Die Kombination von Waffengebrauch und vorübergehend „eingeschränktem“ Zustand infolge von Alkoholgenuss erweist sich als waffenrechtlich bedenklich. Diese Einschätzung des OVG Münster hat nun das BVerwG mit Urteil vom 22.10.2014 (Az. 6 V 30.13) bestätigt und die Entscheidung, einem Kölner Jäger die Waffenerlaubnis aufgrund des Schusswaffengebrauchs unter Alkoholeinfluss zu entziehen, aufrechterhalten. Macht ein Waffenbesitzer in alkoholisiertem Zustand von seiner Schusswaffe Gebrauch, rechtfertigt dies nunmehr nach Rechtsprechung des BVerwG die Annahme, dass er im Sinne des Waffengesetzes unzuverlässig ist. Das BVerwG hat mit seinem Urteil die vorangegangenen Entscheidungen des VG Köln sowie des OVG Münster bestätigt, die die Klage des betroffenen Jägers jeweils abgelehnt hatten .
A. Sachverhalt
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war die Entscheidung des Kölner Polizeipräsidiums einem Inhaber mehrerer waffenrechtlicher Erlaubnisse diese wegen Unzuverlässigkeit zu entziehen. Der Kläger war im Juni 2008 mit seinem Kraftfahrzeug von seinem Haus zu einem nahegelegenen Wald zur Jagd gefahren, nachdem er zuvor zwei Gläser Rotwein (0,5 l) und ein Glas Wodka (30 ml) getrunken hatte. Von einem Hochsitz aus erlegte er dann einen Rehbock mit einem Schuss. Auf der Rückfahrt wurde er allerdings von Polizeibeamten angehalten. Ein freiwilliger Alkoholtest vor Ort ergab einen Wert von 0,47 mg/l Atemluftalkoholkonzentration, ein späterer Alkoholtest auf der Wache einen Wert von 0,39 mg/l. Das zuständige Polizeipräsidium widerrief schließlich die waffenrechtliche Erlaubnis, da der Kläger infolge des Waffengebrauchs im alkoholisierten Zustand im waffenrechtlichen Sinne unzuverlässig sei. Die Verwaltungsgerichte haben im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die anschließende Klage des Jägers abgewiesen sowie auch die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
B. Rechtliche Beurteilung
I. Gesetzliche Grundlagen
Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Waffenerlaubnis werden durch § 4 I WaffG geregelt, der nach § 4 I Nr. 2 WaffG unter anderem die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit des Waffenbesitzers für den Umgang mit gefährlichen Waffen voraussetzt. Die Zuverlässigkeit bildet in den jeweiligen Fachgesetzen des Besonderen Verwaltungsrechts eine persönliche Tätigkeitsvoraussetzung und soll im ordnungsrechtlichen Sinn die persönlichen Voraussetzungen des Betroffenen für eine ordnungsgemäße Ausübung der jeweiligen Tätigkeit gewährleisten (so Eifert, JuS 2004, 565 (567). Beim Begriff der Zuverlässigkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der einer näheren Konkretisierung bedarf und dabei gesetzesspezifisch auszulegen ist, wobei er der vollen gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist, so dass kein Beurteilungsspielraum zugunsten der Verwaltung besteht.
Im Waffengesetz erfolgt eine fachgesetzliche Konkretisierung des Rechtsbegriffs der Zuverlässigkeit durch § 5 WaffG, der in § 5 I Nr. 2 WaffG an einen besonders gefährlichen Umgang mit Waffen oder Munitionen anknüpft. So sieht § 5 I Nr. 2 lit. b WaffG nämlich vor, dass die erforderliche Zuverlässigkeit unter anderem dann bei Waffenbesitzern fehlt, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie mit Waffen oder Munitionen nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen. Ein solcher bedenklicher Umgang kann sich dabei gerade daraus ergeben, dass der Betroffene aufgrund einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung zu einem vorsichtigen und sachgemäßen Gebrauch nicht in der Lage ist (vgl. OVG Münster, Urt. v. 28.02.2013, 20 A 2430/11; Gade/Stoppa, WaffG, §5 Rn.13). Vor diesem Hintergrund kommt der Waffengebrauch im alkoholisiertem Zustand folglich als Anknüpfungspunkt für die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit des Kölner Jägers in Betracht.
