Im Folgenden eine Übersicht über im Juli veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 1. Juni 2016 – 2 StR 335/15
Anfrage des 2. Strafsenats an die übrigen Senate gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden, dass eine Nötigung zur Herausgabe von Betäubungsmitteln keine Erpessung darstellt (§§ 253, 255 StGB), da Betäubungsmittel nicht dem Vermögen des Genötigten unterfallen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH ist dem Vermögen im Sinne der §§ 253, 263 StGB auch der unerlaubte Besitz von Betäubungsmitteln zuzurechnen, weil der strafrechtliche Vermögensbegriff wirtschaftlich betrachtet werden soll. Daran will der 2. Strafsenat nicht festhalten. Die gleichzeitige Strafdrohung gegen denjenigen, der unerlaubt Betäubungsmittel besitze und denjenigen, der dem Besitzer diesen unerlaubten Besitz durch Täuschung oder Nötigung entziehe, stelle einen offenkundigen Widerspruch dar. Zudem bleibe die Strafbarkeit nach anderen Straftatbeständen als den Vermögensdelikten bei der Ausklammerung des unerlaubten Besitzes aus dem strafrechtlich geschützten Vermögen unberührt und verhindere, dass ein strafrechtsfreier Raum entstehe. Die Besitzschutzregeln der §§ 858 ff. BGB, die bisweilen als Grund für die Forderung nach einem flankierenden strafrechtlichen Schutz des Besitzes angeführt würden, dienten nicht dem Schutz des Vermögensbestandes und besagten nichts über die Legitimität des Besitzes. Die Anwendung der Vermögensdelikte auf die Entziehung des Drogenbesitzes sei auch nicht deswegen geboten, weil in angrenzenden Fällen, in denen dem Opfer die Betäubungsmittel weggenommen würden, ein Eigentumsdelikt (namentlich § 242 StGB) vorläge. Divergenzen zwischen dem Schutz von Eigentum und Vermögen würden auch an anderer Stelle hingenommen und zwängen nicht dazu, die Auslegung des Merkmals „Vermögen“ auf illegal erworbene Rechtspositionen zu erstrecken. Der Schutz des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gegen Wegnahme durch Eigentumsdelikte erscheine zudem seinerseits nicht zwingend.
II. BGH, Beschluss vom 8. Juni 2016 – 4 StR 112/16
Die Vorschrift des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt das Einbrechen, Einsteigen oder Eindringen in eine Wohnung voraus. Bricht der Täter in Kellerräume ein, ist der Tatbestand nur erfüllt, wenn diese Räume durch eine unmittelbare Verbindung zum Wohnbereich dem Begriff des Wohnens typischerweise zuzuordnen sind. Dies ist regelmäßig beim Keller eines Einfamilienhauses, nicht aber bei vom Wohnbereich getrennten Kellerräumen in einem Mehrfamilienhaus der Fall (st. Rspr.). Das Aufhebeln einer Kellertür in einem Mehrfamilienhaus ist daher zur Verwirklichung des Tatbestandes auch dann nicht ausreichend, wenn der Täter im Nachgang in dem sodann ungehindert zugänglichen Wohnbereich des Hauses stehlenswerte Gegenstände entwendet.
III. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 – 3 StR 22/16
Die Vorschrift des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) wird durch den Qualifikationstatbestand des § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB (Misshandlung Schutzbefohlener, wobei der Schutzbefohlene in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird) verdrängt. Dies hat seinen materiellen Grund darin, dass abstrakte Gefährdungsdelikte gegenüber den dieselben Rechtsgüter schützenden konkreten Gefährdungsdelikten subsidiär sind. Dies gilt auch für das Verhältnis von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zur schweren Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB, denn Grund der Strafschärfung ist auch hier, dass die schutzbefohlene Person durch die Tat nach § 225 Abs. 1 StGB in die konkrete Gefahr des Todes gebracht wird. Daneben ist für eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung aufgrund der bloß abstrakten Lebensgefährdung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB kein Raum.
