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Lukas Knappe

Eil-Notiz: BVerfG kippt Betreuungsgeld

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

Das BVerfG hat das umstrittene Betreuungsgeld mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes für verfassungswidrig erklärt. Der Erste Senat hat im Rahmen eines vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg betriebenen abstrakten Normenkontrollverfahrens damit zugleich diejenigen bundesgesetzlichen Regelungen, die einen Anspruch auf die in der Öffentlichkeit auch kritisch unter dem Schlagwort „Herdprämie“ diskutierte Sozialleistung begründen, für nichtig erklärt. Die Einführung des Betreuungsgeldes war politisch stark umstritten, da vor allem erhebliche inhaltliche Bedenken gegen die Leistung geäußert wurden. Das BVerfG hat die Regelung nun bereits aus formellen Gründen für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt und musste sich mangels Zuständigkeit des Bundes daher auch nicht mehr zu materiellen Gesichtspunkten äußern. Dieser Beitrag soll aufgrund der Aktualität sowie der Bedeutung der Entscheidung einen ersten Überblick über die Beantwortung der wesentlichen Rechtsfragen durch das BVerfG liefern, die einen Kernbereich des Staatsorganisationsrechts betreffen und somit eine Vorbereitung für eine kurzfristig anstehende Klausur bzw. mündliche Prüfung erleichtern.

A. Sachverhalt

Im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens nach Art. 93 I Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG (abstrakte Normenkontrolle) hatte sich der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg vor dem BVerfG gegen die mit dem Betreuungsgeldgesetz des Bundes vom 15. Februar 2013 eingefügten §§ 4a-d des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes gewandt. Diese Regelungen sahen im Wesentlichen vor, dass Eltern in der Zeit vom 15. Lebensmonat bis zum 36. Lebensmonat ihres Kindes einkommensunabhängig Betreuungsgeld in Höhe von zunächst 100 € und mittlerweile 150 € pro Monat beziehen können, sofern für das Kind weder eine öffentlich geförderte Tageseinrichtung noch Kindertagespflege in Anspruch genommen wird.

B. Wesentliche Erwägungen des BVerfG

I. Kompetenztitel

Fraglich war zunächst, ob sich der Bund beim Erlass der in Rede stehenden Regelungen überhaupt auf einen Kompetenztitel berufen konnte. Bereits dies war vom Antragsteller verneint worden, da es sich um eine Zahlung für die Nichtinanspruchnahme öffentlicher Leistungen handle, bei der kein Kompetenztitel des Grundgesetzes greife. Das BVerfG hat in dem Urteil allerdings demgegenüber klargestellt, dass die Regelungen zum Betreuungsgeld dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG zuzuordnen seien, welches im Kern die Unterstützung Hilfsbedürftiger in wirtschaftlichen Notlagen umfasst (vgl. dazu näher Degenhart in: Sachs, GG, Art. 74, Rn. 35):

Der Begriff der öffentlichen Fürsorge in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ist nicht eng auszulegen. Er setzt voraus, dass eine besondere Situation zumindest potenzieller Bedürftigkeit besteht, auf die der Gesetzgeber reagiert. Dabei genügt es, wenn eine – sei es auch nur typisierend bezeichnete und nicht notwendig akute (ähnlich BVerfGE 88, 203 (329 f.); 97, 332 (342); 106, 62 (134)) – Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen (vgl. BVerfGE 88, 203 <329 f.>) einhergehenden Lebenssituation besteht, auf deren Beseitigung oder Minderung das Gesetz zielt.

Diese Anforderungen sind nach Ansicht des BVerfG im konkreten durch die vom Bund erlassenen Regelungen erfüllt worden, da der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung auf die Belastung von Familien mit Kleinkindern und eine damit verbundene besondere Hilfs- und Unterstützungsbedürftigkeit habe reagieren wollen. Im Rahmen seines gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums habe er auch von einem typischerweise in dieser Altersphase auftretenden besonderen Aufwand bei der Betreuung von Kleinkindern ausgehen dürfen.

II. Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG

Der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG fällt zwar in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, allerdings kann der Bund, anders als im Rahmen des Art. 72 Abs. 1 GG, nicht uneingeschränkt tätig werden, da der Bereich der öffentlichen Fürsorge der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG unterfällt, die zusätzliche Anforderungen für die Zulässigkeit einer bundesgesetzlichen Regelung statuiert. Nach Art. 72 Abs. 2 GG hat der Bund auf den dort genannten Gebieten nämlich nur das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich machen. Erforderlich ist eine bundesgesetzliche Regelung daher nur, wenn ohne sie die vom Gesetzgeber für sein Tätigwerden im konkret zu regelnden Bereich in Anspruch genommene Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG nicht oder nicht hinlänglich erreicht werden kann (BVerfGE 106, 62 (149); zur Wiederholung der Erforderlichkeitsklausel eignet sich insbes. Degenhart in: Sachs, GG, Art. 72, Rn. 10 f.). Fraglich ist, ob die vom Bund erlassenen Regelungen diesen vom BVerfG traditionell streng ausgelegten Anforderungen genügen:

1. Art. 72 Abs. 2 Var. 1 GG: Erforderlichkeit zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse

Möglicherweise könnte die Regelung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich gewesen sein.

a) Das BVerfG hat in seinen Leitentscheidungen in BVerfGE 106, 62 und BVerfGE 112, 226 klargestellt, dass eine Bestimmung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse nicht schon dann erforderlich ist, wenn es sich nur um das Inkraftsetzen einer bundeseinheitlichen Regelungen handelt oder die Regelung nur eine allgemeine Verbesserung der Lebensverhältnisse beinhaltet. Der Bundesgesetzgeber dürfe vielmehr erst dann eingreifen,

wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet (vgl. BVerfGE 106, 62 (144); 112, 226 (244)). Ein rechtfertigendes besonderes Interesse an einer bundesgesetzlichen Regelung kann auch dann bestehen, wenn sich abzeichnet, dass Regelungen in einzelnen Ländern aufgrund ihrer Mängel zu einer mit der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse unvereinbaren Benachteiligung der Einwohner dieser Länder führen und diese deutlich schlechter stellen als die Einwohner anderer Länder (vgl. BVerfGE 106, 62 (153 f.); 112, 226 (244 f.)).

b) Diesen Anforderungen genügt das vom Bund eingeführte Betreuungsgeld allerdings nach Auffassung der entscheidenden Richter nicht:

aa) So kann das Erfordernis einer bundesgesetzlichen Regelung insbesondere nicht damit begründet werden, dass nur ein kleiner Teil vergleichbare Sozialleistungen vorsehe, während andere Länder derartige Leistungen nicht gewähren:

Zwar gibt es gegenwärtig nach den Landeserziehungsgeldgesetzen in Bayern, in Sachsen und noch in Thüringen, nicht aber in anderen Ländern, dem Betreuungsgeld ähnliche staatliche Leistungen. Diese Konsequenz föderal vielfältiger Gestaltungen führt jedoch nicht zu einer erheblichen Schlechterstellung von Eltern in jenen Ländern, die solche Leistungen nicht gewähren. Ohnehin könnte das Bundesbetreuungsgeld ein bundesweit gleichwertiges Förderungsniveau von Familien mit Kleinkindern schon deshalb nicht herbeiführen, weil keine Anrechnungsvorschrift bezüglich bereits bestehender Landesregelungen existiert, sodass Eltern neben dem Bundesbetreuungsgeld in den drei genannten Ländern bei Erfüllen der jeweiligen Bezugsvoraussetzungen weiterhin zusätzlich das Landeserziehungsgeld beziehen können.

bb) Darüber hinaus führen auch nicht durch die Förderung der Kinderbetreuung durch Dritte entstehende Ungleichbehandlungen gegenüber der Betreuung von Kleinkindern im häuslichen Umfeld zu einer nicht mehr hinnehmbaren dramatischen Veränderungen des Sozialgefüges:

Die Gewährung von Betreuungsgeld ist nicht deshalb nach Art. 72 Abs. 2 GG zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich, weil der Ausbau der Kindertagesbetreuung von Bund und Ländern seit Jahren gefördert und damit diese Form der frühkindlichen Betreuung bereits durch finanzielle Leistung unterstützt wird, sodass es einer Alternative zur Inanspruchnahme von Betreuung durch Dritte bedürfte (vgl. aber BTDrucks 17/9917, S. 9 linke Spalte). Das Merkmal der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zielt auf den Ausgleich spezifisch föderaler Nachteile der Einwohner einzelner Länder (vgl. BVerfGE 106, 62 (153 f.); 112, 226 (244 f.)) zur Vermeidung daraus resultierender Gefährdungen des bundesstaatlichen Sozialgefüges, nicht aber auf den Ausgleich sonstiger Ungleichheiten. Wenn die Kleinkindertagesbetreuung durch Dritte stärker gefördert wird als die Betreuung von Kleinkindern im häuslichen Umfeld, so liegt darin jedenfalls kein spezifisch föderaler Nachteil.

cc) Auch aus den Grundrechten könne ungeachtet der Frage, ob sich aus diesen im Hinblick auf das Kriterium gleichwertiger Lebensverhältnisse überhaupt ein Gesetzgebungsrecht des Bundes nach Art. 72 Abs. 2 GG ergeben kann, keine Erforderlichkeit zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse angenommen werden:

Konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen lassen sich jedoch aus dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, die Pflege- und Erziehungsleistung der Eltern zu unterstützen, nicht herleiten. Der Bundes- und die Landesgesetzgeber sind verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, eine Leistung der hier in Rede stehenden Art zu gewähren… Auch Gleichheitsgründe gebieten weder dem Bundes- noch dem Landesgesetzgeber, ein Betreuungsgeld zu gewähren, um eine vermeintliche Benachteiligung von die Betreuung eigenständig durchführenden Eltern gegenüber jenen Eltern zu vermeiden, die einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz in Anspruch nehmen. Das Angebot öffentlich geförderter Kinderbetreuung steht allen Eltern offen. Nehmen Eltern dies nicht in Anspruch, verzichten sie freiwillig, ohne dass dies eine verfassungsrechtliche Kompensationspflicht auslöste.

dd) Zudem kann nach Ansicht des BVerfG ebenfalls nicht der in der Gesetzesbegründung angeführte Umstand, dass bis heute zwischen den Ländern erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Verfügbarkeit öffentlicher und privater Angebote im Bereich der frühkindlichen Betreuung bestehen (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 8 rechte Spalte), die Erforderlichkeit der Einführung des Betreuungsgeldes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse begründen.

Zwar bestehen – in abnehmendem Maße – bis heute zwischen den neuen und den alten Ländern Unterschiede hinsichtlich der Betreuungsquote…Ungeachtet der Frage, ob damit hinsichtlich der Verfügbarkeit von öffentlich geförderten Betreuungsplätzen überhaupt eine nach Art. 72 Abs. 2 GG relevante Schlechterstellung der Einwohner bestimmter Länder vorliegt, bezweckt das Betreuungsgeld aber nicht, etwaige Engpässe bei der Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen für Kleinkinder zu beheben. Es ist dafür auch weder geeignet noch erforderlich.

Das Betreuungsgeld ist nicht als Ersatzleistung für den Fall ausgestaltet, dass ein Kleinkind keinen Platz in einer Betreuungseinrichtung erhält. Der Anspruch auf Betreuungsgeld setzt nach § 4a BEEG nicht voraus, dass kein öffentlich geförderter Betreuungsplatz verfügbar ist; vielmehr genügt die Nichtinanspruchnahme auch dann, wenn ein Betreuungsplatz vorhanden ist. Das Betreuungsgeld könnte etwaige Engpässe bei der Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen auch nicht beheben, da es nicht den gewünschten Betreuungsplatz schafft, sondern eine alternative Förderung bietet, die zudem angesichts der Höhe des Betreuungsgeldes zur Finanzierung eines privaten Betreuungsplatzes bei Weitem nicht ausreichte….

Vor allem aber ist der Zugang zu öffentlich geförderten Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder seit dem Jahr 2013 rechtlich so ausgestaltet, dass jedem Kind, dessen Eltern einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz wünschen, ein solcher Platz auch zur Verfügung gestellt werden muss. Nach § 24 Abs. 2 SGB VIII besteht diesbezüglich ein einklagbarer Leistungsanspruch, der nicht unter Kapazitätsvorbehalt gestellt ist. Danach kann das Betreuungsgeld von vornherein nicht auf die Schließung einer Verfügbarkeitslücke gerichtet sein…

 

2. Art. 72 Abs. 2 Var. 2 und 3 GG : Erforderlichkeit zur Wahrung der Rechtseinheit oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse

Zwar erfüllt die Regelung des Betreuungsgeldes nicht die Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 Var. 1 GG, allerdings könnte sie jedoch zur Wahrung der Rechtseinheit oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich sein:

a) Allerdings legt das BVerfG auch diese beiden Zielvorgaben restriktiv aus:

Eine bundesgesetzliche Regelung ist zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich, wenn und soweit die mit ihr erzielbare Einheitlichkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen Voraussetzung für die Vermeidung einer Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen ist, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann (vgl. BVerfGE 125, 141 (155)). Sie ist zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich, wenn und soweit sie Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik ist, wenn also unterschiedliche Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich brächten (vgl. BVerfGE 106, 62 (146 f.); 112, 226 (248 f.)….

b) Diesen Anforderungen entspricht das bundesgesetzlich normierte Betreuungsgeld jedoch ebenfalls nicht:

Der Annahme, die angegriffene Bundesregelung sei zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich, steht bereits entgegen, dass sie zusätzliche vergleichbare Leistungen in einzelnen Ländern bestehen lässt, so dass eine Rechtsvereinheitlichung ohnehin nicht herbeigeführt wird …. Die bundesgesetzliche Bereitstellung von Betreuungsgeld ist auch nicht zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich. Die Einführung eines Bundesbetreuungsgeldes war nicht Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik. Unterschiedliche Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder haben keine erkennbaren erheblichen Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich gebracht. Auch der Gesetzgeber hat einen solchen Wirkzusammenhang nicht behauptet.