II. Lösung durch das BVerwG
1. Nach Ansicht des BVerwG geht
vorsichtig und sachgemäß mit Schusswaffen nur um, wer sie ausschließlich in nüchternem Zustand gebraucht und sicher sein kann, keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen zu erleiden, die zu Gefährdungen Dritter führen können.
Dabei soll es nach verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung allerdings irrelevant sein, dass der Jäger im konkretem Fall zielsicher mit einem Schuss das Tier erlegt hat, also im Rahmen seines Jagdverhaltens keine konkreten alkoholbedingten Ausfallerscheinungen vorlagen. Diese abstrakte Betrachtungsweise begründet insbesondere das OVG Münster damit, dass die Auswirkungen von Alkoholkonsum zwar stets von individuellen Gegebenheiten abhängig seien, die Kombination von Waffengebrauch und Alkoholisierung allerdings als waffenrechtlich bedenklich einzuordnen sei, da es beispielsweise nach dem vom Bundesverwaltungsamt herausgegebenen Fragenkatalog für die Sachkundeprüfung zu den unbedingt zu beachtenden Grundregeln beim Umgang mit Schusswaffen gehöre, mit derartigen Waffen nicht unter dem Einfluss berauschender Mittel zu hantieren (OVG Münster, 20 A 2430/11 Rn.36f.). Daran anknüpfend führt das BVerwG aus,
ob und gegebenenfalls in welchem Umfang bei dem Kläger im konkreten Fall alkoholbedingte Ausfallerscheinungen aufgetreten sind, ist unerheblich. Unvorsichtig und unsachgemäß ist der Gebrauch von Schusswaffen bereits dann, wenn ein Waffenbesitzer hierbei das Risiko solcher Ausfallerscheinungen eingegangen ist. Die waffenrechtliche Zuverlässigkeit setzt die Fähigkeit und die Bereitschaft voraus, Risiken mit dem Potential der Schädigung Dritter strikt zu vermeiden, zumal wenn dies problemlos möglich ist.
Nach Ansicht der Gerichte reicht die hier vom Kläger konsumierte Menge mit einem Wert von 0,39 mg/l bereits aus, um davon ausgehen zu können, dass der Kläger in Folge seines Schusswaffengebrauch in einem allgemein zugänglichen Waldstück im alkoholisierten Zustand, nicht hinreichend vorsichtig und sachgemäß mit seiner Waffe umgegangen ist. Die Gerichte begründen dies insbesondere damit, dass bereits die hier in Rede stehende Menge sich nach allgemeiner Erfahrung typischerweise verhaltensbeeinflussend auswirke und dementsprechende
Ausfallerscheinungen jedenfalls nicht hinreichend sicher ausgeschlossen (waren). (Die Menge) war ( nach wissenschaftlich abgesicherter Erfahrung bereits) vielmehr geeignet, die Reaktionsgeschwindigkeit sowie die Wahrnehmungsfähigkeit zu mindern und enthemmend zu wirken.
2. Als Problem erweist sich allerdings die zur Annahme der Unzuverlässigkeit erforderliche Prognoseentscheidung. Infolge dessen, dass es sich beim Begriff der Zuverlässigkeit um einen Prognosebegriff handelt, beinhaltet die behördliche Entscheidung folglich die Einschätzung, dass ein Fehlverhalten des Betroffenen hinsichtlich des Umgangs mit Waffen auch in Zukunft wahrscheinlich ist (näher dazu Eifert, JuS 2004, 565 (570); vgl. zur Prognoseentscheidung bei der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit insbes. Tettinger/Wank/Ennuschat, Gew0, §35 Rn. 31).
Zur Prognoseentscheidung und dem anzulegenden Prognosemaßstab im Rahmen der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit hat insbesondere das OVG Münster näher Stellung genommen.
Im Übrigen erfordert die prognostische Annahme der Unzuverlässigkeit nicht die Feststellung der konkreten Gefahr, dass sich das in Rede stehende „Versagen“ des Klägers wiederholt. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG ist zwar eine zukunftsbezogene Beurteilung gefordert unter Einbeziehung und Bewertung aller Tatsachen, die in diesem Zusammenhang bedeutsam sind. Die Prognose hat sich indes am Zweck des Gesetzes zu orientieren, die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten uneingeschränktes Vertrauen dazu verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen. Hat ein Waffenbesitzer in diesem Zusammenhang bereits einmal „versagt“, ist schon dies allein ein gewichtiges Indiz dafür, dass er das in ihn gesetzte Vertrauen nicht mehr verdient. Demgegenüber ist nicht etwa der Nachweis gefordert, der Betreffende werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Zukunft erneut mit Waffen nicht sorgsam umgehen. Angesichts des möglichen Schadens bei Nichtbewährung und des präventiven ordnungsrechtlichen Charakters der Forderung nach einer besonderen Zuverlässigkeit für den Erwerb und Besitz erlaubnispflichtiger Waffen und Munition genügt es vielmehr, dass bei verständiger Würdigung aller Umstände eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine nicht ordnungsgemäße Ausübung des erlaubnispflichtigen Umgangs mit Waffen verbleibt.
