Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 20.06.2013 (8 AZR 280/12) – das noch nicht im Volltext vorliegt – entschieden, dass eine zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages vereinbarte Verfallklausel (auch Ausschlussklausel) dahingehend auszulegen ist, dass Ansprüche gegen den Arbeitgeber wegen vorsätzlichen Handlungen nicht darunter fallen. Damit wurde die Vorinstanz – LAG Köln vom 21.01.2012 (5 Sa 156/10) – aufgehoben, wonach zwischen dem eigenen vorsätzlichen Verhalten des Arbeitgebers (Verfallklausel nach §§ 134, 202 Abs. 1 BGB nichtig) und der Haftung des Arbeitgebers für ein vorsätzliches Handeln von Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen (Verfallklausel wirksam) differenziert wurde.
Diese Entscheidung eignet sich deshalb gut für Examensklausuren, weil sie beliebte Probleme des Arbeitsrechts, des Zivilprozessrechts und zivilrechtliche Grundlagen zur Auslegung von Willenserklärungen vereint. Zur Wirksamkeit von vertraglichen Ausschlussklauseln berichteten wir bereits hier.
1. Sachverhalt
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zu Grunde. Zwischen den Parteien bestand seit dem 01. September 2009 ein auf ein Jahr befristetes Arbeitsverhältnis. Im schriftlichen Arbeitsvertrag hatten die Parteien unter § 12 eine zweistufige Verfallfrist mit folgendem Wortlaut vereinbart:
Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.
Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.
Die Klägerin war ab dem 16. November 2009 arbeitsunfähig krank. Anfang Februar 2010 verständigten sich die Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Mai 2010.
Die Klägerin stellte gegen ihren Vorgesetzten Herrn E Strafanzeige wegen des Verdachts der Beleidigung und der sexuellen Belästigung. Er habe sie fast täglich als „doof“, „blöd“ oder „unfähig“ bezeichnet. Auch habe sie nicht vertragsgerechte Arbeiten verrichten müssen und er habe ihr gegen ihren Willen ein Video der Gruppe Rammstein mit dem Namen „Pussy Video“ gezeigt.
Weil die Klägerin der Ansicht ist, dass die Beklagte für das Verhalten von Herrn E eintreten müsse, erhob sie am 30. August 2010 beim Arbeitsgericht Klage und machte die Zahlung von Schmerzensgeld geltend. Sie führte ihre Erkrankung im Zeitraum vom 16. November 2009 bis zum 31. Mai 2010 auf „Mobbing-Handlungen“ von Herrn E zurück. Die Klage ist der Beklagten am 09. September 2010 zugegangen.
Das LAG Köln hat die Klage unter Verweis auf die vertragliche Verfallklausel abgewiesen und die Ansicht vertreten, die Unwirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Verfallklausel, welche die Haftung wegen vorsätzlichen Handelns ausschließt, komme nach §§ 134, 202 Abs. 1 BGB nur in Betracht, wenn sie sich auf eigenes Verhalten des Arbeitgebers beziehe. Soweit sie eine Haftung des Arbeitgebers für ein vorsätzliches Handeln von Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen ausschließe, sei sie wirksam. Diese Differenzierung wurde nunmehr vom BAG aufgegeben.
2. Anspruchsgrundlagen
An folgende Anspruchsgrundlagen der Klägerin gegen die Beklagte auf Schmerzensgeld bzw. Entschädigung ist zu denken:
- § 831 BGB iVm Art. 1 Abs. 1 und Art 2 GG
3. Wirksamkeit der Verfallklausel (§ 12 des Arbeitsvertrages)
„Dreh und Angelpunkt“ ist bei dieser Entscheidung, ob die Ansprüche nicht durch die Verfallklausel in § 12 des Arbeitsvertrages verfallen sind.
a. Geltendmachung des Anspruchs innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit
Zunächst ist überhaupt zu prüfen, ob die Klägerin die dreimonatige Frist gem. § 12 des Arbeitsvertrages zur Geltendmachung ihres Anspruchs überschritten hat.