Auch Erforderlichkeitserwägungen, die im Gesetzgebungsverfahren zum Kinderförderungsgesetz angestellt wurden und dieses rechtfertigen können, sind nach Auffassung des BVerfG nicht auf das Betreuungsgeld übertragbar. So sieht das BVerfG nämlich erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Regelungszweckes der beiden gesetzlichen Regelungen:

Während beim Kinderförderungsgesetz unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit maßgeblich auf den Zusammenhang zwischen Kinderbetreuungsmöglichkeit und Möglichkeiten der Beteiligung von Eltern am Arbeitsleben abgestellt und damit an die Bedeutung der Regelungen als Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsfaktor angeknüpft wurde, fördert das hier zu beurteilende Betreuungsgeld die Erwerbsbeteiligung von Eltern nicht. Insbesondere ist das Betreuungsgeld weder dazu bestimmt noch ist es angesichts seiner Höhe dazu geeignet, eine private, nicht öffentlich geförderte Kinderbetreuung zu finanzieren.

Gleiches müsse auch auch für Erwägungen im Zusammenhang mit dem Elterngeld gelten, da dieses mit einer Höhe von 67 % des vorherigen Eikommens einen erheblichen Faktor für die Frage einer Unterbrechung der Erwerbstätigkeit darstelle, während nicht erkennbar sei, dass das Betreuungsgeld mit einer monatlichen Zahlung von 150 € geeignet wäre, einen auch nur annähernd ähnlichen Unterbrechungseffekt zu entfalten.

3. Erforderlichkeit der Regelungen „als Teil eines schon dem Kinderförderungsgesetz zugrunde liegenden Gesamtkonzepts zur Bewältigung der Probleme der Lebenssituation von Familien mit kleinen Kindern hinsichtlich der Kinderbetreuung“.

Zudem erteilt das BVerfG der von der bayerischen Staatsregierung vertretenen Ansicht, dass die Regelungen zum Betreuungsgeld „ als Teil eines schon dem Kinderförderungsgesetz zugrunde liegenden Gesamtkonzepts zur Bewältigung der Probleme der Lebenssituation von Familien mit kleinen Kindern hinsichtlich der Kinderbetreuung“ erforderlich seien, eine Absagen. So könne die Erforderlichkeit des Betreuungsgelds nicht damit begründet werden, dass das Betreuungsgeld im Verbund mit dem Kinderförderungsgesetz kompetenzrechtlich als Ausdruck eines Gesamtkonzepts zu sehen sei:

a) Das BVerfG betont, dass grundsätzlich jede unter den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG fallende Fürsorgeleistung den Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG entsprechen müsse. Dies sei grundsätzlich auch in den Fällen erforderlich, in denen der Gesetzgeber selbständige Leistungen der öffentlichen Fürsorge als Teil eines Gesamtkonzeptes ansehe:

Wenn der Bundesgesetzgeber nach Art. 72 Abs. 2 GG für die nach dem Kinderförderungsgesetz gewährten Leistungen von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für den Bereich der öffentlichen Fürsorge Gebrauch machen durfte, begründet dies jedoch nicht auch die Zulässigkeit des Kompetenzgebrauchs hinsichtlich des Betreuungsgeldes. Will der Bundesgesetzgeber verschiedene Arten von Leistungen der öffentlichen Fürsorge begründen, muss grundsätzlich jede Fürsorgeleistung für sich genommen den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG genügen. Allein die Verbindung mit einer Bestimmung, die bundesrechtlicher Regelung unterliegt, schafft demnach noch nicht den bundesrechtlichen Regelungsbedarf für eine Bestimmung, die für sich genommen nicht die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt. Auch wenn der Bundesgesetzgeber selbständige Leistungen der öffentlichen Fürsorge als Teile eines Gesamtkonzepts begreift, teilen diese nicht allein wegen dieses Verknüpfungswillens das kompetenzrechtliche Schicksal. Grundsätzlich ist der Bundesgesetzgeber bei der Realisierung legislativer Gesamtförderungskonzepte vielmehr auf jene Fürsorgeinstrumente beschränkt, die für sich genommen die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllen. Im Übrigen verbleibt ihm die Möglichkeit, eine übergreifende Konzeption in Kooperation mit den Ländern und in Abstimmung mit deren Gesetzgebung zu verfolgen.

b) Allerdings könne es Fälle geben, in denen zwischen zwei Förderinstrumenten ein untrennbarer Zusammenhang bestehe, der dazu führe, dass die Erforderlichkeit der einen Regelung ausnahmsweise auf die andere Regelung übertragen werden könne. Das BVerfG verlangt jedoch für einen solchen untrennbaren Zusammenhang, dass die

Instrumente dafür objektiv in einem sachlichen Unteilbarkeitsverhältnis stehen, so dass das für sich genommen nach Art. 72 Abs. 2 GG nicht erforderliche Instrument integraler Bestandteil des Gesamtkonzepts wäre und sein Herausbrechen die Tragfähigkeit der Gesamtkonstruktion gefährdete (vgl. BVerfGE 106, 62 (149 f.); 113, 167 (197 f.), 199>).

Dieses Erfordernis sei allerdings hier nicht erfüllt, da zwischen dem Betreuungsgeld sowie dem Kinderförderungsgesetz ein solcher Zusammenhang nicht bestehe:

Die Regelungen des Kinderförderungsgesetzes verlören nichts von ihrer Tragfähigkeit, wenn das anderweitig geregelte Betreuungsgeld entfiele. Insbesondere veränderte sich dadurch nicht der Charakter der Leistungen und Regelungen des Bundes zur Kinderbetreuung in öffentlich geförderten Betreuungseinrichtungen. Entfiele das Betreuungsgeld, blieben die Regelungen und Ziele des Kinderförderungsgesetzes, namentlich der Ausbau der Betreuung von Kleinkindern sowie die Einführung eines entsprechenden Betreuungsanspruchs, unberührt… Auch wenn der Gesetzgeber ein Gesamtkonzept der frühkindlichen Betreuung schaffen wollte, sind das Kinderförderungsgesetz und die Regelungen über das Betreuungsgeld in kompetenzrechtlicher Hinsicht selbständige Teile dieses Gesamtkonzepts, von denen einer entfallen könnte, ohne dass der andere seinen Sinn verlöre oder auch bloß seinen Gehalt veränderte.

 c) Nach Ansicht des BVerfG führe auch nicht die dem Gesetzgeber im Rahmen des Art. 72 Abs. 2 GG zustehende Einschätzungsprärogative zu einem anderen Ergebnis. Zwar stehe dem Gesetzgeber eine solche Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Einschätzung sowie Bewertung derjenigen tatsächlichen Entwicklungen, von denen die Erforderlichkeit bundesrechtlicher Regelungen hinsichtlich der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Zwecke abhängt, zu. Allerdings reiche diese nicht so weit, dass dieser vollständig ohne gerichtliche Kontrolle beurteilen könne, ob die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG gegeben sind. So führt das BVerfG dazu aus:

Dem Bundesgesetzgeber hier eine nicht justiziable Verknüpfungskompetenz zu überlassen, verbietet sich nicht zuletzt angesichts der Entstehungsgeschichte des Art. 72 Abs. 2 GG. In der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 war Art. 72 Abs. 2 GG im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung noch als sogenannte Bedürfnisklausel ausgestaltet. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Frage, ob ein Bedürfnis im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG a.F. nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, als eine Frage des pflichtgemäßen Ermessens des Bundesgesetzgebers bezeichnet, die ihrer Natur nach nicht justiziabel und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen sei (…).

Durch Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994 (BGBl I S. 3146) wurde die Bedürfnisklausel durch die heute geltende Erforderlichkeitsklausel ersetzt. Ziel der Neufassung war es, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zu konzentrieren, zu verschärfen und zu präzisieren, um die „als unzureichend empfundene Justiziabilität der Bedürfnisklausel durch das Bundesverfassungsgericht zu verbessern“ (vgl. BTDrucks 12/6633, S. 8 rechte Spalte). Nach dieser Maßgabe hat das Bundesverfassungsgericht die Voraussetzungen der Bundesgesetzgebungskompetenzen aus Art. 74 GG und aus Art. 75 GG a.F. auf der Grundlage der neuen Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG heutiger Fassung strengerer Prüfung unterzogen als zuvor (…).

Durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 hat er den Anwendungsbereich der im Jahr 1994 in den Kriterien enger gefassten Erforderlichkeitsklausel auf bestimmte Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 GG beschränkt, nicht aber die Erforderlichkeitsklausel selbst gelockert (…).

Vor diesem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund kann es nicht der einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogenen Einschätzungsprärogative des Bundesgesetzgebers überlassen bleiben, im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge selbständige Förderinstrumente mit der Folge zu einem politischen Konzept zu verbinden, dass bereits hierdurch die Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelung umfassend zu bejahen wäre. Könnte der Bundesgesetzgeber kraft politisch gewollter Verklammerung verschiedener Fürsorgeinstrumente auch für jene Instrumente die Erforderlichkeit eines Bundesgesetzes begründen, die für sich genommen die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht erfüllen, hätte der Bund die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nach wie vor selbst in der Hand. Dies wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber im Jahr 1994 durch die Reform des Art. 72 Abs. 2 GG gerade ausschließen (vgl. BVerfGE 106, 62 (148)).

Mangels Gesetzgebungskompetenz verstoßen die §§ 4a bis 4d BEEG in der durch das Betreuungsgeldgesetz vom 15. Februar 2013 erlangten Fassung gegen das Grundgesetz.

21.07.2015/0 Kommentare/von Lukas Knappe
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Lukas Knappe https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Lukas Knappe2015-07-21 14:11:422015-07-21 14:11:42Eil-Notiz: BVerfG kippt Betreuungsgeld
Lukas Knappe

BVerfG: Unzulässigkeit eines pauschalen Kopftuchverbots für Lehrkräfte – Der Streit über das Kopftuch in Klassenzimmern geht in die zweite Runde in Karlsruhe

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Mündliche Prüfung, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Ein landesweites pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in deutschen Klassenzimmern ist verfassungswidrig. Komme es in bestimmten Schulen oder Schulbezirken durch das Tragen des Kopftuchs nicht zu einer hinreichend konkreten Gefährdung bzw. Störung des Schuldfriedens oder der staatlichen Neutralität, bestehe kein anerkennenswertes Bedürfnis, religiöse Bekundungen durch Lehrer allgemein aus dem Klassenzimmer zu verbannen. Der Erste Senat hat mit dieser Entscheidung eine Abkehr von der ersten Kopftuch-Entscheidung des Zweiten Senats aus dem Jahr 2003 vorgenommen und im Rahmen der erforderlichen verfassungsrechtlichen Abwägung die Glaubensfreiheit muslimischer Lehrerinnen in der Schule deutlich stärker gewichtet als bislang. Die Gerichtsentscheidung ist mittlerweile in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte über Religion, Einwanderung und Integration geraten: Während das Urteil nach einigen Stimmen die Integration und Gleichberechtigung der Religionen fördere (Prantl auf SZ-Online), stehen andere dem Urteil verhaltener gegenüber und betonen demgegenüber die religiöse und weltanschauliche Neutralität der Schule sowie die negative Religionsfreiheit der Schüler und befürchten, dass der Streit um das Kopftuch von nun an unmittelbar in die Schule und damit auch das Klassenzimmer verlagert werde (Wefing auf Zeit-Online). Vereinzelt wird das Urteil auch schärfer und polemischer kritisiert: So wertet beispielsweise der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen, Michael Bertrams, den Beschluss als Zeichen von „höchstrichterlicher Ignoranz“ (Interview auf FR-Online). Im Folgenden soll daher eine Darstellung der wesentlichen Argumentationslinien des Gerichts erfolgen.

A. Sachverhalt

Gegenstand der Entscheidung des BVerfG waren zwei Verfassungsbeschwerden zweier Lehrkräfte muslimischen Glaubens gegen letztinstanzlich ergangenen arbeitsgerichtlichen Urteile, die die Zulässigkeit von arbeitsrechtlichen Sanktionen des Landes NRW gegenüber den Beschwerdeführerinnen infolge des religiös motivierten Tragens von Kopfbedeckungen im Schuldienst bestätigten.

Grundlage für diese arbeitsrechtlichen Maßnahmen des Landes sowie die Entscheidungen der Arbeitsgerichte bildeten die Regelungen im Schulgesetz (SchulG) NRW über die Zulässigkeit und Grenzen religiöser Bekundungen durch im Schulwesen beschäftigte Personen. Die maßgebliche Vorschrift des § 57 Abs. 4 SchulG NRW lautet:

Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Schülerinnen und Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrerin oder ein Lehrer gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich- demokratische Grundordnung auftritt. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Artikel 7 und 12 Abs. 6 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1. Das Neutralitätsgebot des Satzes 1 gilt nicht im Religionsunterricht und in den Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen.

I. Verfahren der Beschwerdeführerin zu I

Bei der ersten Beschwerdeführerin handelt es sich um eine Sozialpädagogin muslimischen Glaubens, die seit ihrem 17. Lebensjahr aus religiösen Gründen das Kopftuch trägt und seit 1997 beim Land NRW angestellt und an einer Gesamtschule beschäftigt ist, wo sie insbesondere mit der Schlichtung von Schulkonflikten befasst ist. Nach Inkrafttreten der Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NRW wurde sie von der Schuldbehörde aufgefordert das Kopftuch während ihrer dienstlichen Tätigkeit in der Schule abzulegen. Die betroffene Beschwerdeführerin kam der Aufforderung nach, bedeckte allerdings in der Folge ihr Haar, den Haaransatz sowie die Ohren vollständig durch eine Ersatzbekleidung in Form einer rosafarbenen Baskenmütze. Die Schulbehörde erteilte der Beschwerdeführerin daraufhin eine Abmahnung und drohte zugleich eine Kündigung an, da die betroffene Lehrkraft durch das Tragen religiös motivierter Kopfbekleidung den Schulfrieden gefährde. Darüber hinaus begründete die Behörde die arbeitsrechtlichen Maßnahmen mit dem Argument, dass durch das Tragen des Kopftuchs bei den Schülern sowie deren Eltern der Eindruck entstehen könne, dass die Betroffene nicht die Werte der Menschenwürde, der Gleichberechtigung von Mann und Frau oder der freiheitlich-demokratischen Grundordnung teile.