IV. BGH, Urteil vom 22. Juni 2016 – 5 StR 98/16
Ein vollendeter Raub (§ 249 StGB) ist auch dann gegeben, wenn der Kläger bereits mit Zueignungsabsicht handelnd zunächst das Opfer durch Gewalteinwirkung verletzt und den anschließenden Krankenhausaufenthalt sodann nutzt, um alsbald in dessen Haus zu gelangen und dort ungehindert Gegenstände mitzunehmen. Für die raubspezifische Einheit von qualifizierter Nötigung und Wegnahme [i.S.e. neben die finale Verknüpfung von Gewaltanwendung und Wegnahme tretenden, zeitlich-örtlichen Zusammenhangs] ist dabei maßgeblich, ob es zu einer – vom Täter erkannten – nötigungsbedingten Schwächung des Gewahrsamsinhabers in seiner Verteidigungsfähigkeit oder -bereitschaft gekommen ist (Leitsatz des Gerichts). Dies ist auch dann der Fall, wenn der Geschädigte aufgrund schwerer Verletzungen ins Krankenhaus verbracht wird, da er dann ähnlich wie bei einer Bewusstlosigkeit schon nicht mehr in der Lage ist, einen gegen den Gewahrsamsbruch des Angeklagten gerichteten Abwehrwillen zu bilden und die zeitliche Differenz zwischen Gewaltanwendung und Wegnahmehandlung nicht mehr als zwei Stunden beträgt. Das in § 252 StGB enthaltene Erfordernis „auf frischer Tat“ steht dieser Auslegung schon im Hinblick auf die andersartige Struktur dieses Tatbestands nicht entgegen. Eine Fehlvorstellung des Täters, der ursprünglich beabsichtigte, bereits unmittelbar nach der Gewalteinwirkung aufgrund einer Bewusstlosigkeit des Opfers Gegenstände aus dessen Haus mitzunehmen, stellt dabei eine unwesentliche Abweichung von Kausalverlauf dar (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
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Im Folgenden eine Übersicht über im Februar veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 1 StR 373/15
Ein großes Ausmaß im Sinne des Regelbeispiels von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO liegt – entsprechend der Regelbeispiele des Herbeiführens eines Vermögensverlusts großen Ausmaßes gemäß §§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 1. Var., 263a Abs. 2, 264 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 266 Abs. 2, 300 Satz 2 Nr. 1 StGB – bei jeder Steuerhinterziehung über 50.000 Euro vor. Eine Verdoppelung dieses Schwellenwertes bei Vorliegen eines sog. Gefährdungsschaden ist nicht zu begründen, da das Gesetz in § 370 AO nicht zwischen der Gefährdung des Steueranspruchs und dem Eintritt des Vermögensschadens beim Staat unterscheidet. Diese Gleichsetzung findet ihre Rechtfertigung darin, dass die falsche Steuerfestsetzung nahezu immer zu einem Schaden führen wird, weil eine nicht festgesetzte Steuer auch nicht beigetrieben werden kann und darf (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
II. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2015 – 4 StR 227/15
Wird über zwei Ordnungswidrigkeiten, die in Tatmehrheit stehen und jeweils mit einem Fahrverbot als Nebenfolge geahndet werden können, gleichzeitig entschieden, so ist nur ein einheitliches Fahrverbot zu verhängen. Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 20 OWiG, wonach die gesonderte Festsetzung bei Ordnungswidrigkeiten im Fall von Tatmehrheit (nur) für Geldbußen vorgesehen ist, wie auch aus der Entstehungsgeschichte der §§ 20 OWiG, 25 StVG und dem spezialpräventiven Charakter dieser Nebenfolge sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ein solches Verständnis führt in systematischer Hinsicht zudem zu einem Gleichlauf mit dem strafrechtlichen Fahrverbot nach § 44 StGB, bei dem in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt ist, dass auch im Fall der Tatmehrheit gemäß § 53 StGB nur auf ein Fahrverbot zu erkennen ist (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