Fraglich ist, wann der geltend gemachte Anspruch fällig geworden ist. Ein Anspruch ist regelmäßig erst dann im Sinne einer Verfallfrist fällig, wenn der Gläubiger ihn annähernd beziffern kann. Bei Schadensersatzansprüchen tritt Fälligkeit daher ein, wenn der Schaden für den Gläubiger feststellbar ist und geltend gemacht werden kann. Für einen Anspruch, der auf „Mobbing“ und eine daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit gestützt worden ist, nimmt das BAG an, dass der Anspruch erst mit Ablauf der Arbeitsunfähigkeit entsteht. Der Arbeitnehmer ist erst ab Beendigung seiner Erkrankung in der Lage, seinen entstandenen Schaden festzustellen (BAG 25. Oktober 2007 – 8 AZR 593/06, Rn 96). Danach ist der Anspruch der Klägerin mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses – am 1. Juni 2010 – fällig gewesen. Dem steht nicht entgegen, dass sie über diesen Zeitraum hinaus arbeitsunfähig erkrankt war. Maßgeblich ist, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit dem 31. Mai 2010 sein Ende gefunden hat. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses stellt eine Zäsur dar. Ab diesem Zeitpunkt war sie in der Lage, sich den erforderlichen Überblick zu verschaffen und ihre Forderung wenigstens annähernd zu beziffern. Wenn die Forderung am 01. Juni 2010 fällig geworden ist, endet die Frist zur Geltendmachung nach § 12 des Arbeitsvertrages am 01. September 2010.
Die Klage ist am 30. August 2010 bei dem Arbeitsgericht eingegangen und am 09. September der Beklagten zugestellt worden. Grundsätzlich ist auf den Zugang bei dem Arbeitgeber abzustellen. Fraglich ist aber, ob nicht § 167 ZPO auf die erste Stufe der Ausschlussfrist anwendbar ist, so dass man auf den Eingang bei Gericht abstellen könnte. Das BAG nimmt aber in ständiger Rechtsprechung an, dass § 167 ZPO auf einstufige und auf die erste Stufe zweistufiger Verfallfristen keine Anwendung findet (BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 541/06; 25. September 1996 – 10 AZR 678/05; 08. März 1976 – 5 AZR 361/75; 18. Januar 1974 – 3 AZR 3/73). Daneben hat die Vorinstanz festgehalten, dass für die erste Stufe einer zweistufigen Verfallfrist regelmäßig davon auszugehen ist, dass nach dem Willen der Parteien § 167 ZPO nicht anzuwenden ist. Es bleibt abzuwarten, ob sich das BAG hierzu in den Entscheidungsgründen geäußert hat.
Somit hat die Klägerin ihren Anspruch gegenüber der Beklagten verspätet geltend gemacht.
b. Wirksamkeit nach AGB-Recht
Die Ausschlussfrist könnte wegen Verstoßes gegen das AGB-Recht unwirksam sein.
Hier bedarf es in dem arbeitsrechtlichen Gutachten einer schulmäßigen AGB-Kontrolle. Wie sich gleich zeigen wird, ist die Prüfung der Wirksamkeit von § 12 im vorliegenden Fall nicht problematisch, dennoch empfiehlt es sich, die AGB-Kontrolle in einer Klausur systematisch aufzubauen.
Eine AGB-Kontrolle im Hinblick auf arbeitsvertragliche Regelungen ist unter Beachtung der Besonderheiten des Arbeitsrechts gem. § 310 Abs. 4 S. 2 BGB grundsätzlich möglich.
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind vorformulierte Regelungsentwürfe für eine Vielzahl von Einzelverträgen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt, vgl. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB. Diese müssen grundsätzlich gem. § 305 Abs. 2 BGB in den Vertrag einbezogen werden. Ob dies hier in einer dem § 305 Abs. 2 BGB entsprechenden Weise erfolgt ist, kann allerdings offen bleiben, da diese Voraussetzung für Arbeitsverträge nicht gilt (§ 310 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 BGB).
Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des BAG ist der Arbeitnehmer außerdem als Verbraucher iSv § 13 BGB anzusehen. Ob die Beklagte die Vertragsbedingungen – insbesondere § 12 – für eine Vielzahl von Einzelverträgen nutzt, kann deshalb offen bleiben. Nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB kommen die §§ 307 ff. BGB nämlich bei Verbraucherverträgen selbst für den Fall, dass der Vertrag nicht für eine Vielzahl von Verträgen vorgesehen gewesen sein sollte, schon bei nur einmaliger Verwendung gegenüber einem Verbraucher zur Anwendung. Dass die AGB vom Arbeitgeber gestellt sind, wird zudem nach § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB fingiert.
Ist der Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB eröffnet, kommt es nun zu einer Inhaltskontrolle nach Maßgabe der §§ 307 ff. BGB.