Im arbeitsgerichtlichen Verfahren bestätigten die Arbeitsgerichte die Entscheidung der Schuldbehörde und werteten das Verhalten der Beschwerdeführerin als bewusste religiöse Kundgabe im Sinne des § 57 Abs. 4 SchulG NRW, die geeignet sei, den Schuldfrieden zu stören, da es auf die Deutung durch die Schüler oder die Eltern aus der Sicht eines objektiven Beobachters ankomme. Dem Einwand, dass die betroffene Lehrkraft das Kopftuch abgelegt habe und es sich bei der Ersatzbekleidung lediglich um eine rosafarbene Baskenmütze handle, entgegneten die Gerichte mit der Argumentation, dass das Verhalten bei einer objektiven Betrachtung dennoch als religiös motiviert anzusehen sei, da durch die Mütze Haare, Haaransatz und Ohren vollständig bedeckt würden und die Wollmütze offenkundig das bislang von der Lehrkraft getragene Kopftuch ersetzen solle. Nach Ansicht der Gerichte könne das Verbot durch die ihrer Auffassung nach verfassungsrechtlich zulässige Norm des § 57 SchulG gerechtfertigt werden, da der Gesetzgeber eine Einschätzungsprägorative habe und dementsprechend auch weit reichende Regelungen treffen könne, um den Schulfrieden und die religiöse Neutralität zu sichern. Darüber hinaus sei § 57 Abs. 4 SchulG auch nicht deshalb verfassungsrechtlich unzulässig, weil die Norm in Satz 3 eine Darstellung christlicher sowie abendländischer Bildungs- und Kulturwerte zulasse. Eine religiöse Ungleichbehandlung liege nämlich deswegen nicht vor, weil die Darstellung derartiger Werte mit einer Erörterung und Diskussion verbunden sei und daher nicht mit der Kundgabe eines individuellen religiösen Bekenntnisses gleichzusetzen sei, die durch die Norm verhindert werden solle. Zudem bezeichne der Begriff des „Christlichen“ – unabhängig von seiner Herkunft aus dem religiösen Bereich – Werte, die aus der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangen seien und auch dem Grundgesetz zugrunde liegen.

II. Verfahren der Beschwerdeführerin zu II

Bei der Beschwerdeführerin zu II. handelt es sich ebenfalls um eine muslimische Lehrkraft, die aufgrund für verbindlich erachteter religiöser Vorschriften ein Kopftuch trägt und dieses auch im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit nicht ablegt. Die Betroffene war als Lehrerin beim Land NRW angestellt und unterrichtete an verschiedenen Schulen muttersprachlichen Unterricht in türkischer Sprache an dem stets nur muslimische Schüler teilnahmen. Im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit hatte es bislang nie Beanstandungen wegen ihres Kopftuchs gegeben. Nach einer Information durch den Schulleiter, dass mit dem Inkrafttreten der Regelung des § 57 SchulG NRW das Tragen des Kopftuchs nicht mehr mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar sei, hielt die Beschwerdeführerin jedoch weiter an der religiös motivierten Bekleidung fest. In der Folge wurde sie durch ihrer Arbeitgeber, das Land NRW, allerdings mit der Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen abgemahnt. Die Beschwerdeführerin kam jedoch auch dieser Aufforderung nicht nach und wurde schlussendlich aus dem Schuldienst entlassen. Die gegen die Kündigung eingelegten Rechtsmittel hatten keinen Erfolg, da die Arbeitsgerichte auch diese arbeitsrechtlichen Maßnahmen des Landes NRW bestätigten.

B. Rechtliche Würdigung durch das BVerfG

I. Verfassungsgerichtlicher Prüfungsmaßstab

Zu beachten ist, dass bei beiden Verfahren unmittelbarer Angriffsgegenstand der Verfassungsbeschwerde eine mögliche Grundrechtsverletzung durch die letztinstanzliche arbeitsgerichtliche Entscheidung ist. Die Verfassungsbeschwerden richten sich folglich gegen Akte der rechtsprechenden Gewalt in Form von Gerichtsurteilen, so dass es sich um sogenannte Urteilsverfassungsbeschwerden handelt (vertiefend zur Kontrolldichte der verfassungsgerichtlichen Prüfung Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, Rn. 178ff.). Zwar nimmt das BVerfG grundsätzlich eine umfassende Prüfung der behaupteten Grundrechtsverletzung vor, hat dabei allerdings nicht die Funktion einer Superrevisionsinstanz (BVerfGE 1, 418 (420); 18, 85 (92)), die die Urteile der Fachgerichte auf ihre Vereinbarkeit mit dem einfachen Recht kontrolliert. Das BVerfG ist vielmehr in seinen Kompetenzen auf eine Überprüfung spezifischen Verfassungsrechts, also grundrechtsrelevante Fehler, beschränkt. Die Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts ist beim außerordentlichen Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde folglich nicht einer Kontrolle durch das BVerfG zugänglich. So führt das BVerfG in seiner maßgeblichen Entscheidung auch aus:

Andererseits würde es dem Sinn der Verfassungsbeschwerde und der besonderen Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht werden, wollte dieses ähnlich wie eine Revisionsinstanz die unbeschränkte rechtliche Nachprüfung von gerichtlichen Entscheidungen um deswillen in Anspruch nehmen, weil eine unrichtige Entscheidung möglicherweise Grundrechte des unterlegenen Teils berührt. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen; nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht durch die Gerichte kann das Bundesverfassungsgericht auf Verfassungsbeschwerde hin eingreifen… Spezifisches Verfassungsrecht ist aber nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muss gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen. (BVerfGE 18, 85 (92)).

II. Eröffnung des Schutzbereich

1. Besonderheiten von Sonderrechtsverhältnissen

Fraglich ist allerdings, ob sich die beiden Lehrkräfte im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit überhaupt auf grundrechtlich gewährleistete Freiheiten berufen und somit ein Recht auf Tragen des Kopftuchs herleiten können. Dagegen könnte sprechen, dass es sich bei der vorliegenden Sachverhaltskonstellation um ein sogenanntes Sonderrechtsverhältnis handelt, bei dem eine besondere Beziehung des Betroffenen zum Staat besteht, die hinsichtlich ihrer Intensität vom gewöhnlichen Staat-Bürger-Verhältnis abweicht (Instruktiv zu den Problemen derartiger Sonderstatutverhältnisse v. Kielmannsegg, Das Sonderstatutverhältnis, in: JA 2012, 881ff.). Charakteristikum derartiger Sonderstatutverhältnisse ist gerade eine Eingliederungslage, bei der die Betroffenen eine besonders enge Beziehung zum Staat aufweisen. So handeln beispielsweise Lehrer im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit als Amtsträger und treten folglich als Teil der staatlichen Organisation auf. Als typische Sonderrechtsverhältnisse sind vor allem das Beamten-, Soldaten-, Schülern- oder Strafgefangenenverhältnis zum Staat zu identifizieren. Hier waren die betroffenen Lehrkräfte zwar nicht verbeamtet, sondern lediglich Angestellte im öffentlichen Dienst, allerdings ist auch diese Beziehung von den dargelegten Besonderheiten gekennzeichnet. Bis zur Strafgefangenenentscheidung des BVerfG sollten die Grundrechte nach der von der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik übernommenen Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis in derartigen Verhältnissen nur eingeschränkt Geltung finden, so dass insbesondere der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes nicht zur Anwendung kommen sollte. In seiner Entscheidung in BVerfGE 33, 1 ff. hat das BVerfG jedoch bereits in den Leitsätzen festgestellt, dass aufgrund der in Art. 1 Abs. 3 GG angeordneten lückenlosen Grundrechtsbindung aller Staatsgewalt, die Grundrechte auch in Sonderrechtsverhältnisses nur durch oder aufgrund eines Gesetzes einschränkbar sind. Lehrerinnen geben somit ihre Grundrechte nicht an der Tür zum Klassenzimmer ab, sondern können sich daher auch gegenüber dem Land auf ihre grundrechtlich geschützten Freiheiten berufen. Das BVerfG geht daher in seinem Beschluss vom 27. Januar auch nur noch kurz auf diese Besonderheiten ein:

Die Beschwerdeführerinnen können sich auch als Angestellte im öffentlichen Dienst auf ihr Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen. Die Grundrechtsberechtigung der Beschwerdeführerinnen wird durch ihre Eingliederung in den staatlichen Aufgabenbereich der Schule nicht von vornherein oder grundsätzlich in Frage gestellt….

 

2. Gewährleistungsumfang von Art. 4 GG

Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleisten nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG und der sich dieser Auslegungsvariante anschließenden Literatur das einheitliche Grundrecht der Glaubensfreiheit (BVerfGE 24, 236 (245); 32, 98 (106); 33, 23 (30); zuletzt BVerfG, Beschl. v. 27.01.2015 – 1 BvR 471/10 – Rn. 85. Aus der Literatur dazu nur Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar, Art. 4 Rn.10. Vgl. zur Gegenansicht, die die Freiheitsrechte in mehrere Einzelgrundrechte untergliedern will, u.a. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 5ff. und Muckel, in: Berl. Kommentar GG, Art. 4 Rn. 33).

Der Schutzbereich der Glaubensfreiheit wird dabei denkbar weit verstanden, so nicht das Forum Internum, also die Möglichkeit, einen Glauben zu bilden und zu haben, sondern auch das Forum Externum gewährleistet ist, so dass auch die Freiheit seinen Glauben auszuleben, geschützt wird (Tillmanns, Die Religionsfreiheit, Jura 2004, 619 (622)). Die vorherrschende Meinung legt die durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete Glaubensfreiheit dabei derart extensiv aus, dass jedes religiös oder weltanschaulich motivierte Handeln vom Schutzbereich erfasst ist: So enthält Art. 4 GG das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. An diese Leseart knüpft das BVerfG auch im vorliegenden Beschluss an und stellt das religiös motivierte Tragen eines Kopftuches unter den Schutz des Grundrechts der Glaubensfreiheit.

Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 24, 236 (247 f.); 108, 282 (298 f.)). Dies bedeutet jedoch nicht, dass jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der Glaubensfreiheit angesehen werden muss. Die staatlichen Organe dürfen prüfen und entscheiden, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat. Dem Staat ist es indes verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als „richtig“ oder „falsch“ zu bezeichnen;…

Die Musliminnen, die ein in der für ihren Glauben typischen Weise gebundenes Kopftuch tragen, können sich dafür auch bei der Ausübung ihres Berufs in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule, aber auch für das Tragen einer sonstigen Bekleidung, durch die Haare und Hals nachvollziehbar aus religiösen Gründen bedeckt werden, auf den Schutz der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen.

 

III. Grundrechtseingriff

Das BVerfG ordnet die auf § 57 Abs. 4 SchulG gestützte und von den Arbeitsgerichten bestätigte Untersagung des Kopftuchs, in Verbindung mit den getroffenen arbeitsrechtlichen Sanktionen, vor dem Hintergrund der von beiden Frauen für verbindlich erachteten Glaubensvorschriften als besonders schwerwiegenden Eingriff in das durch Art. 4 Abs. 1, 2 GG gewährleistete Grundrecht der Glaubensfreiheit ein.

Die Beschwerdeführerinnen berufen sich nicht nur auf eine religiöse Empfehlung, deren Befolgung für die einzelnen Gläubigen disponibel oder aufschiebbar ist. Vielmehr haben sie plausibel dargelegt, dass es sich für sie – entsprechend dem Selbstverständnis von Teilen im Islam… – um ein imperatives religiöses Bedeckungsgebot in der Öffentlichkeit handelt, das zudem nachvollziehbar ihre persönliche Identität berührt (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), so dass ein Verbot dieser Bedeckung im Schuldienst für sie sogar den Zugang zum Beruf verstellen kann (Art. 12 Abs. 1 GG). Dass auf diese Weise derzeit faktisch vor allem muslimische Frauen von der qualifizierten beruflichen Tätigkeit als Pädagoginnen ferngehalten werden, steht zugleich in einem rechtfertigungsbedürftigen Spannungsverhältnis zum Gebot der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen (Art. 3 Abs. 2 GG). Vor diesem Hintergrund greift das gesetzliche Bekundungsverbot in ihr Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit trotz seiner zeitlichen und örtlichen Begrenzung auf den schulischen Bereich mit erheblich größerem Gewicht ein, als dies bei einer religiösen Übung ohne plausiblen Verbindlichkeitsanspruch der Fall wäre.

 

IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs

Möglicherweise könnte der Eingriff in die durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der betroffenen Lehrerinnen allerdings verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.

 1. Schrankenproblematik des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG

Problematisch ist jedoch, dass das Grundrecht der Glaubensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1, 2 GG keinen geschriebenen Gesetzesvorbehalt enthält, dem Wortlaut nach folglich vorbehaltlos gewährleistet ist. Fraglich ist somit, inwieweit das Grundrecht der Glaubensfreiheit überhaupt einschränkbar ist. Bei der Beantwortung dieser Frage besteht in der Staatsrechtslehre grundsätzlich Einigkeit darüber, dass auch ein dem Wortlaut nach vorbehaltlos garantiertes Grundrecht nicht schrankenlos gewährleistet werden kann. Im Rahmen von Art. 4 GG ist jedoch umstritten, unter welchen Voraussetzungen eine solche Einschränkung möglich ist:

Eine heute nur noch vereinzelt vertretene Meinung spricht sich für das Modell einer Schrankenleihe aus und will die Religionsausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) durch die Schranke des Art. 2 Abs.1 GG einschränken, während zur Begrenzung der Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) die Schranke des Art. 5 Abs. 2 GG herangezogen werden soll (vgl. dazu Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 90, 114). Dieser Anspricht steht allerdings entschieden die Spezialität der Einzelfreiheitsrechte entgegen, die jeweils einer eigenen Schrankenregelung unterliegen. Darüber hinaus birgt eine Schrankenleihe insbesondere die Gefahr, die sich aus dem GG ergebende Schrankensystematik zu nivellieren (Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar, Art. 4 Rn. 85).

