Im Folgenden eine Übersicht über im Juli veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschluss vom 1. Juni 2016 – 2 StR 335/15
Anfrage des 2. Strafsenats an die übrigen Senate gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden, dass eine Nötigung zur Herausgabe von Betäubungsmitteln keine Erpessung darstellt (§§ 253, 255 StGB), da Betäubungsmittel nicht dem Vermögen des Genötigten unterfallen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH ist dem Vermögen im Sinne der §§ 253, 263 StGB auch der unerlaubte Besitz von Betäubungsmitteln zuzurechnen, weil der strafrechtliche Vermögensbegriff wirtschaftlich betrachtet werden soll. Daran will der 2. Strafsenat nicht festhalten. Die gleichzeitige Strafdrohung gegen denjenigen, der unerlaubt Betäubungsmittel besitze und denjenigen, der dem Besitzer diesen unerlaubten Besitz durch Täuschung oder Nötigung entziehe, stelle einen offenkundigen Widerspruch dar. Zudem bleibe die Strafbarkeit nach anderen Straftatbeständen als den Vermögensdelikten bei der Ausklammerung des unerlaubten Besitzes aus dem strafrechtlich geschützten Vermögen unberührt und verhindere, dass ein strafrechtsfreier Raum entstehe. Die Besitzschutzregeln der §§ 858 ff. BGB, die bisweilen als Grund für die Forderung nach einem flankierenden strafrechtlichen Schutz des Besitzes angeführt würden, dienten nicht dem Schutz des Vermögensbestandes und besagten nichts über die Legitimität des Besitzes. Die Anwendung der Vermögensdelikte auf die Entziehung des Drogenbesitzes sei auch nicht deswegen geboten, weil in angrenzenden Fällen, in denen dem Opfer die Betäubungsmittel weggenommen würden, ein Eigentumsdelikt (namentlich § 242 StGB) vorläge. Divergenzen zwischen dem Schutz von Eigentum und Vermögen würden auch an anderer Stelle hingenommen und zwängen nicht dazu, die Auslegung des Merkmals „Vermögen“ auf illegal erworbene Rechtspositionen zu erstrecken. Der Schutz des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gegen Wegnahme durch Eigentumsdelikte erscheine zudem seinerseits nicht zwingend.
II. BGH, Beschluss vom 8. Juni 2016 – 4 StR 112/16
Die Vorschrift des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt das Einbrechen, Einsteigen oder Eindringen in eine Wohnung voraus. Bricht der Täter in Kellerräume ein, ist der Tatbestand nur erfüllt, wenn diese Räume durch eine unmittelbare Verbindung zum Wohnbereich dem Begriff des Wohnens typischerweise zuzuordnen sind. Dies ist regelmäßig beim Keller eines Einfamilienhauses, nicht aber bei vom Wohnbereich getrennten Kellerräumen in einem Mehrfamilienhaus der Fall (st. Rspr.). Das Aufhebeln einer Kellertür in einem Mehrfamilienhaus ist daher zur Verwirklichung des Tatbestandes auch dann nicht ausreichend, wenn der Täter im Nachgang in dem sodann ungehindert zugänglichen Wohnbereich des Hauses stehlenswerte Gegenstände entwendet.
III. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 – 3 StR 22/16
Die Vorschrift des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) wird durch den Qualifikationstatbestand des § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB (Misshandlung Schutzbefohlener, wobei der Schutzbefohlene in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird) verdrängt. Dies hat seinen materiellen Grund darin, dass abstrakte Gefährdungsdelikte gegenüber den dieselben Rechtsgüter schützenden konkreten Gefährdungsdelikten subsidiär sind. Dies gilt auch für das Verhältnis von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zur schweren Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB, denn Grund der Strafschärfung ist auch hier, dass die schutzbefohlene Person durch die Tat nach § 225 Abs. 1 StGB in die konkrete Gefahr des Todes gebracht wird. Daneben ist für eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung aufgrund der bloß abstrakten Lebensgefährdung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB kein Raum.
IV. BGH, Urteil vom 22. Juni 2016 – 5 StR 98/16
Ein vollendeter Raub (§ 249 StGB) ist auch dann gegeben, wenn der Kläger bereits mit Zueignungsabsicht handelnd zunächst das Opfer durch Gewalteinwirkung verletzt und den anschließenden Krankenhausaufenthalt sodann nutzt, um alsbald in dessen Haus zu gelangen und dort ungehindert Gegenstände mitzunehmen. Für die raubspezifische Einheit von qualifizierter Nötigung und Wegnahme [i.S.e. neben die finale Verknüpfung von Gewaltanwendung und Wegnahme tretenden, zeitlich-örtlichen Zusammenhangs] ist dabei maßgeblich, ob es zu einer – vom Täter erkannten – nötigungsbedingten Schwächung des Gewahrsamsinhabers in seiner Verteidigungsfähigkeit oder -bereitschaft gekommen ist (Leitsatz des Gerichts). Dies ist auch dann der Fall, wenn der Geschädigte aufgrund schwerer Verletzungen ins Krankenhaus verbracht wird, da er dann ähnlich wie bei einer Bewusstlosigkeit schon nicht mehr in der Lage ist, einen gegen den Gewahrsamsbruch des Angeklagten gerichteten Abwehrwillen zu bilden und die zeitliche Differenz zwischen Gewaltanwendung und Wegnahmehandlung nicht mehr als zwei Stunden beträgt. Das in § 252 StGB enthaltene Erfordernis „auf frischer Tat“ steht dieser Auslegung schon im Hinblick auf die andersartige Struktur dieses Tatbestands nicht entgegen. Eine Fehlvorstellung des Täters, der ursprünglich beabsichtigte, bereits unmittelbar nach der Gewalteinwirkung aufgrund einer Bewusstlosigkeit des Opfers Gegenstände aus dessen Haus mitzunehmen, stellt dabei eine unwesentliche Abweichung von Kausalverlauf dar (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
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