Es könnte ein Verstoß gegen § 309 Nr. 7 lit. b BGB vorliegen. Gem. § 309 Nr. 7 lit. b BGB ist ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung für sonstige Schäden, die auf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder auf einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam. Jedoch enthält die Obliegenheit einer schriftlichen Geltendmachung – so wie hier in § 12 des Arbeitsvertrages – gerade keinen Haftungsausschluss und keine Haftungsbegrenzung. Insoweit liegt kein Verstoß gegen § 309 Nr. 7 lit. b BGB vor.
Da sich bei der Bemessung der angemessenen Dauer einer Ausschlussfrist aus § 61b Abs. 1 ArbGG – Frist von 3 Monaten – ein geeigneter Maßstab ergibt, verstößt § 12 auch nicht gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB (anders wäre dies bei einer zweimonatigen Ausschlussfrist. Siehe hierzu hier.
c. Beschränkung der Klausel nach Auslegung des Parteiwillens
In dem Urteil des BAG geht es entscheidend darum, wie § 12 des Arbeitsvertrages
Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.
auszulegen ist. Nach dem Wortlaut sollen „alle beiderseitigen“, d. h. wechselseitigen Ansprüche der Arbeitsvertragsparteien der Klausel unterliegen. Aus der Formulierung ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass nur bestimmte Ansprüche gemeint sind und insbesondere solche wegen vorsätzlich begangener, ggf. auch unerlaubter Handlungen ausgenommen sein sollten.
Ob einer Verfallklausel nach dem Willen der Parteien auch die Haftung wegen Vorsatzes unterfallen soll, könnte für Verfallklauseln in einem Formulararbeitsvertrag zweifelhaft sein. Eine Einbeziehung gesetzlich explizit ausgeschlossener Fälle dürfte regelmäßig gerade nicht gewollt sein. Das gilt – so das BAG – beispielsweise für die Vorsatzhaftung. Wie sich der amtlichen Pressemitteilung entnehmen lässt, begründet der Senat seine Entscheidung mit dem Umstand, dass die Parteien eines Arbeitsvertrages – anders als bei tarifvertraglichen Ausschlussfristen – weder die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtern (§ 202 Abs. 1 BGB) noch die Haftung wegen Vorsatzes dem Schuldner im Voraus erlassen (§ 276 Abs. 3 BGB) können. Diese Regelungen bezwecken einen umfassenden Schutz gegen im Voraus vereinbarte Haftungsbeschränkungen für vorsätzliche Schädigungen. Vor diesem Hintergrund verbietet § 202 Abs. 1 BGB nicht nur beschränkende Vereinbarungen im Hinblick auf die Verjährung, sondern auch bezüglich Verfallfristen. Demgegenüber kann die Haftung für vorsätzliches Handeln eines Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfen ausgeschlossen werden (§ 278 S. 2 BGB). Diese gesetzliche Ausnahmevorschrift hat die Vorinstanz zum Anlass genommen, die Ausschlussfrist in § 12 des Arbeitsvertrages so auszulegen, dass die Haftung für Vorsatz soweit wie gesetzlich zugelassen unter die Verfallklausel fällt, die Haftung für vorsätzliches Handeln des Arbeitgebers aber nicht umfasst. Diese Auslegung wurde damit begründet, dass die Parteien regelmäßig keine Vereinbarung treffen wollen, die rechtsunwirksam ist. Diese Differenzierung hat das BAG nunmehr aufgegeben und Vorsatzhaftung insgesamt von der Ausschlussregelung ausgenommen. Als weiteres Argument für den Ausschluss der Vorsatzhaftung führt der Senat an, dass der Arbeitgeber bei Arbeitsunfällen und Berufsunfähigkeit ausschließlich bei Vorsatz, § 104 Abs. 1 SGB VII hafte. Bei dieser Gesetzeslage sei ohne besondere Anzeichen regelmäßig davon auszugehen, dass die Parteien des Arbeitsvertrages mit der Ausschlussklausel nicht auch Fragen der Vorsatzhaftung regeln wollten.
4. Fazit
Da die Entscheidungsgründe bisher noch nicht veröffentlich sind, bleibt abzuwarten, wie der Senat im Einzelnen die Auslegung des Parteiwillens vorgenommen hat. Interessant wird vor allem sein, wie mit der von der Vorinstanz aufgeworfenen Differenzierung zwischen dem eigenen vorsätzlichen Verhalten des Arbeitgebers (Ausschlussklausel nach §§ 134, 202 Abs. 1 BGB nichtig) und der Haftung des Arbeitgebers für ein vorsätzliches Handeln von Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen umgegangen wird.