Das BVerwG und ein immer größer werdender Anteil der Literatur vertreten demgegenüber die Auffassung, dass das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 140 GG iVm. Art. 136 Abs. 1 WRV einem geschrieben Gesetzesvorbehalt unterliege und daher unter den Vorbehalt der allgemeinen Gesetze gestellt werde (vgl. dazu BVerwGE 112, 227 (231ff.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 28; Mager, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 4 Rn. 48ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar, Art. 4 Rn.87f.). Zur Begründung wird insbesondere das Argument herangezogen, dass wenn nach Maßgabe des Art. 136 Abs.1 WRV die staatsbürgerlichen Rechtspflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit nicht beschränkt oder bedingt werden, diese auch als Schranken der Religionsfreiheit wirken müssten.

Das BVerfG und die sich seiner Rechtsprechung anschließende Literatur lehnen hingegen seither die Anwendbarkeit des Art. 136 Abs. 1 WRV als Schranke ab und sehen die Norm aufgrund der besonderen Bedeutung der Glaubensfreiheit vielmehr als durch Art. 4 GG überlagert an. Stattdessen könne ein Eingriff in das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit vielmehr nur durch verfassungsimmanente Schranken, also durch das Wertesystem des GG selbst, gerechtfertigt werden (BVerfGE 28, 243 (261); 33, 23 (33); Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 136 WRV Rn. 54; Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn.111f.). Zwischen den sich widerstreitenden Verfassungsgütern sei schließlich im Wege der praktischen Konkordanz ein möglichst schonender und wechselseitiger Ausgleich herbeizuführen.

(Anmerkung in einer Klausur müsste man argumentativ zu den beiden Ansichten Stellung beziehen. Vgl. dazu überblicksartig Epping, Grundrechte, Rn. 316ff.).

Das BVerfG hält auch im vorliegenden Beschluss an dieser Auffassung fest und zählt den staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 GG) – der unter Wahrung der Pflicht zur weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates zu erfüllen ist -, die durch Art. 4 Abs.1, 2 GG gewährleistete negative Glaubensfreiheit der Schüler sowie das elterliche Erziehungsrecht nach Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1, 2 GG als verfassungsimmanente Schranken auf, als deren Ausprägung § 57 Abs. 4 SchulG NRW angesehen werden könne:

Einschränkungen dieses Grundrechts müssen sich aus der Verfassung selbst ergeben, weil Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keinen Gesetzesvorbehalt enthält. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 28, 243 (260 f.); 41, 29 (50 f.)…). Als mit der Glaubensfreiheit in Widerstreit tretende Verfassungsgüter kommen hier neben dem staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und die negative Glaubensfreiheit der Schüler (Art. 4 Abs. 1 GG) in Betracht…

 

2. Schranken-Schranken

Zwar ist mit § 57 Abs. 4 SchulG NRW eine gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der betroffenen Lehrerinnen gegeben, allerdings muss diese selbst verfassungskonform sein und insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen.

a) Zweck und Geeignetheit der Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NRW

Das durch § 57 Abs. 4 SchulG etablierte Verbot äußerer religiöser Bekunden verfolgt nach Ansicht des BVerfG einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck:

 Sein Anliegen ist es, den Schulfrieden und die staatliche Neutralität zu wahren, so den staatlichen Erziehungsauftrag abzusichern, gegenläufige Grundrechte von Schülern und Eltern zu schützen und damit Konflikten in dem von ihm in Vorsorge genommenen Bereich der öffentlichen Schule von vornherein vorzubeugen (vgl. LTDrucks 14/569, S. 7 ff.). Gegen diese Zielsetzungen ist von Verfassungs wegen offensichtlich nichts zu erinnern.

Darüber hinaus ist das lückenlose Verbot auch ein geeignetes Mittel zur Verwirklichung der verfassungsimmanenten Schranken der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der betroffenen Lehrkräfte.

b) Erforderlichkeit der Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NRW

Fraglich ist jedoch, ob die Regelung im Sinne der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch erforderlich war. Dies ist entsprechend dem Gebot des geringsten Eingriffs dann der Fall, wenn kein milderes Mittel existiert, welches den mit der Regelung verfolgten Zweck ebenso gut bzw. effektiv verwirklichen kann (Hufen, §9 Rn.21). Unter mehreren gleich geeigneten Mitteln muss der Staat folglich das mildeste Mittel wählen. Das BVerfG äußert in seinem Beschluss bereits Zweifel hinsichtlich der Erforderlichkeit der Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NRW, die nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte bereits die abstrakte Eignung äußerer religiöser Bekundungen zur Gefährdung des Schulfriedens genügen lässt, belässt es jedoch bei einer Andeutung und führt diese nicht weiter aus, da die Regelung in der maßgeblichen Deutung durch die Gerichte im Fall von für verbindlich erachteten religiösen Bekleidungsvorschriften jedenfalls als unverhältnismäßig im engeren Sinn einzuordnen sei.

c) Angemessenheit der Regelung

Das BVerfG erachtet die durch die Verbotsnorm des § 57 Abs. 4 SchulG NRW getroffene Regelung mithin nicht mehr für angemessen: Nach Ansicht des BVerfG erfordert nämlich ein angemessener Ausgleich der gegenläufigen verfassungsrechtlichen Positionen für den Fall, dass das grundrechtlich geschützte Verhalten der Lehrkräfte auf ein für verbindlich erachtetes religiöses Gebot zurückzuführen ist, dahingehend eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm des § 57 Abs. 4 SchulG NRW, dass zumindest eine konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss. Zwar seien bei der Prüfung der Angemessenheit auch gegenläufige verfassungsrechtlich geschützten Positionen, wie die negative Glaubensfreiheit der Schüler, das elterliche Erziehungsrecht oder die Pflicht zur religiösen Neutralität des Staates zu berücksichtigen, allerdings müsse der Gesetzgeber im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungsprägorative insbesondere auch die Grenze der Zumutbarkeit berücksichtigen. Keine dieser der Glaubensfreiheit gegenläufigen Positionen sei allerdings derart hoch zu gewichten, dass bereits die abstrakte Gefahr ihrer Beeinträchtigung ein Verbot des Tragens religiös konnotierter Bekleidung rechtfertigen könne, wenn diese Bekleidung nachvollziehbar auf ein als bindend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen sei.

 aa ) Negative Glaubensfreiheit

Die negative Glaubensfreiheit… gewährleistet die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben; … Die Einzelnen haben in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, allerdings kein Recht darauf, von der Konfrontation mit ihnen fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden ist aber eine vom Staat geschaffene Lage, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen sich dieser manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist (vgl. BVerfGE 93, 1 (15 f.)). In einer unausweichlichen Situation befinden sich Schülerinnen und Schüler zwar auch dann, wenn sie sich infolge der allgemeinen Schulpflicht während des Unterrichts ohne Ausweichmöglichkeit einer vom Staat angestellten Lehrerin gegenüber sehen, die ein islamisches Kopftuch trägt. Im Blick auf die Wirkung religiöser Ausdrucksmittel ist allerdings danach zu unterscheiden, ob das in Frage stehende Zeichen auf Veranlassung der Schulbehörde oder aufgrund einer eigenen Entscheidung von einzelnen Pädagoginnen und Pädagogen verwendet wird, die hierfür das individuelle Freiheitsrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Anspruch nehmen können. Der Staat, der eine mit dem Tragen eines Kopftuchs verbundene religiöse Aussage einer einzelnen Lehrerin oder einer pädagogischen Mitarbeiterin hinnimmt, macht diese Aussage nicht schon dadurch zu seiner eigenen und muss sie sich auch nicht als von ihm beabsichtigt zurechnen lassen (vgl. BVerfGE 108, 282 (305 f.)).

…Solange die Lehrkräfte, die nur ein solches äußeres Erscheinungsbild an den Tag legen, nicht verbal für ihre Position oder für ihren Glauben werben und die Schülerinnen und Schüler über ihr Auftreten hinausgehend zu beeinflussen versuchen, wird deren negative Glaubensfreiheit grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Die Schülerinnen und Schüler werden lediglich mit der ausgeübten positiven Glaubensfreiheit der Lehrkräfte in Form einer glaubensgemäßen Bekleidung konfrontiert, was im Übrigen durch das Auftreten anderer Lehrkräfte mit anderem Glauben oder anderer Weltanschauung in aller Regel relativiert und ausgeglichen wird…

 

bb) Elterliches Erziehungsrecht

Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG … umfasst zusammen mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht; daher ist es zuvörderst Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten … Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern als falsch oder schädlich erscheinen … Jedoch enthält Art. 6 Abs. 2 GG keinen ausschließlichen Erziehungsanspruch der Eltern. Eigenständig und in seinem Bereich gleichgeordnet neben den Eltern übt der Staat, dem nach Art. 7 Abs. 1 GG die Aufsicht über das gesamte Schulwesen übertragen ist, in der Schule einen eigenen Erziehungsauftrag aus …

Ein etwaiger Anspruch, die Schulkinder vom Einfluss solcher Lehrkräfte fernzuhalten, die einer verbreiteten religiösen Bedeckungsregel folgen, lässt sich aus dem Elterngrundrecht danach nicht herleiten, soweit dadurch die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler nicht beeinträchtigt ist.

cc) Staatlicher Erziehungsauftrag und Pflicht zur religiösen Neutralität

Darüber hinaus steht auch der staatliche Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, der Betätigung der positiven Glaubensfreiheit der Pädagoginnen durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs nicht generell entgegen…

Das Grundgesetz begründet für den Staat … die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität… Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten…und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren … Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen…

Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist indessen nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung…Der Staat darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen…mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren…

Dies gilt auch für den … Bereich der Schule…Danach sind etwa christliche Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht ausgeschlossen; die Schule muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein. Weil Bezüge zu verschiedenen Religionen und Weltanschauungen bei der Gestaltung der öffentlichen Schule möglich sind, ist für sich genommen auch die bloß am äußeren Erscheinungsbild hervortretende Sichtbarkeit religiöser oder weltanschaulicher Zugehörigkeit einzelner Lehrkräfte… nicht ohne Weiteres ausgeschlossen.

 

dd) Verfassungskonforme Auslegung des § 57 Abs. 4 SchulG

Davon ausgehend ist das… an eine bloß abstrakte Gefährdung der in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW genannten Schutzgüter anknüpfende strikte und landesweite Verbot einer äußeren religiösen Bekundung jedenfalls für die hier gegebenen Fallkonstellationen den betroffenen Grundrechtsträgerinnen nicht zumutbar und verdrängt in unangemessener Weise deren Grundrecht auf Glaubensfreiheit. Denn mit dem Tragen eines Kopftuchs durch einzelne Pädagoginnen ist – anders als dies beim staatlich verantworteten Kreuz oder Kruzifix im Schulzimmer der Fall ist (vgl. BVerfGE 93, 1 (15 ff.)) – keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden. Auch eine Wertung in dem Sinne, dass das glaubensgeleitete Verhalten der Pädagoginnen schulseits als vorbildhaft angesehen und schon deshalb der Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gefährdet oder gestört werden könnte, ist einer entsprechenden Duldung durch den Dienstherrn nicht beizulegen. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerinnen einem nachvollziehbar als verpflichtend empfundenen Glaubensgebot Folge leisten…

Anders verhält es sich dann, wenn das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität führt oder wesentlich dazu beiträgt. Dies wäre etwa in einer Situation denkbar, in der – insbesondere von älteren Schülern oder Eltern – über die Frage des richtigen religiösen Verhaltens sehr kontroverse Positionen mit Nachdruck vertreten und in einer Weise in die Schule hineingetragen würden, welche die schulischen Abläufe und die Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags ernsthaft beeinträchtigte, sofern die Sichtbarkeit religiöser Überzeugungen und Bekleidungspraktiken diesen Konflikt erzeugte oder schürte. Bei Vorliegen einer solchermaßen begründeten hinreichend konkreten Gefahr ist es den grundrechtsberechtigten Pädagoginnen und Pädagogen mit Rücksicht auf alle in Rede und gegebenenfalls in Widerstreit stehenden Verfassungsgüter zumutbar, von der Befolgung eines nachvollziehbar als verpflichtend empfundenen religiösen Bedeckungsgebots Abstand zu nehmen, um eine geordnete, insbesondere die Grundrechte der Schüler und Eltern sowie das staatliche Neutralitätsgebot wahrende Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags sicherzustellen. Aber auch dann wird die Dienstbehörde im Interesse des Grundrechtsschutzes der Betroffenen zunächst eine anderweitige pädagogische Verwendungsmöglichkeit mit in Betracht zu ziehen haben.

Wird in bestimmten Schulen oder Schulbezirken aufgrund substantieller Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten bereichsspezifisch die Schwelle zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht, kann ein verfassungsrechtlich anzuerkennendes Bedürfnis bestehen, äußere religiöse Bekundungen nicht erst im konkreten Einzelfall, sondern etwa für bestimmte Schulen oder Schulbezirke über eine gewisse Zeit auch allgemeiner zu unterbinden. Einer solchen Situation kann der Gesetzgeber insoweit auch vorbeugend … durch bereichsorientierte Lösungen Rechnung tragen… Solange der Gesetzgeber dazu aber keine differenziertere Regelung trifft, kann eine Verdrängung der Glaubensfreiheit von Lehrkräften nur dann als angemessener Ausgleich der in Rede stehenden Verfassungsgüter in Betracht kommen, wenn wenigstens eine hinreichend konkrete Gefahr für die staatliche Neutralität oder den Schulfrieden belegbar ist.

