Ein Fall wie gemalt für eine mündliche Prüfung kursiert momentan durch die deutsche Presselandschaft: Der Fall der Dackeldame Bonny von Beelitz (Link). Anlass für uns eine kurze mündliche Prüfung zu simulieren.
Sehr geehrte Damen und Herren, stellen Sie sich folgenden Fall vor.
Ein Rauhaardackel namens Bonny von Beelitz entläuft als Jungtier einem Jäger, nennen wir ihn Herrchen A, aus Ferch in Brandenburg. Dieser ist schockiert und sucht Bonny in den einsamen Wäldern Brandenburgs – ohne Erfolg. Urlauber U findet hingegen den gepflegten Hund ohne Marke und Halsband einen Tag später nahe einer Autobahnauffahrt und nimmt ihn mit. Er spricht Polizisten an, die ihm sagen, dass er den Hund mitnehmen dürfe. Anderweitige Maßnahmen zur Aufklärung der Herkunft von Bonny unternimmt er nicht. Vielmehr freut er sich über das süße Lebewesen, hegt und pflegt es die nächsten Jahre und tauft es auf den Namen Lulu. Der Dackel wird Teil der Familie. Erst Jahre später erfährt U per Zufall von Lulus adliger Herkunft als Bonny von Beelitz. Auch das Herrchen A bekommt nun Wind von der Sache und möchte seine Bonny zurück.
Sie werden nun von A als Rechtsanwalt beauftragt, um Bonny zurückzuholen. Was würden Sie zunächst überlegen?
Nachdem man den Weg einer gütlichen Einigung versucht zu gehen – der freilich bei Herzensangelegenheiten wie Dackeln wenig Aussicht auf Erfolg hat – muss man sich Gedanken machen, ob ein fälliger, durchsetzbarer Anspruch auf Herausgabe des Hundes besteht und wo dieser gegebenenfalls einzuklagen ist.
Das klingt nach einem sinnvollen Vorgehen. Woraus könnte sich denn ein entsprechender Anspruch ergeben?
Mangels vertraglicher Beziehung könnte zunächst ein Anspruch aus § 861 BGB in Betracht kommen. Allerdings hatte das Herrchen die tatsächliche Sachherrschaft verloren als Bonny davongelaufen ist. Daher liegt kein Besitzentzug nach § 861 BGB vor.
Schön. Doch was setzt ein solcher Anspruch erst einmal voraus?
Es muss sich um eine Sache handeln. Zwar sind Hunde als Tiere nach § 90a S. 1 BGB keine Sachen, werden aber nach § 90 S. 3 BGB wie diese behandelt – auch süße Rauhaardackel.
Eine gesetzgeberische Wertung, die wir akzeptieren müssen. Welche Idee hinsichtlich eines Herausgabeanspruches haben denn Sie, Frau X?
Es könnte ein Anspruch aus § 985 BGB bestehen. Hierzu müsste eine sog. Vindikationslage vorliegen. Dazu müsste das Herrchen Eigentümer des Dackels sein. Ursprünglich war er dies. Allerdings könnten die Urlauber nach § 958 BGB Eigentum erworben haben, wenn sie Bonny als herrenlose Sache in Eigenbesitz genommen haben. Herrenlos sind Sachen jedoch nur, wenn sie in niemandes Eigentum stehen. Der Begriff ist abzugrenzen von der verlorenen Sache im Sinne des § 965 Abs. 1; an letzterer besteht weiterhin Eigentum, an der herrenlosen hingegen nicht. Die Tatsache, dass Bonny entlaufen ist, führt nicht bereits zur Herrenlosigkeit. Herrchen A war erschüttert über die Flucht von Bonny und wollte weiter das Eigentum an Bonny behalten, weswegen keine Eigentumsaufgabe nach § 959 BGB vorliegt.
Gut, worin liegt denn der wesentliche Unterschied zwischen § 958 BGB und etwa § 929 S. 1 BGB?
§ 958 BGB ist ein Fall des gesetzlichen Eigentumserwerbs an beweglichen Sachen und § 929 S. 1 BGB ein rechtsgeschäftlicher Eigentumserwerb.
Hat denn noch jemand eine Idee, weswegen Bonny herrenlos gewesen sein könnte?
Ja, § 960 BGB regelt die Herrenlosigkeit wilder Tiere. Nach § 960 Abs. 2 BGB wird ein gefangenes wildes Tier herrenlos, wenn es die Freiheit wiedererlangt und wenn nicht der Eigentümer das Tier unverzüglich verfolgt oder wenn er die Verfolgung aufgibt.
Klasse! Und liegt ein solcher Fall vor?
Nein. Bonny ist ein Rauhaardackel, der gerade kein wildes Tier i.S.d. § 960 BGB, sondern ein Haustier ist. Gelegentliches Kläffen ändert hieran nichts. Zudem wird ein gezähmtes Tier nach § 960 Abs. 3 BGB herrenlos, wenn es die Gewohnheit ablegt, an den ihm bestimmten Ort zurückzukehren. Hierunter dürften aber nur ohnehin freilaufende Tiere fallen, etwa Katzen, nicht aber Haushunde.
Welcher Erwerbstatbestand könnte denn noch in Betracht kommen?
