Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem Urteil vom 21.06.2012 – 2 AZR 153/11 Stellung zu der Frage genommen, unter welchen Voraussetzungen die heimliche Videoüberwachung des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz durch den Arbeitgeber zulässig ist. In den Entscheidungsgründen wird Stellung genommen erstens zu den Voraussetzungen eines Kündigungsgrundes, zweitens zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit einer heimlichen Videoüberwachung durch den Arbeitgeber und drittens zum Bestehen eines Beweisverwertungsverbotes bei einer Videoüberwachung im Hinblick auf § 6b Abs. 2 BDSG.
Die Frage der Zulässigkeit einer Videoüberwachung am Arbeitsplatz stellt sich in einer Klausur bei der Prüfung eines wirksamen Kündigungsgrundes. Wenn die Videoüberwachung unzulässig ist und das einzige Beweisstück für die Verfehlung darstellt, so darf der Arbeitgeber diese nicht im Prozess verwerten und die Kündigung ist unwirksam.
1. Sachverhalt
Die Klägerin arbeitete seit 1990 als Verkäuferin bei der Filiale des beklagten Einzelhandelsunternehmens. Da im Bereich „Tabakverkauf“ Inventurdifferenzen auftraten, ließ die Beklagte für drei Wochen mit Zustimmung des Betriebsrats eine verdeckte Videoüberwachung unter anderem im Kassenbereich durchführen. Die Aufzeichnungen ergaben, dass die Klägerin an zwei Tagen nach Geschäftsschluss Zigaretten entwendete. Nach Anhörung des Betriebsrates kündigte ihr die Beklagte. Hiergegen erhob die Klägerin rechtzeitig Klage und bestritt die ihr vorgeworfenen pflichtwidrigen Handlungen.
Vor dem BAG streiten die Parteien nunmehr über die Wirksamkeit der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.
2. Verhaltensbedingte Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt
Das BAG hat festgestellt, dass im vorliegenden Fall die ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt war.
[Zur Erinnerung: grundsätzlich ist bei einer ordentlichen Kündigung ein Kündigungsgrund entbehrlich. Anderes gilt aber, wenn die Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) erfüllt sind. Ist das KSchG anwendbar, muss die Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt sein. Hierunter fällt auch ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund. Bei der Prüfung der verhaltensbedingten Kündigung ist dann an erster Stelle abstrakt zu prüfen, ob das Verhalten des Arbeitnehmers grundsätzlich dazu geeignet ist, eine Kündigung auszusprechen. Auf zweiter Stufe folgt eine Interessenabwägung, in der die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls einbezogen werden müssen. Die Prüfung der verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung folgt damit dem Prüfungsschema der außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB. Der wesentliche Unterschied zur außerordentlichen Kündigung ist, dass die Gründe bei der ordentlichen Kündigung nicht so schwer sein müssen. Da die außerordentliche Kündigung als „ultima-ratio“ Maßnahme zu verstehen ist, muss der wichtige Grund so schwer wiegen, dass dem Arbeitgeber noch nicht einmal das Abwarten der ordentlichen Kündigungsfrist zugemutet werden kann. Im Gegensatz dazu ist eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung schon dann sozial gerechtfertigt, wenn ein verständig urteilender Arbeitgeber bei Abwägung der wechselseitigen Interessen kündigen würde. Maßstab ist insoweit das Prognoseprinzip. Eine negative Prognose liegt vor, wenn die Vertragsstörung so geartet war, dass daraus geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig seine Vertragsplichten nicht ordnungsgemäß erfüllen.]
Das BAG führte auf erster Stufe aus, dass die Klägerin durch die heimliche Wegnahme der Zigaretten am Arbeitsplatz eine rechtswidrige und vorsätzliche Handlung unmittelbar gegen das Vermögen der Arbeitgeberin begangen habe. Sie habe in schwerwiegender Weise die schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB verletzt und das in sie gesetzte Vertrauen missbraucht. Ein solches Verhalten sei daher grundsätzlich geeignet, eine Kündigung auszusprechen. Dieses Verhalten sei sogar dann zum Ausspruch einer Kündigung geeignet, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem geringfügigen Schaden geführt hat. Maßgebend sei der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch (dies entspricht der ständigen Rechtsprechung, wie auch im Fall „Emmely“ – BAG, 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 Rn. 27- wo die Klägerin in unzulässiger Weise Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro einlöste, siehe hierzu auch hier).
Auf zweiter Stufe stellte der Senat fest, dass das Verhalten der Klägerin auch unter Berücksichtigung einer Interessenabwägung dazu geeignet war, die Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe heimlich und vorsätzlich das in sie gesetzte Vertrauen als Verkäuferin zu einer Schädigung des Vermögens der Beklagten missbraucht. Eine Wiederherstellung des Vertrauens sei auch angesichts der unbeanstandeten Betriebszugehörigkeit der Klägerin von 18 Jahren und des geringen Wertes der entwendeten Gegenstände nicht zu erwarten. Dem Senat kommt es vorliegend entscheidend darauf an, wie die schädigende Handlung durchgeführt wurde. Er führt aus:
„Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt auf Heimlichkeit angelegt ist – […} – oder nicht.“
Weil das Verhalten der Klägerin „auf Heimlichkeit angelegt“ war, wertete das BAG die Interessen der Beklagten am Ausspruch der Kündigung als höherrangig.