Infolge dessen, dass der Eingriff in die grundrechtlich geschützte Glaubensfreiheit der beiden Lehrkräfte nach Ansicht der die Entscheidung tragenden Richter nicht gerechtfertigt werden kann, ist die Verfassungsbeschwerde mithin begründet.

C. Religionsrechtliche Gleichbehandlung

Bislang weniger beachtet wurden auch die Aussagen zum Paritätsgrundsatz im Beschluss des Ersten Senats. So stellt nach Ansicht des Senats die Privilegierungsbestimmung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NRW zugunsten der Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte eine nicht zu rechtfertigende und damit gleichheitswidrige Benachteiligung aus Gründen des Glaubens und der religiösen Anschauungen dar:

Eine solche Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Werden äußere religiöse Bekundungen durch das pädagogische Personal in der Schule untersagt, so muss dies grundsätzlich unterschiedslos geschehen.

Tragfähige Gründe für eine Benachteiligung äußerer religiöser Bekundungen, die sich nicht auf christlich-abendländische Kulturwerte und Traditionen zurückführen lassen, sind nicht erkennbar. Soweit von einem bestimmten äußeren Verhalten etwa eine besondere indoktrinierende Suggestivkraft ausgehen kann, wird dem ohne Weiteres durch das Verbot des Satzes 1 des § 57 Abs. 4 SchulG NW in der von Verfassungs wegen gebotenen einschränkenden Auslegung Rechnung getragen… Ebenso wenig ergeben sich für eine Bevorzugung christlich und jüdisch verankerter religiöser Bekundungen tragfähige Rechtfertigungsmöglichkeiten. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags, wie er in Art. 7 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 3 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen umschrieben ist, rechtfertigt es nicht, Amtsträger einer bestimmten Religionszugehörigkeit bei der Statuierung von Dienstpflichten zu bevorzugen….

Eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung des Satzes 3 von § 57 Abs. 4 SchulG NW, wie sie das Bundesarbeitsgericht zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Benachteiligung aus religiösen Gründen seinen Entscheidungen zugrunde gelegt hat, ist nicht möglich. Sie würde die Grenzen verfassungskonformer Norminterpretation überschreiten und wäre mit der richterlichen Gesetzesbindung nicht vereinbar (Art. 20 Abs. 3 GG)….Das Bundesarbeitsgericht hat darauf abgestellt, dass die „Darstellung“ christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte im Sinne des Satzes 3 nicht gleichzusetzen sei mit der „Bekundung“ eines individuellen Bekenntnisses im Sinne des Satzes 1. Zudem bezeichne der Begriff des „Christlichen“ eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus der Tradition der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangene Wertewelt, die erkennbar auch dem Grundgesetz zugrunde liege und unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beanspruche.

Zwar mag der unterschiedliche Sprachgebrauch in Satz 1 („Bekundungen“) und Satz 3 („Darstellung“) einen Ansatz für die vom Bundesarbeitsgericht gefundene Auslegung bieten…..Gleichwohl wurde ebenso wie von den Gesetzesinitiatoren auch im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens die Absicht gehegt, jedenfalls keine Regelung zu treffen, die beispielsweise Lehrerinnen das Unterrichten in einem Ordenshabit verbietet oder das Tragen der jüdischen Kippa untersagen sollte (LTDrucks 14/569, S. 9). Insofern folgerichtig hat der Gesetzgeber die Regelung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW ausdrücklich auf das Bekundungsverbot des Satzes 1 bezogen und diese gesetzgebungstechnisch als Ausnahme konstruiert. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass Satz 3 in seinem Wortlaut zwar den Erziehungsauftrag der Landesverfassung insgesamt erwähnt, dann aber nur die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen vom Verhaltensgebot des Satzes 1 ausnimmt. Die im Wortlaut der Verfassungsbestimmung des Art. 12 Abs. 3 Satz 1 Verf NW daneben ausdrücklich erwähnte Offenheit auch für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen wird indessen außer Acht gelassen und nicht mehr aufgeführt. All das verdeutlicht, dass die vom Bundesarbeitsgericht gefundene einschränkende Auslegung der Vorschrift deren normativen Gehalt im Grunde neu bestimmt und damit auch den im Gesetzgebungsverfahren klar erkennbar hervorgetretenen Willen des Gesetzgebers nicht mehr trifft. Dieser Wille hat sich nicht durch die vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens erfolgte Erörterung der Möglichkeit einer anderen Auslegung verändert; diese lässt lediglich erkennen, dass der Landtag sich des verfassungsrechtlichen Risikos bewusst war.

D. Sondervotum der Richter Schluckebier und Herrmanns

Der Beschluss des ersten Senats des BVerfG wird allerdings von zwei Richtern nicht mitgetragen, die ihre abweichende Position hinsichtlich des Ergebnisses sowie der Begründung der Entscheidung in einem Sondervotum darlegen und dem Senat darin insbesondere vorwerfen, die der Glaubensfreiheit der Pädagoginnen entgegenstehenden verfassungsrechtlich geschützten Positionen – die negative Glaubensfreiheit der Schüler, das elterliche Erziehungsrecht sowie der staatliche Erziehungsauftrag, der unter Beachtung der Pflicht zur religiösen Neutralität durchzuführen ist – nicht hinreichend berücksichtigt zu haben. Gerade wenn die mit dem Tragen religiös motivierter Bekleidung verbundene Bekundungswirkung wie hier eine besondere Intensität erlange, sei die vom Senat geforderte einschränkende Auslegung des § 57 Abs.4 SchulG NRW verfassungsrechtlich gerade nicht geboten.

I. Zum Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers

Zum einen stehe dem Gesetzgeber nach dem ersten „Kopftuch-Urteil“ des Zweiten Senats des BVerfG ein weiter gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der Konfliktlage zu, der der Entscheidung hätte zugrunde gelegt werden müssen und die der Senat stattdessen für nicht entscheidungserheblich erachtet habe:

Die bekenntnisoffene öffentliche Gemeinschaftsschule ist durch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Glaubensüberzeugungen … gekennzeichnet, deren Freiheitsgewährleistung im Alltag auch das Tragen religiös konnotierter Bekleidung umfasst. Der Erziehungsauftrag des Staates, den er in fördernder und wohlwollender Neutralität gegenüber den unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Richtungen wahrzunehmen hat, erfordert im Blick auf Pädagogen, die in der Schule von ihrer individuellen Glaubensfreiheit Gebrauch machen, in der Ausgestaltung einen angemessenen und schonenden Ausgleich zwischen den betroffenen verfassungsrechtlichen Positionen. Diesen Ausgleich hat in den wesentlichen Fragen der Gesetzgeber vorzugeben. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war davon auszugehen, dass das Grundgesetz den Ländern im Schulwesen umfassende Gestaltungsfreiheit belässt; auch in Bezug auf die weltanschaulich-religiöse Ausprägung der öffentlichen Schulen hat Art. 7 GG danach die weitgehende Selbstständigkeit der Länder und im Rahmen von deren Schulhoheit die grundsätzlich freie Ausgestaltung der Pflichtschule im Auge… Diese den Ländern bisher zugestandene weitgehende Gestaltungsfreiheit für das Schulwesen schließt nach dem Urteil des Zweiten Senats vom 24. September 2003 (BVerfGE 108, 282ff. ) bei der Ausgestaltung des Erziehungsauftrags die Möglichkeit ein, der staatlichen Neutralität im schulischen Bereich eine striktere und mehr als bisher distanzierende Bedeutung beizumessen und demgemäß auch durch das äußere Erscheinungsbild einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von den Schülern grundsätzlich fernzuhalten, um Konflikte … von vornherein zu vermeiden (vgl. BVerfGE 108, 282 (310)). Es ist demnach zunächst Sache des Landesgesetzgebers, darüber zu befinden, wie er den schonenden Ausgleich bei der Gestaltung des Erziehungsauftrags im multipolaren Grundrechtsverhältnis der Schule findet…

Im Rahmen dieser gesetzgeberischen Einschätzungsprägorative habe der Gesetzgeber auch die Möglichkeit, bereits vorbeugend einer religiösen Beeinflussung durch Lehrkräfte entgegenzutreten, um potentielle Konflikte zu verhindern. Ein derartiger Gestaltungsspielraum stehe zudem auch im Einklang mit den zu berücksichtigenden Vorgaben der EMRK, da der EGMR den Mitgliedstaaten ebenfalls einen erheblichen Beurteilungsspielraum zugestanden habe.

II. Zur Verhältnismäßigkeit der Regelung

Darüber wird von den dissertierenden Richtern auch die vom Senat vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung angegriffen. Nach Ansicht der Richter Schluckebier und Herrmanns werden insbesondere die der Glaubensfreiheit der Lehrerinnen entgegenstehenden Grundrechte der Schüler sowie der Eltern nicht ausreichend berücksichtigt. In ihrem Sondervotum setzen sie sich daher insbesondere mit der besonderen Stellung des Lehrers sowie dem Abhängigkeitsverhältnis der Schüler auseinander:

 Damit ist die Betroffenheit von Schülerinnen und Schülern sowie von Eltern in ihrer negativen Glaubensfreiheit sowie im Elterngrundrecht nur unzureichend erfasst und gewichtet. Diese Bewertung halten wir für nicht realitätsgerecht. Sie vernachlässigt, dass das Schüler-Pädagogen-Verhältnis ein spezifisches Abhängigkeitsverhältnis ist, dem Schüler und Eltern unausweichlich und nicht nur flüchtig ausgesetzt sind. Das Maß der Betroffenheit unterscheidet sich grundlegend von dem, das beim Zusammentreffen verschiedener religiöser Bekenntnisse und Bekundungen im gesellschaftlichen Alltag gegeben ist… In jedem Falle sind solche Berührungen in der Regel nur punktuell und nicht von nennenswerter Dauer. Schon das unterscheidet sie von der Begegnung und Konfrontation in der Schule, der die Schüler sich nicht entziehen können und bei der die Nichtteilnahme am Unterricht sogar sanktioniert ist. Schüler können also hier den Lehrpersonen und ihren Überzeugungen nicht aus dem Weg gehen. Darüber hinaus ist es Aufgabe der Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler zu unterrichten, zu erziehen, zu beraten, zu beurteilen, zu beaufsichtigen und zu betreuen (§ 57 Abs. 1 SchulG NW). Daraus erhellt sich auch das besondere Abhängigkeitsverhältnis zwischen Schülern und Pädagogen, die über die Versetzung und einen erfolgreichen Schulabschluss mitbefinden. Sie können schon deshalb nicht mit beliebigen Personen aus der Gesellschaft verglichen werden, die von den Schülerinnen und Schülern lediglich angeschaut werden und deren Auffassung diese ertragen müssen; vielmehr treten sie in der Schule als Autoritätsperson auf

Den Pädagogen kommt in der Schule im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern zudem eine Vorbildfunktion zu. Die gewollte erzieherische Einwirkung löst in der Regel bei Schülern und mittelbar auch bei deren Eltern irgendeine Form der Reaktion aus. Von religiösen Bekundungen durch das Tragen religiös konnotierter Bekleidung geht – abhängig auch von dem Alter der betroffenen Schülerinnen und Schüler – nicht zwingend, aber jedenfalls nicht ausschließbar eine gewisse appellative Wirkung aus, sei es in dem Sinne, dass dieses Verhalten als vorbildhaft und befolgungswürdig verstanden und aufgenommen, sei es, dass es entschieden abgelehnt wird…Deren Verhalten, aber auch die Befolgung bestimmter religiöser Bekleidungsregeln trifft auf Personen, die aufgrund ihrer Jugend in ihren Anschauungen noch nicht gefestigt sind, Kritikvermögen und Ausbildung eigener Standpunkte erst erlernen sollen und daher auch einer mentalen Beeinflussung besonders leicht zugänglich sind …

Das Tragen religiös konnotierter Kleidung durch Pädagogen kann schließlich zu Konflikten innerhalb der Schülerschaft und unter den Eltern führen und sie befördern, zumal wenn die Betroffenen möglicherweise … verschiedenen Glaubensrichtungen angehören, in denen unterschiedliche Anschauungen über das „richtige“ glaubensgeleitete Verhalten herrschen. Auch wenn solche religiösen Bekundungen nicht zwingend zu einer Beeinträchtigung der negativen Glaubensfreiheit und des Elterngrundrechts führen müssen, so besteht doch in dieser Hinsicht ein erhebliches Risiko. Der Gesetzgeber darf deshalb den Schutz dieser Grundrechte mit beträchtlichem Gewicht in die Abwägung einstellen.