Ebenso könnte der Urlauber als Finder einer Sache i.S.d. §§ 965 ff. BGB Eigentum erworben haben. Hierzu hätte es allerdings gemäß der Anzeige des Fundes bei der zuständigen Behörde bedurft. Diese ist vorliegend nicht erfolgt, so dass der Urlauber gegen seine Anzeigepflicht aus § 965 BGB verstoßen hat. Diese ist aber Voraussetzung für den Eigentumserwerb nach § 973 BGB.
Nun gut. Also war Herrchen A weiterhin Eigentümer. Machen Sie den Sack zu, Herr Y?
Die Urlauberin ist auch unmittelbare Besitzerin des Dackels. Sie dürfte darüber hinaus kein Recht zum Besitz haben, § 986 BGB. Ob etwaige Gegenansprüche wegen Ersatz der Kosten für Futter und Tierarztkosten in Recht zum Besitz geben oder lediglich die Durchsetzbarkeit des Anspruchs hemmen, ist umstritten. Jedenfalls führen diese zu einer Verurteilung Zug-um-Zug, auch nach der ersten Ansicht. Als Rechtsanwalt ist daher allein maßgeblich, ob entsprechende Ansprüche bestehen, um die eigenen Mandanten darauf einzustellen.
Gut gesehen! Haben die Urlauber denn entsprechende Ansprüche?
Dies richtet sich aufgrund des Vorliegens eines EBV nach § 994 BGB. Fraglich ist jedoch, ob die Urlauber gutgläubig oder bösgläubig hinsichtlich ihres Besitzrechts waren. Der Besitzer hat Kenntnis, wenn er über den Mangel seines Rechts in einer Weise aufgeklärt worden ist. Für die grobfahrlässige Unkenntnis gelten die zu § 932 Abs. 2 entwickelten Grundsätze. Hier genügt es, wenn die Unkenntnis hinsichtlich des Fehlens eines Besitzrechts auf einem Verhalten beruht, das unter Berücksichtigung der Gesamtumstände die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und außer Acht lässt, was jedem hätte einleuchten müssen. Vorliegend kann in beide Richtungen argumentiert werden: Einerseits konnten die Urlauber nicht davon ausgehen, dass ein gepflegter Hund herrenlos war und sie Eigentum erwerben konnten. Sie hätten entsprechende Nachforschungen anstellen können. Gerade gepflegte Rauhaardackel werden in aller Regel nicht derart ausgesetzt, dass das Eigentum seitens der Herrchen aufgegeben wird. Andererseits haben sie die Polizisten gefragt, die ihnen eine positive Auskunft gegeben haben. Dennoch spricht einiges für eine Bösgläubigkeit der Urlauber. Diese waren froh einen Hund gefunden zu haben und wollten diesen auf keinen Fall zurückgeben. Daher kommt man über den Verweis des § 994 Abs. 2 BGB in die Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag. Es handelt sich im Wesentlichen um eine Rechtsgrundverweisung.
Vielen Dank für Ihre Ausführungen. Noch zwei Fragen. Zunächst Sie, Herr Y, was ist nun die Anspruchsgrundlage auf Ersatz der Futterkosten?
Über § 994 Abs. 2 BGB sind dies §§ 683, 684 S. 2, 670, wonach diejenigen Verwendungen zu ersetzen sind, die dem Willen des Eigentümers entsprochen haben, durch § 679 gedeckt sind oder vom Eigentümer genehmigt werden. Die Fütterung ist für den Hund lebensnotwendig, so dass eine die Sache aufrechterhaltene Aufwendung vorliegt. Diese entspricht dem Willen der Eigentümer. Daher sind diese Kosten zu ersetzen.
Nun streiten sich die Parteien noch darum, wo der Hund Zug-um-Zug gegen Ersatz der Futterkosten zu übergeben ist. Wer kann hier eine Lösung anbieten?
Die Bestimmung des Leistungsorts der Herausgabe ist bei § 985 BGB umstritten. Einige nehmen an, dass dies grundsätzlich der Belegenheitsort der Sache ist. Dies entspricht aber nicht immer den Wertungen des EBV, so etwa beim deliktischen Besitzer. Der Umweg über einen Ersatzanspruch hinsichtlich der Transportkosten nach §§ 990, 989 BGB erscheint nicht praxistauglich.
Daher ist grundsätzlich § 269 BGB als allgemeine schuldrechtliche Norm anzuwenden. Aus der Natur des Anspruchs aus § 985 BGB ergibt sich eine Differenzierung hinsichtlich des Leistungsortes: Da der gutgläubig-unverklagte Besitzer privilegiert ist, liegt eine Holschuld vor. Dieser Besitzer soll nach den Wertungen des EBV grundsätzlich keine Nachteile erfahren, also auch nicht den tatsächlichen Aufwand sowie die Kosten des Verbringens der Sache zum Eigentümer. Der deliktische Besitzer (§ 992) muss hingegen am Ort der Besitzerlangung herausgeben, der bösgläubige Besitzer dort, wo sich die Sache bei Eintritt der Bösgläubigkeit befand. Da wir vorliegend von der Bösgläubigkeit der Urlauber ausgehen, ist der Rückgabeort der kleinen Bonny daher die Autobahnausfahrt in Ostdeutschland.
Vielen Dank, das war die Prüfung im Zivilrecht.