Während bloße Zweifel für die Prognose folglich nicht ausreichen, ist allerdings auch nicht die feste Gewissheit einer weiteren Pflichtverletzung erforderlich, so dass bereits die Wahrscheinlichkeit eines Fehlverhaltens ausreicht.
Trotz dessen, dass der Kläger hier erstmals unter Alkoholeinfluss von seiner Schusswaffe Gebrauch gemacht hat und auch keine konkreten alkoholbedingten Ausfallerscheinungen vorlagen, haben die Gerichte die für die Prognoseentscheidung erforderliche Wahrscheinlichkeit angenommen. Das BVerwG führt nämlich aus, dass infolge dessen, dass sich
der Kläger trotz dieser offenkundigen Risiken vom Schusswaffengebrauch nicht hat abhalten lassen, (dies) die Prognose (rechtfertigt), dass er auch künftig mit Waffen nicht vorsichtig und sachgemäß umgehen wird. Wer das Risiko alkoholbedingt geminderter Reaktionsgeschwindigkeit und Wahrnehmungsfähigkeit oder alkoholbedingter Enthemmung auch nur in einem Fall des Schusswaffengebrauchs in Kauf genommen hat, verdient das Vertrauen nicht länger, dass er mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen wird.
Die Voraussetzungen für die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit im Sinne des § 5 I Nr. 2 lit.b WaffG sind mithin erfüllt, so dass der Schusswaffengebrauch unter Alkoholeinfluss den Entzug der Waffenerlaubnis rechtfertigt.
C. Schlussbetrachtung
Zwar hat das OVG Münster ausdrücklich darauf verzichtet einen allgemeinen Grenzwert in Form einer Alkoholkonzentration aufzustellen, ab der der vorsichtige und sachgemäßen Umgang mit einer Waffe typischerweise in Frage gestellt wird, und zudem darauf verwiesen, dass eine Null-Promille-Grenze lebensfremd wäre, jedoch sollten Waffenbesitzer die Kombination von Alkoholkonsum und Schusswaffengebrauch tunlichst vermeiden, um ihren Waffenschein nicht zu verlieren. Jedenfalls sind wie hier zwei Gläser Wein und ein Wodka zu viel. Dennoch bleibt zu hoffen, dass die Gerichte hier eine nähere Konkretisierung vornehmen, da die Rechtslage für den Fall, dass alkoholbedingte Ausfallerscheinungen fehlen, zunächst unklar ist.
Der Fall bietet eine gute Möglichkeit, Grundprobleme des Besonderen Ordnungsrechts und das persönliche Tätigkeitsmerkmal der „Zuverlässigkeit“ abzuprüfen und eignet sich daher für eine mündliche oder schriftliche Prüfung. Zur Bewältigung derartiger Prüfungen ist es wichtig, sich das Grundschema der „Zuverlässigkeitsprüfung“ zu vergegenwärtigen, die sich auf Tatsachen stützen muss und bei der eine Zukunftsprognose erforderlich ist. Einen allgemeinen Überblick zu Fragen der Zuverlässigkeit, mit denen sich jeder Examenskandidat insbesondere auch im Hinblick auf das Gewerberecht in Grundzügen auseinandergesetzt haben sollte, liefert vor allem Eifert, Martin: „Zuverlässigkeit als persönliche Tätigkeitsvoraussetzung im Besonderen Verwaltungsrecht“, in: JuS 2004, 565-570.
Zur Wiederholung der persönlichen Tätigkeitsvoraussetzung der „Zuverlässigkeit“ ist auch auf folgende Beiträge hinzuweisen:
- Unser Überblicksbeitrag zum Waffengesetz
- Widerruf der Bestellung als Bezirksschornsteinfeger wegen außerberuflicher antisemitischer Betätigung
- Entzug der Waffenerlaubnis wegen NPD-Mitgliedschaft
- Mini-Crashkurs Gewerbeordnung