Die Richter mahnen zudem an, dass der Senat bei seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung Rahmen des staatlichen Erziehungsauftrags, der unter der Wahrung der Pflicht zur religiösen und weltanschaulichen Neutralität zu erfolgen habe, nicht hinreichend die besondere Stellung der Pädagogen als Amtsträger berücksichtigt habe:

Die Pädagogen genießen zwar ihre individuelle Glaubensfreiheit. Zugleich sind sie aber Amtsträger und damit der fördernden Neutralität des Staates auch in religiöser Hinsicht verpflichtet. Denn der Staat kann nicht als anonymes Wesen, sondern nur durch seine Amtsträger und seine Pädagogen handeln. Diese sind seine Repräsentanten. Die Verpflichtung des Staates auf die Neutralität kann deshalb keine andere sein als die einer Verpflichtung seiner Amtsträger auf Neutralität. Für den Pädagogen in der Schule als Individuum ist es deshalb anders als für das Individuum in ausschließlich gesellschaftlichen Zusammenhängen geboten, bei religiösen Bekundungen Zurückhaltung zu üben, wenn seine Überzeugung bei der Wahrnehmung des staatlichen Erziehungsauftrags mit den Grundrechten anderer kollidieren kann…

 

E. Schlussbemerkung

Das BVerfG hat die Glaubensfreiheit muslimischer Lehrkräfte gestärkt und stärker gewichtet als bislang. Zwar sprechen sehr gute und gewichtige Gründe für die Entscheidung des Senats, allerdings hätte die Entscheidung wohl noch stärker argumentativ angereichert werden müssen, da sich Senat im Gegensatz zum Sondervotum der dissentierenden Richter kaum mit der besonderen Stellung von Lehrern sowie den Besonderheiten des Schüler-Lehrer-Verhältnisses auseinandersetzt und dazu Stellung bezieht. Auch die Befürchtung, dass nun tatsächlich der Streit um das Kopftuch unmittelbar Einzug in das Klassenzimmer erhält, kann ein in der Abwägung zu berücksichtigendes Argument sein. Zudem hat sich der Senat im Beschluss kaum mit der Reichweite der gesetzgeberischen Einschätzungsprägorative und der Entscheidung des Zweiten Senats aus dem Jahr 2003 befasst, die dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum einräumte. Gerade die Ausgestaltung derartiger „prekärer Beziehungen“ sowie die Ausgestaltung der weltanschaulichen und religiösen Neutralität des Staates ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers. Es handelt sich um hochkomplexe Wertungsfragen, die zuvörderst Aufgabe des Gesetzgebers sind und auf die sich oftmals nur schwer „eine“ Antwort finden lassen wird. Nichtsdestotrotz ist die Entscheidung rechtspolitisch ein positives Signal der Integration sowie der Gleichberechtigung der Religionen.

Unter verfassungsprozessualen Gesichtspunkten wird man wohl davon ausgehen müssen, dass der Zweite Senat in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2003 mit der Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für ein abstrakt-generelles Verbot auch implizit davon ausging, dass eine solche Regelung abstrakter Gefahren auch verhältnismäßig und somit verfassungskonform ist. Dies hat der Erste Senat nun offenkundig für jeden Fall einer abstrakten Gefahr anders beurteilt. Vor diesem Hintergrund ist mittlerweile auf dem Verfassungsblog eine lesenswerte Debatte zwischen Christoph Möllers und Mathias Hong darüber entstanden, ob es sich bei dem nun getroffenen Beschluss des Ersten Senats um eine Abweichung im Sinne des § 16 BVerfGG handelt, die eine Entscheidung des Plenums erforderlich gemacht hätte.

Die Argumentationslinie des Senats sollte zur juristischen Allgemeinbildung gehören und daher jedem Jura-Studenten geläufig sein. Dies zeigt gerade auch die Aktualität der gesellschaftlichen Debatte über die Auswirkungen der Entscheidung. Die Entscheidung wird künftig ganz sicher in juristischen Prüfungen verwendet werden.

08.04.2015/10 Kommentare/von Lukas Knappe
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Lukas Knappe https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Lukas Knappe2015-04-08 08:32:592015-04-08 08:32:59BVerfG: Unzulässigkeit eines pauschalen Kopftuchverbots für Lehrkräfte – Der Streit über das Kopftuch in Klassenzimmern geht in die zweite Runde in Karlsruhe
Lukas Knappe

OVG Münster: E-Zigaretten in nordrhein-westfälischen Gaststätten nicht verboten

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Das nordrhein-westfälische Nichtrauchergesetz gilt nicht für E-Zigaretten. Dies hat das OVG Münster in einer in einer im November ergangenen Entscheidung festgestellt und folglich eine Gleichsetzung von „Dampfzigaretten“ mit herkömmlichen Tabakzigaretten abgelehnt. Gastwirte sind nach der ein Urteil des VG Köln bestätigenden Entscheidung des OVG (Az.: 4 A 775/14) somit nicht verpflichtet, den Gebrauch von E-Zigaretten in ihren Gaststätten zu unterbinden, sondern stattdessen darf in ihren Räumlichkeiten „gedampft“ werden. Das Urteil hat angesichts der fortwährenden Diskussion über Rauchverbote im öffentlichen Raum und deren Reichweite, dementsprechend auch in der Tagespresse ein enormes mediales Echo erfahren und wird dort beispielsweise plakativ mit dem Titel „Rauchverbot, kein Dampfverbot“ zusammengefasst (vgl. dazu den Artikel auf lto.de).

 A. Sachverhalt

Mit dem Urteil vom 04. November 2014 hat das OVG Münster die Berufung der Stadt Köln gegen eine Entscheidung des VG Köln zurückgewiesen, dem folgendes Verfahren zugrunde lag: Die Stadt Köln hatte einem Gaststättenbetreiber, der in seinen Räumlichkeiten den Gebrauch von E-Zigaretten durch seine Gäste geduldet hatte, Ordnungsmaßnahmen angedroht. Diese Androhung wurde damit begründet, dass der Gastwirt den nach Ansicht der Stadt Köln durch das NiSchG NRW untersagten Konsum von E-Zigaretten in seiner Gaststätte nicht hinreichend effektiv unterbunden habe. In NRW gelte seit dem 1. Mai 2013 ein produktabhängiges Rauchverbot in Gaststätten, das nicht nur den Konsum von Zigaretten und anderen Tabakwaren, sondern unter anderem auch die Nutzung von E-Zigaretten untersage. Nur eine derartig enge Auslegung trage dem Zweck des Gesetzes, dem besonders prioritären Gesundheitsschutz der Bevölkerung, hinreichend Rechnung. Der betroffene Gastronom erhob jedoch in der Folge vor dem VG Köln eine Feststellungsklage und begehrte dabei die gerichtliche Feststellung, dass der Konsum einer E-Zigarette überhaupt nicht vom NiSchG NRW erfasst sei. Bei E-Zigaretten entstehe mangels Verbrennungsvorgangs nämlich kein Rauch, da die Inhaltsstoffe vielmehr nur verdampft würden, so die Argumentation des Klägers. Darüber hinaus sei die Einbeziehung der E-Zigarette in das Rauchverbot zudem verfassungswidrig, da dies einer ausdrücklichen und hinreichend bestimmten gesetzlichen Regelung bedurft hätte. Auch vor dem Hintergrund des aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstandes sei eine vollständige und nicht hinreichend differenzierte Erfassung der E-Zigaretten unverhältnismäßig. Das VG Köln gab der Klage des Gastwirtes statt und wurde nun in zweiter Instanz durch den 4. Senat des OVG Münster bestätigt.

B. Rechtliche Würdigung

Zentrale Rechtsvorschrift des gesetzlich normierten Rauchverbots in NRW ist § 3 Abs. 1 S.1 Nichtraucherschutzgesetz (NiSchG) NRW. Die Vorschrift lautet:

 Das Rauchen ist nach Maßgabe dieses Gesetzes in den Einrichtungen nach § 2 Nummer 1 – 8 verboten.

Hinsichtlich des in Rede stehenden Rauchverbots für Dampfzigaretten in Gaststätten ist auf  § 2 Nr. 7 NiSchG zu verweisen, der Gaststätten erfasst und diese als Schank- und Speisewirtschaften, unabhängig von der Betriebsart, Größe und Anzahl der Räume definiert.

I. Auslegung des Begriffs „Rauchen“

Entscheidend für die Reichweite des Rauchverbots in Gaststätten ist allerdings die Frage, ob der Gebrauch einer E-Zigarette als Rauchen im Sinne des NiSchG anzusehen ist. Der Begriff des „Rauchens“ ist zwar gesetzlich nicht definiert, erfasst jedoch nach Auffassung des OVG Münster

 (entsprechend dem) allgemeinen und wissenschaftlichen Sprachgebrauch, das Einatmen des Rauchs, der bei dem Verbrennungsvorgang (Pyrolyse) von Tabakwaren entsteht.

Nach Ansicht des 4. Senats des OVG, der die erstinstanzliche Entscheidung des VG Köln bestätigt, fällt der Konsum von E-Zigaretten jedoch nicht unter diese Definition des Begriffs „Rauchen“:

1. So finde zum einen beim Gebrauch der E-Zigarette, anders als bei herkömmlichen Tabakprodukten oder sogar Wasserpfeifen, kein Verbrennungsvorgang statt. Der mit dem Konsum von E-Zigaretten verbundene Verdampfungsvorgang stelle vielmehr einen erheblichen Unterschied zu derartigen Tabakwaren dar.

 Die Abluft einer E-Zigarette entsteht vielmehr durch Verdampfung einer Flüssigkeit („Liquid“), ohne dass es zu einem Verbrennungsprozess käme. Die Flüssigkeit wird durch Ziehen an dem Mundstück oder Betätigen eines Knopfes durch eine Pumpe oder ein System von Kapillaren aus der Kartusche in die Verdampfer-Einheit geleitet oder dort bei Temperaturen zwischen 65°C und 120°C verdampft. Dabei entstehen durch Kondensation Aerosole mit flüssigen Partikeln. Dieser als feiner Dampf sichtbare Nebel wird dann von dem Konsumenten inhaliert.

 2. Ferner handle es sich bei der Nutzung von E-Zigaretten in der Regel auch nicht um den Konsum von Tabakprodukten, vor dem Nichtraucher durch das NiSchG im öffentlichen Raum geschützt werden sollen.

Nach Ansicht des OVG Münster zielt die Verbotsnorm des § 3 Abs.1 S.1 NiSchG NRW bei einer Auslegung des Begriffs „Rauchen“ unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs nämlich gerade ausschließlich darauf ab, den Konsum von Tabakprodukten zu unterbinden und die Gesundheit von Nichtrauchern allein vor den von Tabakrauch ausgehenden Gefahren zu schützen. Für eine entsprechende Auslegung des NiSchG spreche auch die Gesetzesbegründung, nach der das Gesetz ein umfassendes Rauchverbot etabliere, welches das Rauchen aller Tabakprodukte einschließlich des Inhalierens „des Tabakrauchs“ mittels Wasserpfeife oder des Rauchens unter Verwendung anderer Hilfsmittel unterbinde. Vor diesem Hintergrund geht das OVG Münster dementsprechend davon aus, dass Produkte ohne Tabakbezug, wie beispielsweise Tabakersatzprodukte, nicht von der Verbotsnorm erfasst werden. Zu derartigen Produkten ohne Tabakbezug müssten allerdings E-Zigaretten gezählt werden.

 Die Flüssigkeiten (Liquids) der E-Zigaretten enthalten typischerweise keinen Tabak oder Tabakersatzprodukte. Ihr Hauptbestandteil ist Propylenglykol, das als Vernebelungsmittel zur Dampferzeugung dient. Ersetzt werden kann dieser Stoff durch Glycerin und Ethanol. Die Liquids enthalten zusätzlich Duft- und Aromastoffe und ggf. Nikotin.

Zudem seien auch nikotinhaltige Liquids keine Tabakprodukte im Rechtssinne, so die Auffassung des OVG, da bei der Auslegung des Begriffs „Tabakprodukte“ auf die Bestimmung des § 3 des Vorläufigen Tabakgesetzes (VTabakG) zurückgegriffen werden müsse sowie zwischen den Begriffen Nikotin und Tabak unterschieden werden müsse. Nach dieser Definition sind Tabakerzeugnisse nur aus Rohtabak oder unter Verwendung von Rohtabak hergestellte Erzeugnisse, die zum Rauchen, Kauen oder anderweitigen oralen Gebrauch oder zum Schnupfen bestimmt sind.

 Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei dem Konsum von E-Zigaretten nicht um „Rauchen“. Die Nutzung stellt sich auch nicht als ein „anderweitiger oraler Gebrauch“ im Sinne des § 3 Abs. 1 VTabakG dar. Dieser erfasst lediglich solche Produkte, die länger in der Mundhöhle gehalten werden, mithin oral/peroral (über den Mund) aufgenommen werden. Die Aufnahme der verdampften nikotinhaltigen Liquids erfolgt demgegenüber inhalativ, das heißt durch Einatmen in die Lunge. Diese beiden Applikationsformen sind sowohl medizinisch als auch vom Sprachgebrauch zu differenzieren.

 

Der Gebrauch von E-Zigaretten fällt folglich nicht unter den Begriff des „Rauchens“ im Sinne von § 3 NiSchG.

II. Extensive Auslegung über den Wortlaut hinaus

Ein Verbot von E-Zigaretten würde nur dann durch das NiSchG begründet werden, wenn eine über den Wortlaut hinausgehende extensive Auslegung des Gesetzes möglich wäre. Mit der Zulässigkeit einer derartigen Auslegung setzt sich das OVG im Folgenden intensiv auseinander, lehnt allerdings letztendlich eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung entschieden ab:

1. Zwar sei bei der Neufassung des NiSchG durch das Änderungsgesetz im Jahr 2012 eine Einbeziehung von E-Zigaretten beabsichtigt gewesen, dies käme allerdings im Gesetzeswortlaut nicht hinreichend bestimmt zum Ausdruck, da dieser unverändert auf die Formulierung des ursprünglichen Gesetzes vom 20. Dezember 2007 aufbaue, das nur die Gefahren des Passivrauchens von Tabakprodukten erfasste.

 Zwar wollte der Änderungsgesetzgeber den Konsum der E-Zigarette generell, d. h. unabhängig von dem konkret verwandten Liquid, dem Nichtraucherschutzgesetz NRW unterwerfen. Dieser Wille hat aber nicht den erforderlichen Niederschlag im Gesetz selbst gefunden. Er kann deshalb – zumal wegen des maßgeblich durch das Ursprungsgesetz geprägten und etablierten Verständnisses des Begriffs des Rauchens – im Rahmen der Auslegung nicht ausschlaggebend sein…..

 Als besonders aufschlussreich erweisen sich dabei vor allem die Ausführungen des OVG zum Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes sowie zur Wesentlichkeitslehre.