Exkurs: Mit dieser Entscheidung hält der Senat an seiner im Fall „Emmely“ (BAG, 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09) eingeschlagenen Linie fest. Hiernach sind rechtswidrige Handlungen gegen das Vermögen des Arbeitgebers nur abstrakt auf erster Stufe geeignet, eine Kündigung auszusprechen. Auf zweiter Stufe muss trotz der schweren Verfehlung eine Interessenabwägung vorgenommen werden. Siehe dazu hier.
3. Voraussetzungen für eine heimlichen Videoüberwachung durch den Arbeitgeber
Der Senat hat die Frage, ob den Videoaufzeichnungen ein prozessuales Verwertungsverbot wegen einer Verletzung des allgemeinem Persönlichkeitsrecht der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG entgegenstand, nicht abschließend beantwortet. Hinsichtlich dieser Frage hat der Senat den Fall zurück an das Landesarbeitsgericht verwiesen. Dennoch wurden Ausführungen zu den Kriterien einer zulässigen Videoüberwachung gemacht.
Im Rahmen der Zulässigkeit einer heimlichen Videoüberwachung ist danach grundsätzlich zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist. Es ist also eine Abwägung zwischen den Interessen an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und dem Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (siehe hierzu Palandt, § 823 BGB Rn. 112) vorzunehmen. Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers können durch die Wahrnehmung überwiegender schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Das BAG hat sich – einer früheren Entscheidung folgend (BAG, 27. März 2003, 2 AZR 51/02) – auf Kriterien berufen, nach denen eine heimliche Videoüberwachung durch den Arbeitgeber gerechtfertigt (und deshalb zulässig) ist. Dies ist der Fall, wenn:
- der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht
- weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit praktisch das einzige verbleibende Mittel darstellt und
- sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist.
Diese Kriterien hat das BAG dahingehend ergänzt, dass der Verdacht sich gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten muss. Auch darf der Verdacht keine allgemeine Mutmaßung darstellen, es könnten Straftaten begangen werden. Er muss sich jedoch nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten. Im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein.
Aufgrund der Zurückweisung muss das Landesarbeitsgericht nun feststellen, ob die von der Beklagten vorgetragene Inventurdifferenz tatsächlich vorgelegen hat. Auch muss geklärt werden, auf welche Tatsache sich der Verdacht gründete, dass Mitarbeiterdiebstähle erheblichen Einfluss auf die behauptete Inventurdifferenten gehabt hätten und welcher eingrenzbare Kreis von Mitarbeitern von diesem Verdacht betroffen war. Auch muss beurteilt werden, ob nicht weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung in Betracht gekommen wären.
4. Videoüberwachung im öffentlich zugänglichen Raum, § 6b Abs. 2 BDSG
Darüber hinaus stellte das BAG ausdrücklich fest, dass ein Beweisverwertungsverbot nicht schon aus einer Verletzung des Gebots des § 6b Abs. 2 BDSG folgt. Siehe zu Videoauszeichnung im öffentlich zugänglichen Raum bereits hier.
Zwar schreibt § 6b Abs. 2 BDSG vor, dass bei der Beobachtung von öffentlich zugänglichen Räumen der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen sind. Hieraus könne aber nicht gefolgert werden, dass die verdeckte Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen ausnahmslos unzulässig sei. Vielmehr will das BAG die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung ausschließlich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen. Das Kennzeichnungsgebot sei weder nach verfassungskonformer Auslegung im Lichte der grundrechtlich geschützten Interessen des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG noch nach der Gesetzesbegründung Voraussetzung für die materiell rechtliche Zulässigkeit der Videoüberwachung.
[Das BAG hat auch klar gestellt, dass sich ein Beweisverwertungsverbot nicht aus dem am 01.09.2009 in Kraft getretenen § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG ergebe, weil die Videoaufzeichnung im vorliegenden Fall aus dem Jahr 2008 stammte. In einer Klausur neueren Datums sollte jedoch auf diese Norm eingegangen werden. Danach ist eine personenbezogene Datenerhebung zur Aufdeckung von Straftaten nur dann zulässig wenn:
„tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.“
Diese Regelung erscheint enger als die des § 6b Abs. 2 BDSG. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG die Voraussetzungen der Videoüberwachung aufgrund dieser Vorschrift verschärfen wird. Aufschlussreich zur Auslegung des § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG ist der in Kürze erscheinende Beitrag in der EzA von Thüsing/Pötters, Anmerkung zu BAG v. 21.6.2012 – 2 AZR 153/11.]
5. Fazit
Die Entscheidung des BAG bestätigt die kündigungsschutzrechtlichen Maßstäbe bei einer verhaltensbedingten Kündigung, die im Fall einer rechtswidrigen Handlung gegen das Vermögen des Arbeitgebers gelten. Der Senat hält an seiner im Fall „Emmely“ eingeschlagenen Linie fest, wonach bei rechtswidrigen Handlungen gegen das Vermögen des Arbeitgebers auf zweiter Stufe trotz der schweren Verfehlung eine Interessenabwägung vorzunehmen ist.
Im Hinblick auf die heimliche Videoüberwachung hat sich das BAG auf Kriterien berufen, die eine Überwachung zulässig machen. Zwar ist eine heimliche Videoüberwachung nicht grundsätzlich unzulässig, jedoch sind die Kriterien aufgrund des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers sehr scharf, so dass nur in seltenen Fällen eine Videoüberwachung als zulässig zu beurteilen ist. Daneben wurde klargestellt, dass § 6b Abs. 2 BDSG einer heimlichen Videoüberwachung am Arbeitsplatz nicht entgegensteht. Vielmehr will das BAG die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung ausschließlich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen.
Es bleibt abzuwarten, welchen Einfluss der § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG auf die Rechtsprechung des BAG in diesem Zusammenhang haben wird.