III. BGH, Urteil vom 23. Dezember 2015 – 2 StR 525/13
Gegen die Anwendung des Straftatbestandes des § 52 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG (Strafdrohung gegen das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen, die zum anderweitigen oralen Gebrauch als Rauchen oder Kauen bestimmt sind und gegen das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen mit nicht zugelassenen Inhaltsstoffen) bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Namentlich wird Art. 103 Abs. 2 GG nicht dadurch verletzt, dass die vorgenannte Regelung als Erfordernis der Strafbarkeit eine Rückverweisung durch Rechtsverordnung (hier: § 6 Abs. 1 TabV, wonach einschränkend nur das gewerbsmäßige Inverkehrbringen erfasst wird) voraussetzt. Auch ein Verstoß wegen unverhältnismäßiger Einschränkung der Freiheit der Berufsausübung nach Art. 12 GG und ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da generell nur das gewerbsmäßige Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen zum anderweitigen oralen Gebrauch, nicht aber von solchen zum Rauchen oder Kauen bestraft wird, ist im Ergebnis zu verneinen, da hierfür besondere sachliche Gründe bestehen (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
IV. BGH, Urteil vom 14. Januar 2016 – 4 StR 72/15
Nach der Rechtsprechung des BGH kann im Hinblick auf die deutlich erhöhte Strafdrohung in § 239a Abs. 3 (Erpresserischer Menschenraub mit Todesfolge) – ähnlich wie beim Raub mit Todesfolge nach §251 StGB – von einer leichtfertigen Todesverursachung „durch die Tat“ nur dann ausgegangen werden, wenn nicht nur ein Ursachenzusammenhang im Sinne der Bedingungstheorie gegeben ist, sondern sich im Tod des Opfers auch tatbestandsspezifische Risiken verwirklichen, die typischerweise mit dem Grundtatbestand einhergehen. Die nahe liegende Möglichkeit, dass ein nichtiger Anlass oder ein Missverständnis auf Grund anspannungsbedingter Fehleinschätzung zu einem Gewaltausbruch gegenüber dem Opfer führt (hier: Fehleinschätzung, dass das Opfer auf seinem Laptop eine Nachricht versendet hat und hierauf beruhende Schläge), kann dabei eine tatbestandstypische Gefahr im Sinne des § 239a Abs. 3 StGB darstellen. Denn aus einer sich über eine längere Dauer erstreckenden Bemächtigungslage können psychische Belastungen nicht nur für das Opfer, sondern auch für den Täter folgen, insbesondere wegen der Befürchtung entdeckt zu werden.
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Zum Schluss noch eine prozessuale Entscheidung, die sich mit einem zu Unrecht verworfenen Befangenheitsantrag und damit dem absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO beschäftigt:
V. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2016 – 3 StR 482/15
Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund des Inhalts seiner öffentlich zugänglichen Facebook-Seite, auf welcher er unter anderem auf einem Foto ein T-Shirt mit der Aufschrift „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA“ trägt, einen Kommentar mit den Worten „Das ist mein ‚Wenn du raus kommst, bin ich in Rente‘-Blick“ hinterlassen hat und auf der seine dienstliche Tätigkeit benannt wird, ist berechtigt. Denn hierdurch wird eine innere Haltung des betroffenen Richters dokumentiert, die bei verständiger Betrachtung besorgen lässt, dieser beurteile die von ihm zu bearbeitenden Strafverfahren nicht objektiv, sondern habe Spaß an der Verhängung hoher Strafen und mache sich über die Angeklagten lustig. Die beschriebene Facebook-Seite enthält auch einen eindeutigen Hinweis auf die berufliche Tätigkeit des Richters und betrifft deshalb nicht lediglich dessen persönliche Verhältnisse.