 Der Gesetzgeber ist in grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung, verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst und in hinreichend bestimmter Form zu treffen. Er muss in diesem Rahmen die wesentlichen gesetzlichen Grundlagen des zu regelnden Rechtsbereichs selbst festlegen. Er ist gehalten, klare gesetzliche Vorgaben zur Konkretisierung des Anwendungsbereichs einer Norm zu machen. Das gilt insbesondere auch für die Eingriffsbefugnisse der Verwaltung. Diese müssen gesetzlich nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sein, so dass die Beschränkungen voraussehbar und berechenbar sind. Dies hätte bei einer beabsichtigten Erweiterung des Anwendungsbereichs des Verbotstatbestandes des § 3 Abs. 1 NiSchG NRW eine begriffliche Klarstellung oder Ergänzung im Gesetz selbst erfordert. Denn sie bewirkt erhebliche Grundrechtseinwirkungen für die am Konsum interessierten Gäste ebenso wie für  Gastwirte. Das gilt schon deshalb, weil die Nichteinhaltung des Verbots mit einem …. Bußgeld von bis zu 2.500 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung geahndet werden kann.

 

2. Ferner können auch Sinn und Zweck des NiSchG eine Erstreckung des Rauchverbots auf E-Zigaretten nicht rechtfertigen.

 Der Gesetzgeber verfolgte mit dem Nichtraucherschutzgesetz in seiner ursprünglichen Fassung von 2007 einen wirksamen Schutz der Nichtraucherinnen und Nichtraucher vor den gesundheitlichen Gefahren des passiven Konsums von Tabakrauch. Motivation für den Erlass des Gesetzes war die Erkenntnis, dass durch das Passivrauchen allein ca. 3.300 Todesfälle pro Jahr in Deutschland verursacht werden….Schon bei kurzer Belastung durch Passivrauch können die Atemwege akut gereizt werden, sowie Kopfschmerzen und Schwindel auftreten. Ferner kann Passivrauch zu erhöhter Infektanfälligkeit, koronaren Herzerkrankungen, Lungenkrebs, Schlaganfall, chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen und weiteren chronischen Erkrankungen führen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Passivrauch in der chemischen Zusammensetzung qualitativ dem Tabakrauch, den Raucher inhalieren, gleicht und somit eine Vielzahl zellgiftiger und krebserregender Stoffe enthält.

 Bei dem Gebrauch der E-Zigarette entsteht kein Zigarettenrauch, sondern Dampf. Eine Freisetzung der zahlreichen schädlichen Stoffe, die sich im Zigarettenrauch befinden, findet mangels Verbrennungsprozesses daher nicht statt. Ob überhaupt eine Gefährdung der Gesundheit Dritter durch die Exposition mit dem Dampf der E-Zigaretten besteht, ist bisher wissenschaftlich nicht geklärt (, da die E-Zigarette erst seit 2005 auf dem Markt ist und zudem auch die Produktgruppe der Liquids sehr heterogen geprägt ist).

 Zwar sei auch der Konsum von E-Zigaretten mit Gesundheitsrisiken verbunden, jedoch kämen die dem Senat bekannten Untersuchungen bislang zu dem Ergebnis, dass die mit der Benutzung von E-Zigaretten verbundenen schädlichen Stoffe ein deutlich geringeres Gesundheitsrisiko als bei passivem Tabakrauch darstellen- Selbst wenn man trotz dieses Erkenntnisstandes eine Gefahr für Dritte durch das Verdampfungsprodukt der E-Zigarette annehmen würde, seien diese möglichen Risiken jedoch mit den Gefahren, die durch das NiSchG gebannt werden sollen, in Grund und Ausmaß weder identisch noch vergleichbar, so die Auffassung des Senats. Das OVG Münster ordnet die Risiken dementsprechend aufgrund der nicht hinreichend klaren wissenschaftlichen Erkenntnisse als Gefahrenverdacht ein. Eine Erstreckung des § 3 NiSchG auf einen derartigen Verdacht wird jedoch abgelehnt, da dies den gegenwärtigen Charakter des Gesetzes ändern würde.

 Während das Gesetz im Hinblick auf das Passivrauchen herkömmlicher Zigaretten gefahrenabwehrrechtliche Ziele verfolgt – die Schädlichkeit von Tabakrauch für Dritte ist wissenschaftlich erwiesen , handelte es sich im Hinblick auf den Drittschutz vor vermuteten schädlichen Auswirkungen der E-Zigarette nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand allenfalls um Gefahrenvorsorge. Rechtssystematisch ist Gefahrenvorsorge indes etwas grundlegend anderes als Gefahrenabwehr und kann deshalb jedenfalls nicht Ergebnis einer den Wortlaut ausdehnenden Gesetzesauslegung sein.

Das OVG Münster gesteht zwar ein, dass der Gesetzgeber grundsätzlich auch Gesetze zum Schutz der Allgemeinheit auf der Grundlage einer Gefahrenprognose erlassen kann, da ihm ein weiter gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Einschätzungs- und Prognosespielraum zusteht. Allerdings müsse der Gesetzgeber dann eine Einschätzung der Risiken sowie eine Abwägung mit den Grundrechten der Konsumenten von E-Zigaretten sowie insbesondere der betroffenen Gastwirte vornehmen. Im Rahmen des Änderungsverfahrens des NiSchG sich der Landesgesetzgeber jedoch nicht hinreichend mit den möglichen Gefahren von E-Zigaretten für „Nichtdampfer“ auseinandergesetzt, so dass weder eine solche Risikobewertung noch eine anschließende Abwägung erfolgt ist..

Eine extensive Auslegung des NiSchG ist folglich ebenfalls abzulehnen, so dass die E-Zigarette mithin nicht in den Anwendungsbereich des NiSchG fällt. Die Maßnahmen gegenüber dem Gastwirt waren mithin rechtswidrig, da es an einem Verstoß gegen § 3 NiSchG fehlt.

C. Schlussbetrachtung

Solange keine ausdrückliche Erweiterung des § 3 NiSchG NRW um die E-Zigarette erfolgt, darf in nordrhein-westfälischen Gaststätten zwar nicht geraucht, allerdings gedampft werden. Das OVG Münster setzt sich zur Begründung insbesondere ausgiebig mit der Definition des Begriffs „Rauchen“ auseinander und arbeitet dabei präzise die Unterschiede zu herkömmlichen Tabakprodukten heraus. Darüber hinaus wird eine extensive Auslegung über den Wortlaut hinaus mit Erwägungen des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes sowie zum Sinn uns Zweck des NiSchG abgelehnt.

Der rechtliche Status der E-Zigarette bleibt auch nach diesem Urteil weiterhin umstritten und wird wohl auch in Zukunft in unterschiedlichen Fragestellungen die Gerichte beschäftigen. Dies bleibt auch gerade dem Umstand geschuldet, dass noch keine hinreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Gefahren und Risiken von E-Zigaretten vorhanden sind. Dafür spricht auch, dass das BVerwG im November die Einordnung von E-Zigaretten als Arzneimittel oder Medizinprodukt abgelehnt hat (BVerwG, 22.11.2014, Az. 3 C 25.13). Zudem ist auch die Diskussion über das Ausmaß und die Reichweite von Rauchverboten in öffentlichem Raum von fortwährender Aktualität und sollte in der Examensvorbereitung berücksichtigt werden.

Zur Vertiefung eigenen sich auch folgende Beiträge:

  • OVG Münster: E-Zigarette kein Arzneimittel 
  • OVG Münster: Behördliche Warnung vor E-Zigarette 
  • BVerfG: Hamburger Rauchverbot teilweise verfassungswidrig
  • BayVerfGH erneut zum Rauchverbot
05.01.2015/4 Kommentare/von Lukas Knappe
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Lukas Knappe https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Lukas Knappe2015-01-05 12:09:322015-01-05 12:09:32OVG Münster: E-Zigaretten in nordrhein-westfälischen Gaststätten nicht verboten
Lukas Knappe

VG Mainz: Public Viewing im Öffentlichen Interesse

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Die Fußball – WM ist nun auch in deutschen Gerichtssälen endgültig angekommen. Wer kennt es nicht: das Public Viewing. Nahezu jeder jüngere Bundesbürger hat schon einmal ausgerüstet mit Fanutensilien wie Trikot, Fahne oder seit 2010 auch die Vuvuzela, ein Fußballspiel auf einer Großbildleinwand mit einer Vielzahl Gleichgesinnter verfolgt. Die Freude über ein Tor der favorisierten Mannschaft, das gemeinsame Zittern bis zum Abpfiff und der endlose Jubel über einen ersehnten Sieg, manchmal aber auch die gemeinsame Trauer über eine Niederlage, all diese gemeinsam ausgelebten Emotionen sind für das Public Viewing charakteristisch. Mit diesem identitätsstiftenden Phänomen, das sich im deutschen Sprachgebrauch mit der Fußball – WM 2006 in Deutschland gefestigt hat (vgl. zur Entwicklung des Public Viewing auch Wikipedia), hatte sich nun auch das VG Mainz im Rahmen eines Eilantrages zu beschäftigen, der sich gegen eine immissionsschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung für die öffentliche Übertragung von maximal 6 Spielen der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der WM in Brasilien richtete (VG Mainz vom 13.06.2014, 3 L 658/14.MZ) . Das Public Viewing wirft dabei interessante öffentlich-rechtliche Rechtsfragen auf, die im Folgenden dargestellt werden sollen.

 A. Zum Sachverhalt

Die Stadt Ingelheim hatte die öffentliche Übertragung von maximal sechs Weltmeisterschaftsspielen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auf einer Großbildleinwand erlaubt. Die genehmigte Veranstaltung sollte auf einem Vereinsheim-Parkplatz stattfinden, der neben einem Sportplatz in der Stadt gelegen ist. Ein Eigentümer eines benachbarten Grundstücks hatte sich jedoch mit einem Eilantrag an das VG Mainz gewandt, der sich gegen die sofortige Vollziehung der immissionsschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung der Stadt Ingelheim richtete. Dabei machte er geltend, dass das Public Viewing infolge der Vorbelastung durch die Nutzung des Sportplatzes zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung seines Grundstücks führen würde. Zur Freude aller Fußballfans hat das VG Mainz den Eilantrag jedoch abgelehnt und ein öffentliches Interesse an der Übertragung von Spielen der Deutschen Nationalmannschaft für die Dauer der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien bejaht.

B. Die Rechtslage

Infolge der mit dem Public Viewing verbundenen Lärmbelästigungen könnte die öffentliche Übertragung von Spielen der Fußball-WM auf Großbildleinwänden rechtlich nach Maßgabe des anlagenbezogenen Immissionsschutzes, der im BImschG normiert ist und dessen primäre Aufgaben in der Luftreinhaltung und der Lärmbekämpfung liegen (vgl. dazu einführend Erbguth/Schlacke, Umweltrecht, § 9), zu beurteilen sein:

I. Anwendungsbereich des anlagenbezogenen Immissionsschutzes

Der Anwendungsbereich des anlagenbezogenen Immissionsschutzes richtet sich nach § 3 Abs. V BImSchG, der den Begriff der „Anlage“, als einen der zentralen Begriffe des BImschG, gesetzlich definiert. Dieser ist dabei nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich weit zu verstehen und ausschließlich in einem betriebsbezogenen Sinn zu interpretieren (Schulte/Michalk, in: BeckOK BImschG, § 3 Rn. 71). Aufgrund dessen, dass Public Viewing – Veranstaltungen in Form der Übertragung auf Großbildleinwänden vor allem auf Sportplätzen, Marktplätzen, Dorfplätzen oder in Biergärten ausgerichtet werden, lassen sich die für derartige Veranstaltungen hergerichteten Örtlichkeiten regelmäßig unter den Auffangtatbestand der sonstigen ortsfesten Einrichtungen im Sinne von § 3 Abs. V Nr.1 BImSchG (so auch Scheidler, UPR 2010, 213 (214)) subsumieren. In Abgrenzung zu § 3 Abs. V Nr. 3 BImSchG setzt eine ortsfeste Einrichtung dabei auf dem betreffenden Grundstück bauliche oder technische Anlagen im weiteren Sinne voraus, die einer wirtschaftlichen Betätigung im weitesten Sinne dienen müssen (vgl. Jarass, BImschG, § 3 Rn. 71).

Sollte dieses Merkmal im Einzelfall nicht erfüllt sein, werden die für Public Viewing – Veranstaltungen verwendeten Örtlichkeiten in der Regel durch § 3 Abs. V Nr. 3 BImSchG erfasst, da es sich um Grundstücke mit emissionsträchtigen Arbeiten handelt. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff der „Arbeit“ nach vorherrschender Ansicht weit zu verstehen ist und alle emissionsträchtigen Tätigkeiten erfasst, die wesentlicher Inhalt der Zwecksetzung des Grundstücks sind (siehe Jarass, BImSchG, § 3 Rn. 77). Infolge dessen, dass nach überwiegender Ansicht im Rahmen der Definition keine Beschränkung im Hinblick auf rein wirtschaftliche Tätigkeiten erfolgt, werden dabei auch Grundstücke mit rein freizeitbezogenen Aktivitäten erfasst (vgl. Schulte/Michalk, in: BeckOK BImSchG, § 3 Rn. 83). Die in Rede stehenden Public -Viewing Veranstaltungen fallen mithin auch insoweit unter den Anlagenbegriff des BImSchG.

