Im Folgenden eine Übersicht über im März veröffentlichte, interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Urteil vom 13. Januar 2016 – 2 StR 148/15
Ein in einem öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis stehender Schulsekretär, der nach der internen Aufgabenverteilung allein für das Bestell- und Zahlwesen einer Schule zuständig ist, ist auch dann Amtsträger im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB, wenn er nicht nach außen als Entscheidungsträger auftritt, sondern nur faktisch die Entscheidung darüber trifft, welche Bestellungen realisiert, welche Zulieferer beauftragt und dass Zahlungen angewiesen werden (Leitsatz des Gerichts). Er kann daher wegen Bestechlichkeit (§ 332 StGB) strafbar sein, wenn er einen Lieferanten gegen „Provisionszahlungen“ bei der Bestellung für Verbrauchsmittel bevorzugt und diesem durch den gutgläubigen Schulleiter oder ein sonstiges gutgläubiges Mitglied des Kollegiums Auszahlungen zuweisen lässt, ohne dass tatsächlich Leistungen erfolgen (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
II. BGH, Urteil vom 27. Januar 2016 – 5 StR 328/15
Ein Verwaltungsangestellter, der mit der Bearbeitung von Bußgeldverfahren betraut ist und diese zu Gunsten der betroffenen Personen jeweils zu einem endgültigen – im Verfahrensgang nicht vorgesehenen – Abschluss bringt, indem er Akten aus dem Dienstverkehr entzieht, um auf diese Weise eine Ahndung der Verstöße zu verhindern, begeht eine Rechtsbeugung nach § 339 StGB. Denn er beendet die Bußgeldverfahren mit fremdnütziger Zielrichtung in außergesetzlicher Weise, deren gesetzmäßige Führung seine dienstliche Aufgabe ist. Mit seinem im Ergebnis einer abschließenden Entscheidung gleichkommenden Vorgehen entfernt er sich bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz.
III. BGH, Urteil vom 2. Februar 2016 – 1 StR 435/15
Die von einer Prostituierten aufgrund einer vorherigen Vereinbarung erbrachten sexuellen Handlungen und die dadurch begründete Forderung auf das vereinbarte Entgelt (§ 1 Satz 1 ProstG) gehören zum strafrechtlich geschützten Vermögen (Anschluss an BGH, Beschluss vom 18. Januar 2011 – 3 StR 467/10, NStZ 2011, 278 f.) (Leitsatz des Gerichts). Daher kann sich ein Freier eines Betruges nach § 263 Abs. 1 StGB schuldig machen, wenn er der Prostituierten unter Vorspiegelung seiner Zahlungswilligkeit und -fähigkeit als Entgelt einen nicht gedeckten Scheck übergibt und im Anschluss die sexuellen Dienstleistungen in Anspruch nimmt. Angesichts der gesetzgeberischen Wertung des § 1 Satz 1 ProstG muss bereits den in Erfüllung eingegangener Verabredungen und in Erwartung des vereinbarten Entgelts erbrachten sexuellen Leistungen ein betrugsstrafrechtlich relevanter wirtschaftlicher Wert zugemessen werden (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
IV. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2016 – 4 StR 266/15
Die Verurteilung eines Elternteils wegen Misshandlungen des eigenen Kindes, die „in dubio pro reo“ für den Fall, dass der andere Elternteil die tatbestandliche Handlung begangen hat, ihm als Garant in Form des unechten Unterlassensdelikts (§§ 13, 225 StGB) angelastet wird, lässt sich nicht auf die Erwägung stützen, dass das Kind bereits in der Vergangenheit entweder durch den einen oder den anderen Elternteil Misshandlungen erfahren hatte, sodass dem verurteilten Elternteil eine besondere Fürsorgepflicht traf. Wenn nämlich auch für die frühere Misshandlung der jetzige Verurteilte als Täter in Betracht kommt, bestand für ihn keine Veranlassung, aufgrund dessen gerade im Hinblick auf einen zu befürchtenden und unterstellten Übergriff des anderen Partners von einer Erfolgsabwendungspflicht ausgehen zu müssen.
V. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2016 – 4 StR 459/15
Eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln durch Unterlassen scheidet in einem Fall, in welchem der Inhaber einer Wohnung Kenntnis davon hat, dass sein Mitbewohner Heroin in der Wohnung lagert und damit handelt, ohne hiergegen einzuschreiten, mangels Garantenstellung des Wohnungsinhabers aus. Denn der Inhaber einer Wohnung hat grundsätzlich rechtlich nicht dafür einzustehen, dass in seinen Räumen durch Dritte keine Straftaten begangen werden. Ein Ausnahmefall kommt nur dann in Betracht, wenn die Wohnung wegen ihrer besonderen Beschaffenheit oder Lage – über ihre Eigenschaft als nach außen abgeschirmter Bereich hinaus – eine Gefahrenquelle darstellt (ständige Rspr).
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Zum Schluss noch zwei prozessuale Entscheidung, die sich mit einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) EMRK und den Grundsatz des fairen Verfahrens bzw. der Frage beschäftigen, ob die Höhe der Kompensation für eine überlange Verfahrensdauer zulässiger Gegenstand einer Verständigung nach § 257c StPO sein kann:
VI. BGH, Urteil vom 23. Dezember 2015 – 2 StR 457/14
Ein Angeklagter kann auf die das Strafverfahren abschließende Entscheidung nur dann hinreichend Einfluss nehmen, wenn ihm der Verfahrensgegenstand in vollem Umfang bekannt ist, was auch die Kenntnis der Anklageschrift voraussetzt. Deshalb hat ein Angeklagter nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) EMRK das Recht, innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihm verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden. Dieses Recht beinhaltet für den der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen Beschuldigten grundsätzlich die Übersendung einer Übersetzung der Anklageschrift in einer für ihn verständlichen Sprache. Die mündliche Übersetzung allein des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung genügt nur in Ausnahmefällen, namentlich dann, wenn der Verfahrensgegenstand tatsächlich und rechtlich einfach zu überschauen ist. Der Umstand, dass der Angeklagte einen Verteidiger hat, führt – auch unter Berücksichtigung des § 187 Abs. 2 Satz 5 GVG – zu keiner abweichenden rechtlichen Bewertung. Ein Angeklagter, dem die Anklageschrift nicht ordnungsgemäß mitgeteilt wurde, kann daher grundsätzlich die Aussetzung der Hauptverhandlung verlangen, um seine Verteidigung genügend vorbereiten zu können. Wird ihm dies verwehrt, liegt hierin ein Verstoß gegen Art.6 Abs. 3 Buchst. a) EMRK sowie den Grundsatz des fairen Verfahrens.
VII. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2016 – 1 StR 79/15
Die Höhe der Kompensation für eine hinsichtlich Art, Ausmaß und ihrer Ursachen prozessordnungsgemäß festgestellte überlange Verfahrensdauer ist ein zulässiger Verständigungsgegenstand nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers können Verständigungsgegenstand u.a. grundsätzlich die Maßnahmen sein, über die das erkennende Gericht verfügen kann, somit Maßnahmen, die es im Erkenntnis treffen kann; Grundsätze der richterlichen Sachverhaltsaufklärung und Überzeugungsbildung sollten hingegen nicht angetastet werden. Danach erweist sich die Verständigung über Art und Ausmaß einer Kompensation für eine überlange Verfahrensdauer als zulässiger Verständigungsgegenstand, sofern die tatsächlichen Grundlagen, aufgrund derer das Gericht Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen ermittelt hat, außen vor bleiben (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
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