Im Folgenden eine Übersicht über im Januar veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 – 3 StR 537/14
Der 3. Senat gibt seine bisherige Rechtsprechung auf, wonach alle mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte an einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammengefasst werden. Vielmehr unterbleibt diese Verknüpfung jedenfalls mit solchen Handlungen, die auch den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen und der Zwecksetzung der Vereinigung oder sonst deren Interessen dienen. Diese stehen zwar gemäß § 52 Abs. 1 Alt. 1 StGB in Tateinheit mit der jeweils gleichzeitig verwirklichten, mitgliedschaftlichen Beteiligung gemäß § 129 Abs. 1 Var. 2 StGB, stehen jedoch, soweit sich nach allgemeinen Grundsätzen nichts anderes ergibt, sowohl untereinander als auch zu der Gesamtheit der sonstigen mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte in Tatmehrheit (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
II. BGH, Beschluss vom 5. November 2015 – 2 StR 96/15
Die Einräumung der allgemeinen Nutzungsmöglichkeit eines Pkw an den Partner, mit welchem dieser u.a. Fahrten zu einer Cannabisplantage unternimmt, ist – als neutrale Handlung – regelmäßig nur dann Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 27 StGB, § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG), wenn der Helfende – entsprechend der Grundsätze zu berufstypisch neutralen Handlungen – hiervon sicher weiß. Hält er es demgegenüber nur für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so reicht dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht aus, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung „die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein“ ließ (vgl. BGHSt 46, 107, 112).
III. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2015 – 3 StR 438/15
Der Versuch der Beteiligung an einem Verbrechen im Sinne von § 30 Abs. 2 StGB (hier: Verabredung der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion gemäß § 308 Abs. 1 StGB) steht mit einer unter Strafe gestellten Vorbereitung dieses Verbrechens (hier: Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB) jedenfalls dann in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB), wenn die sich aus § 30 Abs. 1 und 2 StGB ergebende Strafandrohung diejenige für die Vorbereitungshandlung übersteigt (Leitsatz des Gerichts; zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
Im Folgenden eine Übersicht über im Juni veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2015 – 3 StR 551/14
Eine geheimdienstliche Agententätigkeit wird nicht ohne Weiteres im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB „gegen die Bundesrepublik Deutschland“ ausgeübt, wenn die Ausforschungsbemühungen des Angeklagten (hier: für den indischen Inlandsgeheimdienst) sich gegen Mitglieder oder Unterstützer einer durch die Europäische Union gelisteten ausländischen terroristischen Vereinigung richten, insbesondere gegen Führungsmitglieder, die mit internationalem Haftbefehl gesucht werden (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
II. BGH, Urteil vom 15. April 2015 – 1 StR 337/14
Dem Vermögensschaden bei einem Sachbetrug (§ 263 Abs. 1 StGB), steht nicht unbedingt entgegen, dass bei der Veräußerung eines durch den Täter als Sicherungsgeber unterschlagenen, an eine Bank sicherungsübereigneten Pkw mit gefälschten Fahrzeugpapieren der getäuschte Erwerber rechtlich das Eigentum an dem Pkw erwirbt (§§ 932, 935 BGB). Dies gilt jedenfalls dann, wenn nach dem Tatplan des Täters der Pkw dem Käufer nicht im Rahmen eines späteren Zivilprozesses wieder entzogen werden soll, sondern bereits unter Vortäuschung einer anderweitigen Entziehung und Einschaltung (gutgläubiger) Polizeibeamter eine sofortige Beschlagnahme des Fahrzeugs in die Wege geleitet wird. Sein Eigentumsrecht kann der Geschädigte nämlich im Hinblick auf die ihm unter Angabe unrichtiger Verkäuferdaten übergebenen gefälschten Fahrzeugpapiere gegenüber den vom Täter instrumentalisierten Polizeibeamten nicht nachweisen. Für die Möglichkeit einer erfolgreichen späteren Herausgabeklage des Geschädigten bestehen jedenfalls dann keine Anhaltspunkte, wenn das Fahrzeug von der Polizei nicht an die Bank als Sicherungseigentümer, sondern an den Sicherungsgeber als Täter – mit ungewissem weiterem Verbleib – herausgegeben werden soll. Einer solchen Möglichkeit kommt daher zum Zeitpunkt der Vermögensverfügung kein wirtschaftlicher Wert zu. Damit erlangt der geschädigte Erwerber bei wirtschaftlicher Betrachtung zum Zeitpunkt der Vermögensverfügung lediglich eine für ihm im Ergebnis wertlose kurzfristige Besitzposition an dem Fahrzeug.
