BVerfG lehnte jedoch die Antragsbefugnis der NPD ab und hat dessen Antrag daher verworfen (BVerfG, Beschl. v. 20.06.2023 – 2 BvE 1/17, BeckRS 2023, 15363).
Im Juli 2019 haben Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung auf Grundlage des Art. 21 Abs. 3 GG den Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung beantragt, was nun schlussendlich zu dieser Entscheidung geführt hat.
Die Entscheidung ist aus gesellschaftspolitischer Sicht zu begrüßen – eine verfassungsfeindliche Partei sollte keinesfalls eine staatliche Finanzierung oder steuerliche Begünstigungen erhalten und sendet somit ein wichtiges Signal in inner- und außenpolitischer Hinsicht.
Darüber hinaus ist das Urteil auch aus rechtlicher Sicht bedeutsam: Die Entscheidungsgründe stellen in ausführlicher Art und Weise die grundgesetzlichen Fundamente unserer Verfassung dar und richten hierbei häufig einen historischen Blick auf die Erfahrungen des Nationalsozialismus. In diesem Kontext wird insbesondere die elementare Bedeutsamkeit des Art. 79 GG und die unterschiedlichen Ausprägungen des Demokratieprinzips – auch im Zusammenspiel mit der Menschenwürde – beleuchtet. Bahnbrechende neue Erkenntnisse sind dem Urteil zwar nicht zu entnehmen; es stellt dennoch eine notwendige rechtliche Verfestigung der bisherigen juristischen Einschätzung des Sachverhaltes dar.
Hinsichtlich aktueller Geschehnisse könnte hiermit jedoch die Vorlage für ein Verfahren gegen die AfD geschaffen worden sein. Es bleibt nichtsdestotrotz abzuwarten, ob ein solches Verfahren tatsächlich angestrengt wird und ob die Voraussetzungen für einen Finanzierungsausschluss aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts vorliegen – beides erscheint in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen nicht fernliegend.