Zu berücksichtigen bleibt, dass der anlagenbezogene Immissionsschutz durch das BImSchG nur insoweit eröffnet ist, wie die mit der öffentlichen Übertragung von WM-Spielen verbundenen Lärmeinwirkungen anlagenbezogenen sind. Rein verhaltensbezogener Lärm wird mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes durch das BImSchG nicht erfasst, sondern unterfällt vielmehr dem Landesrecht. Dabei bleibt jedoch zu beachten, dass nach vorherrschender Ansicht auch von die von Menschen ausgehenden Immissionen insoweit durch das BImSchG erfasst sind, wie sie einen betriebstechnischen Zusammenhang mit dem Anlagenbetrieb haben (vgl. Enders, BeckOK BImSchG, § 22 Rn.4). Da dies nach Ansicht der Literatur beim Publikumslärm einer Sportanlage bejahen ist (Jarass, BImSchG, § 22 Rn. 6b; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, vor § 22 Rn. 23) und auch die Rechtsprechung des BVerwG den durch die Gäste einer Gaststätte verursachten Lärm als durch das BImSchG erfasst sieht (siehe BVerwG NVwZ 1997, 276), muss dies auch auf den Lärm der Besucher von Public – Viewing Veranstaltungen zu übertragen sein (Jubelschreie, Anfeuerungsrufe, Fangesänge, aber auch Geräusche die mit dem Weg hin oder zurück verbunden sind etc.). Dieser Publikumslärm ist mit den genannten Fällen zu vergleichen und steht mit dem Anlagenbetrieb in einer funktionalen Beziehung, so dass es sich nicht um rein verhaltensbedingte Immissionen im Sinne von anlageunabhängigen Tätigkeiten handelt, sondern der Lärm der Zuschauer vielmehr dem Anlagenbetrieb durch den Veranstalter zuzurechnen ist. Der Anwendungsbereich des anlagenbezogenen Immissionsschutzes ist somit auch insoweit eröffnet.

 II. Einordnung im Rahmen des anlagenbezogenen Immissionsschutz

Als wesentliche Weichenstellung für die rechtliche Betrachtung des anlagenbezogenen Immissionsschutzes ist die Abgrenzung zwischen genehmigungsbedürftigen und genehmigungsfreien Anlagen auszumachen. Gemäß § 4 Abs. I 3 BImSchG in Verbindung mit dem Anhang der 4. BImschG ist der Kreis der genehmigungspflichtigen Vorhaben konstitutiv und abschließend aufgeführt. Bei der Genehmigung nach des § 4 BImSchG handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 S. 1 VwVfG, der sich nicht nur durch eine Konzentrationswirkung (vgl. § 13 BImSchG), sondern auch durch eine privatrechtsgestaltende Wirkung (vgl. § 14 BImSchG) auszeichnet. Entsprechend der allgemeinen Strukturen des Allgemeinen Verwaltungsrechts ist die immissionschutzrechtliche Genehmigung ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, mit dem der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten zwar nicht generell verbieten will, jedoch eine Erlaubnis vorschreibt, ohne deren Erteilung das in Rede stehende Verhalten rechtswidrig ist (einführend zur immsisionsschutzrechtlichen Genehmigung Erbguth/Schlacke, § 9 Rn. 73f.) Die zur öffentlichen Übertragung von WM – Spielen verwandten Anlagen sind jedoch nicht vom Anwendungsbereich der 4. BImSchV erfasst, so dass es sich um nicht genehmigungsbedürftige Anlagen handelt, die dem Genehmigungserfordernis nicht unterfallen.

  III. Rechtliche Anforderungen an nicht genehmigungsbedürftige Anlagen

Infolge dessen, dass die hier in Rede stehenden Anlagen nicht in der 4. BImSchV aufgelistet sind, ergeben sich die wesentlichen Anforderungen im Hinblick auf den Lärmschutz aus § 22 Abs. I BImSchG, der die immissionsschutzrechtlichen Pflichten für nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen aufstellt: Dabei sind diese Anlagen nach § 22 I Nr. 1 BImSchG so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind verhindert werden. § 22 I Nr. 2 BImSchG statuiert demgegenüber die Pflicht zur Beschränkung von nach dem Stand der Technik nicht vermeidbaren Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß.

Der unbestimmte Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen ist in § 3 Abs. I BImSchG legal definiert und erfasst Immissionen (vgl. § 3 Abs. II BImSchG), die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.

Zur Konkretisierung des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen können gemäß § 23 I BImSchG für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen von der Bundesregierung in bestimmten Fällen Anforderungen zum Schutz gegen bestimmte Immissionen durch Rechtsverordnung aufgestellt werden.

Für schädliche Umwelteinwirkungen in Form von Lärm im Zusammenhang mit Sport ist die Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) von besonderer Relevanz. Diese stellt dabei lärmschutzrechtliche Anforderungen für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen auf, die zur Sportausübung bestimmt sind und auch zu diesem Zweck betrieben werden. Für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der 18. BImSchV ist mithin der Umstand entscheidend, dass die Anlage zum Zweck der Sportausübung genutzt wird. Mangels gesetzlicher Definition sind für die Einordnung eines Verhaltens als „Sport“ Wesensmerkmale wie körperliche Bewegung, Wettkampf- und Leistungsstreben, Vorhandensein von Regeln und Organisationsformen und Bestätigung als Selbstzweck ohne produktive Absicht charakteristisch (vgl. Kuchler, NuR 2000, 77 (81); Reidt/Schiller, in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 18. BImSchV, § 1 Rn. 27). Die öffentliche Übertragung von WM-Spielen auf Großbildleinwänden ist mangels eigener sportlicher Betätigung selbst für den in Rede stehenden Fall des VG Mainz, in dem sie auf einem Sportplatz erfolgt, nicht von der 18. BImSchV erfasst (so auch Scheidler, UPR 2010, 213 (214)).

 IV. Lärmschutzverordnung zur Fußball – WM 2014

Wie bereits bei den vergangenen beiden Fußball-Weltmeisterschaften hat die Bundesregierung gestützt auf § 23 Satz 1 Hs. 1 BImSchG eine „Verordnung über den Lärmschutz bei öffentlichen Fernsehdarbietungen im Freien über die Fußball-WM 2014“ erlassen, die für die Dauer der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien vom 12. Juni bis zum 13. Juli für das gesamte Bundesgebiet die rechtlichen Anforderungen an den Lärmschutz angesichts der späten Anstoßzeiten regeln soll. So besteht gerade bei der Fußball-WM in Brasilien die Besonderheit, dass aufgrund der Zeitverschiebung eine Vielzahl der Spiele erst um 22 Uhr deutscher Zeit angepfiffen wird, und diese dann auch zum Teil erst spät in der Nacht enden.

 1.   Anwendungsbereich der Lärmschutzverordnung

Gemäß § 1 der Verordnung findet diese auf nicht genehmigungsbedürftige Anlagen im Sinne des § 3 Abs. V Nr.1 und 3 BImSchG Anwendung, die für öffentliche Fernsehdarbietungen im Freien geeignet sind. Der Anwendungsbereich der Verordnung wird mithin dadurch bestimmt, dass es sich um Anlagen zur öffentlichen Fernsehdarbietung der Fußball-WM im Freien handeln muss, so dass der private Betrieb von Fernsehgeräten nicht erfasst ist. Den Erwägungsgründen der Verordnung lässt sich entnehmen, dass diese insbesondere Freilichtbühnen, Freizeitparks, Freiluftgaststätten, Festplätze, Sportplätze, Rummelplätze, Marktplätze und ähnliche Anlagen erfassen soll, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind und aufgrund ihrer Beschaffenheit zum Aufenthalt bei Fernsehdarbietungen im Freien genutzt werden.

 2. Lärmschutzrechtliche Anforderungen der Lärmschutzverordnung

Gemäß § 2 Abs. I der Lärmschutzverordnung zur Fußball-WM sind die Anlagen zur öffentlichen Übertragung der Spiele so zu errichten, dass die Immissionsrichtwerte des § 2 Abs. II der 18.BImSchV nicht überschritten werden. Die lärmschutzrechtlichen Anforderungen an die öffentliche Fußballübertragung im Freien ergeben sich mithin aus einer Verweisung auf die 18. BImSchV, die hinsichtlich der Lärmrichtwerte einerseits nach  der Schutzwürdigkeit des jeweiligen Baugebietes differenziert, und andererseits auch zwischen Tages-, Nacht- und Ruhezeiten unterscheidet (vgl. dazu eingehend Scheidler, UPR 2010, 213 (215)).

Gemäß § 2 Abs. II 1 der Lärmschutzverordnung in Verbindung mit § 5 Abs. II der 18. BImSchV kann die zuständige Behörde zur Beachtung der Immissionsrichtwerte Betriebszeiten festlegen, wobei sie dabei den Schutz der Nachbarschaft und das Interesse der Bevölkerung an der öffentlichen Übertragung von Spielen der Fußball-WM auf Großbildleinwänden abzuwägen hat.

Von besonderer Relevanz ist hier jedoch der Umstand, dass gemäß 2 Abs. II 1 der Lärmschutzverordnung in Verbindung mit § 5 Abs. V der 18. BImSchV die zuständige Behörde von der Festlegung der Betriebszeiten absehen soll, wenn die  einzuhaltenden Immissionsschutzrichtwerte und Höchstgrenzen durch besondere Ereignisse und Veranstaltungen an mehr als 18 Kalendertagen nicht eingehalten werden. Mit dem 2006 eingefügten § 6 der 18. BImSchV ist es den zuständigen Behörden jedoch möglich, für öffentliche Fernsehdarbietungen internationaler und nationaler Sportveranstaltungen von herausragender Bedeutung, im öffentlichen Interessen für deren Übertragung im Freien Ausnahmen von den Bestimmungen des § 5 V der 18. BImSchV im Hinblick auf die Überschreitung der Höchstwerte und die Anzahl der seltenen Ereignisse zuzulassen. Dabei bleibt zu berücksichtigen, dass die Erteilung einer derartigen Ausnahmegenehmigung im Ermessen der zuständigen Behörde liegt, wobei diese im Einzelfall das öffentliche Interesse an der Übertragung und die privaten Belange zum Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu berücksichtigen hat. Aus den Erwägungsgründen des Entwurfs zur Lärmschutzverordnung lässt sich entnehmen, dass die zuständigen Behörden gerade im Hinblick auf die späten Anstoßzeiten und möglichen Verlängerungen insbesondere die Adäquanz und Akzeptanz der öffentlichen Fernsehdarbietung, das Publikumsinteresse, die Bedeutung des Spiel, die Abstände zu Wohnbebauung und schutzbedürftigen Einrichtungen, die Sensibilität des Umfeldes, die technischen und organisatorischen Maßnahmen zur Lärmminderung einschließlich der Nutzung natürlicher oder künstlicher Hindernisse für die Geräuschminderung sowie Umfang, Anzahl und Aufeinanderfolge der zugelassenen Ausnahmen zu berücksichtigen haben. Auf Grundlager einer derartigen Ermessensentscheidung im Einzelfall hat auch die Stadt Ingelheim eine Ausnahmegenehmigung für maximal 6 WM-Spiele der deutschen Nationalmannschaft erteilt.

 C.  Die Entscheidung des VG Mainz

Das VG Mainz hat den Eilantrag gegen die Ausnahmegenehmigung abgelegt und ein besonderes öffentliches Interesse an der öffentlichen Übertragung von WM-Spielen der deutschen Nationalmannschaft auf Großbildleinwänden bejaht:

Denn aufgrund des entfernt liegenden Austragungsortes der Weltmeisterschaft sei für viele Menschen das Public Viewing die einzige Möglichkeit, die Spiele in größerer Gemeinschaft mit anderen live zu verfolgen, und an diesem Gemeinschaftserlebnis bestehe nach den Erfahrungen bei den zurückliegenden Fußballwelt- und Europameisterschaften auch ein großes Interesse. Aufgrund des öffentlichen Interesses habe die Behörde ermessensfehlerfrei eine Ausnahme von den allgemeinen immissionsschutzrechtlichen Anforderungen gemacht.

Zudem seien auch die Belange der Nachbarschaft im Rahmen der Ermessensentscheidung ausreichend berücksichtigt worden:

So seien z.B. lärmerzeugende Instrumente (Fanfaren, Trommeln, Combinhos usw.) verboten, die Fernsehdarbietung sei auf die Dauer der Live-Übertragung der Spiele ohne Vor- und Nachberichterstattung beschränkt und die Lautsprecher seien von der Wohnbebauung abgewandt einzurichten. Schließlich dürften Spiele, die in die Nachtzeit (22:00 Uhr) hineinragen oder erst in der Nachtzeit beginnen, nur übertragen werden, wenn der darauffolgende Tag kein Werktag sei, was die Präsentation des Endspiels ausschließe.

D. Schlussbemerkung

Mit der öffentlichen Übertragung von WM-Spielen auf Großbildleinwänden im Rahmen des Public Viewing ergeben sich interessante Rechtsprobleme, die die Behörden im Rahmen einer Ermessensentscheidung im Einzelfall bewältigen müssen. So lässt sich auf der einen Seite ein erhebliches öffentliches Interesse an der Durchführung derartiger Veranstaltungen nicht von der Hand weisen, da nur so infolge der großen Entfernung des Austragungsortes der WM in Deutschland viele Menschen die Gelegenheit erhalten, die Spiele live in einer größeren Gemeinschaft zu verfolgen. Auf der anderen Seite sind mit dem Public Viewing auch erhebliche Lärmeinwirkungen verbunden, die infolge der späten Anstoßzeiten und möglicherer Verlängerungen im weiteren Turnierverlauf eine besonders belastende Wirkung für die Nachbarschaft haben, deren Interesse am Schutz der Nachtruhe ebenfalls zu berücksichtigen sind. Den Behörden obliegt dabei die Aufgabe unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte und der örtlichen Verhältnisse eine ausgewogene Entscheidung im Einzelfall zu treffen, die beide Interesse angemessen berücksichtigt. Infolge dessen, dass die immissionsschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung im Ermessen der Behörde steht und kein Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung für eine Public Viewing Veranstaltung besteht, kommt insbesondere die Erteilung von Auflagen oder im Einzelfall die Versagung der Genehmigung in Betracht. Die zuständige Behörde hatte im Fall des VG Mainz bei einer summarischen Prüfung diesen Grundsätzen jedoch entsprochen, so dass der nächsten Public Viewing Veranstaltung nichts mehr im Wege steht.

25.06.2014/0 Kommentare/von Lukas Knappe
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Lukas Knappe https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Lukas Knappe2014-06-25 15:00:412014-06-25 15:00:41VG Mainz: Public Viewing im Öffentlichen Interesse

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