III. BGH, Beschluss vom 16. April 2015 – 1 StR 490/14
Die Manipulation des Auslesestreifens eines Geldspielautomaten durch einen zwischen diesem und dem Auslesegerät zwischengeschalteten Adapter, mit dem die durch den Automaten erzielten Umsatzerlöse vor dem Ausdruck mittels des Auslesegeräts verändert werden können, stellt die Verfälschung technischer Aufzeichnungen in der Tatvariante des § 268 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen störender Einwirkung auf den Aufzeichnungsvorgang dar (und nicht das Gebrauchen verfälschter technischer Aufzeichnungen gemäß § 268 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Denn erst der durch das Auslesegerät erstellte Ausdruck der in einem eigenständigen Bauteil des Geldspielautomaten automatisch erfassten und eingespielten Umsätze ist eine technische Aufzeichnung im Sinne des § 268 StGB. Bei den zuvor im Datenspeicher des Geräts abgelegten Daten handelt es sich demgegenüber noch nicht um eine technische Aufzeichnung, da diese Informationen allein Teil des vom Spielautomaten (ohne technische Eingriffe) nicht abtrennbaren Gerätespeichers sind. Erst die dauerhafte Verkörperung auf dem mittels des Auslesegeräts – grundsätzlich ohne Einwirkungsmöglichkeit von außen – hergestellten Ausdruck ist eine Darstellung im Sinne des § 268 StGB, durch die sich ein Mensch den Informationswert der in den Automaten gespeicherten Werte nutzbar machen kann.
IV. BGH, Urteil vom 20. Mai 2015 – 5 StR 547/14
Im Rahmen der Prüfung einer Täuschungshandlung beim Betrug (§ 263 StGB) umfasst die Forderung und Vereinbarung eines bestimmten, gegebenenfalls auch überhöhten Preises nicht ohne weiteres die konkludente Erklärung, die verkaufte Sache sei ihren Preis auch wert. Mit Rücksicht auf das Prinzip der Vertragsfreiheit ist grundsätzlich kein Raum für die Annahme konkludenter Erklärungen über die Angemessenheit oder Üblichkeit des Preises; es ist vielmehr Sache des Käufers, abzuwägen und sich zu entscheiden, ob er die geforderte Vergütung aufwenden will. Für den Verkäufer besteht bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit und des Wuchers grundsätzlich auch keine Pflicht zur Offenlegung des Werts des Kaufobjektes, selbst wenn dieser erheblich unter dem geforderten Preis liegt. Im Regelfall muss der Verkäufer den Käufer auch nicht auf ein für diesen ungünstiges Geschäft hinweisen, sondern darf davon ausgehen, dass sich sein künftiger Vertragspartner im eigenen Interesse selbst über Art und Umfang seiner Vertragspflichten Klarheit verschafft hat (st. Rspr.).
V. BGH, Urteil vom 3. Juni 2015 – 5 StR 628/14
Zum Vorliegen der subjektiv erforderlichen groben Fahrlässigkeit in Form von Leichtfertigkeit bei einem Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB), bei dem die maskierten und mit Pistolen bewaffneten Täter ein 82-jähriges Ehepaar überfallen und die Ehefrau aufgrund einer vorangehenden Misshandlung ihres Ehemanns und der folgenden Bedrohung einen Asthmaanfall erleidet, der zu ihrem Tode führt.
Im Folgenden eine Übersicht über im Mai veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 3. März 2015 – 3 StR 595/14
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB reicht es zur Begehung eines schweren Raubes als Mitglied einer Bande auch aus, dass die Bande sich zur fortgesetzten Begehung von Diebstahlstaten verbunden hat; dass die künftigen Wertgegenstände unter zusätzlichem Einsatz von Nötigungsmitteln erlangt werden sollen, ist danach nicht erforderlich (Abweichung zu einer – nicht tragenden – Erwägung in BGH, Beschl. v. 13. Apr. 1999 – 1 StR 77/99 –).
II. BGH, Urteil vom 17. März 2015 – 2 StR 379/14
Die Vorschrift des Art. 12 Abs. 1 EGStGB, wonach neben Freiheitsstrafe die wahlweise Androhung von Geldstrafe auch dann tritt, wenn das Gesetz neben Freiheitsstrafe ohne besonderes Mindestmaß diese Strafart nicht ausdrücklich vorsieht, ist auch dann anwendbar, wenn zwar der Normalstrafrahmen des anzuwendenden Straftatbestands eine erhöhte Mindeststrafe vorsieht, dieser Strafrahmen im Einzelfall aber durch einen vertypten Milderungsgrund (hier: wegen Beihilfe gemäß § 27 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB) so abgesenkt wird, dass er im Ergebnis bei der gesetzlichen Mindeststrafe beginnt (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
III. BGH, Beschluss vom 9. April 2015 – 2 StR 424/14
Bedroht der Täter das Opfer mit einer Spielzeugpistole, um die Aushändigung von Bargeld zu erreichen, und schlägt er ihm im Anschluss mit dem Knauf der Pistole auf den Kopf, so dass das Opfer eine blutende Platzwunde davonträgt, liegt nicht nur eine schwere Erpressung nach §§ 255 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB, sondern eine besonders schwere räuberische Erpressung nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB vor, da der Täter ein anderes gefährliches Werkzeug „bei der Tat“ verwendet hat. Eine solche Verwendung bei der Tat ist auch nach Vollendung der räuberischen Erpressung (durch Übergabe des Bargeldes) noch möglich, solange die Tat noch nicht beendet ist.
IV. BGH, Urteil vom 23. April 2015 – 4 StR 607/14
Für einen räuberischen Angriff auf einen Kraftfahrer (§ 316a StGB) ist erforderlich, aber auch ausreichend eine gegen die Entschlussfreiheit gerichtete Handlung, sofern das Opfer jedenfalls deren objektiven Nötigungscharakter wahrnimmt; die feindliche Willensrichtung des Täters muss das Opfer nicht erkannt haben. Daher ist auch eine vorgetäuschte Polizeikontrolle, bei der das Opfer mittels Haltezeichen durch einen Scheinpolizisten zum Anhalten gebracht wird, ein solcher Angriff. Von reinem Vorgehen mit List (etwa: Vortäuschen einer Anhaltersituation), was nicht tatbestandsmäßig wäre, unterscheidet sich die Konstellation der vorgetäuschten Polizeikontrolle dadurch, dass dem Kraftfahrzeugführer bei der Einwirkung durch das Haltezeichen eines Polizeibeamten kein Ermessen eingeräumt ist; er ist vielmehr bei Androhung von Geldbuße (§49 Abs. 3 Nr. 1 StVO) verpflichtet, Haltezeichen Folge zu leisten.
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Zuletzt noch eine strafprozessuale Entscheidung, die sich mit den Vorschriften über die Verständigung befasst:
V. BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15
Weder dem gesetzlichen Schutzkonzept zur Verständigung noch übergeordneten Grundsätzen lässt sich ein an Gericht oder Staatsanwaltschaft gerichtetes Verbot entnehmen, in einem gegen mehrere Angeklagte gerichteten Strafverfahren nur an einer „Gesamtverständigung“ mitzuwirken. Ein subjektives Recht eines Angeklagten auf Verständigung existiert nicht. Gerade in Umfangsverfahren kann eine Verständigung mit nur einzelnen Angeklagten unter dem Aspekt der Verfahrensökonomie im Wesentlichen wertlos sein, im Gegenteil sogar gewisse Gefahren für den Bestand des Urteils in sich bergen, zumal dann, wenn die Tatbeiträge der Angeklagten –wie im vorliegenden Fall – in besonderer Weise miteinander verwoben sind.